Ein Hauch.

Von Freiherr von Schlicht.
in: Schöne Frauen. Bibliothek pikanter Erzählungen und Gedichte. Band 2, Seite 95
Budapest, H.L.Schroeter, (1905), 208 S. und
in: „Treulose Frauen”


Auch auf dem heutigen Fest bei dem Banquier Rosenstein war Frau von Chavanne(1) unter den vielen schönen Frauen die schönste — die Herren gestanden dies offen und ehrlich ein, die Damen mit jener Ueberwindung, die ihnen ein solches Geständnis kostet.

Ein altes Wort sagt: „Es lässt eine Frau ganz kalt, wenn Du ihr sagst, sie wäre die schönste auf der Welt, aber sie gerät vor Freude ausser sich, wenn Du ihr erklärst, sie sei die schönste im Saal.”

Und das erklärten der Frau von Chavanne viele, und lächelnd liess sie sich die Huldigungen gefallen; wie eine wirkliche Königin stand sie in dem Kreis der Herren, der sie umgab. Sie war von grosser, schlanker und dabei doch voller Figur — auf den vollen Schultern und dem herrlichen Hals ruhte ein wahrhaft klassisch schöner Kopf, der vielleicht etwas Kaltes, Statuenhaftes gehabt hätte, wenn die grossen, dunklen, sinnberückend schönen Augen nicht gewesen wären, in die noch niemand hineingeschaut hatte, ohne sein Herz zu verlieren. Eine glänzende Robe umspannte die herrliche Erscheinung, und neidisch flüsterten die Damen sich zu: „Wenn man so reich ist, und nur in Paris bei den teuersten Schneidern arbeiten lassen kann und einen so wunderbaren Schmuck besitzt, wie die Frau von Chavanne, dann ist es weiter keine Kunst, die Schönste zu sein.”

Alle, alle huldigten ihr — nur einer nicht, der Baron von Bockhausen, eine grosse, schlanke, schöne Erscheinung in der Mitte der Vierzig. Er galt als der bevorzugte Liebling der Frauen, und seine Klubfreunde begriffen nicht, wie er trotzdem ein solch fabelhaftes Glück im Spiel haben könne. Man sagte, er brauche nur mit dem kleinen Finger zu winken, um sich das Herz einer jeden Dame zu erobern, er selbst gab dies lächelnd zu — aber bei der schönen Frau von Chavanne hatte er bisher vergebens nicht nur mit dem kleinen Finger, sondern mit beiden Händen gewinkt.

Als er zum ersten Mal den Versuch gemacht hatte, der schönen Frau, die an der Seite eines alten, kranken Mannes in wenig beneidenswerter Ehe lebte, näher zu treten, als er ihr zeigte, dass er nicht abgeneigt sei, ihr, wenn auch nur vorübergehend, jene Freuden zu bereiten, die sie bisher ganz sicher entbehrt hätte — da hatte sie ihn in einer Art und Weise abfallen lassen, dass er für einen Augenblick gedacht hatte: „Hab' ich mich in meinem ganzen bisherigen Leben geirrt — giebt es doch noch anständige Frauen?”

Gleich darauf aber hatte er über diesen Gedanken lächeln müssen, und dieses Lächeln hatte fortan stets seinen Mund umspielt, wenn er mit Frau von Chavanne in Berührung gekommen war.

Er lächelte auch jetzt, als er in einer Pose, die er sich selbst geschaffen hatte und auf die er so stolz war, dass er sie sich am liebsten hätte gesetzlich schützen lassen, am Kamin lehnte und keinen Blick seiner feurigen Augen von ihr abwandte.

Sie that, als sähe sie ihn gar nicht, als bemerke sie sein leise spöttisches(2), halb mitleidiges Lächeln nicht, das da zu sagen schien: „Schöne Frau, gieb Dir keine Mühe, mich täuschest Du doch nicht — auch Du bist nicht anders, als die vielen anderen, die ich nach mehr oder weniger langem Widerstand mir eroberte — auch Dich werde ich besitzen, vielleicht nicht heute, vielleicht auch nicht morgen, aber kommen wird der Tag, darauf kannst Du Dich verlassen, ich habe Zeit, ich kann warten.”

Etwas Selbstbewusstes, Siegesgewisses leuchtete aus seinen Augen, das empörte sie beinahe — und doch wusste sie am allerbesten, dass sein Selbstvertrauen ihn nicht täuschte, dass sie unterliegen werde.

Sie wunderte sich selbst darüber, dass dies noch nicht geschehen war.

Sie spielte, nein, sie kämpfte mit ihm, mit sich selbst. Nicht als ob sie ihn besonders liebte, als ob sie ihn einem der anderen Verehrer besonders vorgezogen hätte — nein, das nicht, aber so wenig wie sie daran dachte, jemals einen anderen zu erhören, so genau wusste sie, dass sie dem Baron einmal angehören würde.

Wenn sie für die Feste Toilette machte, dachte sie nur an ihn, und sie wählte nur solche Roben, in denen sie sicher war, ihm zu gefallen, und wenn sie in den Wagen stieg, um in(3) die Gesellschaften zu fahren, dachte sie stets: „Ich bin neugierig, wer heute Abend seinen Willen durchsetzt, ich bin begierig, ob ich allein nach Haus fahre, oder ob er mich begleitet, um noch eine Tasse Thee bei mir zu trinken.”

Bisher war sie Siegerin geblieben — aber es war nicht ihr Verdienst. Er brauchte nur mit einem Wort auf seinen Wunsch zurück zu kommen, dann würde sie einwilligen, — aber er sagte das eine Wort nicht.

Und dass er nicht sprach, das kränkte sie nicht, aber es machte sie nervös und unruhig, sie fieberte schliesslich beinahe in seiner Nähe vor innerer Erregung und vor Erwartung, ob er sprechen würde oder nicht.

Und doch glaubte sie zu wissen, dass er lieber sterben würde, als dass er zum zweiten Mal sich ihr nähern würde.

Noch immer stand er am Kamin und sah lächelnd zu ihr hinüber, sie konnte, sie wollte dieses Lächeln, das sie reizte und das sie unruhig machte, nicht mehr sehen. Sie drehte sich ganz nach der rechten Seite und kehrte ihm ihren Rücken zu.

Aber während sie mit den anderen Herren plauderte und scherzte, fiel ihr plötzlich ein, dass der Baron ihr einmal gesagt hatte, sie besässe den schönsten Nacken, den er jemals bei einer Frau gesehen habe — sie würde auch dann stets die Schönste in jeder Gesellschaft sein, wenn sie nur diesen Nacken besässe.

Langsam nahm sie die alte Stellung wieder ein, anscheinend ganz unabsichtlich, aber als sie den Baron mit einem flüchtigen Blick streifte, da sagte ihr sein Lächeln, das etwas spöttischer geworden war, dass er ganz genau erraten hatte, was in ihr vorgegangen war.

Sie hätte ihn schlagen mögen.

Sie wurde von einer Unruhe befallen, dass es ihr kaum noch möglich war, das gleichgiltige Geplauder um sie herum zu ertragen — so ging es nicht länger, ein Ende musste gemacht werden, so oder so — sie hatte die Empfindung, als wenn Tausende von Ameisen in ihren Adern herumliefen.

Und trotz alledem war ihr der Baron, sie fühlte es auch jetzt von neuem, eigentlich ebenso gleichgiltig wie alle anderen.

Unter einem Vorwande entfernte sie sich schliesslich aus dem Kreis, der sie fast umschloss — sie wollte ihm entfliehen, seinen Blicken, seinem Lächeln entgehen, sie wollte auch heute, nur um ihn zu ärgern, Siegerin bleiben, sie wollte Unwohlsein vorschützen, ihren Wagen bestellen und nach Haus fahren — was wollte sie nicht alles.

Sie ging in die Nebenräume, sie trat von einer Gruppe zur andern, sie plauderte bald hier, bald dort. „Ich will nicht — ich will nicht,” wiederholte sie sich in einem fort.

Aber plötzlich stand sie doch vor dem Baron, der seine Stellung am Kamin auch nicht um Haaresbreite geändert hatte.

„Endlich,” sagte er, als sie jetzt vor ihm stand — es klang keine Freude, keine Genugthuung aus diesem einen Wort, sondern es schien, als wolle er damit sagen: „Endlich kommst Du zur Vernunft — das freut mich Deinetwegen!”

Aber das Lächeln von seinen Lippen entschwand auch jetzt nicht — er nahm sich auch gar nicht die Mühe, seine lehnende Stellung am Kamin aufzugeben.

Schweigend standen sie sich gegenüber, sie war ein ganz klein wenig blass geworden — gerade deshalb kam es ihm vielleicht so vor, als ob ihre dunklen Augen noch feuriger blitzten als sonst Sie atmete schwer, und ihr Busen hob und senkte sich, dass er ihre Taille zu zersprengen drohte.

„Ja,” sagte sie nach einer langen, langen Pause, „endlich — Sie haben recht — aber nun hören Sie auf zu lächeln, ich ertrage es nicht mehr.”

„Noch nicht,” gab er zur Antwort, „nicht eher, als bis Sie mir meinen Wunsch erfüllt haben — ich brauche Ihnen denselben nicht zu wiederholen, Sie kennen ihn.”

Noch immer zögerte sie — sie konnte, sie wollte das Wort nicht sprechen, aber sie musste; wenn sie es nicht jetzt that — so war es nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Sie befand sich ihm gegenüber gleichsam unter einem hypnotischen Einfluss — sie war willenlos ihm gegenüber, sein Lächeln, das sie hasste und verabscheute, hatte jeden Widerstand in ihr gebrochen.

„Ich fühle mich nicht ganz wohl,” sagte sie endlich(4), „ich möchte früher nach Haus — es ist mir hier zu heiss — wollen Sie mich nach Haus begleiten und noch eine Tasse Thee bei mir trinken?”

Sie hätte weinen mögen vor Scham, vor Empörung über sich selbst, sie kam sich grenzenlos verwerflich und verächtlich vor; sie schämte sich, dass sie nun doch unterlegen war.

Er antwortete nichts, er verneigte sich schweigend und ging dann fort, um ihren Wagen zu bestellen. Heimlich, ohne sich zu verabschieden, entfernten sie sich, und gleich darauf fuhren sie in ihrem Coupé ihrer Villa entgegen.

Es war ein köstlicher Winterabend, der Frost der letzten Tage war vergangen, es war kaum ein Grad Kälte, kein Luftzug rührte sich.

„Lassen Sie das eine Fenster ein klein wenig offen,” bat sie, „mir ist so heiss, so schwül, ich ersticke.”

Aber anstatt die Fenster zu öffnen, überzeugte er sich davon, ob sie auch ganz geschlossen wären.

„Sie sollen sich nicht erkälten,” sagte er, „denn jetzt — jetzt gehören sie mir.”

Er legte seinen Arm um ihre Taille und zog sie an sich — ihre Nähe entflammte sein heisses Blut, und auch ihre Leidenschaft erwachte.

Er flüsterte ihr zärtliche Liebesworte ins Ohr, er gab ihr Schmeichelnamen und redete auf sie ein.

Es war noch früh am Abend, auf den Strassen herrschte noch reges Leben und Treiben, die Restaurants waren noch hell erleuchtet, das elektrische Licht verbreitete noch seinen weissen Schein und neugierig blickte gar mancher der Passanten in das elegante Coupé, als(5) dieses infolge einer kurzen Verkehrsstockung ganz langsam fahren mußte.

Aber die Blicke der Neugierigen störten den Baron nicht — noch immer lag sein Arm um ihre Taille, noch hielt er ihre Hand in der seinen, und jetzt schob er mit der Linken den Shawl fort, der ihr Gesicht bedeckte, um feurige Küsse auf ihre Lippen zu drücken.

Aber erschrocken lehnte sie sich so weit wie möglich in die Ecke des Coupés zurück, aber trotzdem fühlte er an dem Druck ihrer Hand und an ihrem heissen Atem, dass auch sie nach einer Liebkosung lechzte.

„Nicht küssen,” bat sie, „nein — nein — nicht küssen — hauchen.”

Verständnislos blickte er sie an.

„So hauchen Sie doch.”

Fast zornig stampfte sie mit ihren kleinen Füssen auf, und als er sie auch jetzt noch nicht begriff, da hauchte sie selbst gegen das eine Coupé­fenster, dass es gleich darauf beschlagen war — vor neugierigen Blicken war sie jetzt sicher, und als er nun ihrem Beispiel gefolgt war und auch das Fenster an seiner Seite angehaucht hatte, da schlang sie in heissem, wildem Begehren ihre Arme um seinen Hals und presste ihre Lippen auf seinen Mund, von dem jetzt das Lächeln verschwunden war.

Wie sie glaubte: für immer.

Aber als sie sich nach wenigen Tagen auf einer Gesellschaft wiedersahen, da lächelte er doch wieder — dieses Mal aber nicht spöttisch, sondern glücklich in der Erinerung an das „Hauchen”.


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „Treulose Frauen” heißt es hier: „Frau von Mavanne” (Diese Namensänderung gilt für die ganze Erzählung.) (zurück)

(2) In der Fassung von „Treulose Frauen” heißt es hier: „leises, spöttisches”. (zurück)

(3) In der Fassung von „Treulose Frauen” heißt es hier: „auf die Gesellschaften”. (zurück)

(4) In der Fassung von „Treulose Frauen” heißt es hier: „endlich, endlich”. (zurück)

(5) In der Fassung von „Treulose Frauen” heißt es hier: „das dieses”. (zurück)


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© Karlheinz Everts