Die Frau Oberst.

Militär-Humoreske von Frhr. v. Schlicht.
in: „Rekrutenbriefe” und
in: „Die Frau Oberst


„Rrrrrrrrraus!”

Der Posten vor Gewehr, der vor der Kasernenwache auf und ab ging und seine noch im tiefsten Schlummer liegenden Kameraden vor Feuersnot und vor Gefahr bewachte, bekam im ersten Augenblick einen maßlosen Schrecken, als trotz der frühen Morgenstunde — es hatte eben vier geschlagen — der Herr Oberst hoch zu Roß vor ihm hielt. Das Gewehr fiel ihm fast aus der Hand und der Ruf: Rrraus! wollte absolut nicht heraus, aber schließlich ging es doch, und wie es zum ersten Male gegangen war, ging es auch zum zweiten Male, und so rief er denn noch einmal mit der ganzen Kraft seiner Lungen; denn dem Herrn Oberst durfte er nicht allein die Reverenz erweisen, vor diesem hohen Vorgesetzten mußte die ganze Wache ins Gewehr treten. Und mit lautem Gepolter kamen sie aus der Wachtstube herausgestürzt, einer noch mehr verschlafen als der andere, sich gegenseitig stoßend und einer über den andern fallend. Als letzter erschien der Spielmann, er hatte seinen Helm nicht finden können, und als er ihn schließlich fand, hatte er ihn verkehrt aufgesetzt.

„Stillgestanden, das Gewehr über!” wollte der Unteroffizier kommandieren, aber der Herr Oberst winkte ab.

„Spielmann, blasen Sie Alarm.”

Der wollte den Vorgesetzten verwundert ansehen, aber zur rechten Zeit fiel ihm ein, daß er für die Einfälle des Herrn Oberst ja nicht verantwortlich wäre, so stellte er sich denn stramm in Positur hin, um zu blasen. Aber tadelnd sah ihn der Vorgesetzte an:

„Wollen Sie nicht erst den Helm richtig aufsetzen?”

„Warum?” dachte der Spielmann, „wenn's geht, geht's auch so, und wenn es nicht geht, geht es auch anders nicht.” Aber schließlich tat er doch, wie er sollte. Dann blies er. Schön war es für die Beteiligten nicht, weder was er blies, noch wie er blies, aber das falsche Getute tat doch seine Schuldigkeit, in den Kasernenstuben wurde es lebendig, und bald liefen die Spielleute des Regiments durch die Straßen der Stadt, um das Signal weiter zu geben.

„Herr Leutnant, Herr Leutnant, es ist Alarm geblasen.”

Ganz erregt stürzte Kasimir in das Zimmer seines Herrn, aber Leutnant von Winterstein war schon fix und fertig angezogen, er wohnte in dem Offiziersflügel der Kaserne und hatte das Signal als erster gehört.

„Steck' mal rasch die Kaffeemaschine an, Kasimir, fünf Minuten haben wir noch Zeit, dann aber dalli, heute müssen wir die ersten sein.”

Kasimir kannte seinen Leutnant gar nicht wieder, das Aufstehen war sonst dessen schwächste Seite, und gewöhnlich spielte sich des Morgens in dessen Schlafzimmer ein regelrechter Ringkampf ab: Kasimir umschlang seinen Herrn mit kräftigen Armen, um ihn aus dem Bette zu heben, und Winterstein, der auch über ansehnliche Kräfte verfügte, versuchte sich aus der Umarmung seines Gegners zu befreien.

Und heute war sein Leutnant schon auf.

„Zerbrich dir deinen dummen Schädel nicht unnötig,” sagte Winterstein endlich, als Kasimir ihn immer noch wie ein Weltwunder anstarrte, „ich bin nur deshalb schon auf, weil ich noch gar nicht im Bett gewesen bin.”

„Aha,” machte Kasimir. Er verstand, sein Leutnant hatte wieder einmal durchgebummelt, das kam zwar nicht oft vor, aber doch so alle Vierteljahr ein paarmal. Gewöhnlich lag dann der Zivilanzug sehr unordentlich auf dem Fußboden, aber heute sah sich Kasimir vergebens nach den Sachen um

„Ich habe nämlich heute Nacht aufgesessen und nachgedacht,” erklärte der Leutnant seinem Burschen, „ich weiß allerdings nicht, ob du weißt, was das Wort ,Nachdenken' bedeutet. Hast du in deinem Leben schon jemals nachgedacht?”

„Nein, Herr Leutnant.”

„Das sieht dir ähnlich. Der Kaffee fertig? Ja? Dann mach' auch, daß du mit deinem Anzug fertig wirst.”

Kasimir stürzte davon, und Winterstein versuchte in aller Eile den Kaffee zu schlürfen.

„Na, der Oberst wird Augen machen, wenn ich ausnahmsweise mal nicht als letzter erscheine. Na und überhaupt, wenn der wüßte — ich glaube, er brächte mich um — Donnerwetter ist das Zeug aber heiß! Ich habe nun schon die ganze Nacht darüber nachgedacht, woher ich eigentlich gestern Abend den Mut genommen habe, seiner Tochter meine Liebe zu gestehen. Lilly(1) ist süß, sogar noch süßer — wo hat Kasimir denn nur wieder den Zucker? Ach so, da. Sie ist ein Engel, ich liebe sie, und sie liebt mich wieder, — Herrgott, kühlt es denn gar nicht ab! Aber wenn der Oberst etwas davon erfährt — ich habe gar nicht den Mut, daran zu denken, aber heute muß ich förmlich um Lillys Hand anhalten, denn erstens habe ich's ihr geschworen, und zweitens gehört es sich auch so. Bis heute Mittag will auch sie ihren Eltern nichts verraten. Was der Oberst nur sagen wird. Der Mann hat nun einmal was gegen mich. Weil ich damals schon meinen zukünftigen Schwiegervater in ihm witterte, habe ich meine Arbeit über die Schlacht von Gravelotte mit eine Sachkenntnis abgeschrieben, die geradezu bewunderungswürdig ist. Aber die Sache hat auf ihn nicht den leisesten Eindruck gemacht, kein Wort des Lobes ist bisher über seine Lippen gekommen, das einzigste, was er sagte, war, daß er mit seinem Urteil noch zurückhalten müsse. Der Mann ist imstande, mich heute Mittag die Treppe hinunterzuwerfen, oder er versetzt mich nach Mörchingen, Lilly hat zwar gesagt, ihr wäre alles einerlei, bei mir ist das schließlich ja auch alles(2) einerlei — wenn nur der Kaffee nicht so hiederträchtig heiß wäre! Na überhaupt, jetzt verbrenne ich mir die Zunge, und heute Mittag verbrenne ich mir den Mund, auf den heutigen Tag freue ich mich, der kann genußreich werden. Nun aber los!”

Er setzte sich den Helm auf und eilte gleich darauf die Treppen hinunter. Seine Ahnung ging in Erfüllung, der Herr Oberst machte ein mehr als erstauntes Gesicht, als Winterstein als erster sich(3) bei ihm zur Stelle meldete.

„Sie, Herr Leutnant?” fragte er ganz verwundert.

Winterstein tat, als begriff er den Sinn dieser Worte nicht. Er machte auch seinerseits ein ganz erstauntes Gesicht und fragte auf das höchste verwundert:

„Wieso meinen der Herr Oberst?”

Aber der Oberst blieb die Antwort schuldig:

„Bitte, treten Sie ein, Herr Leutnant.”

Winterstein machte Kehrt, aber da noch niemand da war, konnte er auch bei keinem eintreten, und so blieb er denn in einiger Entfernung von dem Kommandeur stehen und betrachtete diesen fortwährend.

„Wenn er wüßte,” dachte Winterstein, „wenn er nur eine Ahnung davon hätte, daß ich gestern seine Lilly in meinen Armen hielt, daß ich sie küßte und daß sie mich wieder küßte, daß wir uns hundert- und tausendmal sagten, wie lieb wir uns haben — wenn der Mann nur den Schimmer einer Idee davon hätte, welche Überraschung ihm heute noch durch meine Person bevorsteht. Ich glaube, er würde seinem Rappen die Sporen geben und mich über den Haufen reiten.”

Und wie der Leutnant seinen Oberst, so betrachtete der Oberst seinen Leutnant:

„Wenn er wüßte,” dachte der, „wenn er nur eine Ahnung davon hätte, daß ich alles weiß, dann stände er mir nicht mit einem so harmlosen Gesicht gegenüber. Die Sache ist mir von Anfang an verdächtig vorgekommen, nun aber weiß ich, woher er seine Wissenschaft über die Schlacht von Gravelotte hat. Er hat es mit dem Abschreiben sehr schlau angefangen, das muß man ihm lassen, aber ich habe es noch schlauer angefangen, um ihm auf die Spur zu kommen. Natürlich kann ich ihm sein unselbständiges Arbeiten nicht durchgehen lassen, ich muß ihn dafür bestrafen, und ich werde ihm nach Beendigung des Gefechtes vor dem versammelten Offizierkorps meine Meinung sehr deutlich zu verstehen geben. Wenn er nur einen Schimmer einer Idee davon hätte, was ihm heute Mittag noch durch meine Person bevorsteht, so würde er sich nicht so in meiner Nähe aufhalten.”

Aber vorläufig wußte der eine nicht, was der andere wußte, und der andere wußte nichts von dem Wissen des einen, und so waren sie denn beide fröhlich und zogen frohen Mutes in den Kampf, als endlich auch der letzte Leutnant erschienen war.

„Regiment —

„Bataillon —

„Marsch!”

„Bataillon halt, wäre mir lieber,” flüsterte ein Kamerad Winterstein zu.

„Nur Geduld,” erwiderte der, „das Kommando wird auch schon noch kommen.”

Aber der andere war Skeptier, nicht von Haus aus, aber er hatte nicht augeschlafen und war schlechter Laune. Er vertrat den Standpunkt, daß einem von dem Alarmblasen doch den Abend vorher Bescheid gesagt werden müsse, damit man sich danach mit seinem Lebenswandel einrichten könne.

„Kommen wird das Kommando schon,” meinte er endlich, „aber wann? Das ist die Frage, die mich vielmehr(4) interessiert als das Sein oder Nichtsein, über das Hamlet sich schon vergebens den Kopf zerbrach. Wer um vier ausrückt, scheint nicht um fünf wieder zu Hause sein zu wollen, denn wollte er nur eine Stunde im Gelände herumwurzeln, dann könnte er ja auch um neun Uhr ausrücken und um zehn zurückkehren.”

„Sehr richtig,” neckte Winterstein den Kameraden. Und anscheinend ganz ernsthaft setzte er hinzu: „Wissen Sie, ich habe Sie oft verkannt, aber die anderen haben doch recht, ich sehe es jetzt deutlich aus Ihrer Bemerkung: Sie sind ein bedeutender Mensch und werden ganz bestimmt noch große Karriere machen.”

Der andere fühlte sich sehr geschmeichelt: „Glauben Sie wirklich?” Da fühlte er wieder entsetzliche Kopfschmerzen und sagte: „Sie irren sich — mit dem Kopf nicht!”

Winterstein tröstete ihn: „Der Jammer wird schon vefliegen und der Kopf wieder klar werden.”

Der andere stöhnte laut auf und fragte zum zweiten Male: „Aber wann?”

Die Antwort wartete er aber nicht ab, sondern er sagte: „Das Sprechen strengt mich an, lassen Sie mich lieber dösen.”

Und er schloß das Gebiß seiner Zähne und döste während des ganzen Marsches vor sich hin und das war Winterstein sehr lieb, so konnte auch er in Ruhe weiter darüber nachdenken, ob es ihm wohl gelingen würde, die Einwilligung von Lillys Eltern zu erhalten. Schließlich verdenken konnte er es dem Kommandeur ja nicht, daß dieser von ihm nicht allzu sehr entzückt war: er hatte die Dummheit begangen, sich ein paarmal in Zivil abfassen zu lassen, er hatte verschiedentlich Kasinoreste gehabt, mit einem Vortrag hatte er sich einmal derartig blamiert, daß der Oberst den faulen Witz machte: „Wenn Winterstein den Vortrag in Frankreich gemacht hätte, wäre er unter die Unsterblichen aufgenommen worden.” Na und auch sonst hatte er bei vielen passenden Gelegenheiten etwas auf den Hut bekommen und die Gelegenheiten hatten immer gepaßt. Früher hatte er sich in seiner Sorglosigkeit nichts daraus gemacht, jetzt aber war ihm das alles sehr schmerzlich. „Warum bist du auch solcher Windhund gewesen?” fragte er sich, er machte sich bittere Vorwürfe, aber schließlich kann man doch nicht sein ganzes junges Leutnantsleben hindurch ein Musterknabe sein, nur weil man vielleicht später einmal in die Lage kommt, sich in die Tochter seines Kommandeurs zu verlieben.

Der Beginn des Gefechtes machte seinen Grübeleien ein Ende, der markierte Feind tauchte auf den gegenüberliegenden Höhen auf, das Regiment wurde entwickelt, die Bataillone und Kompagnien auseinandergezogen, bis endlich das so heiß ersehnte Signal und das Komando: Halt! erfolgten. Aber damit war die Übung noch lange nicht beendet, bis jetzt hatten die Offiziere und Mannschaften dem Herrn Oberst gezeigt, was sie nach ihrer Ansicht konnten, jetzt aber kam die Kritik, und da zeigte der Herr Oberst den Herren Offizieren, was er nach seiner Ansicht konnte, und da seine Ansicht die maßgebende war, konnte er viel mehr, als die anderen konnten.

Und zum Schluß seiner Kritik erörterte der Kommandeur noch allerhand andere Sachen, und bei dieser Gelegenheit besprach er auch Wintersteins Arbeit, er wurde nicht nur grob, sondern er bestrafte ihn auch, wie er sich das schon vorgenommen hatte.

Winterstein taumelte beinahe zurück und er machte ein Gesicht, als wäre ihm ein Felsblock auf die etwas engen Stiefel gefallen.

Ja, einen Augenblick empfand der Kommandeur so etwas wie Mitleid mit seinem Offizier, dann aber erfüllte es ihn doch mit einer gewissen Genugtuung, daß seine Worte solchen Eindruck hervorriefen:

„Das hätten Sie heute Morgen wohl nicht erwartet, Herr Leutnant?”

Und mit dem Brustton tiefinnerster Überzeugung antwortete der: „Nein, Herr Oberst.”

Auf alles war Winterstein vorbereitet gewesen, auf die größten Grobheiten, überhaupt auf alles, was einem Untergebenen passieren könnte — und einem Untergebenen kann sehr viel passieren —, aber daß der Oberst ihn jetzt gewissermaßen als Anfang seiner Brautwerbung bestrafen werde, darauf war er nicht gekommen und er fand, daß der Kommandeur den Augenblick, ihn zu erziehen, so schlecht wie nur möglich gewählt habe.

Das wollte er dem Herrn Oberst auch alles sagen, aber die schönsten Reden der Untergebenen machen auf die Vorgesetzten häufig den schlechtesten Eindruck und so begnügte er sich denn damit, sich seinen Teil zu denken, und seine Gedanken konzentrierten sich immer mehr auf die eine Frage: Was wird Lilly sagen?

Aber Lilly sagte vorläufig gar nichts, sie saß in ihrem hübschen kleinen Zimmer, von dem aus sie die ganze Straße übersehen konnte und wartete auf ihren Erich, aber der kam und kam nicht. Um zwei Uhr mittags war der Vater nach Hause gekommen: „Erich weiß, daß wir um drei Uhr essen, da wird er dem Vater eine Stunde zum Mittagschlaf lassen, gegen fünf Uhr ist er hier.”

Aber auch um fünf kam er nicht und um acht war er auch noch nicht da, und als Lilly zum Abendbrot gerufen wurde, hatte sie verweinte Augen.

„Was hast du nur?” erkundigte sich die Mutter, „du bist mir den ganzen Tag so anders als sonst vorgekommen. Fehlt dir etwas?”

Den wahren Grund, daß ihr Erich fehlte, wollte sie nicht angeben, so schützte sie Migräne vor und zog sich bald in ihr Zimmer zurück. Dort saß sie noch lange und wartete und wartete, und jedesmal, wenn geklingelt wurde, fuhr sie zusammen: Das ist er! Aber es war immer ein anderer. Spät in der Nacht suchte sie ihr Lager auf, aber der Schlaf floh sie, sie weinte still vor sich hin: es war ihr klar, Erich liebte sie nicht mehr oder er hatte sie überhaupt nie geliebt, er hatte nur sein Spiel mit ihr getrieben, er hatte es nur darauf angelegt gehabt, ihr Herz zu erobern, und jetzt, wo er es besaß, kümmerte er sich nicht mehr um sie. Und sie — sie hatte seinen Worten geglaubt, sie hatte seine Liebkosungen geduldet und sie sogar erwidert. Er hatte sie geküßt und sie hatte ihm seine Küsse zurückgegeben. Scham und Empörung bemächtigten sich ihrer; sie vergrub ihr heißes Gesicht in den Kissen. Wie sollte sie in Zukunft wieder den Menschen in die Augen sehen.

Am nächsten Morgen sah Lilly so übernächtigt und elend aus, daß ihre Mutter sie ins Gebet nahm.

„Ich will wissen, was dir ist, also sprich.”

Und alles Sträuben half nichts, Lilly mußte beichten, was zwischen ihr und Winterstein vorgefallen sei und wie er gestern habe kommen wollen, um bei den Eltern um sie anzuhalten und wie er nun nicht gekommen wäre, und wie sie nun in einer Weise kompromittiert sei, daß sie unmöglich in der Stadt bleiben könne, sie wolle weg, irgend wohin zu Verwandten, oder wenn diese sie nicht haben wollten, müßte sie außerhalb eine Stellung annehmen, als Kindergärtnerin oder so etwas Ähnliches.

Die Frau Oberst saß da, unbeweglich wie Lots selige Witwe, sie war starr, daß Winterstein es gewagt hatte, seine Augen zu ihrer Tochter zu erheben, aber noch starrer war sie über die ihrem Kinde zugefügte Schmach. Es dauerte lange, bis wieder Leben in sie kam, dann aber wurde sie sehr lebendig und alles, was sie auf dem Herzen hatte, faßte sie in die Worte zusammen:

„Ich werde mir den Herrn Leutnant sofort kommen lassen und mit ihm sprechen.”

Und die Frau Oberst schrieb:

An

Herrn Leutnant von Winterstein,

Hochwohlgeboren,

Hier.

Ich wünsche Sie heute Mittag um 1 Uhr im beliebigen Anzug in meiner Wohnung zu sprechen.

Frau von Kochbach.

Zuerst wollte sie noch darunter schreiben: „Kommandeuse”, aber da der Titel offiziell nicht eingeführt ist, unterließ sie es schließlich, der Ton ihres Schreibens klang auch so schon energisch genug, sie würde auf keinen Widerstand stoßen.

Aber das Unglaubliche geschah, Winterstein sandte einen Brief:

„Aus Gründen, deren Angabe ich mir zu erlassen bitte, ist es mir heute leider unmöglich, meine Aufwartung zu machen.”

Das war stark, ehe die Kommandeuse wußte, wie ihr geschah, saß sie in einem Stuhl, die Kniee hatten ihren Dienst versagt — auf diese Antwort war sie nicht vorbereitet gewesen.

„Fassung, Haltung, Würde!” rief sie sich selbst zu und mit einem energischen Ruck stand sie auf und nahm den Kopf in die Höhe: „Wir werden ja sehen, wer von uns beiden der stärkere ist, er oder ich. Ich werde ihm klar machen, daß mein Kind denn doch zu gut ist, um dem Herrn Leutnant lediglich als Spielzeug zu dienen.”

Die Mutter schickte Lilly fort, als sie über Erichs Brief erneut in Tränen ausbrach: „Gehe in dein Zimmer, mein Kind, und beruhige dich, ich muß allein sein, mich sammeln und überlegen, was zu tun ist.”

Und nach einer kleinen halben Stunde hatte die Frau Oberst das richtige gefunden, und sie schrieb an Winterstein:

„Meine Tochter hat mir alles erzählt, was zwischen Ihnen beiden vorgefallen. Wenngleich ich die Neigung meines Kindes nicht begreife, so habe ich Sie dennoch stets für einen Ehrenmann gehalten. Dieser Glaube ist etwas ins Schwanken gekommen, liegt Ihnen daran, daß ich Sie auch ferner für das halte, was Sie nach meiner Meinung bisher waren, und wollen Sie vermeiden, daß ich meinem Mann von Ihrem Verhalten Mitteilung machen muß, dann erwarte ich von Ihnen, daß Sie noch heute in einer uns völlig Genugtuung gebenden Form um die Hand unserer Tochter anhalten, die ich Ihnen sonst nie und nimmer gegeben hätte, die ich Ihnen jetzt aber zusichere, weil ich unter keinen Umständen dulden kann, daß Sie, eitel wie die Männer sind, Fremden gegenüber mit dem Sieg prahlen, den Sie über das Herz meines ahnungslosen Kindes davongetragen haben.

Es ist traurig genug, daß ich als Mutter solche Zeilen an Sie richten muß, aber noch hoffe ich daß ich sie an einen Ehrenmann richte.”

Eine halbe Stunde später hatte die Frau Oberst die Antwort in Händen.

„Meine sehr verehrte gnädige Frau!

Ihre Zeilen machen mich zu dem Glücklichsten aller Menschen, und ich danke Ihnen so herzlich, wie ich nur immer kann, daß Sie mir Ihre Tochter zur Frau geben wollen. Offen und ehrlich gestanden, ich hatte nicht den Mut, bei Ihnen um Lilly anzuhalten, und ich zerbrach mir den Kopf, wie ich es anfangen sollte, Ihr Jawort zu erhalten. Nun kommen Sie mir in Ihrer bekannten Liebenswürdigkeit zuvor und versprechen mir Ihre Tochter, bevor ich offiziell um sie bat, bevor ich bitten konnte. Bei der letzten Übung hatte Ihr Herr Gemahl mich mit acht Tagen Stubenarrest bestraft, von denen ich noch sechs abzusitzen habe. Wer Stubenarrest hat und seine Wohnung verläßt, wird mit schlichtem Abschied bestraft, so konnte ich also nicht kommen, und um so dankbarer bin ich Ihnen, daß Sie, meine sehr verehrte gnädige Frau, wenn auch nur brieflich, zu mir kamen. Ich war in größter Sorge, ob ich Lilly je erringen würde, nun ist ja aber alles gut, Lilly ist mein, und ich werde sie so glücklich machen, daß Sie in Zukunft nie mehr Gelegenheit finden werden, auch nur im leisesten an meiner Ehrenhaftigkeit zu zweifeln.

Ich küsse Ihnen, meiner sehr verehrten künftigen Frau Schwiegermutter, in aufrichtigster Verehrung und Dankbarkeit die Hand, und bitte Sie, meiner lieben kleinen Braut tausend Grüße und Küsse von mir übermitteln zu wollen, bis die Stunde der Befreiung für mich schlägt und bis ich Lilly selbst in meine Arme schließen kann.”

Als die Frau Oberst diese Zeilen gelesen hatte, machte sie ein sehr wenig geistreiches Gesicht, und der Herr Oberst machte geradezu ein dummes Gesicht, als er am Mittag die Geschichte erfuhr. Die beiden Gatten machten sich die heftigsten Vorwürfe, der Obert schalt, daß seine Frau hinter seinem Rücken mit seinen Leutnants korrespondiere und die Frau Oberst schalt, daß ihr Mann einen seiner Offiziere bestrafe, ohne ihr davon Mitteilung zu machen, denn als Kommandeuse war sie ja doch schließlich die nächste, um zu wissen, was im Regiment vorging. Aber endlich wurde auch hier der Friede geschlossen, beide sahen ein, daß sie unrecht getan hatten und beide versprachen, es nicht wieder zu tun. Und sie kamen auch nicht in Versuchung, ihr Versprechen zu brechen, denn ein Kind hatten sie ja nur, und Lilly war so grenzenlos glücklich, daß sie es überhaupt nicht begriff, wie sie auch nur eine Sekunde an Erichs Liebe hatte zweifeln können.


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „Die Frau Oberst” heißt die Tochter des Obersten „Lili” (Zurück)

(2) In der Fassung von „Die Frau Oberst” fehlt dieses Wort „alles” (Zurück)

(3) In der Fassung von „Die Frau Oberst” heißt es hier: „sich als erster” (Zurück)

(4) In der Fassung von „Die Frau Oberst” heißt es hier: „viel mehr” (Zurück)


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