Von Freiherrn von Schlicht.
in: Der höfliche Meldereiter und
in: Das Kasernengespenst.
Das Gehirn der Mannschaften ist dazu da, um von Zeit zu Zeit revidiert zu werden. Daher der Name „Gehirnrevision”.
Warum das Gehirn revidiert wird, wissen die Vorgesetzten wohl selbst nicht, denn bei jeder Revision ergibt sich nur ein negativer Befund. Es ist nichts da, absolut nichts, und es kann auch nichts da sein.
Es wäre ganz falsch, behaupten zu wollen, daß unsere Soldaten in geistiger Hinsicht in Wirklichkeit die Idioten sind, als die sie zuweilen geschildert werden. Es gibt sogar sehr viele helle Köpfe unter ihnen, und mancher wißbegierige Musketier bringt seinen Leutnant oder Unteroffizier durch seine Fragen zuweilen in nicht geringe Verlegenheit, aber das sind natürlich nur Ausnahmen.
Der Durchschnitt der Leute verfügt über einen Duchschnittsverstand, und was soll in solch armes Gehirn nicht alles hineingepfropft werden! Schießlehre und Felddienst, Waffenlehre und Ehrenbezeugungen, Armeeeinteilung und Regimentsgeschichte, Wachtdienst und Kriegsartikel, Waffengebrauch und Kompetenzen, genug, es gibt zahllose Themata, die von den Offizieren und Unteroffizieren mit den Leuten durchgenommen werden müssen.
Tausendmal kaut man den Kerls dasselbe vor, bis es den Vorgesetzten wie ein hoher Orden lang zum Halse heraushängt; aber wenn man dann die Mannschaften abfragt, wenn man einmal etwas wissen möchte, was die wissen — nichts, gar nichts.
An Stelle der Weisheit ist in dem Gehirn eine große Luftblase.
Und doch soll Weisheit da sein, die hohen Vorgesetzten verlangen es. Wenn sie zur Besichtigung kommen, wollen sie sich auch davon überzeugen, was die Leute theoretisch leisten, und deshalb beginnt jetzt auf allen Kompagnien die Gehirndressur.
Der Herr Oberst hat seiner festen Erwartung dahin Ausdruck gegeben, daß die Mannschaften auch bei der Vorinstruktion gut abschneiden. Der Herr Major hat seiner felsenfesten Erwartung dahin Ausdruck gegeben, er erwarte unter allen Umständen, daß die Leute bei der Vorinstruktion gut abschneiden, und der Herr Hauptmann hat seinen Offizieren und Unteroffizieren in einer stillen Ecke auseinandergesetzt, daß ein Donnerwetter darein fahren solle, wenn die Kerls bei der Vorinstruktion nicht gut abschneiden.
Bei jeder Vorinstruktion kommt es in der Hauptsache auf drei Dinge an: Erstens, daß dem Mann die Feldmütze, die er auf dem Kopf hat, genau paßt, und daß die Kokarde haarscharf über der Nase sitzt; zweitens, daß dem Mann die Haare vorschriftsmäßig geschnitten sind; und drittens, daß die Hose weder zu lang noch zu kurz ist.
Das hat zwar mit dem, was die Leute wissen, oder nicht wissen, anscheinend sehr wenig zu tun, und den inneren Zusammenhang zwischen dem Äußeren eines Mannes und seinen geistigen Fähigkeiten kennen nur die Vorgesetzten. Aber gerade, weil nur sie ihn allein kennen, halten sie mit aller Strenge darauf, daß diese drei Grundbedingungen erfüllt werden.
Es ist mir von zuverlässigster Seite mitgeteilt, daß einmal ein Hauptmann auf dem Scheibenstand einem Musketier, der schlecht schoß, aus vollster Überzeugung zurief: „Wie kann der Kerl auch etwas treffen wollen! Seine Haare sind ja nicht mal vorschriftsmäßig geschnitten.”
Und nach diesem Beispiel denken auch wohl die Vorgesetzten: Wie kann ein Mann geistig auf der Höhe sein, wenn die Haare zu lang oder zu kurz sind, wenn die Feldmütze nicht paßt, oder wenn die Hose nicht genau mit dem oberen Rand des Stiefelabsatzes abschneidet.
Die Gehirndressur beginnt.
Der Leutnant hat die Mannschaften seiner Abteilung um sich versammelt, und da sie noch nicht denselben Anzug anhaben wie bei der Vorinstruktion, und da die Friseure der Kompagnien mit ihrer Arbeit noch nicht fertig sind, muß er sich darauf beschränken, ihnen die vierte Grundbedingung für den guten Verlauf einer Gehirnrevision beizubringen, und die lautet: Ganz laut antworten, unter keinen Umständen leise sprechen, und noch weniger ganz das Maul halten.
Und so sagt er denn jetzt zu seinen Kerls: „Je lauter ihr antwortet, desto besser ist es. Erstens macht das einen flotten, ernergischen Eindruck, und dann hat es noch das Gute, daß die hohen Vorgesetzten vielleicht entsetzt ein paar Schritte zurücktaumeln und sich die Ohren zuhalten. Und die können sich bei den Antworten, die ihr gebt, die Ohren gar nicht fest genug zuhalten. Der Inbegriff aller Seligkeit wäre natürlich, wenn ihr richtig antworten würdet. Das tut ihr ja aber doch nicht, und ich will deshalb schon zufrieden sein, wenn ihr nur irgend etwas sagt. Ist es Blödsinn, dann habe ich wenigstens noch immer die Ausrede, daß ihr meine Frage falsch verstanden haben müßt, und schließlich kann man jede Antwort so drehen, daß sie wenigstens einigermaßen zu der Frage paßt. Aber wenn ihr ganz das Maul haltet, dann sind wir alle verloren, da werden die hohen Herren hellhörig und dann interessieren sie sich nicht mehr für die Feldmütze, sondern für das, was unter ihr ist, oder richtiger gesagt, nicht ist. Also denkt an das, was ich eben sagte. Wir wollen jetzt mal kurz die Regimentsgeschichte durchnehmen. Also der Flügelmann, Musketier Müller, an welchen Schlachten und Gefechten hat unser Regiment im Kriege 70/71 teilgenommen?”
Der Flügelmann, der Musketier Müller, ist ein bildhübscher Kerl, sonst hätte man ihn auch nicht zum Flügelmann der ganzen Kompagnie gemacht. Er ist groß und schlank, dabei doch kräftig gewachsen, und die Schönen der Stadt werben um seine Gunst. Wenn er mit denen zusammen ist, dann ist er gar nicht so dumm, wie seine Rivalen es möchten, aber sonst hat er die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen. Mit vierzehn Jahren ist er aus der Schule gekommen und hat seinem Vater geholfen, die Felder zu bstellen. An körperlicher Arbeit hatte es ihm nicht gefehlt, aber sein Geist hatte in der ganzen langen Zeit geschlafen. Der soll nun beim Militär wieder erweckt werden. Allerlei hat sich auch in seinem Gehirn angesammelt, aber es liegt wie Kraut und Rüben durcheinander; von einem Shannonregister, in dem alles fein säuberlich geordnet liegt, ist da nicht zu merken.
Der Leutnant wird ungeduldig, die Antwort muß sofort erfolgen, wie aus der Pistole geschossen, aber die läßt nun schon länger als eine halbe Minute auf sich warten.
„Musketier Müller, stellen Sie sich nicht dümmer an, als Sie es von Haus aus schon sind. Der Mensch soll sich der ihm verliehenen Gottesgaben freuen, aber nicht Schindluder mit ihnen treiben. Ich habe Sie gefragt: An welchen Hauptschlachten hat unser Regiment im Kriege 70/71 teiolgenommen?”
Der Musetier Müller weiß es nicht. Man hat ihm von so viel Kriegen und so viel Schlachten erzählt, aber welche davon waren im Jahre 70/71?
Er ahnt es nicht.
Da denkt er an die Ermahnung des Leutnants, wenigstens irgend etwas zu antworten. Wenn es falsch ist, hat er die Frage eben nicht richtig verstanden, oder sein Leutnant wird die falsche Antwort schon irgendwie richtig zu drehen wissen.
Und ferner denkt er daran, daß er ganz laut sprechen soll, so laut, daß die Vorgesetzten hintenüber fallen und sich die Ohren zuhalten.
So schreit er denn jetzt plötzlich mit der ganzen Kraft seiner Lungen: „Unser Regiment hat im Kriege 70/71 teilgenommen an den Hauptschlachten von Leipzig, Königgrätz und an dem Sturm auf die Düppler Schanzen.”
Das durfte nicht kommen.
Nicht weil Müller so schreit, sondern aus Entsetzen über das, was er schreit, taumelt der Leutnant hintenüber und starrt seinen Flügelmann entsetzt an. Wenn die Sache schon so anfängt, wie soll sie da enden?
Er hat gar nicht den Mut, den zweiten zu fragen. Mit irren, blöden Augen blickt er seine Leute an. Da bemerkt er plötzlich einen Mann, der deutlich zu erkennen gibt, daß er die richtige Antwort auf die Frage weiß: „Na, Schulze, dann sagen Sie mal dem Müller, diesem Heuochsen mit Eichenlaub und Petersilie, an welchen Schlachten hat das Regiment 70 teilgenommen?”
Und mit leuchtenden Augen, stolz, seine Weisheit von sich geben zu dürfen, antwortet der Musketier: „An den Schlachten von Austerlitz und Plewna.”
Der Leutnant ist ganz gebrochen, am liebsten würde er sich in seiner Verzweiflung aufhängen, aber der Selbstmord wird beim Militär mit dem Tode und wenigstens zehn Jahren Ehrverlust bestraft. So wendet er sich denn mit tonloser Stimme an den dritten Mann: „Sagen Sie mal, Hansen, ist das richtig, was der Schulze da eben sagte?”
Der Fall ist schwierig, und Hansen überlegt sich die Sache einen Augenblick. Hätte der Leutnant den Schulze mit dem Beinamen Schaf, Ochse oder Dummkopf belegt, dann würde er sofort gewußt haben, daß der „Unsinn quasselte”. Aber nur Schulze? Das klingt mehr nach Lob als nach Tadel, folglich muß das mit Austerlitz und Plewna seine Richtigkeit haben, und so antwortet er denn: „Zu Befehl, Herr Leutnant.”
Und in diesem Augenblick fliegt zwar kein Engel durch das Zimmer, wohl aber ein Kreuzmillionendonnerwetter und das fliegt dem Musketier Hansen gerade an den Kopf. Aber der Müller und Schulze bekommen auch etwas davon ab.
Dann fragt der Leutnant weiter, und von den vierzig Mann seiner Abteilung weiß einer etwas von Sedan, der zweite von Gravelotte und der dritte von Weißenburg.
Und das sind gerade die Schlachten, an denen das Regiment nicht teilnahm.
Der Leutnant bedauert, erst vorgestern beim Zahnarzt gewesen zu sein, nun hat er nicht einmal mehr einen hohlen Zahn, auf dem er pfeifen kann.
Mit dem Heldenmut der Verzweiflung kämpft er alles nieder, was in ihm aufsteigt, und gewaltsam zwingt er sich zur Ruhe: „Kinder, ich will euch mal was sagen, Leutnant zu sein ist ja sehr schön, aber euch Weisheit eintrichtern zu müssen, ist mehr als eine Erfindung des Satans. Selbst der würde sich für diese Beschäftigung bedanken. Aber nun paßt auf, ich will es euch nochmals erzählen.”
Und er sagt es ihnen nicht nur einmal, sondern sogar zehnmal und schließlich schreibt er ihnen die Namen der Schlachten mit großen Buchstaben an die Wandtafel, damit sie sich dem Auge und damit auch dem Gedächtnis besser einprägen, und er beschwört sie bei allem, was ihnen nicht heilig ist, sich nun die Namen zu merken und sie dann nie wieder zu vergessen.
Und am nächsten Tag passiert ein Wunder. Als er mit seinen Leuten dasselbe Thema wieder durchgeht, wissen alle Bescheid, sogar der Flügelmann Müller bleibt keine Antwort schuldig.
Der Leutnant ist glückselig, seine Verzweiflung von gestern verwandelt sich in eitel Sonnenschein. Er hat es ja immer gewußt, so dumm konnten die Kerls ja auch gar nicht sein; einmal mußte doch das Licht in ihren Schädeln aufgehen, denn der Mensch hat im Gegensatz zu den Kälbern sein Gehirn doch nicht, damit es, mit Zitronen garniert, in kleinen Muscheln serviert wird.
Die Freude des Leutnants kennt keine Grenzen — nun mögen die hohen Vorgesetzten kommen. Wenn er dieses Thema zur Vorinstruktion erhält, wird er glänzend abschneiden.
Aber mit einemmal ist seine Freude dahin, denn plötzlich weiß der Leutnant, von wannen den Kerls ihre Wissenschaft kommt. Auf der Wandtafel stehen von gestern her noch in großen Buchstaben die Namen der Schlachten, und die Jungens haben sie einfach abgelesen.
Und wie sehr er mit dieser seiner Vermutung recht hat, merkt er, als er die Tafel umdrehen läßt, und nach einer halben Stunde wieder fragt. Da ist das Resultat bei allen dasselbe: Nichts, nichts, gar nichts.
Der Leutnant sieht es ein, — ein Leben reicht dazu nicht aus, um den Kerls die Regimentsgeschichte beizubringen.
Na, vielleicht hat er Glück, vielleicht erhält er ein anderes Thema zur Vorinstruktion, warum soll man ihm denn auch gerade die Regimentsgeschichte geben?
So wendet er sich denn jetzt den Kriegsartikeln zu.
Vier Kriegsartikel muß jeder Soldat auswendig wissen, aber die hohen Vorgesetzten legen Wert darauf, daß die Leute noch ein paar mehr wissen.
Aber jetzt wissen die Kerls nicht mal mehr die vier. Gewußt haben sie die, ganz gewiß. Jeder beschwört es, und der Leutnant hat sich vor vierzehn Tagen bei dem Abfragen davon überzeugt, daß sie wirklich fest saßen, so fest, daß er glaubte, sie würden nie wieder vergessen werden. Und weil die Kerls sie wußten, hatte er sie und sich damit verschont; nun aber sieht er ein, daß auf das Gehirn eines Musketiers noch weniger Verlaß ist, als sonst auf den Charakter eines Menschen.
Es ist alles vergessen, nur eins wissen sie noch, daß der zweite Kriegsartikel der wichtigste ist. Aber was dadrinnen steht — keine Ahnung.
Der Leutnant sieht keine Möglichkeit, in den wenigen Tagen, die bis zur Besichtigung noch zur Verfügung stehen, den Kerls das Vergessene wieder beizubringen, so läßt er das Thema fallen. Warum soll er denn auch gerade dieses Thema zur Vorinstruktion erhalten? Wenn er Glück hat, und warum soll er keine haben, bekommt er ein anderes, vielleicht Felddienst.
Aber mit dem dritten Thema geht es wie mit den beiden ersten, und mit dem vierten geht es wie mit dem dritten, und mit dem fünften wie mit allen anderen zusammen. Die Leute wissen nichts. Von zwölf Fragen werden sechs gar nicht beantwortet und von den sechs Antworten, die der Leutnant erhält, sind fünf ganz bestimmt falsch.
Wie soll das werden? Die Leutnants ringen die Hände, und die Unteroffiziere ringen sie sich wund, denn wenn die Themata, die sie mit ihren Leuten durchnehmen, auch wesentlich einfacher sind, als diejenigen, die der Offizier vorträgt, so ist bei dem Abfragen das Resultat genau dasselbe. Und so etwas ist ganz schlimm, wenn die Vorgesetzten, die erwartet werden, den Instruktionsvogel haben. Denn einen Vogel hat jeder, und jeder schwört darauf, kein anderer wäre so schön, wie der seine.
Die Vögel der Vorgesetzten sind bösartige Tiere.
Wie die Adler stürzen sie sich auf die Menschen, picken ihnen die Augen aus und fetzen ihnen das Fleisch vom Leibe, bis sie als entstellte, militärische Leichen auf der Strecke bleiben.
Es gibt hohe Herren, die den Schießvogel, den Turnvogel, den Parademarschvogel (den haben sie alle) und Gott weiß was sonst noch für einen Vogel haben, aber der Instruktionsvogel ist der schlimmste von allen.
Man kann mit Engelsgeduld und durch fortwährende Ermahnungen und zielbewußte Hilfen „einen krummen Hund” in eine schlanke „Edeltanne” verwandeln, man kann einen Schützen dahin bringen, daß er wenigstens alle Monate einmal die Scheibe trifft, anstatt nur in die Luft zu knallen. Man kann sogar Eisbären dahin bringen, daß sie Turnübungen machen, warum soll man das nicht auch bei einem Musketier erreichen können?
Aber eins kann man nicht. Man kann aus einem Idioten oder aus einem beschränkten Menschen keinen Weltweisen machen. Das kann kein Gott, und ein Leutnant ist kein Gott, das ist er höchstens in den Augen der jungen Mädchen, und deren Urteil ist leider nicht maßgebend. Ja, wenn die eine Besichtigung abhielten, dann würde die Kritik „süß”, „einfach himmlisch” lauten, aber Exzellenzen urteilen wesentlich anders.
Ich denken an meinen alten Brigadekommandeur zurück. Der war der vornehmste, liebenswürdigste und idealste Vorgesetzte, den man sich denken konnte. Aber einen Fehler hatte er auch, er besaß den Instruktionsvogel der höchsten Potenz. Und an diesem Vogel ist er dann schließlich auch selbst zugrunde gegangen. Ich habe es erlebt, daß er Mannschaften an die Wandtafel treten ließ und diesen befahl, den Geländeabschnitt aufzuzeichnen, den das Regiment in der Schlacht von Gravelotte besetzt hielt. Und in das Gelände sollten die einzelnen Bataillone und Schlachten eingezeichnet werden.
Die wenigsten Offiziere hätten das gekonnt, und der General verlangte das von dem gewöhnlichsten Musketier.
Auch mit solchen Vorgesetzten muß bei jeder Besichtigung gerechnet werden, und man weiß nie, welchen Vogel solch hoher Herr mitbringt, denn solche Tiere erwachen zuweilen ganz plötzlich über Nacht. Derselbe General, der noch vor sechs Wochen auf seine Untergebenen einen ganz normalen Eindruck machte, hat sich plötzlich einen Piepmatz angelegt, der alle Welt erschauern läßt. Aber dagegen sind die Untergebenen machtlos. Die Pfeife einer Exzellenz ist ein Instrument, nach dem selbst der Herr Oberst tanzen muß, ganz einerlei, ob er vom letzten Feldzuge her Gelenkrheumatismus in den Gliedern hat oder nicht.
Und Leutnants müssen sogar tanzen können. Es ist schon mancher Leutnant in des Wortes wahrster Bedeutung auf dem Parkett gestrauchelt, und er fand sich dann plötzlich in einer Garnison wieder, in der nur an hohen christlichen Feiertagen die Sonne scheint.
Vor dem Instruktionsvogel zittern sie alle.
So wird denn die Gehirndressur Tag für Tag mit emsigem Fleiß betrieben, und damit die Karls ganz bestimmt eine Antwort geben, verfallen die Offiziere und Unteroffiziere in ihrer Not auf den Ausweg, den Kerls die Antwort zugleich mit der Frage ins Maul zu schmieren, wie man das ebenso wahr wie poetisch nennt.
„Mit welchem Fett fettet der Soldat sein Gewehr?”
„Mit Gewehrfett.”
„Wie nennt man die Lappen, mit denen der Soldat seine Sachen putzt?”
„Putzlappen.”
Aber es gibt Untergebene, die so gottbegnadet dumm sind, daß sie selbst auf solche Fragen die Antwort schuldig bleiben. Dann muß man ihnen die Sache noch mehr erleichtern.
„Musketier Müller, wissen Sie, daß es dem Posten verboten ist, sich hinzusetzen, zu schlafen, zu trinken, zu essen und Geschenke anzunehmen? Nicht wahr, Sie wissen doch, daß das verboten ist?”
Wenn der Mann ja sagt, hat er sein Wissen glänzend bewiesen. Aber es gibt auch Leute, denen das ganz neu ist, daß der Posten so etwas nicht tun darf. Das hören sie heute zum erstenmal, obgleich ihr Leutnant es ihnen wenigstens schon zehnmal erzählt hat. Und wenn der Mann dann eine ehrliche Natur ist, der nicht lügen will, oder nicht lügen kann, dann antwortet er mit einem lauten und vernehmlichen Nein.
Und dann schlägt es dreizehn.
Die ganzen Vorgesetzten, die gerade mit der Besichtigung des Haarschnittes, der Feldmützen und des Hosensitzes fertig sind, eilen herbei. Das ist ja ein sehr interessanter Fall. Der Mann kennt nicht einmal seine Posteninstruktion. Das ist ja unerhört! Was dann, wenn heute Krieg ausbricht, und der Mann steht im Feld auf Vorposten und weiß nicht einmal, daß er da nicht essen darf, wenn er hungrig ist? Der ganze Feldzug kann verloren gehen, und wenn wir dann ungezählte Milliarden als Kriegsentschädigung zahlen müssen, dann ist der Musketier ganz alleine daran schuld, aber die Vorgesetzten müssen es büßen.
Wie ist es möglich, daß der Mann das nicht weiß? Wenn es ihm gelehrt worden wäre, müßte er es wissen, denn so dumm kann doch kein Mensch sein, daß er es dann nicht wüßte. Folglich hat sich der Leutnant nicht die nötige Mühe gegeben, es dem Mann beizubringen, und die hohen Herren stehen da vor einem psychologischen Rätsel.
Gewiß ist der Leutnant nicht der Inbegriff eines guten Leutnants, das ist er schon deshalb nicht, weil es überhaupt kein Leutnant ist, immerhin hat er doch aber sonst seine Sache leidlich gut gemacht. Wenn seine Leistungen, wie das bei einem Leutnant auch ganz selbstverständlich ist, natürlich weit hinter den Erwartungen zurückbleiben, so war doch der gute Wille, den er an den Tag legte, zu loben. Und wohlwollend, wie die Vorgesetzten es nach ihrer Meinung nun einmal sind, hatten sie den guten Willen auch stets anerkannt.
Aber dieses Mal muß der Offizier es wirklich an dem nötigen Eifer haben fehlen lassen. Gerade von ihm hätte man das nicht erwartet.
(Von irgendeinem anderen hätte man es natürlich ebensowenig erwartet.)
Dann nehmen die hohen Vorgesetzten sich den Schuldigen vor: „Herr Leutnant, ich frage Sie, wie ist es möglich, daß Sie gerade dieses so ungemein wichtige Thema mit ihren Leuten nicht eingehend immer und immer wieder durchgesprochen haben?”
Der Leutnant ist dem Selbstmord nahe. Er hat die Posteninstruktion mit den Mannschaften nicht hundert-, sondern zweihundertmal durchgenommen, immer und immer wieder, bis er bei dem Wort „Patrouillendienst” die Maulsperre bekam, bis er des Nachts vor Entsetzen nicht mehr schlief, weil er am nächsten Morgen wieder über den Patrouillendienst instruieren mußte. Er hat sein Menschenmöglichstes getan, aber wenn er das den Vorgesetzten erklärt, dann werden sie antworten: „Was Sie da sagen, ist ja alles sehr schön und sehr gut, aber daraus, daß die Leute nicht Bescheid wissen, ersehen Sie ja selbst am besten, daß Sie das Thema noch hundertmal mehr hätten durchnehmen müssen.”
Noch hundertmal!
Unwillkürlich greift der Leutnant mit der Hand zur Seite, ob da nicht eine Kognakflasche steht. Er muß sich stärken, er fühlt sich nicht nur einer Ohnmacht, sondern dem Tode nahe. Aber es ist natürlich kein Kognak da. So wankt er denn, als er endlich entlassen ist, auf den Kasernenhof hinaus und schleicht in eine stille Ecke hinter den Exerzierschuppen. Dort sieht ihn keiner. Ihm ist speiübel, des Dienstes ganzer Ekel faßt ihn an. Noch hundertmal mit den Kerls den Patrouillendienst durchnehmen? Das ist wirklich zum Kotzen! In ihm würgt und würgt es, ihm wird schwarz vor den Augen. Auf der Stirne perlt der kalte Schweiß, matt lehnt er den Kopf gegen die Mauer, und mit einem männlichen Entschluß steckt er sich plötzlich die Finger ganz tief in den Hals.
Und nun kotzt er wirklich.
Fünf Minuten später ist ihm wieder wohl.
Die Offiziere und Unteroffiziere stehen vor ihren Leuten und versuchen ihnen Weisheit beizubringen. Sie sehen es voraus, daß sie etwas auf den Hut bekommen werden, und sie hören schon im Geiste die Stimme der Vorgesetzten: „Wir können Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie es dieses Mal an dem nötigen Eifer haben fehlen lassen. Sie hätten das Thema noch eingehender, noch öfter mit den Leuten durchsprechen sollen.”
Und sie sehen es voraus, daß sie dann in die stille Ecke gehen und sich die Finger in den Hals stecken.
Die Offiziere und Unteroffiziere reden immer dasselbe und sie können doch nicht nur das eine Thema durchnehmen, weil sie doch auch die anderen durchsprechen sollen. Sie reden sich den Mund fußlig, bis ihnen die Kinnladen weh tun, und bis ihnen die Zunge schwer wird. Schließlich lallen sie nur noch, aber sie lallen weiter und weiter, und nur die Hoffnung hält sie aufrecht, daß vielleicht von allem, was sie sagen, doch wenigstens ein ganz geringer Bruchteil in den Schädeln der Leute sitzen bleibt.
So geht es Tag für Tag, bis es schließlich heißt: Morgen ist Besichtigung!
Dann machen sie Schluß, aber nicht für immer, sondern nur bis zu dem Tag, an dem die Besichtigung vorüber ist. Dann fangen sie mit der Gehirndressur wieder von vorne an, denn die hohen Vorgesetzten, die zur Besichtigung kommen, lösen sich ab, wie die Posten vor dem Schilderhause.