Von Freiherr von Schlicht
in: „Die Frau und meine Frau”
Die größte Freude, die man meiner Frau bereiten kann, besteht darin, mir einen Brief zu schreiben, auf dem nur der halbe Bogen beschrieben ist — die beiden anderen leeren Seiten reißt sie dann sofort ab, um darauf rechnen zu können.
Männer rechnen zuweilen — Frauen dagegen rechnen entweder nie oder nimmer.
Männer rechnen, wenn sie Geld haben, sie rechnen dann, wie sie mit dem, was sie in Händen halten, ihren Verpflichtungten gerecht werden können — Frauen fangen erst an zu rechnen, wenn sie den letzten Groschen verausgabt haben.
Dann rechnen und rechnen sie, wie sie ihr Geld anders hätten einteilen können, aber nicht, wie sie es anders hätten einteilen müssen.
Daß die Frauen alle nicht rechnen können, liegt entschieden daran, daß der Rechenunterricht in den Mädchenschulen von Lehrerinnen erteilt wird. Aber selbst, wenn es anders wäre, für ihren Rechenlehrer würde ein junges Mädchen nie schwärmen, auch dann nicht, wenn er hübscher wäre als alle Literatur- und Kunstgeschichtslehrer zusammen.
Rechnen ist etwas furchtbar Prosaisches.
Meine Frau hatte wieder einmal gerechnet und allzu erfreulich mochte das Resultat nicht gewesen sein, denn bei dem Abendessen war sie verstimmt.
Nur ganz junge Ehemänner reden ihren Frauen in solchem Falle zu, sich auszusprechen. Wer durch die Schule der Ehe gewitzigt ist, wartet, bis die Frau von selbst zu sprechen beginnt — die wird um so redseliger, je weniger Interesse der Mann für das, was sie beschäftigt, an den Tag legt.
Frauen können verschiegen sein wie das Grab, wenn man sie aushorchen will. Ist man aber anscheinend gar nicht neugierig, dann brennen sie vor Ungeduld, ihre Geheimnisse erzählen zu können.
Und so dauerte es denn auch nicht lange, bis ich das Rechenresultat meiner Frau erfuhr: „Ich muß wirklich einmal mit dir ausführlich sprechen,” begann sie, „ich habe den ganzen Nachmittag gerechnet und gerechnet und ich habe es von neuem eingesehen: Berlin ist zu teuer. Du weißt, wie ich mich einschränke, damit wir mit unseren Einnahmen reichen, aber ich weiß wirklich nicht mehr, wie ich es machen soll. Das Gemüse ist wieder teurer geworden, das Fleisch ist überhaupt nicht mehr zu bezahlen und sich satt essen und sich anständig anziehen muß man doch noch. Und denk dir nur, früher habe ich für meine einfachen Jackenkleider zweihundertachtzig Mark bezahlt und soll jetzt nach dem letzten Schneiderstreik wenigstens dreihundertzwanzig Mark bezahlen. Das kann ich ganz einfach nicht. Sechs Kleider brauche ich doch sicher im Jahr, wenn nicht sieben, das sind also beinahe dreihundert Mark mehr. Wo soll ich das hernehmen?”
„Vielleicht von mir,” versuchte ich ihren Schmerz zu trösten, aber sie widersprach: „Nein, was du verdienst, behalte nur für dich, ich will davon nicht einen Groschen haben und außerdem gibst du mir aus deiner Tasche schon soviel —”
„Na also,” unterbrach ich sie, „da kommt es auf die dreihundert Mark auch nicht an.”
Aber meine Frau wollte nichts davon wissen: „Nein, unter keinen Umständen. Ich muß mit meinen Zinsen reichen und ich kann es auch sehr gut. Ich habe mir vorhin wieder ausgerechnet, was ich in diesem Jahr noch zu bezahlen habe und wenn du mir noch fünfhundert Mark dazu gibst, komme ich sehr reichlich aus und brauche dich gar nicht um Geld zu bitten.”
„Selbstverständlich stehen dir die fünfhundert Mark jederzeit zur Verfügung, willst du sie sofort haben?”
„Aber das eilt doch gar nicht,” widersprach meine Frau, „wenn ich das Geld ganz gelegentlich, in zwei oder drei Monaten, oder vielleicht morgen früh haben kann, ist das zeitig genug — ich habe alles genau berechnet, solange komme ich aus.”
„Ganz wie du willst,” wiederholte ich noch einmal.
Meine Frau schwieg eine ganze Weile, dann meinte sie: „Ich habe auch sonst noch mancherlei gerechnet,” und dann fragte sie ganz plötzlich und unvermittelt, „hättest du nicht Lust, in irgendeine kleine Stadt zu ziehen?”
Ganz überrascht blickte ich auf: „Wie kommst du nur auf den Gedanken? Berlin ist doch so schön —”
„Aber zu teuer,” unterbrach mich meine Frau, „denk doch nur an das Sündenged, das wir hier für unsere Etage bezahlen müssen. Wenn wir dieselbe Summe in einer kleinen Stadt anlegen, bekommen wir dafür eine große Villa mit einem prachtvollen Garten.”
„Aber wenn wir dort ebensoviel ausgeben wie hier, sparen wir doch nichts?” wandte ich ein.
„Dafür haben wir dann aber auch das Haus für uns allein, brauchen uns über die anderen Leute nicht zu ärgern, haben schöne Fremdenzimmer, können häufig Logierbesuch bei uns sehen —”
„Der mich von der Arbeit abhält und viel Geld kostet.”
Meine Frau ließ sich nicht beirren: „Für deine Gesundheit ist es nur gut, wenn du etwas weniger arbeitest und viel kosten wird der Besuch auch nicht. In einer kleinen Stadt sind die Lebensmittel doch billig und vor allen Dingen könnte ich mir dann, wenn wir mehr Platz haben, noch ein drittes Mädchen halten.”
„Das dritte will aber ebenso wie die beiden anderen ihren Lohn, ihre Beköstigung und ihren anständigen Weihnachten haben.”
„Dafür sind aber in einer kleinen Stadt die Löhne desto niedriger.”
„Die Steuern aber dafür desto höher, in der Hinsicht ist Berlin wirklich eine billige Stadt.”
Meine Frau wurde ungeduldig: „Ich denke, wir bezahlen hier wirklich Steuern genug, aber selbst, wenn wir wo anders noch ein paar hundert Mark mehr bezahlen, die spare ich dort schon alleine an meiner Toilette.”
Ich sah sie zweifelnd an: „Glaubst du wirklich?”
Meine Frau wurde Feuer und Flamme: „Aber ich bitte dich, das ist doch gar keine Frage. Natürlich würde ich in einer kleinen Stadt mehr Kleider brauchen als in Berlin, denn hier fällt es auf der Straße nicht auf, wenn man wochenlang dasselbe trägt. In einer kleinen Stadt, in der alle Welt uns sehr bald kennt, geht das natürlich nicht, da muß man öfter wechseln, um nicht pauwer zu erscheinen. Für dasselbe Geld, das ich hier für ein Kleid bezahle, bekomme ich dort wenigstens anderthalb.”
„Mit dem halben Kleid ist dir doch aber nichts gedient, wenn die andere Hälfte nicht noch dazu kommt,” wandte ich ein, „die zwei Kleider kosten dich dann mehr als das eine, und da du das eine hier länger tragen kannst, als dort die beiden, sehe ich auch hierin keine Ersparnis. Im Gegenteil. Und vor allen Dingen, glaubst du denn wirklich, daß du die Toiletten tragen wirst, die eine kleinstädtische Schneiderin dir anferttigt?”
„Warum nicht,” verteidigte sich meine Frau, „es käme doch auf den Versuch an.”
„Und wenn der mißlingt?”
„Dann lasse ich mir die Kleider einfach wieder hier arbeiten, das habe ich mir vorhin auch schon alles ausgerechnet. Wir fahren dann im Frühjahr und im Herbst jedes Jahr ein paar Wochen nach Berlin und nehmen uns im Esplanadehotel ein ganz billiges Zimmer. Den Tag benutze ich zur Anprobe und abends gehen wir dann in die Theater. Wir bleiben solange, bis wir von Berlin genug haben und sind dann froh, wenn wir nachher wieder in Ruhe in unserem Hause sind, keine elektrischen Bahnen und keine Automobile mehr sehen und hören.”
Ich tat, als überlege ich mir den Fall: „Glaubst du aber nicht, daß sich die Kleider etwas verteuern, wenn wir hier wochenlang in einem Hotel sitzen, nur damit du sie anprobieren kannst.”
„Keine Idee,” widersprach meine Frau, „ich sagte dir doch schon, ich habe mir das vorhin genau ausgerechnet und wenn sich auch jedes Kleid dadurch wirklich um fünfzig oder sechzig Mark teurer stellt, so wird das immer noch viel billiger, als wenn die Leute mir in der kleinen Stadt ein Kostüm anfertigen, das so miserabel sitzt, daß ich es nicht tragen kann. Und schließlich kommen wir doch auch nach Berlin, um noch andere Sachen zu kaufen. Es gibt tausend Dinge, die man zum Leben braucht, die aber in einer kleinen Stadt entweder sehr viel teurer oder überhaupt nicht zu haben sind. Von meinen Hüten will ich erst gar nicht sprechen.”
Ich erhob abwehrend die Hände: „Nein, bitte, sprich nicht davon.”
Ganz erstaunt sah sie mich an: „Aber warum soll ich denn nicht davon sprechen?”
Ich fügte mich in das Unvermeidliche: „Also sprich,” bat ich.
Und sie sprach, bis sie dann wieder auf ihren ursprünglichen Gedanken zurückkam: „Ich habe alles auf das Genaueste berechnet, wenn wir nach einer kleinen Stadt übersiedeln, brauchen wir dort sicher fünftausend Mark im Jahr weniger als hier, die können wir dann direkt auf die Bank bringen und sparen. Denk dir mal, fünftausend Mark im Jahr, das sind in zehn Jahren —”
„Fünfzigtausend,” half ich ihr im Kopfrechnen, „in zwanzig Jahren sind es hunderttausend und in fünfzig Jahren eine Viertelmillion, vorausgesetzt, daß wir noch solange leben und das Geld wirklich sparten.”
„Natürlich tun wir das,” stimmte meine Frau mir bei, „und denk dir mal all die schönen Reisen, die wir in jedem Jahr von diesen fünftausend Mark machen können. Wir kennen beide ja zwar sehr viel von der Welt, aber vieles ist uns doch noch fremd, und du weißt doch, Reisen ist für mich das Schönste, das es gibt. Und schon, um reisen zu können, sollten wir wirklich in eine kleine Stadt übersiedeln — hättest du nicht Lust dazu?”
„Dir zuliebe würde ich es schon tun,” erwiderte ich, „aber es geht nicht. Was du mir da erzählt hast, ist ja alles sehr schön und sehr gut, aber deine Rechnung hat einen großen Fehler, sie stimmt nicht. Wir würden nach den Plänen, die du entwickelt hast, nicht nur keine fünftausend Mark im Jahr sparen, sondern dort wenigstens fünftausend Mark im Jahr mehr gebrauchen. Und da meine ich, wenn wir denn doch sparen wollen und müssen, ist es einfacher, wir bleiben ruhig in Berlin und geben die fünftausend Mark gar nicht erst aus, sondern bringen die von Anfang an gleich auf die Bank. Hältst du das nicht auch für praktischer?”
Eine ganze Weile saß meine Frau nachdenklich da, dann sagte sie: „Für wen sollen wir eigentlich sparen? Es ist so furchtbar langweilig, sich jede Ausgabe erst zu überlegen und das Geld nur zurückzulegen, damit unsere Erben es später doch ausgeben? Nein, da gebrauchen wir es lieber selbst — was meinst du, soll ich mir für unsere Reise nach Marienbad nicht doch ein weißseidenes Straßenkleid machen lassen? Ich habe es mir vorhin ausgerechnet, wenn ich den Tischler mit seiner Rechnung noch bis zum nächsten Vierteljahr warten lasse, kann ich es sehr gut gleich bezahlen. Meinst du nicht auch, daß ich es eigentlich noch sehr notwendig gebrauche?” Und sich plötzlich auf meinen Schoß setzend und die Arme um meinen Hals schlingend, bat sie „Sag doch ja, ich mölchte es zu rasend gerne haben.”
Lachend stimmte ich ihr bei: „Wenn dich das Kleid glücklich macht, kaufe es dir ruhig, aber nur unter einer Bedingung, schwöre mir, daß du nie wieder rechnen willst.”
Da sah meine Frau mich mit ganz traurigen Augen an: „Du verlnagst Unmögliches von mir, denn wie sollte ich wohl mit meinem Geld auskommen, wenn ich nicht immer und immer wieder rechnete, um dadurch soviel wie nur möglich zu sparen.”