Der freche Adjutant.

Von Freiherrn v. Schlicht (Wolf Graf Baudissin).
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 24.März 1908 und
in: „Sie will nicht heiraten”.


Wie es das Vorrecht der Könige ist, pünktlich zu sein, so ist es das Vorrecht der Adjutanten, frech zu sein.

Aber von allen Adjutanten war Hauptmann von Baeskow der frechste, das war nicht nur die gewissenhafteste Ueberzeugug seiner Vorgesetzten, sondern vor allen Dingen auch seine eigene. Und auf sein eigenes Urteil hatte er von jeher viel mehr Gewicht gelegt als auf das der Höheren. Nicht, als ob er ihre Weisheit noch geringer einschätzte, als sie es nach seiner Meinung schon war, aber die Vorgesetzten wechseln zu oft, alle Augenblicke hat der Untergebene einen anderen über sich, und der andere sucht seine eigene Klugheit immer dadurch zu beweisen, daß er alles, was sein Vorgänger sagte und tat, für falsch und dumm erklärt. Er tut das selbst dann, wenn er gar nicht von der Wahrheit seiner Worte durchdrungen ist. Dann tut er es eigentlich sogar erst recht, denn wenn er seinen Vorgänger im Amt nicht offiziell für unfähig erklärt, dann könnte man leicht in Versuchung kommen, an seinem eigenen scharfen Verstand zu zweifeln. Und das darf nicht sein, denn wo der Zweifel der Vorgesetzten anfängt, hört die Karriere der Untergebenen auf.

Die Zweifel der Höheren an den Untergebenen enden mit der Verabschiedung der letzteren, wohingegen die Zweifel der Untergebenen an der Tüchtigkeit der Vorgesetzten mit der Verabschiedung der ersteren enden, weil sie es gewagt haben, zu zweifeln.

Nein, auf die Vorgesetzten ist kein Verlaß, die sind dem Wechsel unterworfen wie die Jahreszeiten. Wer beim Militär auf sich selbst baut, ist viel weiser als der, der da auf andere baut. Am dümmsten aber ist der, der auf sich bauen läßt; dem geht meistens bei der schweren Last, die er zu tragen hat, der Atem aus, und wenn er dann seinen letzten Seufzer mit einem hörbaren Klageton von sich gibt, dann wird er auch noch ausgelacht.

Hauptmann von Baeskow hatte sich vierundzwanzig Stunden nach seiner Beförderung zum Offizier die Adjutanten­karriere prophezeit. Darüber, ob die Höheren über diesen Punkt ebenso dachten wie er selbst, zerbrach er sich nicht weiter den Kopf. Er hatte sein militärisches Lebensziel vor Augen, und daß er das hatte, war die Hauptsache.

Dazu kam, daß er von Haus aus über eine gute Zulage verfügte, die er durch einige Liebesbriefe an eine alte Tante leicht um das Doppelte vermehren konnte. Er war ein ausgezeichneter Reiter und besaß vor allen Dingen eine ausgezeichnete Frechheit. Sie zeigte sich von Anfang an darin, daß er den Vorgesetzten durch Blicke, Gebärden und durch sein ganzes Verhalten klarmachte, daß er ihre Autorität nur deshalb anerkenne, weil er sie nach dem Paragraphen des Kriegsartikels anerkennen müsse. Und mehr als einmal vertrat er den Standpunkt, daß er es sich nicht nehmen lassen würde, über seine Vorgesetzten so zu denken, wie er wolle, und nicht, wie er solle; es müsse denn sein, daß das Wollen und Sollen zusammenfiel, was er aber wenigstens vorläufig noch für ausgeschlossen hielte.

Ihm war es mit seinen Worten heiliger Ernst, die Kameraden aber wollten sich über ihn totlachen, denn sie konnten es sich nicht vorstellen, daß ein Offizier wirklich derartig an der Heiligkeit der Höheren zu rütteln wage. Die Vorgesetzten dagegen, die sich in stillen Stunden, wenn sie zu Hause den Schlafrock und die Pantoffel anhatten, doch eingestanden, daß sie auch nur Menschen waren, die nach der Meinung ihrer höheren Vorgesetzten sogar mit vielen Fehlern und Schwächen behaftet waren, die kamen zu der Ueberzeugung, daß der Leutnant von Baeskow ein ganz frecher Mensch wäre.

Diese Frechheit mußte ihm im Interesse der königlich preußischen Armee ausgetrieben werden, und da der Major sah, daß Baeskows Kompagniechef dieses Kunststück nicht fertig brachte, ernannte er ihn eines Tages zu seinem Adjutanten. Er wollte ihm schon den Standpunkt klarmachen, und im täglichen Verkehr mit einem Stabsoffizier würde dem Leutnant schon seine Frechheit vergehen.

Unglücklicherweise aber beging der Major gleich an einem der ersten Tage die Unvorsichtigkeit, im schriftlichen Verkehr mit dem Regiment eine bodenlose Dummheit zu machen, die dem neuen Adjutanten seitens des Herrn Obersten eine bodenlos grobe Rede eintrug, denn er konnte unmöglich annehmen, daß der Major so dumm gewesen war, wie es in seinen Augen nicht einmal Adjutanten sein dürfen.

Leutnant von Baeskow hörte die Rede des Kommandeurs ruhig mit an, ohne sich mit einer Silbe zu verteidigen, dann aber eilte er schnurstracks auf das Bataillons­bureau, und dort wurde er mit seinem Major so sacksiedegrob, daß der gar keine Worte fand.

Und als er dennoch endlich welche fand, hatte der Adjutant bereits das Zimmer verlassen und war zu Tisch in das Kasino gegangen.

Der Major gelobte sich, seinen Adjutanten am nächsten Tage umzubringen, aber als er mit seiner wohlüberlegten Donnerrede anfing, schob der andere ihm ein Aktenstück hin: „Die Rede eilt ja nicht, Herr Major, aber hier, das eilt sehr, und dies ist sogar sehr dringend, dies hier ebenfalls.”

So ging das in einem fort, und als der Major dann doch endlich loslegen wollte, winkte der Adjutant ab: „Lassen wir das doch, Herr Major, Sie brauchen sich wirklich nicht mehr bei mir zu entschuldigen, die Angelegenheit von gestern ist für mich definitiv erledigt.”

Auf weitere Unterhandlungen irgendwelcher Art ließ er sich gar nicht ein, weder jetzt noch später, denn wenn irgenrdeine Sache mal nicht stimmte, so war es nach seiner Meinung stets Sache des Vorgesetzten, und er stellte den zur Rede, bevor der nur selbst den Mund aufmachen konnte.

Der Oberst kannte natürlich genau das Verhältnis, in dem der Major zu seinem Adjutanten stand, das machte ihm Spaß, außerdem aber gefiel ihm die selbstsichere Art des jungen Leutnants. So ernannte er ihn eines Tages zu seinem Regiments­adjutanten, um zu spät einzusehen, daß dem auch die Achselstücke eines Obersten nicht imponierten. Natürlich durfte er aber nicht zugeben, daß er gegen einen Untergebenen nichts ausrichten konnte, und noch viel weniger durfte er eingestehen, daß seine Menschen­kenntnis ihn in diesem Falle im Stich gelassen. Los werden aber wollte er den Adjutanten, und so schlug er ihn dem Herrn Brigade­kommandeur vor, der gerade einen Adjutanten brauchte; und nachdem Baeskow dem Herrn General drei Jahre hindurch täglich klar bewiesen hatte, daß die Generalsstreifen an den Hosen dem Kopfe eines Generals noch lange nicht die erforderlichen militärischen Kenntnisse verleihen, war er nun schon seit einem Jahre Adjutant seiner Exzellenz des Herrn Divisions­kommandeurs.

Der war froh gewesen, als er diesen Adjutanten bekam. Der Vorgänger war ein sehr gewissenhafter Arbeiter gewesen, aber etwas kleinlich und unselbständig, und vor allen Dingen hatte ihm die Anwesenheit Seiner Exzellenz im Bureau stets einen solchen Schrecken eingeflößt, daß er bei den einfachsten Befehlen noch unsicherer wurde, als er es sowieso schon war. Exzellenz hatte sich eigentlich um alles selbst kümmern müssen, und nun hatte er einen Adjutanten, der alles allein machte. Exzellenz strahlte, und in der Freude seines Herzens merkte er gar nicht, wie der Adjutant ihm die Zügel der Regierung mehr und mehr aus der Hand nahm und schließlich alles tat, was er wollte.

Aus dem Leutnant von Baeskow war im Laufe der Jahre schon ein Hauptmann geworden, die Leutnants­frechheit aber war mit den Jahren nicht geschwunden, sondern immer größer geworden. Er tat alles, was er wollte, und Exzellenz tat, was er sollte. Exzellenz hatte das zuerst so schön und bequem gefunden, einen anderen ganz für sich denken und schaffen zu lassen, aber als er dann einsah, daß der andere doch etwas zu viel für ihn, aber zu wenig an ihn(1) dachte, da war es eben zu spät, er konnte sich nicht mehr frei machen. Hatte er sich im Anfang freiwillig gefügt, so mußte er sich jetzt der Gewalt weichend fügen.

Aber trotz alledem, heute wollte Exzellenz nicht nachgeben, er war ein leidenschaftlicher Jäger und hatte von einem Freund eine Einladung zur Hühnerjagd erhalten, nun wollte er einige Tage auf Urlaub gehen und den edlen Jagdsport pflegen. Das setzte er jetzt seinem Adjutanten auseinander: „Ich bin dienstlich ja sehr gut abkömmlich, Sie wissen ja überall Bescheid, und wenn Sie trotzdem in einer wichtigen Angelegenheit meinen Rat brauchen sollten . . .”

„Schwerlich,” meinte der Adjutant, „ich wüßte nicht, wann und wie der Fall eintreten könnte.”

Exzellenz überhörte absichtlich die Frechheit, die aus diesen Worten herausklang und die da sagte: „Wenn ich mir allein nicht helfen kann, kannst du mir auch nicht helfen,” sondern fuhr ruhig fort: „Vielleicht könnte der Fall doch einmal eintreten.”

Der Adjutant schüttelte den Kopf. „Undenkbar.”

Exzellenz wurde nervös: „Ob denkbar oder nicht, das wird die Zukunft lehren. Auf jeden Fall were ich am Freitag nächster Woche für vier Tage auf die Jagd fahren.”

Erstaunt blickte der Adjutant auf: „Sie wollen auf die Jagd, Exzellenz? Das geht unter keinen Umständen.”

Der Vorgesetzte bekam es mit der Angst, sein erster Gedanke war, daß irgendwelche dienstliche Hindernisse vorlägen. „Warum kann ich denn nicht fort? Haben wir gerade in der Zeit eine Besichtigung oder etwas Aehnliches?”

Der Adjutant knipste mit den Fingern geringschätzend die Asche seiner Zigarette ab.

„Wenn es weiter nichts wäre, Exzellenz, der Dienst könnte ja unter irgend einem Vorwand auf einen anderen Tag verschoben werden.”

Exzellenz wurde ungeduldig: „Wenn der Dienst mich nicht hält, warum kann ich denn nicht fahren?”

Der Adjutant zündete sich ruhig seine Zigarette wieder an, da er versehentlich mit der Asche auch das Feuer abgeknipst hatte. Dann meinte er: „Exzellenz werden schon hier bleiben müssen, ich habe selbst eine Einladung zur Jagd angenommen und kann unmöglich wieder absagen, ganz abgesehen davon, daß ich wirklich eine Erholung von einigen Tagen brauche.”

Exzellenz war starr; solche Frechheit war ihm denn doch noch nicht vorgekommen. Grob zu werden, lag seiner vornehmen Natur nicht; so sagte er denn, mit dem Versuch zu scherzen: „Sie werden wohl selbst einsehen, lieber Hauptmann, wenn einer von uns beiden fährt, dann fahre ich.”

Der Adjutant sah seinen Vorgesetzten mit den Augen blinzelnd von der Seite an: „Glauben Exzellenz wirklich?”

„Selbstverständlich, mein lieber Baeskow.” Aber als er dann länger in das Gesicht seines Adjutanten sah, meinte er: „Schließlich ließe sich ja auch für Sie ein Ausweg darin finden, daß wir beide fahren.”

Aber der Adjutant widersprach: „Das geht nicht, Exzellenz, einer von uns beiden muß für die Bureauarbeiten hier bleiben, und Exzellenz müssen schon persönlich hier sein, um jederzeit an mich telegraphieren zu können, wenn Exzellenz vielleicht in irgend einer wichtigen Angelegenheit meinen Rat brauchen.”

„Der Fall dürfte doch wohl schwerlich eintreten,” meinte Exzellenz, „ich kann ihn mir wenigstens nicht denken.”(2)

Der Adjutant überhörte absichtlich die Selbständigkeit, die aus diesen Worten herausklang und die da sagte: „Wenn ich mir nicht allein helfen kann, kannst du mir auch nicht helfen,” sondern fuhr ruhig fort: „Vielleicht könnte der Fall doch eintreten.”

Exzellenz schüttelte den Kopf: „Undenkbar.”

Der Adjutant wurde etwas nervös: „Ob denkbar oder nicht, das wird die Zukunft lehren. Auf jeden Fall gestatten Exzellenz wohl, daß ich am Freitag nächster Woche für vier Tage auf die Hühnerjagd gehe.”

Exzellenz erhob sich von seinem Platze: „Wir wollen uns darüber nicht weiter streiten, mein lieber Baeskow. Es tut mir Ihretwegen aufrichtig leid, aber in diesem Falle müssen Sie Ihren Freunden schon abschreiben.”

„Und welchen Grund soll ich für meine Absage angeben?” fragte der Adjutant.

„Die Wahrheit,” meinte Exzellenz. „Schreiben Sie, da ich selbst führe, müßten Sie hierbleiben.”

„Und was soll ich meinen Freunden antworten, wenn die mich fragen, warum Exzellenz nicht aus Rücksicht auf mich die eigene Reise aufgäbe? Ich habe Euer Exzellenz meinen Freunden stets als den liebenwürdigsten aller Vorgesetzten geschildert. Sie würden mir die Wahrheit nicht glauben, sie würden meine Worte nur als einen Vorwand betrachten. Ich käme mit der Antwort wirklich in Verlegenheit, vielleicht wissen Exzellenz da einen Rat.”

Aber der wußte auch keinen, und fassungslos sah er seinen Adjutanten an. So hatte noch nie ein Untergebener zu ihm gesprochen. Aber daß der das tat, war ja schließlich seine eigene Schuld, warum hatte er ihm am Anfang beständig nachgegeben?

Daß er auch heute den kürzeren ziehen würde, sah er ein, je länger er darüber nachdachte, wenn er sich auch vorläufig noch gegen diesen Gedanken sträubte. Aber dann sagte er doch plötzlich nach langer Ueberlegung: „Ich will Ihren Freunden den guten Glauben an mich nicht rauben, mein lieber Baeskow, und Ihnen persönlich will ich beweisen, daß ich tatsächlich der Vorgesetzte bin, für den Sie mich halten. Ihretwegen will ich auf meine Jagd verzichten, ich bleibe zu Hause, Sie können fahren, aber das sage ich Ihnen, das nächstemal fahre ich.”

Und mit der ganzen ihm angeborenen Frechheit erwiderte der Adjutant: „Wenn ich dann nicht auch gerade wieder fahren will, habe ich nichts dagegn.”


Fußnoten:

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „an sich” . (zurück)

(2) Die Fassung des „Hamburger Fremdenblattes” läßt nun vier Absätze der Buchfassung aus, und endet dann nach dem Absatz:

Exzellenz erhob sich von seinem Platze: „Wir wollen uns darüber nicht weiter streiten, mein lieber Baeskow. Es tut mir Ihretwegen aufrichtig leid, aber in diesem Falle müssen Sie Ihren Freunden schon abschreiben.”

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