Kein Geld im Hause.

Humoreske von Graf Günther Rosenhagen

in: „Stralsundische Zeitung”, Sonntagsbeilage vom 12.7.1896 und
in: Willkommen!
Illustrirte Unterhaltungs-Bibliothek.
Band (1. Jahrgang) Seiten 206 - 225, mit 2 Illustrationen


Mit dem Glockenschlage zwölf, wie an jedem Tage, öffnete der Hauptmann Hahnke die Flurthür seiner Parterrewohnung und betrat, nachdem er dem ihn bereits erwartenden Diener Säbel, Mütze und Paletot übergeben hatte, das Eßzimmer. Das Frühstück stand bereits auf dem Tisch: Das war der Hausherr auch nicht anders gewöhnt, denn seine Zeit war stets nur knapp bemessen; spätestens nach einer halben Stunde mußte er wieder in der Kaserne sein, um die Parole abzuwarten. So setzte er sich denn auch heute ohne weiteres an den Tisch und begann zu frühstücken.

„Die gnädige Frau lassen sich noch einen Augenblick entschuldigen,” meldete der Diener, während er sich ängstlich umsah, ob auch nichts, gar nichts auf dem Tisch fehlte, denn der Herr Hauptmann konnte trotz seiner großen Gutmütigkeit entsetzlich grob werden, und manches mal hatte es ein heiliges und unheiliges Donnerwetter gegeben, weil die Pfefferdose fehlte oder das Salzfaß anstatt auf der rechten, auf der linken Seite des Gedeckes stand.

Leise, fast unhörbar umschlich der treue Wilhelm auf den Fußspitzen seinen Herrn und Gebieter, aber dieser war so in die Lektüre eines Briefes, den er zwischen den Zeitungen gefunden hatt, vertieft, daß er weder für seinen Diener, noch für das vor ihm stehende Frühstück Augen hatte.

Da öffnete sich die Thür und die Hausfrau trat herein; sie war eine jugendliche, schlanke Erscheinung mit einem edel und scharf geschnittenen Gesicht, aus dem zwei rehbraune Augen mit lustigem Übermut in die Welt blickten. Sie gehörte zu jenen Naturen, die immer vergnügt sind und die bei einem hereinbrechenden Unglück sich darüber freuen, daß es nicht noch größer ist. Sie war noch jung, kaum zwanzig Jahre alt, und ein kindlicher Zug, der sich in ihrem Gesicht ausdrückte, gab ihr einen besonderen Liebreiz.

Sie flog auf ihren Gatten zu, und die Arme um seinen Hals schlingend, gab sie ihm einen herzlichen Kuß. Die Gatten sahen sich beim Frühstück stets zum ersten Mal am Tag. Bequem, wie man durch einen Burschen wird, behauptete der Hauptmann, es wäre ihm vollständig unmöglich, sich allein anzuziehen, und wenn er alt würde wie Methusalems Esel, er würde niemals lernen, welcher Stiefel auf den rechten und welcher auf den linken Fuß gehörte; daß er auch trotzdem die Stiefel manchmal verwechselte, war natürlich nur die Schuld seines „dämlichen” Wilhelm. Ohne fremde Hilfe konnte er sich nicht anziehem — noch viel weniger aber konnte er ohne fremde Hilfe aufstehen; da bedurfte es einer starken, energischen Hand, die ungeachtet alles Bittens und Flehens ihm die Decken fortzog, besonders wenn es galt, morgens um vier oder fünf Uhr sich zu erheben. Ach, das war so entsetzlich schwer, wenn am Abend vorher ein Liebesmahl gewesen war, wenn man eine Gesellschaft besucht oder selbst einige Freunde bei sich gesehen hatte. Dann mußte Wilhelm helfen, die Kräfte seiner Frau erwiesen sich als zu schwach.

So kam es, daß der Hauptmann nicht in demselben Zimmer mit seiner Frau schlief, sondern zwei Stuben von der ihrigen entfernt sein Lager aufgeschlagen hatte. Anfänglich hatte er, nachdem er sich angekleidet und seinen Kaffee getrunken, das Zimmer seiner Frau betreten, um ihr einen Kuß zu geben und ihr Lebewohl zu sagen, aber bald hatte er dies aufgegeben, weil er es nicht über das Herz brachte, sie jeden Morgen aus ihrem schönsten Schlummer zu wecken. „Es ist genug, wenn einer von uns beiden so früh schon flucht,” damit hatte er jeden weiteren Widerspruch ihrerseits abgeschnitten.

„Bitte, sei mir nicht böse, daß ich Dich warten ließ,” bat sie mit schmeichelnder Stimme. Aber fast unwillig löste er sich aus ihrer Umarmung.

„Laß nur, ist schon gut, Kind, meine Zeit ist knapp.”

Erschrocken sah sie ihn an: wenn er „Kind” zu ihr sagte, war ein Gewitter im Anzug, wenn Falb auch das schönste Wetter prophezeit hatte, und nichts konnte den nahenden Sturm abwenden, weder sein Lieblingsgericht, noch sein Lieblingsgetränk: im Winter Grog, im Sommer Weißbier mit Sekt.

Bang klopfenden Herzens nahm sie ihm gegenüber Platz und winkte dem Diener mit den Augen, das Zimmer zu verlassen. Der hatte bereits den Thürgriff in der Hand; er kannte seinen Herrn; wenn dieser zu seiner Frau „Kind” sagte, wurde er selbst eine Minute später mit „Schafskopf” angeredet, und dem wollte er entgehen, weil er heute ganz im stillen seinen Geburtstag feierte.

Schwigend saßen sich die Gatten gegenüber, er hatte den Brief, in dem er gelesen, bei ihrem Eintritt beisete gelegt und schob ihn jetzt in den Ärmel seines Überrocks.

„Hast du angenehme Post erhalten?” erkundigte sie sich endlich, nur um überhaupt etwas zu sagen.

„Frage nicht so dumm,” gab er grollend zurück, „wer sollte wohl auf den Gedanken kommen, mir einen angenehmen Brief zu schreiben?”

Sie wagte nichts zu erwidern, denn jeder Widerspruch reizte ihn nur noch mehr.

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Da öffnete sich die Thür und Wilhelm trat herein: „Herr Hauptmann, eine Ordonnanz ist draußen.”

„Schafskopf, sieht er denn nicht, daß ich frühstücke — wenn ich esse und schlafe, bin ich für niemand zu sprechen, das könntest Du Esel nach gerade auch wissen. Aber hol mich der Teufel, seit Einführung der zweijährigen Dienstzeit giebt es nicht einmal einen guten Burschen mehr.”

„Aber Harald,” bat Frau Mary mit leiser Stimme, während Wilhelm geräuschlos verschwand, „ wie kannst Du nur so schlechter Laune sein?”

Dröhnend schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß die Flaschen und Gläser klirrten. „Da soll der Kuckuck seinen Humor behalten, da schreibt mir mein guter Freund, der Kaufmann Michaëlsen eben — ach was, lies selber, ich will mich nicht von neuem ärgern,” und er zog den Brief aus seinem Rock und überreichte ihr denselben.

Mary faltete den Bogen auseinander und las:

Lieber Freund!

Man spricht vergebens viel, um zu verneinen, der andere hört von allem doch nur „nein”, sagt irgend ein Weiser, ich glaube Lessing. Und so will auch ich nicht viele Worte machen, sondern Dir kurz und bündig mitteilen, daß ich bei dem besten Willen nicht imstande bin, Dir die 5000 Mk., die Du mir vor nunmehr einem Jahre geliehen hast, zu dem versprochenen Termin zurückzuzahlen. Nun mach' mit mir, was Du willst: schieß mich tot oder laß mich pfänden, mir soll beides recht sein, wenngleich mir das erstere lieber wäre. Du bist Offizier, was ahnst Du von den Sorgen eines Kaufmanns? Alle Versuche, zu verdienen, vorwärts zu kommen, erweisen sich bei diesen schlechten Zeiten als nutzlos; ratlos und völlig mittellos stehe ich da. Mein letztes Geld, daß ich besaß, habe ich gestern hergeben müssen, um einen fälligen Wechsel einzulösen — nun bin ich blank wie ein Dutzend Kirchenmäuse; lache nicht, aber es sind meine letzten zehn Pfennige, die ich in Gestalt einer Freimarke auf diesen Brief klebe.

Es muß und wird ja wieder besser werden — wenn dies geschehen, sollst Du der erste sein, dem ich meine Schuld abtrage. Bis dahin aber gedulde Dich; und ich würde nicht so ruhig schreiben, wenn ich nicht sicher wüßte, daß Du es thätest.”

Heiter lachend gab sie ihm den Brief zurück: „Nun, das ist wenigstens kurz und klar.”

Aber ihr Lachen reizte seinen Zorn von neuem: „Lache nicht so albern, ich finde, dazu liegt gar keine Veranlassung vor. Nach meiner Meinung ist es schlimm genug, die 5000 Mark für immer in den Schornstein schreiben zu müssen, denn daß ich sie bei Lebzeiten jemals wiedererhalte, vermag ich, so wie die Sachen stehen, kaum zu glauben. Vielleicht, daß einer unserer Ururenkel einstens „das längstens auf ein Vierteljahr” geliehene Geld zurückerhält.”

„So brauchen wir wenigstens für den nicht zu sparen und zurückzulegen,” erwiderte sie. „Und nun beruhige Dich darüber,” bat sie, „wir sind ja Gott sei Dank in der Lage, das Geld entbehren zu können. Denke nicht an Dich — denke an Deinen armen Freund, in welch trauriger Lage muß er sich befinden!”

„Du hast recht,” gab er zurück, „mich dauert der arme Kerl. Ich kenne aus meiner lustigen Lieutenantszeit her das niederträchtige Gefühl, nicht einen einzigen Silbergroschen zu besitzen und die Eltern in einem unfrankierten Brief um neue Schätze bitten zu müssen. Weiß Gott, der arme Kerl thut mir leid, und wenn es nach mir ginge —”

„Nun?” fragte sie, da er schwieg und nachdenklich vor sich hinblickte.

„Dann möchte ich ihm wohl noch 5000 Mark leihen.”

Lachend fiel sie ihm um den Hals, und auch sein Zorn war verflogen: „Du bist doch der sonderbarste Heilige auf Erden,” neckte sie ihn, „ich kenn' Dich doch! Ich wußte, daß es so enden würde — natürlich schickst Du ihm das Geld, wir haben es ja. Wozu hat Papa mir denn so gräßlich viel Geld hinterlassen, wenn wir davon nicht Gutes thun wollen?”

Er küßte ihr dankbar die Hand, und Mary nahm ihm gegenüber wieder Platz. Beide sprachen nun fleißig dem Frühstück zu, denn Mary, die gewöhnlich erst gegen 10 Uhr aufstand, versagte sich den Morgenthee, und das Frühstück, daß sie mit ihrem Gatten zusammen einnahm, war stets ihre erste Mahlzeit am Tage.

„Weißt Du, Harald,” sagte sie plötzlich lachend, während sie sich eine Schnitte gerösteten Brotes mit frischem Kaviar bestrich, „es muß eigentlich furchtbar komisch sein!”

„Was, Kleine?” fragte er erstaunt.

„Kein Geld im Haus zu haben.”

„Na, erlaube mal,” erwiderte er, „das ist Ansichtssache. Wenn man einen guten Onkel hat, an den man sich in diesem Falle wenden kann, so lasse ich mir den Zustand vorübergehend gefallen, aber sonst danke ich dafür. So etwas ist nur in Romanen erbaulich: da erscheint denn immer, gerade wenn das letzte Zehnpfennigstück verausgabt ist, die reiche Tante aus Amerika oder der reiche Onkel aus Australien. Zuweilen bringt auch der Postbote die angenehme Nachricht, daß man gerade das große Los gewonnen hat oder daß ein entfernter Verwandter sanft entschlafen ist, nachdem er im letzten klaren Augenblicke seines Lebens den armen Teufel zum Erben eingesetzt hat. Der Augenblick, wo man kein Geld im Hause hat, dauert in den Romanen stets nur wenige Stunden — denn mit einem Menschen, der nichts mehr hat, weiß selbst ein Dichter nur in den seltensten Fällen etwas anzufangen. Aber Kleine, was verstehst Du davon,” unterbrach er sich plötzlich, „Du hast von Geld und Geldeswert keine Ahnung, obgleich Du Dein Milch- und Brotbuch zu meiner vollsten Zufriedenheit führst! Dennoch wäre es sehr wünschenswert, daß Du etwas mehr rechnen lerntest — ich habe gestern zusammengezählt, was wir im letzten Vierteljahr gebraucht haben. Meine liebe Kleine, ich sage Dir, man wird schwindlich, wenn man die Zahl liest, viele Menschen können überhaupt eine derartige Zahl garnicht lesen!

„Donnerwetter, schon fünf Minuten vor halbeins,” rief er erschrocken aus und sprang schnell in die Höhe, „nun aber Galopp! Wilhelm, Säbel, Mantel, aber fix!”

Seine Donnerstimme rief den treuen Knappen herbei und eine halbe Minute später stürzte der Herr Hauptmann, nachdem er seiner Frau einen flüchtigen Kuß auf die Stirn gedrückt hatte, zum Haus hinaus.

*       *       *

Einige Tage später gingen Hauptmann Hahnke und seine Frau ihrer im äußersten Westen der großen Stadt gelegenen Wohnung entgegen. In Gesellschaft einiger verheirateter Kameraden hatten sie den Abend in einem berühmten Austernkeller verlebt. Es war eine schwere Sitzung gewesen, man hatte sich anfänglich nicht einigen können, was besser schmecke, und was man daher bestellen solle: Austern und Sekt, Hummer und Rheinwein oder Kaviar und alten Portwein. End lich hatte einer den Vorschlag gemacht, mit Austern anzufangen, Hummer als zweiten Gang zu wählen und gleichsam als Nachspeise Kaviar zu essen. Allgemeiner Beifall war dieser Rede gefolgt, und man hatte dem Vorschlag gemäß gehandelt. So war es ziemlich spät geworden, ehe man an den Aufbruch dachte, und Hauptmann Hahnke beschleunigte seine Schritte, um möglichst schnell nach Hause zu kommen, denn nach wenigen Stunden mußte er schon im Sattel sitzen, um mit seiner Kompagnie eine große Felddienstübung zu machen. Rüstig schritt Mary neben ihm her, sie war eine gute Fußgängerin und wie er sie manchmal nannte, „der beste Marschierer unter all seinen Kerls.”

Plötzlich aber blieb sie stehen und legte tiefaufatmend die Linke auf ihr stark klopfendes Herz: „Ich kann nicht mehr.”

Besorgt blickte er sie an: „Gehen wir Dir zu schnell, Kleine?”

Sie hatte sich gegen einen Baum gelehnt, um sich einen Augenblick auszuruhen.

„Zu schnell?” gab sie zurück. „Du weißt, 114 Schritt in der Minute ist reglementsmäßig, was darüber ist, das ist von Übel. Dies waren wnigstens hundertunddreißig.”

Er bot ihr seinen Arm, und langsam setzten sie ihre Weg fort.

„Ich versteh Dich überhaupt nicht,” unterbrach Mary endlich das Schweigen, „warum haben wir uns nicht wie die andern einen Wagen genommen? Dann lägen wir schon lange im Bett und brauchten nicht zu nachtschlafender Zeit hier herumzustrolchen.”

„Da hast Du recht wie so oft,” erwiderte er heiter, „aber Du weißt, daß ich mich über das Geld, das wir für Droschken ausgeben, stets ärgere. Mir geht es damit wie dem reichen Bauer, der einmal gefragt wurde, warum er auf der Eisenbahn stets vierter Klasse führe? „Warum soll ich nicht in der vierten Klasse stehen?” gab er zurück, „das ist das einzige Geld, das ich mir mit meinen Füßen verdienen kann.” So denk' auch ich, aber heute habe ich noch einen anderen Grund, jegliches Vehikel zu verachten.”

„Und der ist?”

Er sah sie lustig an und sang dann mit halblauter Stimme: „Mein bares Geld ging alles drauf im Land zu Niniveh.”

„Du scherzest,” gab sie etwas verwundert zurück.

„Aber Kleine, ich denke gar nicht daran,” erwiderte er lustig, „ich bin blank. Meinen letzten Thaler habe ich mit unnachahmlicher Grandezza dem Piccolo in die Hand gedrückt und nun — nun ist der schnöde Mammon „alle baballe”, wie die kleinen Kinder sagen.”

Sie lachte, aber ihr Lachen klang etwas gezwungen: „Du hättest Dir doch etwas leihen sollen, Du hättest es ja morgen zurückerstatten können.”

Er sah sie heimlich von der Seite an, ihm war, als wäre sie um eine kleine Kleinigkeit blasser als sonst.

„Das sagst Du wohl so,” antwortete er nach einigem Zögern, „aber es sei Dir in dieser Minute gestanden, unser Geld in dem feuerfesten Geldschrank von Ade ist Ade, Ade!”

Erschrocken blieb sie stehen: „Harald, wie ist das möglich?”

„Du lieber Himmel, so was kann 'mal vorkommen,” sprach er im gleichgiltigsten Ton, „bedenke, ich habe heute morgen allein für Dich tausend Mark an Mr. Worth geschickt.”

„Mehr kostet das wundervolle Kleid nicht, das Du mir zum Geburtstag geschenkt hast? Der Mann ist wirklich fabelhaft billig.”

„Schade, daß ich keinen hohlen Zahn habe, sonst würde ich darauf pfeifen,” entgegnete er trocken, „ so sehr billig kann ich das nun gerade nicht finden, auch Gerson, der siebenhundert Mark bekommen hat, fängt an, mir fürchterlich zu werden.”

„Ach, ich schwärme so für ihn,” erwiderte sie in aufrichtigster Bewunderung.

„Kleine, Kleine, Du bist unverbesserlich,” lachte er und auch sie stimmte in sein Lachen ein.

Aber gleich darauf wurde sie wieder ganz ernsthaft.

„Was machen wir denn nun?” fragte sie ängstlich.

„Wir gehen nach Haus, was sonst?” gab er zurück.

Sie machte Miene, ihm ihren Arm zu entziehen. „Sei nicht albern,” schalt sie, „ich meine natürlich, was machen wir nun, wenn wir kein Geld mehr im Haus haben?”

„Aber Liebste, wer wird sich denn nur über so etwas erregen?” entgegnete er, „kommt Zeit, kommt Rat. Übrigens entbehrt unsere Lage auch nicht einer gewissen Komik — findest Du nicht auch?”

Ihre Unruhe schwand vor der Zuversicht, die aus seinen Worten sprach, und aus vollem Herzen stimmte sie in seine Heiterkeit ein. Und als sie bei einem Juwelierladen vorbeikamen, dessen Fenster trotz der späten Stunde noch hell erleuchtet waren, suchte sie sich unter den ausliegenden Schmucksachen ein Armband aus und machte ihrem Gatten scherzend die heftigsten Vorwürfe, weil er ihr niemals einen Wunsch erfülle. Lachend und schäkernd, wie in den glücklichsten Tage ihrer Ehe, kamen sie endlich zu Hause an. Die junge Frau GeldimHaus02.jpg hatte schon völlig vergessen, daß man keinen Heller Geld im Hause hatte. Am nächsten Tage aber erkannte der Hauptmann Hahnke seine Frau kaum wieder, als er seinerseits ganz fidel zu Mittag von der Übung heimkehrte. Mit geröteten, verweinten Augen saß Mary am Frühstückstisch, ihn ungeduldig erwartend, und aus ihrem kindlichen Gesicht sprachen eine so tödliche Angst und Verzagtheit, daß er auf das äußerste bei ihrem Anblick erschrak.

„Liebste, was hast Du denn nur?” wollte er mit besorgter Stimme fragen, aber sie ließ ihn nicht zu Worte kommen.

„Harald, ich ertrage diesen Zustand nicht länger — Du mußt mir Geld geben.”

„Ist auch Deine Kasse leer?” fragte er belustigt, „wir haben doch heute erst den siebzehnten, und bis zum ersten nächsten Monats solltest Du doch auskommen.”

„Ich sollte, sollte,” entgegnete sie, „aber ich bin nun einmal nicht ausgekommen! ich weiß nicht, wo das Geld bleibt, hier ist aber auch alles zu teuer und es ist gerade, als wenn die Hölle sich gegen mich verschworen hätte. Sonst kosten die Eier immer fünf Pfennig das Stück, heute sollte ich plötzlich sechs Pfennig bezahlen, nur weil die dummen Hühner nicht mehr ordentlich legen wollen. Aber wenn ich etwas dafür könnte! Natürlich habe ich mich geweigert, diesen unverschämten Preis zu bezahlen und dem Eiermann gehörig die Wahrheit gesagt. Der wurde mir noch grob obendrein und meinte, dann brauche er wohl nicht mehr wiederzukommen, vorher aber möchte ich ihm die eine Mark geben, die ich ihm noch vom letzten Mal schludig sei. Und denke Dir, als ich mein Potemonnaie aufmache, um dem Unverschämten sein Geld vor die Füße zu werfen, da — da hatte ich nur noch drei blanke Kupferpfennige!”

„Entsetzlich,” stöhnte er.

„Nicht wahr?” fuhr sie fort, „denke Dir nur, das Entsetzlichste kommt noch. Bezahlen mußte ich doch, und da habe ich die Köchin um eine Mark gebeten, ich sagte ihr, sie möchte es auslegen, ich hätte kein Kleingeld, ich müßte erst wechseln. Unmöglich konnte ich ihr doch die Wahrheit sagen! Denk' Dir — der Köchin etwas schuldig zu sein und es ihr nicht wiedergeben zu können!”

„Aber Kind, was machst Du auch für Geschichten,” sagte er in vorwurfsvollem Tone.

„Nenne mich nicht „Kind”, gab sie erregt zurück, „ich bin nicht Dein Kind, ich bin Deine Frau, für die zu sorgen Du verpflichtet bist.”

„Aber thue ich das denn nicht?” fragte er.

„Nein,” schalt sie, „Du verschwendest leichtsinnig unser Geld. Du führst die Kasse und mußtest wissen, wie unsere Finanzen standen. Da war es sehr unrecht von Dir, gestern die Verabredung in den Austernkeller zu machen. Und wie hast Du da geschlemmt, Austern, Hummer und Kaviar, als wenn nicht eins von den dreien mehr als genug gewesen wäre!”

„Na, na,” versuchte er zu scherzen, „mir war so, als ob Dir das Dreigestirn auch nicht weiter unangenehm gewesen wäre . . .”

„Weil ich glaubte, wir könnten uns das Vergnügen erlauben,” unterbrach sie ihn erregt, „an Deiner Stelle hätte ich nichts zu essen vermocht — mir wäre jeder Bissen im Halse stecken geblieben.”

„Das tat er bei mir auch,” antwortete er ruhig, „nicht umsonst haben wir soviel Sekt getrunken, es waren im ganzen wohl zehn Flaschen Heidsiek; nicht wahr?”

„Und jede zu zwölf Mark,” ergänzte sie, „ich an Deiner Stelle würde mich überhaupt schämen, an diese Verschwendung überhaupt zu denken.”

„Na, nun hör aber auf,” bat er, „und mache mich nicht ernstlich böse. Wir brauchen uns beide wahrlich gegenseitig keine Vorwürfe zu machen, denn die Sparsamste bist Du in Deinem bisherigen Leben auch noch nicht gewesen.”

„Natürlich, so seid Ihr Männer alle,” schluchzte sie, das Gesicht in den Händen verbergend, „wenn Ihr Euer Geld in der Wirtschaft oder am Spieltisch gelassen habt, macht Ihr uns dafür verantwortlich und gebt uns die Schuld, weil wir nach Eurer Meinung nicht zu wirtschaften verstehen.”

„Liebes Kind, davon ist garnicht die Rede,” entgegnete er, „ob Du im Monat fünf Mark Wirtschaftsgeld mehr oder weniger gebrauchst, ist mir wirklich vollkommen gleichgültig, dagegen kosten Deine Toiletten —”

„Aber ich muß doch etwas anzuziehen haben,” rief sie in Thränen aufgelöst.

„Sollst Du auch, Kleine,” tröstete er sie, „meine Geschwister gehen auch nicht wie die Negerinnen am Kongostrand, aber sie haben noch nie für ein Kleid tausend Mark ausgegeben.”

„Aber das Kleid hast Du mir doch geschenkt,” rief sie außer sich, „soll ich nun vielleicht dafür verantwortlich sein, daß Du mir solche teuren Geschenke machst?”

„Warum wünschest Du Dir so etwas?”

„Warum erfüllst Du alle meine Wünsche?”

„Na warte, Kleine,” entgegnete er, „Du sollst lange warten, bis ich Dir wieder etwas schenke. Du kannst Dir wünschen, was Du willst, von einer Wasch-luft-pump-maschine und einem Gaskochapparat bis zu dem berühmten „Schmücke Dein Heim mit Diaphanien”. Mir soll es recht sein — bekommen thust Du nichts davon.”

„Aber wenn ich Dich nun um etwas Geld bitte,” sagte sie mit schmeichelnder Stimme, „das wirst Du mir doch nicht abschlagen.”

„Aber Kind, ich habe doch auch nichts, wo soll ich denn etwas hernehmen?”

„Kannst Du Dir nicht etwas leihen?” fragte sie zaghaft.

„Bei wem?” entgegnete er, „bei Wilhelm oder bei wem sonst? Die Kameraden haben alleine nichts, und selbst wenn einer mir wirklich einen Hundertmarkschein geben könnte, so wüßte es morgen das ganze Regiment, übermorgen würde es in allen Kaffeegesellschaften besprochen werden und mit schadenfrohem Lächeln würde die Frau Schulrätin zu der Frau Staatsanwalt sprechen: „Haben Sie es schon gehört, Liebste, bei den Hahnkes soll es so schlecht stehen! Denken Sie sich nur, ich weiß es aus ganz sicherer Quelle, der Mann ist neulich kreidebleich ins Kasino gestürzt und hat sich von den Kameraden hundert Mark geliehen. Ich habe das immer kommen sehen und es schon lange vorausgesagt: wo soll das auch hinführen, wenn die Frau solchen Aufwand treibt und der Mann, wie ich von meinem Emil weiß, nur Importen raucht? So reich sind die Leute denn schließlich doch auch nicht, allerdings soll der Vater der Frau ihr ja ein hübsches Vermögen hinterlassen haben — ich sage 'soll', denn gesehen hat es ja keiner.”

So und ähnlich werden die lieben Freunde und die noch lieberen Freundinnen sprechen, wäre Dir das recht, willst Du Dich dem aussetzen?”

„Aber Harald, was machen wir denn nur? Um ein Uhr kommt der Gemüsemann, mich schaudert, wenn ich nur daran denke. Kannst Du nicht vielleicht an unseren Bankier depeschieren?”

„Erstens kostet ein Telegramm wenigstens fünfzig Pfennig — in unserer augenblicklichen Lage ein Vermögen — und zweitens vergißt Du, daß wir uns erst kürzlich fünftausend Mark haben schicken lassen und daß unsere nächsten Zinsen erst in zwei Monaten fällig sind. Bis dahin müssen wir sehen, wie wir durchkommen.”

Er erhob sich von dem Frühstückstisch und küßte seine Frau zum Abschied zärtlich auf die Stirn: „Sei nicht so traurig, Kleine,” bat er mit zärtlicher Stimme und trocknete ihr die Thränen, „es wird noch alles gut werden. Am Ersten bekomme ich ja auch schon wieder Gehalt, und wenn es auch nicht viel ist, so ist es doch wenigstens immer etwas.”

Ein Hoffnungsschimmer drang durch ihr Herz. „Ach ja, wie schön! Du solls t sehen, wie sparsam ich damit wirtschaften will, jeden Pfennig will ich zehnmal umdrehen, ehe ich ihn ausgebe. Und nie, nie wieder will ich einen Wunsch haben — das schwöre ich Dir.”

Mary begleitete ihren Gatten, den der Dienst wieder abrief, bis an die Thür, dann machte sie sich in die Wirtschaft zu thun und der Hauptmann glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als sie ihm einige Stunden später, als er zu Tisch nach Hause kam, lachend entgegenflog.

„Nanu?” fragte er, als sie sich allein in einem Zimmer befanden. „Was ist denn Dir Angenehmes widerfahren, hast Du das große Los gewonnen oder ist eine Erbtante gestorben?”

Lachend hielt sie ihm ihre Rechte hin, in der ein blankes Zwanzigmarkstück blitzte. Rasch streckte er die Hand danach aus, aber sie kam ihm zuvor und verbarg das Geld in der Tasche.

„Kleine, wie kommst Du zu soviel Geld?” fragte er mit dem Ausdruck der höchsten Verwunderung.

Stolz und triumphierend stand sie ihm gegenüber: „Rate einmal.”

„Hast Du es Dir von der Köchin geliehen?”

Gekränkt wollte sie sich von ihm abwenden, doch er hielt sie zurück.

„Oder hast Du es von Wilhelm geschenkt bekommen?”

„Pfui, Harald,” schalt sie ihn.

„Ja, Kleine, dann weiß ich wirklich nicht —”

„Denke Dir — ich habe das Geld verdient!”

Erstaunt blickte er sie an: „Merkwürdig — ich verstand „verdient.”

„Ja, ja, ganz recht,” bestätigte sie, „verdient!”

„Hast Du etwa für fremde Leute gekocht, gewaschen, geplättet, genäht, geflickt oder gestrickt?”

„Nichts von alledem,” entgegnete sie heiter, „ich habe leere Weinflaschen verkauft. Jawohl,” fuhr sie mit erhobener Stimme fort, als sie in sein verdutztes Gesicht sah, „hundert leere Rotweinflaschen und sechzig Sektflaschen habe ich verkauft.”

„Und dafür hast Du zwanzig Mark bekommen?”

„Aber Harald, wie kannst Du nur so fragen, es ist nur gut, daß Du kein Kaufmann geworden bist, da hättest Du es nie zu etwas gebracht! Natürlich habe ich noch andere Sachen angegeben, so ein altes Kleid von mir, den alten Pelz, den ich nicht mehr trage, Deinen großen Reitermantel, der schon seit Jahr und Tag zu meinem Ärger im Souterrain hing, den einen alten Dieneranzug, dann die sechs leinenen Tischtücher, weißt Du, die etwas gestopften — aber Harald, was machst Du denn für ein sonderbares Gesicht?”

„Ich? Daß ich nicht wüßte,” entgegnete er, „wundern thut es mich aber doch, daß Du nicht gleich unsere Zimmereinrichtung mit verkauft hast, ich finde, Du hast dem Händler nicht genug für sein Goldstück gegeben. Übrigens bin auch ich nicht lässig gewesen, ich habe mich auch nach neuen Mitteln umgesehen, und meine Bemühungen waren nicht erfolglos.”

Aus der einen Tasche seines Überrocks holte er sein Portefeuille und drückte es der Erstaunten in die Hand: „Aber Harald — das ist ja ein Vermögen — wo hast Du denn nur all die Tausendmarkscheine herbekommen?”

Lachend zog er sie an sich: „Aber Kleine, hast Du denn wirklich gar nicht gemerkt, daß das Ganze nur ein Scherz war? Ich wollte nur einmal versuchen, Dir den Wert des Geldes beizubringen und wollte Dir zeigen, daß es, entgegen Deinen Worten, nicht „furchtbar komisch” ist, kein Geld im Haus zu haben. Es war meine Absicht, Dich noch länger in der Angst zu lassen, aber der Handel, den Du heute Mittag abgeschlossen, zwingt mich, die Wahrheit einzugestehen, wenn ich nicht erleben will, daß unsere ganzen Sachen zum Trödler wandern. Vielleicht ist aber auch diese kleine Lehre Dir heilsam gewesen.”

Die Thränen traten ihr in die Augen: „Pfui, Harald, wie kannst Du nur so grausam sein, mich zu ängstigen. Du ahnst nicht, was ich gelitten habe. Strafe aber muß sein, und so verlange ich von Dir, daß Du mir das Armband schenkst, das wir gestern abend uns ausgesucht haben, — ach bitte, bitte, Harald, schenke es mir, es wird mir gewiß wundervoll stehen.”

„Und ich schwöre Dir, daß ich mir nie, nie wieder etwas wünschen will,” wiederholte er lustig die Worte, die sie bei dem Frühstück zu ihm gesprochen, „na, diesmal soll Dir noch Dein Wille werden, aber etwas weniger verschwenderisch wollen wir doch in Zukunft sein, denn sonst könnte es doch wirklich einmal Wahrheit werden, daß wir kein Geld im Haus haben.”

„An mir soll es nicht liegen,” pflichtete sie ihm ernsthaft bei, und lachend verschloß er ihr den Mund mit einem herzlichen Kuß.


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