Einleitung und Vorwort

Von Freiherr von Schlicht
in: „Die süssen kleinen Mädchen — wie sie lieben.”


Einleitung.

Nur eine Frau weiß, was Liebe ist — sagt die Frau.

Eine Frau liebt nur einmal in ihrem Leben und sie wird durch diese Liebe entweder grenzenlos glücklich oder sie stirbt an dieser Liebe mit gebrochenem Herzen — sagt die Frau.

Jeder Mann, der heiratet, hat seine Vergangenheit, mit der die Frau sich leider abfinden muß — sagt die Frau.

Die junge Frau aber hat nie eine Vergangenheit — sagt die Frau. Sie hat höchstens eine Zukunft — aber das sagt die Frau natürlich nicht.


Vorwort

Ihr süßen kleinen Mädchen,
die Ihr die nachstehenden Blätter lesen werdet, glaubt nicht, daß ich Euch persönlich mit den Heldinnen meiner kleinen Geschichten gemeint habe. Nein, Ihr braucht Euch gar nicht getroffen zu fühlen, Ihr seid ganz anders, Ihr habt auch keine Freundinnen, die so sind, wie die Anny, die Milly und die Hedi. Ihr könnt Euch auch gar nicht vorstellen, daß es irgendwo wirklich solche junge Mädchen gibt, oder auch nur geben könnten.

Nein, Ihr seid ganz anders, Ihr sagt es und schon deshalb muß ich es glauben.

Und ich habe Euch süßen kleinen Mädchen immer geglaubt, immer, bis dann doch eines Tages dieser Glaube schwand, bis ich Euch so kennenlernte und Euch so sah, wie Ihr in Wirklichkeit seid.

Aber merkwürdigerweise bereitete mir die Erkenntnis, die da über mich kam, keine Enttäuschung. Im Gegenteil, da fand ich Euch noch viel süßer, als ich es ohnehin schon tat, denn die kleinen Unaufrichtigkeiten, die kleinen Lügen, an deren Wahrheit Ihr selbst felsenfest glaubt, Eure Neugierde, alles erfahren zu wollen, während Ihr dabei vor Angst zittert, man möchte Euch Eure Bitte erfüllen und Euch wirklich „alles” sagen, die Furcht, die Euch jedesmal von neuem befällt, so oft Ihr zu dem wirklich ersten Rendezvous in Eurem Leben geht, Euer keusches, kindlich reines Erschauern, so oft Ihr in Eurem Leben zum ersten Male küßt, ganz bestimmt zum allerersten Male — nein, Ihr dürft gar nicht anders sein, als Ihr seid, sonst wäre ja jeder Reiz, jede Poesie von Euch genommen.

Gerade so, wie Ihr seid, seid Ihr so süß und fast tut es mir leid, daß gerade Ihr, die Ihr dieses Buch lest, so ganz anders seid.

Aber um Gottes willen, ich will Euch nicht verderben, Euch nicht zureden, so zu werden, wie die Anny, die Milly und die Hedi und selbst wenn ich es wollte, es gelänge mir ja doch nicht, denn Euch liegt so etwas nicht. Ihr habt noch nie geküßt und werdet auch, bevor Ihr verheiratet seid, keinen anderen Mann küssen, als Euren Vater und Euren Bruder.

Nicht einmal Euren Vetter.

Was der dumme Junge sich bloß einbildet!

Nein, Ihr werdet nicht küssen und das ist brav von Euch. Und ganz ernsthaft gesprochen, ich weiß, daß sehr viele von Euch nicht nur so sprechen, sondern auch so handeln werden.

Auch ohne daß ich es sagte, wißt Ihr das selbst jetzt am allerbesten, aber ich sage es trotzdem noch ausdrücklich zu Eurer Beruhigung, auch deshalb, damit Ihr nicht etwa in Versuchung kommt, mir wegen dieses Buches zu zürnen.

Das täte mir aufrichtig leid, denn wir sind immer gute Freunde zusammen gewesen, wir zwei, die süßen kleinen Mädchen und ich.

Und ich hoffe, daß Ihr mich auch in Zukunft ein klein wenig liebbehalten werdet.

Und diese Liebe könnt Ihr später Eurem Mann, wenn der Euch fragen sollte: Hast du wirklich vor mir noch nie einen anderen geliebt? — die Liebe könnt Ihr ihm dann ruhig eingestehen, denn wir haben einander ja nicht mal geküßt.

Schade!

Wenigstens mir tut das aufrichtig leid und damit nehme ich für heute von Euch Abschied.

Geschrieben zu Meran (Tirol),
Grand Hotel Bristol,
im Monat September 1910.


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© Karlheinz Everts