Ein geliebter Kerl.

Erzählung von Freiherr von Schlicht.
in: „Unsere Feldgrauen”


Kurt von Radewitz, der als Oberleutnant dem in der mittelgroßen Handelsstadt garnisonierenden Husarenregiment angehörte, war nach Ansicht sämtlicher unverheirateten jungen Damen, aber auch nach Ansicht der älteren ganz einfach das, was man ein „geliebter Kerl” nennt: er war bildhübsch, er war der beste Tänzer, der glänzendste Gesellschafter, er verfügte über eine natürliche Liebenswürdigkeit und Anmut, die jeden für ihn einnehmen mußte, kurz und gut, alle Damen vom jüngsten Backfisch bis zur ältesten Matrone hatten ihn in ihr Herz geschlossen. Und wie er von den Damen vergöttert wurde, so erfreute er sich auch bei den Kameraden der größten Beliebtheit. Er war ein ausgezeichneter Offizier, ein brillanter Reiter, der ehrlichste und der zuverlässigste Freund, den man sich denken konnte, mit einem Wort, Kurt von Radewitz wäre ein vollkommener und damit nach einem Ausspruch von Oskar Wilde zugleich ein unausstehlich langweiliger Mensch gewesen, wenn er nicht auch seine Fehler gehabt hätte, die in einem beispiellosen Leichtsinn bestanden, dem jede, aber auch jede ernstere Auffassung von dem Zweck und dem Ziel dieses Lebens zu fehlen schien. Es gab keinen übermütigen Streich der jüngsten Leutnants, an dem er sich nicht trotz seiner Oberleutnantsjahre beteiligte. Es gab kein hübsches, junges Mädchen, das da sicher war, nicht eines schönen Tages, wenn natürlich auch nur im Scherz, von ihm geküßt zu werden, und es gab im ganzen Regiment keinen anderen Leutnant, der trotz seiner mehr als reichen Mittel auch nur annähernd so schlecht zu wirtschaften verstand. Kein anderer hatte an jedem Ersten des Monats einen so hohen Kasinorest wie er, kein anderer vertrat mit solcher liebenswürdigen Selbstverständlichkeit den Standpunkt, daß es auf der ganzen Welt nur eine schöne Beschäftigung gäbe, nämlich die, Schulden zu bezahlen, daß man vorher aber natürlich erst welche machen müsse, um anderen Leuten Gelegenheit geben zu können, diese Schulden bezahlen zu dürfen. Der gute Radewitz war wirklich ein unverbesserlicher Luftikus, und wenn er nicht ein so ausgezeichneter Offizier gewesen wäre und wenn nicht alle Welt gewußt hätte, daß da oben im fernen Ostpreußen ein schwerreicher Onkel saß, dann hätte er es ganz sicher nicht einmal bis zum Oberleutnant gebracht, sondern hätte sich schon vorher das militärische Genick gebrochen, und das obgleich die Vorgesetzten, durch seine natürliche Liebenswürdigkeit entwaffnet, ihm gegenüber nicht nur ein, sondern beide Augen zuzudrücken pflegten, und das so energisch, daß ihm der Herr Oberst eines Tages halb ernsthaft, halb scherzend erklärte: so ginge das nicht weiter, denn von dem vielen und tiefen Augenzudrücken seien ihm, dem Herrn Obersten, die Augenlider bereist derartig angeschwollen, daß er den größten Teil seines Gehaltes in Bleiwasser anlegen müsse, daß[sic! D.Hrsgb.] er sich aus der Apotheke holen ließ. Die Vorgesetzten drückten die Augen zu, soweit es ging, aber manchmal ging es bei dem besten Willen trotzdem nicht, und dann wurde Herr von Radewitz zu dem Herrn Rittmeister oder zu dem Herrn Oberst dienstlich befohlen, um etwas auf den Hut zu bekommen. Aber vor diesem Anschnauzer hatten die Vorgesetzten viel mehr Angst als Radewitz selbst, denn wenn der Vorgesetzte sich seine Donnerrede auch noch so gut ausgedacht und einstudiert hatte, sobald Radewitz in strammster, untadelhaftester, dienstlicher Stellung vor ihm stand, dann kam er durch den Eindruck, den die hübsche, militärische Erscheinung auf ihn machte, schon aus dem Text, und wenn er ihm dann in die bildhübschen, dunkelblauen Augen sah, dann war es ganz aus, denn in diesen Augen, die niemals einen etwas übermütigen, frischen und fröhlichen Ausdruck verloren, stand für jedermann, der lesen konnte, deutlich geschrieben: „Mein sehr verehrter Herr Vorgesetzter, Sie haben mit dem, was Sie mir da erzählen, vollständig recht, und wenn ich an Ihrer Stelle wäre, dann würde ich noch ganz anders in die Trompete blasen, als Sie es ohnehin schon tun. Aber ganz im Vertrauen, Verehrtester, legen Sie mal Ihre rechte Hand auf Ihr linkes Herz, und dann sagen Sie mir offen und ehrlich, sind Sie in Ihren jungen Leutnantsjahren etwa kein Windhund gewesen, und haben Sie es nicht trotzdem zu der Charge gebracht, die Sie heute bekleiden? Warum reden Sie da also erst lange? Daß es etwas helfen wird und daß Sie mich ändern, das glauben Sie ja selber nicht!”

Solches und ähnliches war in Radewitz's Augen zu lesen, und so beendeten die Vorgesetzten ihre Rede denn immer viel schneller, als sie es sich vorgenommen hatten, ja, zuweilen nahm diese Strafrede sogar einen ganz unerwarteten Ausgang, denn es war einmal vorgekommen, daß der Herr Oberst sich den Oberleutnant auf das Regimentsbureau bestellte und nicht nur sämtliche Schreiber, sondern auch seinen Adjutanten fortgeschickt hatte, denn die Deutlichkeiten, die er heute seinem Untergebenen sagen wollte, weil dieser wieder einmal im Kasino über alle Maßen drauflosgelebt hatte, die durfte kein anderer mit anhören, das war der Vorgesetzte schon dem bunten Rock schuldig, den der Untergebene trug. Und als der Herr Oberleutnant dann vor dem Herrn Oberst stand, da blies dieser in das Horn, als wäre er von Beruf Stabstrompeter, und es waren keine lieblichen Töne, die er von sich gab! Aber auf Herr von Radewitz machten sie nur insofern Eindruck, daß dieser den Vorgesetzten mit noch schalkhafteren Augen als sonst ansah, als wollte er diesem zurufen: „Aber, mein Allerverehrtester, was Sie mir da alles vorreden, glauben Sie ja selber nicht, sonst müßten Sie mich doch unweigerlich zum Abschied eingeben, denn wenn Sie mit Ihren Worten recht hätten, dann wäre ich nicht nur ein leichtsinniger, sondern auch ein schlechter Mensch, und nicht wahr, mein sehr verehrter Herr Oberst, daß ich das letztere nicht bin, davon sind Sie ebenso überzeugt wie ich?”

Und der Herr Oberst mochte auch sonst wohl noch manches in diesen blauen Augen gelesen haben, denn seine Stimme wurde immer milder und milder, und anstatt seinem Leutnant zum Schluß drei Tage Stubenarrest zu diktieren, wie er sich fest vorgenommen hatte, griff er in die Tasche, holte sein Portemonnaie heraus und nötigte seinem Leutnant, obgleich der sich mit Händen und Füßen dagegen sträubte, ein freundschaftliches, bares Darlehen von dreihundert Mark aus, weil es ja schließlich jedem Offizier einmal passieren könne, daß er selbst mit seiner reichen Zulage nicht auskomme.

Ob er wollte oder nicht, Herr von Radewitz hatte das Geld nehmen müssen, um den Kommandeur nicht ernstlich zu erzürnen, obgleich der doch eigentlich erzürnt genug gewesen war, und er revanchierte sich für das ihm gewährte Darlehen dadurch, daß er der Frau Oberst, die zufälligerweise in den nächsten Tagen ihren Geburtstag feierte, ein Blumenarrangement überreichte, für das Radewitz nach der festen Überzeugung des Kommandeurs mindestens den dritten Teil der dreihundert Mark ausgegeben haben mußte. Das war natürlich wieder ein unerhörter Leichtsinn, und der Herr Oberst beruhigte sich erst, als er auf Umwegen durch seinen Adjutanten hatte feststellen lassen, daß die Blumen nicht nur hundert, sondern sogar hundertzwanzig Mark gekostet hatten, daß Radewitz die aber natürlich nicht schuldig geblieben war. Da aber wollte der Herr Oberst seinem Leutnant doch wieder grob werden, aber er unterließ es und schalt sich selber aus, warum hatte er dem Untergebenen Geld geliehen und den dadurch zu solcher Revanche verleitet.

Ob man wollte oder nicht, man konnte dem guten Radewitz nicht ernstlich böse sein, nur einer dachte über diesen Punkt wesentlich anders, das war der Rittergutsbesitzer von Radewitz, der als schwerreicher, alter Junggeselle auf seiner Riesenklitsche saß und es bei jedem Briefe, den er von dem Windhund, wie er seinen Neffen Kurt nannte, erhielt, es immer wieder bedauerte, daß er es seinem sterbenden Bruder auf dem Totenbette in die Hand gelobt hatte, für seine beiden Neffen zu sorgen, als wären sie seine eigenen Söhne. Er hatte das auch geloben müssen, denn die beiden Jungens standen damals allein auf der Welt, die Mutter war dem Vater in den Tod vorangegangen, und das geringe Erbe, das der Vater den Kindern hinterließ, reichte gerade aus, um die letzten Schulden zu bezahlen. Gewiß, er hatte es dem Bruder versprechen müssen, für die Kinder zu sorgen, aber wenn er das alles vorher gewußt hätte, dann würde er sich das vielleicht doch gründlich überlegt haben. Warum nahm der Kurt sich nicht ein Beispiel an seinem jüngeren Bruder Hans, der Jura studierte und auf den Staatsanwalt hinausarbeitete? Der kam stets mit seinem Gelde aus, der besaß sogar ein Sparkassenbuch und war auch sonst ein Musterknabe. Allerdings, daß er gerade Staatsanwalt werden wollte, paßte dem alten Herrn von Radewitz gar nicht. Gewiß, es mußte auch Staatsanwälte geben, aber seitdem er selbst einmal mit einem solchen vor Gericht Bekanntschaft gemacht hatte, weil er sich in seinem Jähzorn hatte hinreißen lassen, einem polnischen Erntearbeiter, der sich gegen ihn auflehnte und ihm den Gehorsam verweigerte, eine Ladung Schrot in einen gewissen weichlichen Körperteil zu schießen, seit der Stunde war er auf alles, was Staatsanwalt hieß, nicht gut zu sprechen, denn auf Grund der verschiedensten Gesetzesparagraphen hatte der eine so hohe Strafe gegen ihn beantragt, daß dem alten Herrn von Radewitz die Augen überquollen, und daß er froh war, als der edle Pole sich gegen Zahlung eines Schmerzensgeldes von dreihundert Mark bereit finden ließ, die Klage wegen Körperverletzung zurückzuziehen.

Nein, daß sein eigener Neffe Staatsanwalt werden und diesen Henkersberuf, wie er es nannte, ergreifen wollte, daß [sic! D.Hrsgb.] paßte ihm gar nicht. Na, ewig würde der ja allerdings nicht im Staatsdienst bleiben, denn wenn er selber eines Tages die Augen schloß, und wenn der Hans dann das Gut erbte — — — ja, wenn, obgleich es da eigentlich gar kein „wenn” mehr gab, denn daß der Kurt das Gut nicht bekam, das stand für den alten Herrn felsenfest. Der wollte wenigstens im Grabe seine Ruhe haben und nicht von da aus mit ansehen zu müssen, wie Kurt den stolzen und reichen Besitz klein machte und das Geld verluderte. Nein, der Kurt erbte das Gut auf keinen Fall, und doch hätte der alte Herr es viel lieber diesem, als dem tugendhaften Hans vermacht, aber das Testament war nun einmal aufgesetzt, und ehe er das änderte, eher geschah sonst was, eher würde der Kurt sich ändern. Na, und daß er mit seinen zweiundsiebzig Jahren diesen Tag nicht mehr erleben würde, das stand für ihn so fest wie sonst nichts auf der Welt.

Bis dann doch eines Tages ein Tag anbrach, an dem er an seinem Neffen irre wurde, denn der schickte ihm einen Brief, in dem er ihn nicht anborgte, sondern in dem er ihm nur ganz kurz seine Verlobung anzeigte: „Ich komme in den allernächsten Tagen selbst zu Dir, Onkel, um Dich, meinen zweiten Vater, um Deine offizielle Einwilligung zu dieser Verlobung zu bitten. Ich lege diesen Zeilen das Bild meiner Braut bei, damit Du siehst, wie schön sie ist, und daß ich auf der ganzen weiten Welt keine bessere Wahl hätte treffen können.” Nach dem Bild zu urteilen, hatte Kurt recht, einen besseren Geschmack hätte er gar nicht beweisen könne, und wenn das Mädel seinen Neffen später zu nehmen verstand und wenn sie dem außerdem noch einen gehörigen Batzen Geld mit in das Haus brachte, warum sollte er da in seiner Eigenschaft als Familien­oberhaupt nicht mit tausend Freuden seine Einwilligung zu dieser Verlobung geben, obgleich er die eigentlich gar nicht erst zu geben brauchte, denn der Kurt war doch schon seit vielen Jahren mündig und konnte in dieser Hinsicht tun und lassen, was er wollte. Aber gerade deshalb freute der alte Herr sich darüber, daß sein Neffe, wenn auch nur der Form halber, seine Einwilligung einholen wollte, das bewies wieder einmal, daß der leichtsinnige Bengel ein gutes Herz besaß, daß er wußte, was er dem Onkel an Respekt und Ehrfurcht schuldig war. So sah der alte Herr von Radewitz dem Besuch seines Neffen voller Freude entgegen, und drei Tage später traf er ein, nicht etwa in Zivil, sondern in voller Uniform, und im eifrigen Gespräch saßen die beiden bald in dem großen Herrenzimmer zusammen, Kurt voll der politischen Ereignisse, die sich in den letzten Tagen abgespielt hatten. der politische Himmel war stärker als je bewölkt, noch glaubte man an keinen Weltkrieg, Kaiser Wilhelm wollte ja den Frieden, aber trotzdem ballte sich das Unwetter zusammen. Bis dann doch bald das Gespräch auf die Braut kam, die Kurt sich ausgesucht hatte, und bis er dann den Onkel um seinen Segen bat.

„Wenn dir wirklich so viel an dem gelegen ist, mein guter Junge,” gab der alte Herr zur Antwort, „dann darf ich dir den natürlich nicht vorenthalten. Ich setze dabei als selbstverständlich voraus, daß die junge Dame in jeder Hinsicht deiner würdig ist, und daß du dich vorher eingehend nach allem erkundigt hast, ich denke dabei speziell an die finanzielle Seite, und ich setze von dir voraus, daß du in dieser Hinsicht nicht unüberlegt gehandelt hast.”

Über das hübsche, frische Gesicht des jungen Offiziers huschte ein frohes, übermütiges Lachen, dann rief er lustig: „Aber Onkel. was denkst du denn von mir, ich werde doch in einer so wichtigen Angelegenheit nicht mit verbundenen Augen in die Zukunft rennen. Und da kann ich dir gestehen, daß die Nachrichten, die ich durch ein Auskunftsbureau eingezogen habe, noch weit glänzender lauten, als ich es vermutete.”

„Das freut mich, mein Junge,” stimmte der alte Herr ihm bei, „das freut mich ganz außerordentlich, auch meinetwegen.”

Wieder lachte der junge Offizier fröhlich auf, dann meinte er: „Das glaube ich dir gern, Onkel, denn es muß ein schönes Gefühl sein, so reich zu sein, und ich glaube, du weißt selber gar nicht, wieviel du in Wirklichkeit besitzt.”

Der alte Herr saß seinem Neffen mit einem ganz verdutzten Gesicht gegenüber, er sah diesen groß an, bis er dann endlich ausrief: „Ich verstehe wirklich nicht, was du mit deinen Worten meinst. Mein Vermögen kommt doch gar nicht in Frage, denn nach dem wirst du dich doch nicht erkundigt haben.”

„Aber nach welchem Vermögen denn sonst, Onkel?” rief Kurt ganz erstaunt. „Meine Braut, die Änne, hat doch nichts, keine fünf Pfennige, die ist eine elternlose Waise wie ich, der Vater war früher Offizier, sie hat sich ihren Lebensunterhalt und ein kleines Taschengeld zuletzt in unserer Garnison als Gesellschafterin in dem Hause eines reichen Kaufmanns verdient. Bei der gab es sich nach nichts zu erkundigen, da war es meine heiligste Pflicht, mich doppelt und dreifach nach deinen Finanzen zu erkundigen, denn ich konnte meine Braut doch nicht einer ungewissen finanziellen Zukunft entgegenführen. Da habe ich denn, wie gesagt, einmal in Erfahrung zu bringen versucht, wie reich du in Wirklichkeit bist,” und mit dem Brustton tiefinnerster Überzeugung schloß er mit den Worten: „Nimm es mir nicht übel, Onkel, du hast mich in der Hinsicht eigentlich immer fürchterlich belappst,” und ganz gekränkt setzte er nach einer kleinen Pause hinzu: „Onkel, warum hast du mir das getan, ich bin doch keine Steuerbehörde?”

„Aber geschröpft hast du mich trotzdem, als wenn du eine wärest,” verteidigte der alte Herr sich, „ausgequetscht hast du mich zuweilen wie eine Zitrone. Na, ich habe ja noch trotzdem vieles vor dir zu retten verstanden, aber wie es den Anschein hat, wohl nur deshalb, um dir jetzt geben zu müssen, was ich dir früher abschlug, denn irgendeinen Zweck wird es doch schon gehabt haben, daß du dich vor deiner Verlobung so eingehend nach meinen Verhältnissen erkundigtest. Wäre dieser Schritt von dir nicht zum Lachen, dann müßte man dich eigentlich deswegen schelten.”

„Schilt nicht, Onkel,” bat der junge Offizier, „ich tat es ja nicht meinet-, sondern nur Ännes wegen. Aus dem Bild hast du ja selbst ersehen, wie hübsch sie ist, aber sie ist nicht nur das, sie ist so gut, sie ist so lieb, sie ist so klug und dabei doch so bescheiden. Und vor allen Dingen hat sie ein Leben hinter sich, das bisher eigentlich nur an Entbehrungen und Kränkungen reich war. Für alles, was sie bisher vermißt hat, und das ist sehr viel, Onkel, muß ich sie nun doch entschädigen, in erster Linie selbstverständlich durch meine Liebe, dann aber auch dadurch, daß ich ihr das Leben in anderer Hinsicht so sonnig gestalte, wie man das mit Geld nur immer vermag. Danach, ob ich Änne liebe, brauchte ich mich nicht erst bei einem Auskunftsbureau zu erkundigen, das wußte ich allein, aber das andere zu erfahren, war, wie ich dir schon einmal sagte, doch nur meine Pflicht. Hätte ich mich bei dir selbst nach allem erkundigt, dann hätte doch schon deine Bescheidenheit dich davon abgehalten, mir die volle Wahrheit zu gestehen, nicht wahr, Onkel, einzig und allein deine Bescheidenheit?”

Mit schalkhaft lachenden, übermütigen Augen sah der Neffe seinen Onkel an, der aber meinte ganz ernsthaft: „Du hast mit deiner Vermutung vollständig recht, und es freut mich, daß du mich so genau kennst. Und die Bescheidenheit ist überhaupt eine sehr große Tugend. Diese alte Weisheit möchte ich vorausschicken, bevor ich dich bitte, mir die Summe zu nennen, die ich dir nach deiner Ansicht zur Verfügung stellen soll, damit du deiner Änne ein Leben bieten kannst, wie du es ihr gern bieten möchtest.”

Der alte Herr von Radewitz hatte sich im stillen auf eine große Zahl gefaßt gemacht, aber als der Neffe nun seine Zahl aussprach, da knickte der Onkel denn doch in sich zusammen, bis er sich endlich wieder faßte und seinem Neffen zurief: „Alle Hochachtung, Kurt, das hast du dir gut ausgedacht, aber selbstverständlich kann ich dir nicht annähernd so viel geben, denn schließlich will ich selbst doch auch noch anständig leben. Gewiß, ich habe deinem Vater geschworen, für dich zu sorgen, als wärest du mein Sohn, aber trotzdem — — —”

„Es ist doch nur der Änne wegen,” fiel ihm der junge Offizier mit weicher Stimme in das Wort, „du darfst es nicht vergessen, Onkel, ich habe die Änne doch über alles lieb.”

Das klang so warm und so ehrlich, daß es dem alten Herrn an das Herz griff, trotzdem aber fragte er: „Das ist ja alles sehr schön und sehr gut und macht dir auch alle Ehre, aber trotzdem, köntest du denn deine Änne nicht wenigstens etwas weniger lieb haben?”

Da wußte der junge Offizier, daß er gewonnenes Spiel hatte, hell und freudig lachte es in seinen Augen auf, aber der alte Herr von Radewitz rief ihm warnend zu: „Frohlocke nicht zu früh, mein Junge, denn wenn ich mich mit der Zeit wirklich bereit erklären sollte, euch in der gewünschten Weise zu helfen und eure Zukunft sicherzustellen, eins mußt du mir in die Hand geloben, daß du in Zukunft ein anderer Mensch wirst, daß du deinen Leichstinn für immer über Bord wirfst, und daß du fortan deinen Ehrgeiz darein setzen wirst, in erster Linie als Offizier deine Pflicht zu tun.”

„Glaubst du wirklich, Onkel, daß ich das bisher versäumt hätte?” verteidigte der junge Offizier sich, während der Vorwurf, der ihm gemacht wurde, ihm das Blut in die Wangen trieb. „Erkundige dich bei meinen Vorgesetzten, wenn du mir allein nicht glaubst. Das Auskunftsbureau, das dir da Auskunft über mich geben wird, ist noch sicherer und zuverlässiger als das, an das ich mich deinetwegen wandte. Meine Pflicht tat ich stets, aber nimm es mir nicht übel, oder verstehe es richtig, die Pflicht zu erfüllen, ist so furchtbar langweilig, wenigstens auf die Dauer.”

„Nanu?” entfuhr es dem alten Herrn unwillkürlich.

„Ich habe es ja gewußt, daß du mich nicht verstehen würdest,” meinte der Neffe etwas kleinlaut, „ich weiß auch nicht recht, wie ich mich dir verständlich machen soll. Sieh mal, Onkel, unsere Pflicht kommt mir immer so vor wie ein Kasernenhof, der von hohen Mauern umgeben ist, die uns fortwährend zurufen: ,Bis hierher und nicht weiter.' Und man möchte doch mal über diese Mauern hinaus, man möchte doch mal mehr tun, als nur seine Pflicht. Daß man die erfüllt, ist doch etwas Selbstverständliches, und das Selbstverständliche kann einen Menchen auf die Dauer doch nicht befriedigen. Und darum und deshalb, Onkel — — —”

Mitten im Satze hielt er inne, bis er dann ganz plötzlich und unvermittelt fragte: „Sag mal, Onkel, wie stehst du dich eigentlich mit dem lieben Herrgott?”

Völlig überrascht blickte der alte Herr auf, dann gab er zur Antwort: „Ich verstehe deine Frage zwar nicht, aber trotzdem will ich sie dir dahin beantworten, daß ich glaube, mit dem Herrn im Himmel recht gut zu stehen. Ich habe mich nie von ihm abgewendet, und er hat mich nie im Stiche gelassen, wenn ich seine Hilfe erbat.”

„Dann wende dich auch heute abend an ihn. Du mußt mir sogar fest versprechen, daß du es tun wirst,” bat der junge Offizier mit flehender Stimme.

„Und weshalb das? Was soll ich denn gerade heute von ihm erbitten? Etwa, daß deine Änne dich dauernd lieb behält, oder daß du ihr bis an dein Lebensende die Liebe und die Treue bewahrst?”

„Nein, das nicht, Onkel, denn Ännes Liebe ist mir ebenso sicher wie ihr die meinige. Du mußt um etwas viel Größeres bitten, daß es einen Krieg gibt, Onkel, daß die drohenden Wolken am Himmel sich endlich entladen, daß die Blitze zucken und daß der Donner kracht. Daß es Krieg wird, Onkel, damit wir Leutnants endlich einmal beweisen können, wozu wir auf der Welt da sind, daß wir mit dem Schwert dazwischen fahren können, rechts und links. Krieg muß es werden, Onkel, damit wir endlich mal Gelegenheit finden, einmal mehr zu tun, als nur unsere Pflicht, damit wir ausziehen können gegen den Feind, der im frevelhaften Übermut glaubt, uns zu Boden werfen zu können. Krieg muß es werden, Onkel, mag das Elend, das er mit sich bringt, noch so namenlos sein. Mögen darüber auch tausend und abertausend Existenzen vernichtet werden. Onkel, wenn du nur einen Funken wirklicher Liebe für mich empfindest, aber auch für unsere schöne Armee, der ich angehöre, dann bete zu dem lieben Herrgott, daß er es diesesmal wirklich zum Kriege kommen läßt!”

Während des Sprechens war der junge Offizier aufgesprungen und stand mit leuchtenden, flammenden Augen dem Onkel gegenüber. Der aber starrte seinen Neffen voller Entsetzen, aber auch voll des ehrlichsten Erstaunens an. Wußte der junge Mensch da vor ihm, was ein Krieg mit allen seinen Schrecknissen bedeutete? Und wenn er es wußte, wünschte er ihn sich trotzdem? Ersehnte er sich den Krieg gerade jetzt, wo er sich eben verlobt, wo er die Braut, die er sich erwählte, noch nicht einmal heimgeführt hatte? Dachte er denn gar nicht daran, daß auch er sein junges Leben vielleicht lassen mußte, vergaß er über der Liebe zu seinem Beruf sogar die Liebe zu seiner Änne? Daß er das aber tat, darüber konnte der alte Herr um so weniger im Zweifel sein, je länger er in die leuchtenden Augen seines Neffen sah, und je länger er das tat, desto wärmer schlug sein Herz dem Neffen entgegen. Gewiß, geliebt hatte er ihn immer, und unwillkürlich verglich er ihn im stillen mit seinem anderen Neffen Hans, der ihm erst kürzlich geschrieben hatte: „Hoffentlich gelingt es unserem Kaiser auch diesesmal, uns vor einem Kriege zu beschützen, schon damit ich meine Studien beenden und bald das Examen zum Staatsanwalt machen kann.” Gewiß, der Kurt war ein niederträchtiger Windhund gewesen und hatte ihm manche schlaflose Nacht bereitet, aber nicht daran dachte der alte Herr jetzt, sondern er dachte an das Testament, das dem Kurt nur einen kleinen Bruchteil seines großen Vermögens bestimmte. Das mußte jetzt selbstverständlich geändert werden, schon der Änne wegen, damit deren Zukunft gesichert war, wenn es wirklich zu einem Kriege kommen sollte.

„Versprichst du mir, Onkel, daß du heute abend mit mir zum lieben Gott beten wirst, daß es Krieg gibt?” erklang da nochmals Kurts Stimme, und unwillkürlich fuhr der alte Herr aus seinem Sinnen und Grübeln empor.

Aber er blieb auch jetzt die Antwort schuldig, denn was sein Neffe da von ihm verlangte, erschien ihm frevelhaft, wenngleich er sich in die Seele des jungen Offiziers hineinzuversetzen vermochte, und wenn er auch selbst der Ansicht war, daß ein Krieg auf die Dauer doch wohl unvermeidlich sei.

Und das Schicksal enthob ihn auch des erbetenen Gebetes, denn noch am Abend desselben Tages kam die Nachricht, Deutschland befindet sich im Kriegszustande, der noch keiner Mobilmachung gleichkommt, dieser aber vorangeht.

Ein Jubelschrei entrang sich der Brust des jungen Offiziers, und mit einem zweiten Jubelschrei flog er dem alten Herrn an die Brust: „Onkel, es gibt Krieg, es gibt Krieg!” Nur helle Begeisterung, kein Gedanke an den etwaigen Tod, kein Gedanke an die bevorstehenden Strapazen und Entbehrungen, kein Gedanke daran, daß es nun auf lange Zeit vorbei sei mit dem schönen und behaglichen Luxusleben in der Garnison. Kein Gedanke an die Änne, an die über alles geliebte Braut.

Mit der beschäftigte er sich erst wieder im stillen, als er am nächsten Morgen sofort zu seinem Truppenteil zurückfuhr, und auch da dachte er nur: was wird die Änne nur sagen, wie wird die mich beneiden, daß ich in das Feld ziehen darf. Allerdings, bis es soweit war, würden noch zehn lange Tage vergehen, Zeit genug, die Braut mit einer Nottrauung noch heimzuführen und ein, wenn auch nur kurzes Eheglück mit ihr zu genießen. Und wenn er dann Abschied nahm, um vielleicht nie wieder zurückzukommen — — — aber nein, das ist ja Unsinn, warum sollte gerade er fallen? Aber wenn das doch eintrat, — nur gut, daß es ihm noch in den Sinn kam, auch mit dieser Möglichkeit zu rechnen, denn darüber mußte er doch mit der Änne sprechen, und eins mußte sie ihm hoch und heilig schwören, wenn er nicht wiederkam, dann durfte sie acht Tage um ihn weinen und trauern, aber länger nicht. Und wenn sie auch der Leute wegen das Trauerkleid so schnell nicht ablegen durfte, aus ihrem Herzen mußte sie nach Ablauf der acht Tage jeden Schmerz verbannen, und sie mußte sich für ihn darüber freuen, daß es ihm vergönnt gewesen war, für das Vaterland zu sterben!


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