Das Eiserne Kreuz.

Militär-Erzählung von Freiherr von Schlicht
in: „Westungarischer Grenzbote” vom 25.12.1914,
in: „Der rote Pierrot”


Dieser Krieg war ein namenloses Unglück, das sagte sich der reiche Konsul Werner jeden Tag mindestens dreimal, aber wenn er mit seiner Frau und seiner kaum zwanzigjährigen, auffallend hübschen, schlanken, blonden Tochter Loni bei den Mahlzeiten zusammensaß. dann konnte er andererseits nicht leugnen, daß es ihm doch ganz lieb war, die Schulden des eifrigsten Courmachers seiner Tochter, der ihn so sehnlich zum Schwiegervater begehrte, nun doch nicht haben bezahlen zu brauchen. Er hatte gegen den Infanterie­leutnant Heine gewiß nichts, aber er war eben Kaufmann, der mit Zahlen rechnete. Für Loni hoffte er auf die heilende Zeit. Am Anfang hatte sie natürlich mit verweinten Augen dagesessen, aber jetzt machte sie doch schon ein anderes Gesicht, und je näher das Weihnachtsfest heranrückte, desto vergnügter schien sie, so, als könne sie die schönen Geschenke, die sie erhoffte, gar nicht abwarten. Und natürlich würde er, der Konsul, sein Kind reichlich beschenken.

So ging der Konsul denn auch am Weihnachtstage um die Mittagsstunde noch einmal zur Stadt, um für seine Loni noch allerlei einzukaufen, als er sich plötzlich mit den Worten angeredet hörte: „Schönen guten Tag, Herr Konsul.”

Der blickte auf, um gleich darauf einpaar Schritte zurückzuprallen, denn der da vor ihm stand — nein, das war doch gar nicht möglich, der Leutnant von Heine stand doch unter Hindenburg im fernen Osten, und doch stand der jetzt leibhaftig vor ihm. Allerdings nicht mehr so lustig und übermütig wie früher, sondern mit blassen Wangen und schwer auf zwei Stöcke gestützt.

„Ach herrjeses!” entfuhr es dem Konsul unwillkürlich.

Um den Mund des jungen Offiziers spielte ein leises Lachen: „Galt dieses ,ach herrjeses' der Teilnahme, die Sie mit mir und mit meinen zerschossenen Gliedern empfinden, Herr Konsul, oder waren diese Worte ein Ausdruck der Freude über unsere, von Ihnen sicher nicht erwartete Begegnung?”

„Selbstverständlich galt mein Ausruf sowohl dem einen wie dem anderen,” meinte der Konsul rasch, der es nun doch nicht über sein Herz brachte, zu dem Verwundeten unzart zu sein, und so wiederholte er denn noch einmal: „Mein ,ach herrjeses' war wirklich zugleich ein Ausruf der Teilnahme, aber auch der Überraschung, denn ich verstehe wirklich nicht, wie Sie so plötzlich hierher kommen.”

„Ich war zu Hause bei meiner Mutter, die mich nach meiner Verwundung gepflegt hat, bis ich einigermaßen wieder humpeln konnte, Herr Konsul,” gab der Leutnant zur Antwort, „und als es dann soweit war, da hielt es mich nicht mehr zu Hause, da setzte ich mich in die Bahn und bin gestern abend hier angekommen. Es ist doch Weihnachten heute, Herr Konsul, da wird allen Menschen das Herz warm, da empfand ich plötzlich Sehnsucht nach meiner alten Garnison, in der ich soviel frohe Jahre verlebte, ich hatte Sehnsucht nach allen Leuten, die ich hier kenne, auch nach Ihnen, Herr Konsul, denn Ihnen verdanke ich es in erster Linie, daß ich mir das Eiserne Kreuz erwarb.”

„Richtig, richtig, das Kreuz sehe ich ja jetzt erst,” fiel der Konsul ein. „Sie tragen aber nicht nur das Kreuz, sondern auch das schwarz-weiße Band in dem Knopfloch Ihres Paletots so versteckt, daß man es kaum bemerkt. Aber inwiefern Sie diese Auszeichnung eigentlich mir verdanken — —”

„Das ist für den Augenblick mit ein paar Worten erklärt,” meinte der junge Leutnant, „später darf ich es Ihnen vielleicht einmal ausführlicher berichten. Es galt, eine feindliche Batterie zum Schweigen zu bringen, da wurde ein Zug Freiwilliger unter Führung eines Leutnants vorgerufen. Ich meldete mich als Erster, weil ich mir sagte: wenn du fällst, ist es gut, fällst du aber nicht, und holst dir bei dieser Gelegenheit das Eiserne Kreuz II., dann wird der Herr Konsul vielleicht später doch einsehen, daß du in der Garnison zwar ein leichtsinniger Kerl, aber im Kriege doch wenigstens ein halber Mann warst. Ich sage ausdrücklich ein halber, Herr Konsul. Natürlich, ein jeder kann nicht das Eiserne Kreuz I. Klasse erhalten, und ich will denen, die es nicht haben, nicht zu nahe treten. Auch die anderen sind tapfere Helden, aber trotzdem, Herr Konsul, ich persönlich möchte Ihnen beweisen, daß ich ein ganzer Mann bin, und deshalb, Herr Konsul, wenn ich mir auch das Eiserne Kreuz I. Klasse in diesem Krieg verdiene, darf ich dann einmal bei Ihnen vorsprechen? Was ich dann will, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen, und auch Fräulein Loni, ich meine natürlich Ihr Fräulein Tochter, wird, ohne daß ich viele Worte mache, erraten, was mein Besuch zu bedeuten hat.”

„Das schon,” meinte der Konsul etwas unwillig, trotzdem er für den Leutnant eine gewisse Hochachtung empfand. Es imponierte ihm, daß der Offizier, der sich nur mühsam fortbewegte, schon jetzt wieder daran dachte, in das Feld zu ziehen, um sich zu dem Kreuz II. auch das I. zu holen. Aber trotzdem, vorläufig galt es Zeit zu gewinnen, denn ein glattes „nein” brachte er dem Verwundeten gegenüber nicht über die Lippen, und so meinte er denn nach kurzem Besinnen: „Schön, Herr Leutnant, wenn Sie einmal das Kreuz I. Klasse haben, und wenn Sie mich dann besuchen wollen, aber auch nur dann, dann wird sich das weitere finden, vorausgesetzt, daß meine Tochter Sie bis dahin noch nicht völlig vergessen hat. Nun aber entschuldigen Sie mich bitte, meine Zeit ist knapp bemessen, es ist ja Weihnachten heute.”

Gleich darauf trennten sich die beiden Herren, und der Konsul setzte seinen Weg allein fort. Er befand sich nicht in der rosigsten Stimmung, diese Begegnung verdroß ihn trotz allem. Na, auf keinen Fall durfte er seinen Damen etwas davon erzählen, daß er den Leutnant getroffen hatte. Die würden ihm vielleicht noch Vorwürfe machen, daß er ihn nicht zum Abendessen einlud. Er wollte sich jedenfalls den Abend nicht verdrießen lassen.

Aber nicht alles, was wir uns vornehmen, geht auch in Erfüllung.

Das erfuhr auch der Konsul, als er am Abend mit seiner Frau und seiner Tochter unter dem brennenden Tannenbaum stand. Gewiß, seine Loni freute sich über all die zahlreichen Geschenke, die da vor ihr lagen, sie freute sich sogar offensichtlich zu sehr, und verriet damit ihrem Vater, daß sie doch nicht ganz zufrieden war. Gott mochte wissen, was die sich im stillen noch gewünscht hatte oder jetzt noch wünschte!

Da wurde ihm plötzlich gemeldet, es sei ein Herr draußen, der ihn zu sprechen wünsche, und als der Diener erklärend hinzusetzte: „Es ist keiner, der ein Geschenk erbittet, danach sieht der nicht aus, es ist ein wirklicher Herr, der sich unter keinen Umständen abweisen läßt.”

„Schicke ihn trotzdem fort, Vater,” bat Loni, „er kann ja morgen wiederkommen, heute abend gehörst du uns.”

Aber die Mutter widersprach: „Wer weiß, was ihn zu Vater führt, es ist doch Weihnachten heute, da soll man niemanden von der Schwelle weisen.”

Einen Augenblick überloegte der Herr Konsul noch, dann ging er knurrend und brummend davon, aber als er dann in sein Zimmer trat, in das der Diener den Besuch geführt hatte, rührte ihn beinahe der Schlag, denn vor ihm stand der Leutnant von Heine, auch jetzt auf seine beiden Stöcke gestützt, aber lachend und übermütig mit seinen Augen und seinem Kopfe auf das Eiserne Kreuz I. Klasse zeigend, das er in der Mitte des Waffenrockes auf der linken Brust trug, um gleich darauf den Konsul zu fragen: „Na, Herr Konsul, was sagen Sie nun?”

Der sagte gar nichts, der starrte seinen Besuch immer noch an, bis er endlich sagte: „Wie haben Sie sich das Kreuz I. Klasse nur so schnell verdienen können, heute morgen hatten Sie es doch noch nicht?”

„Doch,” widersprach der junge Offizier lustig, „doch, ich habe es schon seit länger als vier Wochen. Das Kreuz I. trägt man aber unter dem Paletot, Herr Konsul, da konnten Sie es nicht sehen, und ich habe mich gehütet, Ihnen etwas davon zu verraten, daß ich das schon besaß, denn sonst hätten Sie vielleicht von mir verlangt, ich müsse mir erst den Orden pour le mérite verdienen, ehe ich zu Ihnen kommen dürfe. Im übrigen will ich Ihnen gestehen, Ihr Fräulein Tochter erwartet mich als Weihnachtsgeschenk voller Ungeduld, ihretwegen bin ich doch nur hier, wir haben stets miteinander korrespondiert, und als Sie, Herr Konsul, heute mittag zur Stadt gingen, da telephonierte mich Ihr Fräulein Tochter im Hotel an und riet mir, den Versuch zu machen, Sie unterwegs zu treffen, damit die Unterhaltung zwischen uns beiden heute abend nicht so lange daure. Was ich Ihnen zu sagen hatte, habe ich Ihnen bereits heute vormittag erzählt, und nun sagen Sie bitte auch mal was, wenn Sie überhaupt noch was zu sagen haben.”

„Sogar 'ne ganze Menge habe ich noch zu sagen,” wollte der Konsul rufen, aber er kam nicht dazu. Er sah es ein, einen Zweck hatte es doch nicht. Er konnte den Leutnant nicht wieder fortschicken, da er es ihm selber erlaubt hatte, ihn aufzusuchen, sobald er das Kreuz I. Klasse habe, und zum Überfluß hatten sich auch noch alle drei gegen ihn verschworen, die Tochter, die ihm riet, den Besuch fortzuschicken, die Mutter, die ihn bat, den Gast nicht von der Schwelle zu weisen, und selbst der Diener, der nur einen Besucher, keinen Offizier in voller Uniform anmeldete. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich, wenn auch widerstrebend, für besiegt zu erklären.

Aber als er dann wenig später den verwundeten Offizier seiner Tochter als schönstes Weihnachtsgeschenk unter dem brennenden Tannenbaum überreichte, und deren grenzenlose Freude sah, da schlug vollends seine Stimmung um.

Voller Stolz, aber auch voller Neid blickte der Konsul jetzt auf seinen Schwiegersohn, das auch schon deshalb, weil er, der Konsul, wie der Leutnant es ihm heute morgen selbst erzählte, die Veranlassung dazu war, daß der sich die beiden Eisernen Kreuze verdiente.

Und je länger sich der Konsul das klar machte, desto mehr kam er zu der Überzeugung, daß er selber eigentlich mit dem Eisernen Kreuz II. und I. Klasse geschmückt werden müsse, denn ohne ihn hätte der Leutnant doch die feindliche Batterie ganz gewiß nicht gestürmt und erobert.

Also nicht der Leutnant, sondern er war in Wirklichkeit der Held.

Aber es war ja Weihnachten heute, das stimmte ihn milde, da wollte er seinem Schwiegersohn die beiden Kreuze, wenn auch nur im Scherz, nicht streitig machen.


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