Es wird sich alles, alles finden.

Manöverplauderei von Freiherr v. Schlicht
in: Allg. Thür. Landeszeitung Deutschland vom 11.Sept. 1925

Ein großer Dichter, den die jungen Mädchen aber schon deshalb nicht in der Literaturgeschichte zu lesen brauchen, weil sie ihn dort doch nicht finden würden, hat einmal gesungen: „Ist des Landmanns Segen eingeheimst, zieht der rauhe Krieger ins Gelände.” Wobei ich es dahin gestellt sein lassen will, ob die Krieger wirklich rauh sind. Anfühlen tun sie sich ganz bestimmt nicht so, darin wird mir manche Line und Trine ganz sicher beistimmern, wenn sie während der jetzigen Manöver unserer leider nur so kleinen, dafür aber desto tüchtigeren Reichswehr ihre Arme um den Hals des neugewonnenen Manöverfreundes schlingen und zärtlich ihre Wangen an seine Backe legen. Und sie wird sie auch dann nicht rauh finden, wenn sie unrasiert ist, denn Bartstoppeln gehören zum Manöver, wie die Stoppelfelder, auf denen sich das Manöver abspielt.

Manöver! Wieviel Erinnerungen werden da nicht wieder in einem wach. Endlose Märsche, oft stundenlanges Warten, bis die Truppe in das Gefecht eingreifen kann, endlose Gefechte, bis endlich der letzte Angriff erfolgt, und bei alledem im leeren Magen die sich ewig wiederholende Frage: Wie lange wird es heute wohl wieder dauern? Und wenn dann endlich das Signal Halt ertönt, die nicht minder wichtige Frage: Wo führt der nächste Weg nach Küßnacht oder prosaischer ausgedrückt: in das nächste Quartier?

Auf diese und auf zahllose andere ähnliche Fragen, die die Truppen heute im Manöver ebenso gut stellen werden, wie sie es schon seit endlosen Jahren in jedem Manöver taten, gab und gibt es, wie einst, auch heute nur eine Antwort: es wird sich alles, alles finden; und wenn es Abend ist und wenn verstrichen sind die Stunden, dann hat sich alles längst gefunden. Ja, gerade im Manöver findet sich alles und das um so schneller, je rascher sich die beiden großen Abteilungen finden, die miteinander Manöverkrieg führen. Die eine kommt von Norden, die andere von Süden. Manchmal ist es aber auch umgekehrt, dann kommt die eine von Süden und die andere von Norden, und zuweilen gibt es statt Nord und Süd, sogar Ost und West. Aber das ist ja schließlich Jacke wie Hose.

Unter dem Schutz ihrer aufklärenden Kavallerie treten die beiden feindlichen Armeen, oder welchen Heereskörper sie sonst bilden, den Vormarsch an. Und dabei ist nach einem alten Wort die Kavallerie der Schleier, den man dem Gegner vor die Augen hält, damit er nichts sehen kann und den man sich selbst umlegt, damit er nicht erkannt wird. Husaren reiten wie der Wind, doch nur, wenn sie zu Pferde sind, die Dragoner werden in der Schlacht wie andere Leute umgebracht. Damit hängt es zusammen, daß die Führer an jedem Manövertag nach ihrer ehrlichsten Überzeugung ewig und drei Stunden auf die ersten Meldungen ihrer Kavallerie über den Feind warten müssen. Und haben sie die Meldungen, dann sind die natürlich auch nicht so klar und erschöpfend, wie sie es sein müssen. Aber immerhin, etwas ist besser als gar nichts und das gebratene Rebhuhn in der Hand ist mehr wert, als ein verhungerter Spatz auf dem Dach. So fängt man denn auf Grund der erhaltenen Meldungen an, sich zu entwickeln. Der Vortrupp geht mit Sicherheitsmaßregeln vor, in dem befohlenen Abstand folgt das Gros.

Da kommt plötzlich von drüben, nachdem das gegenseitige Infanteriefeuer schon eine ganze Weile geknattert hat, der erste Kanonenschuß. Der Kommandeur der Artillerie ist auf der anderen Seite mit seinen Geschützen aufgefahren und zwar auf einer Anhöhe, die nach seiner Ansicht einfach ideal schön ist, und die allen Anforderungen entspricht, die man als Artillerist nur an eine solche stellen kann. Außerdem ist sie, soweit das Auge und soweit die mit dem Fernrohr künstlich verlängerte Pupille reicht, die einzige, die sich im ganzen Weltall erblicken läßt. Aber trotzdem, ob sie auch in den Augen Seiner Exzellenz die einzige ist, und ob sich bei näherer Umsicht nicht vielleicht doch noch eine andere und namentlich eine noch viel bessere hätte wählen lassen? Das wird sich alles, alles finden, wenn Exzellenz später bei der Kritik erst den Mund aufmacht. Vorläufig sprechen jetzt nur die Geschütze.

Bum bum, bekommt da der Führer des Gros den zweiten Kanonendonner an die Ohren. Pfui Spinne, denkt er, gilt das mir, oder gilt das —? Und er sieht sich suchend nach dem „Dir” um, dem er den Kanonenschuß viel lieber als sich selbst gewünscht hätte, bis er nun voller Entsetzen die Entdeckung machen muß, daß die Geschütze ihn selbst meinten, als sie ihn anbrüllten. Da gibt es für ihn nur eins, er muß sein Gros so schnell wie möglich in Deckung bringen, aber wohin mit all den Truppen, die unter seinem Kommando stehen? Er kann sie doch nicht einfach in die Hosentasche stecken, und das Gelände ist gerade da, wo er sich befindet, so glatt und eben, daß im Vergleich damit ein Plättbrett eine völlig undurchdringliche Gebirgsschlucht ist. Aber trotzdem muß er Deckung suchen, suchen, und ganz besonders muß er sie auch finden, finden. Als er sie dann endlich gefunden hat, werden Zweifel in ihm wach, ob er auch die richtige fand. Na, aber wie alles, wird sich auch das nachher finden, wenn Exzellenz bei der Kritik erst den Mund aufmacht.

Hinter dem Wald wartet die Kavallerie abgesessen auf eine Gelegenheit zur Attacke. Der Kommandeur hat den strengen Befehl, eine solche nur dann reiten zu lassen, wenn er nach seiner gewissenhaften Überzeugung eine Gelegenheit gefunden hat, die den Erfolg der Attacke auch wirklich gewährleistet. Jetzt ist die nach seiner Ansicht da. Die Kommandos ertönen, die Trompeten schmettern die Signale und mit angelegten Lanzen stürmen die Schwadronen dahin. Ein paar Gäule fallen, ein paar Kerle fliegen in den Dreck, aber das schadet nichts. Tra – tra – tra – tra – schmettern die Trompeten weiter, ran an den Feind. Fünf Minuten später ist die Attacke geritten und nach Ansicht der Kavallerie wäre der Gegner in Wirklichkeit erledigt, spurlos von der Erdoberfläche verschwunden, von den Lanzen in Atome zerstochen. Aber ob Exzellenz später bei der Kritik ebenso denken wird? Das wird sich alles, alles finden.

„Kinder,” sagte in vergangenen Friedenszeiten einmal ein frecher Leutnant zu seinen Kameraden, „die ganze Manövermenkenke ist doch nur wegen der Kritik da. Warum läßt man da nicht einfach alles, was der Kritik vorangeht, fort und fängt nicht gleich mit der Kritik an, das wäre doch sehr viel einfacher und für uns sehr viel bequemer. Warum wartet Exzellenz mit seiner Kritik erst darauf, daß die Fehler, die er nachher richtig stellen will, erst gemacht werden? Das ist doch nur Zeitverschwendung, denn daß die gemacht werden, weiß er doch ganz genau im voraus. Na, soviel weiß ich, wenn ich Exzellenz wäre, machte ich die Sache anders. Auch die Kritik selbst. Da würde ich einfach sagen: Meine Herren, ich sehe Ihnen allen deutlich an,daß Sie jetzt gern gut und reichlich frühstücken möchten. Also marschieren Sie in Ihr Quartier und frühstücken Sie. Guten Morgen. Und weg wäre ich, wenn ich Exzellenz wäre.” Aber der kleine Leutnant war zu seinem größten Leidwesen keine Exzellenz und mit einer solchen Kritik, wie er sie abgehalten hätte, wäre der Zweck eines Manövers natürlich nicht erreicht worden. Nur einmal hielt in vergangenen Zeiten eine wirkliche Exzellenz eine ähnliche ab. Da wartete er ruhig und geduldig, bis alle seine Offiziere um ihn versammelt waren, und dann sagte er nur: „Meine Herren, ich freue mich aufrichtig, Sie alle so gesund und wohl vor mir zu sehen. Das ist aber auch das einzige, worüber ich mich heute bei Ihrem Anblick freuen kann. Morgen.” Wandte sein Pferd und ritt davon, während die versammelten Offiziere sich gegenseitig mit Gesichtern ansahen, die alles andere als geistreich waren, wobei aber merkwürdigerweise die Gesichter um so dümmer und um so länger wurden, je höher die Charge war, die ihre Besitzer bekleideten.

Aber was Exzellenz an dem Tag absichtlich versäumt hatte, um, wie er spätr erklärte, nicht in die Gefahr zu geraten, in der ersten Aufregung einen Tobsuchtsanfall zu bekommen, holte er am nächsten Tag mit sehr reichlichen Zinsen nach.

Solche Kritiken haben es manchmal in sich, die sind aber nur für die höheren Chargen da. Den einfachen Soldaten lassen sie schon deshalb kalt, weil er die nicht mit anzuhören braucht. Der liegt inzwischen auf dem Bauch und pennt sich eins, oder er schließt mit den Manöverbummlern Bekanntschaft, in Sonderheit mit der holden Weiblichkeit und versucht es, gleich festzustellen, ob eine der Schönen aus dem Dorf ist, in dem er nachher mit seinen Kameraden Quartier beziehen wird. Was man von Anfang an an Bekanntschaften hat, braucht man hinterher nicht erst zu suchen, und ein hübsches Mädel macht selbst das schlechteste Quartier schön, ein schönes aber zum Himmelreich. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Lang ist es her, da stand ich einmal als Fähnrich feldmarschmäßig bepackt und so schmutzig und dreckig, wie man es nur sein kann, wenn man zwei Tage auf der Landstraße und zwei Nächte im Biwak verbracht hat, in einem Manöver im Schwarzwald vor einem Haus und wollte der jungen bildhübschen Tochter, die in der Tür stand, mein Quartierbillett zeigen. Die aber schüttelte den Kopf und erklärte: „Nein, Sie müssen falsch gegangen sein, zu uns kommt heute ein junger Graf.”

„Aber der bin ich doch,” gab ich zur Antwort.

Da sah sie mich zuerst ganz entsetzt an, dann aber lachte sie hell auf: „Sie wollen ein Graf sein? Das glauben Sie wohl selber nicht!”

Da zeigte ich ihr als Legitimation den Wappenring auf meiner Hand und rief ihr zu: „Warten Sie nur, bis ich mich gewaschen und bis ich mich umgezogen habe, dann werden Sie es mir vielleicht glauben, und dann wird sich alles weitere finden.”

Und wie sich alles im Manöver findet, so fand sich auch das.

Anna hieß sie.


zurück zu

Schlicht's Seite

© Karlheinz Everts