Der Herr General.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Exzellenz ist wütend” und
in: „An die Gewehre”


Die sehr feudale Infanterie-Brigade hatte einen neuen General erhalten. Darauf war man schon lange vorbereitet gewesen und man hätte sich über den neuen General auch weiter gar nicht aufgeregt, wenn der Mann nicht eine einfach unglaubliche Charakter­eigenschaft besessen hätte: er war bürgerlich und sogar so hundsgemein bürgerlich, daß er sogar Schulze hieß.

Das war etwas, was die Offizierkorps der beiden feudalen Infanterie-Regimenter nicht begriffen. Gewiß, es gab ja bürgerliche Elemente, es mußte sie ja auch geben, schon damit sich der Adel um so leuchtender von ihnen abhob, aber daß es sogar bürgerliche Generäle gab und daß man gerade ihnen einen solchen Beamten gegeben hatte, ihnen, die sich natürlich nicht durch irgend welche Protektion, sondern lediglich durch einen Zufall aus lauter adligen Offizieren zusamensetzten, das war ein starker Tobak. Das zu verstehen, ging über ihre geistige Kraft. Sie begriffen wohl, daß man bürgerlich geboren werden konnte, aber daß man bis an sein Lebensende auch bürgerlich blieb, nee, das war zu hoch für sie.

Und wenn Seine Majestät der Kaiser nun doch schon einmal hin und wieder die Gnade hatte, einen Bürgerlichen zu nobilitieren, warum geruhte Seine Majestät da nicht, auch den General Schulze in einen blaublütigen Standesgenossen zu verwandeln.(1)

Man war auf den neuen Vorgesetzten sehr gespannt. Man versuchte sich vorzustellen, wie ein bürgerlicher General aussehen könne, aber nur die Phantasie eines im Karrikaturen­zeichnen sehr gewandten Kameraden vermochte den anderen ungefähr eine Vorstellung von dem Äußeren des neuen Generals zu geben.

Um so größer war daher das Erstaunen, als der Herr General eines Tages persönlich auf dem großen Truppenübungs­platze, auf dem die Brigade für längere Zeit zur militärischen Übung untergebracht war, erschien.

Alle waren starr. Daß ein Bürgerlicher äußerlich so gut aussehen und so gut gekleidet gehen könne, hatte kein Mensch für möglich gehalten. Die Uniform saß an der großen, schlanken Figur wie angegossen, an den Lackstiefeln hätte kein Garde-Kavallerist etwas auszusetzen vermocht(2) und der Mann hatte sogar tadellos manicürte Fingernägel.

Und auch als man bald nach der ersten Begrüßung zu Tisch ging, benahm er sich einfach einwandfrei: Er aß nicht mit dem Messer, er spuckte die Fischgräten nicht auf den Teller, er warf die Geflügelknochen nicht unter den Tisch und fuhr sich nicht einmal mit einem abgebrochenen Streichholz in den Zähnen herum. Kurz und gut, er benahm sich so, wie sich sonst nur ein Adliger benimmt, oder besser gesagt, wie sich sonst nur ein Adliger benehmen kann.

Die Antipathie, die man dem General von Anfang an entgegengebracht hatte, verwandelte sich plötzlich beinahe in Mitleid. Wie mußte ein Mensch, der so gut aussah und so unanfechtbare Manieren besaß, darunter leiden, bürgerlich zu sein?

Und vielleicht hätte sich der General an diesem ersten Abend sogar die Liebe seiner neuen Offiziere erworben, jene Liebe, die aus dem Mitleid hervorgeht, wenn man nicht plötzlich eine Eigenschaft an ihm entdeckt hätte, die alle einfach „platt” machte: Der Mann hatte vor dem Adel nicht die allerleiseste Hochachtung. Anstatt stolz und glücklich zu sein, gerade diese Brigade führen zu dürfen, genierte er sich nicht, im Laufe des Gespräches offen zu erklären, er hätte im Stillen eigentlich auf eine andere Brigade gehofft. Und seine Nichtachtung des Adels zeigte er dadurch(3), daß er die Leutnants, mit denen er sich bei dem Kaffee und bei den Zigarren unterhielt, entweder nur „Herr Leutnant” oder ganz einfach bei ihren Nachnamen unter Fortlassung des Wortes „von” anredete.

Das war einfach unerhört. Wozu hieß man denn „Leutnant von Emberg” oder wie man sonst getauft worden war, wenn man sich einfach „Emberg” schimpfen lassen mußte?

Als der General endlich aufbrach, um sich schlafen zu legen, brach unter den zurückgebliebenen Leutnants beinahe offene Rebellion aus. Der Alkohol, dem man reichlich zugesprochen hatte und den man jetzt erst recht in vollen Zügen genoß, erhitzte die jugendlichen Gemüter und alle fuhren über den Vorgesetzten her: „Was nützen da die besten Lackstiefel — der Bauer kommt doch immer wieder zum Vorschein. Der Mann will Bildung haben? Ein Knote ist er und seine anscheinend guten Manieren sind weiter nichts als eine äußerliche Firnis-Politur, die bei der ersten Gelegenheit abgeht.

Alle schalten durcheinander und waren sich darüber einig, daß man sich auf die Dauer eine solche „plebejische” Anrede nicht gefallen lassen dürfe. Das mußte man dem General in nicht mißzuverstehender Weise zu erkennen geben und wenn der Mann es bisher im Umgang mit seinesgleichen nicht gelernt hatte mit dem Adel umzugehen, dann mußte dies ihm eben noch hinterher beigebracht werden.

Aber so sehr auch alle in der Theorie damit einverstanden waren, den General zu erziehen, in der Praxis stieß dies doch auf einige Schwierigkeiten, denn der General sah nicht danach aus, als wenn er sich von einem Leutnant etwas sagen ließe und wenn der Mann schon im gesellschaftlichen Verkehr ein solches Rauhbein war, was würde der dann erst im dienstlichen Verkehr für Saiten aufziehen? Das wünschte man nicht näher kennen zu lernen.

So beschloß man denn nach langen Beratungen sich vorläufig abwartend zu verhalten. Vielleicht gewöhnte er sich mit der Zeit von selbst bessere Umgangsformen an, wenn nicht, konnte man sich noch immer dagegen auflehnen.

Alle waren mit diesem Beschluß einverstanden, aber nur nicht der Leutnant von Pewald. Der war zwar im Gegensatz zu vielen anderen seiner Kameraden nur einfach „von”, nicht einmal Baron oder Freiherr, aber trotzdem oder gerade deshalb hielt er mit aller Strenge darauf, daß sein Adel respektiert würde. Und so erklärte er denn jetzt: „Macht Ihr anderen, was Ihr wollt, ich weiß soviel: wenn der General mich auch nur ein einziges Mal einfach „Leutnant Pewald” nennt, dann werde ich ihm schon zu verstehen geben, wen er sich gegenüber hat.”(4)

„Vorausgesetzt, daß dir im kritischen Augenblick nicht doch der Mut dazu fehlt,” neckten ihn die Kameraden, aber Leutnant von Pewald ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Was ich gesagt habe, habe ich gesagt, dabei bleibts.”

Drei Tage später hielt der General auf dem Truppen­übungs­platz eine große Gefechts­übung der beiden Regimenter gegen einen markierten Feind ab und am Mittag versammelte er seine Offiziere um sich zur Kritik. Er war mit dem, was er zu sehen bekommen hatte, mehr als unzufrieden, das merkte man schon gleich seinem Gesichtsausdruck und seiner erregten Stimme an: „Die ganze Übung war eigentlich weiter nichts als eine einzige große Schweinerei, meine Herren! Auf die Einzelheiten werde ich nachher noch näher eingehen, vorläufig möchte ich nur wissen, wer von den Leutnants die Spitze geführt hat? Durch sein ungeschicktes Vorgehen im Gelände, dadurch, daß er sich dem Gegner viel zu früh zeigte, ist die Sache in der Hauptsache so gekommen, wie sie kam. Also bitte, meine Herren, wer von Ihnen führte die Spitze?”

Ohne zu zögern legte Leutnant von Pewald die Hand an den Helm: „Ich, Herr General.”

Etwas erstaunt blickte der Vorgesetzte auf: „Sie, Herr Leutnant Pewald? ich muß sagen, das wundert mich etwas, denn gerade Sie, Herr Leutnant Pewald, sind mir als ein tüchtiger Offizier geschildert worden und unwillkürlich muß ich mich da fragen: „Wie falsch hätte da erst ein anderer Leutnant gehandelt, wenn sogar Leutnant Pewald solche Dummheiten macht?”

Schon als der General ihn das erste Mal nur bei seinem Namen nannte und das „von” fortließ, fühlte Leutnant von Pewald, wie die Augen aller Kameraden sich auf ihn richteten. Voller Erwartung sahen sie ihn an, er hatte ja behauptet, er werde sich eine solche Anrede nicht gefallen lassen. Sollte er sie doch nun ruhig hinnehmen?

Leutnant von Pewald las die Spannung in den Gesichtern der anderen, aber das war ihm schließlich ganz egal, schonum seiner selbst willen durfte er sich die falsche Anrede nicht gefallen lassen und als der General ihn nun zum dritten Male einfach „Herr Leutnant Pewald” nannte, legte er die Hand an den Helm und sagte mit bescheidener, aber doch auch fester und selbstbewußter Stimme: „Verzeihung, Herr General, ich heiße von Pewald, v-o-n, von, Pewald, Pe-Pe, w-a-l-d wald, von Pewald.”

Donnerwetter das war stark!

Für einen Augenblick hielt jähes Entsetzen alle gefangen. Vom Obersten herab bis zum jüngsten Leutnant waren alle starr, dann aber sahen sie auf den General, was der wohl dazu sagen würde.

Der aber blieb völlig ruhig. In seinen Augen blitzte kein herannahendes Gewitter auf, nur ein leises, ein ganz klein wenig spöttisches Lächeln umspielte seinen Mund und mit seiner liebensüwrdigsten Stimme sagte er dann: „Richtig Sie heißen ja von Pewald, v-o-n Pewald und ich, der ich Sie wegen ihrer durchaus ungehörigen Antwort mit sieben Tagen Stubenarrest bestrafe, ich heiße Schulze, S-ch-u-l, Schul, z-e, ze — Schulze.”


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „An die Gewehre” fehlt dieser ganze Absatz. (zurück)

(2) In der Fassung von „An die Gewehre” fehlt der Rest dieses Satzes. (zurück)

(3) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier zusätzlich: „zeigte er erst recht dadurch”. (zurück)

(4) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt der letzte Halbsatz: „wem gegenüber er sich befindet”. (zurück)


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