Wenn Frauen zürnen.

Von Freiherr von Schlicht
in: „Slovensky Narod” vom 16.5. 1925, in slowakischer Übersetzung unter dem Titel „Ked sa Evy hnevajú”,
in: „Die Frau und meine Frau”


Meine Frau zürnte — wie sie behauptete, mit vollstem Recht.

Wenn Männer zürnen und heftig werden, haben sie nach der Meinung ihrer Frauen dazu nie die leiseste Veranlassung. Lohnt es sich denn wirklich, auch nur ein Wort darüber zu verlieren, daß das Essen nicht ganz pünktlich auf den Tisch kommt, daß die seidenen Socken ein Loch haben oder, daß das Mädchen des Abends bei dem Tischdecken vergessen hat, Teller, Messer und Gabel hinzustellen und hinzulegen? Lohnt es sich wirklich, deswegen auch nur für eine Sekunde verdrießlich zu sein?

Wenn wir Männer einmal zornig, heftig oder auch nur verstimmt sind, sollen wir uns dessen sofort schämen, denn unsere Frauen tun ja alles für uns, was sie nur können. Es gibt keinen Wunsch, den sie uns nicht schon von den Augen ablesen, nur um ihn sofort zu erfüllen, denn die Frauen sind ja so gut, so rücksichtsvoll, so aufmerksam —

Ein Mann gesteht zuweilen offen und ehrlich ein, daß er außer seinen Tugenden auch Fehler hat — eine Frau nie. Im Gegenteil, je unvollkommener sie ist, desto mehr spricht sie von ihren zahllosen vortrefflichen Eigenschaften, schon damit ihr Mann eines Tages vielleicht nicht doch noch an ihr irre wird. Schon aus dem Grunde gibt sie nie zu, daß sie sich jemals irrte und wenn sie zürnt, wird sie nie eingestehen, daß sie das ohne jede Veranlassung tut.

Und meiner Frau zürnte — wie sie immer von neuem betonte, mit vollstem Recht.

Jede Frau ist die geborene Selbsttäuschung.

Meine Frau zürnte weiter und alle Versuche, sie zu versöhnen, waren vergebens. Sie hatte immer nur dieselbe Antwort: „Ich kann es einfach nicht verstehen, daß du dieser Wera hinter meinem Rücken zweihundert Mark geschickt hast.”

Ich wiederholte, was ich ihr im Laufe des Tages schon hundertmal erklärt hatte: „Bevor ich dich heiratete, habe ich dir auf deine Bitten hin alles gebeichtet. Eine böse Absicht leitete mich jedenfalls nicht, dir gerade diesen Namen zu verschweigen, meine Bekanntschaft mit ihr war außerdem so flüchtig, daß ich mich heute morgen, als sie mich um eine Unterstützung bat, wirklich erst auf sie besinnen mußte.”

„Und trotzdem schickst du ihr gleich ohne weiteres zweiundert Mark — das soll ich glauben?”

Ein Mann soll seiner Frau stets glauben, das verlangt sie als etwas ganz selbstverständliches, aber daß eine Frau auch ohne weiteres ihrem Mann glaubt, das ist zu viel verlangt.

Ich versuchte die Hände meiner Frau zärtlich zu streicheln, aber sie wehrte ab: „Bitte, laß das.”

„Ganz wie du willst,” meinte ich ärgerlich, „aber ich wiederhole, ich habe dir die reine Wahrheit gesagt. Die arme Wera schilderte mir ihre Not in so traurigen Worten, daß ich es nicht über das Herz brachte, ihr die Bitte abzuschlagen. Du bist doch sonst die Güte selbst und ich bin sicher, wenn du den Brief gelesen hättest, würdest du noch hundert Mark hinzugelegt haben.”

„Warum hast du mir den Brief denn nicht zu lesen gegeben, warum hast du ihn sofort zerrissen, noch dazu in tausend Fetzen, daß man ihn nun nicht einmal mehr zusammensetzen kann?”

„Weil ich ein Esel war, ein Esel mit Eichenlaub und Schwertern,” fuhr ich auf, „aber ich meinte es gut. Ich weiß, wie lieb du mich hast und nur um eine etwaige durch nichts begründete Eifersucht nicht wach werden zu lassen, zerriß ich den Brief und wenn ein unglücklicher Zufall dir nicht die Postquittung in die Hände gespielt hätte, würdest du überhaupt nie etwas von der ganzen Geschichte erfahren haben.”

Meine Frau sah mich traurig an: „Wie soll eine Ehe glücklich sein, in der Mann und Frau Geheimnisse voreinander haben?”

Eine Frau hat nie Geheimnisse, die geht nie heimlich in ein Geschäft, um sich dies oder jenes zu kaufen, das sie sich ins Haus schicken läßt, wenn sie genau weiß, daß der Mann fort ist, und auch sonst verschweigt sie ihn nicht das Geringste — nichts!

Eine Frau, weder eine vollkommene noch eine unvollkommene, hat niemals ein Geheimnis von ihrem Mann.

Geheimnisse haben nur die Männer.

Aber ich habe wirklich keine vor meiner Frau, ich schwur es ihr aufs neue.

Jeder preußische Richter hätte mir geglaubt und mich sofort aus der Untersuchungshaft entlassen, aber wenn Frau nicht glauben wollen, dann glauben sie nichts, nicht einmal, daß die Sonne am Himmel steht, wenn sie die mit ihren eigenen Augen noch so deutlich sehen. Dann ist es eben nicht die Sonne, sondern der Mond.

Meine Frau glaubte mir nicht, immer wieder fragte sie: „Warum hast du den Brief zerrissen, wenn er wirklich so harmlos war?”

Ich fing an nervös zu werden: „Das habe ich dir nun schon hundertmal erklärt, aber ich will es gerne noch hundertmal tun.”

Meine Frau schüttelte den Kopf: „Es hätte keinen Zweck, denn wenn der Brief wirklich so harmlos war, hättest du ihn nicht zerrissen, dann brauchtest du doch gar nicht zu befürchten, daß meine Eifersucht, wie du es nennst, rege geworden wäre.”

Ich gab das Rennen auf: Frauen sind schon in normalen Zustande nicht zu überzeugen und nun erst, wenn sie zürnen –

Und meine Frau zürnte immer noch, endlich ging ich in der Hoffnung davon, daß sie sich bis zum Abendessen beruhigen und das Falsche ihrer Verdächtigung einsehen würde.

Aber ich irrte mich, ich mußte allein zu Abend essen. Meine Frau hatte sich niedergelegt, sie ließ mir sagen, sie hätte rasende Kopfschmerzen und bäte mich, sie nicht mehr zu stören, sie wolle versuchen, zu schlafen.

Als ich mich trotzdem nach ihr umsehen wollte, war ihre Tür verschlossen.

Dann nicht! Ärgerlich ging ich in mein Zimmer zurück, der abendliche Rotwein verscheuchte endlich meine trüben Gedanken, morgen früh würde es schon alles wieder gut sein.

Am nächsten Morgen brachte mir das Mädchen einen Brief meiner Frau, die Gnädige hätte immer noch rasende Kopfschmerzen, ich möchte sie entschuldigen und alleine frühstücken.

Das tat ich denn auch und nach dem Frühstück las ich den Brief:

„Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht, dann bin ich aufgestanden, um Dir diese Zeilen zu schreiben, die letzten, die ich an Dich richte. Ich habe es mir stundenlang überlegt und mein Entschluß ist unabänderlich: ,Wir müssen uns trennen.' Ich zürne nicht mehr, ich bin nur grenzenlos traurig. Wieviel Briefe magst Du nicht schon hinter meinem Rücken erhalten haben, wieviele wirst Du in Zukunft nicht noch empfangen? Du gestehst es ja selbst offen ein, daß ich von dem letzten nur durch einen Zufall erfuhr. Du hättest mir den sonst ganz verschwiegen, wie Du mir sicher schon viele verschwiegen hast und in Zukunft noch verschweigen wirst. Dieser Gedanke wird mir fortan keine Ruhe lassen, wird mir jeden Tag und jede Stunde meines Lebens verbittern und deshalb gehe ich von Dir.
Deine traurige L.”

Nachsatz: „Ich habe mir diese Zeilen immer wieder durchgelesen, es wird mir schwer von Dir zu gehen, denn auf Deine Art hast du mich ja auch lieb, aber trotzdem, es muß sein. Ich sehe voraus, daß dieser Brief Dich traurig stimmen wird, aber versuche bitte nicht, mich umzustimmen, es wäre vergebens. Mein Entschluß steht fest. L.”

Zweiter Nachsatz: „Ich öffne diesen Brief nochmals, denn mir fällt eben ein, daß Du in Deiner grenzenlosen Güte (denke bitte an die gestern fortgeschickten zweihundert Mark), um mich vielleicht doch noch umzustimmen, auf den Gedanken kommen könntest, mir die beiden Brillantohrringe zu schenken, die wir neulich Unter den Linden bewundert haben. Ich beschwöre dich, tue das nicht, es wäre hinausgeworfenes Geld, denn ich reise morgen früh ab. Außerdem, so entzückend sie ja auch sind und so rasend gern ich sie hätte, wenn auch nur als letzte traurige Erinnerung an Dich, der Preis ist viel zu hoch — sie sind ja bezaubernd, aber mehr als zweitausend Mark würde ich an Deiner Stelle unter keinen Umständen dafür geben.

Ach, warum mußte das Glück unserer jungen Ehe so schnell wieder zerstört werden?

Deine zum Sterben traurige L.”

Eine halbe Stunde später sauste ich im Auto zur Stadt, nach einer weiteren Stunde kam ich mit den Ohrringen zurück.(1) Mein Eheglück stand auf dem Spiel, da durfte ich nichts unversucht lassen, meine Frau wieder zu versöhnen, die mußte bei mir bleiben.

Und meine Frau blieb und verzieh. Sie zürnte nicht mehr und sie zürnte auch nicht von neuem, wie ich es im stillen gefürchtet, als ich ihr gestand, daß jeder der beiden Ohrringe zweitausend Mark kostete, nein, auch da zürnte sie nicht, denn eine Frau verzeiht im Gegensatz zu einem Mann alles — — alles, was sie verzeihen will.


Fußnoten:

(1) Da der Autor zur Zeit der Niederschrift dieser Erzählung (noch) in Berlin wohnte, kann er natürlich in einer Stunde in einem Juweliergeschäft Unter den Linden gewesen sein. (Zurück)


„Slovensky Narod” vom 16. 5. 1925:


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