Wenn Frauen reisen und kaufen.

Von Freiherr von Schlicht
in: „Mußestunden”, Tägl. Unterhaltungsblatt zur „Dortmunder Zeitung”, vom 18.4.1913,
in: „Tägliche Omaha-Tribüne” vom 14.6.1913,
in: „Die Ehestifterin”


Meine Frau ist die geborene Reisetasche, die gar nicht aus dem Coupé herauskommt. Wir bewohnen unsere große, hübsche Villa eigentlich nur, um dort von den erledigten Reisen auszuruhen und um fortwährend neue Reisepläne zu schmieden. Wir pflegen alljährlich Mitte Mai von Haus fortzugehen und am 15. September zurückzukommen. Drei Tage lang freut meine Frau sich dann, einmal wieder im eigenen Bett schlafen zu können, aber spätestens am 18. September fängt sie an, mit mir darüber zu sprechen, wohin die nächste Sommerreise gehen soll. Am 20. September sind wir uns darüber einig, am 21. sind wir uns uneinig, am 22. haben wir neue Reisepläne gefaßt, am 23. muß ich an die in Frage kommenden Hotels schreiben, ob und zu welchem Preis wir am 15. Mai Des nächsten Jahres Zimmer erhalten können, am 24. muß ich im Winterkursbuch nachsehen, mit welchen Zug wir am 15. Mai am besten fahren, am 25. September hat meine Frau fest beschlossen, daß sie am 15. Mai, trotzdem wir erst spät abends am Ziel ankommen, doch noch die Koffer auspacken lassen will, ehe sie sich schlafen legt und am Weihnachtsabend, oder sonst bei einer ganz unerwarteten Gelegenheit erklärt mir meine Frau dann plötzlich, sie habe es sich doch anders überlegt, sie würde am 15. Mai abends sicher zu müde sein, um noch auspacken zu können, das hätte ja auch noch bis zum nächsten Morgen Zeit.

So war auch schon die diesjährige Sommerreise im Herbst vorigen Jahres in allen Einzelheiten festgelegt. Wir wollten zunächst auf vier Wochen nach dem herrlich gelegenen Weißenbach am Attersee und im Anschluß daran auf längere Zeit nach St. Moritz, vorausgesetzt natürlich, daß nichts dazwischen käme. aber es kam etwas dazwischen und dieses „Etwas” war ein stark schmerzender Backenzahn, den ich mein eigen nannte. So fuhr ich denn nach Berlin zu meinem Zahnarzt, dem einzigen Zahndoktor, dem ich mich auf der ganzen Welt anvertraue. Ich hoffte, nach drei, spätestens nach vier Tagen zurückkommen zu können, aber der Mensch denkt und der Zahnarzt lenkt — die amerikanische Bohrmaschine. Und als er die nur einmal probeweise in meinem Mund herumgelenkt hatte, da konstatierte er, daß nicht nur ein Zahn krank sei, sondern viele und daß ich mindestens sechzehn Tage bei ihm zu tun habe.

Der Gedanke, sechzehn Tage hindurch viele Stunden bei dem Zahnarzt sitzen zu müssen, verwirrte meine Sinne und ließ mich in eine Ohnmacht fallen.

Als ich nach drei Tagen im Hotel, wohin man mich gebracht hatte, die Augen wieder aufschlug, saß meine Frau an meinem Bett. Die war inzwischen auch nach Berlin gekommen, einmal, weil sie es sich nicht zu erklären vermochte, warum ich so lange nicht geschrieben hatte, dann aber auch, weil ihr inzwischen eingefallen war, daß sie die Zeit meines Berliner Aufenthaltes benutzen könne, um bei Wertheim ein paar Besorgungen zu machen. Wenn Wertheim Orden zu verleihen hätte, müßte meine Frau schon längst den Einkaufsorden I. Klasse mit Eichenlaub und Schwertern besitzen.

Was eine Frau schon ein paar Besorgungen nennt! Ich war dicht daran, abermals in eine Ohnmacht zu fallen, aber meine Frau hielt mich im letzten Augenblick davon ab, indem sie hoch und heilig schwur, es handle sich wirklich nur um ein paar Kleinigkeiten.

Wie glücklich wären wir Männer, wenn wir es uns endlich abgewöhnen könnten, den Schwüren einer Frau zu glauben. Die Zeiten, da ich allen Schwüren traute, sind Gott sei Dank längst vorüber, aber hin und wieder wird der Glaube in mir wach, daß es auf der ganzen weiten Welt doch wenigstens eine Frau geben muß, Die keinen Meineid schwört. Und aus diesem Gedankengang heraus glaubte ich meiner Frau.

Ach, hätte ich es doch nicht getan!

Schon am nächsten Morgen ging meine Frau zu Wertheim, ich aber gehen zu meinem Zahnarzt. Die Bohrmaschine raste in meinen Zähnen herum, aber ich gab keinen Schmerzenslaut von mir, denn ich hatte mir fest vorgenommen, tapfer die Zähne zusammenzubeißen. Aber wie soll man etwas verbeißen, wenn man den Mund offen halten muß und immer ermahnt wird: „Bitte, ganz weit auf.”

So stöhnte und ächzte ich denn in dumpfer Qual, bis es dann endlich für den ersten Tag genug war. Dann halte ich in das Hotel, meine Frau sollte mich trösten und bemitleiden, daß ich so viel hatte aushalten müssen, aber meine Frau war noch bei Wertheim.

Endlich kam sie freudestrahlend zurück. Auf ihrem Kopf thronte ein neuer Hut, die erste Kleinigkeit. Dem Umfang nach dem Verhältnis zu den Riesenhüten der früheren Saison wirklich nur eine Kleinigkeit.

Aber wo ist die Frau, die da ausgeht, um sich einen Hut zu kaufen, sich wirklich nur einen kauft? Wo ist eine solche Frau? Ich habe sie noch nie kennen gelernt, besonders dann nicht, wenn ich in erreichbarer Nähe war. Und mit meiner Frau wohnte ich im Hotel sogar Wand an Wand. Wieviel Hüte mochte meine Frau sich gekauft haben?

Das beste Mittel, eine Frau gesprächig zu machen, ist, sie nicht zu fragen und so erfuhr ich denn auch schon nach wenigen Minuten, meine Frau hatte sich sechs Hüte gekauft.

Ich atmete erleichtert auf, ich war auf eine schlimmere Botschaft gefaßt gewesen.

Und als meine Frau sah, daß ich gar nicht schalt, sagte sie glückstrahlend: „Nicht wahr, ich bin sparsam gewesen? Die anderen sechs kaufe ich mir morgen, ich konnte heute wirklich nicht mehr aussuchen, es macht doch sehr müde und spannt ab.”

„Der Zahnarzt auch,” warf ich leichthin ein.

Meine Frau machte ein ganz trauriges Gesicht: „Ach so, ja richtig, du warst bei dem Zahnarzt. Du Ärmster hast gewiß viel aushalten müssen? Na, es ist nur gut, daß ich bei dir bin, da brauchst du nicht allein im Hotel herumzusitzen und du weißt doch auch, wie rasend gern ich zu Wertheim gehe.”

„Lerne zu gehen, ohne zu kaufen,” rief ich ihr zu, „oder wenn du kaufst, dann denke daran, daß diese gänzlich unerwartete Reise ohnehin ein schweres Stück Geld kostet. Wenn wir hier eine bestimmte Summe überschreiten, muß ich ohnehin das für den Sommer zurückgelegte Geld angreifen.”

Aber meine Frau widersprach: „Das darfst du unter keinen Umständen, du wirst schon sehen, ich kaufe nur das Allernotwendigste.”

Was eine Frau schon das Allernotwendigste nennt!

Als meine Frau nach weiteren vier Tagen von Wertheim zurückkam, überraschte sie mich mit der Nachricht, daß wir in diesem Sommer unsere Reise ganz bedeutend abkürzen wollten: „Wirklich, ich habe es mir überlegt, was sollen wir am Attersee? Gewiß ist es dort sehr hübsch, aber wenn wir ein paar Wochen nach St. Moritz gehen, ist es mehr als genug. Zu Hause ist es doch am schönsten, besonders jetzt, wo ich mir heute Morgen für unser Eßzimmer einen neuen, großen Perserteppich gekauft habe.”

„Ganz wie du meinst,” stimmte ich meiner Frau bei, „anstatt am Attersee kannst du ja dann vier Wochen hindurch auf deinem Perserteppich sitzen und wenn es dir Spaß macht, sogar mit gekreuzten Beinen.”

Meine Frau machte ein etwas beleidigtes Gesicht: „Sei doch froh, daß wir die Reise etwas abkürzen, ich würde an deiner Stelle die Hotelzimmer gleich wieder abbestellen. Wir brauchen hier doch trotz aller Sparsamkeit sehr viel Geld und dabei gehe ich fortwährend zu Fuß, nur, um kein Geld für die Elektrische ausgeben zu müssen. Das Geld, das ich da spare, gebe ich lieber den armen, blinden Leuten, die auf der Straße Veilchen verkaufen. Du weißt doch, die Veilchen sind meine Lieblingsblumen.”

„Spare so weiter, bat ich, „und dein Vermögen wird sich in kürzester Zeit ganz gewaltig vermehrt haben.”

Und meine Frau sparte weiter, bis mein Zahnarzt mir dann eines Morgens erklärte, er hoffe, in drei Tagen mit den Zähnen fertig zu sein. Gott sei Dank, da hatte das Kaufen ein Ende. Aber dieses Ende kam schon eher, es war sogar schon da, als ich mittags in das Hotel zurückkehrte. Da lag meine Frau schachmatt im Bett und stöhnte und jammerte, sie konnte nicht mehr, das Einkaufen hatte sie zur Strecke gebracht. Nun lag sie da, streckte die müden Glieder von sich, bis sie dann plötzlich zu mir sagte: ´„Weißt du, ich habe es mir überlegt, wir wollen diesen Sommer gar nicht reisen. Nach dem Attersee können wir sowieso nicht mehr und ob wir nun St. Moritz wiedersehen oder nicht, was liegt daran? Die Hauptsache ist doch, daß du mich liebst behältst.”

Die Worte durften nicht kommen, denn wenn eine Frau schon an die Liebe ihres Mannes appellieren muß, ist ihr Gewissen schlechter als schlecht.

So sagte ich denn: „Gib einmal der Wahrheit die Ehre, wie viel Geld hast du bei deinem Einkauf ausgegeben?”

Und als ich die Wahrheit erfahren hatte, multiplizierte ich die Summe im stillen mit zwei, legte noch fünfhundert Mark hinzu und nannte dann meinerseits meiner Frau die richtige Summe, denn alle Frauen haben eine Eigentümlichkeit, sie leiden alle an denselben Sprachfehler, sie können keine Zahl richtig aussprechen. Ich hatte das Richtige getroffen, meine Frau starrte mich eine ganze Weile fassungslos an, bis sie mich dann endlich fragte: „Woher weißt du?”

Dann aber kamen ihr plötzlich die Tränen der Reue: Ach, warum hatte sie nur so viel gekauft? Sie weinte Bäche, Ströme und Seen, wenigstens den ganzen Attersee. Ach, auf den hatte sie sich so gefreut und nun erst auf St. Moritz! Den ganzen Herbst und Winter hindurch hatte sie sich alles genau für die Reise überlegt und nun war es mit allem vorbei, denn die ganze sommerliche Reisekasse war bis auf den letzten Pfennig verausgabt.

Und dann erfuhr ich, wer einzig und allein daran schuld sei. Nur ich, jawohl ich, denn wenn ich keine Zahnschmerzen bekommen hätte, hätte meine Frau nicht nötig gehabt, mich zu besuchen und wenn sie mich nicht besucht hätte, wäre sie nie und nimmer zu Wertheim gegangen und hätte nicht so viel Geld ausgegeben. Ich allein war daran schuld, daß meine Frau nun meinetwegen auf die schöne Sommerreise verzichten mußte. Aber das durfte ich ihr nicht antun.

Da streckte ich die Waffen und erklärte mich für besiegt. Mit heiligen Eiden schwur ich meiner Frau, um sie wieder zu beruhigen, daß sie nicht eben so wie ich unter meinen Zahnschmerzen zu leiden brauche, daß wir doch im Sommer nach dem Attersee und nach St. Moritz gehen würden.

Und nachdem ich geschworen hatte, sah meine Frau mich voller Liebe an und sagte: „Dann ist es gut, dann will ich dir auch nicht mehr böse sein, daß du mich zu all diesen vielen völlig unnützen Ausgaben verleitet hast!”


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© Karlheinz Everts