Von Freiherr von Schlicht
in: „Die Lore”
I.
Graf Peter von Meersdorf, einer der reichsten und angesehensten Großgrundbesitzer der Provinz, eine ebenso kräftige, gesunde wie elegante und vornehme Erscheinung Ende der Dreißig, war soeben von seinem weiten Morgenspazierritt, auf dem er sich von dem glänzenden Stand der Saaten, die eine ausgezeichnete Ernte versprachen, überzeugt hatte, zurückgekehrt und saß nun in dem großen, aber außerordentlich warm und behaglich eingerichteten Herrenzimmer seines Schlosses an dem Schreibtisch und sah die eingegangene Post wie stets zuerst allein durch, um diese dann später mit seinem Administrator zu besprechen, bevor sie dem Gutssekretär zur Beantwortung übergeben wurde. Wie immer befanden sich auch heute unter den Eingängen zahlreiche Bettel- und ähnliche Briefe, die er besonders beiseite legte, bevor sie sein Hauptkassierer zur Erledigung erhielt, und auch jetzt hatte er nach seiner Überzeugung einen solchen in Händen, denn die äußere Ausstattung des Briefes und auch die nicht besonders gebildete Handschrift machten keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck. Aber als er den Umschlag geöffnet und den Bogen auseinandergefaltet hatte, las er: Hochgeborener Herr Graf! Ihre Frau Gemahlin betrügt Sie, ich würde an Ihrer Stelle besser auf sie achten. Hochachtungsvoll einer, der es wirklich gut mit Ihnen meint.
Pfui Teufel!
Der Ekel war in ihm aufgestiegen, der Ekel, daß ein feiger anonymer Schuft es wagte, seine Frau, seine Ria, mit der er nun schon seit drei Jahren in der denkbar glücklichsten, wenn leider auch vorläufig noch kinderlosen Ehe lebte, in solcher schamlosen Weise bei ihm zu verdächtigen.
„Pfui Teufel!” wiederholte er noch einmal, um gleich darauf eine der auf dem Schreibtisch stehenden Kerzen anzuzünden und um an dieser den Brief und auch den Umschlag, beide nur mit den äußersten Fingerspitzen anfassend, als fürchte er sonst, seine Hände für immer zu beschmutzen, zu verbrennen, Brief und Kuvert, auch das letztere, damit er gar nicht erst in Versuchung käme, wenn auch gegen seinen Willen, nachzusehen, in welcher Stadt oder auf welcher Poststation das Schreiben aufgegeben sei und um dann nicht vielleicht doch darüber nachzudenken, wer so gemein, so niederträchtig gemein gewesen sein könne, seine Ria —
Eine finstere Zornesfalte zog sich auf seiner hohen Stirn zusammen. Wer mochte der Schuft nur sein, der es da wagte — . Nun beschäftigte ihn die Frage doch, bis ihm plötzlich ein Wort einfiel, das er vor langer Zeit einmal irgendwo gelesen, das sich ihm eingeprägt hatte und das da lautete: Wer anonymen Briefen glaubt oder wer sich auch nur eine Sekunde darüber ärgert, verdient es auch nicht besser, als daß er welche erhält.
Nein, glauben tat er an das, was er da vorhin gelesen, nicht einen Augenblick, er wäre sich sonst selbst so verächtlich und erbärmlich vorgekommen, daß er gar nicht mehr den Mut gehabt hätte, seiner Frau, seiner über alles geliebten Ria, jemals wieder gegenüber zu treten, und auch ärgern wollte er sich nun nicht mehr, nicht eine Sekunde länger, denn sonst verdiente er es wirklich nicht anders, als daß er den Brief erhalten hatte. Aber trotzdem, war nicht auch seine Frau durch die gegen sie erhobenen Verdächtigungen beschimpft? Hatte es nicht wenistens jemand versucht, sie aus unerreichbarer Ferne aus einem Hinterhalte heraus mit unflätigem Schmutz zu bewerfen, ohne daß er selbst, dessen heiligste und schönste Pflicht es doch war, sie in jeder Hinsicht zu beschützen und zu beschirmen, auch nur die Möglichkeit besaß, dem feigen Lumpen mit seiner schweren Reitpeitsche die Knochen im Leibe krumm und lahm zu schlagen?
Pfui Teufel noch einmal!
Er hatte einen verdammt bitteren galligen Geschmack auf der Zunge, und um den schleunigst wieder loszuwerden, zündete er sich nun eine seiner großen Zigarren an und atmete den Rauch in vollen Zügen durch die Lunge. Aber selbst die Zigarre schien ihm bitter zu schmecken, so daß er sie nun rasch wieder beiseite legte, um sich erneut wieder an seine Postsachen zu machen und um dabei das soeben Erlebte zu vergessen.
Wohl zehn Minuten mochten verstrichen sein, als ein leiser Schritt auf den weichen Teppichen ihn aufblicken ließ.
„Du, Ria?” fragte er überrascht und erfreut, während er zugleich von seinem Stuhl aufsprang, um sie zu begrüßen.
Groß und schlank, wundervoll gewachsen, mit einem zarten feingeschnittenen Gesicht, in dem zwei große, runde, dunkelbraune Augen voll verhaltener Leidenschaft mehr glühten als leuchteten, in einem ihr entzückend stehenden duftigen weißen Kleid, das dichte dunkelbraune Haar äußerst geschmackvoll frisiert, ein Bild strahlender Schönheit und Jugend, stand sie ihm, mit ihren achtundzwanzig Jahren gegenüber, und wie schon so manches Mal, konnte er sein Glück auch heute kaum fassen, daß es gerade ihm, der doch so viel älter war als sie, gelungen war, sie als seine Frau heimführen zu dürfen, sie, die, trotzdem ihre verwitwete Mutter, wie alle wußten, ihr kaum eine Aussteuer mitgeben konnte, wegen ihrer Schönheit gefeiert und begehrt worden war, als sei sie eine der reichsten Erbinnen des Landes.
„Ja ich, Peter,” gab sie ihm mit ihrer weichen einschmeichelnden Stimme zur Antwort, „ich weiß ja, daß ich eigentlich um diese Stunde nicht bei dir eindringen darf, aber —” doch mitten im Sprechen innehaltend und mit ihren feinen Nasenflügeln leicht zuckend, fragte sie: „Hast du hier irgend etwas verbrannt? Es riecht so eigentümlich.”
Er mußte sich Gewalt antun, um ganz unbefangen zu bleiben, denn natürlich durfte Ria nie etwas von dem erfahren, was man ihm zu schreiben gewagt hatte. So meinte er denn leichthin: „Nichts von Bedeutung, Liebste, lediglich ein nur für mich bestimmter Zettel mit einigen Notizen, die ich nicht in den Paperkorb werfen wolte. ”
Aber so glaubwürdig das auch hatte klingen sollen, Frau Ria glaubte ihm doch nicht, und ihn leise lächelnd ansehend und ihm scherzend mit dem Finger drohend, rief sie ihm neckend zu: „Peter, Peter, ich will zu deiner Ehre annehmen, daß du keine Geheimnisse vor mir hast und daß dieser nur für dich bestimmt gewesene Zettel nicht etwa ein Liebesbrief oder etwas Ähnliches war, das du mir verheimlichst.”
Ihre Worte machten es ihm leicht, sich nicht weiter verstellen zu müssen, und so sagte er denn mit einem ehrlichen Vorwurf in seiner Stimme: „Ria, was du da eben sagtest, glaubst du doch hoffentlich selbst nicht.”
Da lag sie auch schon lachend an seinem Hals und küßte ihn immer wieder, bis sie ihm erklärte: „Nein, Peter, das glaube ich natürlich selber nicht, denn die Gewißheit habe ich ja glücklicherweise, daß keine andere Frau, und wäre sie die schönste auf der Welt —”
„Die bist und bleibst du,” unterbrach er sie, und sie hörte aus seinen Worten heraus, daß es ihm heiligster Ernst war mit dem, was er sagte, und es gleich beinahe einem Schwur, als er hinzusetzte: „Und die Gewißheit hast du auch, Ria, daß niemals eine andere Frau imstande sein wird, sich auch nur für eine Minute jemals zwischen uns zu drängen. Nun aber sage mir bitte, was dich zu mir führt, ist es ein Wunsch, so ist er im voraus erfüllt. Also was ist es?”
Von neuem schmiegte sie sich zärtlich an ihn: „Du machst es mir wirklich leicht, meine Bitte zu äußern, da erlaubst du es mir also, daß ich morgen einmal wieder auf zwei oder drei Tage nach Berlin zu der kranken Mama fahre und mich einmal wieder danach umsehe, wie es ihr geht.”
„Ihre Frau Gemahlin betrügt Sie — ich würde an Ihrer Stelle besser auf sie acht geben.”
Wie war es nur möglich, daß ihm diese Worte, die er doch für immer hatte vergessen wollen und auch schon vollständig vergessen zu haben glaubte, nun doch wieder einfielen und ihn derartig beschäftigten, daß er deutlich fühlte, wie sich von neuem eine Falte auf seiner Stirn zusammenzog.
Auch Frau Ria hatte die sofort bemerkt, und ihn etwas verwundert, aber zugleich auch voller Liebe ansehend, fragte sie: „Ist es dir nicht recht, wenn ich fahre, daß du deswegen mit einemmal ein so böses Gesicht machst?”
„Ein böses Gesicht, Ria?” verteidigte er sich. „Nein, das ganz gewiß nicht, höchstens ein trauriges, daß du mich schon wieder ein paar Tage allein lassen willst, denn du weißt doch, wie lieb ich dich habe, und wie ich dich bei Tag und Nacht entbehre, wenn du nicht bei mir bist.”
Ein leises Rot färbte bei seinen letzten Worten ihre Wangen, und ihm einen zärtlichen Blick zuwerfend, stimmte sie ihm bei: „Ich weiß, ich weiß, Peter, aber auch du weißt, wie du mir fehlst, wenn ich dich nicht bei mir habe. Aber es sind nun schon mehr als drei Wochen, daß ich nicht bei der Mama war, und ich fürchte, sie könnte mich für kalt und lieblos halten, wenn ich mich nicht einmal wieder nach ihr umsehe, denn seitdem sie ihren Schlaganfall erlitt und nur auf die Pflege der Krankenschwester Herta angewiesen ist —”
„Das alles weiß ich ja, Liebling,” unterbrach er sie, „und natürlich liegt mir nichts ferner, als dir bei diesen Reisen zu deiner Mutter, an der ich ja selbst sehr hänge, irgendwelche Beschränkungen auferlegen zu wollen. Aber sind es denn schon wirklich wieder drei Wochen her, daß du bei ihr warst, oder könntest du dieses Mal mir zuliebe deinen Besuch nicht um ein paar Tage, vielleicht bis zu Beginn der nächsten Woche, verschieben, damit ich wenigstens an dem bevorstehenden ohnehin so langweiligen Sonntag hier nicht ganz allein sitze?”
„Aber selbstverständlich, Peter,” pflichtete sie ihm bei, ohne auch nur die leiseste Spur einer Enttäuschung zu zeigen, „selbstverständlich, Peter,” wiederholte sie noch einmal, um gleich darauf fortzufahren: „Daran, daß du sonst am Sonntag allein bist, hatte ich natürlich auch schon gedacht, und das war mir gar nicht recht, ein ganz gutes Gewissen hätte ich da dir gegenüber sowieso nicht gehabt. Nun ist es mir sehr lieb, daß ich da noch bei dir bin, dann fahre ich also am Dienstag oder Mittwoch. Wann paßt es dir? Mir ist es ganz einerlei, ich möchte es nur gern wissen, weil ich nachhher telephonisch bei Schwester Herta anfragen möchte, wie es der Mama geht, und weil ich ihr bei der Gelegenheit dann gleich sagen möchte, wann ich komme.”
„In der nächsten Woche ist mir jeder Tag gleich recht,” gab er zur Antwort.
„Mir aber doch auch,” warf sie ein, bis sie sich schließlich unter Lachen und Scherzen dahin einigten, daß sie am Dienstag Morgen fahren und am Donnerstag Abend zurückkommen wolle.
Gleich darauf hatte Frau Ria sich mit einem herzlichen Kuß von ihm verabschiedet. Nun saß er wieder allein und zündete sich seine vorhin beiseite gelegte Zigarre von neuem an. Und dieses Mal schmeckte sie ihm. Von dem früheren galligen Geschmack in seinem Munde war auch nicht mehr die Spur vorhanden. Wie hatte der vorhin überhaupt nur aufkommen können? Und wie war es nur denkbar, daß er sich des Schmähbriefes, wenn auch nur für eine Sekunde, erinnerte, als Ria davon sprach, einmal wieder zum Besuch ihrer Mutter fahren zu wollen, die schon seit langen Monaten krank lag und deren Befinden nach der Aussage der Ärzte kaum Aussicht bot, daß sie jemals wieder gesund würde. Allerdings, das gestand er sich jetzt selbst ein, obgleich er sich dieses Geständnisses sofort schämte, weil es eine tödliche Beleidigung seiner Frau enthielt, wenn seine Ria ihn betrog oder jemals in die Versuchung kommen sollte, es zu tun, dann konnte es nur in Berlin geschehen. Aber war es denkbar, daß sie, die als einziges Kind mit rührender Liebe an ihrer Mutter hing, die Schwerkranke bei ihren Besuchen für kürzere oder längere Zeit allein ließ, um sich mit irgend jemandem ein heimliches Rendezvous zu geben und gleich darauf wieder, als wäre nichts vorgefallen, an dem Bette der Kranken zu sitzen und diese zu pflegen und zu verziehen? Und vermochte man es sich vorzustellen, daß seine Ria ihm bei ihrer Rückkehr jedesmal mit einem solchen Jubelschrei, vor Glück und Freude abwechselnd lachend und weinend und ihn mit Küssen und Zärtlichkeiten überhäufend und beinahe erstickend, um den Hals fallen konnte, wenn sie ihm während ihrer kurzen Abwesenheit auch nur in Gedanken, geschweige denn in Taten die Treue gebrochen hätte? Und trotzdem, und wenn das Unfaßbare und Undenkbare dennoch möglich sein sollte, wenn sie auch während ihres jetzt bevorstehenden Besuches in Berlin ihn hätte betrügen wollen, wäre sie dann imstande gewesen, jede, auch die kleinste Enttäuschung zu verheimlichen, als er sie bat, die Reise auf die nächste Woche zu verschieben? Hätte sie ihm dann immer wieder erklärt, es wäre ihr ganz, aber auch ganz gleich, an welchem Tage sie zu ihrer Mutter führe?
Es war ein Wahnsinn, nein, es war mehr als das, es war ein Verbrechen an seinem ehelichen Glück, an der Liebe seiner Frau zu ihm und an der Ehre seines Hauses, daß solche Gedanken und solche Vermutungen ihn überhaupt hatten beschäftigen können, und wie vorhin, so blickte er auch jetzt voller Ingrimm, aber zugleich auch beinahe voller Sehnsucht nach der schweren Reitpeitsche, die er in seinem Zimmer auf den Tisch geworfen hatte, und dachte jetzt wieder nur das eine: Du Lump, du Schuft, der du es gewagt hast, das Reinste und Kostbarste, das ich besitze, in den Schmutz ziehen zu wollen, dich möchte ich jetzt hier haben, aber es wäre gut, wenn du da vorher deine Rechnung mit dem Himmel abschlössest, denn ich glaube nicht, daß noch allzuviel Leben in dir wäre, wenn ich dich endlich aus meinen Händen wieder freigäbe.
II.
Frau Ria war aus Berlin zurückgekommen, wie es ihrem Mann erschien, noch jünger, noch hübscher und begehrenswerter als an dem Tage, da sie fortfuhr. Und als er sie wie immer an der kleinen Station erwartete, da hatte sie bei dem Einlaufen des Zuges von ihrem Kupeefenster aus mit solcher Ungeduld nach ihm ausgesehen, daß es ihr zu lange dauerte, bis der Zug hielt, so daß sie noch während der allerdings sehr langsamen Einfahrt die Tür öffnete und heraussprang, ohne zu bedenken, daß sie dabei sehr leicht hätte verunglücken können. Mit einem Freudenschrei umarmte sie ihn, so daß er über ihre stürmische Begrüßung halb lachend, halb verlegen fragte: „Aber Liebling, was sollen die Leute, die das mit ansehen, davon denken?”
„Daß ich dich sehr lieb habe, und das ist doch wohl weiter keine Sünde und kein Unrecht,” gab sie ihm ganz unbefangen und offen und ehrlich zur Antwort, und sie küßte ihn von neuem, bis sie schließlich selbst erklärte: „So, nun ist es aber genug, sonst bleibt ja für zu Hause nichts übrig.”
Aber da hatte sie auch noch genug Küsse für ihn und dann gab es viel zu erzählen. Der Mama ginge es viel, viel besser, vielleicht würde sie trotz der gegenteiligen Versicherung des Arztes doch noch einmal wieder ganz gesund werden. Sie wäre geistig viel frischer gewesen als seit langem und hätte wieder für vieles Interesse gezeigt. Und sie selbst hätte sich ja so gefreut, daß sie beide Male zu Hause gewesen sei, als er sie antelephonierte, allerdings sei das eigentlich mehr als ein Zufall gewesen, denn das eine Mal hätte sie gerade im Begriff gestanden, zur Stadt zu fahren, um für die Mama allerlei Delikatessen, die sie sich ja sonst nicht leisten könne, einzukaufen, und das zweitemal wäre sie gerade von ihrem Ausgang, den sie nur seinetwegen, um ihm etwas Hübsches mitzubringen, unternommen habe, zurück gewesen und hätte noch Hut und Jacke angehabt, als das Telephon klingelte. Und ganz zufällig hätte sie Unter den Linden einige gemeinsame Bekannte, deren Namen sie nannte, getroffen, mit denen eine Stunde und länger bei Kranzler gesessen und unerhört viel Erdbeeren mit Schlagsahne und Eis gegessen, so viel, daß ihr hinterher beinahe schlecht geworden wäre, aber geschmeckt hätte es wundervoll. Und lustig und temperamentvoll erzählte sie, was sie an kleinen Neuigkeiten von den Bekannten erfahren und was sie sonst gesehen und gehört hatte, wie die Mama sie gebeten, noch einen Tag zuzugeben, und wie sie auch einen Augenblick daran gedacht habe, ihm die Erlaubnis dazu telephonisch abzuschmeicheln, wie sie es dann aber doch vor Sehnsucht nach ihm nicht mehr habe aushalten können, schon weil sie mehr als neugierig sei, zu erfahren, wie ihm ihr geradezu entzückendes Mitbringsel gefalle, und nun solle er einmal raten, was sie ihm mitgebracht habe. Dreimal dürfe er raten und wenn er auch dann nicht das Richtige träfe, dann sei er ein so dummer, dummer Peter, daß er eine Frau wie sie, die so darauf bedacht gewesen sei, ihm eine ganz große Freude zu machen, gar nicht verdiene.
Aber er riet nicht nur dreimal, sondern wohl dreißigmal, und Frau Ria wollte sich krank lachen über die verrückten Dinge, auf die er schließlich verfiel. Aber seine Bitte, ihm endlich das große Geheimnis zu verraten, erfüllte sie vorläufig nicht, sondern erklärte ihm, in mädchenhafter Scham leicht errötend und etwas verlegen werdend: „Nein, jetzt noch nicht, Peter, gedulde dich bis zum Abend, bis ich meine Toilette für die Nacht gemacht habe, dann will ich es dir zeigen.”
Und als es soweit war, da zeigte sie ihm endlich das für ihn bestimmte Geschenk, das sie bereits angezogen hatte, ein mit wundervollen Spitzen besetztes kostbares Nachthemd, das mehr aus einem Spinnengewebe als aus dem allerdünnsten und allerfeinsten Leinen gemacht zu sein schien und das so durchsichtig war, daß alle Formen und die rosige Haut ihres verführerischen Körpers hindurchleuchteten und viel mehr verrieten als verhüllten.
„Habe ich das Richtige für dich getroffen? Gefalle ich dir so?” fragte sie, ihm glücklich lächelnd gegenüberstehend, obgleich sie ja im voraus seine Antwort in seinen Zügen las und obgleich sie wußte, seine ganze Antwort würde darin bestehen, daß er sie, wie er es ja auch sollte, nun sicher mit noch größerer Leidenschaft als sonst in seine Arme nehmen würde.
Und es dauerte lange, lange, bis er ihr schließlich den letzten Gutenachtkuß gab, um sein Schlafzimmer, das dicht neben dem ihrigen lag, aufzusuchen.
Als Graf Peter am nächsten Morgen von seinem Spazierritt zurückgekommen war und sich gleich darauf wie immer an seinen Schreibtisch gesetzt hatte, um die eingegangene Post durchzusehen, fand er unter vielen anderen Schreiben einen Brief, den er seinem Äußeren nach für einen Bettelbrief hielt, obgleich ihm die Handschrift etwas bekannt vorkam, ohne daß er sich im Augenblick darauf besinnen konnte, wo und wann er die bereits gesehen habe. Und dann las er: „Hochgeehrter Herr Graf! Fragen Sie doch einmal Ihre Frau Gemahlin, die Frau Gräfin, ob ihr vielleicht in Berlin das Hotel Zur Rose bekannt ist, in dem Liebespaare für längere, aber meistens nur für kurze Zeit abzusteigen pflegen. Mit der größten Hochachtung einer, der es wirklich gut mit Ihnen meint.”
Graf Peter saß da, als habe er einen Schlag in das Gesicht bekommen, und als sähe er keine Möglichkeit, den ihm angetanen Schimpf zu rächen. Und nun, da er näher hinsah, glaubte er auch die Handschrift wiederzuerkennen, dieselbe, die ihn schon einmal gewarnt hatte, nur daß dieses Mal die gegen seine Frau erhobenen Verdächtigungen doch nicht so ganz aus der Luft gegriffen zu sein schienen.
Er faßte sich mit beiden Händen an die Stirn, in der die Adern hämmerten und klopften, als sollten sie zerspringen, um gleich darauf ganz deutlich zu fühlen, wie ihm jeder Blutstropfen aus dem Gesicht wich, bis er nun aufsprang und mit großen Schritten in seinem Zimmer auf und ab ging, um sich wohl hundertmal der Tür zu nähern und die Türklinke zu ergreifen, um zu seiner Frau in das Zimmer zu stürzen und um ihr die Frage in das Gesicht zu schleudern: Kennst du das Hotel Zur Rose?
Aber immer kehrte er an der Tür wieder um, denn wenn sie ihn belog und betrog, wenn sie ihn derartig betrügen konnte, daß die gestrige Freude des Wiedersehens, daß das veführerische Geschenk, das seine Sinne zur wildesten Raserei entflammte, daß die letzte Liebesnacht, in der sie sich ihm mit einer Leidenschaft hingab, als hätte sie Wochen und Monate auf diese Stunde gewartet, wenn sie ihn derartig belügen und betrügen konnte, daß die heißen und wilden Liebesworte, die sie ihm heute nacht zurief und zuflüsterte, Lügen, Lügen, nichts als gemeine Lügen und Verstellungen gewesen waren, dann würde sie auf seine plumpe Frage auch nicht hineinfallen, war auf die vielleicht schon längst vorbereitet und hatte sich auf die vielleicht schon seit Wochen eine ganz harmlose Antwort zurechtgelegt, der er ebenso glauben würde wie er ihr bisher in allem geglaubt und getraut hatte.
Der kalte Schweiß trat ihm auf die Stirn, es war nicht nur die Empörung über die ihm zugefügte Schmach, die ihn zittern und erbeben ließ, es war auch die Furcht, seine Ria, seine über alles geliebte Frau, für immer zu verlieren, denn wenn an den gegen sie erhobenen Beschuldigungen auch nur ein Fünkchen Wahrheit war, dann —
Er wagte dieses Dann nicht zu Ende zu denken.
Aber es war ja auch nicht wahr, weil es ganz einfach nicht wahr sein konnte und durfte, denn wodurch hätte er das wohl um sie, die er, wie sie doch wußte, mit jeder Faser seines Herzens liebte, der er jeden Wunsch von den Augen ablas, die er verwöhnte, soweit seine reichen Mittel es ihm immer erlaubten, die er auf Händen trug, zu der er hinaufsah wie zu einer Göttin, ja, wodurch hätte er es wohl um sie verdient, daß sie ihn betrog, zumal die Kraft seiner Leidenschaften der ihrigen entsprach und sie doch auch in der Hinsicht alles bei ihm fand, was eine so temperamentvolle Frau wie sie begehrte.
Nein, es war nicht wahr und es konnte und es durfte auch nicht wahr sein.
Wer anonymen Briefen glaubt, wer sich über die auch nur eine Sekunde ärgert, der verdient es auch nicht anders, als daß er sie bekommt.
Gott sei Dank, das Wort war ihm zur rechten Zeit wieder eingefallen. Nein, dem feigen Lumpen, der es nun schon zum zweitenmal gewagt hatte, seine Frau zu verdächtigen, wollte er weiß Gott nicht den Gefallen tun, ihm zu glauben und sich über seine Schreiberei zu ärgern.
So ging er denn zu seinem Schreibtisch, um auch diesen Breif zu verbrennen und damit auch in seinem Innern jede Spur an ihn zu vernichten. Aber bevor er das tat, zog er sich dieses Mal seine Reithandschuhe an und hielt mit denen das Schreiben über die angezündete Kerze, damit er nicht einmal seine äußersten Fingerspitzen mit diesem Unrat besudelte.
Dann atmete er erleichtert auf und fühlte, wie das Blut in seine Wangen zurückkehrte, wie die Pulse, das Herz und die Schlagadern an seinem Hals wieder ruhiger zu arbeiten begannen. Und plötzlich lachte er sogar hell auf. Wie hatte er sich nur einen derartigen Schrecken einjagen lassen können, denn selbst wenn seine Frau, was aber natürlich vollständig ausgeschlossen war, sich in dem Hotel mit irgend jemandem ein Rendezvous gegeben haben sollte, dann war sie dort doch, wie das so üblich ist, sicher unter einem fremden Namen gewesen und würde sich durch einen dichten Schleier oder sonst irgendwie derartig unkenntlich gemacht haben, daß von ihrem Gesicht nichts zu sehen gewesen war. So etwas kannte er doch aus eigener Erfahrung aus der Zeit, in der er noch ein flotter Junggeselle gewesen, das Leben in vollen Zügen genoß und mit mancher Schönen in einem derartigen Hotel lustige, glückliche Stunden verlebte.
Er wußte ja, wie unkenntlich sich Damen in solchem Falle zu machen pflegten, aber trotzdem, wenn irgendein anderer Gast seine Frau auf der Treppe, auf dem Korridor oder unten in der Halle getroffen, sie an ihrer Figur und an ihrer Stimme, falls sie zufällig mit ihrem Begleiter gesprochen haben sollte, erkannt hatte? Er hatte das Gefühl, als liefen ihm Tausende von Ameisen in seinem Gehirn herum. Es war einfach, um wahnsinnig zu werden, und er glaubte es auch zu werden, wenn er noch weiter diesen wahnsinnigen Gedanken nachhing, die durch diesen anonymen Brief in ihm erweckt worden waren.
Und dabei hatte er noch vor wenigen Minuten, oder wie lange war es her, geglaubt, jede Erinnerung an den Brief dadurch, daß er ihn verbrannte, für immer ausgelöscht zu haben.
Nun aber war es genug damit, jetzt durfte er nicht mehr an den denken, das war er nicht nur seiner Frau, das war er auch sich selbst schuldig, denn bei den vielen Pflichten und bei der großen Verantwortung, die in seinem Riesenbetrieb auf ihm ruhten, mußte er sich seinen klaren Kopf bewahren.
Gott sei Dank, jetzt hatte er den wieder, und zum drittenmal sollte ein etwaiger anonymer Brief ihn nicht abermals, wenn auch gegen seinen Willen, beeinflussen und beunruhigen können. Fand er noch einmal ein Schreiben mit der ihm jetzt bekannten Handschrift unter seinen Postsachen, dann würde er es, darauf gab er sich jetzt sein Wort, uneröffnet vernichten.
Gleich darauf klingelte er seinem Kammerdiener und gab diesem den Auftrag, die Gutsbeamten zu der alltäglichen gemeinsamen Besprechung und Beratung zu sich zu bitten. Und den letzten Rest dessen, was er vorhin erlebt und durchgemacht, vergaß er vollständig bei der gleich darauf beginnenden langen Konferenz, so daß er tatsächlich nicht mehr an den Brief dachte, als er endlich zu seiner Frau ging, um diese zu begrüßen.
Auch in Zukunft dachte er mit keinem Gedanken mehr an den Brief, aber eines Tages wurde die Erinnerung an den doch wieder in ihm wach; das geschah, als Frau Ria eines Abends, als sie nach dem Diner zusammen in dem türkischen Zimmer beim Mokka, der Zigarre und der Zigarette zusammen saßen, ihn fragte, ob nicht auch er glaubte, daß es nun einmal wieder für sie Zeit würde, nach Berlin zu fahren, um sich nach ihrer Mutter umzusehen, und als sie mit einem leisen verführerischen Lächeln schloß, ob sie ihm allerdings auch dieses Mal etwas mitbringe und was das sein könne, wisse sie noch nicht, aber vielleicht würde sie schon etwas für ihn finden.
Nie und nimmer hätte er sich das Warum zu erklären vermocht, aber irgend etwas an ihren letzten Worten machte ihn stutzig, ja noch mehr, sie erregten im Zusammenhang mit der letzte Warnung, die an ihn ergangen, wenn er sich dessen auch noch so sehr schämte, plötzlich seinen Verdacht, so daß mit Blitzesschnelle ein Gedanke in ihm wach wurde, den auszusprechen er nun doch noch einen Augenblick zögerte, bis er jetzt ganz unvermittelt fragte: „Was würdest du dazu sagen, Ria, wenn ich dich dieses Mal nach Berlin begleitete?”
Mit großen, fassungslosen Augen, als könne sie das, was er da eben gesagt, nicht so schnell begreifen, sah sie ihn an, dann aber saß sie so schnell, daß er gar nicht begriff, wie sie so schnell hatte dahin kommen können, auf seinem Schoß, und ihren Kopf an seine Brust lehnend und sich an ihn ankuschelnd, meinte sie mit glückseliger Stimme: „Du willst mich begleiten? Ach, Peter, das ist zu nett von dir, und du ahnst nicht, wie grenzenlos ich mich darüber freue. Wie oft habe ich nicht schon im stillen gedacht: warum fährt Peter nicht einmal mit dir, er weiß doch, wie die Mama ihn liebt, und wie auch die sich freuen würde, ihn einmal wiederzusehen. Wie oft hat es mir nicht schon auf der Zunge gelegen, dich zu bitten: komm' mit. Aber ich unterließ es, weil ich ja weiß, wieviel du zu tun hast. Und dann unterließ ich die Bitte auch, weil ich mir sagte: wenn dein Peter nicht von selbst den Wunsch hat, sich einmal nach der Mama umzusehen, dann quäle ihn nicht damit. Peter kann sich ja nun einmal nicht verstellen, die Kranken aber sind so feinfühlig, und wenn die Mama gemerkt hätte, daß du nicht freiwillig mitgekommen wärest, sondern lediglich auf meine Bitte hin, dann wäre sie, anstatt sich zu freuen, sicher traurig geworden, und das wollte ich unter allen Umständen vermeiden.”
Warum spricht Ria nur soviel, und warum sieht sie dich dabei gar nicht an? wollte Graf Peter sich fragen, aber er kam nicht dazu, denn jetzt sah sie ihn an, mit einem freudestrahlenden Gesicht und mit ganz verklärten Augen, bis sie plötzlich seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände nahm und ihn so wild, so stürmisch küßte, daß ihm der Atem verging. Und als sie endlich mit dem Küssen aufhörte, da war auch ihr dabei die Luft vergangen, das merkte er ganz deutlich daran, wie sie jetzt etwas schwer atmete, während dabei ein leises Lcheln ihren reizenden Mund umspielte. Dann aber meinte sie mit einer Stimme, aus der eine gewisse Unruhe hervorklang: „Aber sag' mal. Peter, wo wohnen wir denn in Berlin, wenn du mitfährst, denn für uns beide ist doch bei der Mama kein Platz, und das würde auch zuviel Unruhe für sie mitbringen.”
„Das weiß ich natürlich,” stimmte er ihr bei, „und deshalb werden wir wie immer in einem Hotel Unter den Linden wohnen.”
Aber Frau Ria schüttelte den Kopf: „Nein, Peter, das geht nicht, das wäre für mich zu weit von Mamas Wohnung, da säße ich ja den halben Tag im Auto, um beständig zwischen euch beiden hin und her zu fahren, denn ebenso wie die Mama würdest doch auch du mich um dich haben wollen, und das brächte für die Mama auch zuviel Unruhe mit sich, wenn ich bei der immer mit der Uhr in der Hand dasäße, damit ich nur pünktlich zu der Zeit, in der du mich erwartest, bei dir wäre. Und außerdem ist die Mama es so gewöhnt, daß ich bei ihr wohne, um ihr des Morgens statt der ewigen Krankenschwester das Frühstück an das Bett zu bringen, und daß ich des Abends lange bei ihr sitze, um ihr etwas vorzulesen, nein, Peter, das geht nicht,” unterbrach sie sich, „Unter den Linden wohnen können wir nicht, das ist zu weit. Und deshalb gibt es nur zweierlei, entweder wohnst du allein, oder da du das natürlich auch nicht willst, suchen wir uns in der Nähe von Mamas Wohnung ein wenn auch nur kleines Hotel, allerdings weiß ich im Augenblick nicht, ob es da eins gibt.”
„Das weiß ich nun allerdings auch nicht,” warf er ein und saß eine kleine Weile nachdenklich da, um sich einzugestehen, daß seine Ria mit allem, was sie ihm eben gesagt, recht habe, denn sie fuhr doch nicht zu seiner Gesellschaft nach Berlin, sondern der kranken Mutter wegen. Und der, nicht ihm, mußte ihre Zeit gehören.
„Denke nach, Peter,” erklang da ihre Stimme, „vielleicht weißt du in der Nähe von Mamas Wohnung doch ein Hotel.”
Er dachte nach, obgleich er ganz genau im voraus wußte, daß ihm nichts einfallen würde, bis ihn mit einemmal ein Gedanke durchzuckte, dessen Ausführung er trotz aller ihm innewohnenden Energie nicht zu verhindern vermochte, so daß sich ihm, noch ehe er es gewollt, die Frage über die Lippen drängte: „Sag' mal, Ria, eben fällt es mir ein, gibt es da nicht ein Hotel ,Zur Rose'?”
Aber er hätte sich diese Frage sparen können, denn von dem Hotel hatte seine Ria noch nie etwas gehört, das sah er an dem völlig unbefangenen, lediglich nachdenklichen Gesicht, mit dem sie nun dasaß, während sie dabei vor sich hin sprach, als suche sie in ihrem Gedächtnis, „Rose, Rose, nein, davon habe ich noch nie etwas gehört, und wie kommst du denn nur darauf?”
Wie er darauf kam, konnte und durfte er nie und nimmer verraten. Aber trotzdem, da er dieses gefährliche Thema einmal angeschnitten, wollte er es auch zu Ende führen, nicht als ob er in diesem Augenblick auch nur den leisesten Zweifel in die Treue seiner Frau gesetzt hätte, nein, das tat er noch viel weniger als je zuvor, denn jedes ihrer Worte und jeder ihrer Blicke bewies ihm ja ihre völlige Unschuld, aber er wollte es endlich erreichen, daß auch der letzte Alb, der ihn zuweilen auf Grund des letzten anonymen Briefes doch noch bedrückte, für alle Zeit von ihm wich, daß er endlich, wenn auch nur durch eine versteckte Aussprache über ihn die letzte Erinnerung an die ihm zugegangene feige Verdächtigung seiner Frau verlor.
So meinte er denn jetzt, und er, der seiner Ria wissentlich noch niemals ein Wort der Unwahrheit, geschweige denn eine Lüge gesagt hatte, vermochte es selbst nicht zu fassen, daß er imstande war, sich das alles frei zu ersinnen: „Als ich letzthin einmal in der Stadt zu einer Sitzung war, erzählte jemand, der in Berlin gewesen war, er habe, da er sonst nirgends Unterkunft gefunden, dort gewohnt, sogar überraschend gut, allerdings sei ihm manches etwas eigentümlich vorgekommen, so daß er schließlich auf die Vermutung verfallen sei, das Hotel wäre in erster Linie ein gelegentliches Absteigequartier für Liebespaare.”
Gott sei Dank, nun war es gesagt, nun kam die Entscheidung, nein die Wahrheit, und wenn die auch noch so furchtbar sein mochte, sie war vielleicht dennoch besser als die vorhin wieder in ihm wach gewordenen Zweifel.
Aber von all dem Entsetzlichen, das er im stillen befürchtet hatte, kam nichts, denn Frau Ria hätte nicht eine Meisterin in der Kunst, sich zu verstellen, sein müssen, wenn sie sich in diesem Augenblick verraten hätte. Und sie war in dieser Kunst sogar eine vollendete Meisterin, sie war es in den Jahren ihrer Ehe geworden, hatte es aus Liebe zu ihrem Peter, so schwer es ihr auch fiel, werden müssen, denn was hätte er wohl gesagt, nein, wie entsetzlich hätte er darunter gelitten, wenn er jemals erfahren, daß sie ihn betrog. Und doch redete sie sich beständig ein, daß sie ihn gar nicht betrog, sondern daß sie ihm nur nicht treu war, und sie hatte sich zwischen diesen beiden Begriffen einen Unterschied konstruiert, an den sie, schon weil sie es wollte, so felsenfest glaubte, daß die beiden grundverschiedenen Dinge gar nichts miteinander zu tun hatten. Und sie wollte auch schon deshalb daran glauben, weil sie selbst beständig darunter litt, daß sie ihrem Peter, den sie mit ihrem ganzen Herzen liebte, nicht treu war, nicht treu sein konnte, weil ihre Sinne und ihre Leidenschaften sich beständig nach einem anderen Mann sehnten, den sie schon vor ihrer Ehe kennengelernt, den sie aber nicht heiraten konnte, weil er selbst an eine kranke, gelähmte Frau gebunden war, für die eine Scheidung den Tod bedeutet hätte. So oft sie nach Berlin fuhr, wo der andere, ihr Ernst Georg, seinen Wohnsitz hatte, traf sie mit ihm zusammen, sie fieberte jedesmal der neuen Begegnung entgegen und in seinen Armen, wenn sein stürmisches Temperament und seine gar nicht zu bändigenden Begierden auch sie in die wildeste Raserei versetzten, vergaß sie alles, alles, alles, vergaß es so vollständig, daß sie sich hinterher erst wieder darauf besinnen mußte, verheiratet zu sein. Aber wenn sie dann an ihren Peter dachte, der ahnungslos zu Hause saß und felsenfest glaubte, ihre Reise gelte nur dem Besuch der kranken Mutter, dann schlug ihr das Gewissen so laut und stürmisch, daß sie sich mit allen Fasern ihres Herzens nach ihm sehnte, daß sie die Stunde kaum erwarten konnte, in der sie wieder bei ihm war, um sich ihm hinzugeben und um ihm oder wenigstens sich selbst durch die Art, in der sie es tat, beweisen zu können, daß ihr Herz, und es kam eigentlich doch einzig und allein auf die Liebe des Herzens an, ihm, nur ihm gehöre. Sobald sie wieder bei ihrem Peter saß, war der andere, wenn auch nur vorübergehend, vollständig vergessen, sie dachte dann tage- und wochenlang weder an ihn noch an die Stunden, die sie mit ihm in Berlin verlebte, bis dann allmählich der Tag heran kam, den sie für das erneute Beisammensein in der Abschiedsstunde miteinander verabredeten. Dann kam die innere Unruhe wieder über sie, dann redeten ihre Begierden eine so wilde Sprache, daß sie die selbst dadurch, daß sie bei ihrem Mann Rettung suchte, nicht zum Schweigen zu bringen vermochte. Und wenn sie sich auch tausendmal vornahm, du fährst diesmal nicht, sie wußte doch ganz genau, daß sie fahren würde, ja noch mehr, sie glaubte fahren zu müssen, um dem anderen, der trotz seiner starken Sinnlichkeit außer ihr nie eine Frau anrührte, und der jedesmal die Stunden bis zu der Wiedervereinigung mit ihr zählte, die Erlösung von seiner Qual zu bringen, denn er liebte sie doch, er liebte sie beinahe bis an die Grenzen des Wahnsinns, wenn auch in anderer Art als ihr Peter.
So fuhr sie denn von Zeit zu Zeit zu ihrer kranken Mutter, um sich schon wenige Stunden nach ihrer Ankunft mit dem anderen im Hotel zu treffen, in dem sie, wie ihr Ernst Georg immer wieder versicherte, und wie sie es allmählich selbst geglaubt hatte, vor jeder Überraschung und vor jedem Erkanntwerden am sichersten war. Trotzdem, so ganz sicher hatte sie sich dort noch nie gefühlt, aber Ernst Georg mocht wohl recht haben, wenn er ihr erklärte, dasselbe Gefühl einer gewissen Unsicherheit würde sie in jedem anderen Hotel oder wo es sonst immer wäre, wohl auch gehabt haben, weil ihr schlechtes Gewissen, oder wie sie ihre Empfindungen sonst nennen sollte, sie überall eine Gefahr hätte wittern lassen.
Und nun wußte sie, daß ihre Befürchtungen nicht grundlos gewesen waren. Vermutet hatte sie es schon, als sie vor vier Wochen zufällig hinzugekommen war, als ihr Peter einen Zettel verbrannt hatte, der angeblich nur für ihn bestimmte Notizen enthielt, die er dem Papierkorb nicht anvertrauen wollte. Da hatte sie die Wahrheit schon instinktiv erraten, und wenn ihr guter Peter sich auch noch so sehr zu verstellen versuchte, um sie es nicht merken zu lassen, daß man sie in einem anonymen Brief bei ihm verdächtigte, sie hatte es um so deutlicher in seinem Gesicht gelesen und es ihm um so mehr angemerkt, je weniger sie es sollte. Und nicht, um ihm seinen Argwohn zu nehmen, sondern weil er ihr so leid tat, so unbeschreiblich leid tat, weil ihr Herz blutete, als sie es mit ansehen mußte, wie er im stillen litt, hatte sie ihn mit Beweisen ihrer Liebe überschüttet und alle Liebe, die sie ihm schenkte, war so echt gewesen, wie eine Liebe es nur immer sein konnte.
Und ihres Peters wegen hatte sie, als sie dann wieder nach Berlin fuhr, auch nicht wieder in das Hotel Rose gehen wollen, obgleich sie selbst nicht ahnte, wer sie dort gesehen und in ihrer Verkleidung mit der Autokappe, der Autobrille und dem Autoschleier erkannt haben könne. Nein, sie wollte unter keinen Umständen das Hotel wieder betreten, aber dann hatte sie sich durch Ernst Georgs Bitten doch umstimmen lassen, nachdem er ihr versprochen hatte, es solle auch das letztemal sein, und für das nächste Zusammensein würde er ein anderes verschwiegenes Liebesnest ausfindig zu machen wissen.
Sie was in das Hotel gegangen, aber sie hatte sich dort so unsicher gefühlt, daß sie schneller als sonst zum Aufbruch drängte und das war sicher ihr Unglück gewese, denn wenn sie auch nur fünf Minuten später gegangen wäre, dann wäre sie unten in der Halle nicht mit jenem Menschen zusamengetrofen, der sie ebenso frech wie verwundert anstarrte, so daß sie sofort wußte: der hat dich erkannt, der glaubt dich wenigstens trotz deiner Vermummung erkannt zu haben.
Und ein so hämisch-spöttisches Lächeln hatte den Mund des ihr gänzlich Unbekannten umspielt, daß sie sofort bereit gewesen wäre, jeden Eid darauf zu schwören, der wird an den Peter schreiben, daß er dich hier gesehen zu haben glaubt.
Der Gedanke hatte sie fortan keine Minute verlassen, so hatte sie jeden Tag auf diesen zweiten sicherlich anonymen Brief gewartet, und nun hatte ihr Peter den bekommen, wenn sie auch nicht wußte, ob erst heute, oder schon seit Tagen. Aber das war ja auch einerlei, jedenfalls stand die Tatsache fest, daß der ihr gänzlich Unbekannte ihrem Mann geschrieben hatte, und so mußte sie ihrem Peter, so schwer es ihr seinetwegen auch wurde, die Komödie vorspielen, die sie sich für diesen Augenblick längst von der ersten bis zur letzten Szene zurechtgelegt hatte, und sie brauchte an der nicht einen Satz, nicht einmal eine Silbe zu ändern, denn er hatte ihr ganz genau das Stichwort gegeben, das sie seit Tagen aus seinem Munde erwartete —: „Gibt es da nicht ein Hotel zur Rose?”
Und als er ihr das gab, als er sie lediglich fragte, anstatt ihr mit einer Stimme, die keinen Widerspruch und kein Leugnen geduldet hätte, zuzurufen: Ich habe die Beweise dafür in Händen, daß du mich mit einem anderen in dem Hotel betrügst, da tat er, der, wie sie ihm deutlich anmerkte, die gegen sie erhobene Anklage um ihrer beider willen nicht glaubte und nicht glauben wollte, so leid, da stieg ein solches Mitgefühl für ihn in ihr auf, da schlug ihm aber auch ihre ganze, große Liebe, die sie für ihn empfand, so heiß entgegen, daß sie sich Gewalt antun mußte, um ihn nicht, wie die Dichter es nennen, mit ihren Küssen zu ersticken. Und nicht nur das, als sie die bange Angst, wie ihre Antwort ausfallen würde, in seinen Augen las, da haßte sie zum erstenmal den anderen, sie haßte ihn, weil sie ihn um seiner starken Leidenschaften willen ebenso lieben mußte wie er sie, und weil er sadurch die Veranlassung war, daß sie ihrem Peter immer aufs neue untreu wurde.
Aber ebensowenig wie sie in diesem Augenblick dem anderen zeigen konnte, wie sehr sie ihn plötzlich haßte, ebensowenig durfte sie ihrem Peter verraten, daß sie ihn in dieser Minute noch viel mehr liebte als sonst, sie durfte, um nicht sein Mißtrauen und seinen Argwohn zu erwecken, nicht für den zehnten Bruchteil einer Sekunde aus der Rolle fallen, die sie sich, als wäre sie eine wirkliche Schauspielerin, vor dem Spiegel einstudiert hatte, zumal das Gespräch, nicht zuletzt durch ihre Gegenfrage, ganz genau die Wendung genommen, die sie vorausgesehen.
Und so meinte sie denn jetzt, ohne auch nur die leiseste Unruhe zu zeigen, mit ganz fester Stimme, aus der lediglich ein großes Erstaunen, aber zugleich auch ein kleiner Vorwurf gegen ihn herausdrang: „Und in einem solchen Hotel wolltest du mit mir, deiner Frau, absteigen? Aber Peter, du schämst dich wohl gar nicht?”
Doch, er schämte sich, er schämte sich sogar so, daß er sie kaum anzusehen wagte, das aber nicht, weil er ihr angeblich zugemutet hatte, in dem Hotel mit ihr zusammen abzusteigen, sondern weil er sie durch die Nennung dieses Hotels auf eine Probe gestellt hatte, die ihrer und seiner unwürdig war, und die sie glänzender bestanden, als im Mittelalter eine Angeklagte, die mit nackten Füßen über glühende Eisenplatten ging, ohne sich die Fußsohlen auch nur im geringsten zu verletzen.
Da lachte Frau Ria plötzlich so hell und so lustig auf, daß er es unwillkürlich mit der Angst bekam, weil er sich sagte: Nun bist du verloren. Ria hat dich und deinen Argwohn durchschaut und anstatt dir eine Szene mit Tränen und Vorwürfen zu machen, lacht sie jetzt über dich und blamiert dich damit viel schlimmer, als sie es auf andere Weise vermocht hätte.
Aber Frau Rias augelassene Heitrkeit hatte einen ganz anderen Grund, denn jetzt rief sie ihm zu: „Weißt du was, Peter, wir werden sogar in dem Hotel wohnen.”
Er starrte sie an, als habe einer von ihnen beiden den Verstand verloren, dann wiederholte ganz mechanisch: „Wo werden wir wohnen?”
„In dem Hotel Zur Rose,” gab sie lachend und übermütig zur Antwort. Und plötzlich saß sie abermals auf seinem Schoß und sich von neuem bei ihm ankuschelnd, sagte sie: „Weißt du, Peter, nun kann ich es dir ja gestehen, so etwas habe ich mir immer schon gewünscht. Ich las letzthin in irgendeiner Zeitung, daß viele Eheleute, die einander in gewisser Hinsicht überdrüssig sind, es neuesten Datums in Berlin als eine Art Sport betreiben, eine Nacht in einem solchen Hotel als angebliches Liebespaar zu verleben, sich dort unter irgendeinem fremden Namen als Mann und Frau, was sie auch sind, einzutragen und in dem Gefühl, etwas Unrechtes oder etwas Ungewohntes zu tun, bei dem Zusammensein einen Reiz und ein Vergnügen zu empfinden wie seit langer Zeit nicht. Als ich das las, da habe ich mir gleich gewünscht, das auch einmal mit dir zu machen, obgleich ja glücklicherweise kein Mensch behaupten kann, daß wir beide einander in gewisser Hinsicht überdrüssig sind. Ach nein, mein Peter, das sind wir nun ganz gewiß nicht, aber trotzdem, hättest du nicht auch einmal Lust zu einem solchen verbotenen, aber zwischen uns ja erlaubten Abenteuer? Bitte sag' ja, Peter, sag' ja, und ich verspreche dir, ich will dir in dem Hotel, wo natürlich keiner glauben wird, daß wir verheiratet sind, eine Geliebte sein, wie ich dir noch nie eine war, und ich will dir Freuden bereiten, daß du die Nacht in dem Hotel nie vergessen sollst. Bitte, bitte, Peter, sag' ja.”
Der Klang ihrer Stimme, das Einschmeichelnde und Verführerische ihrer Worte, die Art, wie sie sich an ihn schmiegte, die flehenden Augen, mit denen sie zu ihm aufsah, die Nähe ihres schönen Körpers, das alles hatte sein heißes, ach so heißes Blut in Wallung gebracht und für eine Sekunde war er drauf und dran, ihre Bitte zu erfüllen, schon weil ein gemeinsames Übernachten gerade in diesem Hotel ihm noch viel mehr als bisher alles andere die absolute Gewißheit gegeben hätte, daß sie dort noch niemals mit einem anderen zusammen gewesen sei. Aber diese totensichere und absolute Gewißheit hatte er ja auch schon dadurch bekommen, daß sie ihn so inständig bat, gerade dieses Hotel mit ihm aufzusuchen.
Und diese abolute Gewißheit ihrer unverbrüchlichen Treue, die jetzt wie ein ihn beseligendes Geschenk des Himmels über ihn kam, stimmte ihn nun so froh und glücklich, daß er ihr Gesicht mit flammenden Küssen bedeckte.
„Du sagst ja, Peter, du sagst ja,” jubelte sie, seine Küsse dahin deutend.
Aber er widersprach: „Es geht wirklich nicht, Liebling, das ist bei unserer gesellschaftlichen Stellung unmöglich, denke nur, wenn uns dort zufällig jemand sähe. Und überlege dir noch eins. Vielleicht hat auch davon etwas in dem Artikel gestanden, sonst lasse es dir hiermit gesagt sein. Solche Hotels werden von Zeit zu Zeit von der Sittenpolizei kontrolliert, die ganz unvermittelt in der Nacht an die Zimmertüren klopft, und wer sich da nicht ausweisen und legitimieren kann, der wird mit der ganzen übrigen Gesellschaft zur Feststellung seiner Personalien zum Polizeipräsidium gebracht. Ausweisen könnten wir uns ja natürlich, ich brauche nur unseren Trauschein einzustecken, aber auch das würde wohl nicht einmal genügen, wir müßten unsere Pässe oder andere Papiere vorzeigen, um zu beweisen, daß wir auch wirklich die sind, auf deren Namen der Trauschein lautet, und nicht wahr, einem solchen Verhör durch einen Polizeileutnant oder einen anderen Beamten möchtest du dich doch nicht mitten in der Nacht aussetzen, während draußen auf dem Korridor die aus ihren Betten geholten anderen Liebespaare darauf warten, daß sich vielleicht auch unsere Tür öffnet und daß auch wir hinausgeführt werden. Nicht wahr, das alles möchtest du doch nicht?”
Voller Angst schmiegte sie sich plötzlich an ihn und er fühlte das Zittern und Beben, das durch ihren Körper ging: „Um Gottes willen, Peter, alles, nur das nicht. Davon habe ich nichts gewußt, von alledem stand in dem Zeitungsartikel keine Silbe, sonst wäre ich selbstverständlich nie auf einen solchen verrückten Gedanken gekommen und hätte dich erst recht nicht darum gebeten, mir meinen stillen Wunsch zu erfüllen. Ich stehe ja schon bei der Vorstellung eine Todesangst aus, daß uns Ähnliches passieren könne. Nein, da wohnen wir selbstverständlich zusammen Unter den Linden, und Mama muß sich dann dieses Mal damit zufrieden geben, daß ich mich etwas weniger um sie kümmere als sonst. Nun aber lasse uns bitte von etwas anderem sprechen, denn sonst denke ich immer weiter an das, was du mir erzähltest, und schlafe dann die ganze Nacht nicht.”
Und gleich darauf das Thema wechselnd, blieben sie noch lange im Gespräch beieinander sitzen, bis es endlich Zeit wurde, sich schlafen zu legen.
Aber in dieser Nacht lag Frau Ria lange, lange wach, weil ihr der Schrecken über das, was ihr Peter ihr von den gelegentlichen nächtlichen Kontrollen in den Absteigequartieren erzählte und von denen [recte: dem - D.Hrsgb.] sie tatsächlich nichts gewußt und nichts gelesen hatte, immer noch derartig in den Gliedern lag, daß sie ganz einfach nicht schlafen konnte.
Und während sie wach lag, dankte sie dem lieben Herrgott im Himmel immer aufs neue dafür, daß er ihr, ohne daß sie ihn allerdings je darum gebeten hätte, die Kraft verliehen, allen Bitten ihres Ernst Georg, auch einmal, wenn auch nur ein einziges Mal, eine ganze Nacht mit ihm in dem Hotel zusammen zu sein, stets ein energisches Nein entgegen zu setzen.
Aber ganz besonders dankte sie dem lieben Herrgott auch dafür, daß ihre arme, arme Mutter so krank war, daß sie die, wenn sie bei ihr zum Besuch weilte, des Nachts nicht allein lassen durfte, denn wer konnte wissen, ob sie sonst vielleicht nicht doch einmal anstatt nein, ja gesagt hätte.