Der Drückeberger.

Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Ohligser Anzeiger” vom 16., 18., 19. und 21.11.1907
in: „Armeetypen”


Ohne ein Ja gäbe es kein Nein, ohne einen Nordpol keinen Südpol, ohne leere Portemonnaies keine vollen, ohne Plus kein Minus.

Und nachdem ich mich so als „der kleine Philosoph in der Westentasche zu tragen” entpuppt habe, sage ich: Ohne Diensthuber gäbe es keine Drückeberger.

Als ich, noch mit dem Schreiben dieses Buches beschäftigt, mit einem lieben Freund von der Armee, der bei mir zu Gast war, darüber sprach, daß ich auch den Drückebergern ein Kapitel widmen wolle, fuhr er erschrocken empor:

„Um Gottes willen, das wirst du doch nicht thun — du wirst doch nicht verraten, daß es in der Armee Drückeberger gibt?”

„Sei unbesorgt,” erwiderte ich, „jeder Verrat wird mit den schwersten Freiheits- und Ehrenstrafen, unter Umständen sogar mit dem Tode belegt, das ist mir sehr wohl bekannt. Ich werde schon nicht mehr sagen als ich vor anderen und vor allen Dingen vor mir selber verantworten kann.”

„Aber es giebt doch gar keine Drückeberger,” suchte er mich nun plötzlich zu überzeugen.

„Wirklich nicht?” fragte ich ihn scharf ansehend.

Da färbten sich seine Wangen dunkelrot.

„Na, denn Prosit,” sagte ich.

Prosite, Prosite,” entgegnete er und sein Kopf verschwand für eine ganze Weile in dem mächtigen Weißbierglas, aus dem wir wegen der großen Hitze das Nationalgetränk der Soldateska „Schorle-Morle” tranken — eine Mischung von Mosel, Selter und Streuzucker.

Man kann aber auch den Zucker fortlassen und an Stelle des Selterwasser Sekt nehmen — das schmeckt auch gut, besonders wenn man den Mosel durch Porter ersetzt, dann hat man plötzlich eine „Pelzbowle”.

Doch ich will keine zweite Henriette Davidis werden und hier keine Anleitung geben zum „Ansetzen von Bowlen im Familienkreise.”

Davor behüte mich der Himmel.

Meinetwegen kann sich jeder zusammenbrauen was er lustig ist — wird es aber etwas Gutes, so darf er mich gerne dazu einladen, denn „ich zach so gern, zachst du auch so gern?”

Als der Kamerad am Abend — oder war es schon am Morgen? — etwas schwankenden Schritte fortging, sagte er zu mir: „Nicht wahr, du wirst nichts über die Drückeberger schreiben?”

„Ich werde es mir noch überlegen,” gab ich zur Antwort.

Ich habe es mir inzwischen überlegt und schreibe doch.

Möge man mir verzeihen.

Wenige Tage nach seinem Diensteintritt bekommt man als Soldat, wenigstens wenn man bei der Infanterie dient, „das Gewehr in die Hand gedrückt.” Die Flinte ist bekanntlich die Braut des Soldaten — sie soll wie diese heilig gehalten und vor allem Bösen bewahrt werden.

Kaum hat man das Gewehr in der Hand, so beginnt auch schon der Unterricht, warum, weshalb und wozu die Flinte da sei.

Die Unterweisung beginnt mit der Erklärung des Wortes „Zielen” und hat man das begriffen, so wird einem gezeigt, wie man das Gewehr „abdrückt”.

Die Vorschrift sagt darüber, daß man hierbei den Abzugsbügel mit dem rechten Zeigefinger so weit zurückführen soll, bis man den ersten Widerstand „Druckpunkt” verspürt — dann soll der Finger langsam, aber stetig weiter gekrümmt werden, bis der Schuß losgeht.

Wer erinnert sich nicht noch aus seiner Dienstzeit des Wortes „Druckpunkt”?

Auf dem Scheibenstand bekommt man es an einem Vormittag unzählige Male zu hören: „Druckpunkt — ganz ruhig mein Sohn — du brauchst keine Angst zu bekommen, der Schuß geht nicht nach hinten heraus — ganz ruhig bleiben — so ist schön, so ist schön — Druckpunkt, Druckpunkt, noch etwas mehr —”

Und allen Ermahnungen zum Trotz „reißt der Schlumpschütze” plötzlich durch — er schießt vorbei, oder wie man euphemistisch sagt, er schießt ein Loch in die Luft.

Wütend springt der die Aufsicht führende Offizier in die Höh: „Können Sie Kameellogramm der Kräfte denn nicht hören? Sie sollen Druckpunkt nehmen. Verstehen Sie denn nicht, Druckpunkt. Nun gleich nochmals heran.”

Der unglückliche Schütze ladet von neuem und tritt dann wieder an seinen alten Platz zurück.

„Druckpunkt, mein Sohn,” beginnt der Offizier abermals, „ganz ruhig mein Sohn, du brauchst keine Angst zu haben, der Schuß geht nicht hinten heraus — ganz ruhig bleiben, so ist es schön, so ist es schön, Druckpunkt, noch etwas mehr —”

Der Himmel hat ein Einsehen, der Mann macht es richtig.

Als Offizier muß man auf dem Scheibenstand so oft „Druckpunkt, Druckpunkt” rufen, daß man sich wirklich nicht wundern kann, wenn die Herren sich selbst manchmal „Druckpunkt, Druckpunkt” zurufen.

Die Herren Lieutenants sitzen im Kasino bei Tisch. Die unverheirateten Stabsoffiziere und Hauptleute, die sonst die Mahlzeit mit ihnen zusammen einnehmen und sich zuweilen dadurch unbeliebt machen, daß sie sich um tausend Dinge kümmern, die sie gar nichts angehen, sind heute zu einem großen Honoratiorendiner geladen. Die jungen Leute sind ganz unter sich. Man muß die Feste feiern wie sie fallen, lautet ein altes Wort, und so feiern die Lieutenants denn das Fest des Alleinseins — eine Champagnerflasche nach der anderen wird von den Kasino-Ordonnanzen herbeigeholt, und bald herrscht der tollste Jubel.

Mitten in die fröhliche Stimmung hinein ruft da plötzlich ein Adjutant: „Kinder, wißt ihr es eigentlich schon, in der nächsten Woche ist eine dreitägige Garnisonübung mit Biwak und Abkochen.”

Ein donnerndes „Hurra” lohnt diesen „Witz”.

„Hurra, Prosit, bange machen gilt nicht,” ruft man ihm zu.

Der Adjutant macht ein beleidigtes Gesicht: „Wenn ihr's nicht glauben wollt, laßt es bleiben, mir kann es recht sein.”

„Ist es wirklich wahr?” wird da der Adjutant von seinem Nachbar gefragt.

„Mein Wort darauf,” giebt der zur Antwort, „heute Nachmittag ist der Befehl vom General­kommando gekommen.”

Nun wird es doch still an der Tafelrunde und alles lauscht, was der Adjutant noch zu berichten weiß.

Der aber schweigt und freut sich über die erschrockenen Gesichter, die ihn plötzlich anstarren.

Endlich aber läßt er sich herbei, näheres zu vermelden.

„Die Sache soll vollständig kriegsmäßig verlaufen. An welchem Tag die Uebung stattfindet, ist noch unbestimmt. Das General­kommando telegraphiert eines schönen Morgens — dann wird alarmiert und sofort auf drei Tage abgerückt.”

„Ei verflucht,” sagt da ein älterer Sekondelieutenant und wird sofort wegen dieses unparlamentarischen Ausdrucks mit zwanzig Pfenng Strafe belegt.

Seufzend zieht er sein Portemonnaie und legt ein blankes Zwanzig-Pfennig-Stück auf den Tisch des Hauses.

„Es ist das letzte, was ich besitze,” spricht er klagend, „bedenkt, heute ist der achte, und meine Miete ist auch noch nicht bezahlt — bekomme ich in gerechter Erwägung der besonderen hier einwirkenden Umstände keinen Rabatt? Thut's nicht auch ein Groschen?”

Aber seine Bitte findet kein Gehör und sein Obolus verschindet in der Tischkasse.

„Wohin geht es denn?” fragt ein dritter.

„Der Adjutant nennt den Ort, der von der Garnison ungefähr so weit entfernt liegt wie die Sonne von der Erde.

„Ei —”

Aber der Sprecher besinnt sich noch im letzten Augenblick und schluckt das Wort, das seinem Kameraden so teuer wurde, noch rechtzeitig herunter.

„Bitte zehn Pfennig,” sagt der Tischälteste und die Strafkasse wird dem Sprecher zugeschoben.

Der aber protestiert: „Ich habe ja gar nichts gesagt.”

„Aber etwas Unschönes gedacht und sogar zur Hälfte ausgesprochen. Kostet einen Groschen — billiger kann ich es nicht machen — kostet mich selbst soviel — heraus mit den Moneten, bezahlen müssen Sie doch, also nun nur schnell — halten Sie den Geschäftsgang nicht auf.”

So fügt er sich denn und spendet seinen Groschen. Er tröstet sich damit, daß er ihn, wenn auch nur indirekt, wieder zu sehen bekommt, denn sobald die Kasse voll ist, wird sie leer getrunken, eine mächtige Bowle angesetzt.

Und je mehr einer dazu beigetragen hat, desto mehr trinkt er auch. Das ist doch ganz klar.

Der Adjutant kramt inzwischen weitere Neuigkeiten aus:

„Um die Kosten möglichst gering zu machen, soll die Bagage auf ein Minimum beschränkt werden. Nur die berittenen Offiziere dürfen einen Koffer mitnehmen.”

„Und die unberittenen?”

„Die tragen alles, was sie brauchen, selbst in ihrem Tornister.”

Ein Schrei des Entsetzens ertönt aus aller Mund.

„Na, Kinder,” fährt der Adjutant fort, „ich könnte euch noch viel erzählen, aber ich will euch die Stimmung nicht weiter verderben. Eins will ich nur noch verraten, es muß alles mit, es bleibt niemand zurück, Sie Kramsta am allerwenigsten.”

Schallendes Gelächter, denn Kramst ist als Drückeberger bekannt — wütend springt der Gefoppte aber in die Höhe: „Was heißt das? Ich am allerwenigsten, ich bitte um Aufklärung.”

„Zunächst setzen Sie sich bitte wieder hin und bezahlen Sie fünfzig Pfennig, weil Sie ohne Erlaubnis aufgestanden sind. Und dann trinken Sie ein Glas Sekt, meinetwegen auch zwei und beruhigen Sie Ihr Gemüt, wer wird denn solche harmlose Neckerei übelnehmen?”

Der Tischälteste spricht's, und der geneckte Herr Premier giebt ihm schließlich Recht und stößt mit dem Adjutanten an.

Der Friede ist wieder geschlossen.

Eine richtige Stimmung will anfangs nicht wieder aufkommen, die Schreckensnachricht, die der Adjutant verbreitete, wirkt nach, die bevorstehende Uebung liegt allen „im Magen”.

„Na, Kinder,” sagt da Einer, „wenn wir den Jammer überleben, den wir alle miteinander morgen haben werden, dann kommen wir über die Felddienst­übung auch noch hinweg. Die wird uns auch noch nicht töten. Nun Brüder stoßt die Gläser an, es lebe der Soldatenmann.”

Dieser schwache Versuch, einen Scherz zu machen, verfehlt seine Wirkung nicht und bald denkt man an alles andere, nur nicht mehr an die Uebung. Das ist ja noch so lange hin, wer wird sich darüber heute schon grämen, es ist genug, daß ein jeglicher Tag hat seine eigene Plage.

Manche finden sogar, dies wäre nicht nur genug, sondern viel zu viel.

Die Lichter werden auf den Tisch gestellt, die Cigarren herumgereicht und es wird ernsthaft erwogen, wie man den Rest des Abends verleben solle. Es ist jetzt sieben Uhr — also ein angebrochener Tag.

Man beschließt darüber abzustimmen, ob man sitzen bleiben oder in die Kneipe gehen soll.

Das Resultat ergiebt: „Sitzen bleiben,” aber noch etwas anderes ergiebt der namentliche Auruf: einer, der vorhin noch hier war, hat sich inzwischen entfernt.

Aber wer nur?

„Sicherlich der Herr Premier,” ruft da Einer, „der Drückeberger.”

„Aber wo mag er nur sein?” fragt man verwundert.

„Sicherlich ist er Zu Haus und denkt über einen Druckpunkt nach,” lautet die Antwort.

Und so ist es.

Der Herr Premier liegt zu Haus auf seinem bequemen Sofa, hat sich eine Cigarre angezündet und fühlt sich äußerst wohl. Der Bursche hat ihm nach berühmten Muster Thee gekocht und Rum hineingegossen und sich erkundigt, ob er sich sonst noch weiter nützlich machen könnte. Er hat einen „Korb” bekommen und sich in seine Stube zurückgezogen, wo er auf einem Briefbogen mit dem Wappen seines Lieutenants der Auserwählten seines Herzens und seines Magens mitteilt, daß seine Schinken- und Wurstvorräte sich ganz bedenklich dem Ende näherten, und daß sie entschieden auf Abhülfe sinnen müsse.

„Und wenn du das thust, habe ich dich auch wieder lieb und werde dir auch wieder treu,” schließt die rührende Epistel.

Der Herr Lieutenant schlürft inzwischen seinen Thee, stößt große Rauchwolken von sich und denkt nach.

Die große bevorstehende Uebung gefällt ihm nicht, absolut nicht. Den ganzen Tag im Gelände herumzulaufen, querfeldein, die ganze Zeit den Tornister auf dem Rücken tragen, mittags ins Biwak kommen, nichts ordentliches zu essen und zu trinken bekommen, nachts womöglich auf Vorposten, im besten Falle hinten bei dem Gros im Stroh liegen — entsetzlicher Gedanke.

Und das nun drei Tage hintereinander.

Von Anfang an war es ihm klar, daß er sich an dieser Uebung nicht beteiligen werde und je mehr er darüber nachdenkt, desto mehr befestigt sich der Entschluß in ihm.

Er mitgehen — das sollte gerade noch fehlen, das wäre ja noch schöner. Nein, er bleibt im Lande und nährt sich redlich

Er wird sich von der Uebung drücken, es kommt nur noch darauf an, einen „Druckpunkt” zu finden.

Das ist aber nicht so leicht, wie es aussieht, denn die Sache muß sehr, sehr fein eingefädelt werden — die Vorgesetzten dürfen gar nicht auf den Gedanken kommen, daß er sich „drücken” will, denn so etwas wird einem Soldaten, besonders aber einem Offizier sehr verdacht. Auch die Kameraden dürfen vor der Zeit nichts merken, denn die sind im stande und necken ihn bei Tisch in Gegenwart der Stabsoffiziere damit, und wie leicht kann es dann der Kommandeur erfahren.

Bis spät in die Nacht brennt die Lampe in dem Wohnzimmer des Herrn Premier, und als er sich endlich erhebt, um sein Lager aufzusuchen, schmunzelt er vergnüglich vor sich hin:

„Vielleicht geht es so — vielleicht — nur nichts merken lassen — Vorsicht ist die Mutter des Porzellangeschirrs.”

Am nächsten Morgen zeigt der Herr Premier seinem Kompagniechef gegenüber ein großes Interesse für die Uebung. Er erkundigt sich, ob der Herr Hauptmann vielleicht etwas näheres wisse, die Sache scheine ja „ganz witzig” werden zu wollen. Auch die Essensfrage wird eingehend erörtert, die Speisen, die mitgenommen werden sollen, werden auf die einzelnen Herren verteilt, kurz, alle Arrangements werden getroffen.

Hin und wieder schimpft der Herr Premier auch mal ein paar Worte: zu viel Interesse darf er auch nicht heucheln, auch das könnte verdächtig erscheinen.

So gehen die Tage dahin und eines Morgens wird Alarm geschlagen, das Telegramm des General­kommandos ist eingelaufen, es geht los.

„Dann amüsiert auch nur schön,” denkt der Herr Premier, — während er im Sturmschritt zum Kasernenhof eilt.

Mit lautem „Hallo” wird er von den jüngeren Kameraden begrüßt, aber während er sich sonst über die Frechheit der jungen Dachse halbtot ärgern und ihnen gehörig seine Meinung sagen würde, läßt ihn die Sache heute kühl bis ans Herz hinan.

Er meldet sich bei seinem Hauptmann zur Stelle und sieht dann sehr eifrig den Anzug seiner Leute nach, erkundigt sich, ob sie im Tornister auch alles mithaben, was sie brauchen, ob auch jeder seine Mütze eingepackt hätte, sieht die Patronen nach und beschaut sich die Gewehrläufe.

Da kommt der Adjutant auf ihn los.

„Sie möchten sofort zum Herrn Major kommen.”

„Ich?” fragt er ganz erstaunt, „was will denn der von mir?”

„Keine Ahnung,” lautet die Antwort, „aber er ist wütend, der Teufel ist los.”

„Nanu?” fragt er verwundert, „warum bindet Ihr ihn denn nicht einfach fest?”

Gleich darauf steht er vor seinem Bataillonskommandeur, der verzweifelt die Hände ringt: „Hören Sie, was machen wir nur? Es ist ein Telegramm von der Brigade eingelaufen, daß die Waffen­revisions­bücher umgehend der Brigade eingereicht werden sollen, spätestens bis morgen Abend. Haben Sie die Bücher, die Sie ja zu führen haben, in Ordnung?”

„Wie sollte ich wohl, Herr Major,” giebt er zur Antwort, „wir hatten ja ursprünglich noch über acht Tage Zeit.”

„Ja, ja, gewiß,” bestätigt der Herr Major, „dann bleibt nichts anderes übrig, als daß Sie die Bücher jetzt in Ordnung bringen.”

„Jetzt? Während der Uebung?”

„Natürlich bleiben Sie zurück — selbstverständlich — ich werde dem Herrn Oberst melden, was dazwischen gekommen ist. Werden Sie aber auch bis morgen fertig werden?”

„Ich muß , Herr Major,” betont er als pflichtgetreuer Offizier.

„Nun gut, ich verlasse mich ganz auf Sie,” verabschiedet sich der Herr Major von ihm und wenig später rückt das Regiment ab.

Der Herr Premier fragt jeden an ihm vorbei marschierenden Kameraden: „I, müssen Sie auch mit?” und die Wut, die aus den Zügen der Gefoppten spricht, bereitet ihm ein teuflisches Vergnügen.

Dann begiebt er sich im langsamsten Schlendertempo nach Haus und sitzt, zu Hause angekommen, gleich darauf — nicht etwa am Schreibtisch, ach nein, sondern auf seinem Bettrand und zieht sich langsam und bedächtig die Stiefel aus.

Er ist müde, er will schlafen, die Waffenbücher haben ja Zeit und außerdem erfordert die ganze Arbeit höchstens zwei Stunden.

Mit wahrem Wohlbehagen streckt er sich auf seinem Lager: er ist mit sich sehr zufrieden, das hat er einmal wieder fein gedeichselt.

Er hatte an den Brigadeadjutanten, der ihn nicht leiden kann, privatim geschrieben, er hätte in der letzten Zeit so viel Dienst gehabt, daß er die Bücher noch nicht in Ordnung hätte, er wisse nicht, wie er fertig werden solle, ob der Termin nicht etwas aufgeschoben werden könnte.

Und der Adjutant, blind vor Wut über diese Zumutung, hatte an die Uebung gar nicht gedacht, sondern einfach den Termin verkürzt in der Hoffnung, dann dem Herrn Premier einen ordentlichen Anpfiff seitens der Brigade verschaffen zu können.

Der Herr Premier lächelte — er war mit sich zufrieden — es war alles programmmäßig verlaufen. Dafür, daß er nichts auf den Hut bekäme, wollte er schon aufpassen.

Und fröhlich schlief er ein.

Er hatte sich wieder einmal „gedrückt”.

Schön ist das „sich drücken” ja nun gerade nicht, aber es ist bequem, riesig bequem, und außerdem ist man es nicht nur sich, sondern auch dem Staate schuldig. Man muß sich so lange wie irgend möglich körperlich und geistig frisch erhalten, wenn man nicht zu früh seinen Abschied bekommen will und mit lauter verabschiedeten Offizieren ist dem Staate doch auch nichts gedient. Die kosten nur Geld, ohne etwas dafür zu leisten, und die Steuerlast ist heut zu Tage schon so groß, daß man schon im Interesse der Steuerzahler dem Staat jede unnütze Ausgabe ersparen muß.

Kategorische Imperative sind ja jetzt modern und der Imperativ des Drückebergers lautet: „Schone die Knochen,” warum er auch häufig den zweiten Beinamen „Der Knochenschoner” führt.

Und als solche leisten einige geradezu hervorragendes.

Die anstrengendste Zeit für den Infanterieoffizier ist das Kompagnie­exerzieren. Von dem Ausfall der Vorstellung hängt es in erster Linie ab, ob die Vorgesetzten noch ein Jahr mit ihm „kapitulieren”. Segelt der Häuptling bei der Besichtigung hinein, so segelt er auch bald in den stillen Hafen, wo keine Ebbe und keine Flut, kein Sturm und kein Ungewitter herrschen.

Bei dem Kompagnieexerzieren ist der Hauptmann „Herrscher aller Reußen”, absoluter Beherrscher aller ihm unterstellten Preußen — mit denen kann er machen was er will, er kann ihnen gar keinen Dienst ansetzen, er kann aber auch, wenn die Sache nicht so geht, wie er es haben will, den ganzen lieben langen Tag exerzieren.

Ob solcher ganze Tag nun gerade sehr lieb ist, will ich nicht behaupten, lang aber ist er auf jeden Fall, „höllisch” lang — das wissen auch die Kerls und die Herren Kerls, die Lieutenants, und darum strengt sich alles nach Möglichkeit an.

Nur der Drückeberger nicht.

Zum Exerzieren muß er mit, da hilft ihm kein Stöhnen, aber ob man mitgeht zum Exerzieren oder „nur so” mitgeht, ist ein gewaltiger Unterschied.

Er geht „nur so” mit!

Er denkt gar nicht daran, zu marschieren, „er thut nur so, sagt der Floh,” er „markiert”.

Es sieht so aus, als ob er sich ganz gewaltig anstrengte, in Wirklichkeit bummelt er aber, was das Zeug halten will.

Das ist eine große Kunst, die gelernt sein will, und sie zu erlernen, giebt selbst ein Drückeberger sich Mühe.

„Was du nicht willst, das man dir thu',
Das füg' auch keinem anderen zu”

lautet ein schöner Spruch, den der Drückeberger in seiner Jugend wie so vieles andere nicht gelernt hat, oder den er, wenn sein Lehrer ihm denselben dennoch beigebracht hat, auf jeden Fall wieder vergessen hat.

Jede Drückerei ist eine Unkameradschaftlichkeit, denn der Dienst, den ich mir abwälze, muß ein anderer für mich thun.

Der Drückeberger drückt sich immer, aber wenn ein anderer sich einmal drückt, dann giebt es einen großen Krach.

In jedem Jahr wird von jedem Infanterie­regiment und von jedem selbständigen Bataillon ein älterer Lieutenant zu dem großen Pioniergerät, alias zu einem Pionierbataillon kommandiert: dort sollen sie praktisch im Pionierdienst ausgebildet werden und alles lernen, was „die Maulwürfe” betreiben, als da ist: Schützengräben anlegen, Schanzen bauen, Brücken schlagen, Sprengungen und andere schöne Sachen.

Selbstverständlich wird von den Offizieren nicht verlangt, daß sie selbst den Spaten zur Hand nehmen und den ganzen Tag „arbeiten”, das würde ihrer Stellung nicht entsprechen.

Die Ausbildung der Offiziere beschränkt sich darauf, daß sie bei dem Dienst der Pioniere „zusehen”.

Na, alles was recht ist, aber von allen Beschäftigungen ist „zusehen” entschieden die langweiligste.

Wer es nicht glaubt, der sehe einmal einen ganzen Tag zu, wie sich die Flügel einer Windmühle drehen oder wie ein Goldfisch, dieses stumpfsinnigste aller Lieblingstiere alter Jungfern, den ganzen Tag mit dem blödsinnigsten Gesichtsausdruck von der Welt in seinem Bassin herumschwimmt und nach Luft jappt, anstatt einfach seinem elenden Dasein ein Ende zu machen, sich auf den Rücken zu legen und zu ertrinken.

Wer mir dann noch nicht glaubt, der ist einfach nicht zu überzeugen, oder er will sich nicht überzeugen lassen und das sind die Allerschlimmsten, mit denen ich mich nicht aufhalten will.

Wundern darf man sich also nicht, daß auch den Herren Lieutenants das Zusehen auf die Dauer unerträglich wird: vier Wochen hindurch Tag für Tag zuzusehen, wie die Leute ein Loch nach dem anderen in die Erde graben und es dann gleich wieder zuwerfen, ist einfach zum Auswachsen.

Die Lieutenants sehen dann auch schließlich gar nicht mehr zu, sie unterhalten sich über das, was ihnen am meisten auf dem Herzen liegt, über Essen und Trinken.

Unglaubliche Quantitäten werden von den Kommandierten verkonsumiert, besonders des Morgens bei dem Frühstück, und deshalb führt das Kommando zu den Pionieren in der ganzen Armee die Bezeichnung: „Das Frühstückskommando”.

Mit Ausnahme des durch Fritz Reuter berühmt gewordenen Seiles, von dem die verdammten Jungens das Ende abgeschnitten hatten, hat bekanntlich jedes Ding ein Ende, auch das Frühstückskommando und eines schönen Tages fahren denn die Herren Lieutenants mit einem blödsinnigen Katzenjammer, an dem eine Familie mit acht erwachsenen Kindern genug hätte, zu ihren Garnisonen zurück.

„Nun, haben Sie ordentlich was gelernt?” fragt der Kommandeur.

„Zu Befehl, Herr Oberst,” lügt der Lieutenant frech wie Oskar.

Würde er die Wahrheit sagen, so müßte er antworten: „Ich bin so klug als wie zuvor.”

Gelernt hat er gar nichts.

Und doch soll er bei seinem Truppenteil zeigen, was er gelernt hat, ihm soll nach den bestehenden Vorschriften Geolegenheit gegeben werden, seine Kenntnisse praktisch zu verwerten.

Der Herr Oberst ist froh, dieser Vorschrift Genüge leisten zu können. Seit langer Zeit schon trägt er sich mit dem Gedanken einer Felddienst­übung, und er ruft den als Pionier ausgebildeten Offizier zu sich.

„Hören Sie mal, mein Lieber —”

„Na,” denkt der Lieutenant, „die Sache kann gut werden, die unangenehmsten Reden beginnen mit einer Liebenswürdigkeit oder mit einem Lob.”

„Was ich Ihnen sagen wollte, mein Lieber — ich werde in den nächsten Tage eine größere Uebung machen, und habe für Sie hier einen Specialauftrag ausgearbeitet, über den ich Ihnen strengste Geheimhaltung zur Pflicht mache. Sie haben mit keinem Menschen darüber zu sprechen, verstehen Sie, mit keinem Menschen?”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

„Sie werden hier über diesen Fluß, hier an dieser Stelle — bitte, sehen Sie hier auf die Karte — hier, wo ich das kleine Kreuz gezeichnet habe, eine Brücke schlagen. Ueberlegen Sie sich die Sache — berechnen Sie sich, was Sie an Material gebrauchen, wieviel Wagen erforderlich sind, um das Material an die Brückenstelle zu schaffen, wie hoch sich die Kosten ungefähr belaufen werden, wieviel Zeit Sie zum Brückenbau gebrauchen, wieviel Mannschaften, und halten Sie mir dann morgen Mittag um dieselbe Zeit hierüber einen Vortrag, damit ich dementsprechend dann das weitere veranlassen kann.”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

„Dann danke ich Ihnen schön.”

Jedes Leid und Ungemach ist ja zu ertragen, wenn man sein Herz ausschütten, sich bei anderen Rat und Hülfe holen kann. Wenn es auch nicht immer nützt, so giebt es doch immer ein Gefühl der Beruhigung, des Nachtverlassenseins.

Der arme Lieutenant aber ist ganz allein: nur seine Sorgen schwirren um ihn herum.

Ebenso gut könnte man von einer Telegraphenstange verlangen, daß sie nun endlich das Problem des lenkbaren Luftballons löste, als daß man dem Lieutenant zumutet, eine Brücke über den Fluß zu bauen.

Was braucht man dazu?

Da stockt er schon, wer hilft ihm weiter fort?

Vergebens sieht er sich nach einem Retter um. Da giebt's nur eine Hülfe in der Not: er muß einen Druckpunkt finden.

Ach und nun denkt er nach — und das ist so schwer, so gräßlich schwer, wenn man nicht an diese anstrengende Thätigkeit gewöhnt ist.

Das ist noch schwerer als Brücken bauen

Und der Herr Lieutenant denkt weiter — er denkt an alles Mögliche — aber weiter kommt er mit seinen Gedanken deshalb doch nicht.

Endlich erinnert er sich dunkel, einmal auf Kriegsschule gewesen zu sein — er sucht sich seine Leitfäden hervor, und was er sonst noch immer an Lehrmitteln findet und stellt danach zusammen, was er ungefähr gebraucht.

Nach dreistündiger Arbeit ist er einigermaßen orientiert: aber ob seine Rechnung stimmt, könnte in diesem Falle nicht einmal ein vereidigter Rechnungsrevisor feststellen.

Am nächsten Mittag hält er dem Kommandeur den Vortrag, dem derselbe mit großem Interesse lauscht.

„Sind Ihre Angaben auch richtig?” frat der Oberst.

„Ich hoffe „ja”, ich habe dieselben nach bestem Wissen gemacht.”

Das ist nicht gelogen, denn das beste Wissen ist oft, nichts zu wissen.

„Wir werden die Uebung übermorgen machen,” spricht der Herr Oberst, „es bleibt also bei den in diesem schriftlichen Befehl bestimmten Angaben. Sie verladen Ihr Material nachts um ein Uhr auf die Krümperwagen, die das Ulanenregiment Ihnen stellen wird, und fahren dann um zwei Uhr ab. Länger als eine Stunde wird das Verladen wohl nicht dauern?”

„Nein, Herr Oberst.”

„Nun schön — dann dirigieren Sie die Wagen nach dem Bestimmungsort. Dort werden Sie etwa um fünf Uhr eintreffen, eine halbe Stunde später muß das Abladen beendet sein und Sie müssen dann sofort mit dem Brückenbau beginnen, damit derselbe spätestens um neun Uhr fertig ist. Auch die Kavallerie wird ausschließlich Ihre Brücke benutzen.”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

„Seien Sie ja recht vorsichtig, damit kein Unglück passiert. Wenn die Brücke zusammenstürzt und ein Kavalleriegaul sich ein Bein bricht, ist bekanntlich der Teufel los.”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

„Nun, dann danke ich schön — halt noch eins — selbstverständlich können Sie dem ältesten Unteroffizier die Aufsicht bei dem Aufladen überlassen und der kann auch während des Marsches die Leitung haben. Natürlich müssen Sie ihm aber genau den Weg angeben, den er fahren soll, damit er nicht in Europa herumirrt. Am Rendez-vous-Platz treffen Sie dann mit den Leuten zusammen und übernehmen die Leitung.”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

Eine höfliche Verbeugung des Kommandeurs, die der Herr Lieutenant durch ein kurzes, militärisches Zusammenschlagen der Hacken erwidert, dann ist der größte Techniker und Baumeister aller Jahrhunderte draußen auf dem Korridor.

Die frische Luft, die ihm durch die offenen Fenster entgegenweht, thut ihm wohl: er nimmt die Mütze ab und fächelt sich die Stirn, ihm ist mächtig warm geworden bei dem Gedanken, daß auch die Kavallerie über die Brücke, über seine eigene, leibeigene Brücke soll. —

So'n Kavallerist kann seines Pferdes wegen niederträchtig grob werden.

Und bricht sich solch' alter Schinder etwas, dann ist es natürlich „gerade der beste Gaul der ganzen Schwadron gewesen.”

Das ist immer so, wenigstens sagen es die Vorgesetzten, auch dann wenn der Gaul nur drei Beine, keinen Kopf und zwei Schwänze hatte.

Ein hervorragendes, gutes, leistungsfähiges Pferd war es deshalb doch.

Dem armen Lieutenant wird bei dem Unglück, das er anrichten kann, ganz elendiglich zu Mut, und als er spät am Abend schlafen gegangen ist, hat er einen schrecklichen Traum: das ganze Kavallerie­regiment, oder richtiger gesagt, die Pferde des ganzen Regiments stürmen in Karriere auf ihn ein — ein, zwei und dreibeinig und alle schlagen sie auf ihn ein mit den Beinen, die sie bei der Brücke brachen und verloren, dann aber, um ihn damit zu töten , wieder aufhoben.

Als der Lieutenant am nächsten Morgen aufwacht, ist er mehr tot als lebendig und wieder beginnt er über einen „Druckpunkt” nachzudenken, er denkt und denkt, er zermartert sich sein Gehirn — es fällt ihm nichts ein.

Am Nachmittag läßt er den ältesten Unteroffizier seines Kommandos zu sich kommen und instruiert ihn auf das Genaueste.

„Jawohl, Herr Lieutenant können sich auf mich ganz verlassen, soll alles besorgt werden. Ich habe mir hier alles aufgeschrieben, ich werde die Wagenkolonne schon richtig dirigieren und am Rendez-vous-Platz kommen der Herr Lieutenant dann zu uns.”

„Jawohl, jawohl, mein Lieber — übrigens Sie sind ja ein verständiger Beamter — lesen Sie sich doch einmal die Pioniervorschrift durch, damit Sie morgen genau orientiert sind und mir hülfreich zur Hand gehen können. Sie kennen ja unsere Leute, die stellen sich bei solchen Gelegenheiten einfach zu dumm an, die denken dann gleich Gott weiß was, als wenn es denn so etwas Besonderes wäre, solche Brücken zu bauen — du lieber Himmel, das ist doch eine Kleinigkeit.”

„Das schon, Herr Lieutenant,” sagt der Unteroffizier, der sich durch die Sicherheit des Offiziers nicht täuschen läßt, „das Bauen ist eine Kleinigkeit, aber mit dem Halten, das ist immer solche dumme Geschichte. Gewöhnlich löst sich solch Ding in Wohlgefallen auf und merkwürdigerweise fast immer gerade dann, wenn sich Vorgesetzte auf ihr befinden.”

Dem Lieutenant tritt der Angstschweiß von neuem auf die Stirn, äußerlich aber bewahrt er seine Kaltblütigkeit: „Na, wir werden die Sache schon machen, was?”

„Das versteht sich, Herr Lieutenant, man keine Bange nicht, wir wollen die Sache schon fingern. Dann fange ich also um ein Uhr heute Nacht an zu verladen und fahre dann sofort ab.”

„Jawohl — na, dann machen Sie Ihre Sache gut und wie gesagt, verfahren Sie sich nicht und sehen Sie sich noch einmal die Vorschrift an.”

Der Unteroffizier verschwindet, trifft die nötigen Vorbereitungen und macht alles zum Abmarsch zurecht.

Pünktlich um einhalb zwei Uhr fahren die beladenen Wagen fort, die Sache ist so geheim gehalten, daß der Posten sich zuerst weigert, die Soldaten abmarschieren zu lassen, weil er in seinem Unterthansverstand meint, die Leute wollten „ausrücken”, d. h. „bei der Liebsten fensterln”.

Der Unteroffizier setzt dem Posten auseinander, daß er das größte zweibeinige Rindsvieh sei, das jemals in Deutschlands Gauen gegrast habe, und gleich darauf rückt die Kolonne ab.

Einige Stunden später marschiert der Feind ab und dann die anderen Truppen.

Dem Feind hat man einen Weg vorgeschrieben, auf dem er nicht mit den Wagen zusammentreffen kann, denn sonst würde er nicht Morgenluft, wie der selige Faust, sondern Unrat wittern und sofort auf den klugen Gedanken kommen, daß man Böses gegen ihn im Schilde führe und ihm mittels des „Rödelbalkens” zu besiegen versuchen werde.

Was ein „Rödelbalken” ist, würde ein Unteroffizier seinen Leuten folgendermaßen erklären: „Ein Rödelbalken ist, wenn man zwei Hölzer aneinander gebunden hat und will verhindern, daß die Hölzer nun wieder rutschen thun, indem dadurch, daß sich was das Tau ist, nun lockern thut, dann schiebt man einen Rödelbalken zwischen das Tau, um es fester anzuziehen.”

Und stolz würde der Korporal, wenn er so gesprochen, sich in die Brust werfen, und jeden für geistig nicht ganz normal halten, „der jetzt immer noch nicht begriffen hat, was ein Rödelbalken sein thut.”

Auf einem dritten Wege marschiert das Detachement, bestehend aus dem Regiment Infanterie und der Kavallerie, vor, um den bösen Feind zu vernichten.

Es wird ihnen ein leichtes sein, „denn, meine Herren,” sagt der Oberst, „ich habe von einem meiner Offiziere bei Aberg eine Brücke über den Befluß schlagen lassen, hauptsächlich für die Kavallerie, es liegt mir daran, den Feind überraschend in seiner Flanke anzugreifen. Ich bin sehr begierig, ob die Patrouillen des Gegners etwas von diesem Brückenschlag merken, wenn sie uns den Uebergang verwehren, ist es natürlich peinlich, dann müssen Sie, meine Herren von der Kavallerie, mit Ihren Pferden hinüberschwimmen, das läßt sich dann nicht ändern.”

Dagegen protestiert aber die Kavallerie auf das Energischste: das hat sie bei Friedensübungen nicht nötig, den Pferden schadet es nichts, auch nicht den Leuten, wohl aber den Anzügen, die kosten viel Geld.

„Nun, meine Herren,” spricht der Führer, „dann verzichte ich darauf, Sie schwimmen zu sehen, dann wollen wir hoffen, daß die Brücke uns gute Dienste leisten wird.”

Die Uebung beginnt und die Kavallerie­patrouillen reiten nach allen Himmelsrichtungen auseinander. Die Infanterie marschiert inzwischen auf der Straße weiter, bis die Nachrichten über den Feind eintreffen und sie dadurch zum Handeln veranlaßt.

Aber es kommen keine Nachrichten über den Feind.

Der Kommandeur zieht seine Uhr und wendet sich zu seinem Adjutanten: „Es ist mir unerklärlich, warum wir noch keine Meldung haben. Die Patrouillen sind schon seit einer kleinen Stunde fort, wenn sie ordentlich geritten wären, müßten sie schon lange wieder zurück sein.”

Der Adjutant drückt durch ein tiefes Schweigen seine Zustimmung zu den Worten seines Kommandeurs aus.

Die Kolonne marschiert weiter und der Herr Oberst wartet weiter.

Nach einer halben Stunde kommt ein Ulan auf schweißbedecktem Pferde angesprengt: „Meldung von dem Herr Rittmeister der ersten Eskadron.”

„Nun, was giebt's?” fragt der Kommandeur ungeduldig.

Seine Kampfeslust ist erwacht, er dürstet nach Blut.

„Meldung von dem Herr Rittmeister —”

„Zum Donnerwtter, das haben Sie ja schon einmal gesagt.”

Aber so leicht ist ein dickköpfiger Ulan nicht aus dem Sattel zu bringen.

„Meldung von dem Herr Rittmeister der ersten Eskadron. Der Herr Rittmeister ließen fragen, wo die Brücke sein sollte, sie wäre nirgends zu finden.”

„Sagen Sie Ihrem Herrn Rittmister,” donnert der Oberst, „ich ließe ihm sagen — doch nein, das wäre nur Zeitverschwendung, denn Sie bestellen ja doch nur Unsinn.”

Er wendet sich an seinen Adjutanten: „Bitte, reiten Sie mit diesem Unglücksraben nach vorne, zeigen Sie dem Herrn Rittmeister, wo die Brücke geschlagen ist und sagen Sie dem Herrn Rittmeister, ich ließe ihn bitten, nun aber energisch, sehr energisch vorzugehen.”

Im Galopp sprengt der Adjutant mit dem Ulanen davon und der Kommandeur ist allein.

In seinem Innern kocht es: er ist rasend.

Hätte er über den Rittmeister die Konduite zu schreiben, so würde er sagen: „Zum Felddienst in jeder Hinsicht vollständig untauglich.” Na, aber auch so wird der Herr Rittmeister allerlei von ihm zu hören bekommen.

Darauf kann er sich verlassen.

Wieder vergeht eine Viertelstunde nach der anderen, da kommt der Adjutant in Karriere zurückgejagt.

„Ich melde ganz gehorsamst, Herr Oberst —”

„Nun, was giebt's?”

„Ich kann die Brücke auch nicht finden.”

„Herrrrrr, sind Sie des Teufels?” brüllt der Oberst, „Sie wollen Regiments­adjutant sein und können nicht einmal die Brücke finden, die an einem, Ihnen von mir auf das Genaueste angegebenen Punkte geschlagen ist? Da hört sich wirklich alles auf.”

„Der Herr Oberst können mich ja als Adjutant ablösen lassen —”

„Darüber werde ich entscheiden — vorläufig begleiten Sie mich,” und dem Regiment ein kurzes „Halt” zurufend, sprengt er mit seinem Adjutanten nach vorne.

Der Herr Oberst ist ein guter Reiter, er jagt dem Gaul die Sporen in die Seite, daß das Blut fließt.

Wie die wilde Jagd stürmen sie dahin: der Herr Oberst voran, der Adjutant immer hinter her.

Nun sind sie bei der Stelle angekommen, wo die Brücke stehen sollte.

Der Oberst sieht sich verwundert um und reibt sich die Augen: „Die Brücke ist nicht da,” spricht er endlich, „die Brücke ist thatsächlich nicht da.”

„Thatsächlich nicht da,” echot der Adjutant.

„Das ist mir geradezu un-er-klär-lich.”

„Unerklärlich,” nickt der Adjutant.

„Dann habe ich Ihnen also unrecht gethan, ich bitte Sie um Verzeihung.”

Der Friede ist wieder geschlossen.

„Nun aber kommen Sie, wir müssen die Brücke suchen, sie muß doch irgendwo sein.”

Sie reiten Fluß auf und Fluß ab, sie suchen und suchen und finden viele, die dasselbe suchen wie sie, die aber gleich ihnen nicht finden, was sie suchen.

Da hat der Kommandeur einen wahrhaft genialen Gedanken: „Lassen Sie uns zu dem Rendez-vous-Platz der Wagen reiten.”

Sie thun es, und als sie dort ankommen, bietet sich ihren Augen ein idyllisches Bild.

Im Schatten kühler Bäume hat die Kolonne Halt gemacht. Die Pferde sind abgesträngt und weiden im hohen Grase, die Leute liegen auf dem Rücken und schnarchen um die Wette, nur der älteste Unteroffizier, der Transportführer sitzt wachend auf einem Baumstumpfen, raucht seinen Tabak und schaut sinnend vor sich hin.

Als er den Hufschlag vernimmt, springt er hoch und horcht und als er die Reiter erkennt, sucht er durch einen energischen Ruf und noch energischere Fußtritte seine Unterthanen wieder in dei Wirklichkeit zurückzuversetzen.

Starr hält der Kommandeur auf seinem Streitroß.

„Das ist ja eine famose Geschichte,” ruft er, „das ist ja wundervoll — ha-ha-ha.”

Aber sein Lachen klingt wenig Vertrauen erweckend und gleich darauf fährt er auch schon den Unteroffizier an:

„In des drei Teufels Namen, was machen Sie hier?”

„Ich warte auf den Herrn Lieutenant.”

„Auf den Herrn Lieutenant?”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

„Wo ist denn der Herr Lieutenant?”

„Ich weiß es nicht, Herr Oberst, hier gewesen ist der Herr Lieutenant noch nicht.”

Sprachlos wendet sich der Kommandeur an seinen Adjutanten:

„Haben Sie Worte? Haben Sie Worte?”

„Nein, Herr Oberst.”

„Ich auch nicht,” bestätigt dieser.

„Er muß sich verritten haben, es ist unerhört,” setzt er nach einiger Zeit hinzu und zu dem Unteroffizier gewandt: „Es ist gut, Sie können wieder nach Haus fahren.”

Er wendet sein Pferd und reitet mit seinem Adjutanten von dannen: sein Innerstes gleicht einem feuerspeienden Krater.

Nun muß die Uebung ohne die Brücke gemacht werden, denn Stunden würden vergehen, ehe sie fertig ist — so lange kann er seine Leute nicht warten lassen, er muß Rücksicht nehmen auf ihre Kräfte.

Die ganze Mühe und Arbeit ist umsonst gewesen, die Truppen hätten ebenso gut zu Haus bleiben können.

„Wenn wir nachher zurück sind, wünsche ich sofort den Herrn Lieutenant auf dem Regimentsbureau zu sprechen — sofort.”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

Am Nachmittag rücken die Truppen wieder ein und der Kommandeur begiebt sich auf das Bureau.

Auf seinem Platz findet er einen Zettel:

„Ich melde mich ganz gehorsamst an heftigen Stichen in der Brust erkrankt. Behandelnder Arzt Dr.med. Eisenbart. Voraussichtliche Dauer der Krankheit: drei Wochen.”

Das also ist die Lösung, der Lieutenant hat sich drücken wollen, und weil er keinen anderen Druckpunkt fand, sich einfach krank gemeldet? Na, warte, mein Junge, denkt der Oberst, drei Wochen braucht der Doktor Eisenbart um dich zu kurieren? Das will ich in einer Viertelstunde besorgen.

Er schickt dem Herrn Lieutenant einen Brief: „Ich wünsche Sie sofort zu sprechen — sollte Ihre Krankheit Ihnen nicht erlauben, zu gehen, so haben Sie sich einen Wagen zu nehmen: Unkosten werden Ihnen ersetzt werden.”

Eine halbe Stunde später hört der Herr Oberst plötzlich etwas klappern.

„Nanu?” denkt er verwundert, „Störche haben wir hier doch nicht? Was ist denn das?”

Er öffnet die Thür nach dem Nebenzimmer und da steht „der kranke Lieutenant”, dem die Beine vor Angst klappern.

„Ah, da sind Sie ja schon, mein Lieber, bitte, kommen Sie doch einmal einen Augenblick herein.”

Und nun beginnt da nebenan eine Unterhaltung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt: „Krank wollen Sie sein, Herr? Krank? Sie, dem die Gesundheit aus den Augen leuchtet? Wissen Sie was Sie sind — ein Drückeberger Prima-Qualität, aber das will ich Ihnen gedenken, Herr, darauf können Sie sich verlassen. Ihre Krankmeldung nehme ich nicht an — hier ist sie — da,” und mit kräftigem Wurf fliegt sie dem Herrn Lieutenant zerrissen vor die Füße, „aber ein Vergnügen sollen Sie doch haben — ich bestrafe Sie mit sieben Tagen verschärften Stubenarrestes, Ihr Säbel wird Ihnen nachher sofort durch den Adjutanten abgeholt werden. Gehen Sie — befreien Sie mich von Ihrem Anblick.”

Nun sitzt der Drückeberger zu Haus — sieben lange Tage hindurch und stöhnt und klagt — nicht darüber, daß er sich hat drücken wollen, sondern nur darüber, daß er es so dumm angefangen hat.

Ein anderes Mal will er es schlauer anfangen, darauf kann sich der Herr Oberst verlassen, zum zweitenmal fällt er nicht hinein.

Wenn er aber denkt, daß die Sache mit den sieben Tagen Stubenarrest erledigt ist, so irrt er sich.

Als er sich wieder zum Dienst gemeldet hat, wird Offiziers­versammlung angesetzt, da wird ihm noch einmal ganz gewaltig der Kopf gewaschen.

Als Schlußeffekt wünscht der älteste Lieutenant seine Kameraden noch einen Augenblick zu sprechen: na, und was der dem Jüngeren sagt, übertrifft alles bisher Dagewesene.

Endlich reißt dem Getadelten die Geduld: „Von jedem anderen nehme ich die Vorwürfe ruhig hin, aber von Ihnen nicht, denn Sie sind selbst der größte Drückeberger.”

Donnerwetter, das ist stark, denn der älteste Lieutenant ist gewissermaßen auch ein Vorgesetzter.

Alle sind starr und denken, nun schlägt's dreizehn.

Der Herr Premier würgt ein paar Mal vergebens nach Worten, dann bittet er die anderen Herren so lange hinauszugehen, bis er sie wieder hereinrufen werde und bleibt dann mit dem Missethäter allein.

Was die beiden miteinander sprachen, ist „geheim”, aber als die anderen wieder hereingerufen werden, bittet der Jüngere den Aelteren öffentlich um Verzeihung.

Damit ist die Angelegenheit erledigt.

Die ganze Wut des Herrn Premier war ja nur „markiert”, er selbst weiß es ja am allerbesten, daß er ein gewaltiger Drückeberger ist — er findet das Verhalten des anderen im Inneren seines Herzens ganz verständig, warum soll der sich nicht auch einmal drücken? Hätte der andere es so angefangen, daß er selbst an dessen Stelle die Brücke hätte bauen müssen, na, dann hätte er sich auf was gefaßt machen können — aber so, du lieber Gott, er selbst ist ja auch nicht mit gewesen, er hatte etwas anderes zu thun, er hatte keine Zeit.

Grob geworden ist er dem Jüngeren nur, weil der Oberst es wünschte — darum keine Feindschaft nicht.

Und wenig später sitzen die beiden „Drückeberger” bei einer „Kupferberger” und lügen sich gegenseitig die Jacke voll, wie pflichtgetreue Offiziere sie wären.

Die Hauptsache ist, daß sie es selbst glauben.


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