Frau Rena

Lustiges und Überlustiges von Freiherr von Schlicht
in: „Wenn sie schwören”


Frau Rena, die große, schlanke, hübsche und sehr elegante Gattin des in der ganzen Stadt hoch angesehenen Großkaufmanns Hartmann, saß in ihrem mit dem größten Luxus, aber trotzdem mit geradezu raffiniert ausgedachter Behaglichkeit eingerichtetem Zimmer und wartete auf den Telephonanruf ihres Mannes, der sie nach ihrer Berechnung nun jeden, ab auch wirklich jeden Augenblick anklingeln konnte und anklingeln würde. Jetzt war es, wie ein Blick auf die schöne, alte Rokoko-Stnduhr sie lehrte, zehn Minuten nach halb vier, mit dem Glockenschlag halb pflegte er sich, wie sie das aus seinem Munde wußte, die Nachmittagspost in sein Privatkontor bringen zu lassen, und wenn er sie, seiner Angewohnheit gemäß, erst flüchtig durchsah, bevor er die einzelnen Briefe öffnete, mußte ihm sofort der Umschlag mit dem Vermerk: „Ganz privatim, streng geheim” auffallen, der ihm die selbstverständlich anonyme Mitteilung brachte, daß ie ihn seit länger als einem Vierteljahr betrog. In Wahrheit betrog sie ihn schon viel länger, aber das brauchte er nicht zu wissen. Es war mehr als genug, daß er überhaupt etwas von ihrer Treulosigkeit erfuhr, und sie fand es auch jetzt wieder fabelhaft anständig, daß sie selbst ihm diesen anonymen Brief durch ihre Freundin Melanie, auf deren absolute Verschwiegenheit sie sich verlassen konnte, da sie diese einmal durch einen Zufall in der zärtlichsten Umarmung mit einem Mann, der nicht ihr eigener Mann war, angetroffen, aber trotzdem über das, was sie sah, gegen alle das strengste Stillschweigen bewahrt hatte und auch heute noch bewahrte, ja sie fand es wirklich mehr als anständig von sich, daß sie ihren Mann durch einen anonymen Brief ihrer Freundin Melanie, die in der Kunst, ihre Handschrift zu verstellen, geradezu eine Meisterin war, über ihre Untreue hatte aufklären lassen. Gewiß, auch das sagte sie sich jetzt wieder, unter Umständen war die Dummheit, die sie mit dem Schritt begangen, noch viel größer, als die Anständigkeit und die Ehrenhaftigkeit, die sie dadurch bewies. Aber erstens blieb es noch abzuwarten, ob die Dummheit wirklich so groß war und zweitens, und das war der Hauptgrund, weshalb sie den Brief schreiben ließ, brachte sie es trotz des besten Willens nicht mehr über das Herz, ihren wirklich seelensguten und mehr als anständigen Mann weiter in dem Glauben an ihrer Seite leben zu lassen, daß sie ihm in Gedanken, in Worten und in Taten unentwegt treu sei. Das aber glaubte er, und nicht nur das. Ihm schien gar nicht der Gedanke zu kommen, daß sie ihm jemals untreu werden könne, und dabei wußte er doch selbst, wie hübsch sie war mit ihrem schwarzen Haar, mit ihren etwas sinnlichen schwarzen Augen und mit ihrem zarten rosa Teint. Kam er nie auf die Vermutung, daß auch ein anderer Mann sie begehren könne, oder nahm er es als selbstverstänslich an, daß sie ihm nur deshalb treu bleiben würde, weil er ihr Mann war, oder bildete er sich schließlich ein, sie liebte ihn auch heute noch derartig, daß sie schon deshalb nie an einen anderen Mann dächte? Und wenn er das tat, und sie glaubte bestimmt zu wissen, daß er das tat, war das nicht sehr unrecht, oder wenigstens sehr arrogant von ihm? Hielt er sich, obgleich er wirklich sehr gut aussah, für einen so hübschen Menschen, daß kein anderer den Vergleich mit ihm aushalten könne? Aber wie dem auch immer sein mochte, daß er so felsenfest an ihre Treue und an die Unmöglichkeit einer Untreue ihrerseits glaubte, das hatte sie mit der Zeit immer nervöser und nervöser gemacht, und das faßte sie immer mehr und mehr als eine Beleidigung ihrer Persönlichkeit auf. Ja, wenn ihr Mann ihr nur ein einzigesmal gesagt oder sie nur einmal gefragt hätte: „Du bist doch noch so jung und du bist so schön, in meinen Augen sogar die schönste Frau, die ich jemals sah, hat da wirklich noch nie ein anderer Mann seine Augen zu dir erhoben, hat noch kein anderer dir auf den Gesellschaften heiße Liebesworte zugeflüstert, hat noch nie ein anderer versucht, dich zu einer Untreue zu verführen?” Ja, wenn er nur ein einzigesmal so zu ihr gesprochen hätte, wäre sie zufrieden gewesen, dann hätten seine Worte ihr bewiesen, daß er wenigstens zuweilen fürchtete, sie könne ihn hintergehen, und wenn seine Angst, sie jemals, wenn auch nur vorübergehend zu verlieren, sie selbstverständlich auch nicht davon abgehalten hätte, ihn mit ihrem über alles geliebten Gonthard zu betrügen, so würden seine Befürchtungen sie dennoch stolz und glücklich gemacht haben. Schon deshalb, weil diese, noch viel mehr als ein Liebesgeständnis aus dem Munde ihres Mannes, ihr bewiesen haben würden, wie schön sie nicht nur in den Augen ihres Emils war, sondern wie schön sie erst recht in den Augen anderer Männer sein mußte.

Frau Rena unterbrach für einen Augenblick ihr Grübeln und Sinnen und lauschte, ob das Telephon, selbst wenn noch so leise, denn immer noch nicht klingle. Aber nichts war zu vernehmen, und das verstand sie nicht. Damit ihr Mann den Brief auch ganz bestimmt mit der Nachmittagspost erhielte, hatte sie den heute vormittag selbst um elf Uhr in den Kasten geworfen und sich davon überzeugt, daß der um einhalb zwölf ausgeleert wurde. Da mußte der Brief also mit der Nachmittagspost bestellt worden sein. Und trotzdem ließ ihr Mann noch nichts von sich hören und dabei hatte sie es als ganz selbstverständlich angenommen, daß er sie sofort anrufen würde, um ihr zu sagen: Rena, ich muß dich in einer wichtigen Angelegenheit sofort sprechen. Bitte, erwarte mich zu Hause, ich habe mir das Auto schon bestellt und komme mit der vierten Geschwindigkeit zu dir. So hätte die Sache programmmäßig verlaufen müssen, und diesem Programm entsprechend hatte sie sich auch angezogen, nicht etwa, um ihn dadurch sofort zu entwaffnen, denn sie wußte, wie er so etwas liebte, mit besonderer Eleganz, als sei sie, wie sie es ihm hätte erzählen können, gerade im Begriff gewesen, zu einem großen Tee zu gehen, sondern sie hatte sich, soweit ihre hübschen Kleider, und sie hatte selbstverständlich nur hübsche, es ihr erlaubten, sich mit ausgesuchter Einfachheit geschmückt, damit zu der auch ihr helles, frohes, übermütiges Lachen passe, ihr Lachen, das sie ihm als einzige Antwort zurufen würde, wenn er ihr erregt und ganz außer sich erklärte: Rena, ich habe die Beweise dafür in Händen, du betrügst mich.

Und wenn er so zu ihr sprach, mußte sie doch wirklich lachen, denn seit wann war ein anonymer Brief, auch wenn sie den nicht selbst hätte schreiben lassen, ein Beweis? Und so dumm, wirkliche Beweise ihrer Untreue aus der Hand zu geben, würde sie natürlich nie sein, und die Briefe, die ihrem Mann wirklich die Augen hätten öffnen können, die bewahrte sie so gut auf, daß er sie nie, niemals finden würde, falls sein Argwohn ihn über kurz oder lang einmal die unglaubliche Indiskretion begehen lassen sollte, ihren Schreibtisch und ihre Kommoden nach einer heimlichen Liebeskorrespondenz zu durchsuchen. Nein, die Briefe ihres Gonthard waren sicher aufgehoben, die würde ihr Mann niemals finden, denn die würde er überall suchen, nur nicht da, wo sie wirklich lagen, in seinem eigenen Schlafzimmer. Unwillkürlich mußte sie nun wieder lächeln, als sie daran dachte, daß gerade ihr Mann die Briefe in seinem Zimmer aufbewahrte, selbstverständlich, ohne das Leiseste davon zu ahnen, denn er wußte nicht, daß sie in dem alten wertvollen Schreibsekretär, den er vor einigen Jahren von seiner Mutter erbte, eines Tages ganz zufällig ein kleines Geheimfach entdeckte, das so kunstvoll und so versteckt angebracht war, daß ihr Mann es selbst dann nie finden würde, wenn er es wirklich jemals suchte. Das aber würde er nie tun, dnn er benutzte den Sekretär niemals, und so waren ihre Briefe dort so gut aufbewahrt, wie sonst nirgends auf der Welt.

Nein, in ihrem Schreibtisch und auch sonst würde ihr Mann bei ihr gar nichts finden, höchstens die Briefe eines anderen Gonthard, und die konnte er jederzeit ruhig lesen, und damit er die auch läse und die auch gleich fände, falls er jemals etwas bei ihr suchen sollte, lagen die in ihrer Schreibtischschublade mit einem rosa Band zusammengehalten, gleich obenauf. Und doch trugen diese Briefe, so harmlos und so kindlich sie auch klangen, mit die Hauptschuld, daß sie jetzt die Geliebte des anderen Gonthard war. Und da das Telephon, obgleich sie es bei dem besten Willen nicht verstand, immer noch nicht klingelte, dachte sie nun an den ersten Gonthard zurück, den sie vor nunmehr zwölf Jahren, als sie eben sechzehn geworden, in Lausanne, wo sie die Pension besuchte, bei der Geburtstagsfeier ihrer Pariser Freundin Adèle kennen lernte, den um den Tag mitzufeiern, waren Adèles Eltern, und namentlich deren Bruder, aus Paris gekommen. Da sah sie Gonthard, der nicht viel älter war als sie, aber sie glaubte, noch nie einen so auffallend hübschen, wohlerzogenen, ritterlichen jungen Menschen kennen gelernt zu haben wie ihn. Sie sah ihn, und er sah, obgleich in dem Pensionat mehr als zwanzig hübsche junge Mädchen waren, nur sie, das merkte sie daran, daß er keinen Blick von ihr abwandte, daß er sich sogar sehr bald gar nicht mehr um seine Schwester kümmerte, daß er nur noch ihre Nähe suchte, und daß es in seinen schwarzen Augen hell und freudig aufblitzte, so oft sie ihm ein leises Zeichen gab, daß sie seine Huldigungen bemerkte und daß sie an denen Gefallen fand. Die aber gefielen ihr schon deshalb, weil er der erste war, der ihr in ihrem Leben so deutlich zu verstehen gab, daß und wie sehr sie selbst ihm gefiel. Und sie gefiel ihm nicht nur, sondern er verliebte sich sogar in sie, und seine Schwester Adèle, ihre Freundin, war es, die ihr das in seinem Auftrage mitteilte und die ihr auch seine Bitte überbrachte, ihm ein Rendezvous zu gewähren. Aber nicht nur das, ihre Freundin Adèle befürwortete seinen Wunsch und erklärte ihr kategorisch, sie würde ihr die Freundschaft kündigen und nie wieder auch nur ein Wort mit ihr sprechen, wenn sie ihren Bruder nicht erhöre, denn der sei vor Sehnsucht nach ihr ganz krank und sie wolle und dulde es nicht, daß ihr Bruder so litte, denn der sei der liebenswürdigste junge Mensch, den es in ganz Paris gäbe, und sie, Rena, wäre ein großes Schaf, wenn sie die Gelegenheit, ihn näher kennen zu lernen, jetzt vorübergehen ließe, denn vorläufig kämen ihre Eltern und er nicht wieder zum Besuch hierher, wohl aber hätte sie es auf Veranlassung ihres Bruders bei der Mutter durchzusetzen gewußt, daß die, auch wenn der Vater morgen nach Paris zurückführe, noch ein paar Tage mit Gonthard hierbliebe. Und zwar einzig und allein nur ihret-, Renas, wegen, obgleich die Mutter natürlich nichts davon ahnen dürfe, weshalb sie die so lange mit Bitten und Küssen umschmeichelt habe, bis sie sich endlich entschloß, ihren Aufenthalt hier in der Stadt zu verlängern. Und immer wieder beteuerte Adèle: „Es gibt ein Unglück, Rena, wenn du Gonthard nicht erhörst, du kennst ihn und sein leidenschaftliches Temperament nicht, er ist imstande, sich ein Leid anzutun, wenn du ihm nicht erlaubst, dich zu küssen, und nicht wahr, daß er sich deinetwegen vielleicht eine Kugel in den Kopf schießt, das willst du doch nicht?”

Nein, das wollte sie wirklich nicht, denn um schon zu sterben, war er zu jung, und mit seiner schlanken geschmeidigen Gestalt, mit seinem klugen Gesicht und dem etwas bräunlichen Teint, mit seinen dunklen Augen und mit dem auffallend kleingeschnittenen Mund, über dem sich die ersten Ansätze eines kleinen Schnurrbartes zeigten, viel zu hübsch, und so entschloß sie sich, ihn zu erhören, obgleich sie nicht recht wußte, was er und Adèle unter dem Wort verstanden, denn daß sie ihn wirklich erhörte und sich ihm hingab, davon konnte doch, so heiß und leidenschaftlich auch damals schon ihr Temperament war, selbstverständlich keine Rede sein. So etwas hätte er in seinen jungen Jahren nie und nimmer von ihr verlangt und wenn doch, würde sie natürlich nie und nimmer eingewilligt haben, ihm mehr zu gewähren, als ein paar unschuldige harmlose Küsse. Die allerdings selbst auf die Gefahr hin, daß sie gar nicht so harmlos und unschuldig blieben. Was verstand der hübsche Gonthard nur darunter, sie möchte ihn erhören? Das wußte sie wirklich nicht, und sie hätte Adèle gar zu gern danach gefragt, aber sie wollte der Freundin gegenüber nicht dümmer erscheinen, als sie es ohnehin in mancher Weise zu sein glaubte, und außerdem ließ Adèle ihr gar keine Zeit, irgendwelche Fragen an sie zu stellen, denn kaum daß sie eingewilligt hatte, dem hübschen Gonthard ein Rendezvous zu gewähren, schloß Adèle sie so stürmisch in die Arme und küßte sie derartig immer von neuem, daß sie gar nicht sprechen konnte, sondern voller Angst, aber zugleich auch voll sinnlicher Erregung dachte: Um Gotteswillen, wenn die Schwester dich schon so küßt, und wenn sie dich so leidenschaftlich an sich preßt, wie wird da der Bruder dich erst an sich pressen und wie heiß und wild wird der dich erst küssen? Der Gedanke daran hätte sie beinahe, aber auch nur beinahe, veranlaßt, die Zusage, die sie eben machte, zurückzunehmen, aber auch dazu kam sie nicht, denn ihre Freundin Adèle stürmte plötzlich aus dem Zimmer, um ihrem Bruder, der im Hotel auf sie wartete, ihre Einwilligung mitzuteilen, und als sie nach einer kleinen Stunde zurückkam, wäre es für etwaige Bedenken ihrerseits zu spät gewesen. Wenigstens hätte es keinen Zweck mehr gehabt, sie zu äußern, denn Adèle überbrachte ihr die Einladung ihrer Mutter, am Abend mit ihnen zusammen zu speisen, um gleich darauf hinzuzusetzen: „Gonthard läßt dir einstweilen durch mich tausendmal danken, Rena. Du hättest es nur sehen sollen, wie er mit aller Gewalt an sich halten mußte, um vor Freude nicht in Tränen auszubrechen, als ich ihm die frohe Botschaft überbrachte. Der gute Junge ist vor Glückseligkeit ganz außer sich, und wenn du nicht meine beste Freundin wärest und er nicht mein Bruder, könnte ich dich beinahe um die schönen Stunden beneiden, die dir heute abend bevorstehen. Gonthard und ich sind gleich durch den großen Hotelgarten gegangen und haben dort zusammen eine ganz abseits gelegene stille Laube ausgesucht, in der ihr vor jeder Überraschung sicher seid. Außerdem habe ich es Gonthard versprochen, aufzupassen, daß niemand kommt, und wenn sich doch jemand eurem Versteck nähern sollte, werde ich euch rechtzeitig ein Warnungszeichen geben. Wegen unserer Mutter brauchst du dir keine Gedanken zu machen, die gute Frau ist mehr als ängstlich um ihre Gesundheit besorgt. Ich habe mich deswegen auch schon hinter ihre Zofe gesteckt, und die wird ihr bald nach dem Abendessen erzählen, daß sie etwas blaß und angegriffen aussähe, und sie fragen, ob sie sich nicht lieber hinlegen wolle, Den Rat wird die Mutter sofort befolgen, dann sind wir ganz allein und können machen, was wir wollen. Also freue dich, Rena, und wenn du Gonthard einen Gefallen tun willst, ziehe dich für heute Abend vom Kopf bis zu den Füßen ganz besonders hübsch und verführerisch an. Er selbst läßt dich zwar nicht besonders darum bitten, aber ich kenne meinen lieben Bruder und weiß, daß du ihm dadurch eine große Freude machen würdest, denn er ist eben durch und durch ein junger Franzose.”

Aber des Rates, sich besonders hübsch anzuziehen, hätte es wirklich nicht bedurft, das hätte sie ganz von selbst getan, denn Adèles Mutter war eine ebenso reiche wie elegante Dame, und da hätte sie sich schon dem nicht ausgesetzt, daß deren Augen vielleicht etwas mißbilligend und tadelnd auf der schlecht gekleideten jungen Deutschen geruht hätten. Und außerdem wollte man doch in dem großen Speisesaal des vornehmsten Hotels essen. Schon aus diesen beiden Gründen hätte sie sich am Abend so hübsch wie nur irgend möglich gekleidet, nun aber, da sie wußte, daß sie dem jungen Gonthard damit eine besondere Freude machen würde, zog sie sich noch hübscher, noch verführerischer an, als es ursprünglich ihre Absicht gewesen war, und Adèle half ihr dabei. Die suchte für sie aus den Schubladen und Schränken, von den Kleidern, von den Schuhen und Strümpfen, von der Wäsche, überhaupt von allem das Eleganteste hervor, was sie nur immer besaß, und an dem Abend freute sie sich eigentlich zum erstenmal darüber, daß ihre Eltern so reich waren und daß sie sich in Lausanne in den teuren französischen Geschäften jederzeit kaufen durfte, was ihr Spaß machte. Und es machte ihr vieles Spaß.

So sah sie, als sie endlich mit dem Umkleiden fertig war und nicht nur einen Blick in den Spiegel warf, wirklich sehr hübsch und verführerisch aus, und in die Anerkennung, die sie sich selbst zollte, stimmte Adèle aus ehrlichster Begeisterung ein und wiederholte beständig: „Ach, wie wird Bruder Gonthard sich freuen, wenn er dich so sieht. Paß nur auf, was der für Augen machen wird, paß nur auf.”

Und sie paßte auf, als sie mit Adèle zusammen in das Hotel gegangen war und als alle bald darauf bei Tische saßen. Und da sie sogar sehr genau aufpaßte, entging es ihr nicht, wie er sie beinahe mit seinen Blicken verschlang, aber trotzdem hatte er sich so in der Gewalt, daß er nach außen hin nichts von dem verriet, was in ihm vorging. Er plauderte lustig und unbefangen, er war nicht nur gegen sie, sondern auch gegen seine Mutter und gegen seine Schwester von der größten Aufmerksamkeit, er war der ritterlichste Sohn und Bruder, den man sich nur denken konnte, und zuweilen kam es ihr sogar so vor, als vernachlässige er sie absichtlich ein klein wenig, um seine Mutter nicht etwa auf den Gedanken zu bringen, ihm sei an ihrer, Renas Gegenwart besonders viel gelegen. Die Ruhe und die Unbefangenheit aber, die er äußerlich zeigte, übertrug sich auch auf sie, auch sie unterhielt sich lustig und zwanglos, und sie war glücklich, ein so elegantes und reines Französisch sprechen zu können, daß sie dem zuweilen in einem rasend schnellen Tempo dahineilenden Gespräch der anderen nicht nur zu folgen, sondern sich an dem auch fließend zu beteiligen vermochte. Es war überhaupt reizend bei Tisch, man aß die besten Speisen, man trank den besten Champagner, die Musik spielte die schönsten Walzer, und dazu war die eleganteste Gesellschaft in dem hellerleuchteten Saal. Aber das Allerreizendste und das am meisten Aufreizende war für sie doch der beständige Gedanke: was wird nach Tisch? Was wird nachher, wenn Gonthard und ich erst allein in der verschwiegenen Laube sind?

Was kam nachher, wenn die Mutter sich hoffentlich bald hingelegt hatte?

Aber was kam dann, wenn die Mutter sich nachher nicht hinlegte, wenn sie der Zofe auf ihr Zureden hin erklärte, sie müsse sich irren, sie könne unmöglich angegriffen aussehen, denn sie fühle sich so wohl und so frisch wie selten? Und als sie nun, von dieser plötzlichen Angst befallen, zu der Mutter ihrer Freunde hinübersah, hielt sie es für ganz ausgeschlossen, daß die, die ein Bild der blühendsten Gesundheit mit ihnen an dem Tisch saß, sich nachher, lediglich, weil die Zofe ihr das vorredete, so matt und elend fühlen solle, daß sie das Bedürfnis empfand, das Bett aufzusuchen.

Die Angst befiel sie von neuem, denn was wurde dann? Sollte sie, nein, nicht sie selbst, denn sie selbst kam dabei gar nicht in Frage, aber sollte ihr Freund und Verehrer Gonthard sich ganz umsonst auf den heutigen Abend, oder wenigstens auf die Stunde mit ihr gefreut haben? Sollte er wirklich ganz zwecklos mit Adèle in den Garten gegangen sein, um die verschwiegene Laube auszusuchen, in der er sie nachher küssen wollte?

Aber nein, so grausam konnte der Himmel nicht sein, um ihrem Gonthard das, worauf er sich so gefreut, derartig zerstören zu wollen. Sicher, todsicher würde seine Mutter sich nachher sehr bald zurückziehen und gleichsam, als erriete ihr Freund Gonthard ihre Gedanken, warf er ihr jetzt einen kurzen raschen Blick zu, um sich dann voller Liebe und Aufmerksamkeit an seine Mutter zu wenden und um diese zu bitten: „Trinke nicht mehr von dem Champagner, Mama, denke an dein Herz. Der Arzt hat dir ja zwar erklärt, es sei ganz gesund, aber etwas nervös ist es doch, da sei lieber vorsichtig, Mama, denn sonst schilt der Papa mich aus, daß ich nicht besser auf dich Obacht gab, und er wird mich verantwortlich machen, wenn du dich nach unserer Rückkehr in Paris nicht ganz wohl fühlst. Ich bitte dich, Mama, rühr' den Champagner lieber nicht mehr an, ich finde leider, daß du ohnehin schon etwas angegriffen aussiehst, als wären die Menschen und die Musik hier im Saal heute etwas zuviel für dich.”

Was Gonthard da sagte, war eitel Lüge und Schwindel, das hörte sie deutlich aus jedem seiner Worte heraus, aber wenn sie es ihm auch nicht zugetraut hätte, daß er seiner Mutter soviel vorflunkern würde und könne, seine Worte erreichten ihren Zweck, denn kaum hatte er zu Ende gesprochen, da nahm seine Mutter aus dem Pompadour, den sie neben sich auf dem Tisch liegen hatte, auch schon einen kleinen, geradezu entzückenden Handspiegel heraus, um sich in dem sehr aufmerksam zu betrachten und um ihrem Sohn gleich darauf zuzurufen: „Du hast leider recht, mein Junge, ich finde selbst, daß ich abgespannt aussehe. Der weite Spaziergang am Nachmittag und die vielen Kommissionen, die ich erledigte, haben mich sicher überanstrengt, da will ich lieber nicht nur mit dem Champagner vorsichtig sein, sondern mich auch gleich nach Tisch zur Ruhe begeben.” Und sich an sie, ihren Gast, wendend, setzte sie in liebenswürdigster Weise hinzu: „Das soll aber für Sie, liebes Fräulein Rena, nicht etwa bedeuten, daß Sie nachher sofort aufbrechen sollen. Im Gegenteil, ich hoffe, daß Sie Adèle und vielleicht auch meinem Gonthard noch lange Gesellschaft leisten. Der Abend ist ja so schön, den verbringen Sie drei wohl noch zusammen auf der großen Terrasse oder im Garten.”

Und das taten sie denn auch, als die Mutter, nachdem die Zofe gekommen war, um sich nach ihr umzusehen, sich in deren Begleitung sehr bald in ihr Zimmer begeben hatte. Eine gute Viertelstunde saßen sie noch ganz artig und sittsam zwischen den anderen Gästen auf der Terrasse und lauschten dort den Klängen der Musik, dann aber schlug Gonthard, absichtlich so laut, daß die in nächster Nähe Sitzenden es hören mußten, noch einen kleinen Spaziergang durch den Garten vor und dann, ja dann, war sie zehn Minuten später mit ihrem Gonthard in der verschwiegenen Laube allein. Ganz allein und da erlebte sie zuerst eine sehr angenehme Überraschung. Ihre Befürchtung, er werde sie nun ohne weiteres bei dem Kopfe nehmen und sie küssen, erfüllte sich glücklicherweise nicht, sondern er gestand ihr erst seine Liebe, und das tat er, trotzdem er erst siebzehn Jahre alt war, in so ritterlicher, gewandter Weise, daß sie fortwährend den Gedanken hatte, er müsse viel älter sein, um so zu ihr sprechen zu können.

Und er küßte sie erst, nachdem sie ihm gestanden hatte, daß auch sie ihn liebe, dann aber küßte er sie so leidenschaftlich, wie eben nur ein heißer Südländer zu küssen vermag und sie küßte ihn so leidenschaftlich wieder, wie sie es nur immer konnte, aber das schien ihm nicht zu genügen, denn er lehrte sie, wie man in Paris küsse und wie sie wenigstens ihn küssen müsse und dann —

Ja, alle die Zärtlichkeiten, die sie dann noch miteinander ausgetauscht, machte sie sich eigentlich erst klar, als sie am späten Abend in der Pension wieder in ihrem Bett lag, und da wollte sie sich beinahe schämen, aber nein, dazu lag keine Veranlassung vor, denn sie hatte ihn doch zum mindesten ebenso lieb wie er sie, sie ihn vielleicht, nein sogar sicher, noch viel, viel lieber, und dafür, um sich schämen zu müssen, war die Stunde, die sie mit ihm zusammen verlebt, zu schön gewesen, so schön, daß sie die ganz bestimmt niemals vergessen würde. Und weil der Abend so himmlisch war, durfte ihr auch nichts leid tun, sie durfte nichts bereuen, und sie durfte und sie brauchte sich auch nicht zu schämen.

Mit dem Gedanken an ihren Gonthard schlief sie endlich ein, mit seinem Namen auf den Lippen erwachte sie, und mit ihrem Gonthard zusammen verlebte sie noch vier schöne Abende, denn seine Mutter fühlte sich auf das Zureden ihrer Zofe hin so schwach und so elend, daß sie das Bett hütete und ihre Abreise nach Paris von Tag zu Tag verschob. Vier köstliche, unvergleichlich schöne Abende verlebten sie noch zusammen, dann schlug unter vielen Tränen von beiden Seiten die Abschiedsstunde, und sie versprachen sich gegenseitig, einander nicht zu vergessen und sich auch zu schreiben. Das hatten sie eine Zeitlang auch getan und auch heute bewahrte sie noch die Briefe auf, die ihr Gonthard ihr schrieb und die ihr Mann jederzeit gern lesen konnte, schon weil der sie nicht lesen konnte, denn der war merk­würdigerweise des Französischen kaum mächtig, und daß der mit den Briefen jemals zu einem Dolmetscher laufen würde, um sich die übersetzen zu lassen, war natürlich ausgeschlossen. Damit hätte er sich nur lächerlich gemacht und außerdem konnte er die Briefe schon deshalb keinem Dritten zu lesen geben, weil er doch immerhin damit rechnen mußte, daß allerlei darin stände, was nicht einmal ein Dolmetscher zu lesen brauchte. Und es stand auch tatsächlich allerhand drinnen. Davon aber ganz abgesehen, trugen die Briefe alle ein Datum, das um zwölf Jahre zurücklag und schon daraus konnte er ersehen, daß es sich um ganz harmlose Briefe aus ihrer Backfischzeit handelte, die sie lediglich aufbewahrte, wie man sich eben solche beinahe kindischen Jugenderinnerungen aufhebt. In Wirklichkeit aber hatte sie sich von den Briefen nicht getrennt, weil sie ihren Gonthard nicht vergessen konnte und weil sie ihn auch nicht vergessen wollte. Und daß sie ihn so in der Erinnerung behielt, fand sie selbst sehr gut, das bewahrte sie vor mancher Dummheit oder wenigstens vor dem einen oder dem anderen unüberlegten Schritt. Denn nach der Episode Gonthard hatte sie sich nie wieder von einem Herrn küssen lassen, ebensowenig wie sie selbst seitdem nie wieder einen jungen Menschen küßte. Ja, sie hatte im Gegensatz zu ihren Freundinnen kaum geflirtet und sich nur soviel den Hof machen lassen, wie es nötig war, wenn man sich als junges Mädchen auf den Gesellschaften nicht gar zu sehr langweilen und wenn man den Zweck der Übung, baldmöglichst einen netten Mann zu bekommen, nicht ganz aus den Augen lassen will.

Und wie jedes junge Mädchen, wollte natürlich auch sie heiraten, und das stand bei ihr fest, ihr Mann mußte mit Vornamen wenn auch nicht gerade Gonthard, so doch wenigstens so ähnlich heißen, und auch äußerlich mußte er mit dem eine gewisse Ähnlichkeit haben. Statt dessen sah der, mit dem sie sich schließlich verlobte, weil sie sich mit ganzem Herzen in ihn verliebt hatte, ihrem Gonthard nicht die Spur ähnlich, und zum Überfluß hieß er mit Vornamen auch noch Emil! Als sie das zwar sehr spät, aber trotzdem glücklicherweise noch nicht zu spät erfahren hatte, lag sie eine ganze Nacht wach und überlegte, was in ihr größer sei, ihr Abscheu vor dem ihr geradezu gräßlichen Namen Emil oder ihre Liebe zu dem, den sie heiraten wollte. Aber schließlich siegte ihre Liebe doch, das schon deshalb, weil sie sich sagte: ich werde ihn später ganz einfach nicht Emil nennen, sondern ich werde mir für ihn einen ganz besonders hübschen und geschmackvollen Kosenamen erfinden, der natürlich in nichts an Männe, Schatzi und ähnliche Geschmacklosigkeiten erinnert. Doch damit hatte sie kein Glück, denn als sie nur einmal den Versuch machte, in ihrer Anrede seinen Namen Emil zu umgehen, wurde er beinahe böse, denn unbegreif­licherweise war er auf seinen Vornamen, den er von seinem Vater und von seinem Großvater geerbt hatte, sehr stolz und machte sie darauf aufmerksam, daß seine Vorfahren der Firma Emil Hartmann in der ganzen Handelswelt den denkbar besten Ruf zu verschaffen gewußt hätten. Das war ihr auch bekannt, aber sie heiratete doch schließlich nicht die Firma Emil Hartmann, sondern den Inhaber der Firma, und dessen Ansehen litt doch nicht darunter, wenn sie ihn anders, als beständig nur Emil genannt hätte. Doch darüber war mit ihm, so herzensgut er auch sonst war, leider nicht zu reden, in der Hinsicht hatte er seinen Dickkopf, und so überlegte sie es sich noch einmal, ob sie ihn wirklich heiraten solle. Aber sie heiratete ihn dann doch, und als sie mit ihm vor dem Altar stand, um dort mit einem lauten vernehmlichen Ja zu bestätigen, daß sie ihm eine treue Gattin sein wolle, hatte sie selbstverständlich auch die feste Absicht, diesen Schwur zu halten. Aber trotzdem kam ihr, während sie das Ja aussprach, ohne daß sie etwas dafür konnte, der Gedanke: Du kannst deinen Schwur nur halten, wenn du deinem Gonthard nie wieder begegnest und wenn du auch sonst nie einen Herrn kennen lernst, der ihm in seinem Äußeren und in seinem Wesen gleicht.

Und sechs Jahre lang war sie ihrem Emil, nein ihrem Mann, auch die beste und treueste Frau gewesen, weil sie ihren Gonthard nicht wiedersah und weil sie auch keinen Herrn kennen lernte, der sie irgendwie an den erinnert hätte.

Bis sie eines Nachmittags, als sie für einen Augenblick bei ihrer Freundin, der Frau Doktor Faber, vorsprach —

Frau Rena strich sich unwillkürlich mit der schönen, gepflegten Hand über die Stirn, als sie nun an jenen Nachmittag zurückdachte, an dem sie „ihn” kennen lernte, dann aber schrak sie gleich darauf unwillkürlich doch etwas zusammen, denn eben hatte das Telephon geklingelt. Gott sei Dank, endlich! Nun nahte der große Augenblick, den sie herbeigesehnt und heraufbeschworen hatte, da durfte sie jetzt auch keinerlei Feigheit beweisen. So nahm sie denn den Hörer ab und fragte, obgleich sie ganz genau wußte, daß ihr Mann am Apparat sei: „Hier Frau Rena Hartmann, bitte, wer da?”

Wer ist da?” fragte eine ihr gänzlich unbekannte Stimme ebenso verwundert wie erregt, „Frau Rena Hartmann? Kenne ich nicht, da bin ich schon wieder falsch verbunden, denn ich wollte die Müllabfuhrgesellschaft haben, die es wieder verbummelt hat, den Müll abholen zu lassen.”

Und auch sonst schien der Unbekannte ihr sein Herz noch weiter ausschütten zu wollen, aber kurz entschlossen legte sie den Hörer wieder auf den Apparat und klingelte ab. Immer diese falschen Verbindungen! Die waren auf die Dauer weiß Gott langweilig, und der Unbekannte hatte eben ganz recht gehabt, wenn er nervös und ungeduldig war. Aber davon ganz abgesehen, warum telephonierte ihr Mann sie nicht an? Hatte der sich den anonymen Brief derartig zu Herzen genommen, daß er vielleicht einen, wenn hoffentlich nur leichten Schlaganfall erlitt? Hatte er vorübergehend die Sprache verloren? Nein, das war nicht anzunehmen, denn sonst hätte man sie aus dem Geschäft gleich angerufen und ihr mitgeteilt, daß ihrem Mann ein Unglück zugestoßen sei. Oder hatte der Brief ihn derartig erregt, daß er nun wie ein rasender Roland mit geballten Fäusten in seinem großen Privatkontor auf und ab rannte, während er sich überlegte, was er tun solle und tun könne, um sich darüber Gewißheit zu verschaffen, ob der Inhalt des Schreibens auf Wahrheit beruhe. Oder aber, und das wäre beinahe das Schlimmste, saß er an seinem Schreibtisch und wollte sich darüber halb tot lachen, daß irgendein verrücktes Frauenzimmer, nur weil es sonst gerade nichts zu tun gehabt hatte, auf die blödsinnige Idee verfallen war, sie, seine Frau, bei ihm zu verdächtigen, sie, von deren Treue er noch mehr überzeugt war als sie von der seinen, denn sie wußte, daß er ihr treu war. Lachte er nun über den Brief, den sie nach so vielem Überlegen und nach so eingehender Rückprache mit ihrem Gonthard hatte schreiben lassen, weil auch der es schließlich einsah, daß es besser, oder wenigstens anständiger und ehrenhafter sei, in ihrem Mann vielleicht den Argwohn zu erwecken, sie sei ihm nicht treu, als ihn weiterhin in dem Glauben zu lassen, sie könne niemals auch nur auf den Gedanken kommen, ihm die Treue zu brechen? Und hatte sie fortan ihrem Mann gegenüber, nachdem dieser den Brief erhielt, nicht ein viel besseres Gewissen, wenn sie mit ihrem Gonthard zärtliche Liebesstunden zusammen verlebte? War das Bewußtsein, dein Mann weiß etwas, oder er ahnt etwas, oder er könnte es wenigstens annehmen, wenn er dem Brief geglaubt hätte, war das nicht viel besser, als sich sagen zu müssen: du betrügst deinen Mann, während er dich nach wie vor für den Inbegriff aller weiblichen Tugenden hält?

Das hatte schließlich auch ihr Gonthard eingesehen, allerdings hatte es lange gedauert, bis er es einsah. Ja, zuerst hatte er sie gar nicht verstanden, es bei dem besten Willen nicht vermocht, sich in den Gedankengang, den sie ihm entwickelt, hinein zu versetzen, ja, er hatte ihr sogar dringend abgeraten, den Brief schreiben zu lassen, er hatte sie an das Kind erinnert, das da mit dem Feuer spielt, und er hatte sie gefragt, was dann werden solle, wenn ihr Haus und das Glück ihrer Ehe auf Grund dieses Briefes eines Tages wirklich Feuer fangen und in Flammen aufgehen solle. Ja, er hatte mehr als hundert sehr ernste Bedenken gehabt, aber als sie dann auf seinem Schoß saß und ihn immer wieder küßte und ihn immer wieder bat und schmeichelte: „Laß mir doch das harmlose Vergnügen, du ahnst nicht, wie es mich reizt, meinem Mann einen solchen Brief schreiben zu lassen, du weißt nicht, wie er es um seiner Selbstherrlichkeit willen, die er mir gegenüber oft zur Schau trägt, verdient, einmal darauf aufmerksam gemacht zu werden, daß auch andere Männer den Wunsch haben können, mich zu erobern und namentlich, daß jede, selbst die beste Frau, wenn auch nur einmal und wenn auch nur vorübergehend, den Wunsch hat, einem anderen Mann, als nur dem eigenen anzugehören,” als sie ihm alles das und noch manches andere, über das sie sich selbst, wie sie sich offen eingestand, nicht ganz klar war, so klar gemacht hatte, wie es ihr nur immer möglich war, da hatte er ihr schließlich mit den Worten zugestimmt: „Ich verstehe dich zwar immer noch nicht ganz, aber wenn du das, was du zu tun beabsichtigst, für richtig und sogar für unbedingt notwendig hältst, wie du es mir eben erklärtest, dann tue es.”

Da hatte sie ihm mit heißen Küssen für sein Einverständnis gedankt, um ihn gleich darauf in lustiger, übermütiger Weise damit zu necken, daß er so schwer von Begriff gewesen sei.

Aber daß er das trotz seiner sonstigen Klugheit in mancher Weise war, gerade das liebte sie an ihm, denn das kam daher, daß er sein eigenes Leben lebte und so absolut gar kein Gesellschaftsmensch war. Die Menschen mußten ihm einmal eine ganz, ganz große Enttäuschung bereitet haben, ohne daß allerdings selbst sie wußte, in welcher Art, denn so oft sie ihn auch schon gebeten hatte, ihr alles zu erzählen und wenigstens zu ihr Vertrauen zu haben, er sprach sich nie darüber aus und machte auch nie die leiseste Andeutung darüber, sondern erklärte ihr lediglich, es läge da ein Geheimnis vor, das er mit in sein Grab nehmen würde und über das er auch nicht reden könne, wenn der Ekel vor den Menschen, der ihn damals wochen- und monatelang krank gemacht habe, ihn nicht von neuem befallen solle. Damit hing es auch sicher zusammen, daß er fast jeden Verkehr mied. In seiner hübschen kleinen Villa, die er für sich allein bewohnte und die er sich mit vielen seltenen Kostbarkeiten, die er sich auf seinen weiten Reisen gekauft, ebenso hübsch wie originell eingerichtet hatte, lebte er ganz seinen wissenschaftlichen Neigungen, seinen Büchern und seiner Musik. Ein alter Diener und dessen Frau sorgten für seine Bequemlichkeit und für sein leibliches Wohl, denn auch in ein Restaurant ging er nur, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ. Er ging überhaupt sehr selten aus und auch in das Haus ihrer Freundin, der Frau Doktor Faber, war er lediglich durch einen Zufall gekommen, oder richtiger gesagt, er hatte dort einen Besuch gemacht, um einen ihm von einem auswärtigen Bekannten übergebenen Auftrag persönlich auszurichten; er hatte den Besuch machen müssen, wenn er nicht nur als Sonderling, sondern auch als unhöflich und als ungezogen hätte erscheinen wollen. Nur um diesen Verdacht nicht aufkommen zu lassen, war er zu ihrer Freundin gegangen und war auf deren Aufforderung hin auch zum Tee geblieben.

Und bei der Gelegenheit hatte sie ihn auch ihrerseits lediglich durch einen Zufall kennen gelernt, wenn es nicht mehr als ein Zufall war, der in ihr, als sie bei dem Hause der Freundin vorüberging, plötzlich den Gedanken wach werden ließ: Du hast Lili so lange nicht gesehen und auch so lange nichts von ihr gehört, gehe doch mal zu ihr hinauf und erkundige dich nach ihr, vielleicht ist sie krank. Viel Zeit hast du allerdings nicht, wenn du deine Besorgungen noch erledigen willst, aber fünf Minuten kannst du schon noch erübrigen.

Fünf Minuten hatte sie bleiben wollen, aber aus diesen wurden zuerst fünfzehn und dann fünfzig, aber das war nicht ihre Schuld, oder wenigstens nicht ihre allein, denn Lili bat sie ein paarmal, doch noch nicht gleich wieder zu gehen, sondern in aller Ruhe eine Tasse Tee mitzutrinken, und wenn sie das schließlich nur zu gern tat, dann tat sie es, weil der Besuch, den sie bei Lili traf, ihr von Anfang an so gut, so ausgezeichnet gut gefiel, daß sie sich im stillen fortwährend sagte: Der erinnert dich in seinem ganzen Wesen, in mancher seiner Bewegungen, in seiner Art zu sprechen, aber auch äußerlich so sehr an deinen jungen Pariser Freund Gonthard, daß du darauf schwören möchtest, daß auch er Gonthard heißt. Auf den Namen Emil oder auf einen ähnlichen ist der ganz gewiß nicht getauft.

Und als sie im Laufe der Unterhaltung erfuhr, daß er mit Vornamen tatsächlich Gonthard, mit Nachnamen aber Renée hieße, daß er einer alten französischen Emigrantenfamilie entstamme, da war es um sie geschehen, denn da sagte sie sich: Du bist entweder verloren oder aus der Einförmigkeit und aus dem ewigen Einerlei deiner Ehe gerettet, wenn dieser Gonthard auch nur den leisesten Wunsch äußern sollte, dir nahe zu treten. Mit diesem Selbstgeständnis auf dem Herzen blieb sie am Teetisch sitzen und beteiligte sich so unbefangen wie nur möglich an der Unterhaltung , die sich in der Hauptsache um seine Reisen drehte, die er in der letzten Zeit gemacht. Er hatte viel Interessantes gesehen und wußte nicht minder interessant, wenn auch ziemlich ernst, eigentlich ganz ohne jeden Humor, zu erzählen, aber gerade dieser sein Ernst und die gewisse Schwermut, die zuweilen aus seinen wunderhübschen dunklen Augen sprach, gefielen ihr an ihm, so daß sie ihm noch stundenlang hätte zuhören und ihn namentlich dabei fortwährend hätte ansehen können, wenn es nicht schließlich wirklich für sie Zeit geworden wäre, aufzubrechen. Aber als sie sich von ihrem Platz erhob, stand auch er auf, um sich zu verabschieden, da er seinen Besuch weit über Gebühr ausgedehnt habe. So traten sie denn bald darauf zusammen auf die Straße, aber auch da verabschiedete er sich zu ihrer großen Freude nicht gleich von ihr, sondern bat sie um Erlaubnis, sie noch ein Stück begleiten und ihr seinen Schirm anbieten zu dürfen, da es inzwischen, während sie bei dem Tee saßen, angefangen hatte, leise zu regnen und da sie leichtsinnigerweise ohne Schirm von Hause fortgegangen war. Dankbar nahm sie sein Anerbieten an und sie zögerte auch nicht, ihre Hand auf seinen Arm zu legen, als er ihr den anbot, angeblich nur deshalb, damit sie, dichter nebeneinander gehend, unter seinem Schirm besseren Schutz hätte, und dann erzählte er ihr ganz plötzlich und unvermittelt, warum er so lange bei der Frau Doktor sitzen geblieben sei, einzig und allein ihret-, Rena wegen, denn in demselben Augenblick, in dem sie das Zimmer betreten, habe er sich in sie verliebt.

Aus dem Munde eines anderen hätten diese Worte nach einer so flüchtigen Bekanntschaft sicher ungezogen, wenn nicht gar frech geklungen, wenigstens hätte sie die so aufgefaßt und sie hätte den, der es gewagt hätte, so zu ihr zu sprechen, auf der Stelle stehen lassen. Aber als er das zu ihr sagte, klang das so bescheiden, vor allen Dingen aber so, als sei es etwas ganz Selbstverständliches, daß er sich sofort habe in sie verlieben müssen. Deshalb zürnte sie ihm auch nicht, sondern sein Geständnis beglückte und erfreute sie in gleicher Weise. Und nicht nur das. Als er sie, als sei auch das eine ganz selbstverständliche Frage, bat, ihm zu sagen, ob sie glaube, daß sie ihn je werde wiederlieben können, gestand sie ihm auch ihrerseits, daß sie sich bereits in ihn verliebt habe und das auch ihrerseits gleich, als sie ihn gesehen.

So war sie schon wenige Tage später seine Freundin geworden, und so oft ihre Zeit und ihre vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen es ihr erlaubten, besuchte sie ihn in seiner entzückenden Wohnung, die so verschwiegen gelegen war, daß sie auf dem Wege dorthin und auch in der Wohnung selbst vor jeder Entdeckung sicher war. Und wie im Fluge vergingen ihr stets die kurzen Stunden, die sie bei ihm zubringen konnte, denn er war nicht nur der zärtlichste Liebhaber, den sie sich nur hätte wünschen können, sondern auch der reizendste Gesellschafter, der liebenswürdigste Wirt, und was ihr an ihm so ganz besonders gefiel, er war so außerordentlich diskret. Er sah nie zu, wenn sie sich auskleidete und auch niemals, wenn sie sich wieder anzog. Das hätte sie auch nie erlaubt, denn dann hätte sie sich vor ihm ja totschämen müssen, obgleich es nichts gab, was sie ihm da hätte verheimlichen oder verschweigen müssen. Und noch eins liebte sie an ihm, sein großes musikalisches Talent. Nur schade, daß die Zeit, die sie bei ihm verbringen konnte, so kurz war und daß sie sich so viel anderes zu sagen hatten, daß er eigentlich noch nie recht dazu gekommen war, ihr etwas vorzuspielen und daß es in der Hauptsache stets nur bei der Verabredung blieb, daß er ihr bei ihrem nächsten Besuch nun aber auch ganz bestimmt etwas vorspielen solle.

Nun war es schon länger als ein Jahr her, daß sie zum erstenmal zu ihm ging, und noch nie hatte sie den Schritt bereut, wohl aber hatte sie im Laufe der Zeit oft gedacht, ihr Mann würde sie des Abends, wenn sie sich am Teetisch gegenüber saßen, einmal fragen, wo sie im Laufe des Nachmittags gewesen sei, und oft hatte sie geglaubt, ihm würde ihr etwas zerstreutes Wesen auffallen, wenn sie mit ihren Gedanken noch bei dem Freunde war, den sie kaum verlassen hatte. Aber nichts Derartiges geschah, höchstens, daß er einmal zu ihr sagte: „Du scheinst dich etwas abgespannt zu fühlen, Rena, ich würde mich an deiner Stelle heute lieber früher als sonst hinlegen.” Ja, ihr Mann war sogar nicht einmal mißtrauisch geworden, als er eines Abends an ihr die goldene Kettenarmbanduhr vermißte, das erste Geschenk, das er ihr gemacht, das sie auf seinen Wunsch hin stets tragen mußte und das sie, wie ihr bei der Frage ihres Mannes sofort einfiel, in dem Schlafzimmer ihres Freundes auf dem Toilettentisch hatte liegen lassen müssen. Für eine kurze Sekunde lähmte sie der Schrecken, aber er deutete die Angst, die aus ihren Zügen sprach, anders und rief ihr zu: „Fürchte nichts, Rena, wir werden die Armbanduhr, wenn du sie verloren hast, schon wiederbekommen, ich werde gleich ein großes Inserat für die Zeitung aufgeben und für den ehrlichen Finder eine hohe Belohnung aussetzen. Da wirst du die Uhr in zwei oder drei Tagen wiederhaben, vielleicht hast du sie aber auch bei deiner Schneiderin, falls du bei der gewesen sein solltest, liegen lassen, als du dort anprobiertest.”

Aber nein, sie war nicht bei ihrer Scheiderin gewesen, das wußte sie, wie sie ihrem Mann nach einigem Besinnen zur Antwort gab, ganz genau, sie war überhaupt nirgends gewesen, sie war bei dem schönen Wetter lediglich spazieren gegangen, und zwar weiter als sonst, und mit einemmal wußte sie auch, wo sie die Uhr verloren haben konnte, nein, verloren haben mußte, und zwar, als sie durch die Bundesstraße ging, die sie, als ganz weit von ihres Gonthards Wohnung entlegen, auf gut Glück nannte. Da hatte ein großer Bernhardinerhund sie beinahe umgerannt, sie war erschrocken zur Seite gesprungen und hatte unwillkürlich mit beiden Händen eine rasche Bewegung gemacht, als könne sie dadurch den Hund von sich abwehren, und dabei mußte sich das Schloß des Armbandes, das sie in der Eile des Fortgehens sicher nicht ganz fest zugedrückt hatte, gelöst haben und ohne daß sie es merkte, mußte ihr das Armband über die Hand gerutscht sein. Vielleicht war auch die dünne Sicherheitskette des Schlosses gerissen, auf jeden Fall aber mußte sie das Armband in der Bundesstraße verloren haben.

Ihr Mann hatte ihr sehr aufmerksam zugehört und kaum daß sie zu Ende gesprochen, schon auf ein Blatt seines Notizbuches, das er aus der Tasche zog, das Inserat für die Zeitung niedergeschrieben, das bereits am nächsten Abend groß und auffällig gedruckt erschien. Aber so früh es dort auch bekannt gemacht wurde, es kam dennoch zu spät, denn sie hatte am Nachmittag sofort ihre Uhr, die richtig auf dem Toilettentisch ihres Freundes liegen geblieben war, wieder abgeholt, so daß sie die am Abend schon ihrem Mann zeigen und ihm freudestrahlen erklären konnte: „Denke dir nur, die Uhr ist wieder da und was das Unbegreiflichste ist, ich hatte sie gar nicht verloren, sondern es gestern ganz vergessen, sie mir, nachdem ich mir die Hände gewaschen hatte, wieder umzulegen. Aber das nicht allein, ich hatte sie, was ich sonst nie tue, während ich mich wusch, in die Waschtischschublade gelegt, denn da fand ich sie heute nachmittag ganz zufällig, und ich glaubte meinen Augen nicht trauen zu dürfen, als ich sie dort liegen sah. Ach, ich bin ja so froh und glücklich, daß ich sie wiederhabe, es tut mir nur leid, daß das Geld für das Inserat umsonst ausgegeben ist.”

Aber über diesen Punkt hatte ihr Mann sie schnell beruhigt, da er sich mit ihr freute, und dann hatten sie lange darüber gesprochen, wie seltsam es doch sei, daß man sich manchmal Dinge so fest und steif einbilden könne, daß man jederzeit bereit sei, die sogar vor Gericht zu beschwören, sie wenigstens hätte sich, wie man so sagt, darauf köpfen lassen, daß sie die Armbanduhr auch gestern, wie alle Tage, vor dem Fortgehen umgelegt habe. Ja, ihr Mann hatte ihr sogar eine lange Geschichte erzählt, aus der hervorging, daß er einmal mit einem sehr wertvollen Spazierstock Ähnliches erlebt habe, und in fröhlichster Stimmung hatten sie lange beisammen gesessen, und aus jedem Wort, das ihr Mann zu ihr sprach, hörte sie deutlich heraus, daß er an das Märchen, das sie ihm erzählte, glaubte, daß auch nicht das leiseste Mißtrauen in ihm wach geworden war.

Ja, sie hatte wirklich einen rührend guten Mann, und dafür, daß er Emil und nicht Gonthard hieß, konnte er ja schließlich nichts, und wenn sie ihren Gonthard nicht so über alles liebte, wäre es sicher unrecht von ihr, ihren Mann zu betrügen. Aber wer kann etwas für die Liebe, die plötzlich über den Menschen kommt? Sie selbst konnte jedenfalls nichts dafür, aber darum handelte es sich im Augenblick auch nicht, sondern nur darum, daß ihr Mann sie nun endlich antelephonierte, damit sie es aus seinem Munde hörte, wie er den anonymen Brief auffasse und wie er über den dächte.

Aber so ungeduldig sie auch auf den Anruf wartete, es verging auch jetzt noch beinahe eine halbe Stunde, bis das Telephon klingelte, aber dann sagte eine innere Stimme ihr, daß diesesmal nicht wieder eine falsche Verbindung vorläge.

So streckte sie denn die Hand nach dem Tischapparat aus, der in ihrer Nähe stand, aber anstatt sofort den Hörer abzuheben, zögerte sie nun im letzten Augenblick doch noch eine Sekunde, aber nicht etwa aus Angst, sondern weil sie es dessen, was da nun kommen würde, für unwürdig hielt, so ohne weiteres, gleichsam, als wenn ihr Bäcker oder ihr Schlachter am Telephon wäre, in den Apparat hineinzusprechen.

Eine Augenblick zögerte sie noch, um dadurch die Situation, die sich jetzt allmählich entwickeln würde, noch etwas dramatischer zu gestalten, und ihr war, als höre sie ihr Herz jetzt doch ein klein wenig laut und unruhig schlagen. Aber das mußte Einbildung sein, denn erstens hatte sie von Kindheit an ein absolut gesundes Herz, das sich nicht so leicht aus seinen verschiedenen Taktschlägen herausbringen ließ, und dann hatte sie im Laufe des Tages für alle Fälle zur Vorsicht soviel niederschlagendes Bromwasser getrunken, daß ihr Herz, selbst wenn es das gewollt hätte, gar nicht erregter als sonst hätte schlagen können, und deshalb fragte sie nun auch, als sie den Hörer zur Hand genommen, vollkommen gelassen: „Hier ist Frau Rena Hartmann, bitte, wer ist dort?”

„Hier ist Emil,” klang es, wie sie ganz deutlich hörte, etwas nervös und aufgeregt zurück, und unwillkürlich zuckte sie auch jetzt wieder, wie stets, wenn ihr Mann sich am Telephon mit den Worten: „Hier ist Emil,” meldete, zusammen, als wenn sie einen seelischen und körperlichen Schmerz empfände. Warum mußte auch gerade ihr Mann Emil heißen! Aber darüber nachzudenken hatte sie keine Zeit, und wie schon so oft, hätte sie auch jetzt darauf keine Antwort gefunden, und deshalb meinte sie, absichtlich die völlig Überraschte spielend, und dabei so zärtlich wie nur möglich: „Du bist es, mein Emil, noch dazu um diese ungewohnte Stunde? Das ist ja eine freudige Überraschung, und hoffentlich hast du auch eine solche für mich, denn sonst hättest du mich wohl nicht angeklingelt. Sage mir also bitte gleich, damit ich nicht vor Ungeduld sterbe, was gibt es?”

„Leider nichts Derartiges, wie du vermutest, Rena,” klang es zurück, „denn daß es mir nun doch noch gelungen ist, für das Richard-Strauß-Konzert in der nächsten Woche anstatt unserer beiden Plätze im ersten Parkett, allerdings für ein sündhaftes Geld, die Fremdenloge, die plötzlich freigeworden ist, zu bekommen, das wird dich zwar sicherlich sehr erfreuen, aber das hätte ich dir auch schließlich heute abend zu Hause erzählen können.”

Frau Rena jubelte auch ehrlichster Freude auf: „Du hast noch eine Loge für uns bekommen, mein Emil? Das Nähere mußt du mir später ausführlich erzählen, aber eins verspreche ich dir schon jetzt, als Dank für das sündhaft viele Geld, das du bezahlt hast, schenke ich dir den schönsten Kuß, den ich dir nur geben kann, und du weißt, gerade ich kann sehr schön küssen, wenn ich will.”

„Aber Rena,” meinte ihr Mann halb lachend, halb unwillig, „so etwas sagt man doch nicht am Telephon! Wenn das Fräulein auf dem Amt das hört, könnte es denken, du wärest gar nicht meine Frau, sondern meine Geliebte.”

Kam es ihr nur so vor, oder hatte er zum Schluß das Wort meine Geliebte besonders betont, so als wenn er ihr dadurch schon jetzt zu verstehen geben wollte: seit heute Mittag weiß ich es, daß du auch die Geliebte eines anderen Mannes bist? Aber nein, was sie da eben glaubte, hatte sie sich sicher nur eingebildet, denn sie kannte ihren Mann zu gut, um nicht zu wissen, daß er ihr selbst eine solche Andeutung niemals am Telephon gesagt hätte, denn auch die hätte das Fräulein vom Amt ja hören können. Aber sonst war seine Rücksichtnahme auf die Telephonangestellten mehr als übertrieben. Wenn die lauschen wollten, konnten die sicher oft noch ganz andere Gespräche mit anhören. Das wollte sie ihm auch erklären, aber sie kam nicht dazu, denn er meinte jetzt: „Bist du noch da, Rena? Du bist ja ganz verstummt.”

„Das aber nur deshalb, weil ich vor Freude über die Loge tatsächlich nicht weiß, was ich sagen soll,” gab sie zur Antwort, „im übrigen aber irrst du dich sehr, wenn du glaubst, die frohe Botschaft hätte für mich bis zum Abend Zeit gehabt. Auf jeden Fall war diese Nachricht für mich von allem, was du mir vielleicht mitteilen wolltest, die wichtigste, oder wolltest du mir sonst überhaupt nichts sagen?”

„Doch, Rena,” und wieder hörte sie ganz deutlich, daß seine Stimme etwas nevös und erregt klang, bis er nun fortfuhr: „Ich habe mit der Mittagspost einen Brief erhalten, Rena, den ich gern baldmöglichst mit dir besprechen möchte.”

Also er hatte den Brief bekommen! Unwillkürlich atmete sie erleichtert auf, denn was dann, wenn der Brief durch ein Versehen der Post falsch bestellt und in unrichtige Hände gelangt wäre? Was daraus hätte entstehen können, war gar nicht auszudenken. Na, nun war die Gefahr glücklicherweise beseitigt, aber für alle Fälle war es wohl besser, wenn sie einen etwaigen zweiten anonymen Brief eingeschrieben an ihren Mann abschicken ließ.

„Du hast einen Brief bekommen, den du gern baldmöglichst mit mir besprechen möchtest?” erkundigte sie sich nach einer kleinen Pause so überrascht und erstaunt, wie es ihr nur irgend möglich war. „Was ist denn das für ein Brief?”

„Das kann ich dir jetzt bei dem besten Willen nicht sagen, Rena,” lautete seine Antwort, „es handelt sich um eine Sache, die, aber nein,” unterbrach er sich, „man kann am Telephon nun einmal nicht vorsichtig genug sein, und deshalb muß ich dich unbedingt persönlich sprechen.”

„Aber gern, mein Emil,” beruhigte sie ihn, da seine Stimme so erregt klang, wie sie das bisher je kaum an ihm gehört hatte, und dann fragte sie: „Wünschest du, daß ich zu dir in das Bureau komme? Ich könnte mir ein Auto nehmen und wäre spätestens in einer Viertelstunde bei dir.”

Einen Augenblick schien er sich ihren Vorschlag zu überlegen, aber er stimmte dem nicht bei, sondern meinte: „Was Ihr Frauen so eine Viertelstunde nennt, Rena! In Wirklichkeit würde es sicher eine halbe, wenn nicht gar eine ganze Stunde dauern, bis du kämst, und das wäre zu lange, denn ich muß noch heute auf Grund des Briefes, den ich erhielt, meine Entschlüsse fassen, die vielleicht von der allergrößten Tragweite sind.”

Trotzdem Frau Rena während des Gespräches auf einem Stuhl saß, fühlte sie ganz deutlich, wie ihr die Knie zu zittern begannen. Ihr Mann wollte auf Grund des Briefes, den er erhielt, schon heute seine Entschlüsse fassen! Was hieß das anders, als daß er den anonymen Verdächtigungen des Briefes glaubte, daß er ihnen glaubte, ohne sie, seine Rena, auch nur gefragt oder angehört zu haben und daß er ihnen auch glauben würde, wenn er sich mit ihr ausgesprochen hatte. Ihr Mann dachte vielleicht schon jetzt an eine Scheidung, oder wenigstens an eine Trennung, aber nein, das doch wohl nicht, denn wenn er das wollte, hätte er ihr sicher nicht erst etwas von der Loge im Theater erzählt, die er für sie beide erstand. Oder hatte er ihr nur deshalb davon gesprochen, um sie in Sicherheit zu wiegen? Ja, ganz bestimmt, so hing das zusammen, denn woher sollte er wohl auch plötzlich die Loge bekommen haben? Wer die Plätze einmal besaß, der gab sie doch nicht wieder zurück, das selbst dann nicht, wenn er so krank war, daß der Arzt ihm jedes Ausgehen auf das strengste verbot. Sie selbst wenigstens würde auch in einem solchen Falle das Theater besucht haben, denn es handelte sich bei dem Richard-Strauß-Konzert um ein musikalisches und gesellschaftliches Ereignis allerersten Ranges, das für sie noch einen ganz besonderen Reiz dadurch erhielt, daß auch ihr Gonthard das Konzert besuchen wollte und daß sie da zum erstenmal mit ihm und mit ihrem Mann zusammen in demselben, wenn auch noch so großen und weiten Raum weilte. Namentlich ihres Gonthard wegen hatte sie sich gleich so furchtbar gefreut, als ihr Mann von der Loge erzählte. Da konnte der Geliebte sie sehen, ohne sie erst lange mit dem Opernglas suchen zu müssen, was unter Umständen aufgefallen wäre, und sie selbst konnte ihm von ihrem Logenplatz aus die zärtlichsten Blicke der Liebe und des Einverständnisses zuwerfen, ohne daß sie sich erst nach ihm hätte umdrehen müssen, wie das unvermeidlich gewesen wäre, wenn sie in den ersten Parkettreihen geessen hätte.

Und nun hatte ihr Mann todsicher gar keine Loge, sondern er hatte sie mit der Botschaft nur einfangen wollen, damit sie ihm als Zeichen ihres Dankes erst ihre Liebe, ihre große Liebe zeige und damit er ihr dann ihre angebliche Treulosigkeit und Verlogenheit um so rücksichtsloser entgegenschleudern könne. Als wenn sie verlogen wäre! Er hätte es nur mit ansehen sollen, wie sie sich über die Logenplätze freute, und sie hatte auch nicht gelogen, als sie ihm versprach, ihn heute so zärtlich zu küssen, wie sie es nur immer vermöchte. Nun aber konnte er lange warten, bis sie ihm einen Kuß gab, aber sicher wollte er auch gar nicht mehr von ihr geküßt sein, deshalb, einzig und allein deshalb hatte er mit den Worten abgewinkt: so etwas sagt man doch nicht am Telephon.

„Weißt du, Rena,” erklang da plötzlich von neuem die Stimme ihres Mannes, noch bevor sie Zeit gefunden hätte, in das Chaos der Gedanken, die auf sie einstürmten, etwas Ordnung zu bringen, „ich habe es mir eben überlegt. Selbst wenn du wirklich in einer Viertel- oder in einer halben Stunde bei mir sein könntest, ich halte es doch für besser, daß ich zu dir in die Wohnung komme. Hier klingelt jeden Augenblick das Telephon, und selbst wenn man den strengen Auftrag gegeben hat, daß man in keiner Weise gestört sein will — ja, himmelkreuz­millionen­donnerwetter, was wollen Sie denn nun schon wieder von mir?” hörte sie ihn, sein Gespräch mit ihr unterbrechend, einen seiner Angestellten, der unerwartet und unerwünscht bei ihm eingetreten sein mußte, anfahren, bis er nach einer Weile fortfuhr: „Ja, ja, Sie haben ganz recht, mein Lieber, wenn Sie mir erklären, Sie hätten diesen Donnerwetter­empfang nicht verdient, aber Sie dürfen mir das nicht weiter übelnehmen, ich bin heute etwas nervös, glauben Sie mir, auch unsereins hat seinen Kopf manchmal verdammt voll. Also seien Sie wieder friedlich,” und dann hörte sie, wie er wieder zu ihr sprach: „Wie gesagt, Rena, ich komme gleich zu dir, denn die Sache eilt. In einer Viertelstunde bin ich da und ich klebe jeden meiner Angestellten an die Wand, der mich mit Gott weiß was für Fragen und anderen Geschichten zurückhalten will. Schluß.”

Herrgott noch mal, war ihr Mann erregt, so kannte sie ihn noch gar nicht. Und was dann, wenn er schon gleich heute von ihr Beweise, untrügliche Beweise dafür verlangte, daß das, was in dem Brief stand, weiter nichts als gemeine Erfindung und Verleumdung war? Woher sollte sie die so schnell nehmen? Selbst ein Richter ließ einem Angeklagten doch Zeit, sich einen Alibibeweis zu konstruieren, und selbst der Richter nahm sich doch die Mühe, den in allen Einzelheiten nachzuprüfen. Und plötzlich mußte sie wieder daran denken, wie ihr Gonthard ihr abgeredet hatte, ihrem Mann schreiben zu lassen. Sollte der mit seiner Warnung vielleicht doch recht gehabt haben, denn daß ihr Mann schon heute derartig außer sich geriete, das hatte sie nicht gewollt, im Gegenteil, die Briefe sollten sein Blut, seine Eifersucht und noch vieles andere, das damit zusammenhing, erst ganz allmählich erregen und in Wallung bringen, damit er nach und nach, dafür aber desto klarer und deutlicher einsähe, was er an ihr habe, und daß sie auch anderen Männern gefallen könne. Aber das, was sie getan, daraufhin zu prüfen, ob es richtig oder falsch gewesen sei, war nun keine Zeit mehr, jetzt galt es nur, dem großen Augenblick, der ihrer harrte, in jeder Hinsicht gewachsen zu sein, und sie hätte keine Frau und noch dazu keine hübsche und elegante Frau sein müssen, wenn sie nicht als erstes ihren kleinen Handspiegel ergriffen und ihre Frisur in dem geprüft hätte. Aber ihre Haare saßen tadellos, trotzdem rückte sie die mit ihren schönen Händen noch etwas mehr zurecht, um sich dann selbst daraufhin anzusehen, ob sie irgendwelche Unruhe zur Schau trüge. Doch auch das war nicht der Fall, ihr Mienenspiel war höchstens ein klein wenig lebhafter als sonst und sie konstatierte mit Genugtuung, daß sie das sehr gut kleidete, so gut, daß sie den Spiegel wohl nicht so schnell fortgelegt haben würde, wenn draußen auf der Straße nicht überraschend plötzlich ein Auto gehupt hätte.

Ihr Mann! Der mußte ja in einem wahnsinnigen Tempo gefahren sein, um jetzt schon da zu sein, und hinter den Gardinen versteckt, sah sie ihn nun durch den Vorgarten mehr in das Haus laufen, als wie sonst ruhig und gelassen gehen.

Eine Minute später trat er zu ihr in das Zimmer, um sie ganz gegen seine sonstige Gewohnheit nur kurz und flüchtig zu begrüßen und um auch dann nicht gleich mit dem zu beginnen, was ihn hierher führte, sondern um noch eine kleine Weile erregt auf und ab zu gehen, bis er mit einemmal, vor ihr stehen bleibend, sagte: „Wie ich dir schon telephonisch mitteilte, Rena, habe ich einen Brief erhalten, den ich mit dir besprechen möchte. Aber ehe ich das tue, wollen wir uns beide lieber setzen, denn es handelt sich um keine Kleinigkeit, sondern um — doch das wirst du ja gleich erfahren,” unterbrach er sich, während er zugleich in die innere Rocktasche griff, um den Brief hervorzuholen. Aber er zog nicht nur einen, sondern mehrere Briefe, die er bei sich trug, an das Tageslicht und begann in denen nun nach dem einen, nach dem richtigen zu suchen, so daß sie ihn schließlich, schon um ihm dadurch zu beweisen, daß sie keine Ahnung davon habe, um was es sich handeln könne, fragte: „Willst du mir nicht wenigstens erst mal sagen, von wem der Brief ist?”

„Von der Firma Schmidt & Co. in Königsberg,” gab er, immer noch in seinen Papieren suchend, zur Antwort.

Einen Augenblick starrte Frau Rena ihren Mann an, als habe der seinen Verstand verloren, dann fragte sie noch einmal, lang und gedehnt, jedes Wort betonend: „Von wem ist der Brief?”

„Das sagte ich dir doch schon eben, Rena, von der Firma Schmidt & Co. in Königsberg,” klang es nervös und ungeduldig zurück und gleich darauf: „Hier ist der Brief endlich, also nun höre mal zu.”

„Aber was gehen mich denn deine geschäftlichen Sachen an, und seit wann besprichst du die mit mir?” erkundigte sich Frau Rena, sich unwillkürlich mit der Hand über die Stirn und über die Augen streichend, als müsse sie sich so davon überzeugen, ob sie wache oder träume, denn daß ihr Mann sie heute, gerade heute nur aufgesucht haben solle, um ihr geschäftliche Dinge mitzuteilen, das konnte sie bei dem besten Willen nicht glauben. Das schien aber doch der Fall zu sein, denn ihr Mann meinte jetzt: „Du erinnerst dich vielleicht, Rena, daß du vor einigen Monaten zufällig bei mir im Kontor warst, als ich den ersten Brief von Schmidt & Co. erhielt. Die Leute wollten mit mir Verbindungen anknüpfen, aber manches, was sie mir schrieben, gefiel mir nicht recht, so daß ich schon im Begriff stand, ihnen eine abschlägige Antwort zu geben und sicher hätte ich das auch getan, wenn mir nicht plötzlich der Gedanke gekommen wäre: Gib Rena diesen Brief zu lesen, frage die einmal ausnahmsweise um Rat, Frauen haben ja gerade, weil sie nichts von Geschäften verstehen, oft für solche Dinge einen feinen Instinkt, und wenn sie dir zurät, —”

„Ja, ja, ich weiß,” unterbrach Frau Rena ihren Mann ungeduldig, „jetzt besinne ich mich wieder auf alles. Ich riet dir damals, der Firma den gewünschten Kredit einzuräumen, und soviel ich weiß, hast du das auch nicht zu bereuen gehabt, denn du erzähltest mir, du hättest ganz wider dein Erwarten einen sehr guten Verdienst erzielt.”

„Stimmt, Rena, stimmt,” pflichtete er ihr bei, „und da du mir einmal so gut geraten hast, sollst du das auch heute tun, denn allein weiß ich wirklich nicht, ob ich mich auf das Spekulationsgeschäft, das die Firma mir vorschlägt, einlassen soll oder nicht. Ich müßte ein sehr bedeutendes Kapital in die Sache hineinstecken und meinen Bankkredit sehr in Anspruch nehmen, aber das Geschäft ist riskant und das ist wohl auch der Grund, weshalb Schmidt & Co. sich nicht an ihr Bankhaus in Königsberg wendet, weil sie dem anscheinend nicht genügende Sicherheit geben kann, sondern daß sie an mich schreibt. Aber das Geschäft ist nicht nur riskant, es hat auch einen ganz, ganz kleinen Beigeschmack, der mir nicht recht behagt, trotzdem kann man die Sache aber nicht für unreell oder gar eines anständigen Kaufmanns für unwürdig erklären. Aber einen Beigeschmack hat die Sache und den werde ich auch vorläufig dadurch nicht los, daß mir ein Reingewinn von rund zweihunderttausend Mark winkt, wenn das Geschäft gut ausgeht. Das als Einleitung, nun lies den Brief bitte selbst und dann rate du mir, ob ich ja oder nein depeschieren soll, denn ich muß depeschieren, und zwar heute noch.”

Frau Rena nahm das Schreiben, das ihr Mann ihr reichte, zur Hand und tat, als wenn sie es aufmerksam durchläse, aber ihr Verstand wußte nichts von dem, was ihre Augen überflogen, denn immer wieder sagte sie sich: Nur deshalb ist er also zu dir gekommen, um dir diesen Brief zu zeigen. Den anderen dir gegenüber zu erwähnen, hält er nicht der Mühe wert, aber das todsicher nicht etwa nur deshalb, weil er dir nicht zutraut, daß du jemals einen anderen Mann lieben könntest, sondern lediglich, weil er es für ausgeschlossen hält, daß du einen anderen Mann hübscher, eleganter, klüger und liebenswürdiger finden könntest als ihn selbst, und weil er es deshalb als todsicher annimmt, daß du niemals einem anderen Mann auch nur in Gedanken, geschweigen denn in Wirklichkeit angehören würdest.

Und der Gedanke an die Selbstherrlichkeit ihres Mannes, die ihr plötzlich wie eine Art Größenwahnsinn erschien, erfüllte sie nun mit sochem Zorn, daß sie beschloß, sich an ihrem Mann für die Nichtachtung, die er dem ihm übersandten anonymen Brief zuteil werden ließ, zu rächen, und sie wußte auch sofort wie, sie würde ihm zureden, sich auf das Geschäft einzulassen, und dann wollte sie jeden Abend zu Gott beten, daß er es fehlschlagen ließ. Gewiß, auch sie würde etwas mit darunter zu leiden haben, wenn ihr Mann ein großes Kapital verlor, aber er war reich genug, um das verschmerzen zu können, und dann hatte sie für die Zukunft die Gewißheit, daß er sie nie wieder aufsuchte, um geschäftliche Dinge mit ihr zu besprechen, während sie ihn erwartete, um aus seinem Munde zu hören, wie er es auffaßte, daß man sie ihm gegenüber der ehelichen Untreue beschuldigte.

Ja, eine Strafe, sogar eine harte Strafe hatte er um sie verdient, und deshalb meinte sie schließlich, nachdem sie den Brief überflogen und sich den anscheinend noch eine ganze Weile überlegt hatte: „Da du nun einmal das Vertrauen in mich gesetzt hast, mein Emil, mich um Rat zu fragen, kann ich dir nur sagen, telegraphiere der Firma sofort ein kurzes bindendes Ja. Deine Bedenken vermag ich nicht zu teilen, und viel mehr noch als mein Verstand sagt mir mein Instinkt, daß du den Leuten nicht absagen darfst. Paß auf, ich behalte recht, und du wirst deine zweihunderttausend Mark Verdienst sehr bald einstreichen können. Deshalb würde ich mir an deiner Stelle die Angelegenheit auch gar nicht noch weiter überlegen, sondern der Firma in Königsberg gleich Nachricht geben, daß du einverstanden bist.”

„Tue ich auch,” rief er ihr zu, sich rasch von seinem Platze erhebend, zu. „Ich werde das Telegramm sofort telephonisch aufgeben, und das sage ich dir gleich, Rena, wenn das Geschäft gut ausläuft, hast du einen sehr anständigen Wunsch an das Schicksal frei, denn daß ich den ganzen eventuellen Verdienst, den ich in der Hauptsache doch nur deinem Rat verdankte, allein einstecken würde, ist natürlich ausgeschlossen, und da du auch dieses Mal deiner Sache absolut sicher bist, würde ich an deiner Stelle gleich damit anfangen, darüber nachzudenken, was ich dir später schenken darf. Vielleicht denkst du schon etwas darüber nach, während ich telephoniere.”

Aber während ihr Mann gleich darauf das Telegramm aufgab, dachte sie über ganz andere Dinge nach, erstens darüber, ob ihr Mann den Brief vielleicht wirklich nicht erhalten haben sollte, und zweitens, wenn er den doch erhielt, wie er über den derartig hinweggehen könne, daß er den auch nicht mit der kleinsten Silbe erwähnte. Oder erwähnte er den indirekt dadurch, daß er mit dem geschäftlichen Schreiben zu ihr gekommen war und daß er sie an dem eventuellen Gewinn, den er aber ganz bestimmt nicht einstreichen würde, beteiligen wollte, um ihr dadurch zu zeigen, wie sehr sie beide aufeinander angewiesen seien, so, daß seine Interessen auch die ihrigen wären und daß sie nicht nur schlecht, sondern auch dumm handeln würde, wenn sie ihm eines Tages wirklich untreu werden und dadurch eine Scheidung von ihm herbeiführen solle.

Endlich war das Telegramm besorgt und ihr Mann trat wieder auf sie zu: „So, Rena, das wäre erledigt, nun kommt die Hauptsache.”

Anscheinend ganz überrascht blickte sie auf, um ihn zu fragen: „Hast du vielleicht noch einen Geschäftsbrief erhalten, den du mit mir besprechen möchtest und der für dich noch wichtiger ist als das Schreiben der Königsberger Firma?”

Aber er schüttelte den Kopf: „Fürchte nicht, Rena, daß ich dich noch länger mit derartigen Dingen langweilen werde, das, was nun kommt, ist eine ganz private Angelegenheit zwischen uns beiden.”

„Und die wäre?” fragte sie mehr als gespannt, während sie sich im stillen sagte: Aha, er hat den anderen Brief also doch erhalten, mit dem rückt er aber erst heraus, nachdem ich ihm durch meinen Rat zu seinem Verdienst verholfen habe. Da sieht man es einmal wieder, die Männer, wenigstens die Ehemänner, sind die krassesten Egoisten, die es auf der Welt gibt.

Aber so gespannt sie ihren mehr als egoistischen Mann auch ansah, der dachte anscheinend gar nicht daran, ihre Frage gleich zu beantworten, bis er endlich das lange Schweigen mit den Worten brach: „So, Rena, nun kommt der ganz besonders schöne Kuß, den du mir schon telephonisch dafür versprochen hast, daß ich uns, nein in der Hauptsache nur dir, die Loge im Theater besorgt habe.”

Auf alles war sie aus seinem Munde vorbereitet gewesen, darauf aber nicht, aber es wurde trotzdem kein Gefühl der Freude und der Erleichterung in ihr wach, sondern vielmehr eins der Ernüchterung und Enttäuschung. Ihr fiel unwollkürlich das alte Wort ein: Die Berge kreißen und geboren wird eine lächerlich kleine Maus.

Er wollte einen Kuß von ihr haben, allerdings einen ganz besonders schönen, aber doch nur einen Kuß, wie sie ihm den vorhin auch unbegreiflicherweise leichtsinnig versprochen hatte. Aber so schnell bekam er den nicht, wenn es irgend zu machen ging, bekam er den überhaupt nicht und deshalb wehrte sie ihm auch ab, als er sich ihr näherte, und rief ihm zu: „Was ich versprach, werde ich natürlich auch halten, aber erst muß ich wissen, hast du die Lage schon, oder ist sie dir nur für später zugesagt, denn vorläufig vermag ich es bei dem besten Willen nicht zu glauben, daß jemand die Plätze zurückgeschickt haben sollte.”

„Und doch ist es so,” erklärte er ihr, „Justizrat Kleinholtz hat plötzlich Trauer bekommen, und kaum hatte ich das an der Börse gehört, als ich sofort Geschäft Geschäft sein ließ, mich in ein Auto setzte und zur Theaterkasse fuhr. Und ich hatte Glück, vor fünf Minuten waren die Billetts zurückgeschickt worden, und ich habe sie selbstverständlich sofort genommen.”

„Das freut mich, das freut mich aber wirklich schrecklich, und ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir bin,” jubelte sie auf, als er ihr die Billetts gleich darauf eingehändigt hatte, dann aber brachte sie das Gespräch schnell auf den in der Familie des Justizrats eingetretenen Todesfall, wenn auch nur deshalb, um dadurch den Kuß, den sie ihm versprochen hatte, hinauszuschieben, und zwar soweit, daß er den womöglich ganz vergäße. Das schien er auch zu tun, wenigstens kam er im weiteren Verlauf des Nachmittags und des Abends gar nicht mehr auf den zurück, das tat er erst, als ein jeder von ihnen sein Schlafzimmer aufsuchte, um sich niederzulegen. Da aber schien er sehr energisch an den zu denken, denn als sie sich ausgekleidet hatte, kam er zu ihr, um sich den Kuß zu holen und da mußte sie ihm den auch geben. Aber als sie ihm den gegeben hatte, blieb es leider nicht bei dem Küssen. Und das war gemein! Wenigstens von ihm, denn sie war eine schwache willenlose Frau, und sie hatte ja auch nach dem Gesetz zu gehorchen, wenn er seine Rechte an ihr geltend machte. Und so etwas nannte man eine christliche Ehe, und zu so etwas gab der Geistliche seinen Segen!

Gewiß, selbst als ihr Mann bei ihr war, hatte sie ihren Gonthard nicht einen Augenblick vergessen, aber als sie wieder allein war, dachte sie erst recht an ihn.

Dann aber dachte sie auch wieder an ihren Mann, aber nicht aus Liebe, sondern weil sie sich maßlos über ihn ärgerte, daß er ihr gegenüber den anonymen Brief gar nicht erwähnte. Und dabei war der Brief so geschickt und so raffiniert abgefaßt gewesen! Länger als eine Stunde hatten sie und ihre Freundin gebraucht, um ihn erst mal im Konzept zu entwerfen und fast ebenso lange hatte es gedauert, bis Melanie ihn mit verstellter Handschrift abgeschrieben hatte. Und nun sollte das alles ganz umsonst gewesen sein? Nein, das war undenkbar, für das Verhalten ihres Mannes gab es nur eine Erklärung, er mußte den Brief unbegreiflicherweise heute doch nicht erhalten haben. Na, morgen früh mit der ersten Post bekam er den todsicher, aber als sie am nächsten Abend leider Gottes schon wieder vierundzwanzig Stunden älter geworden war, da war sie zwar älter, aber trotzdem nicht klüger, denn auch da hatte ihr Mann im Verlauf des ganzen Tages kein Wort darüber verloren, daß man es gewagt hatte, sie bei ihm zu verdächtigen, und diese Gleichgültigkeit fand sie einfach empörend. Aber noch empörender fand sie die selbstherrliche Ruhe und Gelassenheit, mit der ihr Mann ihr gegenübergesessen hatte und die ihr ganz deutlich zu sagen schien, daß er sich im stillen fortwährend wiederholte: Ich bin der Großkaufmann Emil Hartmann, alleiniger Inhaber der alten angesehenen Firma, Besitzer eines Vermögens von mindestens zwei Millionen, außerdem als Privatmann ein hübscher Kerl, in den besten Jahren, vollständig gesund, und da soll ich mir von einem männlichen oder weiblichen anonymen Lumpen einreden lassen, meine Frau wäre mir nicht treu? Da müßte ich doch die Verrücktheit mit Löffeln gegessen haben, wenn ich das auch nur einen Augenblick glauben wollte.

Aber er sollte es glauben, er sollte es wenigstens glauben, daß sie ihm eines Tages untreu werden könne, wenn gleich er natürlich nie wissen durfte, daß sie ihm tatsächlich untreu war, und so ließ sie, obgleich ihr Gonthard, den sie deswegen um Rat fragte, sie dringend davor warnte, ihrem Mann ein paar Tage später einen neuen anonymen Brief schicken, dieses Mal aber eingeschrieben und sie selbst ging zur Post, um den aufzugeben. Doch auch über diesen Brief, den er erhalten haben mußte, verlor er kein Wort, sie merkte ihm sogar nicht einmal den leisesten Ärger und Verdruß an, im Gegenteil, er schien in noch besserer Stimmung zu sein als sonst, er lachte und scherzte mit ihr, er erzählte ihr die neuesten Börsenwitze und wollte sich über die vor Lachen ausschütten. Und sie, sie mußte, so schwer ihr das Herz auch war, mitlachen, bis ihre Nervosität sich plötzlich in einem Tränenstrom Luft machte. Aber wenn sie geglaubt hatte, er würde sie nun sofort voller ehrlichster Anteilnahme fragen: Aber Rena, was hast du denn nur? Was ist denn heute mit deinen Nerven los, daß die so versagen? Hat man es etwa gewagt, auch dir, ebenso wie mir, einen Schmutzbrief zu schicken, in dem man dich beschuldigt, es mir gegenüber mit deiner ehelichen Treue sehr wenig genau, um nicht zu sagen sehr ungenau zu nehmen, und hat dieser Brief dich unbegreiflicherweise erregt? Ja, wenn sie geglaubt hatte, er würde auch nur so ähnlich zu ihr sprechen und auch nur die geringste Neugierde zeigen, um zu erfahren, warum sie so herzzerbrechend weinte, irrte sie sich sehr. Gar nichts fragte er sie, nichts, absolut nichts, sondern er ließ sie weiter weinen und weiter schluchzen, bis sie sich endlich von selbst wieder beruhigte, dann aber meinte er beinahe lustig: „Siehst du wohl, Rena, nun hast du dich viel schneller wieder gefaßt, als du es wohl selbst für möglich gehalten hättest. Daß du aber so schnell mit deinen Tränen fertig wurdest, verdankst du mir allein, denn nichts ist falscher, als einem traurigen Menschen gut zuzureden. Das schadet viel mehr als es hilft, denn Trostesworte lindern keinen Schmerz, sondern reißen die kaum vernarbten Wunden nur immer von neuem wieder auf. Nun aber, da du dich wieder auf dich besonnen hast und sicher selbst nicht mehr weißt, warum du eben weintest, jetzt erzähle mir mal, was wirst du bei dem Straußkonzert für ein Kleid anziehen? Sicher von deinen vielen hübschen Kleidern das allerhübscheste, aber welches hältst du gerade für den Abend für das schönste?”

Das war nicht nur eine sehr schwierige, sondern auch eine sehr interessante Frage, die er da plötzlich und unvermittelt an sie stellte, und sie ging auf das Thema, das er anschlug, voller Lebhaftigkeit ein, das um so mehr, als sie selbst schon oft, aber natürlich vergebens, darüber nachgedacht hatte, für welches Kleid sie sich entscheiden solle. Nur eins stand bei ihr fest, daß sie an dem Konzertabend, wenn irgend möglich, die hübscheste und die eleganteste Frau von allen sein müsse, aber das nicht sowohl um ihrer selbst, wie lediglich um ihres Gonthard willen, damit seine Augen nicht müde würden, auf ihr, nur auf ihr zu ruhen, und damit er sich fortwährend um das Glück beneide, daß sie, gerade sie ihn liebe und ihm angehöre. Ja, welches Kleid sollte sie wählen? Sie selbst war für ein duftiges Hellblau, ihr Gonthard, mit dem sie schon oft darüber sprach, wünschte sie in einem hellen Rot zu sehen, ihr Mann aber schlug ihr jetzt im Laufe der Debatte vor, sich für ihr neues hellgelbes Kleid zu entscheiden. Daß sie das aber nie und nimmer anziehen würde, stand sofort für sie fest, denn wenn ihr Gonthard sie in Rot zu sehen wünschte, konnte sie doch höchstens in Hellblau erscheinen, niemals aber in Gelb, noch dazu, wenn ihr Mann diese Farbe gewählt hatte, denn sie zog sich an jenem Abend doch nicht für ihn, sondern einzig und allein für ihren Gonthard an. Trotzdem tat sie natürlich, als sei sie ihrem Mann aufrichtig dankbar dafür, daß er die einzig richtige Wahl für sie getroffen, aber während sie sich bei ihm bedankte, nahm sie sich fest vor, das gelbe Kleid gleich morgen wieder zu ihrer Schneiderin zu schicken, weil es trotz der vielen Anproben angeblich immer noch nicht recht säße. Und sie wußte, darüber würde sich ihre Schneiderin so rasend ärgern, daß die ihr die Toilette todsicher bis zum Konzertabend nicht wieder zusandte. Und dann waren sie beide glücklich, die Schneiderin, weil die sich nach ihrer Meinung an ihr rächte, und sie selbst, weil sie ihrem Mann mit gutem Gewissen erklären konnte: Nun ist mir der ganze Abend verdorben, ich hatte mich so darauf gefreut, dir zuliebe das gelbe Kleid anziehen zu können, nun muß ich statt dessen doch das rote oder das hellblaue wählen.

Und als der Konzertabend da war, hatte die Schneiderin sie tatsächlich im Stich gelassen, und sie zog das hellblaue Kleid an. Gewiß, sie liebte ihren Gonthard über alles, und sie hätte ihm für ihr Leben gern die Freude gemacht, sich ihm in Hellrot zu zeigen, aber Hellblau stand ihr besser, und mußte sie nicht damit rechnen, daß er ihr mit seinen Augen gar zu deutlich zeigen würde, wie dankbar er ihr war und wie sehr sie ihm gefiel, wenn sie wirklich das Rot gewählt hätte? Nein, dem durfte sie sich nicht aussetzen, schon damit es nicht auch anderen auffiele, wenn er sie zu oft ansah, obgleich sie das kaum zu befürchten brauchte, denn gerade er würde niemals auch nur das Geringste tun, um sie irgendwie zu kompromittieren. Aber trotzdem, besser war besser, und im Zusammenhang damit fiel ihr ein, daß ihr Gonthard vielleicht recht hatte, wenn er behauptete, daß es sehr leichtsinnig von ihr gewesen sei, ihm das Versprechen abzunehmen, während der großen Pause im Foyer des ersten Ranges so als wenn sie einander ganz fremd wären, an ihr vorüberzugehen und sich bei der Gelegenheit ihren Mann, den er persönlich gar nicht kannte, einmal aus nächster Nähe anzusehen. Aber es lockte und reizte sie zu sehr, aus seinem Munde zu hören, wie er ihren Mann fände, und ob er es nicht auch für ganz selbstverständlich hielte, daß sie dem nicht treu sei, daß sie dem nicht treu sein könne, seitdem sie ihn, ihren Gonthard, kennen gelernt habe. Eins aber reizte sie noch mehr, ihr Mann sollte auch ihren Gonthard sehen, ohne zu ahnen, in welch naher Beziehung sie zu ihm stände, und wenn irgend möglich wollte sie die Frage an ihn richten, ob er zufällig den Herrn bemerkt habe, der eben an ihnen vorübergegangen sei, und ob er zufällig wisse, wer der Herr mit dem interessanten, etwas südländischen Ausdruck sei. Dann würde sie aus dem Munde ihres Mannes hören, wie der ihn fände, und sicher würde der eine anerkennende Äußerung über ihres Gonthards so hübsche und elegante Erscheinung machen.

Aber die Sache verlief leider nicht ganz so, wie sie es sich gedacht hatte. Zwar ging ihr Gonthard, wie er es ihr versprochen, in der großen Pause dicht an ihr und ihrem Mann vorüber und sah sie bede dabei ganz gleichgültig an, aber als sie ihren Mann gleich darauf halblaut fragte: „Kanntest du den Herrn vielleicht zufällig? Ich fand, er sah etwas fremdländisch und sehr interessant aus,” da gab ihr Mann zur Antwort: „Wer er war, weiß ich nicht, Rena, aber nach meinem Geschmack sah er aus wie ein übertrieben elegant angezogeer Affe.”

Ihr Gonthard ein Affe! Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte vor Wut und Empörung über diesen Ausdruck einen Weinkrampf bekommen, und zum erstenmal in ihrem Leben haßte sie ihren Mann. Sie haßte ihn, wie sie es nie für möglich gehalten hätte, daß sie einen Menschen hassen könne. Und dabei hatte ihr Mann in einem Punkt, wenn auch natürlich nur zum kleinsten Teil, recht. Ihr Gonthard zog sich stets mit etwas übertriebener Eleganz an, er ging immer nach der allerneuesten Mode, aber auch gerade das hatte ihr an ihm gefallen, weil das nach ihrer Ansicht mit zu seiner Art des Sonderlings gehörte. Aber deshalb war er doch noch lange kein Affe, viel eher war ihr Mann einer, obgleich sie im Augenblick nicht recht wußte warum.

Und als ihr Gonthard nun auf dem Rückweg wieder an ihnen vorbei mußte, fragte ihr Mann sie: „Sage bitte selbst, Rena, sieht der Mensch mit seinen kurzen Beinkleidern, mit seinen Lackhalbschuhen und mit seinem lächerlich auf Taille gearbeiteten Rock nicht wirklich wie ein Affe aus?” Und damit sie sich dadurch, daß sie den Geliebten in Schutz nähme, um Gottes willen in keiner Weise verriete, mußte sie ihrem Mann nicht nur sehr schweren, sondern sogar brechenden Herzens beistimmen und ihm erklären: „Ja, du hast wirklich recht.”

Aber darüber, daß sie das hatte tun müssen, kam sie nicht hinweg, sie achtete, als das Konzert wieder begann, gar nicht mehr auf die Musik, sie merkte am Schluß kaum etwas von dem rasenden Beifall, der den berühmten Komponisten und Dirigenten immer und immer wieder hervorrief, sie hörte nur fortwährend aus dem Munde ihres Mannes das Wort „Affe” und dachte beständig daran, daß auch sie ihrem Mann gegenüber ihren Gonthard, wenn auch nur indirekt, für einen Affen erklärt hatte.

Ihr Zorn auf ihren Mann und auf sich selbst kannte keine Grenzen, zumal sie ganz allein an allem schuld war. Warum hatte sie ihren Gonthard gebeten, während der Pause an ihnen vorüberzugehen, warum hatte sie ihren Mann veranlaßt, eine Bemerkung über ihn zu machen? Nun fehlte nur noch, daß ihr Freund ihr morgen erklärte: Daß du deinen Mann mit mir betrügst, finde ich zwar selbstverständlich, denn du liebst mich, und ich liebe dich über alles, aber trotzdem muß ich dir offen sagen, daß dein Man so en passant einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht hat. — Ja, daß er ihr das morgen, wenn sie sich nach einer endlos langen zweitägigen Trennung wiedersahen, erklärte, das fehlte gerade noch, und bei dem Gedanken daran, daß er ihr das vielleicht sagen könne, bekam sie mit einemmal die rasendsten Kopfschmerzen, und sie war mehr als glücklich, daß auch ihr Mann nach Schluß des Konzertes, und namentlich von dem Anhören der sehr langen und anstrengenden Alpensymphonie, ganz blödsinnig und besoffen war, wie er sich ausdrückte. Da durfte auch sie sich abgespannt und angegriffen fühlen, ohne den Verdacht aufkommen zu lassen, das hinge irgendwie mit anderen Dingen zusammen.

Abgespannt, wie sie beide waren, fuhren sie gleich nach Hause, ohne noch, wie es ursprünglich ihre Absicht gewesen war, mit einigen ihrer Bekannten in ein Restaurant zu gehen. Und als sie dann eine kleine Stunde später in ihrem Bett lag und nochmals in Ruhe über alles nachdachte, wurde ihr mit einemmal klar, was sie bisher nicht verstand. So also hing das zusammen! Ganz spurlos waren die beiden Briefe, die sie ihrem Mann hatte schreiben und schicken lassen, doch nicht an ihm vorübergegangen, die mußten ihn, obgleich er sich nach außenhin nichts, aber auch gar nichts anmerken ließ, beschäftigt und beunruhigt haben, und als sie nun vorhin im Theater fragte, ob er zufällig den Herrn bemerkt habe, der an ihnen vorübergegangen sei, war der Verdacht in ihm wach geworden: ,Der ist es, mit dem deine Rena dich betrügt, oder wenn er es wider Erwarten nicht sein sollte, hat er wenigstens mit Renas Liebhaber eine mehr als flüchtige Ähnlichkeit. Einzig und allein deshalb fragt sie dich, ob du ihn gesehen hast, und will nun aus deinem Munde hören, wie er dir gefällt, ob ihr Geschmack auch der deinige ist.' Gewiß, einzig und allein so war es gewesen und aus diesem Gedankengang heraus hatte er mit Bezug auf ihren Freund das Wort Affe gebraucht, das aber nicht aus ehrlichster Überzeugung, sondern lediglich in der Absicht, um ihr dadurch ihren Gonthard zu verleiden und womöglich gar zu verekeln.

Aber das sollte ihrem Mann nie und nimmer gelingen; jetzt, wo sie wußte, weshalb er dieses Urteil gefällt, noch viel weniger, als wenn sie weiter hätte annehmen müssen, das, was er gesagt, sei sein ehrlichstes Urteil gewesen. Ach nein, ihr ihren Gonthard zu verleiden, sollte und würde ihrem Mann nie gelingen. Um das zu erreichen, hatte er es zu dumm und zu kindisch angefangen, und nun wollte sie ihren Mann erst recht mit ihrem Gonthard betrügen, und noch viel mehr als bisher, das sollte seine Strafe dafür sein, daß er so schnell und so voreilig das Urteil „Affe” über einen Mann fällte, den er doch gar nicht kannte. Ja, sie würde jetzt erst recht, so oft sie nur irgend konnte, zu ihrem Gonthard gehen; gleich morgen nachmittag, wie es zwischen ihnen verabredet war, wollte sie ihn aufsuchen und, um seine Leidenschaften noch mehr als sonst zu entflammen, wollte sie so zärtlich zu ihm sein wie kaum je zuvor. Und um ihm eine besondere Freude zu machen, wollte sie morgen das hellrote Kleid anziehen, das sie heute leider, leider nicht hatte anlegen können. Aber nein, das ging nicht, für einen Nachmittagsbesuch, selbst wenn sie ihrer Zofe erklärte, sie sei zu einem großen Tee eingeladen, war die Toilette nicht geeignet. Aber wenn sie sich auch nicht so für ihn schmücken konnte, wie sie es gern getan hätte, wußte sie trotzdem, wie sie es erreichen könne, daß seine Augen mit ganz besonderem Wohlgefallen auf ihr ruhten, sie würde es ihm zu erstenmal erlauben, dabei zu sein, wenn sie das Kleid auszog, oder richtiger gesagt, sie würde ihn zum erstenmal bitten, ihr dabei behilflich zu sein, und wenn er bei der Gelegenheit ihre koketten und bezaubernd feinen Dessous sah, dann — ja dann —

Und der Gedanke an die heißen Zärtlichkeiten, die sie miteinander austauschen würden, erregte ihr Blut, ließ ihr Herz lauter schlagen, ihr Pulse hämmern, ließ sie sich ruhelos von einer Seite auf die andere werfen, ließ sie leise stöhnen und seufzen, bis mit einemmal ihr Mann bei ihr im Zimmer stand und ihr zurief: „Ich hörte es, daß auch du noch nicht schläfst, Rena, und auch mich flieht der Schlaf. Diese Musik hat meine Nerven in einer geradezu gräßlichen Weise erregt. Dir scheint es leider ebenso zu gehen wie mir, na vielleicht beruhigen wir uns beide, wenn wir noch etwas miteinander plaudern.”

Und er begann mit ihr zu plaudern, über die gemeinsamen Bekannten, die sie im Theater gesehen, über die Musik, darüber, daß es doch eigentlich schade sei, daß sie nicht noch ein Restaurant aufgesucht und dort mit den anderen eine Flasche Sekt getrunken hätten, bis er ihr plötzlich das Kompliment machte, sie sei von den vielen schönen Frauen heute abend die allerschönste gewesen und bis er sich dann über sie beugte, um sie zu küssen.

Und sie, sie küßte ihn wieder, und als er ihr endlich gute Nacht wünschte, hatte sie ihren Gonthard mit ihrem Mann betrogen. Und daß sie das getan hatte, war schlecht, ganz schlecht von ihr, aber von ihrem Mann war es noch viel schlechter gewesen, daß er sie heute abend nicht in Ruhe ließ, den nun war ihr die Freude auf ihren morgigen Besuch bei ihrem Gonthard genommen, natürlich nicht die ganze, aber doch die Hauptfreude, denn ihre größte Sehnsucht nach ihm war gestillt.

Na, hoffentlich kam die Sehnsucht bis zum Nachmittag wieder, aber als sie sich auf den Weg zu ihrem Freunde machte, hatte sie es nicht einmal der Mühe wert gefunden, sich die Dessous für ihn anzulegen, die sie sich gestern abend für ihn ausdachte, und das war vielleicht auch sehr gut. Was hätte er von ihr denken sollen, wenn sie ihn wirklich zum erstenmal gebeten hätte, ihr bei dem Auskleiden behilflich zu sein, denn das alte Wort hatte recht, daß da besagte: „Eine Frau, die sich einem Mann hingibt, kann gar nicht schamhaft genug sein. Der größte Reiz einer Frau ist und bleibt ihre Schamhaftigkeit.” Nein, es war wirklich gut, daß sie ihren, unter dem Einfluß der erregten Sinne gefaßten Entschluß nicht ausführte, und so empfand sie für ihren Mann, der sie, wenn auch ganz gegen seinen Willen und sein Wissen, daran verhindert hatte, plötzlich so etwas wie Dankbarkeit. Überhaupt mußte sie ihm das Zeugnis ausstellen, daß er gestern ein ganz reizender Liebhaber gewesen war, ein so außerordentlich liebenswürdiger, daß sie es darüber beinahe ganz vergaß, daß er ihr Mann war. Das hing allerdings wohl auch damit zusammen, daß sie bei seinen Zärtlichkeiten nicht an ihn, sondern nur an ihren Gonthard dachte, aber gleichviel, er hatte sich sehr, sehr nett gegen sie benommen und hatte die zartesten und die hübschesten Kosenamen für sie gefunden. Und wie zärtlich und wie dankbar hatte er sie geküßt, als er ihr eine gute Nacht wünschte. Wie es kam, wußte sie eigentlich selbst nicht, aber sie war seit langer Zeit zu erstenmal wieder in ihren Mann verliebt, und wenn sie gestern gedacht hatte, jetzt fehlt nur noch, daß dein Mann deinem Gonthard gefallen hat, dachte sie jetzt unterwegs: Jetzt fehlt nur noch, daß dein Freund auch deinen Mann für einen Affen erklärt, und sie war von Anfang an fest entschlossen, dem sehr energisch zu widersprechen.

Aber ihre Befürchtungen erwiesen sich als grundlos, denn als sie bei ihrem Gonthard war, ging der jeder Äußerung über ihren Mann sehr vorsichtig aus dem Weg. Allerdings fragte sie ihn auch nicht, aber trotzdem fiel es ihr auf, daß er nur immer erwähnte, wie blendend schön sie gestern ausgesehen habe, trotzdem seine Hoffnung, sie in hellrot bewundern zu dürfen, leider nicht in Erfüllung gegangen sei. Von ihrem Mann sprach er keine Silbe, und das nahm sie ihm übel. Gewiß, er sollte und durfte den nicht loben und er sollte und durfte den heut erst recht nicht tadeln und etwas ganz Gleichgültiges und Banales sollte und durfte er über den auch nicht sagen, denn es handelte sich doch um ihren Mann, aber trotz alledem, wenn er es ernstlich gewollt hätte, würde er sicher eine Bemerkung über ihn gefunden haben. Aber er sagte gar nichts, sondern überschüttete sie nur mit Zärtlichkeiten, und wenn die auch glücklicherweise ihren Liebeshunger erweckten, mit einemmal war der wieder verflogen, denn ganz plötzlich glaubte sie aus dem Munde ihres Mannes die Frage zu hören: Sag' selbst, Rena, sieht der nicht aus wie ein Affe?

Da war es mit allem vorbei, was sie eben noch für ihn empfunden hatte, da fand sie es lächerlich und banal, ja da fand sie es sogar unerlaubt, ihm anzugehören und die Stimmung kam erst wieder über sie, als sie in seinen Armen an ihren Mann dachte.

Und zum erstenmal, solange sie ihren Gonthard kannte, hatte sie in diesem Augenblick das klare Bewußtsein: du betrügst deinen Mann.

Ihren Mann betrügen, ihm noch weniger treu sein als bisher, hatte sie ja auch gewollt, das hatte sie sich gestern abend fest vorgenommen, aber nun, da sie sich wissentlich an ihm gerächt hatte, war ihr das doch nicht recht, oder wenn es ihr recht war, so war es ihr vielleicht nur noch ungewohnt, aber mit der Zeit würde gerade das ihr sicher ein ganz besonderes Vergnügen bereiten, denn nichts schmeckt bekanntlich so süß wie die Rache.

Als sie sich zu dieser Erkenntnis durchgerungen hatte, rächte sie sich weiter, und zwar nicht nur heute, sondern so oft sie in Zukunft mit ihrem Gonthard zusammentraf, aber so süß die Rache auch war, noch süßer war es eigentlich, sich an ihrem Freunde dafür zu rächen, daß der ihren Mann nach wie vor als eine Null zu betrachten schien, über den es sich gar nicht verlohnte, auch nur einen Buchstaben, geschweige denn eine Silbe zu sagen, und dafür rächte sie sich dadurch, daß sie mit ihren Gedanken bei ihrem Mann weilte, während ihr Körper bei ihrem Gonthard war.

Bis sie sich eins Tages eingestand, jede Rache muß doch schließlich einmal ein Ende nehmen. Aber damit war sie vor die sehr schwere Frage gestellt: welche Rache gibst du auf, die an deinem Mann, oder die an deinem Freund? Sollte sie ihrem Mann verzeihen, oder ihrem Gonthard, und wenn sie dem einem oder dem anderen verziehen hatte, was dann? Sollte sie nur wieder die Frau ihres Mannes sein oder nur die Geliebte ihres Freundes, soweit sie nicht auch zuweilen die Geliebte ihres Mannes sein mußte? Sollte sie, wenn sie fortan zu ihrem Gonthard ging, nur wieder ihm angehören, ohne dabei an ihren Mann zu denken und würde sie das fortan wieder können? Oder sollte sie vielleicht doch lieber ganz Abschied von ihrem Gonthard nehmen, um in jeder Hinsicht nur wieder die Frau ihres Mannes zu sein? Aber nein, das war unmöglich, sie liebte ihren Gonthard über alles und zu einer Trennung lag auch nicht die leiseste Veranlassung vor, aber selbst wenn das der Fall gewesen wäre, was sollte sie in Zukunft mit den Nachmittagsstunden anfangen, die sie bisher bei ihm zu verbringen gewöhnt war? Sollte sie da ruhig zu Hause sitzen und Handarbeiten machen? Oder sollte auch sie es sich jetzt angewöhnen, jeden, aber auch jeden Nachmittag zu einem anderen Tee zu gehen, obgleich sie ohnehin mehr als genug an den drei Tees hatte, die sie sowieso jede Woche besuchte? Nein, zu einem täglichen Teebesuch hatte sie kein Talent, aber fortan dreimal in der Woche des Nachmittags zu Hause bleiben? Wo sie so an das Ausgehen gewöhnt war? Und würde ihre Zofe sich nicht wundern, wenn sie ihr in Zukunft so oft erklären würde: ich gehe heute nicht aus. Zofen sind ja so klug, so gerissen und so unverschämt, und die ihrige würde ganz bestimmt gleich erraten, weshalb sie zu Hause blieb, das schon deshalb, weil die als einzige wußte, wohin sie sonst des Nachmittags ihre Schritte lenkte. Nicht etwas, als ob sie selbst mit ihrer Zofe darüber gesprochen und sich der anvertraut hätte, o nein, so dumm und so leichtsinnig war sie nicht, von ihr wußte überhaupt kein Mensch, daß sie ihrem Mann nicht treu war, das wußte nicht einmal ihre Freundin Melanie, die für sie ihrem Mann die beiden anonymen Briefe schrieb, selbst der hatte sie den festen Glauben beizubringen gewußt, daß es sich nur um einen Scherz und um den Versuch handelte, es in Erfahrung zu bringen, wie ihr Mann sich benehmen würde, wenn er Grund zu der Annahme zu haben glaube, daß sie ihm nicht treu sei. Nur ihre Zofe wußte, daß sie es auch nicht war. Das merkte sie an der Art, in der die sie ansah, wenn sie fast immer erst kurz vor dem Abendessen von ihrem Gonthard zurückkam, und daran, wie die sie sehr genau daraufhin prüfte, ob ihr Kleid und ob namentlich auch ihre Frisur stets in tadelloser Ordnung sei. Ja, die sah sogar danach hin, ob ihre Schuhbänder gut gebunden und ob an den Knöpfstiefeln, die sie zuweilen trug, alle Knöpfe zu seien, denn einmal war es vorgekommen, daß sie versehentlich zwei Knöpfe offen gelassen hatte. Aber auch das hatte ihr Mann glücklicherweise nicht bemerkt, da ihre Zofe sie Gott sei Dank darauf aufmerksam machte, der Schuster, bei dem sie bei ihrem Spaziergang wohl vorgesprochen, habe ihr die Stiefel aber recht unordentlich wieder angezogen.

Nein, schon um den neugierigen Fragen und unverschämten Blicken ihrer Zofe zu entgehen, durfte sie ihre Besuche bei ihrem Gonthard nicht einstellen, aber eines Nachmittags ging sie doch nicht zu ihm, obgleich sie wußte, daß er sie wie immer voller Ungeduld erwarte, denn da kam ihr Mann, gerade als sie fortgehen wollte, viel früher als sonst nach Hause, um ihr freudestrahlend mitzuteilen, er habe die telegraphische Nachricht erhalten, daß das Geschäft mit der Königsberger Firma, zu dem sie ihm geraten, nicht nur geglückt, sondern sogar über Erwarten geglückt sei, denn anstatt zweimal­hundert­tausend Mark habe er zweihundertund­fünfzigtausend Mark verdient, und von diesen wolle er ihr, wenn sie damit einverstanden sei, fünfzigtausend Mark als ihren Gewinnanteil abtreten. Und ob sie damit einverstanden war! Nicht etwa, als ob sie Geld gebraucht hätte, sie war ohnehin reich genug, und Schulden hatte sie nicht, und wenn doch, dann hätte ihr Mann ihr die bezahlt, und Wünsche hatte sie auch nicht, und wenn doch, dann hätte ihr Mann ihr die erfüllt, und was sie mit dem vielen Geld anfangen sollte, wußte sie auch nicht, aber sie freute sich doch schrecklich darüber, schon weil sie ihrem Mann so gut geraten hatte, und weil ihre guten Wünsche, das Geschäft möge glücken, auch in Erfüllung gegangen waren. Das heißt, eigentlich hatte sie ihm gewünscht, das Geschäft möge für ihn schlecht ausgehen, aber darauf, warum sie das tat, konnte sie sich bei dem besten Willen nicht mehr besinnen, und sicher hatte sie das auch nur so gewünscht, wie man häufig etwas wünscht, weil man sonst nicht weiß, was man sich wünschen soll.

Ach, sie war so glücklich, und ihr erster Gedanke war: Schade, daß du das nicht gleich heute deinem Gonthard erzählen kannst, der würde sich sicher sehr mit dir freuen. Aber das sah sie ein, heute mußte sie zu Hause bleiben, schon weil ihr Mann sie für den Abend in die Stadt zu einem opulenten Sektdimer einlud. Aber morgen nachmittag würde sie ihm dafür alles desto ausführlicher erzählen.

Das tat sie auch, als sie am nächsten Nachmittag zu ihm gegangen war, aber merkwürdigerweise hatte er für das, was sie so beschäftigte, kaum Interesse, sondern egoistisch, wie alle Männer es waren, brannte er, schon weil sie ihn gestern hatte vergebens warten lassen, darauf, sie küssen und liebkosen zu dürfen, und als sie endlich seinen Wunsch erfüllte, war er so toll in sie verliebt, daß seine Tollheit sie ansteckte, daß seine Raserei auch sie ergriff und daß sie nicht nur beinahe, sondern wirklich einen Todesschrecken bekam, als sie sich, kurz bevor sie ihn verließ, den Hut aufgesetzt hatte und sich noch einmal sehr eingehend im Spiegel betrachtete.

Und auch ihre Zofe erschrak, als die sie nach Hause kommen sah und erklärte ihr: „Wenn ich der gnädigen Frau einen guten Rat geben darf, würde ich heute nicht mit dem gnädigen Herrn zusammen das Abendessen einnehmen, sondern mich gleich zu Bett legen und den Arzt kommen lassen. Sicher haben die gnädige Frau sich heute nachmittag erkältet und werden die Grippe oder etwas Ähnliches bekommen. So dürfen die gnädige Frau sich dem gnädigen Herrn auf keinen Fall zeigen, sonst macht er sich vielleicht, nein sicher unnötige Gedanken.”

Aber die schien er sich auch zu machen, als sie den Rat der Zofe befolgt und sich hingelegt und als er, nachdem der schnell herbeigerufene Hausarzt sie untersucht und lediglich eine nervöse Abspanung und Ermattung bei ihr festgestellt und ein paar Tage Ruhe verordnet hatte, neben ihrem Bett saß, denn er sah sie so sonderbar an, wie er das noch nie tat, nicht nur voller Liebe und Teilnahme, sondern so prüfend und forschend, als wolle er, obgleich er kein Arzt war, ergründen, ob ihr nicht vielleicht doch etwas Ernstliches fehle, und dann sagte er ganz plötzlich und unvermittelt, nachdem er eine lange, lange Zeit geschwiegen: „Weißt du wohl, Rena, daß ich heute nachmittag in meinem Privatkontor eie Art Jubiläum gefeiert habe?”

„Eine Art Jubiläum?” fragte sie mehr als erstaunt zurück. „Ja, aber was denn für eins?”

Wieder schwieg er eine ganze Weile, dann aber sagte er, jedes einzelne Wort scharf betonend: „Ich habe heute den fünfundzwanzigsten anonymen Brief bekommen, in dem man mich darauf aufmerksam macht, daß du mir nicht treu wärest.”

Gott sei Dank, er sagte „wärest” und nicht „bist”, aber das war im Augenblick auch alles, was sie zu denken vermochte, dann lag sie regungslos und wie tot da. Ihr Mann hatte ihretwegen fünfundzwanzig anonyme Briefe bekommen, fünfundzwanzig, und sie wußte nur von zweien. Wer hatte die anderen geschrieben, und wie hatte er die ganzen Briefe ruhig lesen können, ohne ihr auch nur ein Wort davon zu sagen? Das begriff sie nicht, denn das schien ihr zu beweisen, wie wenig ihm an ihrer Treue gelegen war und wie wenig auch an ihrem guten Ruf, sonst hätte er ihr doch beizeiten von den Briefen gesprochen, damit sie entweder ihre Besuche bei ihrem Gonthard hätte einstellen können, oder damit sie ihre Zusammenkünfte mit dem an einen anderen noch verschwiegeneren Ort verlegt hätte. War es ihrem Mann schon anscheinend gleichgültig, was die Leute über sie redeten, so hätte er sich wenigstens sagen müssen, daß ihr das unmöglich gleichgültig sein könne, denn der Ruf einer Frau ist das kostbarste Kleinod, das sie besitzt, hat das erst mal einen Knacks erhalten, dann geht der so leicht nicht wieder heraus.

Aber trotzdem, bei ihr mußte er wieder heraus, wenigstens ihrem Mann gegenüber. So richtete sie sich jetzt in ihrem Bett etwas auf, stützte den Kopf auf die rechte Hand und fragte ihren Mann, ihn mit todestaurigen, vorwurfsvollen Blicken ansehend: „Und das sagst du mir erst heute? Bis zu dieser Stunde hast du es mir verschwiegen, daß man den erbärmlichen Mut gefunden hat, mich bei dir zu verdächtigen? Fünfundzwanzig Briefe hast du erhalten, ohne mir von denen auch nur eine Silbe zu erzählen, fünfund —”

Da erbarmten sich die Tränen ihrer, laut aufschluchzend verbarg sie das Gesicht in den Kissen, und um weinen zu können, brauchte sie sich glücklicherweise nicht einmal zu verstellen, denn die Gemeinheit, ihrem Mann auch solche Briefe zu schicken, von denen sie selbst gar nichts wußte, ging über jede Hutschnur. Das war so jeder Beschreibung spottend gemein, daß es dafür gar keine Worte, sondern nur Tränen gab; aber während sie herzzerbrechend weinte, fragte sie sich im stillen immer wieder: Wer kann ihm die Briefe nur geschrieben haben? Daß ihre Freundin Melanie das tat, war ausgeschlossen, dafür war die mit dem Geheimnis, das sie von ihr kannte, viel zu sehr in ihrer Hand. Oder sollte sie die Briefe vielleicht gerade deshalb geschrieben haben, um sich dadurch an ihr zu rächen, daß sie die damals in einer mehr als zärtlichen Umarmung mit einem Freunde ihres Mannes ertappte? Und mit einem Male wurde es ihr klar, ja, die, aber auch nur die hatte die Briefe geschrieben und abgesandt, aber das sollte die Melanie ihr büßen, nur mußte sie natürlich erst die Beweise für die Niederträchtigkeit ihrer Freundin in Händen haben. Dann aber konnte die ihr Wunder erleben, das in allen Regenbogenfarben schillern sollte, und deshalb trocknete sie sich jetzt rasch die Tränen und rief ihrem Mann zwar bittend und flehend, aber trotzdem mit einer ihr im Augenblick selbst imponierenden Bestimmtheit zu: „Du wirst mir diese anonymen Briefe, die man dir meinetwegen zu schicken wagte, zu lesen geben, und zwar alle fünfundzwanzig, und das heute noch. Daß du mir diesen meinen Wunsch erfüllst, bist du mir ganz einfach schuldig.”

Aber er schüttelte den Kopf: „Da irrst du dich, Rena, schuldig war und bin ich es dir nur, daß ich die Briefe sofort, nachdem ich sie gelesen, in Fetzen riß und sie dorthin warf, wohin sie gehörten.”

„Und du hast sie wirklich alle, alle vernichtet?” fragte sie mehr als erstaunt, denn daß er das tat, bewies ihr, daß er den gemeinen anonymen Verdächtigungen nicht einen Augenblick geglaubt hatte, und wenn er ihr das natürlich auch schuldig war, und wenn das auch seinem ganzen Wesen entsprach, sie wunderte sich trotzdem darüber. Und das schien er ihr anzumerken, denn er gab ihr jetzt auf ihre Frage zur Antwort: „Habe ich dich, solange wir nun auch schon miteinander verheiratet sind, jemals belogen, Rena?”

„Nicht, daß ich es wüßte,” gab sie etwas kleinlaut und beschämt zurück, bis sie nun plötzlich die gräßliche Furcht befiel, er habe die Briefe, die er erhalten, ihr gegenüber heute deshalb zum erstenmal erwähnt, weil er nicht an ihre nervöse Abspannung glaubte, weil er den richtigen Grund ihrer Müdigkeit vermutete und ahnte, weil er ihr angesehen hatte, daß sie ihn betrog. Aber so furchtbar der Gedanke, der da in ihr aufstieg, auch war, oder gerade weil der es war, wollte sie über den Gewißheit haben, und deshalb bat sie: „Wenn du die Briefe vernichtetest und wenn du mir die bisher verschwiegst, warum erzählst du mir da heute von denen? Tust du das vielleicht deshalb, weil du, wie du es selbst nanntest, heute nachmittag in deinem Kontor mit diesen Briefen eine Art Jubiläum gefeiert hast?”

„Nein, deshalb ganz bestimmt nicht, Rena, sondern aus einem anderen Grunde,” widersprach er, um gleich darauf fortzufahren: „Da du es doch nicht errätst, will ich dir sagen, warum ich das tue. Ich sprach dir heute von den Briefen, weil der fünfundzwanzigste, den ich am Nachmittag erhielt, auch der letzte ist. Der anonyme Absender teilt mir mit, er würde mir nun nie wieder schreiben, denn wenn ich es jetzt immer noch nicht glaube, daß du mir untreu seiest, wäre ich entweder ein unverbesserlicher Idealist oder ein Dummkopf oder ein Hansnarr, der aus Eitelkeit um seiner selbst willen nicht an die Wahrheit glauben wolle.”

„Also deshalb hast du zu mir gesprochen, deshalb glaubtest du zu mir sprechen zu können?” warf Frau Rena ein, die an sich halten mußte, um es nicht zu zeigen, welche Zentnerlast ihr bei den Worten ihres Mannes vom Herzen fiel. Gott sei Dank, die anonymen Briefe hörten auf, das Glück war gar nicht auszudenken, und deshab meinte sie voll ehrlichster Anteilnahme: „Wie magst du aufatmen, daß du fortan mit diesen Briefen verschont bleibst, aber nicht nur das, was mußt du Ärmster gelitten haben, wenn die Post dir täglich, oder wie oft es sonst war, eine solche Schmutzepistel brachte.”

Ganz erstaunt sah er sie an: „Ich gelitten? Wie kommst du darauf, Rena? Ja, deinetwegen haben mich diese Verdächtigungen geschmerzt, aber meinetwegen taten sie es nicht eine Sekunde. Wäre es anders, hätte ich natürlich den Versuch unternommen, die Briefe auf ihre Wahrheit hin zu prüfen, und das wäre sehr einfach gewesen. Ich hätte dich auf deinen Spaziergängen von einem Detektiv beobachten lassen und hätte in kürzester Zeit gewußt, woran ich war. So etwas zu tun, hielt ich aber unserer beider für unwürdig, denn du wirst mir auch ohnedem, wenn ich dich danach frage, die Wahrheit sagen, ob du einen Herrn Gonthard Renée näher kennst.”

Also sogar dessen Namen kannte er, selbst den hatte man ihm verraten. Für den kurzen Bruchteil einer Sekunde fühlte sie sich einem Schlaganfall nahe, dann aber sah sie ihn völlig verständnislos an, um gleich darauf ganz mechanisch zu wiederholen: „Einen Herrn Gonthard Renée? Renée? Renée?” Bis sie fortfuhr: „Warte mal, da muß ich mich wirklich erst besinnen, denn nun, wo du den Namen aussprichst, ist mir, als hätte ich den irgendwann und irgendwo und in irgendeinem Zusammenhang schon einmal gehört. Oder nein, das doch wohl nicht,” besann sie sich weiter, „aber vielleicht ist mir dieser Herr bei einem Tee oder sonst vorgestellt worden, obgleich ich mich im Augenblick auf die Einzelheiten nicht entsinne. Man lernt ja leider so gräßlich viele Menschen kennen, daß man die einzelnen Namen bei dem besten Willen nicht behalten kann. Näher kenne ich den Herrn jedenfalls nicht, er verkehrt ja nicht einmal bei uns im Hause, und deshalb ist es mir auch ganz unklar, warum du mich plötzlich nach diesem Herrn fragst.”

„Weil man dich mir gegenüber beschuldigt hat, mich gerade mit diesem Herrn zu betrügen, Rena,” gab ihr Mann, sie scharf ansehend, zur Antwort.

Aber diese Antwort überraschte sie nicht, auf die war sie vorbereitet gewesen, so hielt sie seinen Blick völlig unbefangen aus, um ihn dann ihrerseits mit ganz großen erstaunten Augen anzusehen, bis sie ihm endlich, nachdem sie sich von ihrer grenzenlosen Vewunderung erholt zu haben schien, zurief: „Nimm es mir nicht übel, Emil, aber die Briefe, die du erhalten hast, scheinen doch nicht ganz spurlos an dir vorübergegangen zu sein, denn sonst würdest du es wirklich unter deiner Würde halten, mich in dieser Weise mit diesem mir, wie ich glaube, völlig fremden Menschen auch nur dadurch in Verbindung zu bringen, daß du seinen Namen mit dem meinigen zusammen nennst.”

Und so ganz spurlos, wie er es ihr gegenüber vorhin behauptete, schienen die Briefe wirklich nicht an ihm vorübergegangen sein, denn wenn sie geglaubt hatte, er würde sich nun sofort bei ihr entschuldigen, weil er es gewagt hatte, das, was er in den Briefen las, ihr gegenüber zu wiederholen, irrte sie sich. Er entschuldigte sich mit keinem Wort, sondern sah sie wieder eine ganze lange Zeit forschend und prüfend an, bevor er sagte: „Höre mich an, Rena. Daß ich den Verdächtigungen, die deiner Person galten, nicht einen Augenblick glaubte und das auch jetzt nicht tue, weißt du. Aber ich versetze mich in deine Lage hinein, Rena, und da muß dir nach meiner Ansicht daran gelegen sein, mich in diesem meinem Glauben so zu bestärken, wie es dir nur immer möglich ist, das aber hauptsächlich um deiner selbst willen, Rena, damit du dir jederzeit vor dir selbst das Zeugnis ausstellen kannst, alles getan zu haben, was nur in deiner Macht stand, um dich von dem Schmutz, mit dem man dich bewarf, zu reinigen, wie man ja auch in dem Fall, daß man körperlich mit Schmutz beworfen worden ist, sich nicht mit einem gewöhnlichen Bad begnügt, sondern sich in der Badewanne vom Kopf bis zu den Füßen gehörig abseift. — Ich weiß nicht recht, Rena, ob du mich verstehst, wie ich das alles meine, ich kann mich nicht so klar ausdrücken, wie ich es wohl möchte, das auch schon deshalb nicht, weil ich bei jedem meiner Worte fürchte, es könne dich verletzen,” und noch einmal wiederholte er: „Ich weiß nicht, ob du mich verstehst, Rena.”

Ja, sie verstand ihn. Leider. Aus allem, was er ihr sagte, hörte sie deutlich heraus, daß er doch nicht so felsenfest an ihre Treue glaubte, wie er sich selbst und ihr einzureden versuchte. Er verlangte, angeblich nur um ihrer selbst willen, einen Beweis dafür, daß alles, was man ihm über sie schrieb, vom Anfang bis zum Ende erlogen sei, und wenn er es auch nicht aussprach, sie erriet, er verlangte von ihr, daß sie ihm freiwillig einen Eid schwur, daß sie ihm nie untreu gewesen sei.

Konnte sie ihm aber diesen Eid schwören? Nein, das konnte sie nicht, das konnte sie unmöglich; aber ja, das konnte sie doch!

War sie ihm denn wirklich untreu gewesen? Mit ihrem Körper wohl, aber auch mit ihrem Herzen und mit ihrer Seele? Und auf die beiden letzteren kam es doch in der Hauptsache, nein, auf die kam es ausschließlich an. Hatte sie nicht immer, wenn sie zu ihrem Gonthard ging, dabei an ihren Mann gedacht? Hatte sie dem gegenüber, wenn sie bei dem Abendessen wieder mit ihm zusammen saß, nicht immer Angst gehabt und befürchtet, er könne ihr anmerken, wo sie gewesen sei? Und hatte sie das nicht in erster Linie immer seinetwegen befürchtet? Hatte sie nicht oft, in der letzten Zeit sogar eigentlich immer, in den Armen ihres Gonthard an ihren Mann gedacht, hatte sie nicht immer seine Küsse zu verspüren geglaubt, wenn ihr Gonthard sie küßte? Hatte sie nicht auch, wenn sie zu ihrem Gonthard ging, stets die golden Kettenarmbanduhr getragen, die ihr Mann ihr schenkte, und daß sie die auch dann trug, war das nicht der beste Beweis dafür, daß sie ihren Mann nie, aber auch nie vergaß? Und wenn sie einmal wirklich bei ihrem Gonthard vorübergehend nicht an ihren Mann dachte, ja, dachte der denn immer an sie? Gab es nicht auch in seinem Leben viele Stunden, in denen er bei seinen Geschäften oder im Kreise seiner Freunde ganz vergaß, daß er eine Frau hatte?

Das und noch vieles andere schoß ihr durch den Kopf, und sicher wäre ihr bei ruhigem Überlegen noch vieles andere eingefallen, das ihr klar und deutlich bewiesen hätte: ja, du kannst den Eid jederzeit mit gutem Gewissen schwören, denn wenn du zuweilen auch selbst die Empfindung hattest, als seiest du deinem Mann nicht ganz treu — wie treu du ihm aber trotzdem warst, das weißt nur du.

Ja, wenn sie Zeit zum Überlegen und Nachdenken gehabt hätte, wäre ihr sicher noch vieles eingefallen, aber sie hatte keine Zeit, und wenn sie sich die genommen hätte, würde das vielleicht so ausgesehen haben, als gäbe es da etwas für sie zu überlegen und zu bedenken.

Das aber durfte nie und nimmer sein, und so sagte sie denn nun: „Ja, ich habe dich verstanden, Emil, und ich weiß auch, was ich tun kann, um mich von dem Schmutz, mit dem man mich bewarf, so völlig zu reinigen, daß auch nicht der kleinste Spritzer mehr auf mir sitzen bleibt. Lebten wir noch im Mittelalter, würde ich ein Gottesurteil anrufen, um mit nackten Füßen über siedend heiße Eisenplatten dahin zu schreiten, und du würdest sehen, daß meine Fußsohlen unverletzt blieben. Da die Zeiten der Gottesgerichte aber leider vorüber sind, kann ich dir keinen anderen Beweis dafür geben, daß ich dir stets treu war, als daß ich dir das mit einem heiligen Eid schwöre.”

Und gleich darauf erhob sie die drei Finger der rechten Hand zum Schwur — und schwur.

Aber da, während sie das tat, geschah etwas Unerwartetes, etwas, das sie nie für möglich gehalten hätte.

Daß sie selbst ihrem Schwur glauben würde und daß sie selbst an den glaubte, war ja selbstverständlich, denn sonst hätte sie doch nie geschworen, aber das Wunderbare war, daß auch ihr Mann, ihr Emil, ihrem Schwur glaubte, ihrem einen Schwur viel mehr, als den fünfundzwanzig anonymen Briefen, die er über sie erhalten, denn daß und wie sehr er ihr jetzt glaubte, merkte sie daran, daß er, während sie Gott zum Zeugen für die Wahrheit ihrer Worte anrief, als gläubiger Christ seine Hände faltete und mit einem andächtigen, beinahe verklärten Blick zu ihr aufsah.

Und dieser sein Glaube, diese seine anständige, vornehme Gesinnung, diese kindliche Einfältigkeit seines Gemütes, das und manches andere, was sie in seinen Zügen las, rührte und beschämte sie so, daß sie am liebsten vor ihm auf die Knie gefallen wäre. Um ihm alles, alles zu gestehen? O nein, das nicht, aber sein Glaube an ihren Schwur ergriff sie derartig, daß sie am liebsten auf ihren ersten Eid sofort noch einen zweiten gesetzt hätte, um ihm mit dem zu beschwören, daß sie mit ihrem ersten Eid auch tatsächlich die reinste Wahrheit schwur.


Fußnoten:

Konzert mit Werken von Richard Strauss
der Komponist dirigiert selbst
u.a.: Alpensymphonie

Der Spekulationsgewinn von 250 000 Mark deutet auf eine Handlungszeit vor 1921 (Beginn der Inflation) hin.


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