Der Hannoversche Spielerprozeß.

in: „Hannoverscher Courier” vom 3.Nov. 1893, Morgenblatt, Seite 1.


Der Spielerprozeß.

Hannovers Name ist in den letzten anderthalb Wochen in sehr unerfreulicher Weise durch den hier verhandelten Spielerprozeß in die öffentliche Erörterung gezerrt worden. Publicum und Presse haben die Angelegenheit nach allen Richtungen hin durchgesprochen, und nicht die Gauner auf der Anklagebank waren es, die den Stoff für diese Betrachtungen abgaben: sie haben jetzt ihre Strafe erhalten — und werden nach Absolvirung derselben an andern Stellen und in andern Sphären wieder auftauchen, um ihre Schwindelexistenzen weiterzuführen. Darum ist auch die Debatte mit dem Urtheil des Gerichtshofes nicht geschlossen; es ist bereits als sicher mitgetheilt, daß der demnächst zusammentretende Reichstag sich der Sache ebenfalls annehmen wird, und zwar nicht bei der Etatsberathung, die sonst allen Schmerzen und Klagen Anlaß giebt, sich zu äußern, sondern gelegentlich der Erörterung über das neue Reichsstempel­abgabengesetz, in dem wie für das Lotteriespiel so auch für den Totalisator die bisherige Abgabe um 60 Proc. erhöht werden soll. Der Totalisator wird als die Hauptwurzel des großen Giftbaums sinnloser Spielwuth betrachtet, deren moralisch, physisch und wirthschaftlich zerrüttende Folgen ja einer Beleuchtung wahrlich nicht bedürfen. Daß das Spiel am Totalisator den Spieltrieb erweckt und anreizt, daß die Legitimirung des Hazardspiels an einer Stelle die Auffassungen hierüber überhaupt verwirren und infolge dessen Grundsätze, die nicht sonderlich tief gegründet, Charaktere, die nicht sonderlich fest veranlagt, leicht erschüttern kann, liegt ebenfalls auf der Hand. Von den Vertheidigern des Totalisators wird gesagt, daß ohne ihn die Rennen nicht zu halten seien und ohne Rennen die Pferdezucht zurückgehen würde. Man wird diese Behauptung, auch wenn sie noch so fachmännisch begründet wird, nicht als unbezweifelbare Wahrheit hinzunehmen brauchen. Aber selbst wenn dies richtig wäre, würde es nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Erkenntniß, daß das Bestehen des Totalisators schwere sittliche Schäden im Gefolge hat. Man hat gehofft, durch den Totalisator die Buchmacher zu vernichten. Aber sie blühen und gedeihen nebeneinander und tragen die Verführung zum Spiel in alle Kreise, nicht etwa nur zu den Angehörigen der Stände, die in dem hiesigen Spielerprozeß die Zeugen stellten. Ist aber das gewohnheitsmäßige Hazardspiel mit seinem Zwillings­bruder, dem leichtsinnigen Schuldenmachen, schon für private Kreise verhängniß­voll, so ist es doppelt und dreifach bedenklich und verwerflich, wenn es in den Reihen Derer festen Fuß faßt, die zur Leitung, Verwaltung und zum Schutze des Staates berufen sind, wenn es sich in Beamten- und Offizierskreisen breit macht. Da leidet nicht nur der Einzelne, sondern, wie die Commentare zu dem hannoverschen Prozesse gezeigt haben, auf die ganze Berufsgemeinschaft, der er angehört, fällt ein Schatten, ja das Ansehen des ganzen Staates udn seiner Institutionen wird geschädigt. Wer in diesen Tagen einen Blick in die Blätter der bürgerlichen und socialen Demokratie geworfen hat, der weiß, in welcher Weise die Enthüllungen des Prozesses gegen Staat und Gesellschaft ausgebeutet wurden, und wer nicht absichtlich Augen und Ohren verschlossen, der weiß auch, mit welchem Erfolg dies geschehen ist und noch geschieht. Die Stimmen, die sich gegen diese Ausbeutung erhoben, konnten sich nur gegen übertreibende Verallgemeinerungen richten, sie klangen aber zaghaft und zurückhaltend, denn es fehlte ihnen die Kraft der Ueberzeugung, da ihnen das Bewußtsein fehlte, für eine gute Sache einzutreten.

Weil es sich hier um Schäden handelt, die das Ansehen des Staates und staatliche Interessen gefährden, ist es nicht nur das Recht, sondern die nicht zu umgehende Pflicht der leitenden Stellen, mit wirksamen Maßregeln einzugreifen, nicht zu erlahmen und vor keinem Hinderniß Halt zu machen, bis ernstliche und dauernde Abhilfe geschaffen ist. Noch jetzt wird unseres Wissens in der Armee an bestimmten Tagen eine Ordre Kaiser Wilhelms I. zur Verlesung gebracht, welche die Lebensauffassung und Lebensführung im Offizier­stande behandelt; und der Erlaß Kaiser Wihelms II. vom Jahre 1890 gegen den Luxus in der Armee müßte, wenn ihm im vollen Umfange Folge gegeben worden wäre, solche Vorkommnisse, wie sie der hannoversche Prozeß vorführte, unmöglich gemacht haben. Es hieß in jenem Erlaß:

„Ich will nicht, daß in Meiner Armee das Ansehen der Offizierkorps nach der Höhe der Eintrittszulage bemessen werde, und schätze diejenigen Regimenter besonders hoch, deren Offiziere sich mit geringen Mitteln einzurichten und doch ihre Pflicht mit der Befriedigung und Freudigkeit zu erfüllen wissen, die den preußischen Offizier von altersher ausgezeichnet haben. In diesem Sinne mit Aufbietung aller Kräfte zu wirken, ist die Aufgabe der Truppen­commandeure. Unausgesetzt haben sie es sich klar zu machen, daß es heutzutage mehr wie je darauf ankommt, Charaktere zu erwecken und groß zu ziehen, die Selbstverleugnung bei ihren Offizieren zu heben, und daß hierfür das eigene Beispiel in erster Linie mitwirken muß.”

Daß diese ernsten Worte in ausreichender Weise gewirkt haben, wird Niemand behaupten wollen. Es werden, neben der Entfernung schadhafter und schädigender Elemente, vor Allem die Wege ganz bestimmt vorgezeichnet werden müssen, die jenen Mahnungen vollen Erfolg sichern und auf denen der Kampf gegen ein Umsichgreifen ungesunder Erscheinungen siegreich geführt werden kann. Der eben erwähnte kaiserliche Erlaß hat bereits auf die Wichtigkeit des Mitwirkens der Truppen­commandeure in diesem Kampfe hingewiesen. Eine im Einzelnen präcisirte Verantwortlichkeit würde ihnen die Kraft geben, mit Einsicht und ohne Nachsicht gegen das Uebel nicht rangirter Lebensführung im Allgemeinen, gegen die Ausschweifungen des Spiels im Besonderen, wo sie sich zeigen, aufzutreten, in gütigem Zuspruch oder mit strengem Wort, als Kamerad oder als Vorgesetzter; sie würde es erleichtern, auch in den jüngeren Elementen den Geist der Selbstzucht, wo er fehlt, zu erwecken und wachzuhalten, der, wenn er einmal in einer Gemeinschaft wirklich lebendig geworden, auch den Schwachen hält und bewahrt, schützt und stützt. Auf eine besondere Berufs- und Standesehre kann Der nur Anspruch machen, der auch die besonderen Pflichten seines Berufes voll erfaßt und ausübt. Und wer die soldatische Pflicht der Tapferkeit und der Disciplin richtig begriffen, der weiß auch, daß er ihr nur unvollkommen entspricht, wenn er ihr nur im Kampfe gegen den äußeren Feind und in der äußerlichen Gestaltung des Dienstes genügt. Die deutsche Nation aber hat das Recht, zu verlangen, daß eine seiner mächtigsten und bedeutendsten Institutionen, daß das deutsche Heer gegen jede Schmälerung seines Ansehens geschützt wird.


zurück