Eine Manövererinnerung.
Preishumoreske von Graf Günther Rosenhagen.
In: „Deutscher Soldatenhort”, Band 7, 1896, Seite 3.
Es war einer der letzten Manövertage des vorigen Jahres. In aller Herrgottsfrühe waren wir aus dem Quartier aufgebrochen, um den Absichten des uns gegenüber stehenden Feindes zuvorzukommen, andererseits aber auch, um einer unerbittlichen, glühenden Hitze zu entgehen. Den ganzen August hindurch hatte es in Strömen geregnet; nun holte die Septembersonne das Versäumte nach, sie glühte vom frühen Morgen bis zum späten Abend mit flammenden Blicken auf allen Flächen, in allen Tiefen, zwischen allen Spalten der Erde, — sie war von einer schattenlosen Heiterkeit. Und an diesem, unserem Manövertag, da wir schon um fünf Uhr uns in Bewegung setzten, hatte sie schon eine Viertelstunde vorher sich zum Mitmarsch bereit gemacht — und schien nun den auf staubiger Chaussee dahinziehenden Schaaren das bischen Gehirn ausbrennen zu wollen.
„Na, dat kann nett warden*) — früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will.”
„Wer lang schläft und doll läuft, kommt auch noch mit, sagt die Sonne.”
Mit solchen tröstlichen Randglossen erheiterten die Witzbolde der Kompagnie die Kameraden. Mein Flügelmann seufzte nach jedem Dutzend Schritt: „Hüd is dat tau bannig hitt.**)”
Endlich kam der Befehl zum Halten.
Die Gewehre wurden zusammengesetzt und die Leute warfen sich sofort nieder, um einen Augenblick ausruhen zu können.
Wir Offiziere gingen an die Tête der Marschkolonne, um zu hören, was nun eigentlich los sei. Aber höheren Ortes war noch eine geheimnißvolle Verschwiegenheit. Die Meldungen der Kavalleriepatrouillen standen noch aus und sollten eintreffen, während die Truppen das letzte Rendez-vous ausnutzen durften.
„Wenn wir angreifen müssen,” sagte mein etwas rundlicher Kamerad, „falle ich todt um, ein Hitzschlag ist mir sicher.”
„Na, na,” suchte ich ihn zu trösten, „die Hindernisse sind bekanntlich nur da, um überwunden zu werden.”
„Mensch, Mensch, reden Sie nicht wie ein alter Zuckerhut unter'm Bindfaden! Sehen Sie sich blos einmal die Haide vor uns an. Das ist Haide — verstehen Sie was das sagen will? und was Sie dahinten sehen, ganz, ganz, ganz weit weg, das sind Schafe und dazwischen, mein Sohn, sollen wir uns begeben! Sind Sie gezeichnet? Ich nicht — also verloren — verloren.”
Auch meine Augen irrten hülflos auf weiter Erde umher — der Gedanke, über diesen gräßlichen, nicht unbeträchtlichen Theil des deutschen Vaterlandes sprungweise vorgehen zu müssen, — „O, welche Lust, o, welch' Vergnügen!”
Ich konnte den Kameraden auch nicht trösten, denn gerade in diesem Augenblicke klebte mir die Zunge am Gaumen, von der Haide hob sich ein feiner, röthlicher Dunst, eine unerbittliche Athemberaubung — sie dehnte sich ohne Baum und Strauch bis an die Horizontlinie, wo die schäkernde Sonne sie mit dem hell glitzernden Himmel verschwimmen ließ.
Um doch etwas zu sagen, neinte ich endlich mit einem geistvollen Stoßseufzer:
„Ich möchte wohl für jeden Stoßseufzer, der hier heute vergossen wird, einen Tausendmarkschein haben.”
„Lieber Freund,” fuhr mein Kamerad mich an, „nehmen Sie vom Schicksal vorlieb mit einem Pfennig pro Tropfen und es beträufelt Sie zum Millionär, aber o Entsetzen: Sieh, das Unglück reitet schnell, hinter einer Putzmamsell.”
Sein ausgestreckter Arm deutete auf eine Patrouille hin, die auf den General zusprengte.
„Lebt wohl, Kameraden — bei Philippi sehen wir uns wieder.”
Eilends machte ich mich davon, schon kam das Kommando „an die Gewehre” und eine Minute später trat die Tête an.
Die Leute schüttelten den Schlummer ab, noch ein paar hundert Meter auf der staubigen Chaussee — dann ins Haidekraut, das trocken aufknisterte, sich hemmend jedem Schritt entgegenbäumte und den athemberaubenden Staub, wie einen wolkigen Dunst, aufwirbelte, der sich klebend auf Kleider und Gesicht warf.
Weiter und weiter — Staub und Schweiß rieselten in schwarzen Bächen von den Stirnen, meine Millionen wurden plötzlich flüssig.
Die Sohlen der schweren Marschstiefel wurden auf dem knisternden Haidekraut glatt wie polirt und immer ein bischen rückwärts rutschend, kamen wir „immer langsam voran”. Und diese tückische, infame Haide, die sich glatt hinbreitete wie ein Tischtuch, barg unter dem zähen Wurzelkraut Löcher und Hügel, es war ein fortwährendes Stolpern und Versinken.
Und dazu die Unterhaltung der Leute.
„Ach, wenn ick man 'nen lütten Köhm hedd.”***)
„Na, wennt twee wären, segg ick ok nich nee.”****)
„Na, so'n lütten Buddel Beer vont Is — dat kunn all min selig Großvadder god verdrägen.”*****)
„Minsch, hol Din Mul — nu segg blot noch Spickaal.”†)
Es war, als wenn die Haide mit uns lief, aufgehetzt von der immer noch lachenden Sonne — sie nahm und nahm kein Ende und die Uhr war elf. Noch immer kein Feind in Sicht, nur das todbringende Gestirn hoch oben und rings die Himmelskugel wie glühendes Metall.
Da fiel ein Schuß.
Und aus den staubigen, vertrockneten Kehlen kam als Erholungsseufzer ein leises Hurrah.
Die Truppen entwickelten sich zum Gefecht, aber wir irrten uns, wenn wir glaubten, daß nun bald Alles vorüber sei — der Gegner hatte die lange Zeit, die wir zum Vormarsch brauchten, benutzt, um seine großartige Stellung nach allen Regeln der Kunst zu befestigen. Er wollte nicht weichen und lange wogte das Gefecht hin und her, bis endlich um die dritte Nachmittagsstunde das Signal „Halt” dem Ringen ein Ende machte.
Und nun in die Quartiere; weit kamen uns die Quartiermacher entgegen und vertheilten während des Weitermarsches die Billets. Am Horizont tauchten verkrüppelte Weiden auf, dahinter ein schiefer, alter Kirchthurm, ein elendes Dorf mit strohgedeckten Dächern und einem muffigen Geruch von Schafen und Ziegenböcken, Stall und Petroleum — Alles wie gähnend Drachengift(1) von der Sonne erhitzt, die sich heute prachtvoll amüsirte.
Wenige Minuten später hatte ich mein Quartier erreicht, wo mein Bursche Haubenkieck und mein Pintscher Frosch, die am Morgen beide bei den Gepäckwagen marschirt waren, mich bereits erwarteten. Kopfschüttelnd beschaute ich mir von außen meine Villa. Sie hatte ein deutliches, großes Loch, wie ein ungeheures Maul, an der Schmalseite unter ihrem Strohdach weit aufgesperrt — ich schlich schattensuchend, Kühlung sehnend, mit meiner letzten Kraft in einen langen Schlauch, entsetzt scheuchten gackernde Hühner auf der lehmgestampften Tennendiele hin und her, rechts standen ein paar Kühe, links ein paar Pferde. Ich hatte diese Gesellschaft erwartet, denn schon am Eingang in diese Höllenpforte lagen rechts und links in hohen Haufen die Visitenkarten dieser Herrschaften.
Haubenkieck riß eine kleine Thür zur Linken auf — hier war der Siedeofen der Hölle und schlug mir mit seinem feurigen Athem entgegen — die Küche mit einem großen qualmenden Feuer auf dem Herde. An diesem stand, mit Fries und Wolle bekleidet, wie zu einer Nordpolexpedition, die Wirthin; schön war sie nicht, aber dauerhaft gearbeitet. Sie schien die Penaten des Herdes beschworen zu haben, unseren Einfall zu verhindern, denn mit offenbar enttäuschter Stimme sagte sie gedrückt:
„Na — komen Sei doch noch? na, denn müt ick Sei wull wat tau eten bringen — gahn Sei man so lang ein in Ehr Stuw.”††)
Die „Stuw” lag hinter der gegenüberliegenden Thür und war schon mehr klein Oktav wie Quart; links, die ganze Wand füllend, das Himmelbett, rechts ein Ledersopha, kurz, platt und hart, ein Rest aus der mittelalterlichen Rüstkammer der Folterwerkzeuge. Gerade aus ein Fenster, der Luftraum mit etwas gefüllt, was einem in die Nase und auf die Zunge fiel, als Duftgemisch von Bock und Schaf, von Pferd und Kuh und Schwein dazu.
„Mensch, machen Sie sofort das Fenster auf!”
„Geht sich nicht, Herr Lieutenant, hat sich Trallen von außen, von innen vernagelt!”
Ich wollte fluchen, aber ich konnte nicht. Ich warf Helm und Waffen, Rock und Binde auf das lederne Gedenkblatt.
„Waschwasser her!” befahl ich.
„Waschgeschirr ist sich nicht, muß sich Herr Lieutenant an die Pumpe.”
Ich dachte, Haubenkieck wollte einen mehr oder weniger guten Witz machen — warum sollte man sich nicht auch einmal abpumpen lassen, wo man schon so oft in seinem Leben an- und abgepumpt hatte. Aber Haubenkieck sprach die bittere Wahrheit und bald sauste klatschend über meinen unverhüllten Leichnam ein dünner, aber kühler Strahl, unter den sogar Frosch mitkroch und den Haubenkieck dirigirte, indem er wie ein Affe mit dem Pumpenschwengel auf- und absprang.
Reinlich und erfrischt betrat ich abermals „dei Stuw” und nun erst fühlte ich seine ganze Fürchterlichkeit.
Auf dem Tische standen Spiegeleier und der übliche Manöveradler in gekochtem Zustand, die älteste Henne des Hühnerharems, die vor Alterskummer sogar keine Eier mehr legte. Ich nahm die Spiegeleier, Haubenkieck mußte das königliche Wappenthier aus seiner salzigen Brühe herausheben, und mir auf die Rückzugslinie nachtragen — am Fuß der Pumpe ließ ich mich gastlich nieder, schlürfte ein paar Eier aus und suchte den Busen der Hühnermutter mit meinen zweiunddreißig Zähnen zu erweichen, aber sie war unerbittlich wie das rauhe Schicksal selbst. Wie ein Gummiball sprang sie in meinem Mund herum, empört warf ich den Rest der alten Hexe meinem Pintscher hin, der mit wüthendem Gebell sich mit ihr herumzerrte, sie vor sich hinlegte und mit zu Boden geneigtem Kopfe anknurrte — dann plötzlich ergriff und mit ihr die Dorfstraße entlang eilte; keuchend kam er nach einer Weile mit ihr zurück, kratzte eilfertig ein Loch und begrub sie.
Ich war nun rein, gesättigt, hatte mit Pumpenheimer meinen Durst gelöscht und fühlte, wie bleiern der Schlaf mich übermannen wollte.
„Nein” sagte ich, „nein, mein Freund, — noch nicht, jetzt? Das möchtest Du wohl und dann in der Nacht Dich drücken?”
„Täw,” sagte der Schlaf, „dat will ick Di gedenken, mien Jung.”†††)
Ich ging zurück in meine Stube, Haubenkieck hatte den Koffer auf der Tenne ausgepackt und zwischen den Hühnern machte ich Toilette, indem ich ihnen die letzten Grüße der von Frosch begrabenen Ahnfrau überbrachte.
Dann ging ich in die Dorfschenke, um mit einigen Kameraden den üblichen Skat zu spielen. Auf dem Wege aber kehrte ich als vorsichtiger Mann noch einmal um, und inspizirte das Bett.
Ein merkwürdige Bett!
Sein hölzernes Gestell war von außergewöhnlicher Länge, es nahm die ganze Seite der allerdings nur kleinen Stube ein. Ich schlug die Vorhänge zurück — wie merkwürdig schmal es war und auch an der Wand war es mit Leinen bespannt, das oben gegen die Decke des Zimmers genagelt war; es sah sonst reinlich aus und hatte das übliche Federbett — freilich leicht und daunig — gut, gut, Haubenkieck, die Sache macht sich, laß nur ja die Thüren offen und schlag' mit unserem Handtuch — die Wirthin hatte mir keins gegeben — sie besaß wohl keines — die Luft heraus — es ist ja Pest, Schwefel, Schimmelpilz und alter Käse und das nennt der fanatische Städter: „Gesunde Luft auf dem Lande.” Du aber, mein Sohn, kannst zu Bette gehen, vorausgesetzt, daß Du eins hast — ich werde heute Nacht mich meiner Ehr- und Würdentracht auch selbst entledigem.”
Um halb 10 Uhr kehrte ich heim; die Tennenthüren waren geschlossen, aber als letzten Waffengang hatte ich den Hausschlüssel mitgenommen, der so lang war wie ein Seitengewehr und so schwer wie das Infanterie-Gewehr Modell 88. „Es war stockfinst're Nacht, kein Stern am Himmel wacht', in solchem Dunkel man nicht ordentlich sehen kann” brummte ich vor mich hin, als ich die Schwelle überschritt. In der Tenne muhten die Kühe, die Pferde schlugen rasselnd mit den Ketten, und der Hahn krähte — er glaubte anscheinend in mir Petrus mit dem Himmelsschlüssel zu erkennen. Kein Licht in der Tenne, kein Licht in meinem Quartier — ich leuchtete mit einem Schwefelwachskerzchen und entdeckte, daß weder Licht noch Lampe vorhanden war, indeß Frosch mit gesträubten Locken mitten im Raume zwischen Bett und Sopha stand und knurrte. Ich sagte zu ihm: „Beruhige Dich, mein Sohn, auch mir gefällt es nicht. Aber auch an dieser Wand steht geschrieben: Allen zu gefallen ist unmöglich!”
Aber er knurrte grollend und rollend, und plötzlich bellte er laut und kurz.
Es war klar, in diser Nacht war es mir bestimmt, daß alle Hausthiere mich verkannten, Frosch hielt mich offenbar für Faust, und so gebot ich mit lauter Stimme: „Knurre nicht, Pintscher.”
Ich brannte noch ein paar Kerzchen ab, das Zimmer inspizirend, dann riegelte ich mit der Hakenvorrichtung ab. Nun war ich schlafbereit und auch schon wieder so müde, daß ich, kaum im Bett, sofort vom Schlaf und einem verstärkten Wäschegeruch, der diesem Bett anzuhaften schien, übermannt und hingenommen wurde. Mein letzter Gedanke waren Lord Byron's schöne Worte: „Ist die Nacht das halbe Leben und die schön're Hälfte doch.” Halb 10, halb 11, halb 12 zählte ich an den Fingern zusammen — um ein Viertel auf 5 Uhr mußte ich wieder aufstehen, da konnte ich also sechs und eine Viertel-Stunde schlafen.
Gute Nacht, Welt — Schlaf wohl Madrid —
Nie wende sich dein Glück.
Und während ich mich höflich von ihr entfernte, führte mich der Traum sofort auf die Haide von heute Morgen zurück und ließ mich springen, stolpern und versinken, meine Beine wie gefesselt, die Füße im rankenden Haidekraut — und immer noch keine Aussicht, an den Feind heranzukommen. Aber die Sonne binokelte mich lachend vom metallenen, glühenden Himmelszelt und sagte: „Lauf, lauf Kamerad — ich kann's mit ansehen — Du weißt doch, daß ich still stehe — aber Du beschränkter Affe sagst immer noch: die Sonne geht auf, die Sonne geht unter, obwohl Du weißt, daß ich stille stehe, und daß Du das Rennthier bist. Affe, Affe, Affe — — bumms, da lag ich!
Faktisch aus dem Bett gefallen!
„Um Gottes willen, die Erde lebt,” schrie ich auf — Frosch knurrte und kläffte, ich erhob mich, erschüttert vom Fall und Schreck — „um Gottes willen, die Erde lebt.”
Alles still und reglos, nur der Hund tappelte umher und knurrte.
Leise kroch mir ein Grauen den Rücken entlang. Was war los? Wie konnte ich aus dem Bett fallen? ich, ein Mensch, der wie ein Mehlsack mich niemals rührte und da aufzuwachen gewohnt war, wo Abends meine müden Knochen sich zusammengethan hatten.
Das war doch merkwürdig — sollte nicht etwa doch die Erde —
Ich riß wiederum ein Kerzchen an — sah mein Bett an — es war so harmlos, so simpel und so unverführerisch wie nur möglich. Schon wieder müde und übermannt kroch ich zurück und schlief auch sofort wieder ein.
Ich träumte deutlich mich in die Kindertage zurück, meine Mutter stand leise summend über mich gebeugt und band zu beiden Seiten meine Decke an, damit ich ja nicht herausfallen sollte. Ach eine so gute Mutter, wie ist sie doch fürsorglich — so gut hat man es nie wieder im Leben.
Meine liebe Mutter hatte die Decke aber nicht ganz fest gebunden — sie fing an zu rutschen — ich griff noch einmal hin, dann schlief ich ein — und dann erwachte ich — mein Deckbett war verschwunden. Gott sei Dank, es war ja auch so furchtbar heiß, aber wieder knurrte der Hund und schien sehr beunruhigt, er zerrte und tobte. Ich griff nach den Leuchtkerzchen, die Schachtel stand zwischen Kopfkissen und Bettrahmen, ich zündete wieder ein Kerzchen an, Frosch kroch soeben unter dem Deckbett glücklich heraus. Nun wurde ich vollkommen munter.
Wie war es möglich, daß ich das große Bett heruntergeworfen hatte? Litt ich denn heute Nacht an Epilepsie? Meine Glieder waren wie gelähmt, und ich war todtmüde — ich nahm mein Deckbett rasch auf, legte es ans Fußende recht weit zurück und konnte nicht mehr denken vor Müdigkeit, das war Arbeit für morgen, für heute bat ich nur: „Himmel, laß mich schlafen.”
Und ich schlief; gegen meine Gewohnheit schnarchte ich; deutlich hörte ich mich schnarchen, als ob ich ein Anderer wäre und horchend neben mir stände. Ich schnarchte sonst nie — bei Gott, ich schnarchte — ich begriff es mitten im Schlaf — ich begriff es so deutlich, daß ich abermals erwachte. Ich hörte nun auch Kettengerassel und sprach zu mir: „Mein Sohn, Du bist wohl ein Esel, denn das ist ein Pferd und das hat geschnarcht — Horch, horch! es schnarcht noch — es schnarcht, ja — es schnarcht.”
Und mir träumte, daß ich auf einem Zweig des alten Apfelbaumes in meiner Mutter Garten saß, und daß ich diesen Zweig absägte — rings blühten Flieder und Goldregen, und hinter dem Drahtgitter liefen gackernd die Hühner auf und ab, und unser alter Lulu stand knurrend und bellend daneben, plötzlich einen Satz vom Gitter in die Höhe machend, daß alle Thiere aufflogen. Ich flog auch auf — deutlich, ganz deutlich hatte mich Jemand auf den Leib geschlagen und mein Deckbett war schon wieder weg und wieder knurrte Frosch.
Ich fühlte, wie sich mir die Haare auf dem Kopfe sträubten — und das feine Gruseln im Rücken, das den Schlaf nicht zur Perfektion kommen ließ, nun war es wieder da, mich mit einem wahren Schüttelfrost völlig ermunternd. Ich lauschte mit den Ohren und allen Sinnen, meine angestrengten Blicke durch das Dunkel sendend.
Immer noch das Schnarchen — natürlich die Pferde — aber so nah — so fast greifbar nah! Ich war gewöhnt auf der rechten Seite zu schlafen, hier mit dem Gesicht nach dem Zimmer zu; nun wendete ich mich nach links, und wie ich den linken Arm vorschob, um den Kopf darauf zu legen, griff ich auf eine Faust.
Nun — nun hieß es Muth haben! Was ist eine Schlacht? Nichts, ein Vorstürzen Aller, eine wüthende hypnotische Raserei, wo der Einzelne schwindet im Gesammtbegriff — aber hier, mitten in der stillen Nacht eine Faust, eine fremde, große, harte Faust unter den eigenen Fingern — das war keine Kleinigkeit.
Und ich warf mich herum und zog diese Faust empor — griff weiter und zerrte an einem Menschen, der sich plötzlich über mich warf. Flüche und Wuthgeschrei, ein Ringen und Werfen, dazwischen der Hund, der zu mir aufs Bett gesprungen war, die Dunkelheit und die Unklarheit: was und woher dieser Mensch? Ein Höllenlärm — eine wahre Schlacht im Dunkeln und auf meinem Bett. Dann hatte ich ihn unter mir, und meine Kniee auf seine Brust setzend, fing ich an, mit meinen beiden Fäusten auf ihn einzuhauen, während der Hund, hin und her sich wälzend und durch uns gewälzt, sich an die Beine des Gespenstes machte.
„Hülfe, Hülfe, Hülfe! Diebe, Mörder!” Endlich Licht und Menschen, sie hatten den Riegel ausgerissen.
Mein Opfer keuchte erschöpft mit versagendem Athem, von seinen Beinen floß das Blut; es war ein junger Bengel von kaum 18 Jahren, groß und stark; ich war noch so von der Leidenschaft des Kampfes und des Sieges entzündet, daß ich abermals auf ihn einbläute, was für den Hund der Befehl für neue Bisse in die nackten Beine des Menschen war.
Wie eine Rasende stürzte die Wirthin auf mich zu:
„Herr, wullen Sei wul glicks min Söhn loslaten.”††††)
Sie hielt die Lampe über uns, und unwillkürlich löste ich die Hände von meinem Opfer. Mit einem Satz war er aus dem Bett heraus und hob drohend die Arme gegen mich.
„Weib — das ist Dein Sohn? — einen Offizier läßt Du in Deinem verfluchten Quartier von Deinem eigenen Sohn überfallen?”
„Herr, wo kännen Sei so wat seggen — kann hei nich ebenso good in dat Bett slapen as Sei?”†††††)
„Hier im Bett — ich habe doch allein darin gelegen — wo hat der Lümmel denn geschlafen?”
„Herr, dat Schimpen laten Sei nun man sien — hier hedd hei slapen.”‡) und die Leinenwand der Hinterwand aufhebend, enthüllte sie neben meinem schmalen Bett dessen andere Hälfte, die von der klugen Frau durch ein aufgehängtes Bettlaken, hinter welchem der Sohn geschlafen hatte, abgeschieden worden war. Es war ein breites, zweischläfriges Bett und konnte sehr wohl eine solche Anwendung vertragen, wie die empörte Mutter sie nun darstellte.
„Sünst släpt min Söhn hier ümmer mit uns Knecht tausamen — aber de Herr, de gistern hier wer, um for Sei Quartier tau macken, de segg, dat güng nich an, Sei mäten alleen slapen, und da hewwen wi den Knecht for hüt' Nacht up'n anner Fleck hinbrächt, un hedden dat Bedd nu so indeelt — denn Herr, dat kun'n wi denn doch nich weten, dat Sei sick so anstell'n würden.”‡‡)
„Liebe Frau, warum haben Sie mir das denn nicht gleich gesagt?” fragte ich ganz kleinlaut, ergriffen von der Strafrede der guten Frau.
„Ach wat — Sei wiren ja utgahn und dann, for dat viel Snacken un Reden sünd wi ni9ch bi uns; wi sünn anstännige Lüd, äwer Sei sünn wul von de willen Kamerunschen, nackendig waschen Sei sick uppe Strat, as wenn Swien afbrüht werd, un uppe Ird sitten Sei as 'nen Türk und freten mit Ehr Hund tausamen ut eenen Pott und denn makens Lärm und Striet in dei Nacht, as wenn dei Räuwer kommen wiren — un slagen mi min Jung halw dod — nee Herr, wi paßt nicht tausamen, dat deiht mi leed, aber wi paßt nich tausamen, — nee Herr, söken Sei sick man een anner Quartier.”‡‡‡)
Und die Uhr im Dorf holte aus und schlug vier.
Zerschmettert, zerschlagen an allen Gliedern, wüst im Kopf, wie nach einem Stiefelappell mit Nägel-Zählung, trostlos in meinem nichts durchbohrenden Gefühle blieb ich mit Haubenkieck und Frosch zurück, der als der einzig Vernunftbegabte in diesem Chaos sich schleunigst in das noch warme Bett zurückbegeben hatte — ich übersah nun deutlich das Schlachtfeld; schon lugte, funkelnd vor Vergnügen, vorsichtig die Sonne durch die verdammten „Trallen” und von irgend woher hörte ich deutlich den Schlaf kichern: „Na, Du — wollen wir noch ein bischen?”
Aber wie die Trompete von Jerichow schmetterte das Hornsignal die Schläfer aus der Ruhe, und mit einem Schreckenssatz sprang nun auch der arme Frosch von dem infamen, verdammten, niederträchtigen, geheimnißvollen Bett.
(*) Nun, das kann nett werden. (Zurück)
(**) Heute ist das zu heiß. (Zurück)
(***) Ach, wenn ich nur einen kleinen Schnaps hätte. (Zurück)
(****) Na, wenn es zwei wären, würde ich auch nicht nein sagen. (Zurück)
(*****) Na, solche kleine Flasche Bier von Eis — die konnte mein seliger Großvater sehr gut vertragen. (Zurück)
(†) Mensch, halt den Mund, nun sag' nur noch Spickaal. (Zurück)
(††) Na, kommen Sie doch noch? dann muß ich Ihnen wohl etwas zu essen bringen, gehen Sie nur so lange 'nein in Ihre Stube. (Zurück)
(†††) Warte, sagte der Schlaf, das will ich Dir gedenken, mein Junge. (Zurück)
(††††) Herr, wollen Sie wohl gleich meinen Sohn loslassen. (Zurück)
(†††††) Herr, wie können Sie so etwas sagen, kann er nicht ebenso gut in dem Bett schlafen wie Sie. (Zurück)
(‡) Herr, das Schimpfen lassen Sie nun man sein — hier hat er geschlafen. (Zurück)
(‡‡) Sonst schläft mein Sohn hier immer mit unserem Knecht zusammen, — aber der Herr, der gestern hier war, um für Sie Quartier zu machen, sagte, das ginge nicht an, Sie müßten allein schlafen, und da haben wir den Knecht für heute Nacht wo anders untergebracht und haben das Bett so eingetheilt — denn, Herr, das konnten wir doch nicht wissen, daß Sie sich so anstellen würden. (Zurück)
(‡‡‡) Ach was, Sie waren ja ausgegangen und dann — für das viele Reden und Sprechen sind wir hier nicht, wir sind anständige Leute, aber Sie sind wohl von den wilden Kamerunern, nackt waschen Sie sich auf der Straße, als wenn Schweine abgebrüht werden, auf der Erde sitzen Sie wie ein Türke und essen mit Ihrem Hund zusammen aus einem Topf, und dann machen Sie Lärm und Streit in der Nacht, als wenn die Räuber gekommen wären, und dann schlagen Sie mir meinen Jungen halb todt, nein Herr, wir passen nicht zusammen, das thut mir leid, aber wir passen nicht zusammen, mein Herr, suchen Sie sich nur ein anderes Quartier. (Zurück)
(1) Schiller, Wilhelm Tell, 4.Akt, 3.Szene: „In gärend Drachengift hast du die Milch der frommen Denkart mir verwandelt . . .” (Zurück)