Frauen, die fragen

Von Freiherr von Schlicht
in: „Die Frau und meine Frau”


Meine Frau hatte mich gefragt, ob ich mit ihr zur Stadt gehen wollte — ich sollte es ganz offen und ehrlich sagen. Wenn ich nicht möchte oder etwas anderes vor hätte, ginge sie natürlich allein.

Ich hasse in Berlin dieses „zur Stadt gehen”. Wie man in Tiergarten keinen Augenblick sicher ist, von einem der dort herumspielenden zahllosen Kinder angerannt und umgestoßen zu werden, einen Reifen zwischen die Beine oder einen Diabolo auf den Kopf zu bekommen, so ist man in der Stadt selbst vor Droschken, Automobilen, Radfahrern und Rollschuhläufern erst recht keinen Augenblick sicher. Und dazu die Luft in den Straßen Berlins, diese Luft, die überhaupt gar keine mehr ist.

Für mich ist dieses „zur Stadt gehen” der Inbegriff alles Entsetzens.

Meine Frau weiß das natürlich sehr genau, trotzdem fragte sie mich, ob ich Lust hätte mit ihr zu gehen.

Männer fragen nach Dingen, die sie zu erfahren wünschen. Frauen fragen auch dann, wenn sie die Antworten ganz genau im voraus wissen. Es geht nicht anders, sie müssen fragen, das ist in ihrer Natur begründet.

Wenn sich mal ein Mann die Arbeit machen würde, die Naturgeschichte der Frau zu schreiben, dann würde das Werk, glaube ich, so stark werden, daß der große Brockhaus im Vergleich damit ein ganz dünnes Büchelchen wäre.

Meine Frau hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, trotzdem sie ganz genau wußte, daß ich nicht die leiseste Neigung verspürte, und so hätte meine Antwort sie eigentlich weder verstimmen noch erzürnen dürfen.

Aber bei Frauen kommt es immer anders als man denkt. Selbst wenn man das weiß und sich auf „das andere” vorbereitet hat, selbst dann erlebt man eine Überraschung, denn dann kommt es nicht nur anders, sondern dann kommt es gerade umgekehrt.

Wenn man glaubt, daß eine Frau „rot” sagen wird, dann sagt sie „grün”. Schwört man aber darauf, daß sie „grün” sagen wird, weil sie als Frau gar nicht das Kunststück fertig bringt, die einzig richtige Antwort „rot” zu geben, dann sagt sie gerade „rot”.

Meine Frau wandte sich schmollend ab: „Ich weiß es ja, daß du es im allgemeinen nicht liebst, zur Stadt zu gehen, aber ich meine, einmal könntest du schon mir zuliebe eine Ausnahme machen.”

Das Wort „mir zuliebe” hat schon Millionäre zu Bettlern, Ehrenmänner zu Verbrechern gemacht. Seitdem Adam seiner Gemahlin Eva zuliebe von dem Apfel aß, bis auf den heutigen Tag, ist das Wort „mir zuliebe” die Waffe geblieben, mit der jede Frau jeden Mann zu ihren Füßen zwingt. Und das wird auch so bleiben, bis die Welt untergeht.

Gegen das „mir zuliebe” gibt es keinen Widerstand, so ging ich denn mit.

Alle Frauen, die durch die Straßen der Stadt gehen, tragen ihren Kopf schief auf den Schultern, gleichsam, als ob sie einen steifen Hals hätten und den Kopf nicht geradeaus legen könnten. Das liegt daran, daß jede Frau, wenn sie durch die Straßen geht, mit einem Auge die entgegenkommenden Passanten, mit dem anderen aber die Schaufenster betrachtet.

Nur eine Frau bringt es fertig, sich im stillen über die entsetzlich geschmacklose Toilette irgendeiner Dame zu entsetzen und dabei gleichzeitig einen leisen Ruf des Entzückens auszustoßen, weil sie in einem Schaufenster allerliebste Spitzenhöschen entdeckt hat.

Die Auslagen in den Fenstern der Kaufleute tragen unglaublicherweise dazu bei, den Charakter und die Moral der Frauen zu verderben.

Ein Buch wie „Nixchen”, dessen Beschlagnahme fromme Heuchler und Mucker durchgesetzt haben, wird ein junges Mädchen nicht halb so leicht verderben, wie ein schönes Kleid oder ein Schmuckstück, das sie in den Schaufenstern sieht und das sie gerne haben möchte. Weil sie es selbst nicht kaufen kann, verkauft sie sich selbst, um davon andere Sachen kaufen zu können.

Es soll Frauen geben, die bei einem Schaufenster vorübergehen können, ohne stehenzubleiben. Ich sage ausdrücklich „es soll”, denn ich kenne nicht eine einzige derartige Dame und ich kenne auch keinen Herren, der eine solche Dame kennt, aber es soll sie trotzdem geben.

Gewiß ist an der meisten Gerüchten immer etwas Wahrheit — aber die Mutter der meisten Gerüchte ist die Lüge.

Meine Frau bleibt vor jedem Fenster stehen, sie sieht sich überall alles an, in dem einen Fenster die schönen Delikatessen, in dem anderen die Pappbeine mit den durchbrochenen seidenen Strümpfen und den runden seidenen Strumpfbändern, in dem dritten die Hüte, in dem vierten das Kinderspielzeug, obgleich wir keine Kinder haben, im fünften die Nähmaschinen, im sechsten die Mähmaschinen, im siebenten dies und im achten jenes.

Selbst der Weiseste der Weisen würde es nicht ergründen können, warum eine Frau das tut.

Genug, sie tut es, und meine Frau tat es, als ich „ihr zuliebe” mit zur Stadt gegangen war.

Wir gingen, nein, wir standen durch die Straßen.

Jeden Augenblick hieß es: „Sieh nur diese entzückende Perlenkette”, „Sieh nur diese entzückenden Goldschuhe”, „Sieh nur diesen entzückenden Theatermantel!”

Ob eine Frau all die zahllosen Dinge, die sie bei einer solchen Gelegenheit betrachtet, auch wirklich sieht? Ich glaube es nicht, denn sonst müßte es von all dem Sehen in dem Gehirn einer Frau wie in einem Warenhaus aussehen.

Wir waren von den „Linden” die Friedrichstraße hinauf gegangen, wir waren noch weit von der Leipziger Straße entfernt und waren doch schon zwei Stunden in der Friedrichstraße unterwegs, obgleich man sonst die Straße sehr bequem in fünfzehn Minuten zurückgelegt. Von der Leipziger Straße wollten wir nach dem Potsdamer Platz gehen, dann mit der Bahn wieder nach Haus fahren, und ich war gerade damit beschäftigt, es auszurechnen, wieviel Tage wir wohl noch gebrauchen würden, um an das Ziel zu gelangen, als meine Frau in einem großen Geschäft, das zahllose verschiedene Artikel führte, eine Kaffeemaschine mit dazugehörigen sechs Mokkatassen auf einem Tablett ausgestellt sah.

Wie man sich für Sachen begeistern kann, die man zu Hause im Überfluß besitzt, ist mir ein Rätsel, aber meine Frau war entzückt, sie konnte sich von den Anblick nicht trennen.

„Laß uns weitergehen,” bat ich endlich, „wenn ich hier noch länger stehen soll, schlafen mir die Füße ein oder ich bekomme Wadenkrämpfe.”

„Einen Augenblick wirst du schon wohl noch aushalten können,” meinte meine Frau.

„Sogar noch zwei Augenblicke, vorausgesetzt, daß die nicht zu lange dauern. Bei euch Frauen hat eine Sekunde bekanntlich manchmal sechzig Minuten.”

Meine Frau hörte gar nicht auf das, was ich sagte. Voller Entzücken betrachtete sie das Kaffeeservice weiter und plötzlich fragte sie: „Was glaubst du wohl, was das kosten wird?”

Ich fing an, etwas zu ahnen, und nur damit meine Ahnung nicht zur Wahrheit würde, sagte ich: „Billig ist die Sache ganz gewiß nicht, unter hundertfünfzig Mark —”

„Nein, so teuer ist es lange nicht, es kostet höchstens fünfundsiebzig,” unterbrach mich meine Frau.

„Laß uns weitergehen,” bat ich, „der Augenblick von vorhin ist schon lange vorüber, ein neuer hat bereits begonnen und auch der ist schon wieder vorüber, denn ein Augenblick ist eben nur ein Augenblick.”

Aber meiner Frau hörte nicht, obgleich die Frauen stets hören, was die Männer sagen — sagen die Frauen!

Keine Frau kennt und versteht sich selbst, gerade deshalb verlangt sie, daß der Mann sie versteht.

Alle unverstandenen Frauen sind unglücklich, sie würden aber noch viel unglücklicher sein, wenn sie verstanden würden. Eine unverstandene Frau hat das Vorrecht, bei einem andern das Glück zu suchen, das sie bei ihrem Mann nicht findet — das Suchen aber ist ja viel interessanter als das Finden und auch viel abwechslungsreicher. Bevor man etwas an einem Ort findet, dann wenn es tausend verschiedenen Stellen suchen.

Eine Frau, die von ihrem Mann verstanden wird und in der Ehe das Glück findet, das sie da erhoffte, fängt spätestens nach einem Jahr an, sich furchtbar zu langweilen.

Die unglücklichsten Ehen sind oft die glücklichsten!

Meine Frau bewunderte noch immer das Kaffeeservice und plötzlich sagte sie: „Ob ich nicht einmal hineingehe und nach dem Preis frage?”

Ganz entsetzt sah ich sie an: „Aber denkst du denn wirklich daran, dir das Service zu kaufen?”

Meine Frau lachte auf: „Ihr Männer seid doch wirklich zu komisch. Wie sollte ich wohl dazu kommen, das Service zu kaufen, man kann doch mal nach dem Preis fragen. Was meinst du, soll ich nicht einmal hineingehen?”

Wenn ich ihr zuredete, ging sie natürlich ganz bestimmt hinein und widersprach ich, dann würde ich nicht eher Ruhe haben, bis ich ihr beistimmte.

So sagte ich gar nichts. Und meine Frau ging mit einem: „Ich bin gleich wieder da” in den Laden.

Als sie wieder auf die Straße trat, waren nach der Ruhr genau siebzig Minuten und dreiundvierzig Sekunden vergangen.

Schnell schob sie ihren Arm in den meinen und zog mich mit fort: „So, nun komm aber, sonst wird es zu spät zu Tisch. Es hat leider etwas länger gedauert, als ich dachte, aber es war so schwer, sich zu entscheiden, die Leute haben eine zu enorme Auswahl. Etwas teurer ist es allerdings auch geworden, als ich dachte, aber paß nur auf, die wird auch dir gefallen, sie ist einfach entzückend und wird sich in meinem kleinen Boudoir reizend machen. Selbstverständlich werde ich für gewöhnlich nicht alle fünf Flammen brennen, sondern nur drei, aber das wird völlig hell genug sein, meinst du nicht auch?”

Aber ich meinte gar nichts — voller Verwunderung sah sah ich auf meine Frau, die fröhlich plaudernd an meiner Seite dahinschritt.

Für eine Frau ist selbst das unlogischste und das unglaublichste so einfach und natürlich, daß sie sich erst gar nicht die Mühe gibt, es sich oder anderen irgendwie zu erklären.

Und so mußte ich mir denn selbst erklären, was vorgefallen war.

Meine Frau war in den Laden gegangen, um nach dem Preis eines Kaffeeservices zu fragen. Sie wollte nicht kaufen, sondern nur fragen und anstatt zu fragen, ohne zu kaufen, hat sie sich ohne zu fragen eine neue elektrische Krone für ihr Boudoir gekauft.


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© Karlheinz Everts