Humoreske von Graf Günther Rosenhagen
in: „Deutsche Lesehalle”,
Sonntags-Beilage des „Berliner Tageblatts”, Jahrgg. 1895, Nr. 43 vom 27.Okt. 1895,
in: „Humoresken” und
in: „Humoresken und Erinnerungen”.
Ob es Menschen giebt, die gar keinen Vogel haben, weder im Kopf noch im Bauer? Ich weiß es nicht, so viel aber steht fest, daß der Rentier Schönhahn ein ganzes Vogelhaus besaß; wenigstens behaupteten das seine guten Freunde, und die mußten es ja wissen, sintemalen unsere lieben Nächsten unsere Fehler und Absonderlichkeiten viel eher erkennen als wir selbst oder sich wenigstens einbilden, es zu thun.
Rentier Schönhahn war im Grunde seines Herzens ein harmloser, friedlicher Bürger, der weder seinen Mitmenschen, noch dem Staate auch nur das Geringste zu Leide that, der seine Miethe und seine Steuern pünktlich zahlte und die Zinsen seines nicht unbedeutenden Vermögens in aller Ruhe und Behaglichkeit verzehrte. Gelernter Landwirth, hatte er Jahrzehnte ein Gut bewirthschaftet, das er, als er merkte, daß er es bei der Ungunst der Zeiten nicht mehr werde halten können, rechtzeitig mit großem Nutzen verkaufte. Dann war er in unsere Stadt gezogen, um sein Leben hier als „Fetthammel” zu beschließen. Obgleich Junggeselle, miethete er sich ein ganzes Haus, das er mit gutem Geschmack einrichtete,— aber nur, um es kurze Zeit darauf von oben nach unten hin wieder umzukehren, so daß die Schlafstube, die sich zuerst oben befand, nun plötzlich unten lag. Aber kaum hatte er diese Einrichtung getroffen, als er alles wieder auf den früheren Zustand brachte, um nach kaum vier Wochen wieder eine neue Eintheilung der Zimmer zu machen.
Das war sein erster Vogel, daß er immer in seinem eigenen Hause umzog, die Handwerker wurde er gar nicht los, Maler und Tapezierer arbeiteten vom frühen Morgen bis zum späten Abend Tag aus, Tag ein bei ihm, ohne es ihm je recht machen zu können und ohne je fertig zu werden, wie er auch nie mit dem Einrichten seines Hauses fertig wurde. Die guten Freunde und getreuen Nachbarn schüttelten über sein Gebaren, das doch vielen Leuten einen guten Verdienst einbrachte, nur das Haupt und gaben ihren Gedanken Ausdruck mit den Worten: „Der Mensch ist verrückt!”
Das war sein zweiter Vogel, das er allem, was er that, und wenn es auch das Unsinnigste oder das Gleichgiltigste war, eine übermäßige Bedeutung beilegte. Wenn er einem Freunde erzählte, er habe am Abend vorher ein Glas Bier getrunken, so sprach er das mit einer Würde und bedeutungsvollen Betonung, als wenn ganz Deutschland sich darüber freuen müsse, daß seine, des Herrn Schönhahns, Gesundheit eine derartige sei, daß er ein Glas Bier habe trinken können, und ferner, als ob das Vaterland seine Mäßigkeit anerkennen müsse, daß er nur ein Glas getrunken.
Es ist ja eine alte Geschichte, daß jeder Mensch, je weniger er zu thun hat, desto mehr spricht von allem, was auf ihm lastet. Der Herr Rentier hatte auf der ganzen weiten Welt nichts zu thun, und deshalb seufzte und stöhnte er naturgemäß am allermeisten.
Ein Tag ging ihm nach dem anderen in derselben Ruhe und Beschaulichkeit dahin, bis eines Tages ein Ereigniß eintrat, das nicht nur den Herrn Rentier, sondern auch seine gesammten Mitbürger in Aufregung versetzte.
„Kein Mensch ist so einsam und verlassen, daß er nicht doch ein Herz besitzt, das seiner in Liebe gedenkt!” lautet ein bekanntes arabisches Sprichwort, und auch er besaß ein solches Herz, das seinem Freunde Rotenburg gehörte. Eltern, Geschwister oder nahe Verwandte besaß er nicht mehr, die hatten schon Alle vor ihm die weite Reise angetreten, die Keinem von uns erspart bleibt, auch wenn er noch so ungern reist.
Rotenburg und Schönhahn waren Gutsnachbarn gewesen. Beide waren Junggesellen, und so hatte sich unter den gleichgesinnten Seelen ein Verkehr angebahnt, der sich allmälig in Freundschaft verwandelte. Rotenburg hatte einige Jahre später, als sein Nachbar, sein Gut verkauft und war dann in eine kleine Stadt gezogen, in der er mit seiner Mutter und einer Schwester zusammen lebte. Fast zwei Jahre waren vergangen, ohne daß die Beiden etwas von einander hörten, denn Briefschreiben ist nicht Jedermanns Sache, „und wenn Rotenburg nicht schreibt, brauche ich auch nicht zu schreiben,” hatte Schönhahn gedacht, und Rotenburgs Gedankengang war derselbe gewesen.
Um so größer war daher des Ersteren Erstaunen, als er eines Morgens von seinem Freunde einen Brief erhielt. „Mir geht es gut,” so lautete das Schreiben, „aber ob es auch Dir gut geht, das ist die Frage. Gieb mir Antwort, aber nicht schriftlich, sondern mündlich. Packe Deine Reisetasche — oder besitzest Du jetzt einen Koffer? — und komme zu mir auf Besuch. Je länger, je lieber. Viel Vergnügen ist hier nicht, dennoch wird Dich die Abwechslung zerstreuen. In der nächsten Woche ist hier Schützenfest, ich bin Schützenmajor, denn eine Beschäftigung muß der Mensch ja auf Erden haben. Komm und sei unser Gast, es wird Dir Spaß machen.”
Und was der ganze Brief nicht bewirkt hatte, erreichten die beiden Worte „unser Gast”. Natürlich würde er reisen, er durfte doch nicht eine gleichsam offiziell an ihn ergangene Einladung ablehnen; so schrieb er denn seinem alten Freunde, daß auch er sich auf das Wiedersehen freue, und daß er die liebenswürdige Aufforderung, sich an dem Schützenfest zu betheiligen, mit herzlichem Dank annehme.
Zum ersten Mal, seitdem er in der Stadt wohnte, erfuhr seine Tageseintheilung eine Aenderung. Die Möbel blieben unberührt auf ihren alten Plätzen stehen, und der Morgenspaziergang wurde eine Stunde früher als sonst angetreten. Heute aber ging er nicht, wie sonst, seiner Gesundheit wegen, sondern lediglich, um allen Bekannten, denen er begegnete, die große Neuigkeit zu verkünden, daß er gezwungen sei, eine größere Reise anzutreten.
„Sie wissen ja,” sagte er zu Jedem, „nichts geht mir über Ruhe und Bequemlichkeit; ich bin ja schließlich auch kein junger Mensch mehr, aber was soll man machen, wenn man offiziell eingeladen wird? Durch eine Absage würde man die Schützengilde nur vor den Kopf stoßen, denn schließlich ist es doch eine Ehre, die sie mir erweisen, und dafür muß man doch dankbar sein. Aber viel Arbeit und Unruhe ist damit für mich verbunden, ich wollte, die unruhigen Tage lägen erst hinter mir.”
In einer kleinen Stadt kennen sich Alle, und so wußte es nach einer Stunde das ganze Städtchen, daß der Rentier Schönhahn demnächst auf Reisen gehen werde, um als Ehrengast an einem Schützenfeste theilzunehmen. Den Wenigen aber, die aus irgend einem Grunde diese Mär noch nicht vernommen hatten, erzählte der Herr Rentier es Abends mit aller Ausführlichkeit am Stammtisch, den er heute zwei Stunden früher als sonst aufsuchte. Der erste Gast, den er dort antraf, war der Redakteur des Lokalblattes, dem er die Nachricht bei einer Flasche Rothwein mittheilte.
Der ganze Stammtisch wurde schließlich nervös ud bekam gleich ihm Reisefieber, denn dieses Gespräch wiederholte sich Abend für Abend, bis endlich der große Tag angebrochen war, an dem der Rentier seine Reise antrat. Erleichtert athmeten seine Freunde und Bekannten auf. Gott sei Dank, nun hatten sie vor ihm Ruhe, zum Anhören waren seine Reden auch nicht mehr gewesen und sein Geprahle mit der ihm widerfahrenen Ehre kaum noch zu ertragen.
Acht Tage lang wurde an dem Stammtisch nicht von ihm gesprochen, bis dieser eines Tages plötzlich und unerwartet wieder unter seine Freunde trat.
„Nanu, schon von der Reise zurück?” fragten ihn Alle.
„Gott sei Dank!” entgegnete er, „es war mehr als genug. Auch die freundlichste Aufnahme wirkt auf die Dauer ermüdend, und freundlich bin ich aufgenommen, das kann ich nicht anders sagen.”
Und nun erzählte er von dem Schützenfest, was Dieser und was Jener zu ihm gesagt hätte, wie er bei Tische dem Schützenkönig gegenüber gesessen hätte — was doch schließlich eine große Auszeichnung sei, denn ein König bliebe doch immer ein König —, wie oft sein Freund, der Schützenmajor, ihm zugetrunken, wie der Herr Bürgermeister sich leutselig mit ihm unterhalten habe, wie er aufgefordert worden sei, auch einen Schuß auf den Vogel abzugeben, wie man ihm feierlich ein Loos zur Tombola unentgeltlich überreicht habe, und wie ihm Abends bei dem Ball in dem Schützenpark das schönste Mädchen als Tänzerin vorgeführt worden sei.
Der Zuhörer bemächtigte sich schließlich bei dieser Prahlerei eine nervöse Erregtheit und eine förmliche Wuth, und als er endlich, nachdem er alles, was er irgend zu sagen wußte, mit der größten Umständlichkeit auseinandergesetzt hatte, ging er nach Hause. Die Freunde blieben noch lange zusammen sitzen und dachten darüber nach, wie sie dem alten Herrn das Renommiren abgewöhnen könnten.
Drei Tage waren seit diesem Abend verflossen, und am Morgen des vierten Tages war der Rentier damit beschäftigt, das Eßzimmer, das sich bisher im Parterre befunden hatte, nach oben zu verlegen, als der Postbote bei ihm eintrat und ihm einen großen Einschreibebrief überreichte. Schönhahn traute seinen Augen nicht. Ein Einschreibebrief — und noch dazu aus dem Städtchen, in dem er vor wenigen Tagen seinen Freund besucht hatte, was hatte das zu bedeuten? Voll Neugier öffnete er das große Kuvert und stand einen Augenblick starr, als er das stark hervortretende Wort „Ehrenmitglied” las. Aber nur für eine Sekunde hielt ihn der Bann gefangen, dann ließ er sich auf einen Stuhl nieder und las mit immer größer werdenden Augen folgendes auf Pergamentpapier aufgezeichnete Schreiben:
„In der Vereinssitzung vom 26. dieses Monats der gesammten Schützenbrüder ist einstimmig beschlossen worden, aus Anlaß des diesjährigen Vogelschießens Seine Hoch- und Wohlgeboren, den früheren Gutsbesitzer, jetzigen Rentier Schönhahn zum Ehrenmitglied des Vereins der gesammten Schützenbrüder zu ernennen. Die Ueberreichung des Ehrendiploms sowie die feierliche Salutation der neu ernannten Ehrenmitglieder findet am 29. dieses Monats Abends 9 Uhr im Schützenpark statt, gelegentlich dessen auch die Abzeichen der Ehrenmitglieder übereicht werden. Im Namen des gesammten Festausschusses: A. Reinels, Kunst- und Handelsgärtner und diesjähriger Schützenkönig; Rothenburg, Rentier und Schützenmajor; Meyer, Fuhrmann und Adjutant des Schützenkönigs.”
Ein Gefühl grenzenloser Freude und höchsten Stolzes durchdrang Schönhahns Herz, als er dieses Schreiben las; welch hohe Auszeichnung war ihm von Neuem zu Theil geworden, eine Auszeichnung, die er lediglich sich selbst zu verdanken hatte! Er hatte es wohl bemerkt, daß seine Freunde hier ihm die ehrende Theilnahme an dem Schützenfest mißgönnt und sich im Stillen über die Erfolge, von denen er berichtet, geärgert hatten. Nun aber sollten sie bersten vor Neid. Wie er prahlen und offen und vor Aller Augen bei jeder sich darbietenden Gelegenheit das Abzeichen des Ehrenmitglieds zur Schau tragen wollte!
Immer und immer von Neuem las er das an ihn ergangene Schreiben: „Am 29. dieses Monats Abends 9 Uhr ist die Salutation im Schützenpark, unbedingt muß ich da sein,” sprach er gerührt, „Herr Gott, heute haben wir ja schon den 29. — das ist aber geradezu unglaublich — und ich steh' hier noch, anstatt zu packen und mich zur Reise zu rüsten. Wenn ich mit demselben Zug fahre, wie vor vierzehn Tagen, bin ich 8 Uhr 42 dort, ich komme dann gerade noch rechtzeitig an.”
Er setzte sich an seinen Arbeitstisch und schrieb zwei kurze Briefe, den einen an den Redakteur des Lokalblattes, den zweiten an die Gesellschaft seines Stammtisches; Beiden theilte er mit, daß er zum Ehrenmitglied der Schützengilde, deren Fest er kürzlich beigewohnt habe, ernannt worden sei und infolge dessen sofot auf einige Tage vereisen müsse.
Es war 8 Uhr 47 Abends, der Zug der Sekundärbahn hatte infolge eines plötzlich aufgekommenen starken Windes fünf Minuten Verspätung, als er an seinem Bestimmungsort ankam. Er gab dem einzigen am Bahnhof anwesenden Hoteldiener sein Handgepäck — das Diplom hatte er demselben schon entnommen und in der unergründlich tiefen Tasche seines Paletots geborgen — und schlug dann den ihm wohlbekannten Weg zum Schützenpark ein. Mit dem Glockenschlag neun Uhr ereichte er den in völliger Finsterniß daliegenden Schützenpark. Er war von dem eiligen Tempo viel zu erhitzt, um im ersten Augenblick überhaupt etwas bemerken und denken zu können, und erst, als er sich eine Minute erholt hatte und die nach dem Zimmer des Restaurants führende Thür öffnen wollte, dieselbe aber verschlossen fand, fiel ihm die rings herum herrschende Finsterniß auf.
„Aber hier sind wir doch täglich hineingegangen, hier durch diese Thür, ich irre mich doch nicht, nein — nein, nein, ich weiß es genau, hier bei der Glasveranda gleich links — aber wie sonderbar — alles dunkel und so still — kein Laut ist zu hören, und letzthin machten die Schützenbrüder doch einen Lärm, als wenn die Welt untergehen sollte, — ich verstehe wirklich nicht —”
Kopfschüttelnd umschlich er das ganze Restaurant: nirgends war ein Licht oder ein menschliches Wesen zu entdecken.
„Das verstehe, wer da will,” sprach er vor sich hin, „es muß ein Irrthum vorherrschen, — das Datum muß versehentlich falsch angegeben sein, oder meine alte Haushälterin muß den Kalender falsch abgerissen haben, — Herr Gott, wenn die Salutation schon gestern gewesen ist, das wäre ja schrecklich, was wird man von mir denken, und doch trifft mich keine Schuld, denn ich erhielt das Schreiben doch erst heute Morgen, — ich werde zu Rotenburg gehen, da wird sich die Sache ja aufklären.”
Er machte sich auf den Weg, nachdem er noch einmal das ganze Restaurant kopfschüttelnd gemustert hatte, und trat eine Viertelstunde später in die Wohnung seines Freundes, der ihn, als er das Zimmer betrat, mit einem Gesicht anstarrte, als wenn er einen Geist vor sich sähe.
„Mein Gott — Schönhahn — Mensch — wo kommst Du her?” stotterte er endlich.
Nun war die Reihe des Erstaunens an dem Anderen: „Wo ich herkomme? Von Hause, oder richtiger gesagt, vom Schützenpark; warum seid Ihr denn nicht da?”
„Wo?”
„Im Schützenpark.”
„Im Schützenpark?” wiederholte Rotenburg auf das Höchste verwundert, dann aber setzte er hinzu: „Lieber Freund, ich verstehe von allem kein Wort, — nun nimm aber Platz und sag' mir in aller Ruhe, was willst Du hier, und was führt Dich hierher?”
Dem armen Manne wurde ganz schwindlig; er wußte gar nicht mehr, was er sagen sollte. Statt jeder anderen Antwort sagte er: „Heute haben wir den —” suchend blickte er sich nach einem Abreißkalender um, und als er keinen sah, griff er in die Tasche und zeigte seinem Freunde das am Morgen erhaltene Schreiben. Der las es, und je weiter er las, desto mehr hellten sich seine Züge auf, und schließlich brach er in ein unbändiges Lachen aus. „Aber S chönhahn, Mensch, wie kannst Du auf einen so plumpen Witz hineinfallen?” keuchte er endlich.
Dieser saß unbeweglich wie ein Todter. „Witz? Reinfallen? ich verstehe Dich nicht!” stotterte er endlich.
„Aber lieber Freund, hast Du denn das wirklich nicht gemerkt, daß irgend Jemand sich mit Dir einen Witz hat machen wollen? Ehrenmitglied der gesammten Schützenbrüder, — so etwas giebt es ja in ganz Europa nicht! Und dann die Namen, die in dem Schreiben stehen, sind alle falsch, — es giebt hier weder einen Reinels, noch einen Fuhrmann Meyer, und der einzige Rotenburg hier am Orte bin ich, und ich schreibe mich bekanntlich ohne „h” und nicht wie hier mit einem „h”. Das könntest Du nachgerade auch wissen.”
Noch immer saß der Gefoppte unbeweglich: „Na wartet, Ihr Herren vom Stammtisch, das will ich Euch gedenken!” schwor er endlich, und bis in die Nacht hinein schmiedete er mit dem Freunde einen Racheplan nach dem anderen. Keiner aber fand seine Zustimmung, denn keine Strafe erschien ihm für die ihm widerfahrene Kränkung hoch genug. „Mich so zu blamiren und mich so lächerlich zu machen!” stöhnte er ein über das andere Mal, „wenn ich nur nicht an den Redakteur geschrieben hätte, — sie haben mich in der Stadt einfach unmöglich gemacht!”
In einer Stimmung, die überhaupt nicht schlechter sein konnte, fuhr er am nächsten Tage wieder nach Hause. Noch immer brütete er Rache, und endlich kam ihm ein Gedanke, wie er Gleiches mit Gleichem vergelten könne.
Zu Hause angekommen, nahm er von einem alten Dienerhut die Rosette herunter, ließ sich dieselbe von seiner alten Haushälterin etwas umändern und befestigte sie in dem Knopfloch seines Gehrocks. Dann ging er in der besten Laune zu seiner Stammkneipe.
Als er das Lokal betrat, wurde er mit einem nicht enden wollenden Hurrah begrüßt, aber das Gelächter der Freunde verstummte, als sie sahen, daß er sich mit einem ganz verdutzten Gesicht umsah, als begriffe er gar nicht den Grund der allgemeinen Heiterkeit.
„Aber was habt Ihr denn nur?” fragte er mit der harmlosesten Miene von der Welt. Dann setzte er sich ruhig und gelassen wie stets auf seinen alten Platz und begann, nachdem er sich durch einen Schluck gestärkt hatte, zu erzählen. Wie erhebend die Feier gewesen wäre, wie hübsch der Schützenkönig auf die Ehrenmitglieder gesprochen hätte, wie prachtvoll und kostspielig die Ausschmückung des Schützenparks gewesen sei, wie ausgezeichnet man gegessen hätte, wie er, als der Aelteste der Ehrengäste, auf den Toast des Schützenkönigs habe antworten müssen, was ja zwar schwierig, aber doch auch sehr ehrenvoll für ihn gewesen sei, wie Ehrenjungfrauen ihm die Abzeichen der Ehrenmitgliedschaft überreicht hätten, und wie in diesem feierlichen Augenblick im Park die Böller gelöst worden seien. —
Er sprach mit der Beredtsamkeit eines Demosthenes, und je lebhafter er sprach, desto ernster und schweigsamer wurden die Freunde. Lange schon war das Lächeln, das auf ihren Lippen gelegen hatte, verschwunden, und mit immer wachsendem Erstaunen lauschten sie seinen Worten. War das Wahrheit oder Dichtung, was er ihnen mit dem glaubhaftesten und ernsthaftesten Gesicht von der Welt erzählte? Nein, so konnte kein Mensch lügen, das konnte nicht alles Erfindung sein. Aber was war geschehen? Hatte er den am Stammtisch zusammen erfundenen Brief gar nicht erhalten, oder war vielleicht mit diesem gefälschten ein echtes Schreiben eingegangen? War er thatsächlich Ehrenmitglied geworden, und hatte wirklich eine Salutation der Ehrenmitglieder im Schützenpark stattgefunden?
Sie wurden aus alledem nicht klug, nur Einer konnte darüber Aufklärung geben, das war der Freund, der, in den Scherz eingeweiht, den Einschreibebrief an Schönhahn abgesandt hatte. Noch an demselben Abend, nachdem dieser das Lokal verlassen hatte, ging ein Eiltelegramm mit bezahlter Rückantwort ab, und die Antwort lautete: „Schönhahn lügt wie gedruckt.”
Und dieses Telegramm lag am nächsten Abend auf des Rentiers Platz, als dieser ahnungslos das Restaurant betrat.
„Nun, was sagen Sie nun, Sie Ehrenmitglied der gesammten Schützenbrüder?” fragten ihn hohnlachend die Freunde.
„Ehrenmitglied?” fragte er, der sich schnell gefaßt hatte, mit dem erstauntesten Gesicht von der Welt, „ich verstehe Euch nicht, wo bin ich denn Ehrenmitglied?”
Wieder wurden die Freunde, da er seine Komödie meisterhaft spielte, in ihrem Glauben irre.
„Aber Schönhahn, Sie haben uns doch gestern Abend Ihre Reiseerlebnisse selbst mit der größten Ausführlichkeit erzählt!”
Einen Augenblick starrte er die Freunde fassungslos an, dann brach er in ein schallendes Gelächter aus: „Kinder, und das habt Ihr geglaubt?” fragte er endlich, während ihm die hellen Thränen über die Wangen hinunterliefen, „nehmt mir es nicht übel, aber für so leichtgläubig hätte ich Euch denn doch nicht gehalten. Wie soll ich denn im Schützenpark zum Ehrenmitglied ernannt werden, — ich bin ja gar nicht verreist gewesen, — habt Ihr wirklich geglaubt, daß ich auf Euren plumpen Witz hineinfallen würde? Ha, ha, ha, ha!” und er schüttelte sich vor Lachen, und sein Lachen klang so herzlich und aufrichtig, daß die Freunde schließlich selbst mit einstimmten.
Und das war die Rache, die Schönhahn sich ausgesonnen hatte: die Freunde sollten nicht über seine, sondern über ihre eigene Dummheit lachen. Und das thaten sie gehörig.