Humoristisch-satirische Plauderei von Freiherr von Schlicht
in: „Der oberschlesische Wanderer”, Unterhaltungs-Beilage, vom 19.10.1912,
in: „Aachener Anzeiger” vom 3.11.1912,
in: „Echo der Gegenwart” vom 9.11.1912,
in: „Dresdner Nachrichten” vom 10.11.1912 und
in: Frauen!
Meine Frau war glücklich — — ja, mehr als das, sie war namenlos glücklich und das nicht ohne Grund. Meine Frau hatte ganz plötzlich, noch plötzlicher und unerwarteter, als der berühmte Blitz aus heiterem Himmel zu erscheinen pflegt, am Vormittag durch einen eingeschriebenen Brief die Nachricht erhalten, daß ihr Laden vermietet worden wäre — — der Laden, der in einem meiner Frau gehörenden Hause acht Jahre lang leer gestanden hatte. Was hatten wir in der Zwischenzeit nicht alles angestellt, um einen Mieter zu bekommen. Wir hatten den Laden für schweres Geld vollständig umbauen und modernisieren lassen, wir hatten den Laden in sämtlichen möglichen und unmöglichen Zeitungen inseriert, wir hatten dem, der uns einen Mieter verschaffen würde, goldene Berge und silberne Prozente versprochen, aber alles vergebens. Jahraus, jahrein stand der Laden leer und es war in diesen acht Jahren kaum ein Tag vergangen, an dem meine Frau mich nicht wenigstens zehnmal gefragt hatte: „Glaubst du, daß ich es noch einmal erlebe, daß der Laden vermietet wird?”
Mein Glaube war mit der Zeit schwach geworden, er reichte kaum aus, mich selbst zu trösten, wie sollte sich da auch noch meine Frau an meinem Glauben aufrichten? Mein Glaube reichte bei dem besten Willen nicht für zwei und so schaffte sich meine Frau denn auf mein Zureden hin einen separaten Glauben an. Was sie glaubte, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall mußte ihr ihr Glaube geholfen haben, denn der Laden war vermietet, der Kontrakt war unterschrieben und wenn der Verwalter des Hauses uns erst heute davon Mitteilung machte, so geschah es, weil er meine Frau mit der frohen Botschaft überraschen wollte. Er hatte ihr nicht früher geschrieben, bevor die Sache nicht definitiv zum Abschluß gelangt war. Nun aber war alles perfekt und der Verwalter des Hauses gab der Hoffnung Ausdruck, meine Frau möge nun glücklich sein.
Und meine Frau war glücklich. Der reine Glückstaumel hatte sie ergriffen und sie hüpfte fortwährend von ihrem Stuhl auf meinen Schoß und von meinem Schoß auf den Stuhl und als sie dann wieder auf meinem Schoß saß, nein, auf dem Stuhl — nein, doch auf meinem Schoß — — — nein, ich weiß es wirklich nicht, wo sie saß, denn sie saß jede Sekunde wo anders, kurz und gut, als sie aber dann doch für einen Augenblick einmal irgendwo still saß, da sagte sie zu mir: „Ich kann es dir ja gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, und ich sehe es immer mehr ein, ich habe alle Ursache, dem Himmel von ganzen Herzen dankbar zu sein. Ich bin gesund, ich habe keine finanziellen Sorgen, ich habe an dir einen Mann, der zwar manchmal etwas knillert, mit dem es sich aber sonst sehr gut leben läßt, wir haben ein hübsches Haus, wir haben leidlich gute Dienstboten, die zwar nichts leisten, aber wenigstens den guten Willen zeigen und an Porzellan und an Kristall nicht mehr kaput schmeißen, als es nach ihrer Überzeugung unbedingt nötig ist, nein, ich habe wirklich alle Ursache, jederzeit glücklich zu sein und zum Überfluß ist nun auch noch der Laden vermietet. Weißt du, offen gestanden hätte ich es ja nie geglaubt, daß der Laden noch jemals einen Mieter finden würde, aber nun ist er doch fort, Gott sei Dank!”
Die Freude meiner Frau kannte keine Grenzen und ich freute mich mit ihr. Es war Sonntag, die Arbeit ruhte, das Tippelfräulein war beurlaubt, die Maschine eingeschlossen, der Federhalter war versteckt und die Tinte ausgegossen. Ich hatte nichts anderes zu tun, als mich mit meiner Frau zu freuen, daß sie so glücklich war, und ich freute mich mit ihr, bis dann plötzlich — — — ja, richtig, nun erst fiel es mir wieder ein. Und doch hatte meine Frau mir nicht einmal, sondern tausendmal im Laufe der acht Jahre erklärt: „Ich glaube ja zwar nicht, daß der Laden noch einmal vermietet wird, aber wenn er doch noch einmal vermietet werden sollte, dann weiß ich nicht, was ich vor Freude tue. Du kennst mich sehr genau und weißt, daß ich eine mehr als sparsame Hausfrau bin, aber trotzdem, an dem Tage weiß ich nicht, was ich tue.”
Jetzt fiel mir das Wort wieder ein und es legte sich mir, die Freude dämpfend, wie ein schwerer Alp auf die Brust, denn wenn meine Frau es nicht wußte, was sie vor Freude tun sollte — — — ich wußte es.
Wenn ein Mann glücklich ist, wenn er nicht nur den Wunsch, sondern das Bedürfnis hat, dem Übermaß seines Glückes freien Lauf zu lassen, dann setzt er sich seinen Hut auf und geht bummeln. Ist er Junggeslle, dann läßt er die Frau, die er nicht sein Eigen nennt, natürlich zu Hause, ist er aber verheiratet, so läßt er die Frau, die er sein Eigen nennt, erst recht zu Hause.
Ein Mann, der glücklich ist, geht bummeln!
Eine Frau, die glücklich ist, geht — — kaufen!
Es gibt ein Lied, in dem die tausend Gründe angeführt sind, die einen Mann zum Trinken veranlassen. Es gibt aber kein Lied, in dem die Gründe angeführt sind, die eine Frau veranlassen, etwas zu kaufen, denn dafür gibt es nicht tausend Gründe, sondern tausend mal tausend.
Sicher, totensicher würde meine Frau sich etwas kaufen, weil sie so glücklich war und weil der Laden doch noch einen Mieter gefunden hatte. Sicher, totensicher, und ich wunderte mich plötzlich darüber, daß meine Frau sich nicht schon längst den Hut aufgesetzt hatte, um zur Stadt zu gehen. Sollte das vielleicht daran liegen, daß sie nicht wußte, welchen der vielen Hüte sie zur Feier des großen Ereignisses wählen sollte? Denn wenn sie heute ausging, mußte ihr jeder Mensch auf den ersten Blick ansehen: der Laden ist vermietet, ach, ich bin ja so namenlos glücklich!
Bis ich dann plötzlich die Kirchenglocken läuten hörte. Richtig, heute war ja Sonntag. Vor einigen Wochen hatten in der Stadt, in der ich wohne, die Zeitungen einen Kampf darüber geführt, ob am Sonntag mit Rücksicht auf die Angestellten die Geschäfte ganz oder nur teilweise geschlossen gehalten werden sollten. Damals war mir das Für und Wider vollständig gleichgültig gewesen, jetzt segnete ich die hohe Obrigkeit, daß sie beschlossen hatte, die Geschäfte sollten den ganzen Tag geschlossen bleiben.(1)
Gott sei Dank, meine Frau konnte wenigstens heute nichts kaufen. Daß sie morgen über das Kaufen anders denken würde, hielt ich zwar für ausgeschlossen, wohl aber würde meine Frau morgen billiger denken. Dann hatte sich die erste große Freude gelegt und wenn sie morgen kaufen ging, würde sie wenigstens nach dem Preis fragen und vielleicht würde meine Frau doch das, was sie sich kaufen wollte, zu teuer finden, vorausgesetzt natürlich, daß sie nicht in ein Geschäft ging, in dem es Rabattmarken gab.
Wenn eine Frau bei dem Einkauf Rabattmarken erhält, kann ihr nichts teuer genug sein, schon damit sie möglichst viel Rabattmarken bekommt. Daß dieser Rabatt natürlich von Anfang an auf die Preise aufgeschlagen wird, ist keiner Frau beizubringen.
Da erklang plötzlich die Stimme meiner Frau: „Weißt du, ich bin wirklich unbeschreiblich glücklich und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu der Erkenntnis: Zu einem vollkommenen Glück fehlt mir nun eigentlich nichts mehr.”
Wenn eine Frau schon „eigentlich” sagt ! Eigentlich müßte jeder Frau bei einer Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren verboten sein, das Wort „eigentlich” jemals in den Mund zu nehmen.
Und so bat ich denn: „Wenn du mich lieb hast, tu mir den einzigen Gefallen und denke nicht weiter nach, denn sonst kommst du sicher zu der Erkenntnis, daß dir zu einem vollkommenen Glück noch sehr viel fehlt.”
Aber meine Frau widersprach: „Es ist wirklich nur eine Kleinigkeit.”
Was Frauen schon eine Kleinigkeit nennen !
Ich knickte in mich zusammen und meine steifgeplättete und gebügelte Hemdenbrust hauchte mit einem lauten Knacks ihre schöne Seele aus.
Meine Frau mochte mein erschrockenes Gesicht bemerkt haben, denn sie meinte jetzt: „Du brauchst gar nicht so entsetzt auszusehen,” und dann bat sie plötzlich: „Gott, ich bin doch so glücklich, gönne mir die Freude. Acht Jahre lang habe ich auf diesen Tag gewartet, ich habe jetzt aus meinem Haus größere Einnahmen und nicht wahr, da wirst du mir die Kleinigkeit doch schenklen?”
„So ist es recht,” rief ich, „du vermietest den Laden, ich bekomme von der Miete nichts zu sehen, und von dem Geld, das ich nicht erhalte, soll ich dir auch noch etwas schenken !”
„Aber ich bin doch so glücklich,” schmeichelte meine Frau.
Ich wollte meiner Frau zurufen: „Werde sobald wie irgend möglich wieder unglücklich,” aber das brachte ich doch nicht über das Herz, denn meine Frau sah mich mit ihren Augen so flehend und bittend an, daß ich schließlich sagte: „Na schön, wenn es sich denn wirklich nur um eine Kleinigkeit handelt — — — —”
Da saß meine Frau plötzlich wieder auf meinem Schoß, oder saß sie noch da? Auf jeden Fall streichelte sie mich jetzt mit ihren kleinen Kinderhänden und dann sagte sie: „Ich wußte es ja, daß du meine Bitte erfüllen würdest, noch dazu heute, wo ich so glücklich bin. Und du wirst sehen, es handelt sich tatsächlich nur um eine Kleinigkeit, allerdings das muß ich dir gleich sagen, so ganz billig ist sie nicht, denn das weißt du ja auch, je kleiner und je aparter die Kleinigkeiten sind, desto teurer sind sie.”
„Aha !”
Das war alles, was ich zu sagen vermochte, aber meine Frau widersprach: „Nein, so teuer wie du denkst, ist die Sache denn doch nicht. Ich habe natürlich nicht den ganz teuren Anhänger ausgesucht, den wir neulich bei unserem Juwelier im Schaufenster liegen sahen und den auch du so hübsch fandest, nein, den nicht, der war mir denn doch zu teuer, der sollte fünfzehnhundert Mark kosten und für das viele Geld fand ich ihn nicht einmal besonders hübsch. Der daneben hing, du wirst dich auf ihn besinnen, der Halbmond aus Platin mit Diamanten, der ist das Geld wirklich wert und vor allen Dingen ist er für achtzehnhundert Mark immer noch viel billiger als der für fünfzehnhundert Mark, und nicht wahr, den schenkst du mir, du hast es mir doch schon fest versprochen und du wirst mich doch heute nicht traurig stimmen wolle, gerade heute, wo ich so glücklich bin.”
Achtzehnhundert Mark! Ich glaubte, sämtlich Affen der Welt sollten mich lausen und fassungslos starrte ich meine Frau an. „Aber Kind,” bat ich dann endlich, als ich mich von meinem Schrecken erholt hatte, „das ist doch entsetzlich viel Geld.”
Aber meine Frau schüttelte den Kopf: „Verlaß dich auf mich, ich verstehe es, solche Sachen zu taxieren. Achtzehnhundert Mark sind in diesem Falle überhaupt kein Geld. In Berlin Unter den Linden müßtest du wenigstens dreitausend Mark dafür bezahlen, da hast du also glatt zwölfhundert Mark gespart und wenn du die erst mal anzahlst — der Rest hat Zeit, der Juwelier drängt mit der Bezahlung überhaupt nicht, das hat er mir gestern ausdrücklich erklärt, als ich mir den Schmuck kaufte.”
Ich mußte an mich halten, um nicht vom Stuhl zu fallen, dann fragte ich: „Du — — — — du hast den Anhänger schon? !” — — —
„Aber selbstverständlich,” stimmte meine Frau mir bei, „ich konnte es doch nicht zugeben, daß der Schmuck vielleicht in andere Hände überging, und außerdem, du magst es mir glauben oder nicht, ich hatte schon gestern den ganzen Tag die Empfindung, als ob ich heute namenlos glücklich sein würde.”
„Gewiß,” stimmte ich meiner Frau bei, „das bist du ja auch jetzt geworden, aber was dann, wenn der Laden nun nicht ganz zufällig vermietet worden wäre?”
Da sah mich meine Frau abermals mit ihren großen Kinderaugen voller Liebe an und dann sagte sie halb lachend, halb verlegen: „Dann wäre ich heute ganz einfach aus einem anderen Grunde namenlos glücklich gewesen !” — — — —
(1) Der Gemeinderat der Stadt Weimar beschloß in der Sitzung vom 2.Februar 1912, Sonntags die Ladenöffnungszeiten auf die Zeiten von 8 bis 9½ und von 11½ bis 1 Uhr zu beschränken. Diese Bestimmung trat mit dem 1.April 1912 in Kraft. (Zurück)