Humoristisch-satirische Plauderei von Freiherr von Schlicht
in: „Wenn Frauen lieben”
Frau Martha Arnsdorf, eine mittelgroße, schlanke Brünette, von fünfundzwanzig Jahren, mit einem auffallend hübschen, vornehmen Gesicht, aus dem sündhaft schöne, tiefschwarze, flammende Augen in die Welt blickten, liegt in ihrem großen Schlafzimmer auf der Chaiselongue und sinnt und träumt. Der Kopf mit den dichten, üppigen, brünetten Haaren ist dabei leise auf die schmale, feine Hand gestützt. Frau Martha sinnt und träumt und vergißt darüber ganz, weshalb sie sich eigentlich hingelegt hat, bis es ihr wieder einfällt und bis sie dann darüber lächelt, während dabei aus dem kleinen feingeschnittenen Munde die Zähne in blendendem Weiß hervorleuchten. Ach so, ja richtig, sie hat doch einen kleinen Kater, einen richtigen kleinen Kater, denn sie hat gestern abend ganz entschieden ein Glas Sekt zuviel getrunken, vielleicht sogar zwei. Nur ein kleiner Kreis von Freunden und Bekannten hatte sich in ihren fast luxuriös eingerichteten Räumen eingefunden, um mit ihnen zusammen den Tag zu feiern, an dem sie sich vor drei Jahren geheiratet hatten, sie, die jetzige Frau Martha Arnsdorf und er, der Dr. phil. Hans Arnsdorf, der sich, trotzdem er erst dreißig Jahre zählte, schon in der Gelehrtenwelt, und zwar nicht nur in Deutschland, einen achtunggebietenden Namen errungen hat. Nur eine kleine Gesellschaft hatte sich eingefunden, nur wenige Gäste waren geladen, aber die hatten Frohsinn und gute Laune mitgebracht. Es war wirklich ein reizender Abend gewesen und nicht nur sie, sondern auch ihr Mann waren in ausgelassener Stimmung. Wie wenig man dem doch eigentlich den Gelehrten ansah. Unwillkürlich schweifen ihre Augen zu seinem Bild, das dicht neben der Chaiselongue auf einem kleinen Tisch steht: es zeigt einen großen, schlanken, tadellos angezogenen Herrn mit einem sehr klugen, intelligenten Gesicht, mit einem dichten, schwarzen Schnurrbart. Absolut kein Gelehrtenkopf, höchstens, daß die auffallend hohe Stirn den Denker und den geistigen Arbeiter andeutet. Er macht nach dem Bild eher den Eindruck eines Diplomaten, als eines Forschers, der ausgerechnet das Assyrische zu seinem Spezialstudium erwählte und über dieses Thema eine aufsehenerregende Arbeit veröffentlichte, die ihm einen ehrenvollen Ruf an das orientalische Seminar verschaffte.
Aber er hat das Anerbieten abgelehnt, er ist ein freier Mann und will es auch bleiben, weil er als freier Gelehrter mehr leisten zu können glaubt, als wenn seine Zeit und seine Kräfte durch ein Lehramt gebunden sind. Dazu kommt, daß er in den glänzendsten finanziellen Verhältnissen lebt. Wie oft hat er nicht scherzend zu ihr gesagt: „Nur ein reicher Mann kann sich den Luxus eines so brotlosen Studiums erlauben, wie ich es tat.”
Ja, er ist reich. Daß er sich in sehr guten Vermögensverhältnissen befinden mußte, hat sie ihm und seinen eleganten Koffern auf den ersten Blick angesehen, als er vor nunmehr reichlich drei Jahren die Fremdenpension aufsuchte, die ihre Mutter innehatte, um für sich und für sie den Lebensunterhalt zu verdienen, nachdem der Vater so plötzlich gestorben war und nur ein paar tausend Mark hinterließ, die gerade ausreichten, um die in bester Lage der Stadt befindliche Fremdenpension zu erstehen. Eine schwere Zeit hatte für die Mutter und sie begonnen. Wie oft hatten nicht die meisten Zimmer leergestanden und wieviel Arbeit hatte es nicht gegeben, wenn in guten Tagen alles besetzt war. Aber viel schlimmer, als die Arbeit war doch die Sorge und die beständige Furcht vor der Zukunft gewesen.
Bis dann das Glück kam, in dem Augenblick, als Dr. Hans Arnsdorf die Schwelle des Pensionates überschritt. Am Nachmittag war er angekommen, um, auf einer Vergnügungsreise begriffen, sich die Stadt anzusehen. Wie er es damals nannte, zu seinem Unglück, wie er später zu sagen pflegte, zu seinem Glück, fand er alle Hotels überfüllt, da gerade ein internationaler Kongreß in der Stadt tagte. Er war gezwungen, sich in einem Pensionat nach einem Zimmer umzusehen und einzig und allein der Zufall hatte ihn zu ihrer Mutter geführt. Als er mietete, erklärte er, höchstens drei Tage bleiben zu wollen, statt dessen blieb er drei Wochen, ohne auch nur mit einer Silbe anzudeuten, weshalb er seinen Aufenthalt solange ausdehnte. Und selbst ihr gegenüber hatte er sich so zu verstellen gewußt, daß sie tatsächlich aus den Wolken fiel, als er eines Tages um ihre Hand anhielt und ihr erklärte, fortan ohne sie nicht mehr leben zu können. Ihre Schönheit mußte es ihm angetan haben, nur ihr Äußeres, denn wie wenig hatten sie doch eigentlich zusammen geplaudert.
Und sie nahm seinen Antrag an. Ob sie ihn liebte? Danach fragte sie gar nicht, aber es wäre ja ein Wahnsinn gewesen, die glänzende Partie auszuschlagen, die nicht nur sie, sondern auch die Mutter für alle Zeiten der Sorge enthob. denn es war nach seinen Worten selbstverständlich, daß die sofort das Pensionat aufgab und fortan von seiner sehr stattlichen Rente lebte, die er ihr bis zu ihrem Lebensende großmütig zur Verfügung stellte.
Wie ein Traum, wie ein Märchen, war ihr damals alles erschienen, es war ja fast zu schön, um wahr zu sein. Aber es war wahr und blieb es auch. Das Glück war gekommen, aber schöner noch als das Glück war doch der Triumph, den sie über ihre früheren Freundinnen davontrug. Wie schnell hatten sie sich von ihr zurückgezogen, als der Vater starb, als die Not sie zwang, für das tägliche Brot zu arbeiten. Da kannten die meisten Freundinnen von ehemals sie plötzlich nicht mehr, kaum, daß sie noch ihren Gruß auf der Straße erwiderten. Sie erriet deren Gedanken, daß man jetzt nicht mehr mit ihr verkehren könne, denn sie half doch auch in der Küche, wusch für fremde Leute Teller und Tassen auf, fragte sogar nach den Wünschen der Gäste, wenn diese klingelten und wenn das Mädchen gerade nicht zur Stelle war. Für die früheren Freundinnen war sie weiter nichts, als ein besseres Hausmädchen geworden, und nun diese Genugtuung. Und wie die Freundinnen nun plötzlich wieder alle zu ihr kamen, um zu gratulieren, vor allen Dingen aber, wie die Neugierde sie herbeiführte, um Näheres zu erfahren und wie der Neid sie alle fragen ließ, ob ihr Verlobter denn wirklich so reich sei. Die Zeitung hatte die Verlobung veröffentlicht, nicht nur in den Annoncen, sondern auch in dem redaktionellen Teil hatte eine Notiz gestanden, daß der in der ganzen Gelehrtenwelt bekannte Dr. Hans Arnsdorf, der außerdem einer der reichsten und angesehensten schlesischen Familie angehöre, sich mit ihr verlobt habe. Der Neid ließ die Freundinnen fragen, während sie zugleich im stillen hofften, es möchte mit dem Reichtum nicht allzu weit her sein. Aber als sie dann die Perlenkette sahen, die er ihr als Verlobungsgeschenk um den Hals legte, da wußten die anderen, daß die Zeitungsnotiz nicht gelogen hatte und sie verdoppelten ihre Glückwünsche. Aber die Herzen wußten nichts davon, was die Lippen sprachen.
Und der Refrain war immer gewesen: Wie glücklich mußt du sein.
Ja, sie war es gewesen und sie war es geblieben bis auf diesen Tag, denn nachdem das erste Erstaunen, das erste Verwundern über die unerwartete Wendung ihres Lebens sich gelegt hatte, da begann auch ihr Herz zu sprechen und sie fing an, ihren Mann zu lieben, nicht nur aus Dankbarkeit, für all die zahllosen Aufmerksamkeiten, die er ihr erwies, sondern weil sie ihn wirklich liebte, ebenso heiß und leidenschaftlich wie er sie.
Das gesteht sie aich auch jetzt wieder, währnd sie immer noch in den Anblick seines Bildes versunken vor sich hinträumt. Sie liebt ihn und sie wird nie aufhören, ihn zu lieben, denn wenn eine Frau liebt — — —
Gewiß, die Frauen waren ja verschieden und wenn alle Frauen, die lieben, mit ihrer Liebe nie aufhören würden, dann gäbe es ja gar keine unglücklichen Ehen auf der Welt. Und die gibt es doch zur Genüge, selbst in ihrem großen Bekanntenkreise gibt es genug Ehen, in denen sich die Gatten nur deshalb nicht scheiden lassen, weil sie einen gesellschaftlichen Skandal befürchten oder weil finanzielle Interessen sie zusammenhalten.
Wie oft hat sie nicht mit ihrem Mann darüber gesprochen und ihn gefragt, wie es nur möglich sei, wie die Liebe sich so mit der Zeit in Gleichgültigkeit, ja, sogar in offene Feindschaft verwandeln könne und sie hat darauf immer nur die eine Antwort gefunden, daß bei solchen Eheleuten gleich von Anfang an die wahre Liebe überhaupt nicht bestanden habe. Sie aber hat ihren Mann von der ersten Minute an geliebt. Nein, das nicht, aber als sie sich nach sehr kurzer Brautzeit heirateten, da hat ihr Herz nach weiteren vier Wochen zu sprechen begonnen. Und das gesteht sie sich immer wieder, wenn sie es nicht genau gewußt hätte, daß sie ihren Mann einmal über alles lieben würde, dann hätte sie ihn niemals geheiratet, trotz seines Reichtumes nicht, dann hätte sie lieber mit ihrer Mutter weiter zusammen bis an ihr Lebensende Zimmer vermietet und für andere Leute Teller und Tassen aufgewaschen.
Der Reichtum allein macht doch wirklich nicht glücklich. Das hat sie sich solange eingeredet, bis sie es schließlich glaubt, das auch schon deshalb, weil sie sich inzwischen so an den Luxus, der sie umgibt, gewöhnt hat, daß sie ihn gar nicht mehr als solchen empfindet, ja, daß sie ihn kaum noch bemerkt.
Und sie begreift es tatsächlich nicht, wie man sie wegen des Reichtums, in dem sie lebt, beneiden kann. Aber trotzdem erfüllt es sie mit stiller Genugtuung, daß sie beneidet wird. Am liebsten aber hört sie es, wenn man sie um ihren Mann beneidet und wenn man zu ihr sagt: Wie glücklich müssen Sie sein, daß sie einen so berühmten Gatten haben, mit welchem Stolz muß es sie erfüllen, daß Sie teilnehmen dürfen an seinem geistigen Schaffen, daß er Sie als erste in alles einweiht, was ihn beschäftigt und was dann später die ganze Gelehrtenwelt immer wieder von neuem in Erstaunen versetzt.
Ja, sie hat auch teil an seiner Arbeit. Zuerst allerdings hat sich das darauf beschränkt, daß sie in seinem Arbeitszimmer weilen mußte, während er an seinem Schreibtisch saß. Leise und unhörbar, um ihn nicht zu stören, beschäftigte sie sich dann mit einer Handarbeit oder las ein Buch, bis er von seiner Arbeit aufblickte, um ihr freundlich zuzunicken. Das war die Zeit, in der sie begriff, daß er sie zunächst nur ihrer Schönheit wegen begehrt hatte, bis dann auch er anfing, sie mit dem Herzen zu lieben.
Aber wenn Frauen lieben, wollen sie nicht nur ihres hübschen Gesichtes wegen, sondern um ihrer selbst willen geliebt sein.
Und aus Liebe zu ihm hatte sie begonnen, ein Interesse für seine Arbeit zu zeigen, das zunächst erheuchelt und erlogen war, es auch sein mußte, weil sie von der Runenschrift der alten Assyrier nicht das geringste verstand, weil sie von der Schulzeit her kaum noch wußte, wo und wie die alten Assyrier gelebt hatten. Mit Hilfe des Atlas und des Konversationslexikons verschaffte sie sich wenigstens die notwendigsten Kenntnisse und glaubte dann genügend vorbereitet zu sein, um seinen Arbeiten folgen zu können. Und sie verstand, nicht nur sich, sondern auch ihn zu täuschen, daß er tatsächlich anfing, mit ihr über alles zu sprechen. Frau Martha besaß die vielen Frauen eigene Gabe, viel klüger zu erscheinen, als sie es tatsächlich war und sie ließ es sich gern gefallen, daß er sie, nicht nur, wenn sie allein waren, sondern auch, wenn sie sich in Gesellschaft befanden, seine Mitarbeiterin nannte, ja, sie redete sich sogar ein, dieses Lob ehrlich zu verdienen.
Wenn Frauen lieben, interessieren sie sich für alles, was den Mann betrifft, aber am meisten interessieren sie sich trotzdem für Kleider und Hüte.
Und plötzlich fällt es Frau Martha ein, daß sie zu ihrer Modistin muß. Die hat ihr, als ihrer besten Kundin, telephonisch mitteilen lassen, daß am Morgen die neuesten Pariser Hüte angekommen wären. Es ist ihr Vorrecht, aus jeder Sendung, bevor sie den anderen Damen gezeigt wird, ihre Auswahl zu treffen, schon deshalb, weil sie grundsätzlich keinen Hut trägt, den eine andere Dame, wenn auch nur zum Aufprobieren, schon auf dem Kopfe gehabt hat.
Der kleine Sektkater, der inzwischen verflogen ist, trägt die Schuld daran, daß sie die Modistin beinahe vergessen hätte. Nun aber ist es die höchste Zeit und so erhebt sie sich denn von der Chaiselongue, um nach der Zofe zu klingeln und um nach dem Stall hinüber zu telephonieren. Rasch wirft sie einen Blick ins Freie, ob das Wetter gut genug ist, selbst den Dogcart zu lenken, oder ob sie doch lieber das geschlossene Kupee anspannen lassen soll. Die Eitelkeit entscheidet für den Dogcart, die Klugheit für das Kupee. Was soll sie tun?
Die Frage ist nicht leicht zu entscheiden. Frau Martha überlegt und macht eine unwillige Miene, als sie bei diesem Nachdenken gestört wird, sie hört näherkommende Schritte, aber ihr Gesicht nimmt den Ausdruck wirklicher Freude an, als plötzlich ihr Mann bei ihr eintritt. Die Störung läßt sie sich gern gefallen. Wie hübsch er ist, noch viel hübscher als auf dem Bild und wie zärtlich und verliebt seine hellbraunen Augen aufblitzen, als er seine Frau nun an sich zieht, um ihr zu sagen: „Ich mußte mich doch mal nach dir umsehen, Darling, wie geht es dir denn jetzt, hast du deinen Kater verschlafen? Ich hoffe es, denn ich komme mit einer großen Bitte zu dir.”
„Und die wäre?” fragt sie neugierig, um dann sofort liebenswürdig hinzuzusetzen: „Du gibst mir soviel und verlangst leider so selten etwas von mir, daß ich wohl nicht erst nötig habe, dir zu sagen, daß die Bitte, die du an mich richten willst, im voraus erfüllt ist.”
Wieder blitzt es in seinen hübschen Augen freudig auf, dann sagte er: „Ich danke dir, Darling, und die Bitte, die ich auf dem Herzen habe, ist auch nicht so groß, wie du vielleicht befürchtest. Es handelt sich lediglich darum, daß du mir jetzt zwei oder drei Stunden deiner Zeit opferst. Ich bin bei dem Studium eines alten assyrischen Papyrus auf eine Stelle gestoßen, deren Sinn mir nicht klar wird. Das liegt einzig und allein daran, daß du heute nicht in meinem Arbeitszimmer auf deinem gewohnten Platz sitzt, daß meine Augen vergebens mehr nach dir ausschauen, als daß sie intensiv die alte Handschrift betrachten.”
Er spricht noch eine ganze Weile weiter, aber Frau Martha hört gar nicht hin auf das, was er ihr erzählt, sie freut sich nur, daß er so lange spricht. Das gibt ihr Zeit und Gelegenheit, sich zu sammeln. Die Bitte hatte sie nicht erwartet, heute am allerwenigsten, heute, wo er es zwar nicht weiß, aber es sich doch denken konnte, daß die Putzmacherin sie antelephonierte. Er muß ihr doch angesehen haben, daß sie im Begriff stand, nach der Zofe zu klingeln und wenn er sich darauf verstände, nicht nur in alten assyrischen Schriften zu lesen, sondern auch in den Zügen einer Frau, da müßte er es doch auf den ersten Blick erraten haben, daß sie im Begriff stand, sich neue Hüte zu kaufen. Denn das weiß doch jeder Mann, wenn eine Frau sich in ihren Gedanken mit der Modistin beschäftigt, macht sie ein ganz anderes Gesicht als sonst. Dann sind ihre Züge verklärt, wie die eines Komponisten oder eines Dichters, den seine Muse auf die Stirn geküßt hat.
Wie wenig kennt doch der eigene Mann seine Frau und wie dumm, wie unglaublich dumm war sie, die Erfüllung der Bitte zuzusagen, bevor sie die Bitte kannte.
Und sie schwört sich im stillen, das in Zukunft niemals wieder zu tun.
Aber da sie heute ja gesagt hat, muß sie das Versprechen auch halten. Leider!
So sagt sie denn jetzt, als er nun schweigt und sie fragend ansieht, mit ihrer zärtlichsten Stimme: „Wie ist es lieb von dir, daß du dich auch heute noch, wo wir doch schon so lange verheiratet sind, selbst bei der Arbeit nach mir sehnst, daß ich dir auch da fehle.”
Zärtlich legt er seinen Arm um sie: „Ich habe dich doch lieb, Darling.”
„Das gehört sich aber auch so,” neckt sie ihn, „denn wenn eine Frau ihren Mann so lieb hat, wie ich dich — — —”
Mitten im Satz hält sie plötzlich inne, denn sie kommt zu der Erkenntnis, daß sie in diesem Augenblick ihren Mann gar nicht lieb hat und sie spricht nicht weiter, um ihn nicht zu belügen, vor allen Dingen aber auch deshalb nicht, weil er es gar nicht verdient, daß sie ihm ihre Liebe gesteht.
Die Männer sind alle so entsetzlich egoistisch, ihr Hans auch, denn sonst würde er doch nicht von ihr verlangen, daß sie ihm in seinem Schreibzimmer Gesellschaft leistet, während bei der Putzmacherin die neuesten Pariser Hüte auf sie warten.
Nur nicht daran denken!
Aber sie denkt doch daran, als sie wenig später an ihrem gewohnten Platz sitzt, während er sich wieder vor seinem Schreibtisch niedergelassen hat. Sie sieht es ihm an, wie es hinter seiner hohen, klaren Stirn arbeitet, wie sein Verstand angestrengt nachdenkt und grübelt und wie er der Gegenwart ganz entrückt ist, bis er dann doch plötzlich von dem Papyrus aufsieht und ihr einen Blick voller Liebe zuwirft.
Und wie eine Schauspielerin auf ihr Stichwort, so muß sie auf diesen Blick aufpassen, damit sie ihn nicht verpaßt, damit sie ihm wieder zunickt, aufmunternd und ihn anfeuernd, ihn zugleich aber beruhigend: Ja, ja, ich bin da und bleibe ruhig hier sitzen, denn ich habe dich doch lieb und wenn Frauen lieben — — —”
Ob die Putzmacherin wohl mit dem Auslegen der Hüte warten wird, bis sie heute gegen Abend oder sonst spätestens morgen vormittag ihre Wahl getroffen hat, oder ob sie die Hüte schon heute in das Schaufenster stellt? Und ob wohl andere Damen ihr mit dem Einkauf zuvorkommen? Nein, das darf nicht sein und wenn sie sich nur vorstellt, daß zum Beispiel diese Frau von Brandeburg, die ihr sowieso alles nachmacht und die sie auf das genaueste kopiert, soweit das ihr bei ihrer Figur möglich ist, nein, schön ist die Frau nicht mehr, seitdem sie das letzte Kind bekam, darüber sind sich alle Damen einig, die Brandeburg hat zu starke Hüften behalten, das sieht man ganz deutlich, wenn sie auch noch so sehr versucht, sich die wegzuschnüren. Auch ihr Gesicht ist nicht mehr annähernd so hübsch wie früher. Das Kinderkriegen hat doch seine großen Schattenseiten. Gewiß, sie selbst wünscht sich ja auch leidenschaftlich ein Kind, schon weil ihr Mann den Himmel täglich darum bittet und schon weil sie ihren Mann so liebt, wünscht sie es sich auch. Aber vielleicht werden die Gebete ihres Mannes nur deshalb nicht erhört, weil auch sie den Himmel täglich darum bittet, ihr wenigstens vorläufig noch keine Kinder zu schenken. Sie will ihre Figur nicht verändern und wenn sie sich vorstellt, daß auch sie vielleicht einmal so starke Hüften haben soll, wie die Frau von Brandeburg und wenn sie sich nur ausmalt, daß die ihr vielleicht bei der gemeinsamen Modistin die schönsten Pariser Hüte vor der Nase wegschnappt — — —”
Diese Vorstellung erregt sie so, daß sie um ein Haar den Blick ihres Mannes nicht aufgefangen und ihn nicht erwidert hätte: mit Liebe in den Augen, mit Zorn und Wut im Herzen.
Gewiß, sie liebt ihren Mann über alles und doch, in dieser Minute haßt sie ihn.
Wenn er nur eine Ahnung hätte, was für sie auf dem Spiel steht. Sicher, dann würde er sie freigeben, es nicht von ihr verlangen, daß sie bei ihm sitzt. Aber sie kann es ihm nicht sagen, es würde ihn betrüben, wenn sie ihn verließe, wenn sie ihm überhaupt auch nur indirekt zu verstehen gäbe, meine Hüte interessieren mich viel mehr, als deine alten Assyrier.
Und zum erstenmal gesteht sie sich offen und ehrlich ein, daß sie für die überhaupt niemals wirkliches Interesse empfand, daß sie das nur heuchelte, aus Liebe zu ihrem Mann und um in der Gesellschaft als kluge und interessante Frau zu erscheinen.
Eine Frau, die keine Gelegenheit hat, sich zu verstellen, ist unglücklich, aber trotzdem zürnt sie jetzt ihrem Mann, weil er sie zwingt, sich zu verstellen.
Wenn eine Frau liebt, dann tut sie freiwillig alles für diesen Geliebten, selbst wenn er ihr eigener Mann ist. Aber wenn sie dazu gezwungen wird?
Und langsam und allmählich dämmert ihr die Erkenntnis: Der Zwang ist der Tod einer jeden Liebe.
Ob die Putzmacherun wohl daran gedacht hat, für sie den Hut mitkommen zu lassen, den sie kürzlich in einem Modejournal sah und den sie ihr zu besorgen auftrug?
Wieder wirft ihr Gatte ihr einen zärtlichen Blick zu, den sie ebenso erwidert, bis sie das dann plötzlich albern und kindisch findet. Unwillkürlich denkt sie jetzt zurück an ihre Kindheit, da mußte ihre Mutter auch immer bei ihr sitzen, bis sie ihre Schularbeiten fertig hatte.
Aber du großer Gott, sie ist doch keine Mutter und ihr Mann ist doch kein Kind, das morgen nachzusitzen braucht, wenn es sein Pensum am Tage vorher nicht richtig zu Hause gelöst hat.
Und schließlich hat sie ihren Mann doch nicht geheiratet, um ihre ganze Zeit in seinem Studierzimmer zu verbringen.
Es ist ja sehr schmeichelhaft für sie, daß er am besten arbeitet, wenn sie bei ihm sitzt und es ist ja auch sehr schön, von den anderen deswegen beneidet zu werden, aber wenn die Fernstehenden wüßten, wie dieses „Glück” in Wirklichkeit aussieht, sie würden sich schön dafür bedanken und sie täte es auch, wenn sie ihren Mann nicht so liebte.
Aber warum liebt sie ihn eigentlich so? Ist es nicht rücksichtslos von ihm, sie hier so oft nur seinetwegen in seinem Zimmer einzusperren und ihr die Bewegungsfreiheit zu rauben. Denkt er nicht daran, daß sie nicht nur hübsch und elegant, sondern auch jung und lebenslustig ist, daß es auch ihr Freude macht, spazierenzufahren, Tennis zu spielen, sich, natürlich in allen Ehren, den Hof machen zu lassen, das Leben so zu genießen, wie es sich für eine Dame der Gesellschaft gehört.
Statt dessen muß sie hier sitzen und sie beide nicken sich gegenseitig zu, als wären sie zwei Pagoden. Da kann er sich doch ebensogut eine nickende Porzellanfigur anschaffen.
Wenn zwei Menschen sich lieben, dann hat alles seinen poetischen Reiz, jeder Blick, jedes Wort, jeder Händedruck, jedes leise, verstohlene Zeichen. Sobald aber die Liebe nur ein klein wneig nachläßt, erscheint das früher Poetische dumm, albern und kindisch.
Da nickt er ihr schon wieder zu! Wenn er doch nur endlich damit aufhören wollte, diese Nickerei fängt schon an, sie ganz nervös zu machen und es hindert sie, in aller Ruhe ihren Gedanken nachzuhängen. Du großer Gott, das kann man als Frau doch wenigstens verlangen, daß man nicht sogar im Nachdenken fortwährend gestört wird. Aber alle Männer sind ja so rücksichtslos, der eigene Mann ist es oft am meisten, wenn auch nur aus Liebe.
Frau Martha wirft einen Blick auf die Uhr. Es ist schon fünf und um elf hat die Putzmacherin telephoniert. Hätte sie sich wohl gefühlt, wäre sie natürlich gleich zu ihr gefahren, aber heute lag sie um elf noch im Bett. Das kam von dem Sekt. Wenn sie den doch nur nicht getrunken hätte! Und überhaupt, wozu war denn die ganze gestrige Feier gewesen? Das will sie ja nicht leugnen, es war sehr hübsch, sie hat sich auch herrlich amüsiert, aber muß denn jedes Jahr der Hochzeitstag so gefeiert werden? Daß man verheiratet ist, weiß man doch auch so, wenn man sich liebt und wenn man sich nicht liebt, braucht der Tag erst recht nicht festlich begangen werden. Gewiß, sie liebt ihren Mann und er liebt sie, aber die Gesellschaft war trotzdem ein Unsinn, sie hatte Kopfschmerzen und auch ihr Mann scheint heute nicht so geistig frisch zu sein, wie gewöhnlich, denn sonst würde ihm seine Arbeit nicht soviel Kopfzerbrechen machen.
Und plötzlich bildet sie sich ein, wieder Kopfschmerzen zu haben. Sie sehnt sich hinaus nach der frischen Luft und nirgends ist die Luft so frisch und erquickend wie in einem Hutgeschäft!
Und abermals nickt ihr Mann ihr zu, diesesmal aber freudestrahlend, mit einem ganz verklärten Gesicht, um gleich darauf aufzuspringen und sie voller Zärtlichkeit in die Arme zu schließen, während er zugleich ausruft: „Habe ich es dir nicht gesagt, Darling, daß mir nur deine Nähe fehlt? Jetzt ist das Rätsel gelöst, jetzt weiß ich auch, warum ich vorhin nicht zum Ziele kam, warum mir der Sinn dieser Stelle unverständlich blieb.”
Lang und ausführlich setzt er ihr auseinander, warum er den dunklen Sinn der Schrift erst jetzt begriff und nun, da sie den frohen Blick in seinen Augen bemerkt, ist sie nicht nur stolz darüber, daß ihre Gegenwart ihm zum Sieg über den toten Buchstaben verhalf, sondern sie freut sich sogar darüber. Doch nur für einen kurzen Augenblick, denn in diese Freude hinein mischt sich die Erkenntnis, daß sie diese Freude teuer erkauft hat.
Und was dann, wenn die Modistin inzwischen die neuesten Pariser Hüte verkauft hat?
Das wäre gar nicht auszudenken und wenn doch — niemand anders als ihr Mann wäre daran schuld und so wirft sie dem jetzt einen Blick zu, der alles andere enthält, aber nur keine Liebe. Nur ein wahres Glück, daß er diesen Blick nicht bemerkt. Zuerst ist sie im stillen empört, daß er diesen Blick nicht auffängt, daß er es nicht sieht, wie sie über ihn denkt, vielmehr wie sie über ihn denken würde, wenn — — aber trotzdem ist es vielleicht besser, daß ihr Mann nichts gemerkt hat, denn sie liebt ihren Mann doch, und wenn Frauen lieben, dürfen sie den Männern keine Gelegenheit geben an ihrer Liebe zu zweifeln, denn die Männer sind ja doch so kleinlich. Sie machen aus jeder Mücke einen Elefanten und nehmen alles so furchtbar ernst und tragisch, wenigstens das, was ihre Frauen tun, während sie bekanntlich ihre eigenen Streiche sehr milde beurteilen.
Nein, nur gut, daß er ihren Blick nicht sah, das auch schon deshalb, weil sie ihn noch liebt und ihn auch immer lieben wird, wenn er es in Zukunft nicht so oft von ihr verlangt, daß sie bei ihm sitzt, während er arbeitet und vor allen Dingen, wenn die Modistin inzwischen die schönen Hüte nicht verkauft hat.
Aber als sie eine Stunde später endlich bei nder Putzmacherin vorfährt, sind die Hüte verkauft. Die Modistin hat nicht geglaubt, daß die gnädige Frau heute noch kommen würde und zum Unglück ist gerade Frau von Brandeburg erschienen, als die Hüte ausgepackt wurden. Es ist der Modistin nicht leicht geworden, die Hüte einer anderen Dame zu verkaufen, ganz gewiß nicht, aber Frau von Brandeburg hat sich bereit erklärt, jeden Preis zu zahlen und schließlich konnte sie, die Modistin, doch auch nicht wissen, für welche Hüte sich die gnädige Frau entscheiden würde.
Die Putzmacherin spricht noch viel, um ihre beste Kundin zu beruhigen, um ihr zu beweisen, daß sie als Geschäftsfrau gar nicht anders handeln konnte, als sie es tat. Frau Martha hört aus alledem nur das eine heraus, daß eine ihrer besten Freundinnen, die zugleich ihre schlimmste Feindin ist, ihre Hüte tragen wird und daß sie sich ihre Hüte gekauft hat.
Es dauert lange, bis sie das Entsetzliche zu fassen vermag, bis ihr die Tatsache in allen Einzelheiten klar wird. Die Hüte sind fort, wenigstens die elegantesten und die teuersten. Die Brandeburg hat sich gleich zwölf auf einmal gekauft. Gewiß, die Auswahl ist auch jetzt noch groß, aber das Beste ist weg und Frau Martha müßte nehmen, was die Rivalin liegen ließ, weil es ihr nicht gefiel.
Und was der nicht gefiel, das soll Frau Martha sich jetzt auf den Kopf setzen und damit zum Gespött der ganzen Stadt herumlaufen? Und mit einem der übriggebliebenen Hüte auf dem Kopf soll sie der Frau von Brandeburg gegenübertreten, während diese die Hüte trägt, die sie selbst tragen wollte? Und sie soll sich von der Brandeburg womöglich noch spöttisch und ironisch sagen lassen: wie entzückend ihr Hut wäre und wie reizend der ihr stände.
Wenn das Morden erlaubt wäre, dann hätte Frau von Brandeburg in diesem Augenblick ihr Leben verwirkt.
Aber Frau Martha darf nicht morden und dennoch, irgend etwas muß geschehen. Etwas ganz Großes! Frau Martha weiß nur noch nicht was, aber das wird ihr schon einfallen, wenn sie erst wieder zu Hause ist. Hier verwirrt sie der Anblick der vielen Hüte, unter denen die ihrigen fehlen.
Endlich hält der Wagen wieder vor ihrem Hause und nur mit einem gewissen Widerstreben überschreitet sie die Schwelle. Was nützt ihr diese luxuriöse Villa, wenn sie keinen dazu passenden Hut aufzusetzen hat?
Und wer ist daran schuld, daß sie diesen Hut und diese Hüte nicht hat? Ihr Mann, einzig und allein ihr Mann.
Und den hat sie geliebt? Den hat sie aus Liebe geheiratet?
In ihrer Empörung über diese Frau von Brandeburg lacht Frau Martha spöttisch und geringschätzend auf. Was heißt „aus Liebe”! Und wie gering muß die Liebe ihres Mannes sein, daß er sie mit seinen Schrullen und Launen in sein Arbeitszimmer fesselt, denn es sind nur Schrullen und Launen, er aber nennt das Liebe!
Frau Martha lacht von neuem, bis sie dann abermals voller Zorn an Frau von Brandeburg denkt. Aber sie ist gerecht genug, einzusehen, daß sie eigentlich gar nicht die Schuldige ist. Wer zuerst kommt, der kauft zuerst und sie hätte an Stelle der Rivalin auch nicht anders gehandelt, im Gegenteil, sie hätte vielleicht sogar alle Pariser Hüte gekauft, ganz einerlei, ob sie ihr ständen oder nicht, nur, damit die andere überhaupt keine Pariser Hüte vorgedunden hätte.
Wenn man gerecht war, konnte man Frai von Brandeburg gar nicht verdammen.
Frau Martha redete sich ein, gerecht zu sein und gerade weil sie es nach ihrer Meinung ist, gibt sie ihrem Mann einzig und allein die Schuld, nur ihm.
Und den Mann hat sie geliebt und den wird sie immer weiter lieben? Gewiß, wenn Frauen lieben, dann lieben sie ewiglich, aber doch nur, wenn sie lieben und wenn der Mann dessen würdig ist.
Ob ihr Mann das ist, wird sich zeigen, auf jeden Fall ist er ihr eine glänzende Genugtuung schuldig.
Und die gewährt er ihr, als sie ihm bei dem Abendessen ihr Leid klagt. Es wird ihm zwar nicht ganz leicht, sich in die Seele seiner Frau hineinzuversetzen, er begreift es auch nicht, daß dieser Vorfall sie so zu erregen vermag, er findet das nur lächerlich und komisch. Es gibt doch so viele Modistinnen in der Stadt, findet man bei der einen nicht, was man sucht, dann geht man zur anderen. Es will ihm auch nicht in den Sinn, daß man als elegante Frau nur Hüte tragen kann, die ausgerechnet bei dieser einen Modistin gekauft sind, nicht, weil diese einzig und allein die elegantesten Hüte hat, sondern weil sie die teuerste ist. Wäre die Frau billig, dann könnte man ganz einfach nicht mehr bei ihr kaufen, dann wäre das eine Unmöglichkeit, aber da diese Modistin Phantasiepreise hat, muß man bei ihr kaufen, schon, um die etwaige Frage: Wo haben Sie diesen wundervollen Hut gekauft? dahin beantworten zu können, daß man sagt: Selbstverständlich bei Frau Elvira. —
Frau Marthas Gatte vermag das alles nicht so recht einzusehen, aber das liegt natürlich nur an ihm, in der Hinsicht ist er vielleicht doch zu sehr Gelehrter, zu wenig Weltmann, aber das ist ja auch einerlei. Er sieht es, daß seine Frau mehr als verstimmt ist, er muß ihr beistimmen, daß ihr Gatte mit Schuld daran hat, daß seine Frau zu spät zu der Modistin kam, er fühlt es ihr auch nach, daß sie ärgerlich darüber ist, daß sie nicht die schönsten, nein, die teuersten Hüte tragen wird und so beeilt er sich denn, sie in ihrem Kummer zu trösten. Und abermals ertönt aus dem Munde seiner Frau die klagende Frage: „Du mußt mir raten und helfen, was mache ich da nur?”
„Was du da machst,” gibt er zur Antwort, „etwas sehr Einfaches. Wir lassen unsere Koffer packen, meinetwegen noch heute, sonst morgen, wir fahren ein paar Tage nach Paris und du kaufst dir dort so schöne Hüte, daß deine Freundin und Feindin vor Neid platzt.”
Mit einem Freudenschrei springt Frau Martha auf und eilt auf ihren Mann zu, um den zu küssen und um ihm zu danken. Wie klug er ist und wie lieb er sie haben muß. Und wie lieb sie ihn erst hat! Jetzt weiß sie, was sie sich da vorhin einredete, war Unsinn, momentane Stimmungssache. Sie liebt ihren Mann noch genau so wie früher und wird niemals aufhören, ihn zu lieben, besonders nicht, wenn die Brandeburg tatsächlich vor Neid plätzt.
Und die soll platzen!
Aber in das erste Glücksgefühl mischen sich schnell bange Zweifel. Was dann, wenn sie in Paris doch nicht die richtigen Hüte findet, wenn auch dort schon das Neueste und Eleganteste ausverkauft ist? Was dann, wenn sie trotz der Pariser Einkäufe später bei Frau von Brandeburg einen Hut entdeckt, der ihren Neid erregt, weil sie sich eingestehen muß, gerade der würde mir ausgezeichnet stehen, viel besser als alle anderen Hüte, die ich mir in Paris aussuchte.
Und vor allen Dingen soll sie der Freundin den Triumph gönnen, daß die in der ganzen Stadt herumerzählt: ich habe hier so viele Hüte gekauft, daß der schönen Frau Martha nichts anderes übrigblieb, als nach Paris zu fahren, um für die bevorstehende Saison überhaupt einen anständigen Hut zu finden?
Ja, wenn die Modistin schwiege, wenn die der Frau von Brandeburg nichts davon erzählen würde, daß sie heute nachmittag vergebens da war. Dann war der Triumph auf ihrer Seite, dann konnte sie sagen: Um besonders elegant zu sein, habe ich mir dieses mal die Hüte aus Paris geholt.
Ja, wenn die Modistin schwiege! Und plötzlich steht es bei ihr fest, die muß schweigen. Nicht einen Fuß wird sie mehr in das Geschäft setzen, wenn die Frau verrät, daß sie bei ihr war. So entschuldigt sie sich denn bei ihrem Gatten und eilt schnell an das Telephon, aber sie kommt mit ihrer Bitte zu spät.
Frau von Brandeburg weiß bereits, daß sie da war, die hat das Geschäft nochmals betreten, als sie selbst eben fortgefahren war und mit angehaltenem Atem lauscht Frau Martha voller Entsetzen, was die Modistin ihr weiter erzählt: Frau von Brandeburg ist am Nachmittag nochmals gekommen, um wegen einer Änderung der Hutgarnitur Rücksprache zu nehmen, sie hat Frau Martha fortfahren sehen und sich natürlich erkundigt, was sie, Frau Martha, als sie keine der teuren Hüte mehr vorfand, gesagt habe. Ebenso natürlich habe sie, die Modistin, der Gnädigen erklärt, Frau Martha habe diese Nachricht voller Ruhe und Gleichgültigkeit entgegengenommen, aber ebenso natürlich habe das Frau von Brandeburg nicht geglaubt und sie, die Modistin, habe dann auch schließlich zugeben müssen, daß Frau Martha tatsächlich ein klein wenig verstimmt gewesen sei. Nicht viel, sondern nur ein klein wenig und auch das nur für flüchtige Sekunden. Und die Modistin schließt mit der Bitte, ihr nicht böse zu sein, aber Frau Marthas Erregung habe auch sie nervös und erregt gemacht und aus dieser Erregung heraus habe sie sich nicht verstellen und nicht so lügen können wie sonst. „Denn lügen muß man in unserem Beruf, gnädige Frau, man muß furchtbar lügen, nicht nur, wenn die Ehemänner kommen und unbedingt wissen wollen, was ihre Damen schuldig sind, sondern erst recht, wenn die Damen untereinander neugierig sind, was dieser oder jener Hut gekostet hat.”
Was geht das alles Frau Martha an? Mag die Modistin lügen soviel sie will, noch dazu, wenn es zu ihrem Beruf gehört, die wird sich die Lügen auch schon ganz gehörig bezahlen lassen, die schlägt sie gleich mit auf die Hutpreise. Hundert Mark kostet der Hut und hundertfünfzig Mark berechnet sie sicher für die mit dem Verkauf dieses Hutes verbundenen Lügen. Na wenn schon!
Frau Martha legt den Hörer auf den Apparat und klingelt ab, dann aber tritt sie auf ihren Mann zu, sieht diesen groß und fragend, zugleich aber auch tadelnd und vorwurfsvoll an, um dann zu sagen: „Was nun?”
Als Napoleon aus Rußland fliehen mußte, nachdem sein Heer vernichtet und geschlagen war, als er im Schlitten durch Deutschlands Lande eilte, um wieder nach Paris zu gelangen, da kann selbst der sich die Frage „Was nun?” nicht schwerer und banger vorgelegt haben, als es Frau Martha in diesem Augenblick tut.
Und ganz deutlich klingt es aus ihren Worten hervor, daß es noch nie, solange die Welt besteht, eine Situation gegeben hat, die so verzweifelt war, wie die ihrige.
Aber dieses Mal bleibt ihr Mann ihr die Antwort schuldig, weil er als Mann die Größe ihres Unglücks nicht zu begreifen vermag. Und Frau Martha gesteht es sich ein, sie hat ihn vorhin überschätzt, er ist gar nicht so klug, wie sie glaubt, wenigstens nicht in modernen Dingen und seine Liebe zu ihr ist auch nicht grenzenlos, denn wenn er sie wirklich so über alles liebte, dann müßte er doch Rat wissen.
Aber er weiß keinen und sie auch nicht.
Die Stille in der Dunkelheit der Nacht wird und muß ihr die Erleuchtung bringen. Nichts ist falscher, als zu glauben, die Nacht sei zum Schlafen und zum Ausruhen. Dafür sind die Tage gut. Es schläft sich nirgends, wenn auch nur geistig, so schön, wie auf Gesellschaften. Wirklich vereinsamt ist man nur, wenn man nicht allein ist.
Man kann schon deshalb des Nachts oft nicht schlafen, weil wir uns viel zu gut mit uns selbst unterhalten und weil wir dem so gern zuhören, was wir uns erzählen.
Die Nacht ist die Stunde der Erkenntnis, daß die anderen Menschen im Vergleich mit uns doch alle sehr dumm sind.
Als es in der Nacht drei Uhr schlägt, ist auch Frau Martha zu dieser Erkenntnis gelangt und wenn sie ihren Mann in der Dunkelheit auch nicht sieht, wenn er so leise schläft, daß sie nicht einmal seinen Atem hört, sie weiß ja doch, in welcher Gegend er liegt und nach dieser Gegend hin wirft sie einen halb mitleidsvollen, halb spöttischen Blick, der da sagt: „Wir Frauen sind doch viel klüger.”
Und sie ist stolz auf den Ausweg, den sie da gefunden hat. Sie wird mit ihrem Mann und selbstverständlich auch mit ihrer Zofe nach Paris fahren, sie wird sich dort die teuersten und schönsten Hüte entweder fertig kaufen, oder sich diese nach eigenen Angaben anfertigen lassen. Dann wird sie — das ist der Clou ihrer Entschlüsse — nach ihrer Rückkehr alle Hüte der Frau von Brandeburg einfach scheußlich finden. Alle, und die hübschesten wird sie die scheußlichsten nennen, natürlich nicht nur im stillen für sich, sondern so laut vor allen anderen, daß Frau von Brandeburg es hören muß.
Und noch etwas sehr Wichtiges, sie wird die Hüte der Rivalin nicht etwa aus Neid in den Staub ziehen, sondern aus vollster Überzeugung, denn das weiß sie schon jetzt, Frau von Brandeburg hat sich heute nicht einen einzigen Hut gekauft, der wirklich hübsch ist, denn die gemeinsame Modistin hat überhaupt keine hübschen Hüte. Gewiß, sie hat die hübschesten in der Stadt, aber gegen Paris kommt sie doch nicht auf. Das wird sie der Frau von Brandeburg auch erklären und sich bei dieser dafür bedanken, daß sie ihr bei der Modistin zuvorkam, so daß sie selbst gar nicht erst in die Lage kam, sich diese Hüte zu kaufen.
Und sie wird das Wort „diese” schon derartig betonen, daß Frau von Brandeburg die Platze bekommt.
Ach, jetzt ist sie doch sehr froh, daß ihr Mann sie auf den Gedanken gebracht hat, nach Paris zu fahren. In der Hinsicht war er klüger als sie, das gesteht sie sich ein, aber du großer Gott, wenn die Männer wenigstens nicht manchmal klüger wären als die Frauen, wozu heiratet man denn da?
Ob sie ihm jetzt mitten in der Nacht aus einem Gefühl der Dankbarkeit heraus einen Kuß geben soll, den sie ihm vor seinem Einschlafen verweigerte, weil sie da keine Zeit hatte, sich mit solchen Albernheiten abzugeben? Da mußte sie denken, aber nun, da sie gedacht hat, könnte sie ihm eigentlich den Kuß geben.
Eine Frau küßt einen Mann nur dann, wenn sie selbst geküßt sein möchte. Wenn man die Küsse einer Frau analysieren könnte, würde die Untersuchung nichts als Egoismus ergeben.
Der Mann küßt aus Liebe, die Frau aus Berechnung.
Es hat nur einen Judas Ischariot gegeben, der ein Mann war. Wie viele Frauen aber haben nicht schon ihren Herrn und Meister, den sie, obgleich er nur ein Mensch war, wie einen Gott verehrten und liebten, durch einen Kuß verraten.
Frau Martha will ihren Mann küssen, weil sie sich nach einem Kuß sehnt. Der Gedanke an die neuen Hüte, mit denen sie nun doch über die Rivalin triumphieren wird, läßt sie ihren Mann wieder lieben und aus dieser Liebe heraus verlangt sie den Beweis, daß er sie erst recht liebt.
So tastet sie denn im Dunklen nach seinem Gesicht und da sie es nicht findet, knipst die das elektrische Licht an.
Aber dann küßt sie ihn doch nicht. Es ist so prosaisch, den, den man küssen will, erst elektrisch beleuchten zu müssen. Das ist beinahe dasselbe, als wenn man hungrig und durstig erst nach den Dienstboten klingeln muß, damit sie das Essen bringen. Über dem Warten vergeht der Appetit, so auch bei dem Küssen.
Und schlafende Menschen sind nie schön, schon, weil die Augen nicht sprechen, weil die sonst so lebhaften Gesichtszüge ihren Ausdruck verloren haben.
Der Schlaf ist die Schwester des Todes, schlafende Menschen gleichen den Scheintoten.
Frau Martha weiß nicht, wo sie das einmal las oder hörte, aber einen Scheintoten kann sie nicht küssen und wenn ihr Mann einmal ganz tot sein sollte, dann wird sie ihn erst recht nicht küssn, das hat sie nie begriffen, wie man einem Toten den letzten Kuß geben kann. Sie kann überhaupt keine Toten sehen und wenn sie daran denkt, daß ihr Mann dort eines Tages tot neben ihr liegen soll, nein, nicht neben ihr, er müßte natürlich in seinem eigenen Schlafzimmer sterben, ach und wie schnell kommt nicht zuweilen der Tod. Heißt es nicht in der Bibel oder sonst irgendwo: Wer weiß, wie nahe unser Ende.
Auch ihrem Mann kann das Ende nahe sein, viel näher, als sie und er es glauben.
Ob sie ihm da nicht schon morgen sein eigenes Schlafzimmer einrichten läßt? Natürlich nur für alle Fälle.
Plötzlich sieht sie sich als trauernde Witwe und dabei gehört sie zu jenen wenigen Frauen, denen schwarz absolut nicht steht. Ja, wenn man auch bei uns wie in fremden Ländern in weiß trauerte, dann wolte sie noch nichts sagen, aber schwarz? Und dann diese dicken Witwenschleier, die sind so schwer und sie kann bei ihrem vielen dichten Haar nur die leichtesten Hüte tragen, wenn sie nicht sofort Kopfschmerzen bekommen soll.
Nein, er darf nicht sterben, niemals, wenigstens nicht vor ihr. Die Angst befällt sie, daß sie dann schwarz gehen muß, so daß sie plötzlich einen lauten Schrei ausstößt, der ihn erwachen und erschrocken fragen läßt: „Aber, Darling, was hast du denn nur?”
Da wirft sie sich voller Leidenschaft an seine Brust und bittet mit tränenerstickter Stimme: „Hans, schwöre es mir, daß du niemals sterben willst, wenigstens nicht vor mir. Du darfst mich nicht als Witwe zurücklassen, niemals, das mußt du mir versprechen.”
Er hat sie in seine Arme genommen und versucht, sie zu beruhigen: „Aber Liebling, wie kommst du denn nur auf so törichte Gedanken?”
Darf sie ihm sagen, daß ihr schwarz nicht steht? Unmöglich! So schmiegt sie sich denn noch fester an ihn und flüstert ihm zu: „Ach Hans, ich habe dich doch über alles lieb und wenn wir Frauen lieben, dann zittern wir stets bei dem Gedanken, den Geliebten zu verlieren. Und wenn du wissen willst, wie ich jetzt darauf komme — mir träumte von unserer Reise nach Paris. Wir saßen in dem Expreßzug und sausten durch die Lande und da plötzlich ein Krach, ein Zusammenstoß, der Zug entgleiste, die Wagen wurden in- und durcheinandergeworfen und der Waggon fing an zu brennen und unter den Trümmern zog man auch dich heraus, als gänzlich verkohlte Leiche, ach, Hans, es war entsetzlich.”
Was sie geträumt haben konnte, empfindet sie jetzt als wirklichen Traum und so ist das Zittern und Beben ihres Körpers keine Verstellung.
Abermals sucht er sie zu beruhigen, dann meint er: „Natürlich ist ein solcher Traum ein Unsinn, aber wer weiß, vielleicht ist er auch eine Warnung, nicht nach Paris zu fahren, vielleicht würde uns wirklich ein Unglück zustoßen. Träume sind Schäume, aber sie sind trotzdem schon oft in Erfüllung gegangen. Da wollen wir lieber zu Hause bleiben und wenn wir in der Zeitung lesen, daß der Zug, mit dem wir fahren wollten, verunglückte, dann wollen wir Gott danken, daß er dir diesen Traum sandte und daß wenigstens wir der Gefahr entronnen sind.”
Ganz dicht, so dicht, daß er ihre entsetzten Züge nicht bemerken kann, preßt sie ihr Gesicht an seine Brust. Er will die Reise nach Paris aufgeben! Ja, denkt er denn nicht an ihre Hüte? Wie vergeßlich doch die Männer sind und mit welcher Leidenschaft sie an diesem bißchen Leben hängen.
Natürlich muß sie nach Paris und er muß mit, denn mit dem Geld, das er ihr geben würde, reichte sie doch nicht und wenn er ihr noch so viel mitgibt. Und es ist so ekelhaft, brieflich um Geld bitten zu müssen. Selbstverständlich müssen sie fahren, aber um das durchzusetzen, muß sie ihm jetzt beistimmen. Wenn es erst Tag ist, wird sie selbst über diesen Traum, den sie sich unglücklicherweise erfand, am meisten lachen und wenn sie lacht, dann lacht er mit. So meint sie denn jetzt: „Du hast recht, Hans, wir wollen auf keinen Fall fahren. Du weißt, wie abergläubisch ich bin, sicher hat dieser Traum etwas zu bedeuten, wir fahren unter keinen Umständen, ich würde ja unterwegs vor Angst sterben.”
Aber sie fahren dann doch, allerdings vierundzwanzig Stunden später, als es ursprünglich ihre Absicht war, denn den Unglückszug, von dem Frau Martha träumte, wollte ihr Mann nicht besteigen und er ist auch nicht zu bewegen, den Expreßzug zu benutzen, sondern sie reisen mit dem gewöhnlichen Schnellzug. Und auch das hat Frau Martha nur schwer erreicht, beinahe zwölf Stunden hat sie ununterbrochen über ihren Traum und über seine Angst lachen müssen, bis er ihr schließlich beistimmte. Na, soviel weiß sie, sie wird sich nie wieder Träume erfinden.
Aber ihr Mann reist mit und das ist ein Glück. Was sind die Preise der einheimischen Modistin gegen die Preise der Pariserinnen? Ob auch die soviel lügen müssen und ob auch da die Lügen die Hüte so verteuern? Aber gleichviel, ihr Mann hat glücklicherweise die liebenswürdige Eigenschaft, nie zu schelten, selbst wenn sie noch soviel Geld braucht und als sie dann nach vierzehn Tagen, die sie nötig hatte, um ihren großen Hutkoffer zu füllen, nach Hause zurückkehrte, da hat sie sich so wunderbare Hüte gekauft, daß sie tatsächlich nicht aus Verstellung, sondern aus vollster ehrlichster Überzeugung alle Hüte der Rivalin scheußlich finden kann. Mit einem vollen Koffer reist Frau Martha dann nach Hause und sie ersehnt schon unterwegs die erste beste Gelegenheit, mit ihren Schätzen den Neid der besitzlosen Klasse erregen zu können. Und die Gelegenheit dazu bietet sich viel schneller, als sie glaubt, denn bei ihrer Ankunft findet sie zu Hause eine Einladung vor, am nächsten Nachmittag einen Tee zu besuchen, der in dem ersten Hotel der Stadt zu einem wohltätigen Zwecke stattfindet.
Frau Martha strahlt und wirft sich ihrem Mann, der neben ihr steht, stürmisch an die Brust. Ach, sie hat ihn doch über alles lieb, sie kann es gar nicht sagen, wie lieb sie ihn hat und nun erst das Gesicht der Frau von Brandeburg! Auf das freut sie sich so, daß sie die halbe Nacht nicht schläft.
Unter dem Vorwand, ihn nicht wieder durch ihre Träume in seiner Nachtruhe stören zu wollen, hat sie ihrem Mann noch vor der Abreise ein besonderes Schlafzimmer einrichten lassen. Natürlich hat er sich dagegen gesträubt, aber sie hat ihm alle Gründe angeführt, die in ethischer und gesundheitlicher Hinsicht gegen ein gemeinsames Schlafzimmer sprechen und wenn auch widerstrebend, hat er sich dem endlich gefügt.
Nun schlafen sie allein, nun braucht sie nicht zu befürchten, sich abermals falsche Träume erfinden zu müssen, wenn sie wirklich einmal wieder in der Nacht halblaut aufschreien sollte. Aber in dieser Nacht schreit sie nicht auf, da lacht sie nur fortwährend still vor sich hin, während sie an das Gesicht ihrer Rivalin denkt, das die machen wird, wenn sie selbst morgen nachmittag zum Tee erscheint und dabei den elegantesten der Pariser Hüte trägt, der die Kleinigkeit von zwölfhundert Franken kostet.
Beinahe tausend Mark für einen Hut und der der Brandeburg kostet höchstens, aber auch allerhöchstens dreihundert.
Aber als die beiden Damen sich dann am nächsten Nachmittag bei dem Tee gegenüberstehen, zu dem sich eine zahlreiche elegante Gesellschaft eingefunden hat, um bei dem Klange einer ausgezeichneten Kapelle zu wohltätigen Zwecken möglichst viel Geld auszugeben, da macht Frau von Brandeburg gar kein Gesicht, wenigstens nicht das, was sie machen soll.
Wohl aber macht Frau Martha ein Gesicht. Die hat sich zwar sämtliche Eide der Welt geschworen, jeden Hut, den Frau von Brandeburg aufhat und wenn es der entzückendste Hut aller Hüte wäre, einfach scheußlich zu finden, aber diesem Hut der Frau von Brandeburg gegenüber kann sie ihre Schwüre nicht halten. Dieser Hut ist bezaubernd, er ist ein Gedicht, ach, er ist noch viel mehr als das, es ist überhaupt nicht zu schildern, wie hübsch er ist, dagegen verschwindet ihr eigener Hut in der Versenkung, trotz seines enormen Preises.
Der Hut der Rivalin ist eine Schöpfung aus dem Märchenland, den haben Feenhände gearbeitet — was sie selbst auf dem Kopf trägt, ist elende Menschenarbeit.
Gewiß, ihr eigener Hut steht ihr gut, aber wie würde ihr erst der stehen, den Frau von Brandeburg trägt. Der Hut sieht aus, als wäre er eigens für sie gemacht, er ist die Verkörperung jenes Phantasiehutes, von dem sie in zahllosen einsamen Stunden als von dem Inbegriff alles Schönen und Geschmackvollen geträumt hat.
Nun ist ihr Traum in Erfüllung gegangen. Es gibt einen solchen Hut, sie sieht ihn mit eigenen Augen in Wirklichkeit vor sich und der Hut gehört nicht ihr.
Frau Martha müßte keie Frau sein, wenn sie sich nicht einer Ohnmacht nahe fühlen sollte. Sie ist dicht daran, umzufallen, aber sie fällt nicht. Den Triumph will sie der Rivalin denn doch nicht gönnen, es ist schon mehr als genug, daß sie ihren Gesichtsausdruck nicht völlig in der Gewalt hat, so daß Frau von Brandeburg es ihr scheinbar anmerkt, wie ihr der Hut gefällt. Frau Martha hat es sich fest vorgenommen, überlegen zu lächeln, statt dessen lächelt jetzt die andere, ein klein wenig spöttisch und mokant, als wenn sie sagen wollte: da hast du dir ja einen schönen Hut auf den Kopf gesetzt, mit dem willst du mir imponieren?
Wenn die Frauen es auch tausendmal leugnen, sie sind die leichtgläubigsten Geschöpfe, so fällt Frau Martha denn auch auf dieses mokante Lächeln der Frau von Brandeburg hinein und sie ahnt es nicht, daß dieses Lächeln Verstellung ist, daß die andere tatsächlich beinahe vor Neid platzt.
Eine Frau ist in mancher Hinsicht viel selbstloser als ein Mann, eine Frau kann Opfer bringen, die ein Mann niemals zu leisten imstande ist, eine Frau kann, wenn es sein muß, auf alles verzichten, sie kann für ihre Person alles entbehren, um es anderen zu überlassen, aber wenn eine Frau bei einer anderen einen schöneren Hut sieht, dann ist es aus.
Wie Frau Martha ihre Rivalin, so beneidet diese Frau Martha nun um ihren Hut, schon, weil der direkt aus Paris ist, denn daß Frau Martha dorthin fahren würde, angeblich nur, um sich einige Kleinigkeiten zu besorgen, hat sie vor ihrer Abreise in ihrem Bekanntenkreise selbstverständlich telephonisch bekanntgemacht. Aber der Hut ist nicht nur aus Paris, man sieht es ihm auf den ersten Blick an, daß er ein kleines Vermögen gekostet hat und ihr Hut kostet nur zweihundertundfünfzig Mark.
Frau von Brandeburg findet im stillen gar nicht genug Worte, um Frau Marthas Hut zu bewundern und nur, um nicht einen Schrei der Verwunderung und des Entzückens nach dem anderen auszustoßen, lächelt sie mokant und spöttisch. Sie lächelt mit blutendem Herzen und sie sieht, daß sie ihren Zweck erreicht: Frau Martha wird immer blasser und blasser, sie kann das Gefühl des Neides nicht mehr unterdrücken, sie verrät es zu deutlich, so daß Frau von Brandeburg es wagen kann, sie jetzt zu fragen: „Finden Sie meinen Hut wirklich so hübsch, gnädige Frau?”
Ehe ich das eingestehe, lieber sterbe ich, denkt Frau Martha im stillen, dann sagt sie mit glänzend gespieltem Erstaunen: „Ihr Hut, liebste Freundin? Ich muß offen gestehen, ich habe mir den noch gar nicht angesehen, ich habe es gar nicht bemerkt, daß Sie einen tragen. Sie dürfen es mir nicht übelnehmen, wenn ich heute für Ihre Toilette nicht das nötige Interesse habe. Ich bin noch etwas abgespannt von der Reise, wir sind erst gestern abend aus Paris zurückgekommen, ich wollte mir dort ein paar Kleinigkeiten besorgen, aber in der Hauptsache mußte mein Mann einmal von seinem Schreibtisch fort, um sich etwas zu zerstreuen und zu erholen. Und an Zerstreuung aller Art hat es nicht gefehlt. Wir waren bei unserer Botschaft zu Tisch geladen, wir waren jeden Abend im Theater, hinterher noch in einem der großen eleganten Restaurants, ich habe zahllose Besuche empfangen und erwidert, wir waren zum Rennen, sind selbstverständlich auch jeden Nachmittag zum Korso im Bois gewesen, da ein Freund meines Mannes die Liebenswürdigkeit hatte, uns seine Coatch [sic! D.Hrsgb.] zur Verfügung zu stellen, da bin ich heute tatsächlich noch abgespannt und wenn es sich nicht um einen wohltätigen Zweck gehandelt hätte, wäre ich zu Hause geblieben, um mich auszuruhen.”
An allem, was Frau Martha sagt, ist kein wahres Wort, aber Frau von Brandeburg glaubt es ihr dennoch, weil sie sich nicht vorzustellen vermag, daß Frau Martha, die Besitzerin eines so kostbaren Hutes, sie tatsächlich um ihren Hut beneiden sollte? Was Frau Martha ihr da erzählt, bereitet ihr eine große Enttäuschung, da hat sie also ganz umsonst so mokant gelächelt. Nein, doch nicht umsonst, denn wenn sie auch alles glaubt, das glaubt sie doch nicht, daß Frau Martha den Hut, den sie trägt, noch gar nicht bemerkt haben soll.
Selbst wenn zwei Damen in einem stockfinsteren Zimmer beisammensitzen, weiß eine jede von ihnen sofort, welchen Hut die andere aufhat.
So beginnt Frau Brandeburg denn abermals mokant zu lächeln, aber ihr Gesichtsausdruck ändert sich, als Frau Martha trotz ihrer Abgespanntheit anfängt, ihren Hut zu kritisieren: „Wirklich sehr niedlich, liebste Freundin, sehr niedlich, leicht und duftig. Haben Sie den hier in der Stadt gekauft? Mein Geschmack wäre er offen und ehrlich gestanden, ja nicht, schon deshalb nicht, weil er mir zu meinem brünetten Haar nicht stehen würde, aber der Hut als solcher ist nicht häßlich.”
Frau von Brandeburg kocht inwendig vor Wut, wie konnte sie auch nur so dumm sein, die andere zu fragen.
Jetzt kann Frau von Brandeburg sich kaum noch beherrschen, wie vorhin Frau Martha, ist sie jetzt dicht daran, in Ohnmacht zu fallen, aber auch sie fällt nicht, den Triumph will sie der anderen nicht gönnen. So ist sie dem Himmel mehr als dankbar, als er ihr jetzt einen Tänzer sendet, der sie um die Ehre bittet, mit ihm einen Tango zu tanzen.
Auch Frau Martha ist plötzlich von einer Schar eleganter Herren umringt, aber sie lehnt jede Aufforderung ab: „Bitte entschuldigen Sie mich, meine Herren, vielleicht, daß ich nachher noch tanze, ich bin im Augenblick zu müde und abgespannt.”
Und das ist sie wirklich. Die Enttäuschung, den Hut ihrer Träume nicht auf dem eigenen Kopfe, sondern auf dem der Rivalin zu sehen, lähmt ihre Glieder. So läßt sie sich denn auf einem Sessel nieder, um sich zu erholen und um ihren Gedanken nachzuhängen.
Und sie kommt wieder zu dem Resultat: sie wird es ihrem Mann niemals verzeihen können, daß er sie daran hinderte, diesen Hut zu kaufen. Gewiß, sie hat ihren Mann lieb, oder sie hat ihn wenigstens liebgehabt und so weit er es verdient, wird sie ihn auch noch weiter lieben, sie wird es mit der Zeit sogar lernen, ihm zu verzeihen, daß er sie in seinem Zimmer zurückhielt, als die Modistin wartete, aber sie kann das niemals vergessen.
Wie konnte ihr Mann nur so egoistisch sein? Ist die Liebe eines Mannes überhaupt etwas anderes, als Egoismus. Verdienen es die Männer, geliebt zu werden? ist es nicht genug, wenn man dafür sorgt, daß die Männer ihre Ruhe und Behaglichkeit und bei Tisch ihr gutes Essen haben? Geht bei den Ehemännern nicht die ganze Liebe durch den Magen? Ist die Liebe in der Ehe wirklich Liebe? Ist sie da nicht nur Anhänglichkeit, Freundschaft und Gewohnheit? Ja, nur Gewohnheit. Nicht, weil ihr Mann sie liebt, sondern nur, weil er es so gewohnt ist, muß sie bei ihm sitzen, während er arbeitet, einzig und allein nur deshalb. Dafür aber ist sie sich zu gut. Sie ist jung, sie ist hübsch, sie ist die eleganteste Frau der Gesellschaft, sie will geliebt und täglich aufs neue umworben werden. Und wenn ihr Mann das nicht einsieht, dann kann er ihr leid tun, dann hat er es sich selbst zuzuschreiben, wenn sie ihn nicht mehr liebt.
Ja, liebt sie ihn denn noch? Wieder schweift ihr Blick zu den tanzenden Paaren hinüber, abermals sehen ihre Augen den Hut der Frau von Brandeburg und krampfhaft zieht sich ihr Herz zusammen .
Nein, einen Mann, der ihr das angetan, der sie um den Hut gebracht hat, kann sie ganz einfach nicht mehr lieben.
„So, gnädige Frau, nun haben Sie aber Zeit genug gehabt, sich zu erholen, vor allen Dingen kann ich die Ungeduld meines Freundes nicht mehr zügeln, der darauf brennt, Ihnen vorgestellt zu werden, schon, um Ihnen sagen zu können, daß Sie in seinen Augen die schönste und eleganteste aller Frauen sind. Er sagt damit ja nichts Neues, denn das wissen wir schon längst, aber er sagt es vielleicht mit etwas anderen Worten, denn er ist ein Norweger und der deutschen Sprache nicht ganz mächtig. Wenn Sie also gestatten, gnädige Frau, Herr Walther Henrik.”
Schon die ersten Worte, die ein Freund ihres Hauses an sie richtete, haben Frau Marthas Gedanken verscheucht und voller Neugierde, aber auch voller Interesse betarchtet sie nun den Fremden, während der Freund noch weiter spricht. Der Norweger ist von großer, breiter und dabei sehr wohl proportionierter Figur, er ist tadellos angezogen und er ist ein auffallend hübscher Mensch. Aber das schönste an ihm sind die dunkelblauen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern, diese blauen Augen, die, wie so oft bei den Norwegern, einen etwas naiven und kindlichen Ausdruck zeigen.
Nun reicht sie ihm die Hand zum Kuß, während sie zu ihm sagt: „Ich freue mich aufrichtig, Sie kennen zu lernen und finde es sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie mir durch unseren gemeinsamen Freund ein so schmeichelhaftes Kompliment ausdrücken ließen.”
Der Freund lacht fröhlich auf: „Passen Sie nur auf, gnädige Frau, wenn er erst mit Ihnen allein ist, wird er Ihnen ganz andere Schmeicheleien sagen und damit ich Sie nicht um das Vergnügen bringe, die anzuhören, bitte ich, mich zu entschuldigen. Ich habe zum Tanz engagiert und fürchte, daß meine Dame mich bereits erwartet.”
Gleich darauf ist sie mit dem Fremden allein und fordert ihn durch eine Handbewegung auf, auf einem Sessel an ihrer Seite Platz zu nehmen, aber er schiebt den Sessel so, daß er ihr gegenübersitzt: „Wenn Sie erlauben, gnädige Frau, so kann ich Sie besser sehen und bewundern.”
Frau Martha lacht auf, teils über sein etwas sonderbares Deutsch, dann aber auch vor Freude über die ihr gezollte Schmeichelei, dann aber meint sie: „Ich sehe Sie heute zum erstenmal, sind Sie hier ganz fremd in der Stadt? Bleiben Sie für immer oder nur vorübergehend hier? Wie und wo sind Sie mit unserem gemeinsamen Freund bekannt geworden?”
Der Blonde Riese, wie sie ihn im stillen getauft hat, interessiert sie wirklich und sie erführe gern Näheres über seine Perosn, aber er lehnt es ab: „Bitte gnädige Frau, nicht wir sprechen wollen von mir, ich bin so langweilig, oder man sagt wohl besser, so uninteressant. Sprechen wir von der gnädigen Frau. Frauen sind nie uninteressant, wenn sie schön sind und Sie sind sehr schön, gnädige Frau. ich bin gekommen in der Welt weit herum, ich habe gesehen viele Frauen in aller Herren Länder, auch bei uns in Norwegen. Wir sagen immer: nirgends gibt es so schöne Frauen, wie bei uns, das(1) das ist nicht wahr, ich sehe in Norwegen noch nie eine Frau, die ist so schön wie Sie.”
Er spricht viel besser Deutsch, als sie es nach seinen ersten Worten vermutet hat, aber er spricht es mit dem Akzent des Norddeutschen, langsam, beinahe schwerfällig, jede Silbe klar und deutlich betonend.
So hört sich das Kompliment aus seinem Munde noch ernsthafter, noch gewichtiger an, als es vielleicht gemeint war und sie kann es nicht verhindern, daß sie nun ein klein wenig errötet. Aber er schüttelt vorwurfsvoll den Kopf, bis er dann sagt: „Sie nicht dürfen rot werden, gnädige Frau, denn wer da hört die Wahrheit, braucht sich der nicht zu schämen. Ich sprach die Wahrheit und ich möchte, daß Sie, gnädige Frau, mir erlauben, Ihnen immer zu sagen die Wahrheit.”
Frau Martha schlägt absichtlich einen scherzenden Ton an, um dadurch das Seltsame seiner Frage zu mildern und erwidert neckend: „Warum nicht? Wenn die Wahrheit keine Kränkung oder Beleidigung enthält, dann will ich sie jederzeit gern von Ihnen hören.”
Er dankt ihr mit einer leichten Verbeugung, dann sitzt er ihr eine ganze Weile schweigend gegenüber, während er keinen Blick von ihr abwendet und ihre Schönheit immer aufs neue mit seinen Augen genießt, dann meint er plötzlich: „Und darf ich Ihnen sagen als zweite Wahrheit, daß ich Sie heute nicht sehe zum erstenmal? Ich weiß, Sie haben mich nicht beobachtet, obgleich ich saß dicht neben Ihnen und Ihrem Herrn Gemahl an einem Tisch und ich habe verstanden jedes Wort, das Sie miteinander sprachen über die Rückreise nach hier. Da fiel mir wieder ein, daß ich hier habe wohnen einen guten Freund, den ich seit ein paar Jahren nicht sah und den ich in Kristiania einmal kennen lernte auf einem großen Diner auf einen wissenschaftlichen Kongreß. Aber sie brauchen keine Angst zu haben, gnädige Frau, ich bin kein Gelehrter, nicht einmal aus Liebhaberei, ich bin — nein, das sage ich Ihnen erst später.”
Es ist Frau Martha in diesem Augenblick auch ganz einerlei, welchen Beruf er hat, sie brennt vor Begierde, zu erfahren, wo er sie denn gesehen haben kann. Doch unmöglich in Paris? Aber wo hat sie denn sonst mit ihrem Mann über die Rückreise gesprochen?
Und als sie ihn nun fragt, erfährt sie, daß er sie doch in Paris sah: „Sie werden sich erinnern, gnädige Frau, Sie kamen von Ihrer Modistin, auch das hörte ich aus Ihrem Gespräch heraus. Sie waren in das Café anglais, um schnell eine Kleinigkeit zu frühstücken, es war gegen zwei Uhr mittags. Wie ich Ihnen schon sagte, ich saß an einem Tisch neben Ihnen, Sie haben mich nicht bemerkt.”
Nein, das hat sie wirklich nicht, sie war damals von den vielen Besorgungen zuabgespannt und nervös, um sich um die anderen zahlreichen Gäste irgendwie zu kümmern. Wie aber kommt der Fremde nun aus Paris hierher? Daß er die Reise nicht nur gemacht hat, um den gemeinsamen Freund wiederzusehen, ist doch klar. Er ist einzig und allein ihretwegen gekommen, um sie kennenzulernen, um ihrer Schönheit seine Huldigungen darzubringen.
Wo ist die Frau, die sich nicht schon deshalb für einen Mann interessiert, weil dieser ihr, ohne sie zu kennen, nachreist und nun erst, wenn es deswegen gilt, Paris zu verlassen?
Ja, Paris ist schön und um ihre Verwirrung zu verbergen, um nicht weiter darauf eingehen zu müssen, daß er ihr nachreiste, fängt sie an, mit ihm über Paris zu plaudern. Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen hört er ihr zu, bis er dann plötzlich fragt: „Glauben Sie wirklich, gnädige Frau, daß ich bin gekommen hierher, um aus Ihrem Munde zu hören, daß ist Paris eine sehr schöne Stadt?”
Unwillkürlich lacht sie auf, deswegen hat er die Reise ganz bestimmt nicht gemacht, da hat er recht, aber was will er dann hier, was will er dann von ihr? Er weiß doch, daß sie eine verheiratete Frau ist und den Eindruck kann sie doch unmöglich auf ihn gemacht haben, als gehöre sie zu jenen Frauen, die sich leicht von anderen Männern erobern lassen? Oder hat er bei ihrem Anblick an das alte Wort gedacht: in dem Leben einer jeden Frau kommt eine Stunde, in der sie ihren Mann, wenn auch nur vorübergehend, nicht mehr liebt. Will er auf diese Stunde warten und die, wenn sie gekommen ist, zu seinen Gunsten ausnützen? Aber nein, danach sieht er nicht aus, er ist kein Don Juan, kein Frauenjäger. Sein ganzes Wesen, seine ruhige Art flößt ihr nicht nur Sympathie, sondern auch Vertrauen ein. Was will er von ihr? Hat er sich in sie verliebt? Hat sein Herz ernstlich Feuer gefangen? Hat er es in Paris zu bemerken geglaubt, daß sie mit ihrem Mann nicht so glücklich ist, wie sie es sein könnte — — sie wird nicht klug aus ihm, aber ihr Interesse an ihm ist erwacht, schon, weil sie neugierig ist, zu erfahren, warum er ihr hierher folgte.
Die Frage liegt ihr auf der Zunge, aber sie schweigt trotzdem. Jede Frage zerstört die Illusionen, jede Antwort läßt das Märchenschloß. in dem man mit seinen Gedanken wohnt, einstürzen.
Man sollte nie mit Worten, sondern stets nur mit den Augen fragen: Hast du mich lieb? Jedes gesprochene Ja beendet die bangen Zweifel. Die Gewißheit ist schön, die Ungewißheit ist süß.
Und namentlich die Frauen lieben doch die Süßigkeiten.
Frau Martha blickt schweigend vor sich hin, während er auch jetzt keinen Blick von ihr abwendet, dann sagt sie plötzlich, um überhaupt etwas zu sagen: „Sie erzählten mir vorhin, Sie wären kein Gelehrter, aber Sie sagten mir nicht, was Sie sonst sind.”
„Das möchte auch jetzt ich noch verschweigen, gnädige Frau, ich habe meine Gründe dafür, die Sie verstehen werden später, wenn Sie mich erst kennen gelernt haben näher.”
„Und wenn Sie mich näher kennen gelernt haben,” neckt sie ihn.
Aber er widerspricht: „Man darf eine Frau überhaupt nie wollen näher kennen lernen, erst recht nicht, wenn sie ist so schön, wie Sie. Edelsteine sind dazu da, damit man sie bewundert, nicht aber, damit man sie analysiert chemisch. Sie tragen da eine wundervolle Perlenkette und Sie freuen sich, wenn Sie die ansehen, aber haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was würde werden aus diesen Perlen, wenn Sie jede einzelne zerlegen in kleine Teile? Gewiß, es blieben Perlen, aber dahin wäre der Glanz und der Wert der Perlenschnur. Mit den schönen Frauen geht es ebenso, man darf auch sie nicht zerkleinern und zerlegen. Sie müssen mich verstehen richtig, gnädige Frau, nicht etwa, als müsse man fürchten, dann zu stoßen auf weniger schöne Eigenschaften des Körpers oder des Charakters, sondern einzig und allein, weil jede Analyse stört die Gesamtwirkung.”
„Ist das aber bei den Männern nicht ebenso?” fragt sie scherzend.
Aber er widerspricht abermals: „Die Frauen wirken durch ihre Schönheit, wir Männer durch unseren Verstand, oder, wenn wir von dem nichts haben abbekommen, durch unseren Charakter. Die Schönheit einer Frau erkennt der Mann auf den ersten Blick, den Charakter eines Mannes aber muß die Frau erst lernen kennen nach und nach. Ich möchte an Sie richten die Bitte, gnädige Frau: Wollen Sie sich geben die Mühe, mich kennen zu lernen näher? Ich würde Ihnen sein sehr dankbar, denn erst dann kann ich gegen Sie sprechen ganz offen.”
„Und mir sagen, daß du mich liebst,” denkt sie im stillen.
Jetzt verschweigt sein Mund noch das Geständnis, aber sie glaubt es schon jetzt an seinen großen, blauen Augen zu lesen. Das macht sie unruhig und verwirrt. Wie kommt er dazu, sie zu lieben und glaubt er denn wirklich, daß sie ihn wiederlieben wird? Sie ist doch eine verheiratete Frau, sie hat ihren Mann lieb — —
Da taucht plötzlich abermals der Hut von Frau von Brandeburg vor ihr auf, nein, das kann sie ihrem Mann nicht vergessen.
Aber trotzdem, ehe sie deswegen einen anderen Mann liebt? Gewiß, sie interessiert sich für den blonden Riesen, aber ihn lieben?
Die Liebe einer Frau kann sich in Gleichgültigkeit verwandeln. Das Interesse, das eine Frau an einem Mann nimmt, wird immer zur Liebe, wenn der Mann, dem dieses Interesse gilt, die Frau wiederliebt — sonst verwandelt es sich in Haß.
Keine Frau kann es verzeihen, daß sie nicht wiedergeliebt wird. Das verzeiht sie selbst dann einem Mann nicht, wenn er gar nichts davon hat, daß sie ihn liebt.
Wenn ein Mann einer Frau erklärt, daß er sie liebt, dann findet sie das, falls sie den Mann nicht wiederliebt, einfach unverschämt.
Gesteht aber ein Mann einer Frau nicht, daß er sie liebt, dann findet sie den Mann auch unverschämt, selbst dann, wenn sie ihn nicht wiederliebt.
Die Männer leben, um zu lieben — die Frauen, um geliebt zu werden. Deshalb wissen die Frauen in den meisten Fällen gar nicht, was Liebe ist, und gerade weil sie es nicht wissen, erklären sie fortwährend, nur eine Frau wisse, was Liebe sei. Frau Marthas Interesse an dem Fremden wächst mehr und mehr, je länger sie sich von ihm beobachtet fühlt. Aber um das nicht zu verraten und um diesem Alleinsein, das sie mit immer größer werdender Unruhe befällt, ein Ende zu machen, bittet sie ihn jetzt, mit ihr zu tanzen. Die Klänge der Geigen locken zu verführerisch und wozu hat sie denn in dem bildhübschen Norweger eine Eroberung gemacht, wenn sie sich mit ihm nicht zeigen soll.
Er hat sich von seinem Sessel erhoben und bietet ihr seinen Arm. Ist es Absicht oder Zufall, daß sie beide im Vorübergehen einen Blick in den großen Wandspiegel werfen? Ist es wirklich nur ein Zufall, daß sich ihre Augen treffen und daß ein jeder in den Augen des anderen liest: Wie schön du bist und wie gut wir zueinder passen.
Wenig später beginnen sie zu tanzen. Frau Martha weiß, daß sie eine ausgezeichnete Tänzerin ist, sie gilt in der Gesellschaft als eine Meisterin des Tango, sie ist auf allen Bällen die Königin und die Herren, die sie zum Tanz auffordern, versuchen stets, sich ihrer Kunst würdig zu erweisen. Es gibt unter den jungen Herren ausgezeichnete Tänzer, aber nie fand sie einen Partner, der ihrer so würdig war, wie dieser.
Und die vollendete Kunst, die Anmut seiner Bewegungen, die Leichtigkeit und Eleganz, mit der sie zusammen die verschiedenen Pas ausführen, erregt die allgemeine Aufmerksamkeit. Man hört auf, selbst zu tanzen, nur um ihnen beiden zuzusehen.
Bis dann nach Beendigung des Tanzes von allen Seiten lautes Händeklatschen ertönt, in das sich die stürmischen Rufe hineinmischen: da capo, da capo, bitte noch einmal.
Fragend blickt der Fremde sie an, aber sie schüttelt leise den Kopf und in ihren Augen liest er die Antwort: Es war zu schön, um noch einmal wieder so schön werden zu können.
Jede Wiederholung ist der Tod eines jeden Genusses. Dem ersten Kuß sollte nie ein zweiter folgen, dem ersten Geständnis: ich habe dich lieb, nie ein zweites.
Eine der größten Lügen heißt: einmal ist keinmal. Das eine Mal ist alles.
Frau Martha schwimmt in einem Meer von Glückseligkeit, Sie wird umringt und bewundert, man gratuliert ihr zu dem Partner, man will wissen, wer der Fremde ist, aber sie vermag darüber ja selbst nur wenig Auskunft zu geben. So wendet sie sich denn später an den gemeinsamen Freund, der die Bekanntschaft vermittelte, aber auch der weiß nicht viel. Der Fremde ist reich, lebt in den glänzendsten Verhältnissen, aber er spricht nie von seiner eigenen Person und das wenige, was er dennoch über ihn sagen könnte, darf er nicht sagen, weil der Fremde das der schönen Frau später selbst sagen will.
Frau Marthas Interesse und Neugierde wächst mehr und mehr und schon, um baldmöglichst alles zu erfahren, will sie seine Bitte erfüllen und ihn, seinen Charakter und sein Wesen näher kennen lernen. Schon deswegen muß sie häufig mit ihm zusammenkommen und so bittet sie ihn denn bei dem Abschied, bei ihr im Hause seinen Besuch zu machen, während sie hinzusetzt: „Auch mein Mann wird sich sehr freuen, Sie kennen zu lernen.”
Als Dame der Gesellschaft muß sie das sagen, sie kann seinen Besuch nicht erbitten, ohne dabei ihren Mann zu erwähnen, aber sie empfindet es in diesem Augenblick beinahe lästig, daß sie einen Mann hat.
Ja, hat sie denn überhaupt einen Mann? Vergebens hat sie sich den ganzen Nachmittag nach ihm umgesehen. Er hat ihr versprochen, nachzukommen, wenn seine Zeit es ihm irgendwie erlaubt. Er hat bei seiner Rückkehr viel Briefe und zahlreiche Korrekturbogen vorgefunden, die erledigt werden müssen. Die Druckerei wartet.
Und um die Druckerei nicht warten zu lassen, hat er sie warten lassen!
Frau Martha ist empört, obgleich sie, seitdem sie die neue Bekanntschaft machte, gar nicht an ihren Mann dachte, und wenn sie dennoch an ihn dachte, geschah es nur, um sich einzugestehen, daß sie ihn nicht mehr liebt, wenigstens nicht mehr annähernd so wie früher.
Aber gerade deshalb hätte er kommen müssen, um sich ihre Liebe zurückzugewinnen.
Frau Martha ist empört und sie ist es erst recht, als sie zu Hause ihren Mann noch bei der Arbeit findet und als dieser sie bittet, ihn nur noch zehn Minuten allein zu lassen. „Dann gehöre ich für den ganzen Rest des Tages dir, Liebling, dann will ich dir mit Interesse zuhören, denn sicher hast du mir viel zu erzählen. Bildhübsch, wie du heute aussiehst, hast du doch sicher eine neue Eroberung gemacht?”
Wie stolz er das sagt, gleichsam, als wäre ihre Eroberung sein Verdienst? Will er mit seinen Worten etwa, wenn auch nur im stillen, darauf anspielen, daß die Kleider, die Hüte, die Juwelen, kurz alles, was sie anhat und was dazu beiträgt, sie zu der eleganten Erscheinung zu machen, daß das alles von seinem Geld — — —
Frau Martha hat nicht den leisesten Grund zu der Annahme, daß seine Worte so gemeint wären, wie sie die deutet, aber gleichviel, sie ist im stillen empört. Schon, daß er vielleicht so denken könnte, verletzt sie.
Wenn Frauen lieben, sind sie immer verletzt, über jede Kleinigkeit.
Und Frau Martha ist verliebt, nein, das nicht, aber doch, sie ist natürlich in ihren Mann verliebt, oder sie war es wenigstens, und ein klein wenig liebt sie ihn auch jetzt noch, was man so Liebe nennt, er ist doch schließlich ihr Mann. Aber in diese häuslichen Empfindungen mischt sich das Interesse, das sie an dem blonden Riesen nimmt.
Unwillkürlich beginnt sie, das Äußere ihres Mannes mit dem des Fremden zu vergleichen.
Hat eine Frau erst mal zu vergleichen angefangen, dann hat sie zu lieben aufgehört.
Der Vergleich ist der Anfang vom Ende.
Und Frau Martha kommt zu der Erkenntnis, daß der Fremde viel hübscher ist, als ihr Mann. Sähe ihr Mann so aus, wie der Fremde und trüge der Norweger die Züge ihres Gatten, so würde sie ihren Mann viel hübscher finden? Ach nein, dann wäre der andere trotzdem viel hübscher, schon, weil der nicht ihr Mann ist. Und sie interessiert sich doch für den Norweger, schon, weil er ihr nachgereist ist. weil sie den Grund hierfür immer noch nicht kennt, vor allen Dingen aber, weil er so wundervoll Tango tanzt.
Wie stolz ihr Mann es ausspricht, daß sie sicher eine Eroberung gemacht hat, aber in gewisser Hinsicht sagt er es doch auch sehr gleichgültig.
Wie sonderbar doch die Männer sind!
Wenn eine Frau liebt, soll der Mann einzig und allein ihr gehören, sie achtet ängstlich darauf, daß keine andere an ihm Gefallen findet, schon damit er sich nicht etwa in die andere verliebt.
Wenn eine Frau liebt, möchte sie den Mann am liebsten in einem siebenfach verschlossenen Kasten vor den Blicken der anderen Frauen bewahren.
Wenn ein Mann liebt, wünscht er, daß seine Frau sich öffentlich zeigt, damit sie auch anderen gefällt, damit er um ihren Besitz beneidet wird.
Einer Frau genügt es, täglich zu sehen, daß ihr Mann hübsch ist — — — ein Mann muß es täglich hören, eine wie schöne Frau er hat.
Eine Frau liebt nur mit dem Herzen — sagt die Frau. Der Mann liebt in erster Linie mit den Sinnen — sagt ebenfalls die Frau.
Das aber sagt die Frau schon deshalb, weil die meisten Frauen in erster Linie mit den Sinnen geliebt sein wollen.
Es gibt Männer, die so keusch und so rein lieben, daß ihnen schon ein Kuß wie eine Entweihung des geliebten Wesens erscheint.
Die Männer nennen solche Leute Idealisten, Träumer und Schwärmer. Die Frauen, die nur mit dem Herzen lieben, nennen solche Männer Idioten!
Es ist statistisch anchgewiesen, daß es unter den Idioten viel mehr Männer, als Frauen gibt.
Frau Martha hat den Vergleich beendet und weiß nun, daß der Fremde viel hübscher ist, als ihr Mann.
Wenn eine Frau, die liebt, zwei Männer miteinander vergleicht, dann gräbt sie dem einen während des Vergleiches sein Grab.
Und so ist denn, als sie den Vergleich beendet hat, ihr Mann lebendig begraben.
Aber sie ist deswegen nicht traurig, es gibt auch für Lebende eine Auferstehung.
Ihr Gatte vermag sich ihr langes Schweigen nicht zu erklären, so fragt er denn noch einmal: „Solltest du heute wirklich keine Eroberung gemacht haben? Das wäre mir unfaßlich, denn du siehst heute wirklich sinnberückend schön aus.”
Mit dem scheußlichen Hut auf dem Kopf? will Frau Martha spöttisch fragen, aber nein, so scheußlich kann er doch nicht sein, denn sonst hätte der blonde Riese doch sicher zu ihr gesagt: „Gnädige Frau, wie schön müßten Sie erst sein, wenn Sie diesen Hut nicht auf hätten.” Und so sagt sie denn jetzt: „Du hast recht, ich habe eine Eroberung gemacht. Ein Norweger, der sich auf der Durchreise, wie ich glaube, nur ein paar Tage hier aufhält, hat sich mir vorstellen lassen. Ich habe mich sehr gut mit ihm unterhalten, er ist auch ein vorzüglicher Tänzer und in seinen Augen glaube ich gelesen zu haben, daß er mich bewunderte. Gesagt hat er mir das selbstverständlich nicht.”
„Das ist doch selbstverständlich,” stimmt er ihr bei, um dann hinzuzusetzen: „Als verheiratete Frau hättest du dir das auch selbstverständlich nicht sagen lassen dürfen.”
„Selbstverständlich nicht,” stimmte sie ihm nun auch ihrerseuts bei und denkt unterdessen daran, mit welchem Entzücken sie seinen Worten lauschte, als er ihr immer wieder sagte, wie schön sie wäre.
War das eine Sünde?
Darüber nachzudenken, hat sie jetzt keine Zeit, so meint sie denn nur: „Ich konnte nicht gut anders, als den Norweger aufzufordern, uns seinen Besuch zu machen. Natürlich müssen wir ihn auch einladen, ich bin davon überzeugt, daß er auch dir sehr gut gefallen wird.”
Ihr Gatte hat die letzten Worte anscheinend überhört: „Du erzähltest mir doch, der Fremde bliebe nur ein paar Tage in der Stadt, mußtest du ihn da wirklich auffordern, zu uns zu kommen?”
Wie sollte ich wohl sonst Gelegenheit finden , ihn näher kennen zu lernen, denkt sie im stillen, laut aber sagt sie: „Es ging wirklich nicht anders. er selbst äußerte den Wunsch, deine Bekanntschaft zu machen, er erklärte mir, er fürchte, direkt unhöflich zu erscheinen, später eventuell abreisen zu müssen, ohne dir vorgestellt worden zu sein. Er scheint darin den amerikanischen und englischen Grundsätzen zu huldigen: wer sich einer fremden Dame vorstellen läßt, wer sich mit ihr unterhalten und mit ihr tanzen will, bedarf dazu der Erlaubnis des Ehemannes und da du nicht kamst, will er nachträglich deine Erlaubnis dazu einholen.”
Was Frau Martha da mit schlauer Berechnung sagt, nimmt auch ihren Gatten für den Fremden ein und so wird dieser denn auch von dem Hausherrn voller Herzlichkeit begrüßt, als er bereits am nächsten Mittag seinen Besuch macht. Nur ein Glück, daß sie einen Augenblick mit ihm allein ist, ehe der Gatte erscheint, da kann sie ihm rasch zuflüstern, womit sie sein Kommen ihrem Mann gegenüber begründet hat.
Und schon für den nächsten Tag wird er eingeladen, er will ja nur ganz kurze Zeit hierbleiben, da darf man die Einladungen nicht hinausschieben. Aber er hat es mit der Abreise gar nicht so eilig, das hat Frau Martha sich auch nur erfunden, damit ihr Mann nicht etwa eifersüchtig wird, denn die Männer sind ja so sonderbar. Die verlangen es geradezu von ihren Frauen, daß sie Eroberungen machen und leben trotzdem in der beständigen Furcht, daß die Frau bei der Gelegenheit nicht nur erobert, sondern auch erobert wird.
Frau Martha hat, schon um desto ungestörter mit dem Fremden, der sie selbstverständlich zu Tisch führt, plaudern und um ihn seinem Wunsche gemäß näher kennen lernen zu können, eine größere Gesellschaft geladen, und auch den übrigen Gästen gefällt er so gut, daß im Laufe des Abends zahlreiche Einladungen an ihn ergehen, daß fast alle verheirateten Herrschaften ihn bitten, nicht eher abzureisen, als bis er auch in ihrem Hause einen Abend verlebt habe.
Und er sagt zu: „Ihretwegen, gnädige Frau, damit Sie Gelegenheit haben, mich kennen zu lernen, aber auch meinetwegen, damit ich Sie bewundern darf länger . . .”
Niemand hat es gehört, als er ihr das zuflüstert und es hört auch keiner, als sie ihm ebenso leise zur Antwort gibt: „Es freut mich, daß Sie noch bleiben, aber glauben Sie wirklich, daß ich Sie noch nicht kenne? Entweder verstellen Sie sich mir gegenüber, dann werde ich Ihren wahren Charakter nie ergründen, oder aber Sie sind so, wie Sie sich geben, dann lese ich in Ihnen, wie in einem aufgeschlagenen Buch.”
„Würden Sie mir da also schon heute die Bitte erfüllen, die mich veranlaßte, Ihnen nachzureisen, Ihnen immer wieder zu sagen, wie schön Sie sind?”
Frau Martha weiß nicht, worin diese Bitte besteht — aber sie soll ihn lieben, wie er sie liebt, vielleicht sogar, daß er sie bitten wird, sich von ihrem Manne scheiden zu lassen, um ihm ganz anzugehören, nicht nur für flüchtige Stunden, sondern für das ganze Leben, denn er liebt sie doch und er ist reich.
Die Unruhe überfällt sie, was soll sie ihm antworten? Noch weiß sie es nicht und selbst wenn sie es wüßte, würde sie es ihm heute noch nicht sagen, denn sie kennen sich doch erst drei Tage und so schnell soll er sie denn doch nicht erobert haben, wenn es überhaupt je dazu kommen sollte.
So schweigt sie denn absichtlich, um den Anschein zu erwecken, als stünde sie in einem schweren Kampf da, dann meint sie schließlich, ihn dabei ein klein wenig kokett ansehend: „Vielleicht kenne ich Sie doch noch nicht genau genug, um schon heute — bitte lassen Sie mir noch ein paar Tage Zeit.”
Die Frauen gleichen den Festungen, sie verteidigen sich nur, um über kurz oder lang doch zu kapitulieren und je deutlicher beide die Übergabe vor Augen sehen, desto eindringlicher bitten sie, ihnen noch ein paar Tage Zeit zu lassen, schon , um den Anschein zu erwecken, als hätten sie sich auf das Äußerste gewehrt.
Und wenn sie dann die Waffen strecken, reden sie sich ein: eine ruhmreiche Niederlage sei ehrenvoller, als ein aussichtsloser Kampf.
Vor allen Dingen aber hat der Besiegte ein Anrecht auf Mitleid.
Wenn Frauen lieben, ergeben sie sich schon deshalb so oft, um sich von dem Geliebten bemitleiden zu lassen. Wer da bemitleidet wird, hat ein Recht, zu weinen und es ist doch so süß, sich diese Tränen trocknen zu lassen. Nur nicht mit dem Taschentuch, das haben die Frauen allein.
Frau Martha erbittet sich noch ein paar Tage Zeit und als sei das etwas ganz Selbstverständliches, stimmt er ihr bei.
Auch schon deswegen beginnt das Interesse, das sie an ihm nimmt, sich mehr und mehr in Liebe zu verwandeln. Wie zart und rücksichtsvoll er ist, wie er nicht stürmisch in sie drängt, sondern zart und leise um ihre Gunst wirbt. Gewiß, das gesteht sie sich in stillen, schlaflosen Stunden immer wieder ein, sie wird ihren Mann niemals betrügen, sie wird nie aufhören, eine anständige Frau zu bleiben, aber trotzdem, wenn er ihr seine Liebe gesteht, wenn er sie in die Arme nimmt und küßt, dann — — ist die Sünde wirklich so groß? Wenn eine Frau liebt, dann liebt sie nur einen, dann existiert für sie kein zweiter Mann auf der Welt, der eigene am allerwenigsten.
Je mehr Frau Martha an den Fremden denkt, desto weniger kann sie es ihrem Mann verzeihen, daß er sie damals nicht rechtzeitig zu ihrer Modistin gehen ließ.
Das redet sie sich natürlich nur ein, um vor sich selbst ein Recht zu haben, den anderen zu lieben und sie liebt den um so mehr, je weniger er ihr selbst von seiner Liebe spricht.
Aber er liebt sie, sie merkt es an der Art, in der er fortwährend ihre Nähe sucht, sie liest es in seinen Augen, die kaum einen Blick von ihr wenden und wenn auch zitternd, zögernd und widerstrebend gesteht sie sich ein: Wenn er sie jetzt fragen würde, ob sie ihm seine große Bitte erfüllen will, sie hätte nicht die Kraft, nein zu sagen.
Aber er fragt sie nicht wieder und gerade deshalb sehnt sie den Augenblick voller Ungeduld herbei. Wie rücksichtsvoll er ist! Aber weiß er nicht, daß die Frauen, wenn sie lieben, die Rücksichtnahme sehr oft als Beleidigung empfinden?
Man kann einen Menschen zuweilen nicht grausamer behandeln, als wenn man ihn schont.
Wann wird er die Bitte an sie richten? Frau Martha fiebert der Stunde entgegen, bis sie dann endlich kommt.
Der Zufall fügt es, daß sie allein zu Hause ist, als der Besuch ihr gemeldet wird. Ihr Mann ist zu einem Herrenfrühstück geladen, von dem er erst am späten Nachmittag zurückkehren wird.
Frau Martha kann den Augenblick kaum abwarten, in dem er ihr seine Liebe gesteht. Ach, sie selbst liebt ihn ja so leidenschaftlich. Das Warum weiß sie nicht, genug, sie liebt.
Wenn ein Ehemann sich in eine andere Frau, als in die eigene verliebt, dann findet die Gattin, ach, die teure, das unbegreiflich und je schöner die andere ist, desto spöttischer und geringschätzender fragt sie: „In die kannst du dich verlieben? In diese Frau, die weder ein hübsches Gesicht, noch eine gute Figur hat, der man es bei dem Gehen auf den ersten Blick ansieht, daß sie zum Überfluß auch noch krumme Beine hat? In die kannst du dich verlieben? Ihr Ehemänner habt doch einen zu sonderbaren Geschmack. Ja, wenn es noch eine andere wäre, dann wollte ich noch nichts sagen, aber ausgerechnet diese.”
Und hätte der Mann sich in eine andere verliebt, dann hätte die nach dem Urteil der eigenen Frau weder ein hübsches Gesicht, noch eine hübsche Figur, dann hätte auch die andere zum Überfluß noch krumme Beine.
Keine Frau begreift, daß der Mann sich in eine andere Frau verliebt, aber daß eine Frau sich in einen anderen Mann, als in den eigenen verliebt, erscheint ihr, wenn sie erst verliebt ist, selbstverständlich, die Liebe ist doch eine Himmelsmacht, wer kann da widerstehen?
Und wozu hat Gott denn die Liebe geschaffen, wenn man nicht lieben soll?
Frau Martha liebt, so zählt sie die Sekunden, bis der blonde Riese zu ihr in das Zimmer tritt. Aber wenn er eintritt, darf er sie nicht gleich hier vorfinden, das könnte doch so aussehen, als hätte sie auf ihn gewartet, noch dazu heute, wo ihr Mann nicht zu Hause ist. Sie muß ihn warten lassen.
So beauftragt sie den Diener, den Gast hereinzuführen und diesen zu bitten, er möge sich einen Augenblick gedulden. Und während der Diener sich entfernt, geht sie schnell in ihr Schlafzimmer, um noch einen letzten Blick in den Spiegel zu werfen — einen letzten Blick, nicht den letzten Blick.
Wenn eine Frau, die liebt, vor dem Spiegel steht, mit der Absicht, den letzten Blick in diesen zu tun, bevor sie dem Geliebten gegenübertritt, dann würde der sich während des Wartens aus einem jungen Menschen in einen Murmelgreis verwandeln.
Den letzten Blick in den Spiegel wirft eine Frau erst von ihrem Sterbebett aus und sie tut es in der Hoffnung, nein, in der Gewißheit, daß es auch im Jenseits einen Spiegel gibt, natürlich einen anderen, aber dennoch einen Spiegel.
Dem einen letzten Blick folgt noch ein zweiter und dritter, dann atmnet Frau Martha schwer auf, um gleich darauf anscheinend ganz unbefangen den Gast, der sich bei ihrem Eintritt von seinem Sessel erhoben hat, zu begrüßen.
Er führt die Hand, die sie ihm zum Willkommen reicht, an die Lippen, aber er läßt die Hand dann nicht wieder los, sondern hält sie fest in der seinen und sie beinahe mit verklärten Augen ansehend, sagt er zu ihr: „Wie schön Sie sind.”
Das hat er ihr schon oft gesagt, aber noch niemals mit einem solchen Klang in der Stimme. Seine Worte tönen in ihren Ohren wie eine Offenbarung.
Wenn eine Frau liebt, hört sie es aus dem Munde des Geliebten viel lieber, daß sie schön ist, als daß sie geliebt wird. Die Liebe, die er empfindet, ist sein Eigentum, die Schönheit gehört ihr.
„Wie schön Sie sind, gnädige Frau!”
Jetzt hat er auch ihre linke Hand ergriffen, die sie ihm willenlos überläßt und sieht ihr in die Augen, als wolle er durch diese hindurch nun doch ihr ganzes Wesen, ihren Charakter, ihr Inneres ergründen. Und das macht sie für einen Augenblick an seiner Liebe irre, denn er hat ihr doch selbst erklärt, man dürfe eine schöne Frau nicht näher kennen lernen wollen. Warum sieht er sie da also so an?
Aber gleich darauf denkt sie nicht mehr daran, denn jetzt sagt er: „Ich bin gekommen, gnädige Frau, um Sie zu fragen, ob ich darf heute an Sie richten die große Bitte, die ganz große Bitte?”
Was für ein Kind er doch noch ist! Glaubt er wirklich, daß er sie erst noch bitten muß, ihn zu lieben, wie er sie liebt?
Wie zart und rücksichtsvoll er ist, sie zu bitten, anstatt ihr mit feurigen Worten seine Liebe zu gestehen!
Das dürfte sie natürlich auch gar nicht anhören, denn sie ist doch eine anständige Frau und wird es auch bleiben, selbst wenn sie ihn liebt und sie liebt ihn doch.
Und um ihm das zu zeigen, dann aber auch, um ihm zu beweisen, daß sie mit tausend Freuden seine Bitte erfüllt, macht sie ihre Hände aus den seinen frei und schlingt ihre Arme um seinen Hals, während sie zu ihm, der fast einen Kopf größer ist, mit verzückten Augen aufsieht, bis sie die dann in seliger Erwartung schließt.
Jetzt kommt der Kuß!
Küssen lassen darf sie sich, aber sie darf es nicht sehen, daß er sie küssen will, denn dann müßte sie als anständige Frau doch diesem Kuß ausweichen, wenigstens den Versuch dazu machen.
Aber sie wartet vergebens, er küßt sie gar nicht.
Frau Martha ist empört. Was fällt ihm denn nur ein? Er kann doch unmöglich von ihr verlangen, daß sie ihm den ersten Kuß gibt? Aber ungeküßt darf sie sich auch nicht wieder von ihm freimachen, das wäre eine Beleidigung ihrer Person, die sie nicht ruhig hinnehmen dürfte. Nun, da es schon so weit ist, muß er sie auch küssen, oder wenn es nicht anders geht — — sie ihn!
Aber da fühlt sie plötzlich, wie er mit seinen Händen ihre Finger, die sich um seinen Hals herum zusammengefaltet haben, leise löst und noch bevor sie weiß, wie ihr geschieht, hat er schnell das Zimmer verlassen.
Halb ohnmächtig sinkt Frau Martha auf einen Sessel. Sie vermag keinen klaren Gedanken zu fassen. Liebt er sie denn nicht? Was wollte er denn von ihr, als ihre Liebe, was kann eine schöne Frau einem Mann anderes gewähren, als daß sie ihn liebt? Und er liebt sie doch auch, es ist ein Unsinn, nur eine Sekunde daran zu zweifeln und wenn er ging, tat er es sicher nur, um draußen nachzusehen, ob sie auch ungestört wären, ob kein Lauscher in der Nähe. Er wird, er muß zurückkommen, sie müßte sich ja sonst vor sich selbst in die Erde schämen.
Wenn eine Frau liebt, verzeiht sie alles, nur nicht, daß man ihre Liebe zurückweist und das hat er getan, wenn er nicht wiederkommt.
Aber er komt zurück.
Frau Martha atmet auf wie von einer zentnerschweren Last befreit, die Schande ist von ihr genommen — die Schande, daß er sie nicht liebt. Mit einem glückstrahlenden Lächeln auf den Lippen empfängt sie ihn. Sie tut, als hätte sie es gar nicht bemerkt, daß er sie für ein paar Minuten verließ, sie darf auch im Gespräch gar nicht darauf zurückkommen und auch er wird taktvoll genug sein, das nicht zu tun.
Aber er spricht doch davon, kaum, daß er ihr gegenüber Platz genommen hat: „Ich bitte sehr um Verzeihung, gnädige Frau, daß ich mich entfernt habe für einen Augenblick, ich habe telephoniert in das Hotel, daß mein Diener packen soll sofort die Koffer, da ich abreise heute nachmittag.”
Ganz entsetzt sieht sie ihn an, um dann mit tonloser Stimme zu fragen: „Sie reisen heute ab?”
„Ich muß, gnädige Frau,” gibt er zur Antwort, „denn mit der Bitte, die ich hatte auf dem Herzen, ist es nun vorbei — durch meine eigene Schuld.”
Frau Martha versteht ihn nicht, bis sie ihn dann plötzlich zu verstehen glaubt, er ist ritterlich genug, sich die Schuld beizumessen, daß sie ihn liebt, daß sie sich an seine Brust lehnte und sehnsüchtig auf einen Kuß wartete.
Seine Ritterlichkeit beschämt sie und verwirrt senkt sie den Blick zu Boden, bis sie sich dann plötzlich stolz wieder aufrichtet. Ja, ist es denn nicht wirklich seine Schuld, daß sie sich ihm gegenüber so weit vergaß? Mußte sie nicht annehmen, daß er sie liebte? Warum ist er ihr sonst nachgereist, warum hat er ihr sonst immer wieder gesagt, daß sie schön ist, schöner, als irgendeine andere Frau, die er bisher sah?
Und als errate er ihre stumme Frage, sagt er nun: „Ich will Ihnen gestehen, gnädige Frau, welche Bitte ich hatte auf dem Herzen. Da muß ich sagen Ihnen zunächst, daß ich mich Ihnen habe vorstellen lassen unter einem falschen Namen.”
Also ein Hochstapler, denkt Frau Martha entsetzt.
Er scheint wirklich ein Gedankenleser zu sein, denn er lächelt jetzt ein klein wenig spöttisch und ironisch, als er jetzt fortfährt: „Sie brauchen zu haben keine Angst, gnädige Frau. Ich bat unseren gemeinsamen Freund, mich vorzustellen unter einem falschen Namen und alles, was er über mich weiß, zu verschweigen, weil mein wirklicher Name auch Ihnen sicher zu bekannt ist und weil sie dann sicher sofort erraten haben würden, weshalb ich Ihnen nachreiste. Und Sie sollten mich kennen lernen erst, gnädige Frau, um dann selbst zu können beurteilen, ob ich verdiente als Mensch, nicht als Künstler, daß Sie erfüllten meine Bitte. Ja, gnädige Frau, ich bin ein Künstler,” setzt er hinzu, als er ihren erstaunten Blick bemerkt, „ich bin Maler.”
Und als er ihr nun seinen wirklichen Namen nennt, seinen Namen, den die ganze gebildete Welt kennt, da vermag sie sich zunächst von ihrer Verwunderung gar nicht zu erholen, bis Sie dann ausruft:„Das sind Sie! Das ist ja aber fabelhaft interessant!”
Er zuckt bei ihren Worten förmlich zusammen, dann sagt er: „Das ist es ja eben, gnädige Frau, diese entsetzlichen Worte ,fabelhaft interessant', Sie glauben ja gar nicht, wie mir graut davor. Um nicht zu erscheinen allen Menschen fabelhaft interessant, reise ich so häufig inkognito. Es widerspricht meinem Wesen und meinen Empfindungen, mich anstarren zu lassen wie ein Wundertier, nur weil es mir gelungen ist, mir zu verschaffen einen bekannten Namen und weil meine Bilder finden die Gunst und den Beifall der Kenner und des Publikums. Und ich nicht will, daß man mir sitzt zu meinen Bildern nur deshalb, weil es schmeichelt der Eitelkeit, von mir gemalt zu werden. Das will ich nicht, schon nicht wegen meiner Kunst, denn wenn das Modell nicht mehr sitzt, um meiner selbst willen, dann kann ich nicht gut arbeiten. Sie müssen mich verstehen natürlich recht, gnädige Frau, ich will nicht, daß mich liebt mein Modell, im Gegenteil, es mich nicht lieben darf, denn sonst man sich küßt, anstatt daß man arbeitet. Mein Modell darf haben keinen anderen Gedanken, als nur den einen großen, daß sie leistet der Kunst einen großen Dienst, durch das, was sie mir gewährt. Und als ich Sie damals sah zum erstenmal in Paris, da sah ich Sie nur mit den Augen des Künstlers und blitzschnell vor meinen Augen entstand ein Bild, zu dem mich entflammte Ihre Schönheit. Noch mehr als für andere Menschen ist für uns Künstler die Schönheit nur ein subjektiver Begriff, denn es gibt wohl überhaupt nicht eine objektive Schönheit, wenn man absieht von den klassischen Formen und der sogenannten klassischen Schönheit. Für das Bild, das mir entstand in meinem Geiste, als ich Sie sah in Paris, waren Sie die Idealgestalt und ich glaubte, es würde mir gelingen, Sie zu erwerben für meine Kunst, dadurch, daß Sie mich kennen lernten und meinen Charakter —”
Mit immer größer werdendem Erstaunen, dann aber auch mit einer immer mehr wachsenden Empörung hat Frau Martha ihm zugehört. Das also ist es, darin besteht seine große Bitte, daß sie ihm zu einem Bilde irgendwie Modell stehen soll. Schon das Wort „Modell” empfindet sie als eine tödliche Beleidigung, obgleich sie natürlich sehr genau weiß, daß ein Modell nur in den seltensten Fällen ein Aktmodell ist. Aber trotzdem, ein Modell! Sie ist außer sich! So macht sie denn jetzt eine ablehnende Handbewegung und sagt zugleich voller Stolz: „Es ist wirklich unnötig, weiter darüber zu sprechen, mein Mann würde es mir nie erlauben, daß ich zu einem Bilde säße.”
Und würde dein Mann es erlauben, daß du mich umarmtest, daß du dich von mir küssen lassen wolltest, und daß du meine Geliebte geworden wärest, wenn ich dich darum gebeten hätte? Und hättest du deinem Geliebten nicht alle deine Reize enthüllt, während ich für mein Bild nur einen Teil der Schönheit begehrte, die dir die Natur in so reichem Maße verlieh?
So deutlich liest sie diese Frage in seinen schönen Augen, daß sie seine Stimme beinahe deutlich zu hören glaubt, obgleich er die Lippen fest aufeinanderpreßt. Nur seine Augen reden eine traurige Sprache und die scheint zu sagen: Warum hast du mir das angetan? Du ahnst ja nichts davon, wie ich mich darauf gefreut habe, dieses Bild zu malen, das meinen Ruhm aufs neue hinaustragen sollte in die ganze Welt. Nun hast du dich in mich verliebt, ohne daß ich es wollte, ohne daß ich dich um deine Liebe bat . . .
Schweigend sitzen sie sich gegenüber, bis sie dann endlich, sich mit aller Gewalt beherrschend, anscheinend ganz ruhig und gelassen sagt: „Nein, es geht wirklich nicht. ich habe mir eben alles noch einmal reiflich überlegt und selbst, wenn mein Mann es mir erlauben würde, ich selbst könnte mich niemals entschließen, Ihnen zu sitzen. Handelt es sich um ein Porträt, dann wäre es natürlich etwas anderes, aber so? Es würde meinem Ruf schaden, wenn man erführe, daß ich Ihnen als Modell diente, selbst wenn man dieses häßliche Wort im besten Sinne deutet. Und Sie wissen doch selbst, lieber Freund, das höchste Gut einer Frau ist ihr Ruf, den muß sie hüten, wie ihr kostbarstes Kleinod. Und deshalb kann ich Ihnen Ihre Bitte nicht erfüllen, so leid es mir tut, gerade Ihnen nicht gefällig sein zu dürfen.”
Frau Martha spricht zuerst nur, um diesem Schweigen, das da herrschte, ein Ende zu bereiten, dann aber spricht sie, weil sie sich selbst einredet, daß er tatsächlich Unmögliches von ihr verlangt.
Und es muß ihr gelungen sein, ihn zu überzeugen, denn jetzt erhebt er sich von seinem Stuhl, um sich zu verabschieden: „Zürnen Sie mir nicht wegen meiner Bitte, gnädige Frau, wir Künstler wiegen uns ja oft in Träumen, noch mehr als andere leben wir in einem Märchenland als in der Wirklichkeit. Nun ist verflogen der Traum, schade, er war so schön, viel schöner als das wirkliche Leben. Lassen Sie mich bitten noch einmal, zürnen Sie mir nicht, und lassen Sie mich hoffen, daß Sie mir bewahren trotzdem ein freundliches Gedenken.”
Gleich darauf ist er gegangen und erleichternd aufatmend steht Frau Martha da. Gott sei Dank, er ist gegangen, dieser entsetzliche Mensch. Sie sieht sich um, als fürchte sie, er könne irgend etwas vergessen haben, seinen Hut, seine Handschuhe, um das als Vorwand zu benutzen, noch einmal zurückzukehren. Aber nein, sie braucht nichts zu fürchten, er hat nichts vergessen.
Gott sei Dank, sie könnte diesen entsetzlichen Menschen auch nicht mehr empfangen.
Welche maßlose Unverschämtheit von ihm, zu verlangen, daß sie ihm sitzen soll. Was geht sie die Kunst an? Unterstützt sie die nicht genug dadurch, daß sie sich Bilder kauft, sobald sie die hübsch findet und wenn die teuer genug sind?
Gott sei Dank, daß er fort ist für immer! Und den Menschen hat sie geliebt? Den hat sie küssen wollen, nach dessen Liebkosungen hat sie sich gesehnt?
Frau Martha schauert förmlich in sich zusammen.
Sie begreift sich selbst nicht mehr, bis dann plötzlich das künstliche Lügengebäude, das sie sich da errichtet, krachend in sich zusammenstürzt, bis sie in einen Sessel zurückfällt und laut aufschluchzend ihr Gesicht zwischen den Händen vergräbt. Was nützt es, daß sie sich belügt. Sie hat ihn geliebt und sie liebt ihn auch jetzt noch und daran ändert auch die Schmach nichts, daß er sie nicht wiederliebte, daß er ihre Zärtlichkeiten zurückwies. Und wie würde sie es ihm gedankt haben, wenn auch er sie geliebt hätte!
Lange weint sie vor sich hin, bis es dann endlich Zeit wird, sich zu beherrschen. Ihr Mann kann bald von dem Frühstük zurückkommen und er darf ihr die Tränen nicht anmerken.
Und als ihr Mann dann nach Hause kommt, verrät sie nichts von dem, was in ihr vorgegangen ist. Heiter, fröhlich und unbefangen tritt sie ihm gegenüber und läßt sich von ihm erzählen, wie er sich amüsierte und wer denn alles eingeladen war.
In seiner fröhlichen Sektstimmung plaudert er drauflos, um dann schließlich zu fragen: „Und was hast du denn in der ganzen Zeit angefangen? Hoffentlich hast du mich nicht zu sehr entbehrt?”
„Das doch,” gibt sie zur Antwort, schon, um ihm eine Liebenswürdigkeit zu sagen. Jetzt hat sie ja nur diesen einen Mann, da muß sie gegen den doppelt zärtlich sein, denn sie liebt ihn doch und wenn Frauen lieben, dann lieben sie nur einen Mann, selbst wenn er ihr eigener ist.
„Das doch,” wiederholt sie noch einmal, „ich habe dich voller Ungeduld erwartet. Das Wetter ist so schön. Wenn du nicht zu müde bist, könnten wir nachher noch einen Spaziergang oder eine Ausfahrt machen. Du hast mir wirklich sehr gefehlt, die Zeit vergeht so langsam, wenn man allein ist.”
„Du Ärmste,” tröstet er sie, „hat sich denn kein Mensch um dich gekümmert, hast du denn gar keinen Besuch empfangen?”
Sie hört aus seinen Worten heraus, daß er nicht ahnt, wer da war, so sagt sie denn: „Kein Mensch hat sich heute um mich gekümmert, kein Mensch, doch, eben fällt mir wieder ein, der Norweger war bei uns, um seinen Abschiedsbesuch zu machen. Er hat ein Telegramm erhalten, das ihn zwingt, schon heute abzureisen.”
„Und das erzählst du mir so völlig gleichgültig?” fragt er verwundert.
Wäre nicht jede Frau eine Meisterin der Verstellung, dann müßte Frau Martha sich jetzt verraten, aber auch sie ist eine Frau und so fragt sie denn mit dem unschuldigsten Gesicht von der Welt: „Warum soll mich denn seine Abreise nicht völlig kalt lassen? Das verstehe ich nicht, das mußt du mir erklären.”
Aber das tut er erst dann, als sie ihn nach langem Bitten, nach langem Schmollen und mit vielen Küssen zum Sprechen gebracht hat Natürlich weiß Frau Martha es im voraus ganz genau, was er ihr sagen will. Sein Argwohn gegen den Fremden ist irgendwie erwacht, er hat gefüchtet, er könne ihm ihre Liebe rauben. Aber gerade weil sie alles im voraus weiß, muß er ihr es sagen, schon, damit er sie wegen dieses geheimen Verdachtes, in dem er sie hatte, um Verzeihung bittet.
Und das tut er denn auch, nachdem er erklärt hat, wie froh er über die Abreise des Fremden ist, weil er bemerkt zu haben glaubte, daß sie sich für den interessiert, den sogar ein klein wenig liebe.
Starr und fassungslos, als könne sie es gar nicht begreifen, was ihr Mann da sagt, blickt Frau Martha ihren Gatten an, um dann endlich voll ehrlichster Entrüstung auszurufen: „Pfui, Hans, du schämst dich wohl gar nicht, du weißt doch, wie ich dich liebe.”
Ja, das weiß er, wie hat er nur jemals glauben können, seine Frau könne jemals aufhören, ihn zu lieben, ihn ganz allein!
Immer wieder bittet er sie um Verzeihung. Nur der Sekt hat aus ihm gesprochen, ganz gewiß nur der Sekt, ernsthaft hat er nie an das gedacht, was er ihr da sagte.
Er bittet und fleht und demütigt sich förmlich vor seiner Frau, um ihre Verzeihung zu erlangen, aber so schnell kann Frau Martha nicht verzeihen.
Wie ist es möglich, daß ihr Mann, wenn auch nur in der Sektlaune und wenn auch nur für eine kurze Sekunde, an ihrer Liebe hat zweifeln können?
Frau Marthas Tränen fließen unaufhaltsam und während sie weint, kommt sie zu der Erkenntnis: Wir Frauen können nun einmal nicht leben, ohne zu lieben — aber wenn wir lieben, dann ist der, dem wir unsere Liebe schenken, unserer Liebe nicht würdig! —
(1) Hier muß es wohl heißen: „doch das ist nicht wahr” (Zurück)