Humoristisch-satirische Plauderei von Freiherr von Schlicht
in: „Wenn Frauen lieben”
Frau Lotte Mürzbach, eine große, schlanke Blondine mit wundervollen dichten Haaren und großen, tiefschwarzen Augen, sitzt in ihrem nicht allzu luxuriösen, aber doch behaglich und wohnlich eingerichteten Eßzimmer vor dem gedeckten Tisch und wartet voller Ungeduld auf ihren Mann, der in einem großen Bankhaus angestellt ist. Und während sie auf ihn wartet, beißt sie von Zeit zu Zeit in eine Schnitte, die sie sich zurechtgemacht hat, denn sie hat Hunger.
Wo ihr Max heute abend nur bleibt? Daß er noch im Bankhaus zu tun hat, ist selbstverständlich, denn daß er von dort aus nicht gleich zu ihr käme, daß er vorher, wenn auch nur für Minuten, mit Freunden in ein Restaurant ginge, ja, daß er auch nur auf der Straße unnötig ein paar Minuten verplauderte, das ist ausgeschlossen. Er hat seinen schwarzäugigen Blondkopf, wie er sie zuweilen nennt, doch über alles lieb und er weiß doch auch, wie lieb sie ihn hat.
Ja, sie hat ihn wirklich zum Fressen gern und zur Bekräftigung dessen beißt sie abermals in die belegte Schnitte hinein.
Und sie wird ihn auch immer lieb behalten, denn wenn Frauen lieben — — —
Wenn sie nur nicht jeden Abend kalten Aufschnitt essen müßte, wenn das Gehalt ihres Mannes doch endlich einmal stiege, damit sie nicht so entsetzlich zu rechnen brauchte. Wann wird ihr Mann endlich die Stelle eines Prokuristen erhalten? Wie lange wartet sie nicht schon auf diesen Tag! Bald sind es vier Jahre, daß sie ihren Max heiratete. Schon als Bräutigam hat er ihr davon gesprochen, daß er bald Prokurist würde, dann hat er ein Einkommen von mehr als zehntausend Mark, aber das nicht allein, dann gehört er mit zu jenen Bevorzugten, denen die Ehre zuteil wird, mit seiner Frau dem allmächtigen Direktor, dem Wirklichen Geheimen Kommerzienrat, seine Aufwartung machen zu dürfen. Dann werden auch sie beide zu den glänzenden Festen Einladungen erhalten, die der Geheimrat und seine Gattin in ihrer prächtigen Villa veranstalten. Und sie kann den Tag kaum erwarten, an dem es endlich, endlich so weit sein wird.
Abermals beißt sie in ihre Schnitte, dann stützt sie den schönen Kopf auf die Hand, um zu sinnen und zu träumen. Und wie schon so zahllose Male sieht sie sich auch jetzt an der Seite ihres Mannes den Empfangssalon der Frau Geheimrat betreten. Sie trägt eine hellblaue Toilette, denn keine andere Farbe steht ihr auch nur annähernd so gut wie blau, und sie bemerkt, daß ihr Erscheinen Aufsehen erregt. Die Damen betrachten sie voller Neid, die Herren voll ehrlichster Bewunderung — — sie wird umringt, man bewirbt sich um ihre Gunst, selbst der Geheimrat küßt ihr die Hände, während er zu ihr sagt: „Wenn ich gewußt hätte, daß Ihr Gatte eine so auffallend schöne Frau besitzt, die würdig ist, bei Hofe zu erscheinen, dann hätte ich schon längst eine Ausnahme gemacht und Sie viel eher zu uns zu Gast geladen.”
Wie eine an Schmeicheleien gewohnte Königin nimmt sie seine Worte entgegen, sie benimmt sich nicht wie eine alberne Pute, die da verlegen errötet und dem Allmächtigen gegenüber in Ergebenheit erstirbt. Nein, stolz und aufrecht steht sie da, nicht nur in ihrer Schönheit, sondern auch in ihrem Benehmen die vollendete Dame der eleganten Welt. Sie wird sich schon zu benehmen wissen, wenn sie bis dahin auch nur die Frau eines kleinen Beamten war. Schon als Kind hatte man sie oft die Prinzessin genannt, weil sie immer höher hinaus wollte, schon als Kind ist sie durch ihre damenhaften Manieren aufgefallen. Sie ist von Natur aus geschaffen, in den allerersten Kreisen eine Rolle zu spielen und so hat sie immer davon geträumt, daß ein Prinz oder ein Graf oder zum allerwenisgten ein Baron um sie werben würde, obgleich sie doch nur die Tochter eines Regierungssekretärs war. Und als dann Max als Freier auftrat — sie hat ihn jetzt über alles lieb, schon weil er sie so liebt und weil er so fleißig und so sparsam ist, aber trotzdem, wenn er nicht damals schon ein Gehalt von fünftausend Mark bezogen und wenn nicht für ihn die Aussicht bestanden hätte, es bis zum Prokuristen zu bringen, wer weiß, ob sie ihm da nicht einen Korb gegeben haben würde und weiter von einem Prinzen oder einem Grafen geträumt hätte.
Und während sie jetzt weiter von einem Schloß träumt, in dem sie als Herrin hätte wohnen können, streicht sie sich ganz mechanisch eine zweite Schnitte und belegt sie mit kaltem Kalbsbraten, bis sie dann plötzlich schwer aufseufzt. Ach, das Leben ist so prosaisch, genau so prosaisch wie ein nüchternes Kalb, poetisch ist nur die Liebe, aber auch in der gibt es viel Prosa.
Wo ihr Max heute nur bleibt? Um sieben Uhr wird die Bank geschlossen, allerdings kommen da noch die Abrechnungen, das Nachzählen der Gelder, die Kontrolle, der Abschluß der Bücher und jetzt, dicht vor dem Quartalsersten gibt es besonders viel zu tun, aber trotzdem, jetzt ist es gleich halb zehn, da müßte er doch eigentlich da sein.
Und endlich kommt er, ein großer, gut gewachsener Mensch mit einem hübschen, klugen, intelligenten Gesicht, mit braunen Augen und braunem Bart, um seine Frau, sobald er das Zimmer betreten hat, stürmisch in die Arme zu schließen: „Na, da bin ich endlich, Lotte, heute hat es weiß Gott lange genug gedauert, dafür bringe ich dir aber auch etwas mit.”
„Und das wäre?” fragt sie neugierig, um dann vorwurfsvoll hinzuzusetzen: „Hast du schon wieder Geld für mich ausgegeben?”
Wenn ein Mann seiner Frau etwas kauft, macht sie ihm zuweilen Vorwürfe, kauft er ihr nichts, dann macht sie ihm immer Vorwürfe.
Der einzige und der beste Beweis der Liebe ist ein Kuß — sagt die Frau. Wenn die Männer aber ihre Liebe nur durch die Küsse beweisen, dann ist es mit der Liebe des Mannes nicht weit her — sagt ebenfalls die Frau.
So wartet Frau Lotte denn jetzt darauf, daß ihr Mann in die Tasche greifen soll, um ihr das Mitbringsel zu zeigen, statt dessen legt er nur zärtlich seine Hand auf ihre Schulter und sagt: „Hab' keine Angst, Lotte, es kostet kein Geld, wenigstens mir nicht, höchstens dir — ich habe einen mordsmäßigen Hunger mitgebracht.”
Frau Lotte bemerkt nicht das schalkhafte Lächeln in seinen Augen, sie ist ein klein wenig verstimmt. Es ist schon prosaisch, Hunger zu verspüren, aber davon zu sprechen — —
Er tut, als bemerke er den Ausdruck der Enttäuschung nicht, der über ihr Gesicht huscht, sondern nimmt gleich darauf ihr gegenüber an dem Eßtisch Platz und läßt sich seine Schnitten, den kalten Aufschnitt und die Bratkartoffeln, die das Mädchen auf ein Glockenzeichen hin aufgetragen hat, ausgezeichnet schmecken. Sie selbst hat schon soviel gegessen, daß sie seinen Appetit gar nicht begreift und so fragt sie denn ganz verwundert: „Wird es dir denn wirklich nicht über, jeden Abend dasselbe vorgesetzt zu bekommen?”
Er lacht fröhlich auf: „Wir haben doch nichts anderes und wieviele Tausende würden nicht glücklich sein, wenn sie jeden Abend einen so reichgedeckten Tisch vorfänden. Aber davon ganz abgesehen, ich habe doch dich, deine Gegenwart würzt mir jedes Mahl. Du weißt, ich bin im Essen nicht anspruchsvoll, für mich ist die Hauptsache, daß du mit deinem frohen Gesicht bei mir sitzt.”
Und ihm zuliebe macht sie ein frohes Gesicht, während sie zugleich abermals darüber nachdenkt, wie grundverschieden sie beide doch eigentlich sind: er, zufrieden mit seinem Gehalt, zufrieden mit seiner Stellung, zufrieden mit dem Wenigen, das sie auf den Tisch bringt — — sie, die sich hinaussehnt aus diesen engen Verhältnissen, sich Luxus und Reichtum wünschend, vor allen Dingen aber den Verkehr in den ersten Kreisen der Gesellschaft.
Aber in einem Punkte sind sie sich einig, in der gegenseitigen Liebe.
Aber kann man sich eigentlich so ganz von Herzen lieben, wenn man sonst in allen anderen Punkten nicht übereinstimmt? Und wenn man sich wirklich liebt, braucht man es da einander immer wieder zu sagen?
Der wahren Liebe fehlen die Worte, die wahre Liebe ist stumm.
Das Geständnis einer Liebe ist eine Lüge.
Frau Lotte sinnt und träumt und ihr Mann ißt fortwährend Bratkartoffeln.
Wie verschieden sie doch beide sind. Aber nur gut, daß er ißt und daß er ihre Gedanken nicht errät.
Endlich ist er gesättigt, das Mädchen erscheint, um den Tisch abzuräumen, und die beiden Ehegatten begeben sich in das kleine Herrenzimmer, um zu rauchen. Das ist der einzige Luxus, den ihr Mann sich gestattet, und lediglich ihm zuliebe hat auch sie sich das Rauchen angewöhnt. Wie sie sagt, nur ihm zuliebe, in Wirklichkeit aber, weil es in den ersten Kreisen der Gesellschaft für die Damen immer mehr und mehr Mode wird, dem Genuß der Zigarette zu huldigen. Und wenn der Wirkliche Geheimrat sie eines Tages einmal fragen sollte: „Sie rauchen doch selbstverständlich, gnädige Frau?” dann kann sie ihm doch nicht mit einem „nein” antworten, denn sonst müßte sie ihm ja geradezu als der Typus einer kleinen Beamtenfrau erscheinen.
Die Zigarre und die Zigarette brennen und mit leuchtenden Augen sitzt ihr Mann ihr gegenüber und erzählt von seines Tages Arbeit. Es ist immer dasselbe und sie begreift es nicht, wie diese Tätigkeit ihn befriedigen kann. Ja, wenn er sich in einer leitenden Stellung befände, wenn er als Prokurist an den Verhandlungen der Direktion teilnähme, wenn auch seine Stimme dort gehört würde, aber so?
Alles, was er ihr da erzählt, die mehr als harmlosen Vorkommnisse des täglichen Lebens interessieren sie gar nicht. Viel lieber hört sie, welche Damen der Gesellschaft im Laufe des Tages auf der Bank waren, was die anhatten, ob sie Geld hinbrachten, oder ob sie sich Geld abholten, denn daraus könnte sie ihre Schlüsse ziehen. Aber von dem, was sie einzig und allein interessieren würde, kann ihr Mann ihr nichts erzählen, die Kasse ist im Parterre, während sein Bureau in der ersten Etage liegt.
Wenn sie offen und ehrlich sein soll, langweilt es sie direkt, was sie zu hören bekommt, aber sie lauscht trotzdem anscheinend voller Spannung, denn sie liebt ihren Max doch und wenn eine Frau liebt, — —
Ob er nicht bald einmal wieder von dem neuen Volontär sprechen wird, einem früheren aktiven Offizier, der vor einigen Wochen in dem Bankhaus eingetreten ist. Wie aufgeregt kam ihr Max nach Hause, als der Volontär, ein Neffe des Herrn Geheimrats, zum erstenmal in dem Bankhaus aufgetaucht war. Ein Volontär, noch dazu ein adliger früherer Husarenleutnant, ein frischer, lustiger, hübscher, sehr eleganter Mensch von siebenundzwanzig Jahren, den ein großer Spielverlust frühzeitig gezwungen hatte, seinen Abschied einzureichen. Nun lernte er Bankdirektor, wie ihr Max es scherzend nannte, und zwar lernte er von der Pike auf, denn der Herr Geheimrat kannte keinen Spaß, selbst seinen Verwandten gegenüber nicht.
Seitdem ein Adliger in der Bank arbeitet, hat Frau Lotte sich einigermaßen damit ausgesöhnt, daß ihr Mann Bankbeamter ist, aber ihr Max hat es selbst geäußert, lange würde der Volontär es dort sicher nicht aushalten, für ihn, den fröhlichen, flotten Kavallerieoffizier sei diese eintönige Arbeit ja auch zu langweilig. Und wozu brauchte man denn überhaupt zu arbeiten, wenn man der Neffe eines millionenschweren Geheimrats ist? Der würde ihn auch ohnedem nicht hungern lassen.
Warum spricht er nur nie mehr von dem Volontär? Hat sie es ihm am ersten Abend doch irgendwie gezeigt, daß sie sich für den interessiert, schon, weil er Leutnant war und adlig ist? Glaubt ihr Max vielleicht, sie könne sich jemals in ihn verlieben? Sie kennt ihn doch gar nicht und selbst, wenn ihr Wunsch, ihn kennen zu lernen, jemals in Erfüllung gehen sollte, später nach Jahren, wenn sie erst bei Geheimrats verkehrt, wie würde sie sich wohl in ihn verlieben, denn sie liebt doch ihren Mann und wenn Frauen lieben, denken sie an keinen anderen.
Sie aber denkt trotzdem sehr viel an den adligen Volontär und das ist der Grund, weshalb sie selbst nie nach ihm gefragt hat. Die Männer sind ja so mißtrauisch. Wenn eine Frau das Haus nur verläßt, hat der Mann sie schon im Verdacht, daß sie zu ihrer Putzmacherin geht.
Als wenn die Putzmacherin zu ihr kommen könnte!
Und außerdem weiß Frau Lotte, daß man wohl von einem anderen Mann sprechen, daß man aber nie nach ihm fragen darf.
Worte sind sehr häufig gleichgültig und harmlos, eine Frage ist das niemals.
Ob der Volontär wohl überhaupt noch auf der Bank ist? Vielleicht ist er schon längst wieder ebenso plötzlich verschwunden, wie er auftauchte.
„Worüber denkst du denn eigentlich so intensiv nach, Lotte, daß du mich darüber ganz zu vergessen scheinst?” fragt da plötzlich ihr Mann.
„Ich vergesse dich gar nicht,” verteidigte sie sich schnell, „im Gegenteil, ich dachte eben nur an dich und daran, was ich dir morgen Mittag kochen lassen soll. Das wirst du vielleicht nicht verstehen, aber es ist tatsächlich nicht so leicht, in den Speisezettel fortwährend eine Abwechslung zu bringen.”
Er dankt ihr mit einem Blick voller Liebe, daß sie so um sein leibliches Wohl besorgt ist, dann sagt er: „Du bist wirklich eine rührend gute Frau und zur Belohnung will ich dir nun auch verraten, daß ich dir tatsächlich etwas mitgebracht habe, allerdings nur eine Neuigkeit.”
Wenn eine Frau die Wahl zwischen einem Schmuck und einer Neuigkeit hat, entscheidet sie sich für die letztere, schon, weil sie ganz genau weiß, daß sie den Schmuck später auch noch bekommt, wenn sie es nur schlau anzufangen weiß.
Was für die verschmachtenden Kamele in der Wüste die wasserreichen Oasen sind, das sind für die Frauen die Neuigkeiten.
Eine Frau kann ohne Neuigkeiten nicht leben, daher erfindet sie die, wenn es in Wirklichkeit keine gibt.
So blickt Frau Lotte denn jetzt ihren Mann voller Spannung an, bis sie dann sagt: „Du hast eine Neuigkeit für mich? Und die wäre?”
Ihr Mann läßt sie noch einen Augenblick zappeln, dann meint er: „Du wirst dich gewundert haben, daß ich heute so spät nach Hause kam. Das hatte seinen Grund. Wir haben über unser diesjähriges Winterfest beraten und beschlossen, es schon viel früher als sonst zu veranstalten, schon in einer der nächsten Wochen. Es war nicht so leicht, darüber eine Einigung zu erzielen, aber schließlich willigten die meisten Herrn von Wallenbach zuliebe in den früheren Termin.”
Frau Lottens Herz schlägt höher, er, an den sie soviel denkt, ist also doch noch da. Jetzt gilt es nur, sich nicht zu verraten und so fragt sie denn anscheinend ganz verwundert: „Herrn von Wallenbach zuliebe? Wer ist denn das?”
„Aber Lotte,” sagt ihr Mann vorwurfsvoll, „das ist doch unser adliger Volontär. Ich habe dir damals ausführlich von ihm erzählt, kannst du dich denn nicht darauf besinnen?”
Einen Augenblick sitzt sie noch nachdenklich da, dann meint sie: „Ach so ja richtig, nun fällt es mir wieder ein. Der ist also noch bei euch und dem zuliebe — — ja, was hat denn der für ein Interesse daran, ob das Fest jetzt oder später stattfindet?”
Sollte der etwa die Absicht haben, daran teilzunehmen? Gerade weil Frau Lotte keinen anderen Wunsch hat, als diesen, wagt sie nicht, danach zu fragen, die Männer sind ja so entsetzlich mißtrauisch!
„Herr von Wallenbach hat den Wunsch, die Angehörigen seiner jetzigen Kollegen kennen zu lernen,” erklärt da ihr Mann. „Er hat uns auseinandergesetzt, daß es ihm nicht möglich sei, in allen Familien Besuche zu machen, schon, um diese nicht in die Lage zu bringen, ihn dann einladen zu müssen. Aber da er uns Herren kennt, will er auch unseren Frauen und unseren Töchtern vorgestellt werden. Ja, er hat uns geradezu gebeten, ihn baldmöglichst mit unseren Damen bekannt zu machen, um diesen gegenüber nicht stolz und ablehnend zu erscheinen.”
Und das glaubt ihr Männer ihm? denkt Frau Lotte im stillen, denn für die unterliegt es keinem Zweifel, daß Herr von Wallenbach nur deshalb so plötzlich die Damen kennen lernen will, um sich einer Dame nähern zu können. Wer ist diese eine? Die Eifersucht beginnt in ihr wach zu werden, aber trotzdem meint sie ganz gelassen: „Ich finde das von ihm sehr liebenswürdig.”
„Wenn er damit keinen anderen Zweck verfolgt, als den, den er uns nannte, dann ja,” stimmt ihr Mann ihr bei, „aber wenn ich es den Kollegen gegenüber auch nicht aussprach, weil ich für meine Vermutung keine Beweise habe, ich selbst glaube ihm nicht so recht. Ich denke mir, daß er irgendein hübsches junges Mädchen sah und zufällig in Erfahrung brachte, daß deren Vater in unserem Bankhause angestellt ist. Da hat er jetzt den Wunsch, deren Bekanntschaft zu machen.”
Könnte dieses junge Mädchen nicht auch eine junge Frau sein? denkt Frau Lotte im stillen, dann aber sagt sie, gerade weil seine Vermutung sich mit ihrer Überzeugung deckt: „Aber Max, wer wird denn so mißtrauisch sein und einem ehrenhaften Menschen so etwas unterstellen? Und selbst, wenn du recht haben solltest, glaubst du wirklich, daß Herr von Wallenbach sofort die gewünschte Eroberung machen würde? Du kennst doch auch das weibliche Geschlecht.”
Aber er schüttelt den Kopf: „Ich kenne nur dich, aber trotzdem weiß ich, daß es viele weibliche Wesen gibt, denen bei einem Mann der adlige Name, die elegante Erscheinung, der tadellos sitzende Frack, der Titel des Reserveleutnants als der Inbegriff aller Seligkeit erscheint und ich weiß, daß es leider viele weibliche Wesen gibt, die sich durch solche Äußerlichkeiten blenden lassen.”
Wie wenig ihr Mann sie doch kennt, daß er sie nicht zu diesen weiblichen Wesen rechnet, aber auch wie gut, daß er es nicht tut. Dennoch ist sie über seine Worte empört. Wie kann er das, was für sie an einem Mann alles ist, nur Schein und Blendwerk nennen? Aber es lohnt sich ja nicht, mit ihm darüber zu sprechen, so meint sie denn nur: „Daß es solche Frauen und solche junge Mädchen gibt, ist ja nicht zu leugnen, aber in unseren Kreisen wird er sie schwerlich finden, unter unseren jungen Mädchen nicht und unter uns Frauen erst recht nicht. Wir haben unsere Männer doch wirklich nur aus Liebe geheiratet und du weißt doch, wenn wir Frauen lieben — —”
Wenn eine Frau liebt, denkt sie nie an einen anderen — es kommt nur darauf an, wer der eine ist!
So denkt Frau Lotte in den nächsten Tagen fortwährend an Herrn von Wallenbach und sie zermartert sich ihr Gehirn, um es herauszufinden, wem er sich zu nähern wünscht, welche Bekanntschaft er machen will. Und um das zu erfahren, macht sie bei allen Familien der im Bankhause Angestellten in der nächsten Zeit Besuche, obgleich sie sonst in der Hinsicht sehr zurückhaltend ist und sich dort nur dann zeigt, wenn es unbedingt sein muß. Du großer Gott, die anderen Frauen stehen doch weit unter ihr, deren Männer werden es wahrscheinlih nie zum Prokuristen bringen, die Frauen werden nie bei dem Wirklichen Geheimrat eingeladen werden. Aber gleichviel, jetzt macht sie sich doch zu denen auf den Weg und sie bezaubert nicht nur alle durch ihre Schönheit, sondern auch durch ihre große natürliche Liebenswürdigkeit. Man hört es aus jedem ihrer Worte heraus, daß sie nicht lügt, als sie jeder einzelnen erklärt, sie hätte es nicht mehr länger ausgehalten, sie müsse sich einmal wieder nach der lieben Freundin umsehen, um zu hören, wie es ihr und den Ihrigen gehe.
Und während ihre Lippen Worte sprechen, von denen ihr Herz nichts weiß, sieht sie die ahnungslose Hausfrau und die meisten noch viel ahnungsloseren Töchter prüfend daraufhin an, ob Herr von Wallenbach sich vielleicht doch für eine von diesen interessieren könnte. Aber das scheint ihr unmöglich und als sie dann endlich Gott sei Dank diese entsetzlichen Besuche hinter sich hat, da atmet sie nicht nur erleichtert, sondern auch glückselig auf, denn sie weiß, daß er nur ihretwegen gewünscht hat, das Fest möge bald stattfinden.
Das weiß sie schon deshalb, weil sie es wissen will.
Herr von Wallenbach liebt sie. Er muß sie irgendwo gesehen, ihr irgendwo begegnet sein, er hat dann in Erfahrung gebracht, daß ihr Mann mit ihm im Bankhause tätig ist. Ihr will er sich nähern, ihr ganz allein.
Aber wenn er sie sah, da muß sie doch auch irgendwie in seiner Nähe gewesen sein, allerdings ohne daß sie es bemerkte. Aber auch sie will ihn vorher wenigstens einmal von Angesicht zu Angesicht gesehen haben. Gewiß, sie kennt ihn aus der Schilderung ihres Mannes sehr genau, aber trotzdem, es ist besser, sie überzeugt sich selbst davon, wie er aussieht und wenn sie ihn sieht und wenn er bei der Gelegenheit auch sie sieht, dann wird sie es ihm ja auf den ersten Blick anmerken, ob sie tatsächlich diejenige ist, welche —
So entschließt Frau Lotte sich denn eines Morgens, ihren Mann am Abend aus dem Bankhause abzuholen. Draußen in dem großen Torweg, in dem die elektrischen Bogenlampen Tageshelle verbreiten, wird sie ihn erwarten. Natürlich sagt sie ihrem Mann am Mittag nichts davon, dann wäre ja seine ganze Freude verflogen, wenn er sie am Abend plötzlich dastehen sieht, sie will ihn doch überraschen.
Und damit er sich wirklich freut, wenn er am Abend unerwartet mit ihr zusammentrifft, zieht sie sich ganz besonders hübsch an, bevor sie sich auf den Weg macht.
Und damit er ihr Gesicht auch gleich erkennt, bindet sie sich auch keinen Schleier vor, das flotte Pelzbarett kleidet sie besser so.
Frau Lotte verläßt das Haus und postiert sich abends um halb neun in den großen, geschützten Torweg. Sie fängt an zu warten, natürlich nicht auf den adligen Volontär, sondern auf ihren Mann, denn nur seinetwegen ist sie doch gekommen.
Und plötzlich steht er vor ihr. Natürlich nicht ihr Mann, den sie erwartet, sondern der adlige Volontär. Ihr Herz wie ihre Augen sagen es ihr sofort, daß er es ist. Sie erkennt ihn, obgleich die Beschreibung, die ihr Mann von ihm machte, höchstens im allgemeinen stimmt, aber nicht in den Einzelheiten. Trotzdem ist er es. Kein anderer Bankbeamter hält sich so gerade und aufrecht, kein anderer hat ein so frisches, offenes Gesicht, kein anderer trägt den Zylinder, wenn er des Abends die Bank verläßt, und kein anderer hat einen so wundervollen Gehpelz, sicher ein Geschenk des onklichen Geheimrates.
Vor allen Dingen aber trägt er ein Monokel! Das hat ihr Mann ihr verschwiegen, als ob das nicht die Hauptsache wäre. Das Monokel stempelt den Adligen erst zum wirklichen Aristokraten, während es einem Bürgerlichen oft nur einen Talmiglanz verleiht, der seinen Träger sehr häufig nur noch bürgerlicher erscheinen läßt, als er es ohnehin schon ist.
Er ist noch viel hübscher und aristokratischer, als sie ihn sich ohnehin vorgestellt hat. Sie ist von seiner Erscheinung geradezu fasziniert und ihm scheint es ebenso zu gehen. Unwillkürlich bleibt er auf der Schwelle stehen und um seine Verwirrung zu verbergen, holt er aus seinem Pelz ein goldenes Zigarettenetui heraus, um sich eine Zigarette anzuzünden. Aber das ist natürlich nur ein Vorwand, um sie länger ungestört mustern zu können. Und er tut es auch mit einem Blick, der ihr da deutlich sagt: So also siehst du in der Nähe aus. Ich sah dich schon öfter, aber daß du so schön bist — — —
Und als wolle er ihrer Erscheinung eine Huldigung darbringen, hebt er jetzt den rechten Arn, um seinen Hut zu lüften, aber dann besinnt er sich eines anderen und nur, um die Armbewegung zu motivieren, streicht er sich mit der rechten Hand den dichten schwarzen Schnurrbart.
Er grüßt sie nicht und Frau Lotte errät auch sofort, warum er es nicht tut. Er respektiert in ihr die Dame. Eine Dame der Gesellschaft grüßt man nicht, bevor man ihr nicht vorgestellt wurde.
Jetzt aber lüftet er doch den Hut und fragt, den Hut in der Hand haltend, mit wohlklingender sonorer Stimme: „Meine Gnädigste, Sie scheinen hier jemanden zu erwarten? Wenn ich den Betreffenden vielleicht davon benachrichtigen dürfte, damit er sich etwas beeilt —”
„Sie sind sehr liebenswürdig,” gibt sie zur Antwort, während sie zugleich seinen Gruß durch ein Neigen ihres Kopfes erwidert, „aber ich bitte Sie, sich nicht zu beeilen. Mein Mann muß ohnehin jeden Augenblick kommen, ich will ihn überraschen und das gelänge mir ja nicht, wenn er wüßte, daß ich hier bin.”
„Da haben Sie allerdings recht,” stimmt er ihr bei, „da will ich nur wünschen, gnädige Frau, daß Ihr Herr Gemahl Sie nicht mehr lange auf sich warten läßt, denn es ist doch ziemlich kalt und ich sehe eben, Gnädigste, daß Sie nicht einmal einen Schleier umgebunden haben.”
Damit wir beide uns besser in die Augen sehen können, denkt sie im stillen, laut aber sagt sie: „In der Eile des Fortgehens habe ich gar nicht daran gedacht, aber ich bin gegen Kälte nicht sehr empfindlich.” Und scherzend setzt sie hinzu: „Ich werde mir schon keinen Schnupfen holen.”
„Und wenn er trotzdem kommen sollte, gnädige Frau, was wir natürlich nicht hoffen, dann wollen wir wenigstens wünschen, daß Ihre Erkältung bis zu unserem Winterfest wieder ganz fort ist, denn wenn Sie, gnädige Frau, auf dem Fest fehlen sollten — —”
Er spricht den Satz nicht zu Ende, wozu auch? Sie weiß ja, daß er nur ihretwegen darum bat, das Fest bald zu veranstalten.
Was sein Mund ihr verschweigt, sagen ihr seine Augen und mit ihren Augen gibt sie ihm Antwort.
Es ist ein langer, stummer und doch so beredter Blick, den sie miteinander tauschen und um die Nachwirkung nicht durch ein banales Wort zu zerstören, um das Traumgewebe, das sie beide umspinnt, nicht zu zerreißen, lüftet er jetzt vor ihr nur wortlos den Hut und ist gleich darauf gegangen.
Lange blickt Fau Lotte ihm nach und träumt vor sich hin. Was wird sich aus dieser gegenseitigen Bekanntschaft entwickeln? Das weiß sie jetzt noch nicht und sie möchte es auch gar nicht wissen, die Ungewißheit ist so süß, und selbst dem schönsten Traum folgt ein Erwachen. Aber jetzt nur noch nicht an das Erwachen denken, noch hat der Traum ja kaum begonnen.
Aber sie träumt doch, und zwar so fest, daß sie es beinahe gar nicht bemerkt hätte, daß jetzt ihr Mann aus dem Hause kommt.
Sie fährt sich mit der Hand über die Stirn, als wolle sie die vom Winde etwas zerzausten Haare von der Stirn zurückstreichen, in Wirklichkeit aber, um sich wieder auf sich selbst zu besinnen. Erst jetzt fällt es ihr wieder ein, ach so, ja richtig, einen Mann hat sie auch noch und um dem eine Freude zu bereiten, ist sie doch nur gekommen. So tritt sie denn jetzt einen Schritt zurück, noch bevor er sie hätte erblicken können, versteckt sich so gut es geht und ruft dann plötzlich halblaut mit ihrer zärtlichsten stimme: „Darling!”
Ganz verwundert dreht er sich um, einen Augenblick bleibt er völlig überrascht stehen, dann aber eilt er mit schnellen Worten auf sie zu: „Darling, Lotte, nein diese Freude, darauf war ich wirklich nicht vorbereitet. Hoffentlich hast du nicht zu lange gewartet. Nein, das ist zu nett von dir, daß du mich heute nach langer Zeit wieder einmal abholst. Wie bist du nur darauf gekommen?”
Sie erwidert seinen glückstrahlenden Blick, dann schiebt sie ihren Arm in den seinen und sagt mit so ehrlicher Stimme, daß sie selbst an ihre Worte glaubt: „Ich hab' dich doch lieb, Darling, und du weißt doch, wenn wir Frauen lieben, dann lieben wir auch wirklich.”
Und sie findet plötzlichj, daß sie damit nicht einmal eine Unwahrheit spricht. Sie liebt ihren Mann doch, wenigstens liebt sie den anderen noch nicht und ob sie den überhaupt jemals lieben wird, das ist doch noch sehr die Frage.
Aber wie die Antwort auf eine solche Frage lautet, weiß jede Frau im voraus. Auch Frau Lotte weiß es ganz genau, daß sie die Frage mit einem lauten, vernehmlichen Ja beantworten wird.
Und gerade weil sie es weiß, daß sie sehr bald einen anderen lieben wird, hat sie jetzt ihren Mann über alles lieb. Sie ist ja so glücklich, warum soll ihr Mann es da nicht auch sein? So schmiegt sie sich denn von neuem zärtlich an ihn, sie erhascht seine Hand, um sie nicht wieder freizugeben und um die von Zeit zu Zeit heimlich und verstohlen zu drücken.
Und während sie ihren Mann durch ihre Zärtlichkeiten in einen Glückstaumel versetzt, während sie ihm mit leiser Stimme heiße Liebesworte zuflüstert, denkt sie daran, wie elegant der Volontär in seinem Gehpelz und dem Zylinder aussah, wie totschick sein goldenes Zigarettenetui war und wie man ihm doch auf den ersten Blick den wahren Aristokraten ansah. Die erste flüchtige Bekanntschaft ist gemacht, sehr bald wird die nähere Bekanntschaft folgen und wem verdankt sie die? Einzig und allein ihrem Mann, denn wenn der nicht bei dem Bankhaus angestellt wäre — —
Ach, sie hat ihren Max ja über alles lieb und wenn sie sich wirklich in den Volontär verlieben sollte, sie würde trotzdem niemals aufhören, auch ihren Mann zu lieben. Nein, lieben kann sie den dann nicht mehr, das ist ja auch nicht nötig, denn sie hat ihn ja schon lange genug geliebt.
Wenn sie später den Volontär liebt, wird sie den natürlich nur in allen Ehren lieben und diese Liebe nicht dadurch entweihen, daß sie auch noch an ihren Mann denkt.
Dann müßte sie sich ja schämen, dem Geliebten unter die Augen zu treten.
Es gibt viele Frauen, denen es leicht fällt, ihren Mann zu betrügen, aber es gibt wenige Frauen, die es fertig bringen, ihrem Geliebten untreu zu werden und wenn sie den doch betrügen, dann betrügen sie ihn mit einem anderen Freund, aber nicht mit ihrem eigenen Mann.
Ach, Frau Lotte ist ja so glücklich und sie liebt ihren Mann so stürmisch und so leidenschaftlich, wie in der ersten Zeit ihrer Ehe. Es ist, als verlebten sie noch einmal wieder die Flitterwochen zusammen, nur daß ihr Mann jetzt nicht mehr wie auf der Hochzeitsreise den ganzen Tag bei ihr sitzen kann, sondern seiner Tätigkeit nachgehen muß. So ist sie viel allein und da hat sie Zeit, an ihn zu denken. Natürlich nicht an ihren Mann, denn an den braucht sie nicht zu denken, weil sie den doch liebt, sondern sie denkt an den anderen, denn an irgend etwas denken muß eine Frau doch, wenn sie soviel allein ist.
Und so denkt Frau Lotte denn fortwährend an ihn, bis eines Abends das Winterfest stattfindet, an dem sie ihn offiziell kennen lernen wird. Daß sie den anderen gewissermaßen schon privatim kennt, hat sie ihrem Mann nicht erzählt. Warum auch? Sie beide haben doch nur wenige flüchtige Worte miteinander gewechselt und schließlich braucht der Ehemann doch auch nicht alles zu wissen, es ist doch genug, wenn er weiß, daß seine Frau ihn lieb hat.
Wenn eine Frau ihren Mann liebt, dann liebt sie ihn mit einer sich stets gleichbleibenden Liebe, aber ganz besonders liebt sie ihn, wenn er gar nichts merkt, daß sie einen anderen liebt.
Frau Lotte liebt den adligen Volontär, schon weil er von Adel ist und weil er ein Monokel trägt. er ist so totschick!
Wenn eine Frau einen Mann liebt, sieht sie nie auf Äußerlichkeiten.
Wenn ein Frau, die Wert darauf legt, als Dame zu gelten, sich verliebt, kann sie natürlich unmöglich einen Mann lieben, der Jägerhemden und lose Manschetten trägt.
Der große Tag ist angebrochen und in denen [sic! D.Hrsgb.] für diese Zwecke angemieteten Räumen findet sich am Abend eine zahlreiche Gesellschaft ein.
Frau Lotte muß es sich leider eingestehen, sie ist nicht die einzige hübsche Erscheinung, namentlich unter den jungen Mädchen sind einige allerliebste Gesichter, die sich nicht erst viele Mühe zu geben brauchen, den jungen Herren die Köpfe zu verdrehen. Aber sie ist trotzdem die Schönste und Eleganteste. Das wird auch Herr von Wallenbach ihr sagen, sobald er ihr endlich offiziell vorgestellt ist. Aber als ihr Gatte wenig später die Bekanntschaft vermittelt, sagt er ihr zunächst weiter nichts, als einige banale Worte, und auch die spricht er so ruhig und gelassen, daß sie sich durch seine Verstellung täuschen läßt, bis sie dann doch einen verstohlenen Blick seiner Augen auffängt, der ihr da sagt: Du bist die Königin.
Sie sieht ihm nach, als er sich gleich darauf wieder von ihr verabschiedet, um sich den anderen Damen vorstellen zu lassen. Wie hübsch er ist, wie tadellos ihm der Frack steht, mit welchem Anstand, mit welcher selbstverständlichen Eleganz er einherschreitet, wie untadelhaft seine Verbeugungen sind. Vor allen Dingen aber, wie er sich den Anschein zu geben weiß, als sei es ihm wirklich ein Herzensbedürfnis, in diesen Kreisen heimisch zu werden.
Alle Damen sind von ihm entzückt und immer wieder wird Frau Lotte gesagt: „Ist er nicht bezaubernd, muß man sich nicht in ihn verlieben?”
Aber das gibt Frau Lotte natürlich nicht zu, denn wenn eine Frau wirklich liebt, wird sie das nie eingestehen.
So stellt sie sich denn, als begreife sie die allgemeine Verzückung gar nicht und wartet doch voll brennender Ungeduld darauf, daß er Gelegenheit findet, sich ihr wieder unauffällig nähern zu können.
Endlich locken die Geigen zum Tanz. Gleich darauf steht er vor ihr, um ihr zuzuflüstern: „Wie schön Sie sind, gnädige Frau, aber das nicht allein, Sie sind unter diesen vielen Frauen die einzige Dame. Wie unerträglich muß es für Sie sein, hier zu verkehren.”
Frau Lotte seufzt schwer auf, als hätte sie die Sünden der ganzen Welt auf ihren schneeweißen Schultern zu tragen, dann wirft sie ihm einen dankbaren Blick zu. Er versteht es, in ihrer Seele zu lesen.
„Wir wollen nachher weiter darüber sprechen,” sagt er abermals mit ganz leiser Stimme, „jetzt lassen Sie uns tanzen, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen.”
Und während er jetzt und im weiteren Verlauf des Abends mit ihr tanzt, ganz besonders aber, als er in der Pause neben ihr Platz genommen hat, um mit ihr zu plaudern, entwickelt er ihr seine Pläne. So geht es nicht weiter. Eine so schöne Frau wie sie darf ihre besten Jahre nicht in dieser Umgebung vertrauern. Er will gleich morgen mit dem Onkel Geheimrat und mit seiner Tante sprechen. Er wird es durchzusetzen wissen, daß seine Verwandten ihren Mann schon jetzt auffordern, mit ihr in seinem Hause Besuch zu machen, denn eine so schöne Frau wie sie gehöre in die allerersten Kreise der Gesellschaft. Seine Verwandten werden glücklich sein, eine so schöne und elegante Frau in ihrem Salon empfangen zu können.
Noch eine ganze Weile spricht er voll Feuer und Flamme auf sie ein, um sie dann ganz unerwartet zu fragen: „Es wird Ihnen doch recht sein, gnädige Frau, wenn ich in diesem Sinne mit meinen Verwandten sprechen?”
Frau Lotte muß sich beherrschen, um nicht laut aufzujubeln. Sie ist doch schon jetzt eine Dame der Welt, da darf sie sich nicht verraten und so sagt sie denn nur: „Ich wäre Ihnen aufrichtig dankbar, wenn Sie das täten, und wenn Sie das, was Sie vorhaben, bei Ihren Verwandten wirklich durchsetzen, dann —”
Sie spricht den Satz nicht zu Ende, aber sie sieht ihn mit einem vielsagenden Blick an, in dem er, der in der Schule der Liebe zu lesen gelernt hat, ganz deutlich die Worte liest: dann bin ich dein.
Aber ob er sich vielleicht nicht doch verlesen hat? Jetzt sieht er sie fragend an und da sagt sie ihm mit den Augen leise und verstohlen: Ja, ja, du irrst dich nicht, dann bin ich dein.
Für eine Sekunde herrscht zwischen ihnen ein tiefes Schweigen, es dauert nur eine Sekunde und doch deucht es ihnen wie eine Ewigkeit, dann flüstert er ihr endlich leise zu: „Ich werde es durchsetzen, gnädige Frau, so wahr ich Sie liebe.”
Frau Lotte befindet sich in einem wahren Glückstaumel und sie muß sich Gewalt antun, um nach außen hin nichts von dem zu verraten, was in ihrem Innern vorgeht. Sie muß sich beherrschen, sie muß sich verstellen und das wird ihr so schwer. Wenn das Fest doch nur erst zu Ende wäre. Langsam schleichen die Minuten dahin. Endlich wird es Mitternacht, aber es denkt noch niemand daran, aufzubrechen, es ist ja Sonnabend, da kann man morgen ausschlafen.
Aber sie weiß, daß sie in der Nacht kein Auge zumachen wird und als sie dann endlich morgens gegen vier Uhr nach Hause kommt und sich niedergelegt hat, flieht der Schlaf sie wirklich. Frau Lotte liegt wach und sinnt und träumt.
Er, der von ihr Geliebte, liebt sie und sie liebt ihn wieder. Wenn eine Frau wirklich liebt, kann sie gar nicht sagen, wie sehr sie liebt. Die Liebe ist ja auch nur dazu da, um empfunden und nicht in Worten ausgedrückt zu werden.
Die Sprache der Liebe ist der Kuß. Ach und Frau Lotte sehnt sich danach, zu küssen und wiedergeküßt zu werden. Aber natürlich nicht von dem Mann, den sie deshalb aus Liebe heiratete, weil er Aussicht hatte, dereinst Prokurist zu werden, nein, nach den Küssen dieses Manes sehnt sie sich nicht und außerdem schläft er doch. Sie wird ihn doch nicht wecken, nur, um sich von ihm küssen zu lassen. Dazu hat sie ihn denn doch zu lieb. Er ist immer so müde, wenn er des Abends nach Hause kommt, und heute ist es noch viel später als gewöhnlich geworden. Nein, der Ärmste braucht seine Nachtruhe, die darf sie ihm nicht rauben, denn sie hat ihn doch lieb.
Frau Lotte sehnt sich danach, zu küssen und geküßt zu werden.
Ob er wohl mit oder ohne Monokel küssen wird? Hoffentlich mit!
Ein Monokelkuß erscheint ihr plötzlich als der Inbegriff aller Seligkeit.
Aber noch gilt es, auf diesen Kuß zu warten, erst morgen, Montag, nachmittag fällt die Entscheidung. Für fünf Uhr nachmittags haben sie ein Rendezvous verabredet. Er wird sich um diese Stunde freizumachen wissen und in dem verschwiegenen Hinterstübchen eines von ihm vorgeschlagenen Restaurants werden sie sich treffen.
Was solche verschwiegenen Stübchen wohl alles erzählen könnten, wenn sie nicht verschwiegen wären und wie schlecht die Männer sind, daß sie solche Räumlichkeiten kennen! Aber die Schlechtigkeit der Männer ist oft für die Frauen ein Vorzug und die Fehler eines Menschen sind nur in den seltensten Fällen seine Schattenseiten.
Man kann einen tugendhaften Menschen achten, aber nicht lieben, schon weil die Tugend so langweilig ist. Wer nichts zu verschweigen hat, der weiß auch nichts zu erzählen. Und die Schwätzer machen nur deshalb so viele Worte, weil ihnen gar nichts einfällt, was sich verlohnte, ausgesprochen zu werden.
Frau Lotte liegt wach und sinnt und träumt, bis dann auch sie endlich einschlummert. Sie schläft bis in den späten Mittag hinein, aber sie erwacht trotzdem nach ihrer Meinung viel zu früh, denn doch erst morgen wird sie den Geliebten treffen.
Morgen! Wie endlos langsam die Stunden verstreichen, bis es endlich, endlich soweit ist.
Zu fünf Uhr haben sie sich verabredet, aber schon um vier Uhr macht sie sich auf den Weg. Sie kann die Ungeduld nicht mehr zügeln und wenn er sie ebenso liebt, wie sie ihn, dann wird er auch früher zur Stelle sein.
Und sie täuscht sich nicht, denn als sie durch einen separaten Eingang, den er ihr genau beschrieb, das kleine verschwiegene Hinterstübchen betritt, erwartet er sie bereits. Er kennt doch die Frauen. Wenn eine Frau einen Mann wirklich liebt, dann versäumt sie entweder absichtlich das erste Rendezvous, oder sie kommt wenigstens eine Stunde zu spät. Aber wenn eine Frau einen Mann nicht liebt, dann kommt sie zum ersten Rendezvous viel zu früh, um ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn liebt. Und Herr von Wallenbach weiß ganz genau, daß Frau Lotte ihn nicht liebt, daß ihr nur darum zu tun ist, in dem Hause seines Onkels zu verkehren. Sie benutzt ihn lediglich als Sprungbrett. Das hat sie ihm neulich Abend deutlich verraten, wenn auch ganz gegen ihren Willen, aber gleichviel weiß er, wie es in ihrem Innern aussieht. Das aber betrübt ihn nicht weiter, er will zufrieden sein, wenn sich die schöne Frau erobern läßt. Warum sie das tut, läßt ihn kalt.
Auf den ersten Blick sieht ihm an, daß er für sie eine frohe Botschaft hat. Kaum, daß sie ihm Zeit läßt, sie zu begrüßen, da fragt sie auch schon: „Ist es Ihnen gelungen?”
„Leichter als ich glaubte, gnädige Frau,” gibt er zur Antwort, „ich habe die Verdienste Ihres Gatten mit solchen glühenden Farben geschildert, daß mein Onkel mir zustimmte. Ihr Mann wird spätestens innerhalb der nächsten vierzehn Tage zum Prokuristen ernannt werden.”
Frau Lotte ist empört. Anstatt seinen Verwandten ihre Schönheit zu preisen, hat er sich für ihren Mann verwandt. Sicherlich tat er das nur, um keinen Argwohn zu erwecken, um seine Verwandten nicht auf den Gedanken zu bringen, daß sein Interesse einzig und allein ihr gilt. Aber trotzdem fühlt sie sich in ihrer Eitelkeit verletzt.
Bis sie dann doch endlich ihre Enttäuschung überwindet, bis die Freude in ihr wach wird, daß ihr Ziel in aller Kürze erreicht sein wird, daß sie nun sehr bald den ersten Gesellschaftskreisen der Stadt angehört.
Je größer zuerst ihre Enttäuschung war, desto größer ist jetzt ihre Freude, sie kann das Glück kaum fassen und sie ist ihm so grenzenlos dankbar.
Und sie dankt es ihm.
Aber als er sie nun küßt, nimmt er vorher das Monokel aus dem Auge!
Warum tut er ihr das an? Sie hat ihn doch über alles lieb, warum bereitet er ihr da mit dem ersten Kuß bereits die erste Enttäuschung?
Wie wenig verstehen die Männer es doch, in der Seele einer Frau zu lesen.
Und um ihr Enttäuschung zu verbergen, schmiegt sie sich fest an seine Brust, als er sie nun auf seinen Schoß zieht und ihr zugleich heiße Liebesworte zuflüstert. Und allmählich beginnen seine Worte und seine Küsse ihre Wirkung auszuüben. Ihre Leidenschaft ist entflammt, ein Kuß folgt dem anderen, bis dann endlich, für beide viel zu früh, die Trennungsstunde schlägt. Mit Tränen in den Augen nimmt sie von ihm Abschied. Es war so schön. Gewiß, es gibt ein Wiedersehen, aber das Leben ist doch so prosaisch und jetzt muß sie zum Abendessen für ihren Mann noch kalten Aufschnitt kaufen.
Ein wahres Glück, daß ihr Mann auch heute sehr spät nach Hause kommt, da hat sie Zeit, sich vollständig wieder zu sammeln und völlig unbefangen tritt sie ihm gegenüber.
Aber ein ganz klein wenig schlägt ihr Gewissen doch, als sie ihm nun bei dem Abendbrot gegenübersitzt. Ist es wirklich ihr schlechtes Gewissen, oder ist es nicht viel mehr die brennende Ungeduld, ihm zu erzählen, daß er nun bald Prokurist wird. Was sie weiß, darf sie ihm aber nicht erzählen, wenn sie nicht zugleich beichten will, woher sie das weiß. Aber sagen muß sie es ihm trotzdem, dann wird sie auch wieder ruhig werden. Durch die Freude, die sie ihm mit ihren Worten bereitet, wird sie die Schuld, die sie auf sich lud, gesühnt haben.
Und so sagt sie denn plötzlich: „Ich habe dir noch gar nicht erzählt, Darling, daß ich heute nachmittag, ehe ich an die frische Luft ging, mich mit rasenden Kopfschmerzen eine kleine Stunde niederlegen mußte. Merkwürdigerweise schlief ich gleich ein und da hatte ich einen gar seltsamen Traum. Mir träumte, du würdest in der allernächsten Zeit Prokurist werden und was das Sonderbare an diesem Traum ist, ich hörte ganz deutlich eine Stimme, die da zu mir sagte: Dieser Traum wird in Erfüllung gehen.”
„Na wenn schon!” meint er gelassen, während er sich in aller Gemütsruhe eine neue Butterschnitte streicht.
Starr und fassungslos sieht sie ihn an, ist dieses „na wenn schon” seine ganze Freude?
Frau Lotte ist dem Weinen nahe und so sagt sie denn jetzt: „Du schämst dich wohl gar nicht, Darling? Ich gebe mir die größte Mühe, für dich etwas Angenehmes zu träumen und du bist mir dafür nicht einmal dankbar.”
„Doch, doch,” widerspricht er halb ernsthaft, halb belustigt, um dann fortzufahren: „Offengestanden, Lotte, ich kann es abwarten, bis ich in eine höhere Stelle aufrücke. Deinetwegen würde es mich natürlich schon aus finanziellen Gründen freuen, aber sonst? Je höher man steigt, desto größer ist die Verantwortung, desto größer die Arbeitslast. Das wirst du auch noch einsehen, wenn es erst soweit ist und wenn dein Traum in Erfüllung gehen sollte, was ich natürlich sehr bezweifle.”
Das ist alles, was er sagt und um diesen Dank zu ernten, hat sie eine so große Schuld auf sich geladen. Denn doch nur seinetwegen, einzig und allein seinetwegen hat sie sich von Herr von Wallenbach küssen lassen, nur, damit ihr Mann avanciert, nur, damit der endlich die Stellung bekommt, die seinen Kenntnissen und seinem Diensteifer entspricht.
Nur aus Liebe zu ihrem Mann hat sie gesündigt, jetzt wird ihr das erst ganz klar.
Frau Lotte kann sich nicht helfen, sie muß weinen. Sie hat das größte Opfer gebracht, das eine Frau einem Mann bringen kann, und wie dankt er es ihr? Gar nicht.
Vielleicht nur deshalb nicht, weil er es nicht weiß, was sie alles für ihn tat. Das wird sie ihm natürlich auch niemals sagen — — dazu ist sie zu stolz!
Und die Männer sind ja so dumm, ihr Mann würde es vielleicht nicht einmal verstehen, daß sie ihm ein solches Opfer bringen konnte!
Was weiß ein Mann davon, was eine Frau alles tut, wenn sie liebt? Und sie liebt ihren Mann doch, und je schlechter ihr Gewissen mit der Zeit ihm gegenüber werden wird, desto mehr wird sie ihn lieben, schon damit er nicht merkt, daß sie ihn nicht liebt. Denn sie liebt doch jetzt einen anderen und der liebt sie wieder.
Bis dann plötzlich bange Zweifel in ihr wach werden, ob der andere sie wirklich um ihrer selbst willen liebt.
Die Liebe eines Manes ist immer roh und voller Leidenschaft, die Liebe einer Frau ist keusch und rein. Und hört sie auf, das zu sein, dann ist einzig und allein der Mann daran schuld. Die Männer sind so brutal. Wären die Männer es aber nicht, dann würden die Frauen sie verachten, aber da sie es sind, verachten die Frauen sie erst recht.
Und während Frau Lotte vor sich hin weint, weil sie plötzlich wieder so rasende Kopfschmerzen hat, ißt ihr Mann in aller Ruhe sein Abendbrot. Allerdings hat sie ihn aufgefordert, ruhig weiter zu essen und sie hat ihn gebeten, sie nicht weiter trösten zu wollen, denn dann würde es nur noch schlimmer — — es ist ja auch richtig, daß seine Blicke voller Liebe und Teilnahme auf ihr ruhen, aber trotzdem, er dürfte jetzt nicht weiter essen, während sie selbst — — —
Und während er mit vollen Backen kaut, denkt sie: Und diesem Mann habe ich ein solches Opfer gebracht.
Aber sie denkt auch an die Enttäuschung, die sie erlebte, während sie dieses Opfer darbrachte. Und sie denkt daran, daß der andere sie nicht um ihrer selbst willen liebt, sondern nur ihrer Schönheit wegen. Nicht ein einziges Mal hat er ihr bisher gesagt, wie lieb und nett und gut sie sei, sondern er hat ihr nur von ihrer Schönheit gesprochen. Das wird er bei dem Wiedersehen auch weiter tun und sie muß ihn wiedersehen, das hat sie ihm in die Hand versprochen, und was eine Frau verspricht, das muß sie doch auch halten. Aber verdient hat er es nicht, daß sie sich von ihm küssen ließ und daß sie ihn wiederküßte, denn er trägt bei dem Küssen nicht einmal sein Monokel, das ihn so hübsch, so elegant, so aristokratisch aussehen läßt.
Frau Lotte weint still vor sich hin und während ihre Tränen unaufhaltsam fließen, kommt sie zu der Erkenntnis: Wir Frauen können nun einmal nicht leben, ohne zu lieben — aber wenn wir lieben, dann ist der, dem wir unsere Liebe schenken, unserer Liebe nicht würdig! —