Humoreske von Frhr. v. Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 10.Nov. 1900 und
in: „Vielliebchen”.
Der Herr Oberst hat vor wenigen Minuten den Befehl über das Infanterie–Regiment übernommen; mit stolzer, selbstbewußter Stimme hat er, während die Truppe in der Parade–Aufstellung unter präsentirtem Gewehr vor ihm stand, die Worte gesprochen: „Das Regiment hört von nun an auf mein Commando,” und dann hatte er, so schön wie es eben nur ein Oberst kann, commandirt: „Das Gewehr — über.”
Aber der Griff hatte absolut nicht geklappt, schuld daran war der Commandeur selbst gewesen. Für gewöhnlich gibt der Oberst nur den Befehl für die Griffe, die dann auf das Commando der Bataillonscommandeure ausgeführt werden. So war es gekommen, daß einige Leute sich die Flinte auf die Schulter warfen, während die Meisten ruhig unter präsentirtem Gewehr stehen blieben und warteten, was der Herr Major sagen würde.
Schön war es nicht gewesen, und von einem Anderen hätte der neue Commandeur gesagt: „Der Mann hat sich blamirt.”
Von sich selbst dachte er Das nicht einmal.
Schließlich hatte auch der letzte Krieger seine Flinte da auf der Schulter liegen gehabt, wo sie nach dem Reglement liegen muß, und dann war der Befehl er folgt: „Gewehr ab — die Bataillone sind entlassen, ich wünsche nur die Herren Officiere und die Unterofficiere noch einen Augenblick zu sprechen.”
Der Oberst rief und Alle, Alle kamen.
Der Teufel hätte sie wahrscheinlich geholt, wenn sie nicht gekommen wären, sondern sich mit einem: „Bedaure leider tief, ja tief, Das stand im letzten Brief, ja Brief” entfernt hätten.
In einem Halbkreis, dessen Radius genau der Hochachtung gleicht, die man einem neuen Oberst schuldig ist, haben sich die Officiere und Unterofficiere um den Commandeur aufgebaut, und sie lauschen jetzt den Worten, die dem vorgesetzten Munde entströmen.
„Ich habe Sie zu mir gebeten,” beginnt der Herr Oberst, „um noch einige Worte an Sie zu richten.”
„Das habe ich mir wohl gedacht,” denkt ein junger Leutnant, und durch diesen Gedanken beweist er, daß er seinen Beinamen „Der freche Dachs” nicht ohne Grund führt.
„Die kriegsgemäße Ausbildung eines Regiments ist in der heutigen Zeit keine leichte Arbeit,” fährt der Herr Oberst fort, „und darum möchte ich Sie bitten, daß Sie mich dabei nach besten Kräften, ein Jeder an seinem Platze und innerhalb des ihm zugewiesenen Wirkungskreises unterstützen mögen.”
„Na, wollen mal sehen, was sich machen läßt,” denkt der freche Dachs, dann lauscht er weiter.
„Natürlich kann es jetzt nicht meine Aufgabe sein,” sprcht der Commandeur, „Ihnen lang und ausführlich auseinander zu setzen, nach welchen Grundsätzen ich die mir durch die Allerhöchste Gnade anvertraute Truppe auszubilden gedenke, Ihnen die Puncte zu nennen, auf die ich besonders Werth lege, sowie diejenigen Ihnen namhaft zu machen, die nach meiner Ansicht von untergeordneter Bedeutung sind. Darüber sprechen wir ein anderes Mal!”
„Hoffentlich erlebe ich den Tag nicht,” denkt der junge Leutnant, „denn eine dunkle Ahnung sagt mir, daß die Unterhaltung zwar sehr lang, aber keineswegs genußreich werden wird.”
„Nur eine Sache möchte ich heute schon mit Ihnen besprechen,” ertönt nach einer kleinen Pause die Stimme des Herr Oberst von Neuem, „und was ich Ihnen sagen möchte, Ihnen schon heute zu sagen für meine Pflicht halte, ist Folgendes: Ich bin ein ausgesprochener Feind von Schelt- und Schimpfworten, ich habe es in meinem Bataillon und auch früher in meiner Compagnie nie geduldet, daß meine Officiere und Unterofficiere mit Kraft–Ausdrücken um sich werfen. Glauben Sie mir, der ich nicht nur Ihr Vorgesetzter, sondern der ich auch dem Alter nach und an Erfahrungen der Aelteste von Ihnen bin, glauben Sie mir, es geht auch ohne dem, es geht sogar viel besser, wenn man die Mannschaften freundlich behandelt, als wenn man sie gleich mit irgend welchen Schimpfworten titulirt. Daß das geringe Begriffsvermögen unserer Leute uns oft zur Verzweiflung treibt, daß die Scheltworte nicht halb so ernst, nicht halb so schlimm gemeint sind, wie sie sich anhören, Das weiß ich sehr wohl, aber wir müssen uns soweit erziehen, daß wir die in uns aufsteigende Erregung niederkämpfen können — sich selbst bezwingen, ist der schwerste Sieg. Und darum, meine Herren, ermahne ich Sie und auch die Unterofficiere — ich möchte aus Ihrem Munde weder auf dem Casernenhof, noch auf dem Exercierplatz jemals ein Schimpfwort hören, ich hoffe, daß Sie Alle diesen meinen Wunsch respectiren; ich danke Ihnen.”
Der Halbkreis löst sich auf — mit einer tadellos strammen Kehrtwendung verabschieden sich die Unterofficiere, während die Herren Officiere die Hand an den Helm legen und sich dann langsam rückwärts concentriren.
Jeder denkt, es ist vorbei |
aber sie irren sich, so flink geht es nicht.
Die Herren Bataillonscommandeure wünschen ihre Officiere und Unterofficiere noch eine Minute zu sprechen, und namentlich der Major v. Grobielski hat allerlei auf dem Herzen. Er führt seinen Namen nicht ohne Grund, und er hat sich bis zu dieser Stunde redlich bemüht, seinem Namen Ehre zu machen: seine Grobheit war bekannt, und böse Zungen behaupteten, er arbeite an einem Taschenlexicon der militärischen Schimpfworte.
Die Worte des Herrn Oberst haben genügt, aus ihm einen ganz anderen Menschen zu machen, und so spricht er jetzt zu den um ihn Versammelten: „Was der neue Herr Commandeur sagte, ist mir ganz aus der Seele gesprochen, es deckt sich ganz mit meinen Ansichten. Ich weiß nicht, ob Sie sich entsinnen, daß ich Sie oft auf das völlig Zwecklose der vielen Schimpfworte aufmerksam machte. Glauben Sie mir, der ich nicht nur Ihr Vorgesetzter, sondern der ich auch dem Alter nach und an Erfahrungen der Aelteste von Ihnen bin, es geht auch ohne dem, es geht sogar viel besser, wenn man die Mannschaften freundlich behandelt, als wenn man sie gleich mit irgend welchem Schimpfwort titulirt. Ich hoffe, daß Sie diesen meinen Wunsch respectiren, sonst soll ein heiliges und unheiliges Donnerwetter zwischen Sie fahren, und ich sage Ihnen, demjenigen wäre besser, er wäre als Civilist oder gar nicht geboren, den ich dabei ertappe, daß er auch nur daran denkt, zu schelten oder gar zu fluchen. Und wenn ich nun gar Jemand sehe, der es wagt, einen Mann, wenn auch nicht in böser Absicht, anzufassen, Dem werde ich nicht nur deutlich, sondern s—ehr deutlich. Danke.”
Die Befehle der Vorgesetzten sind dazu da, daß sie ausgeführt werden, und die Wünsche der Höheren müssen respectirt werden.
Und so begann die schimpfwortlose, die köstliche Zeit. Wenn man auf den Casernenhof kam, glaubte man sich in einer Versammlung von etwas ältlichen Jungfrauen zu befinden, die Missionsstrümpfe stricken oder für Negerkinder als Weihnachtsgeschenk Mohrenpuppen anfertigen. Es ging still und friedlich zu wie in einem Pastorenhause.
Die Leute übten ihre Gewehrgriffe und machten Wendungen, d. h. sie probirten sich so schnell, wie irgend möglich um ihre Längsachse zu drehen, ohne dabei das europäische Gleichgewicht zu verlieren.
Vor der Front gingen die Officiere und Unterofficiere auf und ab und betrachteten die Leistungen der ihnen anvertrauten Mannschaften; schön waren sie nicht, weder die Leute noch die Leistungen, und mehr als einmal lag ihnen ein ingrimmiger Fluch auf den Lippen, wenn sie sahen, daß der Meier das Gewehr nun schon zum hundertsten Mal wenigstens um zwei Centimeter zu hoch auf die Schulter schob, oder wenn der Hansen, der blödsinnige Sioux–Indianer, wie er sonst genannt worden war, bei der Anschlagsübung den Kolbenhals mit der rechten la main nicht „saugend” umfaßte. Die Hand sollte saugen, so wollte es das Reglement, aber sie saugte nicht, und sie sog erst recht nicht, es war für den Unterofficier, um sich an dem nächsten Laternenpfahl aufzuhängen, aber er hing sich nicht auf, und er schalt nicht.
Mit einer Engelsgeduld und mit seiner freundlichsten Stimme sagte er: „Hansen, ich mache Sie erneut darauf aufmerksam, daß Ihre rechte Hand den Kolbenhals „saugend umfassen” soll.”
Und sich für einen Augenblick vergessend, fuhr er fort: „Wenn ich Ihnen Das nun noch einmal sagen soll, werde ich Ihnen grob — glauben Sie, daß ich nur geboren bin, um mir Ihretwegen den Mund fusselig zu reden.”
„Die Unterofficiere,” rief da die Stimme des die Oberaufsicht führenden Officiers; er hatte die letzten Worte des Corporals gehört und hielt es nun für seine Pflicht, die Unterofficiere zu ermahnen, nicht zu schelten, sondern die Mannschaften freundlich zu behandeln.
Es war, um Rad zu schlagen, oder, wie ein eingebildeter Sergeant einmal sagte: „Es ist wirklich, um sich mit einem doppelten Saltomortale durch einen brennenden Papierreifen in das Meer der Lethe zu stürzen, um dort zu vergessen, daß es einst bessere Zeiten gab, in denen man aus seinem Gweissen keine Heuchelgrube zu machen brauchte.”
Die Officiere und Unterofficiere wußten nicht, wie sie nur auf gütlichem Wege ihren Mannschaften die nöthigen Kenntnisse beibringen sollten, sie verzweifelten nicht nur an der Welt, sondern sogar an den drei heiligen Büchern des Soldaten, an dem Reglement, der Felddienstordnung und der Schießvorschrift, und sie sahen mit prophetischem Blick den Tag kommen, an dem sie selbst „madig” gemacht würden, weil die Leute nichts konnten.
Für die Mannschaften war das von Herrn Ovid so schön besungene goldene Zeitalter wieder aus der Versenkung hervorgekommen. Sie wurden garnicht, nicht einmal mit Glacéhandschuhen angefaßt, sie konnten bei dem Exercieren dösen, so viel sie wollten, kein böses Wort rief sie in die rauhe Wirklichkeit zurück. Die Kerls waren glücklich, und wenn sie auf den Märschen waren, sangen sie nicht mehr wie früher etwas zweideutige Lieder, sondern sie brüllten so laut und so lange sie konnten: „Ach, wenn es doch immer so blie—be.”
Die Zeit ging dahin, und eines schönen Tages wurde das Regiment durch den Befehl überrascht, daß der Herr Oberst sich am nächsten Morgen seine Truppe einmal auf dem großen Exercierplatz daraufhin etwas näher ansehen wollte, ob sie gut ausgebildet und kriegsbereit sei. Bisher hatte der neue Commandeur nur auf dem Regimentsbureau regiert und seinen Adjutanten und die Schreiber mobil gemacht, nun stieg er in die unteren Regionen.
„Wetten, daß wir uns morgen mit unseren Leuten blamiren?” fragten sich die Stabsofficiere, Hauptleute und Leutnants im Casino gegeseitig, „wetten, daß —?”
Sie sehen sich um, ob nicht ein Einziger den Muth hätte, zu sagen: „Wetten, daß nicht?”, aber der Einzige war augenblicklich nicht momentan, er war noch nicht geboren.
Allen butterte das Herz, und sie schwuren darauf, daß es morgen nicht nur dreizehn, sondern sogar dreizehn und ein Viertel schlagen würde.
Am nächsten Tag stand das Regiment pünctlich zur befohlenen Zeit im befohlenen Anzug auf dem befohlenen Platze in der befohlenen Aufstellung und harrte des Herrn Oberst.
Daß ein Untergebener, der besichtigt werden soll, im letzten Augenblick nicht erscheint, ist schon oft dagewesen, daß aber ein Vorgesetzter, der da kommen soll, nicht kommt, Das gibt es nicht.
Der Herr Oberst kam nicht nur, sondern er war auch da — auf seinem stolzen Rappen ritt er in seiner ganzen männlichen Schönheit die Front entlang und sah sich jeden Mann sehr genau an.
Er musterte den Anzug und die Fühlung.
Plötzlich hielt er sein Pferd vor einem Jüngling an, der nach seiner Meinung zu enge Fühlung hatte. Wenn der Soldat richtig im Gliede steht, soll er seinen Nebenmann mit dem Ellenbogen fühlen, ohne ihn zu drücken oder sich auf denselben zu lehnen.
Ob ein Mann thatsächlich zu enge oder zu weite Fühlung hat, sieht man am besten, wenn er „Gewehr über” hat, und so sagte denn der Herr Oberst in seiner freundlichsten Weise: „Mein Sohn, nehmen Sie das Gewehr über.”
Aber der Mann rührte sich nicht, er hatte den besten Willen, den Befehl auszuführen, abr er konnte nicht, denn in der Maus der rechten Hand hatte er einen Krampf, da kann kein Gott Gewehr über nehmen, geschweige ein Soldat.
„Sie haben mich wohl nicht verstanden, Sie sollen das Gewehr über nehmen, mein Sohn.”
Sein Sohn rührte sich immer noch nicht, der Krampf dauerte noch an.
Noch einmal wiederholte der Oberst den Befehl, aber auch dieses Mal rührte sich der brave Krieger nicht.
Einen Augenblick herrschte tiefe erwartungsvolle Stille, aber auch nur einen Augenblick.
„Herr Hauptmann, wie heißt dieser Lümmel?” donnerte da mit einem Male die Stimme des Herrn Oberst. „Zweierlei gibt es nur, entweder ist der Kerl ein Idiot mit Eichenlaub und Schwertern, oder aber er hat Dreck (Schmutz) in den Ohren und kann nicht hören.”
Dann wandte er sich direct an den Bleisoldaten und kanzelte diesen in einer Art und Weise herunter, daß der Major v. Grobielski, der in der Nähe hielt, sich sagte: „Der kann es doch noch besser als ich, na dafür ist er ja auch der Oberst.”
Dem braven Krieger fiel vor Schreck bei dem Ungewitter, das sich hier über seinem Haupte entlud, fast die Flinte aus der Hand, er taumelte beinahe zurück und sah seinen Vorgesetzten mit allen Anzeichen des Entsetzens an, er kannte den Mann garnicht wieder.
Aber während der Soldat vor Grausen am liebsten in die Erde gekrochen wäre, machten die Officiere und Unterofficiere ein gar vergnügliches Gesicht: Die Schimpfwortlose, die schreckliche Zeit war vorüber, in Zukunft brauchten sie ihren Gefühlen keinen Zwang mehr anzuthun.
Zu spät sahen sie ein, daß es auch beim Militär häufig heißt: Richtet Euch nicht nach den Lehren, sondern nach dem Beispiel, daß ich Euch gebe.
Und das Wort und die That sind bekanntlich zwei Dinge, die sich nicht immer mit einander decken. Manche behaupten sogar, sie gingen zuweilen himmelweit auseinander.
Ob Die, die also sprechen, Recht haben? Qui en sabe?(1)
(1) In der Buchfassung fehlt dieser ganze letzte Absatz. (zurück)