Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Moderne Kunst”, Jahrgg. 24 (1909/10), Seite 230,
in: „Richtung, Fühlung, Vordermann!” und
in: „An die Gewehre”
Wenn es in der Natur Frühling wird, wenn da draußen das erste junge Grün erscheint, und die ersten Blumen und Knospen heimich und verstohlen zur Erde hinausschauen, als getrauten sie sich noch nicht recht, sich sehen zu lassen, dann ist auch beim Militär der Winterschlaf beendet und zum Zeichen, daß es nun wirklich Frühling wird, stellen sich bei allen Regimentern die Reserveoffiziere ein. Die Zivilisten nennen diese Herren meistens die Sommerleutnants, in militärischen Kreisen aber heißen sie „die Frühlingsboten”.
In der Garnison, in der Herr Oberst von Remmberg das Kommando über das Infanterieregiment führte, hatte der liebe Gott gleich sechzehn Frühlingsboten auf einmal gesandt. Das war, wenn auch nicht gerade allzuviel, so doch immerhin mehr als doppelt und dreifach genug, und der Herr Oberst stöhnte denn auch ziemlich schwer auf, als die Herren sich bei ihm zu einer „achtwöchentlichen Übung” eingezogen meldeten.
Nur ein wahres Glück, daß die Herren, den neuen Bestimmungen gemäß, erst einen vierzehntägigen Kursus auf dem Truppenübungsplatz hatten durchmachen müssen, bevor sie bei der Truppe selbst Dienst taten. Einige militärische Kenntnisse hatten sie sich da ja schon angeeignet, aber es war ja nur natürlich, daß sie noch viel hinzulernen mußten und dafür, daß sie es taten, war der Herr Oberst in erster Linie verantwortlich.
Aber nicht nur der Herr Oberst stöhnte darüber, daß die Zahl der Reserveoffiziere so groß war, seine Gattin stöhnte mit, wenigstens heute. Frau von Remmberg, eine trotz ihrer fünfzig Jahre noch immer schöne und auffallend schlanke Erscheinung, hielt Empfang ab und nahm die Besuche der zur Dienstleistung eingezogenen Herren entgegen. Die Offiziere lösten einander ab, wie die Posten sich vor dem Schilderhaus. War der eine eben gegangen, kam ein anderer, und da es der Frau Oberst natürlich ganz unmöglich war, mit den ihr völlig fremden Herren etwas anderes als nur die gleichgültigsten Dinge zu besprechen, so besprach sie die immer von neuem und atmete erleichtert auf, als endlich der letzte der Herren gegangen war.
„Können wir nun endlich essen?” fragte der Oberst, als sie in sein Zimmer trat, in dem ihr Mann und ihre achtzehnjährige, bildhübsche Tochter Vera sie voller Ungeduld erwartet hatten, „es ist jetzt gleich drei, und um zwei wollten wir zu Tisch gehen, na, hoffentlich ist das Mittagessen nicht ganz verdorben.”
Die Frau Oberst suchte ihren Mann zu beruhigen, und als ganz verdorben erwies sich die Mahlzeit denn auch wirklich nicht, aber sie hatte entschieden viel zu lange auf dem Feuer gestanden. Der Herr Oberst schalt nicht schlecht, die Frau Oberst war müde und abgespannt, und vergebens suchte Vera, eine mittelgroße, schlanke Erscheinung, mit einem allerliebsten Gesicht, aus dem zwei große, blaue Augen mit dichten, langen schwarzen Wimpern fröhlich in die Welt blickten, durch ihr übermütiges Geplauder eine frohe Stimmung wieder hervorzurufen. Aber es gelang ihr nicht, und die verdrießliche Stimmung wurde noch schlechter, als plötzlich der Bursche in das Zimmer trat und auf einem silbernen Tablett eine Visitenkarte überbrachte: „Der Herr Leutnant der Reserve Werner wünscht der gnädigen Frau seine Aufwartung zu machen.”
„Ja, aber haben Sie denn nicht gesagt, daß wir bei Tisch sitzen?” fragte die Hausfrau.
„Zu Befehl,” gab der Bursche zur Antwort, „aber der Herr Leutnant läßt sich nicht abweisen, er sagt, die gnädige Frau würde ihn schon noch annehmen, und wenn die Herrschaften erlaubten, würde er sehr gerne einen Teller Suppe mitessen, eingeladen wäre er.”
Mehr als verwundert sahen sich alle an, bis der Oberst sagte: „Ich habe ihn nicht eingeladen, und ich kenne überhaupt keinen Werner.”
„Und ich auch nicht,” stimmte seine Frau ihm bei.
„Aber ich,” rief Vera plötzlich. „und da ich ihn kenne, kennt ihr ihn natürlich auch, vorausgesetzt, daß dieser Herr Werner derselbe ist, dessen Bekanntschaft wir im vorigen Jahr auf Norderney machten. Ihr müßt euch doch seiner noch erinnern, wir waren ja fast täglich zusammen. Und jetzt fällt mir auch ein; als wir abreisten, batet ihr ihn, wenn sein Weg ihn einmal hierher führte, uns aufzusuchen und sich der Einfachheit halber ohne Umstände gleich bei uns zu Tisch anzusagen. Recht hat er, eingeladen ist er.”
„Sowas sagt man, aber man denkt sich doch nichts dabei,” schalt der Herr Oberst vor sich hin. „Wenn solche Aufforderung immer gleich ernst genommen wird, kann man nächstens überhaupt nichts mehr sagen. Und außerdem war er damals Zivilist, jetzt aber ist er Soldat, und ich bin sein Vorgesetzter. Da kann er mir doch nicht so ohne weiteres in die Suppenterrine hineinfallen.”
Die Frau Oberst hatte sich ihrer Tochter zugewandt: „Glaubst du wirklich, daß es der Herr Werner ist? Dann können wir ihn allerdings nicht gut abweisen.”
„Sicher ist er es,” meinte Vera, „denn einen anderen Werner kenne auch ich nicht, und der Name ist mir dadurch in Erinnerung geblieben, daß ich täglich mit ihm Tennis spielte.”
„Richtig, richtig, nun fällt auch mir alles wieder ein,” meinte die Mutter, und in ihrer Erinnerung mußte noch manches andere plötzlich wieder wach geworden sein, denn forschend und prüfend sah sie jetzt ihre Tochter an. Und wenn die sich auch bemühte, so unbefangen wie nur möglich zu bleiben, so konnte sie es dennoch nicht verhindern, daß ein leises Rot ihre Wangen färbte. Das sagte ihr genug, und so wandte sie sich an ihren Mann: „Nicht wahr, lieber Fritz, wir lassen bitten?”
Der knurrte noch mancherlei vor sich hin, dann meinte er: „Na meinetwegen, aber viel Freude wird er an dem Mittag nicht erleben. Eigentlich müßte man ihm den guten Rat geben, sich erst vorher wo anders satt zu essen, ehe er sich zu uns an den Tisch setzt. Aber wenn es denn nicht anders geht, dann meinetwegen — wir lassen bitten.”
Der Diener verschwand, und als man wenig später den Gast begrüßte, war es wirklich derselbe Herr Werner, den man in Norderney kennen gelernt hatte. Er war derselbe, und doch erschien er allen als ein ganz anderer, namentlich Vera erkannte ihn kaum wieder. Wie hübsch und elegant hatte er stets in dem weißen Tennisanzug oder auf der Réunion im Frack ausgesehen; aber die Uniform stand ihm gar nicht, und vor allen Dingen hatte er es noch nicht gelernt, sie zu tragen. Und je mehr er sich Mühe gab, als Offizier zu erscheinen, um so deutlicher bewies er, daß er nur ein uniformierter Zivilist war.
Er bemerkte den schlechten Eindruck, den seine äußere Erscheinung hervorrief, und war klug genug, das selbst einzugestehen: „Ich fürchte, Herr Oberst, Sie werden noch viel Mühe und Arbeit mit mir haben, bis der militärische Geist mir vollständig in Haut und Knochen gedrungen ist, und da ich selbst am besten weiß, daß mir vieles, wenn nicht alles zum Soldaten fehlt, hätte ich mich auch nie in meinem Leben zum Reserveoffizier wählen lassen, wenn da nicht ganz bestimmte Gründe mitgesprochen hätten.”
„Und die wären?” fragte der Herr Oberst.
Aber der Leutnant der Reserve blieb die Antwort schuldig: „Ich bitte um Verzeihung, Herr Oberst, wenn ich mich darüber ausschweige, es handelt sich da um rein private Interessen.”
Der Kommandeur war von diesen Worten nichts weniger als erbaut. Er war Offizier mit Leib und Seele, für ihn gab es überhaupt keinen anderen Beruf auf der Welt, als den des Soldaten. Der war ihm geradezu heilig, und daß man, wenn auch nur Reserveoffizier, aus einem anderen Grunde wurde, als aus tiefinnerster Überzeugung, das wollte ihm absolut nicht in den Sinn. Wie konnte man sich nur lediglich aus privaten Gründen wählen lassen. Die verstand er nicht, das kam ihm beinahe wie eine Entweihung des bunten Rockes vor. Und allzu freundlich waren die Blicke nicht, mit denen er seinen Gast musterte.
Um so mehr hatte dessen Antwort der Frau Oberst gefallen, wenigstens der Blick, den er, während er sprach, wie zufällig auf ihrer Tochter ruhen ließ. Und plötzlich wurde die Vermutung in ihr wach, daß er sich nur deshalb habe wählen lassen, noch dazu bei dem Regiment ihres Mannes, um für längere Zeit in die hiesige Stadt zu kommen, und um die im vorigen Jahre mit ihrem Kinde geschlossene Bekanntschaft zu erneuern und zu befestigen.
Die Frau Oberst hätte keine Mutter sein müssen, um nicht schon in diesem Augenblick die beiden im Geiste als ein verheiratetes, glückliches, junges Paar vor sich zu sehen, und sie gelobte sich, ihrerseits alles zu tun, was sie könnte, damit aus der Sache etwas würde, denn einen besseren Schwiegersohn konnte sie sich gar nicht wünschen. Sie hatte damals auf Befragen erfahren, daß er einer sehr guten Familie entstamme. Sein Vater, ein großer Handelsherr, bekleidete in seiner Stadt ein hohes Ehrenamt und galt dort als einer der angesehensten Bürger.
Und je mehr sie im Laufe des Abends ihren Gast auf Herz und Nieren prüfte, um so mehr wurde sie wirklich für ihn eingenommen, und mit stiller Genugtuung merkte sie, welchen Gefallen auch Vera an ihm zu finden schien. Die war noch lustiger und übermütiger als sonst, und die Unterhaltung zwischen ihnen beiden stockte nicht ein einziges Mal.
Um drei Uhr war der Gast gekommen, es war beinahe sieben, als er sich anschickte, aufzubrechen.
„Gott sei Dank,” dachte der Oberst, „da kann ich mir endlich meinen bequemen Hausrock anziehen und meinen gewohnten Nachmittagsschlaf machen. Es ist dazu ja schon eigentlich reichlich spät, aber lieber spät als gar nicht, und die Mittagszeitung habe ich auch noch nicht in Ruhe gelesen.” Und als der Gast immer noch nicht zur Tür ging, sagte er im stillen: „Na, nun gehe schon!”
Aber der ging trotzdem nicht, denn plötzlich sagte die Hausfrau: „Eigentlich können wir Sie jetzt noch gar nicht gehen lassen, Herr Leutnant, denn in einer Viertelstunde essen wir zu Abend, und da Sie heute Mittag doch sicher nicht satt geworden sind, müssen Sie noch ein Butterbrot mit uns essen, oder haben Sie etwas anderes vor?”
Wieder flog sein Blick zu Vera hinüber: „Das gerade nicht, gnädige Frau, und wenn ich wirklich nicht störe —”
„Aber davon kann doch gar nicht die Rede sein,” meinte die Hausfrau sehr liebenswürdig.
„Dann bleibe ich natürlich mit Freuden,” meinte der Herr Leutnant und anstatt fortzugehen, ließ er sich jetzt wieder bequem auf seinem Sessel nieder. Voller Spannung hatte der Herr Oberst auf den Ausgang dieses Gesprächs gewartet, und als das nun einen ganz anderen Verlauf nahm, als er im stillen erhoffte, konnte er kaum länger an sich halten vor Ingrimm und Ärger.
So war er denn auf den Herr Leutnant sehr schlecht zu sprechen, als der sich endlich gegen zehn Uhr wirklich verabschiedete, und als Mutter und Tochter in gleicher Weise von ihm entzückt waren. Allerdings, das gestanden auch die Damen ein, allzu militärisch war er ja vorläufig noch nicht. Aber das würde er mit der Zeit schon werden, und im schlimmsten Falle konnte er ja als Leutnant der Reserve wieder den Abschied nehmen.
Das brachte jedoch den Herrn Oberst erst recht in Harnisch. „Ist man einmal Offizier, dann bleibt man es auch bis zum letzten Atemzug oder bis man den Abschied bekommt, freiwillig reicht man den nicht ein, und ans Abschiednehmen darf der Herr Luetnant nicht denken, sondern nur daran, daß er etwas lernt. Wenn aber seine Kenntnisse seinem unmilitärischen Äußeren entsprechen, wird es mit denen noch gewaltig hapern. Auf jeden Fall werde ich ihn mir ganz besonders genau ansehen.”
Der Herr Oberst hielt damit Wort, und allzu erfreulich waren die Entdeckungen, die er da machte, gerade nicht, weder für ihn noch für den armen Leutnant. Der Herr Oberst kam aus dem Ärger gar nicht heraus, und der Herr Leutnant stand beständig in der beim Militär so bekannten und gefürchteten „stillen Ecke”, in der der Vorgesetzte dem Untergebenen immer von neuem unter vier Augen auseinandersetzte, daß es so nicht weiter ginge, daß er sich endlich bemühen müsse, sich die ihm fehlenden Kenntnisse anzueignen.
Und der Herr Leutnant bemühte sich redlich, aber es gelang ihm nicht; ihm fehlte nun einmal jegliches Talent zum Soldaten. Schon als Einjähriger hatte er nur Geringes geleistet. Wenn er trotzdem später die Qualifikation zum Reserveoffizier erhielt, so geschah das mehr mit Rücksicht auf seine gesellschaftliche Stellung als wegen seiner Kenntnisse. Niemals hätte er auch daran gedacht, sich wählen zu lassen, wenn es nicht Veras wegen geschehen wäre, wie deren Mutter richtig vermutete.
Erschien er am Nachmittag auf dem Tennisplatz; so hatte Vera oft Mühe genug, ihn zu trösten, schon deshalb, weil sie selbst nicht so recht an ihre Trostworte glaubte. Auch ihretwegen blickte sie voll banger Sorge in die Zukunft, denn darüber, daß er sie liebte, konnte sie ebenso wenig im Zweifel sein, wie darüber, daß sie selbst ihn liebte. Aber ebenso klar war ihr auch, daß ihr Vater niemals einen Schwiegersohn aufnehmen würde, der nicht ein guter Soldat war.
Wohl drei Wochen waren so vergangen, als Werner eines Mittags ganz besonders erregt auf dem Tennisplatz erschien, und auch ohne daß er es sagte, wußte sie, was vorlag. Ihr Vater hatte schon bei Tisch davon gesprochen. Seine Exzellenz, der Herr Divisionskommandeur, hatte sich ganz plötzlich zu morgen angesagt, es sollte eine große Gefechtsübung stattfinden, bei der Exzellenz die Reserveoffiziere auf ihre Leistungen hin prüfen wollte. Ihr erster Gedanke war Werner gewesen; wenn der nur wenigstens keine allzu großen Dummheiten machte, dann konnte am Ende doch noch alles gut werden. Sie unterhielten sich jetzt darüber, was die nächsten vierundzwanzig Stunden wohl bringen würden, und schließlich fragte er: „Glauben Sie nicht auch, daß es das Beste ist, wenn ich mich krank melde und mich für ein paar Tage ins Bett lege. Dann werde ich wenigstens noch gesünder, als ich es ohnehin schon bin; aber wenn ich die Übung mitmache, bin ich morgen Mittag eine Leiche, denn dann bringen die hohen Vorgesetzten mich um.”
Das war auch ihre feste Überzeugung, aber trotzdem widersprach sie: „Um Gottes willen, melden Sie sich nur nicht krank, das verzeiht Ihnen Papa nie, dann haben Sie es für alle Zeiten mit ihm verdorben. Machen Sie die Übung mit, vielleicht geht es besser, als wir glauben.”
Er stöhnte so schwer auf, daß sie nun doch unwillkürlich lachen mußte. „Gott geb's,” meinte er dann. — „Er wird es schon geben,” beruhigte sie ihn, „und auch ich will mein möglichstes für Sie tun, ich werde den ganzen Vormittag für Sie den Daumen drücken.”
„Wirklich,” rief er erfreut, „wenn das nichts hilft, dann hilft gar nichts mehr. Aber wenn es geholfen hat, gnädiges Fräulein, wenn ich nicht nur keine Dummheiten mache, sondern wenn vielleicht sogar ein Wunder geschieht, und ich ein, wenn auch noch so bescheidenes Lob ernten sollte, dann, Fräulein Vera, darf ich dann —” Er hielt inne und sah zu ihr, die ihm glücklich lächelnd, aber doch ein klein wenig verlegen, gegenüberstand. Er trat noch näher auf sie zu, und mit leiser Stimme bat er: „Darf ich Ihnen dann sagen, Fräulein Vera, was Sie ja doch schon lange wissen, und wollen Sie mir dann auf meine Frage Antwort geben?”
Sie nickte ihm mit einem Blick voller Liebe zu, und in seinen Augen blitzte es hell und freudig auf: „Wirklich,” rief er freudestrahlend, „na, dann mag Exzellenz ruhig kommen, nun habe ich keine Angst mehr vor ihm.”
Und Exzellenz kam, begleitet von seinem Adjutanten. Schon in früher Stunde rückte das Regiment zu dem weit entfernt liegenden Rendezvous-Platz heraus, und als man dort ankam, überreichte der Adjutant Seiner Exzellenz jedem der Reserveoffiziere in einem versiegelten Kuvert einen Spezialauftrag, der erst auf dem vorgeschriebenen Platz, der auf dem Umschlag bezeichnet war, geöffnet werden durfte.
Allzu wohl war den Reserveoffizieren nicht zu Mute, und der arme Werner schwitzte beinahe Blut vor Angst, denn nun war er ganz alleine auf sich angewiesen und mußte einen Auftrag mit den vierzig Mann, die ihm zugewiesen wurden, völlig selbständig ausführen, denn es wurde den Herren sogar zur strengsten Pflicht gemacht, auch die alten und erfahrenen Unteroffiziere nicht um Rat zu fragen. Das war eine schöne Geschichte, die konnte gut werden, und nun erst hinterher die Kritik— ihn schauderte jetzt schon, wenn er nur daran dachte, und sein letzter Mut schwand dahin, als der Herr Oberst ihm jetzt einen Blick zuwarf, der zu sagen schien: „Na, auf die Torheiten, die du machen wirst, bin ich besonders neugierig.”
Gleich darauf nahm die Übung ihren Anfang, und als sie schließlich am späten Mitag ihr Ende erreichte, war Exzellenz bei der Kritik in der allerbesten Laune. Fast alle Herren hatten ihren Auftrag zu seiner vollsten Zufriedenheit gelöst; aber das höchste Lob erntete doch der Leutnant der Reserve Werner.
„Hätte ich das vorausgesehen, meine Herren, daß Sie alle Ihre Sache so gut machen würden,” schloß Exzellenz seine Besprechung, „dann hätte ich meinem Adjutanten, dem Herrn Major, eine große Arbeit ersparen können. Da es mir mit Rücksicht auf meine jetzt gleich bevorstehende Rückreise natürlich nicht möglich ist, jeden der sechzehn Aufträge mit jedem der einzelnen Herren ausführlich zu besprechen, habe ich meinen Adjutanten gebeten, die Lösung jeder Übung, die einzelnen Marsch- und Angriffsbefehle und so weiter kurz auszuarbeiten. Sie finden das Näher ein den Kuverts, die Ihnen der Herr Major nun aushändigen wird.”
Das geschah denn auch. Jeder der Herren erhielt ein Kuvert, nur für Werner war keins da. Der Adjutant suchte in allen Taschen, aber er fand es nicht: „Da muß ich es doch zu Hause haben liegen lassen,” meinte er endlich.
„Na, das schadet ja gerade in diesem Falle nichts,” versetzte Exzellenz, „Herr Leutnant Werner hat seine Sache ja so gut gemacht, daß er aus Ihrer Ausarbeitung doch wohl nichts anderes ersehen hätte, als was er selbst anordnete. Da wollen wir uns jetzt hier nicht länger aufhalten. Guten Morgen, meine Herren.”
Er galoppierte davon, um noch rechtzeitig zur Bahn zu kommen, und die Truppe trat den Rückmarsch an.
„Wenn ich nur eine Ahnung hätte, wie der Werner es angestellt hat, so hohes Lob zu ernten?” dachte der Herr Oberst, „denn gerade sein Auftrag war sehr schwierig. Wie hat er das nur angefangen!”
Der Herr Oberst selbst erfuhr es nie, damit er den guten Glauben an die militärischen Fähigkeiten des Herrn Leutnants nicht wieder verlöre; seiner Vera aber vertraute Werner das Geheimnis an, jedoch auch erst dann, als sie seine Frau war. Da erfuhr sie, daß ihr Daumendrücken allein nicht geholfen hatte, wie er ihr immer sagte. In Wirklichkeit hatte in dem Kuvert, das die Aufgabe enthielt, zugleich auch die Ausarbeitung gelegen, die der Adjutant in ein falsches Kuvert gesteckt, und wie er bei der Kritik behauptete, zu Hause vergessen hatte.