Frauen, die nicht neugierig sind.

Von Freiherr von Schlicht
in: „Slovensky narod” vom 27.11.1926, in slowakischer Übersetzung unter dem Titel „LIST”
in: „Die Frau und meine Frau”


Meine Frau ist nie neugierig, niemals, sie weiß gar nicht, was Neugierde ist, begreift es gar nicht, wie jemand an diesem „Laster” kranken kann — sagt sie.

Die Eigenschaften, die andere Frauen haben, sind für die anderen „Laster”. Immer „Laster” — besitzen sie aber dieselben Eigenschaften, dann sind die nicht lasterhaft, sondern reizend, entzückend.

Gibt es etwas Entzückenderes als eine junge, hübsche Frau, die sich, in eine bezaubernd duftige Matinee gehüllt, zärtlich an ihren Gatten schmiegt, der am Frühstückstisch seine Korrespondenz durchsieht und die nun mit unschuldiger und harmloser Koketterie dahinter zu kommen sucht, wer außer ihr an ihren Schatz, an ihren einzig süßen geliebten Schatz, meistens sehr geschmackvoll „Männe” genannt, oder auch „Bubi”, etwas zu schreiben hat? Gibt es etwas Entzückenderes, als diese Szene, die ich mit kurzen Worten zu schildern versuchte? Ich sage „ja”, die junge Frau aber sagt „nein” und ich füge mich, denn mit schönen Frauen, besonders wenn sie eine duftige und zarte Matinee tragen, die mehr erraten lassen, als sie verbergen, soll und darf man nicht streiten.

Schöne Frauen sind nur dazu da, um geküßt und nochmals geküßt zu werden und wenn sie neugierige Fragen stellen, muß man ihnen den Mund erst recht mit einem Kuß verschließen. Aber meine Frau ist nicht neugierig, sie weiß gar nicht, was Neugierde ist.

Die Morgenpost hatte mir ein ganzes Paket von Briefen gebracht, das geht jedem Schriftsteller so, der das Glück oder das Unglück hat, nicht mehr ganz unbekannt zu sein.

Und wenn Goethe heute noch lebte, würde er vor lauter Briefen gar nicht dazu kommen, seinen „Faust” zu schreiben, denn Briefe rauben Zeit und Ruh'.

Aber auch, wenn man gar nicht daran denkt, mit Schiller und Goethe irgendwie verwandt oder verschwägert zu sein, bringt der Postbote genug — ich sage der „Postbote”, nicht der Geldpostbote, denn der kann gar nicht genug bringen.

Man kann die Briefe, die man als Schriftsteller erhält, in drei Kategorien einteilen und man braucht sie gar nicht erst zu lesen, denn man weiß im voraus ganz genau, was sie enthalten.

Die erste Kategorie enthält die Bitte um ein Autogramm: „Als leidenschaftliche, glühende Verehrerin Ihrer göttlichen Muse und Ihrer Geisteskinder bitte ich Sie, verehrter Meister, mir auf dem einliegenden weißen Blatt Papier Ihren Namenszug und einen Gedankensplitter Ihres genialen Geistes für mein Poesiealbum niederschreiben zu wollen.”

In der zweiten Briefsorte wird man angepumpt: „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich den Betrag von tausend Mark, der für Sie doch nur eine Kleinigkeit ist, allerspätestens in drei Jahren, sollte es mir aber dann nicht möglich sein, ganz bestimmt an einem anderen Tag, über den wir uns schon einigen würden, zwar ohne Zinsen, aber mit heißem Dank, zurückzahle.”

Mir persönlich schrieb einmal eine mir gänzlich unbekannte Mutter, ich möchte doch Mitleid mit ihr haben, und ihrem Sohn die Schulden bezahlen, da der Vater so strenge sei und nichts davon erfahren dürfe.

Und ein Zufall fügte es, daß ich einmal an ein und demselben Tag mit der gleichen Post von zwei verschiedenen Witwen, die mir beide ganz fremd waren, gebeten wurde, einer jeden von ihnen doch eine Grünkramhandlung einzurichten.

Wenn man auch nur den zehnten Teil aller Bitten erfüllen wollte, müßte man zehnfacher Millionär sein.

Die letzten Briefe enthalten endlich die Bitte, dem Absender, der wieder ein glühender Verehrer und begeisterter Anhänger unserer Muse ist, doch einige Bücher gratis und franko zu übersenden, da seine bescheidenen Mittel es ihm leider nicht erlaubten, sich soviel von unseren „geistsprühenden” Werken anzuschaffen, wie es sein sehnlichster Wunsch wäre.

Und diesen vielen Briefen, die etwas kosten, steht auf der anderen Seite, aber auch nur dann, wenn man Glück hat, ein einziger Brief eines Verlegers oder einer Redaktion gegenüber: „Wir sind sehr gerne bereit, die uns freundlichst übersandte Arbeit Ihrer Feder zu veröffentlichen, möchten Sie aber bitten, sich mit einem geringeren Honorar als früher begnügen zu wollen, da wir bemüht sein müssen, unseren Etat, der überlastet ist, zu veringern.”

Auch mir hatte die Post wieder einen ganzen Posten derartiger Briefe gebracht und während ich sie durchsah, blätterte meine Frau im Berliner Tageblatt.

Männer lesen die Zeitungen, Frauen durchblättern sie: Erst sehen sie die Verlobungsanzeigen durch, dann die Ankündigung von frischer Zervelatwurst bei Wertheim, dann die Mord- und Unfallberichte und im Anschluß daran die Theateranzeigen und überlegen, wohin sie am Abend gehen möchten.

Plötzlich fragte mich meine Frau: „Von wem war denn der Brief, den du da eben fortgelegt hast?”

Ich sah flüchtig zur Seite — ich hatte den Brief gar nicht zu Ende gelesen und antwortete daher der Wahrheit gemäß: „Ich weiß es wirklich nicht.”

„Zeig' ihn doch bitte mal her!”

Verwundert sah ich meine Frau an: „Aber warum denn nur? Ob der Absender nun Müller oder Schulze oder sonst irgendwie heißt, ist doch ganz gleichgültig, und kann dich doch nicht im geringsten interessieren.”

„Doch,” widersprach meine Frau, „du irrst dich, es interessiert mich.”

Im Gegensatz zu den Männern haben die Frauen für alles, selbst für die unbedeutendsten Sachen, Interesse, nur wenn der Mann sie bittet, sich dafür zu interessieren, daß das Mittagessen pünktlich auf den Tisch kommt, oder daß die Frackenden besser gebügelt werden, dann können sie unmöglich für alles Interesse haben und für solche Kleinigkeiten sind doch die Dienstboten da.

Setzt sich der Mann dann aber direkt mit den Dienstboten in Verbindung, dann ist die Frau beleidigt, weil man sich in ihren Interessenkreis gemischt hat und man erhält zur Antwort: „Wozu bin ich denn eigentlich die Hausfrau? Wenn du mir nur ein Wort gesagt hättest, dann hätte ich selbstverständlich den Übelständen abgeholfen.” Und an dieser Antwort ändert auch die Tatsache nichts, daß man über den streitigen Punkt seiner Frau nicht nur ein Wort, sondern ganze Sätze gesagt hat.

Meine Frau sah immer noch nach dem Schreiben hin, das aus irgendeinem Grunde ihre Aufmerksamkeit erregt hat.

„Bitte, gib mir doch den Brief, wenn auch nur für einen Auigenblick.”

Anstatt ihre Bitte zu erfüllen, fragte ich nur: „Aber seit wann bist du denn nur neugierig?”

Meine Frau lachte auf — Frauen lachen immer, wenn sie am liebsten vor Ärger weinen möchten.

Also meine Frau lachte: „Ich und neugierig — nein, das ist zu komisch, ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht neugierig gewesen.”

„Um so besser,” stimmte ich ihr bei, „und ich muß dir auch wirklich das Kompliment machen, daß ich bis zu diesem Augenblick von dieser Untugend auch noch nie etwas bemerkt habe.”

Frauen glauben alles, was ihrer Eitelkeit schmeichelt und so sagte meine Frau denn: „Nicht wahr? Ich bin noch nie neugierig gewesen und zum Zeichen, daß ich es auch jetzt nicht bin, bitte ich dich auch nicht weiter um den Brief, obgleich du mir eine große Freude machen würdest, wenn du ihn mir gäbst.”

Ich tat, als ob ich die letzten Worte nicht gehört und fuhr mit der Durchsicht der Korrespondenz fort.

Wohl fünf Minuten herrschte Schweigen, dann kam die Frage: „Du willst mir also den Brief wirklich nicht zeigen?”

„Aber liebes Kind,” widersprach ich, „du hast mir doch eben erklärt, du wolltest nicht weiter um den Brief bitten, um mir zu beweisen, daß du auch jetzt nicht neugierig bist.”

„Ich bitte dich doch auch nicht — ich habe dich doch nur gefragt, ob du ihn mir nicht geben willst.”

„Aber eine Frage ist doch nichts anderes als eine Bitte, sehr häufig sogar, sogar die Erfüllung dieser Bitte. Wenn du mich fragst: Wollen wir heute abend nicht in die Oper gehen, dann ist es eine Bitte. Wenn du mich aber fragst: Meinst du nicht auch, daß ich für diesen Sommer noch unbedingt drei neue Hüte brauche, dann heißt das, daß du dir schon vier gekauft hast.”

Meine Frau wurde ungeduldig: „Wozu soviele Worte? Sag' lieber: Ich will dir den Brief nicht zeigen, dann ist die Sache endlich erledigt.”

Ich stimmte ihr bei: „Schön, dann erkläre ich dir also hiermit feierlichst, daß ich dir den Brief nicht zeige. Es wird auch Zeit für mich, an die Arbeit zu gehen.”

Aber als ich mich von meiner Frau wie sonst mit einem Kuß verabschieden wollte, wehrte sie ab: „Laß doch das.”

Wenn man eine Frau küssen will, ist es ihr nicht recht, und wenn man sie nicht küßt, ist es ihr erst recht nicht recht, denn der Kuß ist das Zeichen der Liebe.

„Aber ich denke, die Sache ist durch meine bestimmte Antwort erledigt?” sagte ich anscheinend sehr verwundert.

„Das ist sie auch, aber das will ich dir bei dieser Gelegenheit gleich sagen: Ich bitte dich nie wieder um etwas, niemals.”

Ich ging in mein Zimmer, denn es wurde wirklich Zeit, mich an den Schreibtisch zu setzen. Daß meine Frau mich nie wieder um etwas bitten würde, beunruhigte mich nicht weiter. Wenn eine Frau sagt: Mein Herr, ich hasse Sie, dann gibt sie ihm nach fünf Minuten einen Kuß und schwört, nicht ohne ihn leben zu können und ihn stets geliebt zu haben. Und eine Frau, die nie wieder bitten will, kommt spätestens nach drei Stunden mit einer ganz großen Bitte.

Als meine Frau aus der Stadt zurückkam, hatte sie einen wundervollen Perserteppich entdeckt: „Ach, wenn du mir den schenken wolltest, vielleicht zu meinem Geburtstag oder zu Weihnachten, obgleich man ja nicht wissen kann, ob die Leute ihn dann noch auf Lager haben, denn er ist so schön, daß er ganz bestimmt sehr schnell fortgeht, ach, das wäre zu lieb von dir, bitte, schenke ihn mir doch.”

Wir brauchen wirklich einen neuen Teppich, so sagte ich denn Ja und Amen. Gleich am Nachmittag wollten wir zur Stadt fahren und ihn kaufen und damit er dann noch nicht fort sei, eilte meine Frau an das Telephon, um ihn sich reservieren zu lassen.

Als meine Frau in das Zimmer zurückkam, kannte ihre Freude und ihre Dankbarkeit keine Grenzen. Sie küßte mich immer wieder von neuem und dann sagte sie plötzlich: „Nicht wahr, heute morgen warst du schlechter Laune und ich sehe jetzt ein, daß es unrecht von mir war, dich mit meinen Fragen zu quälen, aber nicht wahr, jetzt sagst du mir, von wem der Brief war? Ich habe keine ruhige Minute, ehe ich das nicht weiß, ich habe unterwegs immer nur an den Brief denken müssen, und mir nicht einmal, wie sonst, die Schaufenster angesehen.”

„Du hast aber trotzdem den Teppich entdeckt — trotzdem du nichts gesehen hast?”

„Den mußte man bemerken,” widersprach meine Frau lebhaft, „denk allein an seine Größe, vor allen Dingen aber ist er so wunderhübsch, daß man ihn sehen mußte.”

„Auch dann, wenn man gar nicht in das Schaufenster sah?” fragte ich, „das verstehe ich nicht ganz.”

„Das ist doch auch ganz gleichgültig,” meinte meine Frau, „aber jetzt mach' bitte meiner Ungeduld ein Ende: Von wem war der Brief?”

Ich sah es ein, wenn ich nicht noch in der Todesstunde mit dieser Frage gequält werden wollte, mußte ich sie jetzt beantworten. Ich tat es und fragte dann: „So, nun ist deine Neugierde hoffentlich gestillt?”

Meine Frau machte ein ganz verwundertes Gesicht, als hätte sie das, was ich eben äußerte, gar nicht verstanden: „Was sagst du da? Du sprichst bei mir von Neugierde? Aus euch Männern kann man aber auch bei dem besten Willen nicht klug werden, ihr seid zu sonderbar. Wenn man etwas brennend gerne wissen möchte, dann ist das doch noch lange keine Neugierde — ich wenigstens verstehe unter Neugierde etwas ganz anderes.”

Aber was sie darunter verstand, das sagte sie nicht.


„Slovensky narod” vom 27.11.1926:


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