Die Fürstentreppe

Militär-Humoresken und Satiren aus der Vorkriegszeit
von Freiherr von Schlicht

in: „Arme Schlucker”
Grethlein & Co., 1907 und
in: „Die Fürstentreppe”
Verlag Oskar Meister, Werdau, 1927

[Textliche Abweichungen in eckigen Klammern.]


Seine Hoheit kam schon heute von einer Reise zurück, ganz plötzlich und unerwartet.

Ursprünglich hatte er mehrere Wochen fernbleiben wollen, dann hatte es mit einem Male in der Zeitung geheißen: eine wichtige Regierungsangelegenheit zwänge Se. Hoheit, schon jetzt wieder zurückzukehren. Diese Nachricht sollte zugleich die herum­schwirrenden Gerüchte verstummen lassen, als ob wirklich etwas Wahres daran sei, daß Ihre Hoheit die Prinzessin Alexa eine tiefe Herzensneigung zu dem schönen Leutnant von Eckberg gefaßt habe. Das Gerücht verstummen, Se. Hoheit wünschte das auf das entschiedenste, und deshalb tat man Sr. Hoheit, der, beschränkt aber gutmütig, wie er war, auch niemand etwas tat, den Gefallen, so zu tun, als ob man es täte.

Hoheit hatte von dem Umschwunge in dem Glauben seiner Landeskinder in einer chiffrierten Depesche Nachricht erhalten, und da er den Schlüssel zu der Geheimschrift in der Gestalt seines Privatsekretärs mit auf die Reise genommen hatte, so war es ihm auch möglich, von dem Inhalt des Telegramms Kenntnis zu nehmen. Hoheit war beruhigt, aber doch noch nicht ganz.

Erst mußte er sich mit seiner Prinzessin-Tochter Alexa in einer Art und Weise aussprechen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Und deshalb kam er jetzt zurück.

Auf dem Perron standen die Beamten und der Minister des Hauses zum Empfange bereit, und endlich lief der Schnellzug, in den man für Seine Hoheit einen Salonwagen eingestellt hatte, in die Halle und der Fürst entstieg dem Kupee, aber nicht mit jener Frische und Leichtigkeit, die nach den Hofberichten selbst gichtkranke Fürsten im Gegensatz zu anderen Sterblichen bei solchen Gelegenheiten zur Schau zu tragen pflegen, sondern müde und schwerfällig.

Und doch war der Fürst erst sechzig Jahre alt, aber Sorgen machen viel älter, — und mißratene Kinder erst recht. Hoheit machte ein ganz betrübtes Gesicht, er sah ganz verstört aus, und sogar der Fürstenhut, derselbe niedrige, schwarze Hut, der dem Verkäufer den Titel „Hoflieferant” eingetragen hatte, saß ihm etwas schief auf dem Kopfe.

Hoheit erwiderte flüchtig den Gruß seines Ministers, dann wandte er sich mit ihm zum Gehen, und erregt, wie er war, folgte er all den anderen Passagieren, die nach der großen Haupttreppe drängten, durch die man von dem Perron auf die Straße gelangte.

Der Minister sah es und eine wahre Angst befiel ihn. Sollte Se. Hoheit unterwegs vor Schrecken über die unglückliche Herzensneigung seines Kindes seinen erlauchten Verstand verloren haben? Das wäre ein unersetzlicher Verlust gewesen, nie und nimmer durfte die Bevölkerung etwas davon erfahren, die mußte nach wie vor an die unfehlbare Weisheit ihres Landesherrn glauben.

Hoheit ging noch immer hinter den anderen Passagieren her.

Da nahm der Minister seinen schon so oft in den schwierigsten Situationen bewiesenen Mut zusammen und wagte es, seinen Herrscher unaufgefordert anzusprechen.

„Ew. Hoheit befinden sich auf dem falschen Wege.”

Aber Hoheit sah ihn vernichtend an: „Das tut eine Hoheit nie, Exzellenz.”

Exzellenz bemerkte: er war in Ungnade gefallen, aber er mußte da wieder heraus, so schnell wie möglich.

Und von neuem zeigte er seinen schon so oft in den schwierigsten Situationen bewiesenen Mut: er wagte es, Sr. Hoheit zu widersprechen: „Hoheit haben eben die große Gnade gehabt, meine untertänigsten Worte hochgeneigtest falsch zu deuten. Ich wollte natürlich nicht sagen, daß Ew. Hoheit sich auf dem falschen Wege befände, sondern auf dem Wege zur falschen Treppe. Die für Ew. Hoheit reservierte Fürstentreppe befindet sich dort.” Und mit dem ihm angeborenen Mut wies er nach dem Fürstenausgang.

Hoheit schrak ersichtlich zusammen: „Gott sei Dank, daß Sie mich noch rechtzeitig daran erinnern. Das wäre ja entsetzlich gewesen, wenn ich mich da mit dem Volke auf der anderen Treppe hätte herumdrücken müssen — gar nicht auszudenken, gewiß: man muß sich als Fürst populär machen, die Liebe unseres Volkes ist unser kostbarster Besitz, man kann nie genug tun, um sie zu gewinnen, — aber man darf deshalb doch noch nicht alles tun.”

Dann reichte er dem Minister die Hand: „Ich danke Ew. Exzellenz, mich vor einem faut pas bewahrt zu haben, dessen Konsequenzen garnicht abzusehen sind. Die Schranke zwischen Fürst und Volk muß aufrecht erhalten bleiben — fast hätte ich dagegen verstoßen. Ew. Exzellenz wollen meiner dankbaren Gesinnung versichert sein.”

Exzellenz war aus der Ungnade wieder heraus und strahlte vor Freude vor Freude aus allen Poren.

Aber Hoheit vermochte sich nicht so schnell zu beruhigen. Als er in seinem Leibwagen saß und von seinen Leibpferden, die von seinem Leibkutscher gelenkt wurden, ins Schloß fuhr und an dem allgemeinen Bahnausgang vorüberkam und dort die Menschenmenge sah, schauderte er nochmals zusammen: „Es wäre fürchterlich gewesen! Wenn ich denke, daß ich mich da hätte durchdrängen sollen — und auf der Treppe mit meinen Untertanen auf derselben Stufe gestanden hätte, wo ich doch sonst so hoch über ihnen stehe — garnicht auszudenken —.”

Wenig später fuhr der Wagen am Schlosse vor, und nachdem Hoheit sich von seinem Leibdiener den Reisestaub hatte abschütteln und sich die Hände hatte abwaschen lassen, ließ er seine Tochter Alexa zu sich bitten.

Die mußte auf diesen Befehl gewartet haben, denn sie war sofort zur Stelle, und zärtlich wollte sie ihren Vater umarmen, aber der hob hoheitsvoll abwehrend seine Hände: „Lassen wir das — [1927: kein Strich] wenigstens vorläufig. Ich habe ernsthaft mit dir zu sprechen — Du machst mir schwere Sorgen. Ich bin deinetwegen gezwungen worden, die mir von meinem Leibarzt anbefohlene Erholungsreise, deren ich nach den vielen Reisen, zu denen mich mein hoher, aber auch schwerer Beruf verpflichtet, dringend bedarf, zu unterbrechen. Und doch erfordert mein Stuhlgang — — doch lassen wir das bis nachher.”

Hoheit ließ sich an seinem mit zahllosen Photographien und Nippsachen reich besetzten Schreibtisch in einen Stuhl fallen, auf dessen hoher Lehne die Fürstenkrone leuchtete, und lud dann durch eine Handbewegung seine Tochter ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

Prinzeß Alexa war eine blendend schöne Erscheinung von zwanzig Jahren. Aber trotzdem hatte sie in ihrem ganzen Wesen etwas durchaus Natürliches und Frisches. Ebenso wie ihre Schwestern nach dem frühen Tode ihrer Mutter unter dem strengen Einfluß einer Oberhofmeisterin groß geworden, hatte diese es Gott sei Dank doch nicht vermocht, Alexas lustiges Temperament, das alles Zeremonielle auf den Tod haßte, zu töten.

Äußerlich [1927: Aeußerlich] war zwischen Vater und Tochter nicht die leiseste Ähnlichkeit [1927: Aehnlichkeit], und die böse Welt behauptete auch: Alexa wäre gar nicht sein Kind. Ein sehr schöner Adjutant Sr. Hoheit sollte es einmal Ihrer Hoheit angetan haben, und die Leute, die sich des Adjutanten noch erinnerten, erklärten: Alexa sähe ihm erschreckend ähnlich. Aber das war natürlich nur ein Gerede, denn je höher einer steht, desto leichter wagt sich die Verleumdung an ihn heran — —

Hoheit ahnte nichts von diesen Gerüchten, und wären sie ihm zu Ohren gekommen, dann hätte er ihnen natürlich nicht geglaubt, denn kein Ehemann glaubt, daß ihm selbst geschehen kann, was anderen so häufig passiert — —

Hoheit sah seine Tochter an und es kostete ihm beinahe Mühe, so ernst zu bleiben, denn Alexa war sein Lieblingskind, — [1927: kein Strich] aber gerade deshalb mußte er sie vor einem unüberlegten Schritt zurückhalten.

So begann er denn endlich: „Ist es wirklich wahr, Alexa, was mir zu Ohren gekommen ist, daß du deine Zuneigung zu einem Offizier meines Leibregiments, dem Leutnant von Eckberg, immer noch nicht aufgegeben hast?”

Alexas dunkle Augen leuchteten hell und freudig auf: „Ja, Papa! Du kennst ihn ja auch, du weißt, wie schön und wie klug er ist.”

Hoheit widersprach: „Ich weiß gar nichts, mein Kind. Und selbst, wenn ich etwas wüßte: ich muß trotzdem sagen: diese Liebe mußt du sofort aufgeben. In dem Herzen einer Prinzessin ist kein Platz für die Leidenschaft zu einem Mann [1927: Manne], der im Range so weit unter ihr steht. Eine Prinzessin flirtet nicht, wie andere junge Mädchen es tun — eine Prinzessin liebt nur einmal, und zwar den Mann, den ihr Vater für sie aussucht.”

„Und wenn ich den nun nicht lieben kann, weil ich bereits einen anderen liebe?”

Hoheit legte sein Gesicht in traurige Falten: „Du würdest anders denken, wenn du nicht das Unglück gehabt hättest, deine edle Mutter so früh zu verlieren, dann würdest du wissen, daß man nur seinesgleichen lieben kann. Die Neigung zu tiefer stehenden Menschen ist per— — nein, sagen wir lieber: sie ist anormal —.”

Diese Worte Sr. Hoheit waren vielleicht nicht ganz glücklich gewählt, denn Prinzessin Alexa kannte weder „Salome” noch Wedekinds Werke und so begriff sie ihren Vater nicht ganz, sondern fragte ganz unschuldig: „Und wenn ich nun in dieser Hinsicht anormal bin? Dafür kann ich doch nichts, das muß mir dann doch angeboren oder anerzogen sein.”

Hoheit richtete sich in seinem Stuhle auf und sah sein Kind ganz entsetzt an: „Alexa, du weißt nicht, was du da redest! Es hat ja aber auch keinen Zweck, ausführlich über diesen Punkt mit dir zu diskutieren. Ich bin zu dir gekommen, um dir auf das Bestimmteste zu erklären, daß du diese Zuneigung sofort aus deinem Herzen reißen mußt, denn daran, daß du diesen Leutnant jemals heiratest, ist natürlich nicht zu denken. Ich habe bereits Maßnahmen getroffen, daß er in eine andere Garnison versetzt wird. Du selbst begleitest mich auf meiner Reise — Ihr werdet euch nie wiedersehen und euch dann auch schnell vergessen.”

Aber Alexa ließ sich nicht einschüchtern: „Dazu ist es zu spät, Papa. Ich habe dies natürlich alles vorausgesehen und ihm deshalb schriftlich erklärt, daß ich mich durch keine Drohung dahin bringen ließe, mein ihm gegebenes Wort zu brechen. Und er denkt ebenso — er stirbt eher, als daß er mich aufgibt.”

Hoheit war fassungslos. So fand er zunächst keine Worte.

„Das hast du gewagt — ?” kam es endlich über seine Lippen. „Noch dazu, wo ich öffentlich in den Zeitungen erklären ließ, alle Gerüchte über dich wären erfunden — einem offiziellen Dementi gegenüber wagst du —”

Hoheit verstummte wieder. Das war zu viel.

Alexa stand auf und trat auf ihren Vater zu, aber der wehrte sie wieder ab:„Laß das, bitte! Jetzt noch mehr als vorhin. Ich muß überlegen, was ich tun kann, um dich von diesem Schritt zurückzuhalten —.”

Hoheit dachte lange nach, dann wollte er sagen: heiratest du diesen Menschen wirklich, dann verstoße ich dich —.

Aber die Rolle lag ihm nicht, dazu hatte er sein Kind zu lieb, er mußte etwas anderes finden, um es einzuschüchtern, um seiner Alexa ein für allemal gründlich die Lust und Laune daran zu verderben, eine solche Mesalliance einzugehen.

Es dauerte sehr lange, bis Hoheit das Richtige fand. Dann aber flog ein stolzes, freudiges Lächeln über seine Züge: zur rechten Zeit kam ihm noch die Erinnerung an das, was ihm vorhin auf dem Bahnhof beinahe begegnet wäre.

Alexa deutete den Blick ihres Vaters falsch: sie glaubte, er gäbe nun jeden Widerstand auf und freue sich mit ihr ihres Glücks. Und dieses Mal flog sie ihrem Vater so schnell um den Hals, daß er sich ihrer Liebkosung nicht erwehren konnte.

Dann aber machte er seinem Herzen um so energischer Luft: „Du irrst, Alexa, wenn du glaubst, daß ich jemals meine Ansicht über den Punkt ändern werde. Setz' dich hin und höre mir zu. — Ich will dir eins erklären — und ich schwöre dir, daß ich davon nicht abweichen werde. — Du kennst auf unserem Bahnhof die Fürstentreppe, die nur wir benutzen dürfen, und du kennst den Fürstenpavillon, durch den wir auf die Straße treten und vor dem unsere Leibkutscher uns erwarten, wenn wir von einer Reise zurückkommen.”

Alexa sah ihren Vater etwas erstaunt an: „Gewiß, Papa, — aber was soll das?”

„Das wirst du sofort erfahren, mein Kind,” fuhr Hoheit in strengem Tone fort: „Wenn du wirklich diesen Leutnant gegen meinen Willen heiratest, dann bleibt dir diese Fürstentreppe fortan für alle Zeiten verschlossen. — Ja, sieh mich nur an, ich wiederhole, daß ich meine Ansicht nicht ändere. Heiratest du diesen Offizier, dann darfst du später, wenn du mich besuchst, diese Treppe nicht mehr benutzen. Höre genau auf das, was ich sage: Du mußt dann in Zukunft die allgemeine Bahnhofstreppe betreten, dich zwischen Kreti und Plethie, zwischen Obstfrauen und Handwerksburschen, zwischen [1927 fehlt: zwischen] Ladenfräuleins und Kommis hindurchdrängen. Mach' dir klar, was das heißt. Und wenn du dir das klar gemacht hast, dann wirst du wissen, was du zu tun hast. Es tut mir leid, so grausam hart gegen dich sein zu müssen, aber ich sehe kein anderes Mittel, um dich von dieser wahnsinnigen Leidenschaft zu kurieren.”

Ehe Hoheit es hindern konnte, lag Alexa zu seinen Füßen und küßte ihm immer wieder die Hände.

Hoheit wurde gerührt: „Steh' auf, Alexa. Kniefällig brauchst du mich nicht um Verzeihung zu bitten, — auch eine Prinzessin kann sich einmal irren — und du bist ja noch so jung. Deine Zuneigung war ja beklagenswert, aber sie war kein Verbrechen. Doch ich bin natürlich froh, daß du noch zur rechten Zeit zur Einsicht kommst.”

Da sprang Alexa auf: „Aber Papa! Ich bin ja gar nicht kuriert, im Gegenteil: jetzt, wo ich sicher weiß, daß ich ihn doch heiraten werde, liebe ich ihn mehr als je. Denn — Papa — ob ich später die Fürstentreppe noch benutzen darf oder nicht, ist mir so gleichgültig, wie kaum etwas anderes auf der Welt — wenn ich nur ihn habe!”

Hoheit war fassungslos. — —

Und als Alexa ihn verlassen hatte, saß er noch stundenlang im tiefsten Nachdenken da. — —

So fand ihn auch noch Se. Exzellenz der Herr Minister, und da Se. Hoheit ihn nicht ansprach, nahm Se. Exzellenz seinen schon so oft in den schwierigsten Situationen erprobten Mut zusammen und erlaubte sich die untertänigste Frage, welchen Verlauf die Unterredung mit der Prinzessin Alexa genommen habe.

Da richtete Hoheit sich in seiner ganzen Würde empor, und nach einer feierlichen Pause sagte er langsam:

„Exzellenz — — Gott ist mein Zeuge — ich habe nichts unversucht gelassen, um Prinzessin Alexa umzustimmen. Ich habe sie schließlich vor eine Wahl gestellt, bei der mein Vaterherz blutete — ich habe ihr eine Strafe auferlegt, wie sie härter und grausamer nicht gedacht werden kann: ich habe ihr für die Zukunft — die — Fürstentreppe verboten, — — aber trotzdem — —”

Exzellenz glaubte nicht recht gehört zu haben: „Hoheit — trotzdem —?”

„Ja, ja, Exzellenz, — trotzdem — —.” Der hohe Herr schwieg einen Augenblick, dann meinte er, während er halb traurig, halb sehnsuchtsvoll vor sich hinblickte: „Nicht wahr, Exzellenz, man könnte diesen Leutnant beneiden — — es muß für einen Mann doch schön sein, so geliebt zu werden. — —.”


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© Karlheinz Everts