Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Der geplagte Rittmeister”
in: „In Kriegs- und Friedenzeiten”
In der kleinen Garnison, in der ein Infanterie- und ein Kavallerieregiment standen, herrschte zwischen den beiden Offizierkorps das denkbar beste Einvernehmen. Das zeigte sich nicht nur dadurch, daß die beiden Waffen stets zusammen waren, und daß die eine nie ohne die andere „liebesmahlte”, sondern hauptsächlich darin, daß der Husarenoberst den Herren der Infanterie, sobald diese es wünschten, Chargenpferde zur Verfügung stellte. Natürlich machten die Herren Oberleutnants der Infanterie von diesem liebenswürdigen Entgegenkommen den denkbar größten Gebrauch. Wenn einer keine Lust hatte zum Marschieren — und dazu hat ein älterer Infanterieleutnant eigentlich nie Lust — dann bat er seine direkten Vorgesetzten, sich beritten machen zu dürfen, und wenn diese Ja und Amen sagten, brauchte er sich nur an das Regimentsbureau der Husaren zu wenden, und dann stand am nächsten Morgen pünktlich auf die befohlene Minute der alte Friedrich Wilhelm, wie die Schwadronsgäule ja bekanntlich genannt werden, vor seiner Thür. Der Herr Ober brauchte nur aufzusteigen und nicht wieder hinunterzufallen. Viel mehr wurde von ihm, wenn er beritten gemacht war, nicht verlangt.
Wenn der eine sich freut, flucht meistens der andere, das ist eine alte Geschichte, an der niemand etas ändern kann. Und so war es auch hier. Wenn die Herren der Infanterie glücklich waren, einen Gaul zwischen den Schenkeln zu haben, so fluchte allemal der Rittmeister der Königlichen fünften Schwadron, wenn er schon wieder einmal derjenige gewesen war, der das Pferd hatte stellen müssen. Er war allemal derjenige, welcher — — — aber anstatt sich mit der Zeit daran zu gewöhnen, schalt er jedesmal von neuem. Wie oft war er nicht schon auf das Regimentsbureau gestiegen, und wie oft hatte er nicht schon den Herrn Oberst gebeten, in Zukunft daran denken zu wollen, daß das Regiment nicht nur die fünfte, sondern fünf Schwadronen besäße, und daß bei den anderen Eskadrons auch Pferde vorhanden wären. Er hatte gebeten, und der Herr Oberst hatte versprochen, seinen Wunsch zu erfüllen, aber es blieb, wie es war: der Rittmeister der Fünften mußte auch in Zukunft alle Pferde stellen, die gebraucht wurden, und das verdroß den guten Rittmeister ganz gewaltig, denn bei dem Pferde-Ausleihen ist es sehr schwer, es dem Reiter recht zu machen.
Da geschah es, daß Seine Excellenz, der Herr Divisionskommandeur die ihm unterstellten Truppen zu einer mehrtägigen Übung mobil machte. Ganz freiwillig that er das nicht, sondern auf Veranlassung des kommandierenden Herrn Generals, und auch der winkte nicht aus eigener Initiative, sondern der Kommandierende hatte von dem Kriegsministerium einen Wink bekommen, den Rest der jedem Armeekorps für größere Übungen zur Verfügung stehenden Mittel schleunigst aufzubrauchen, denn Überschüsse dürfen nicht gemacht werden. Hier gilt wirklich das Wort: Das Geld ist nur dazu da, um ausgegeben zu werden. Es wurden gewaltige Divisions-, Brigade-, Regiments- und Bataillons­befehle losgelassen, und die verschiedenen Befehle erreichten auch ihren Zweck: pünktlich zur befohlenen Zeit trafen die Seiner Excellenz unterstellten Truppen auf dem befohlenen Rendezvousplatz ein.
Darüber freuten sich alle: die Vorgesetzten, daß sie die Untergebenen da hatten, wo sie wollten, und die Untergebenen freuten sich, daß sie da waren, wo sie sollten, denn der Anmarsch war nicht schlecht gewesen, und allen lagen schon verschiedene Kilometer im Magen.
Die Stimmung war nicht übertrieben glänzend, niemand wußte, was ihm noch im Laufe des Tages bevorstand. Die Laune der Mannschaften war nicht besonders, die der Herren Leutnants war es noch weniger — nicht, als ob diesen die Übung gar keinen Spaß machte, aber wenn man die Herren auf Ehre und Gewissen gefragt hätte, so würden die meisten doch zur Antwort gegeben haben:
„Lieber wären wir zu Haus geblieben; ewig bleiben wir ja doch nicht hier, was hat es da für einen tieferen sittlichen Wert, erst nach einem Fleck Erde zu marschieren, wenn man über kurz oder lang doch wieder von dannen muß.”
Am allermeisten sehnte sich der Leutnant der Infanterie von Arberg nach den häuslichen Penaten. Und nicht ohne Grund. Das Vertrauen des Herrn Oberst, oder richtiger gesagt: die Selbsttäuschung des Vorgesetzten über die Leistungen des Untergebenen hatte ihn für die Dauer dieser Übung zum Croqier–Offizier gemacht; ihm war die ehrenvolle Aufgabe zu teil geworden, von dem Gelände und von dem Verlauf des Gefechtes die nötigen Skizzen zu zeichnen, die er dann später zu Haus ausführen sollte. Als der Leutnant zuerst von dem ihn betreffenden Befehl, zu croquieren, Kenntnis erhielt, hatte er geglaubt, es handele sich um einen schlechten Witz seitens des Adjutanten. Aber als er hörte, daß es bitterer Ernst sei, dachte er daran, auf das Regimentsbureau zu gehen und zu bitten, einem anderen die ehrenvolle Aufgabe zu übertragen. Er und croquieren! Wenn das sein Kriegsschullehrer wüßte, der ihm regelmäßig am Schluß der Stunde in einer halben Sekunde durchriß und vernichtete, was er mühselig in sechzig Minuten produziert hatte. Trotzdem hatte er mit Hilfe guter Freunde erreicht, das Prädikat „Befriedigend” im Zeichnen zu erlangen, und diesem Umstande verdankte er auch wohl die heutige Auszeichnung. Er sah es voraus, daß er sich unsterblich blamieren würde. Das einzige, was ihn bei der Sache erfreute, war, daß man ihn dienstlich beritten gemacht hatte. Die fünfte Schwadron hatte ihm ein Pferd stellen müssen, und stolz ritt er jetzt im Regimentsstabe.
Aber viel lieber als im Sattel hätte er doch zu Hause auf seinem Sofa gesessen.
Der Vormarsch begann; aber es dauerte lange, bis man auf den Feind stieß, und als man diesen hatte, wurde Excellenz sehr ungnädig, denn wie gewöhnlich stand der markierte Feind, den ein Oberstleutnant führte, „überhaupt” nicht. Trotzdem stand er natürlich, nur nicht da, wo er sollte, er hatte sich zur Abwechselung einmal wieder glänzend verlaufen. Das thut der markierte Feind eigentlich immer, aber trotzdem gewöhnen sich die Vorgesetzten nicht daran, sondern finden es jedesmal von neuem unbegreiflich, daß der Gegner nicht da steht, wo er stehen soll.
Excellenz schalt nicht schlecht; aber das half ihm nichts, damit bekam er die Flaggen nicht an den richtigen Fleck. Er mußte das Gefecht, das eben begonnen hatte, abbrechen und das Flaggen–Detachemant nach dem ursprünglich von ihm befohlenen Platze abrücken lassen. Vorher aber wandte er sich an den Oberst der Infanterie, der neben ihm ging:
„Geben Sie Ihrem Croquier–Offizier den Auftrag, die falsche Stellung, die der Gegner inne hat, zu skizzieren, natürlich auf eine Meldekarte. Ich brauche dieselbe für den Bericht, den ich Seiner Excellenz, dem kommandierenden Herrn General über den Verlauf der Übung einsenden muß.”
Als Leutnant von Arberg diesen Befehl erfuhr, wurde ihm schlecht, aber als er ihn ausgeführt hatte, wurde ihm noch schlechter.
„Herrrrrrr,” fuhr ihn Seine Excellenz an, „das nennen Sie eine Zeichnung? Wissen Sie, wie ich das nenne? Eine erwachsene — — — Ferkelei. Herr, wie kommen Sie dazu, Croqier–Offizier zu werden, wenn Sie vom Zeichnen aber auch nicht die denkbar leiseste Ahnung haben?”
„Das möchte ich auch wissen,” dachte der arme Leutnant. „Meine Schuld ist es wahrhaftig nicht; ich bin nicht die Veranlassung, daß ich diesen wohlverdienten Anpfiff ruhig einstecken muß. Das alte Wort: mit dem Amte kommt der Verstand, hat sich wieder einmal als glänzende Lüge erwiesen.”
Aber beim Militär darf man nicht alles sagen, was man denkt.
„Excellenz, ich bitte ganz gehorsamst um Entschuldigung,” stotterte Leutnant von Arberg endlich, „ich selbst kann nichts dafür, daß die Skizze so schlecht ausfiel — mein Pferd steht absolut nicht still, auf dem Gaul kann man nicht zeichnen.”
„Das läßt sich hören,” nahm Excellenz das Wort, dann wandte er sich an seinen Adjutanten, „Veranlassen Sie, daß dem Herrn Leutnant morgen ein anderes, ruhiges Pferd seitens der Schwadron gegeben wird, und fordern Sie von dem betreffenden Herrn Rittmeister Meldung ein, warum er nicht gleich am ersten Tag ein vernünftiges Tier gegeben hat.”
Der Rittmeister fluchte ingrimmig, als er zu dieser Meldung aufgefordert wurde; er hatte den frommsten Friedrich Wilhelm ausgesucht, den er überhaupt im Stall hatte, und nun war selbst dies Tier noch zu feurig.
„Was machen wir denn nur?” fragte er seinen Wachtmeister. „Nur ein totes Tier kann noch ruhiger sein als dieses lebendige. Ich würde sagen, wir wollen dem Leutnant eine wirkliche Kuh, ein Buttervieh geben, aber man hat Beispiele von Exempeln, wo selbst diese Tiere zuweilen bösartig werden.”
Am nächsten Morgen saß der Croquier–Offizier auf einem Gaul, der sich von seinem Vorgänger nur dadurch unterschied, daß er nicht Rosa sondern Bertha hieß, und nicht sechzehn sondern achtzehn Jahre zählte.
Daß dieser Rappe überhaupt unruhig sein könnte, würde kein Mensch glauben; so mußte sich der Herr Leutnant schon beizeiten eine andere Ausrede für den Fall ausdenken, daß seine Zeichnung abermals nicht den Beifall Seiner Excellenz finden sollte.
Aber ihm fiel um so weniger etwas ein, je mehr er nachdachte, und um nicht mit einem übermäßig großen geistigen Manko zu enden, gab er das Denken ganz auf. Sein Geist und sein Körper schlummerten ein; er wurde erst wieder wach, als Excellenz sich am Mittag die Meldekarten mit den vormittags im Gelände aufgenommenen Skizzen zeigen ließ.
Die Meldekarten waren da, aber die Skizzen fehlten, das Papier war leer.
„Herrrrrrrr,” donnerte Seine Excellenz, sich nervös in den Bügeln erhebend, „Herrrr, wie kommen Sie dazu, gar nichts zu zeichnen — nichts, gar nichts, nicht einen einzigen Strich? Herr, Antwort will ich haben, warum haben Sie keine Skizze gemacht?”
Leutnant von Arberg saß in militärisch strammer Haltung zu Pferde, die rechte Hand am Helm, und sein schlechtes Gewissen suchte er durch einen möglichst offenen Blick zu verbergen. Mit seinen Sporen kitzelte er heimlich den alten Gaul, damit dieser doch wenigstens einmal ein Lebenszeichen von sich gäbe, aber der Gaull rührte sich nicht: der schlief im Stehen.
„Excellenz,” stotterte er endlich, „ich bitte ganz gehorsamst um Entschuldigung, meine Schuld ist es nicht, daß ich nicht zeichnete. Mein Pferd ist zu ruhig, es geht nicht von der Stelle, es ist nicht dahinzubringen, wohin es soll.”
Excellenz sah den armen Rittmeister nicht mit allzu freundlichen Augen an; das war nun schon die zweite Klage innerhalb von zwei Tagen.
„Darf ich Sie fragen,” wandte er sich an den Schwadronschef: „warum Sie auch heute dem Leutnant Arberg ein Pferd mit lauter Untugenden stellen? Ich muß dringend um Aufklärung bitten, denn es scheint mir fast, als ob Sie absichtlich die schlechtesten Gäule gäben. Nun, wie hängt das zusammen?” Und mit einem spöttischen Blick musterte Excellenz das Pferd, auf dem der Croqier–Offizier saß.
Dem Rittmeister stieg das Blut zu Kopf; nicht genug, daß er Pferde stellen mußte, getadelt, verspottet und verlacht wurde er außerdem, denn er sah sehr wohl, wie die anderen Herren die Köpfe zusammensteckten und Bemerkungen austauschten.
„Excellenz,” gab der Rittmeister sehr ruhig, aber auch sehr bestimmt zur Antwort, „das Pferd hat keine der Untugenden, die Herr Leutnant von Arberg ihm nachsagt. Einen Fehler hat es allerdings.”
„Und worin besteht derselbe?” fragte Excellenz neugierig.
Und ohne sich zu besinnen, erwiderte der Rittmeister: „Es kann nicht croquieren.”