Die Wette.

Ehehumoreske von Freiherr von Schlicht
(nicht identisch mit der Erzählung „Die Wette”)
in: „Mußestunden”, Tägl. Unterhaltungsblatt zur „Dortmunder Zeitung”, vom 5.8.1913,
in: „Neußer Zeitung” vom 9.8.1913,
in: „Aachener Anzeiger” vom 10.8.1913,
in: „Die Ehestifterin”


Schon als ich am Morgen in das Schlafzimmer meiner Frau trat, um diese zu begrüßen, machte sie ein Gesicht, wie es jede Frau tut, die die feste Absicht hat, ihren Mann um Geld zu bitten, die aber noch nicht weiß, wie sie das anfangen soll, denn natürlich darf der Mann ihre Absicht nicht merken. Selbst wenn er das Geld später gegeben hat, darf er nicht dahinterkommen, daß ihm das Geld aus der Tasche gezogen ist. Die Sache muß sich im Laufe des Tages wie zufällig ganz von selbst entwickeln.

Auf den ersten Blick erriet ich, was meine Frau im stillen beschäftigte, so sah ich sie denn forschend und prüfend an, um aus ihren Zügen zu ergründen, wie viel Geld sie wohl brauche. Meine Frau sah so nach vier- oder fünfhundert Mark aus. Wenn ich Glück hatte, auch nur nach dreihundert. Aber wann hat ein Mann in der Hinsicht Glück? Selten! Und als meine Frau sich nun bemühte, mich ihrerseits völlig harmlos und unbefangen anzusehen, da wußte ich, daß ich heute sogar Pech haben würde. So legte ich denn freiwillig noch weitere hundert Mark hinzu, während ich mir zugleich im stillen schwur, über sechshundert Mark hinaus auf alle Fälle taub und unerbittlich zu bleiben.

Meine Frau markierte die völlig Harmlose und Unbefangene, sie war so fröhlich und guter Dinge, daß sie ein paarmal lustig vor sich hin lachte, als ich mit ihr plauderte.

Wenn eine Frau am Morgen, noch bevor sie aufgestanden ist, im Bette lacht, dann flucht der Mann des Abends, wenn er sich zu Bette legt.

Die Tränen einer Frau kosten dem Manne Geld, das Lachen aber erst recht. Es geht schneller, die Tränen einer Frau zu trocknen, als eine Frau dauernd in so guter Stimmung zu erhalten, daß sie beständig lacht. Und nach der gewissenhaften Überzeugung der Frau ist es unsere vornehmste Pflicht, sie dauernd bei guter Laune zu erhalten. Nichts ist aber dazu mehr geeignet, als eine Frau zu beschenken.

Meine Frau lachte und ich lachte schließlich mit, bis meine Frau mich dann plötzlich fragte: „Sag' mal, warum lachst du denn heute morgen eigentlich immer?”

Wenn die Frauen noch klüger wären, als sie es ohnehin zu sein glauben, würden sie viel weniger fragen. Vor allen Dingen fragen die Frauen stets dann, wenn sie sich dadurch selbst verraten. So gab meine Frau denn durch ihre Frage ohne weiteres zu, daß zum Lachen gar kein Grund vorläge, weder für mich, noch für sie. Das gestand ich aber natürlich nicht ein. Man soll einer Frau überhaupt nie etwas eingestehen, denn jedes Geständnis macht sie sich zu Nutzen. In der Hinsicht ist jede Frau der geborene Staatsanwalt, nur, daß eine Frau niemals mildernde Umstände gelten läßt. In den Augen einer Frau ist jedes Geständnis eines Mannes eine Dummheit — — nur nicht das Geständnis unserer Liebe und doch ist gerade das manchmal die allergrößte Dummheit!

Meine Frau hatte mich gefragt, warum ich denn eigentlich lache. So lachte ich denn nicht mehr und die Folge war, daß meine Frau mich fragte, warum ich denn plötzlich so ernst geworden sei und warum ich nicht mehr lache.

„Ich dachte an meine Arbeit,” gab ich ausweichend zur Antwort, „auch daran, ob der Geldpostbote mir heute endlich das längsterwartete Honorar bringen wird.”

Das war schon deshalb eine Ausrede, weil ich gar kein Honorar erwartete, ich sagte es nur deshalb, um in den Gesicht meiner Frau lesen zu können und ich las dort vieles, als ich das Wort Geldpostbote aussprach.

Wenn ich der liebe Herrgott wäre, würde ich jedem Geldpostboten nach seinem Tode einen Ehrenplatz im Himmel einräumen, als Zeichen der Anerkennung für die vielen frohen Minuten, die er bei Lebzeiten seinen Mitmenschen gemacht hat.

„Das Geld kommt sicher,” stimmte meine Frau mir bei, „es muß doch heute kommen und wenn es heute nicht kommt, dann ist es auch noch so. Es hat ja auch keine Eile, wir brauchen es ja nicht.”

Wenn eine Frau schon sagt, daß sie kein Geld braucht! Und meine Frau brauchte es dringend, das merkte ich ihr im Laufe des Tages immer deutlicher an, je mehr sie sich bemühte, fröhlich und unbefangen zu sein wie sonst.

Jede Frau ist die geborene Verstellung, aber wenn sie sich verstellen will, dann kann sie es nicht, dann fällt selbst die beste Schauspielerin aus der Rolle. So sah ich es denn betrübten Herzens mit an, wie meine Frau sich abmühte, mich zu täuschen. Mehr als einmal lag es mir auf der Zunge ihr zuzurufen: „Nun sag schon, wieviel Geld du haben willst, mach es kurz und schmerzlos, dann haben wir es beide hinter uns.”

Aber ich schwieg trotzdem, ich wollte meiner Frau nicht die Freude rauben, später auf die ganz unmerkliche Art und Weise stolz sein zu können, in der sie mein Portemonnaie erleichtert hatte.

Meine Frau war in anderer Stimmung als sonst und sie blieb es auch, als wir gegen Mittag unseren Spaziergang unternahmen. Und da geschah es, daß meine Frau, um sich zu entschuldigen, mich anklagte und zu mir sagte: „Ich weiß gar nicht, was du heute hast, du kommst mir so sonderbar vor.”

„Das beruht wirklich vollständig auf Einbildung,” verteidigte ich mich, „mit demselben Rechte könnte ich behaupten, daß du — — —”

Je mehr Morde ein Verbrecher auf dem Gewissen hat, desto unschuldiger fühlt er sich und so ließ meine Frau mich denn gar nicht erst ausreden, sondern fiel mir schnell in das Wort. Aber das nicht allein, sie lachte hell und fröhlich auf, als hätte ich einen glänzenden Witz gemacht, dann meinte sie: „Du bist wirklich köstlich. Ich bin genau so wie immer und wenn ich selbst momentan etwas schweigsam war, so hatte das seinen Grund. Ich dachte darüber nach, daß es gar nicht mehr lange dauern wird, dann haben wir wieder Weihnachten.”

„Aha,” sagte ich mir, „nun geht meine Frau zum Angriff vor.” Wir befanden uns laut Abreißkalender in den ersten Tagen des Juni, die noch dazu von einer unerträglichen Hitze waren und wenn eine Frau da schon von Weihnachten spricht, dann heißt das doch, daß sie ihr Weihnachtsgeschenk innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden im voraus haben will. Bezahlen mußte ich ja doch und so stimmte ich meiner Frau bei: „Du hast recht, es wird gar nicht mehr lange dauern, dann haben wir Weihnachten. Diese große Hitze deutet darauf hin, daß es bald frieren wird. Noch lieber wäre es mir allerdings, es würde endlich einmal regnen und wenn wir dann an einem schönen Regentage zusammen an der Zentralheizung sitzen, dann kannst du mir anvertrauen, was du dir zu Weihnachten wünschest, vorausgesetzt, daß es so lange Zeit hat.”

Aber es mußte nicht so lange Zeit haben, ich merkte es meiner Frau an, die überlegte, wie sie den Termin, an dem ich mit ihr über das Weihnachtsgeschenk sprechen wollte, näher heranrücken könne und ihre Hand zärtlich auf meinen Arm legend, fragte sie mit schmeichelnder Stimme: „Glaubst du nicht auch, daß es schon heute regnen wird?”

Das glaubte ich nun ganz gewiß nicht, das Barometer, daß auf „Schön Wetter” stand, glaubte es auch nicht, das glaubte auch sonst kein Mensch, nur meine Frau glaubte es und ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: „Warte es nur ab, ich täusche mich nicht, es wird heute noch ganz bestimmt regnen. Ich fühle einen bevorstehenden Wetterumschlag ja immer in meinem linken Arm, seitdem ich an Ischias leide,” und immer lebhafter werdend, setzte sie hinzu: „Ganz gewiß, es wird heute noch regnen, ich bin meiner Sache sicher, wollen wir wetten?”

„Aha,” sagte ich mir im stillen, „auf die Art willst du zu meinem Gelde kommen?” Und so erwiderte ich denn, während ich zugleich meine Frau dabei scharf ansah: „Wetten wir also um sechshundert Mark.”

Ich sah es auf den ersten Blick, ich hatte die richtige Summe genannt, denn meine Frau machte ein Gesicht, wie ein Schulmädchen, daß auf einer Unart ertappt ist, aber gerade deshalb fragte sie schnell: „Wie kommst du nur auf sechshundert Mark? Das ist doch eine komische Summe. Man wettet doch entweder um eine Mark, um zehn, hundert oder tausend Mark, meinetwegen auch um fünfhundert, aber gerade um sechs — na, mir kann es recht sein, aber eins mußt du mir versprechen, du mußt die Wette auch bezahlen, sobald du sie verloren hast.”

„Brauchst du denn so notwendig Geld?” fragte ich anscheinend ganz verwundert.

„Im Gegensatz zu anderen Frauen brauche ich bekanntlich nie etwas,” widersprach meine Frau, „außerdem hast du mir erst vor ein paar Tagen vierhundert Mark auf drei Jahre geborgt und erst mir weitere fünfhundert Mark in der nächsten Woche zu leihen versprochen. Nein, ich brauche wirklich nichts, aber wenn man eine Wette gewinnt, will man sie doch auch gleich bezahlt erhalten. In der Hinsicht sind wir Frauen wie die kleinen Kinder. Ihr Männer seid ja glücklicherweise anders, ihr könnt warten und du müßtest es auch, denn vor der nächsten Woche könnte ich dir, wenn ich die Wette verlieren sollte, die sechshundert Mark nicht geben. Ich müßte dich dann auch bitten, mir anstatt der fünfhundert elfhundert Mark zu leihen. Davon würde ich dir natürlich sofort die sechshundert Mark bezahlen, so daß ich dir dann nur noch fünfhundert Mark schuldig wäre.”

„So ist es richtig,” meinte ich belustigt, „na, darüber können wir ja später noch sprechen, erst wollen wir mal abwarten, wer die Wette gewinnt.”

„Ganz bestimmt ich ,” rief meine Frau und die alten Griechen konnten auf dem berühmten Zug nach der Küste nicht ungeduldiger nach dem Meer ausgesehen haben, als meine Frau nach dem ersten Regentropfen. Den ganzen Tag saß meine Frau auf der großen, glasbedeckten Veranda, die an mein Arbeitszimmer stößt und starrte den Himmel an. Aber der blieb blau, wie er war, das Barometer stand trotz allem Klopfens immer noch auf „Schön Wetter” und selbst die Ischiasschmerzen im linken Arm meiner Frau schienen keinen Regen mehr zu verkünden. Aber meine Frau starrte immer weiter zum Himmel empor, bis sie mich schließlich kleinlaut fragte: „Sag' mal, wir haben uns noch gar nicht darüber geeinigt, wieviel muß es denn eigentlich regnen, damit ich meine Wette gewinne? An einen Wolkenbruch glaube ich selbst nicht, auch nicht daran, daß es gießen wird, das ist ja aber auch gar nicht nötig, Regen ist Regen, ob viel oder wenig, spielt dabei gar keine Rolle und deshalb meine ich, daß ich die Wette gewonnen habe, sobald wir die ersten Tropfen auf das Glasdach fallen hören,” und mich flehentlich ansehend, bat sie: „Nicht wahr, du bist damit einverstanden? Ich möchte so schrecklich gern die Wette gewinnen, aber ganz bestimmt nicht des Geldes wegen. Sechshundert Mark sind ja schließlich eine ganze Menge, aber Gott sei Dank, soviel ist es doch auch nicht. Trotzdem möchte ich sie natürlich haben, aber wie gesagt, nicht des Geldes wegen.”

„Das fühle ich dir vollständig nach,” stimmte ich meiner Frau bei, „ich weiß ja, daß du dir nichts aus dem Gelde machst, sonst würdest du es nicht so leicht und so schnell ausgeben.”

„Nicht war,” rief meine Frau erfreut, „das mußt du wirklich sagen, daß ich nicht so bin wie die anderen Frauen. Wenn ich daran denke, wie die manchmal rechnen und sparen — ich bin ja auch sparsam, aber sparen tue ich denn Gott sei Dank doch nicht, das ist so nüchtern und prosaisch und vor allen Dingen so furchtbar langweilig. Du hast recht, ich mache mir wirklich nichts aus dem Gelde,” und ihre Hände faltend, bat sie: „Ach, wenn es doch nur regnen möchte.”

Und als es endlich soweit war, tropfte es wirklich auf das Dach, laut und vernehmlich und ich wußte auch, woher der Regen kam. Über meinem Wohnzimmer sind die Mädchenzimmer und ich hatte den Hausmädchen heimlich und verstohlen den Auftrag gegeben, nach Eintritt der Dunkelheit künstlichen Regen zu erzeugen. Im Garten wurden mit dem endlos langen Schlauch die Blätter der Bäume besprengt und gleichzeitig goß das andere Mädchen aus ihrem Fenster aus einer kleinen Gießkanne den Inhalt auf das Dach der Veranda. Zu erst nur langsam, tropfenweise, dann immer mehr und mehr.

Nur ein Glück, daß es inzwischen so dunkel geworden war, daß meine Frau den Betrug nicht entdecken konnte. Und so rief sie denn plötzlich glückstrahlend: „Es gießt, hast du es gehört, es gießt!”

Und ich hatte es gehört, das Mädchen goß da oben wirklich, aber jetzt wurde es wieder still , die Gießkanne mußte leer sein, gleich darauf aber goß es wieder und die zweite bereitgestellte Gießkanne trat in Tätigkeit.

„Komm, laß uns in das Zimmer gehen,” bat meine Frau, „es wird hier draußen zu feucht, man kann sich bei dem Regen leicht erkälten.” So gingen wir denn in mein Zimmer und als wir die Balkontüre geschlossen hat, da geschah es, daß meine Frau mich freudestrahlend umarmte und mir zurief: „Ach, ich kann es dir ja gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, daß ich die Wette gewonnen habe, noch dazu ohne jeden Betrug.”

Ganz erstaunt blickte ich auf, um dann zu fragen: „Wie soll ich das verstehen?”

Da schmiegte meine Frau sich von neuem zärtlich an mich und sagte: „Sei nicht böse, aber ich mußte die Wette gewinnen. Ich brauche rasend notwendig sechshundert Mark. Ich wollte nicht darum bitten und deshalb hatte ich mit den Mädchen verabredet — aber du darfst nicht böse sein — ich hatte den Mädchen gesagt, sie sollten bis um zehn Uhr abends damit warten. Jetzt ist es ja erst neun Uhr und es hat schon geregnet, aber wenn es auch um zehn Uhr noch nicht geregnet hätte, dann sollten sie es künstlich regnen lassen — im Garten mit dem großen Schlauch, indem sie die Blätter der Bäume besprengten und oben aus den Fenstern heraus mit den kleinen Gießkannen. In der Dunkelheit hättest du den kleinen Betrug gar nicht gemerkt, aber ich bin trotzdem namenlos glücklich, daß ich die Wette auf ehrliche Weise gewonnen habe.”

Meine Frau war glücklich und ich war es auch, denn wenn man schon dazwischen wählen muß, dann ist es immer schon besser, selbst zu betrügen, als betrogen zu werden!


zurück zur

Schlicht-Seite
© Karlheinz Everts