Der Angstmeier.

Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Ohligser Anzeiger” vom 1., 2. und 3.7.1907,
in: „Armeetypen”


Von dem Tage an, da man in die Armee eintritt, ist man dem Militär-Straf­gesetzbuch unterstellt, und die wichtigsten Bestimmungen aus dem Militär­strafgesetz­buch sind in den Kriegsartikeln enthalten.

Ich glaube, es giebt im Ganzen vierundfünfzig Kriegsartikel, die den Soldaten von Zeit zu Zeit vorgelesen und erklärt werden, damit sie den bestehenden Gesetzen gemäß handeln können. Die wichtigsten Artikel müssen die Mannschaften auswendig lernen, so auch den Artikel 4, der da lautet:

„Feigheit ist für den Soldaten besonders schimpflich und erniedrigend. Niemals darf er sich aus Furcht vor persönlicher Gefahr von der Erfüllung seiner Dienst­obliegenheiten abhalten lassen.”

Und der Lieutenant, der seinen Leuten die Gesetze vorliest, hält eine lange Rede über die Feigheit, spricht von alten Weibern und von kleinen Kindern, dann von Männern, Vaterlands­verteidigern, und liest dann die Strafen vor, die den feigen Soldaten treffen — Arrest — Festung — Todesstrafe.

Im Frieden tapfer zu sein, ist kein Verdienst. Zieht man des Morgens zu einer Felddienstübung, ins Manöver, so weiß man ganz genau, daß man heil und unversehrt wieder zurückkommt, selbst dann, wenn der markierte Feind eine Viertelstunde oder noch länger das wahnsinnigste Schnellfeuer abgegeben hat.

Feige Soldaten habe ich in meiner Dienstzeit nicht kennen gelernt, doch: zwei. Der eine war ein Fähnrich, der sich nicht entschließen konnte, vom hohen Springturm herab, ebenso wie die Kameraden, in das Wasser hinabzuspringen, und der deshalb kein Offizier wurde. Der andere war ein Einjähriger, der nicht zu bewegen war, die Wende, eine Turnübung, zu machen, weil, wie er sagte, sein Hausknecht sich bei derselben Uebung vor langen Jahren einen Bruch zugezogen hatte.

Daß es unter unseren Offizieren keine Feiglinge giebt, ist zu selbstverständlich, als daß es nötig wäre, darüber ein Wort zu verlieren.

Aber es giebt unter den Offizieren eine große Anzahl von „Angstmeiern”

Der Herr Hauptmann ist mit seiner Kompagnie vom Kasernenhof abgerückt, um endlich einmal eine vernünftige Felddienst­übung zu machen, er will sich seine Untergebenen ordentlich anlernen, ihnen einmal zeigen, wie er wünscht, daß die Sache gehandhabt wird. Schon auf dem Marsch ruft er seine Offiziere und Unteroffiziere herbei, hält ihnen eine lange Rede über die Idee, die er der heutigen Uebung zu Grunde legt, und über tausend andere wichtige Dinge.

„Und das möchte ich gleich sagen,” schließt er endlich, „ich marschiere nicht eher nach Haus, bis nicht alles so gemacht wird, wie es gemacht werden muß, bis ich die Ueberzeugung gewonnen habe, daß sowohl Sie wie die Leute das Handwerk der Sache begriffen haben.”

Der Hauptmann hat absichtlich ein sehr entfernt liegendes Gelände ausgesucht, damit er sicher ist, nicht von anderen Kompagnien gestört zu werden. Fast zwei Stunden dauert der Anmarsch, endlich hat man den Rendez-vous-Platz erreicht.

Einen Augenblick werden die Gewehre zusammengesetzt, die Leute treten fort, bringen ihren Anzug in Ordnung, essen in aller Eile ein Butterbrot und dann heißt es wieder: „An die Gewehre.”

Die Uebung beginnt.

„Meine Herren,” spricht der Herr Hauptmann, „wie ich vorhin schon sagte, ich lasse Ihnen vollständig Zeit. Nach einer Stunde reite ich die Posten ab und wünsche dann aber, daß die Leute auf das Genaueste instruiert sind und mir auf meine Fragen keine Antworten schuldig bleiben. Ich bin doch verstanden?”

„Zu Befehl, Herr Hauptmann.”

„Dann rücken Sie bitte ab.”

Und „strahlenförmig”, wie es die Felddienstübung vorschreibt, werden die Posten ausgesandt.

An jede der Hauptstraßen wird eine Feldwache vorgeschickt, diese schickt wieder Unteroffizierposten vor und dieser seine Doppelposten.

Der Hauptmann, neben sich seinen Hornisten, hält auf einer Anhöhe und sieht sich das Aussetzen der Posten an. Er ist wohl damit zufrieden, die Sache wird ganz verständig gemacht, jede Abteilung hat wieder eine kleinere Abteilung als „Spitze” vorgesandt, die das Gelände aufklären und verhüten soll, daß die größere Abteilung plötzlich überrascht vom Feinde angegriffen wird.

Daß kein Feind da ist, schadet ja nichts. Es ist ja nur eine Uebung.

„Ja, ja,” denkt der Hauptmann, „bis jetzt ist ja alles ganz schön und ganz richtig, aber die Posten-Instruktion, das ist der schwache Punkt, na, heute lasse ich meine Lieutenants instruieren, bis sie grün und schwarz werden, es nützt nichts, einmal muß die Instruktion in die Schädel der Leute hinein.”

Der Hauptmann steigt vom Pferd, um sich die Beine etwas zu vertreten, und giebt dem Spielmann den Gaul zum Halten. Er selbst setzt sich auf einen Chausseestein, zündet sich eine Cigarre an und denkt über die Weltordnung im allgemeinen und über die Felddienst­ordnung im besonderen nach.

Er sieht nach der Uhr — zehn Minuten sind erst verstrichen.

„Nun werden die Posten auf ihren Plätzen angekommen sein,” denkt er.

Er nimmt die Karte und den Zirkel hervor und mißt: „Bis zu dem äußersten Posten sind es fast zwölfhundert Meter — nein, sie werden doch wohl noch nicht da sein. — Dann haben die Leute allerdings nur gute drei Viertel Stunden zur Instruktion, das ist eigentlich ein bischen wenig, ich könnte hinreiten und sagen, daß ich die gestellte Zeit um eine Viertelstunde verlängere.”

„Herr Hauptmann, der Herr Major kommt.”

Entsetzt springt der Hauptmann in die Höh': „Wer kommt? Der Herr Major — aber, aber, was mache ich da nur? Meine Karte, meine Karte, wo habe ich denn nur meine Karte, ach so ja richtig, ich habe sie ja schon wieder eingesteckt und den Zirkel, wo ist der Zirkel — richtig, hier liegt er — was mache ich nur? Wenn mich der Major nun fragt, warum ich hier ganz allein bin und nicht bei den Leuten, er wird sich wundern, er wird mir einen Vorwurf daraus machen, obgleich ich in meinem guten Recht zu sein glaube. Wenn er nun die Posten abreitet und die Instruktion abfrägt, die Leute haben ja kein Ahnung — keine blasse Ahnung. Der Major wird mir einen Vorwurf daraus machen, obgleich ich ganz unschuldig daran zu sein glaube, denn bevor die Leute etwas wissen, müssen sie es doch zuerst lernen. Das sehen die Vorgesetzten aber nicht ein, die verlangen, daß jeder Knabe gleich bei seiner Geburt alle bestehenden militärischen Vorschriften in- und auswendig wissen soll. Was mache ich nur, was mache ich nur?”

„Wollen der Herr Hauptmann das Pferd haben?” fragt der Spielmann, „der Herr Major wird gleich hier sein.”

„Natürlich, natürlich,” ruft der Hauptmann, „mein Pferd, mein Pferd, wenn der Vorgesetzte zu Pferd ist, muß ich auch zu Pferd melden — rasch her mit dem Gaul.”

Er ersteigt sein Schlachtroß und will gerade dem Herrn Major entgegenreiten, da durchzuckt ihn ein rettender Gedanke.

„Hornist, blasen Sie: die zweite Kompagnie sammeln.”

„Zu Befehl, Herr Hauptmann.”

Eine Sekunde später tönt das Signal über das Gelände.

Der Hauptmann ist inzwischen bei dem Herrn Major angelangt.

„Ich melde ganz gehorsamst die zweite Kompagnie bei einer Felddienstübung.”

„Ich danke Ihnen sehr, bitte, lassen Sie sich gar nicht stören, ich will nur meinen Braunen einmal ordentlich abtraben. Guten Morgen.”

„Gott sei Dank,” ist das erste, was der Hauptmann denkt, als er sich von seinem Schrecken erholt hat, dann aber giebt er seinem Gaul die Sporen und jagt den schon zurückkehrenden Posten entgegen.

„Meine Herren, das Signal war ein Mißverständnis, es gilt nicht, die Uebung wird weiter fortgesetzt, bitte, marschieren Sie auf Ihre Plätze zurück.”

Gerade nicht in rosiger Laune kommandieren die Offiziere und Unteroffiziere „Kehrt — marsch”, und gehen dahin, wo sie gestanden haben.

Der Hauptmann kehrt zu seinem Eckstein zurück und erholt sich von dem ausgestandenen Schrecken.

„Nur gut,” denkt er, „daß der Major rechts in den Wald hineingeritten ist, sonst wäre er doch noch den zurückmarschierenden Posten begegnet, das hätte ein schönes Unglück gegeben.”

Aber was ist das? Sieht er recht? Täuscht er sich nicht?

Da kommt durch den Wald ein Unteroffizierposten zurück, dem er den Gegenbefehl zu bringen vergaß, und hinter dem Unteroffizier reitet der Herr Major, der seinen Braunen gehörig abtraben wollte, in sausendem Schritt.

Dem Hauptmann sträuben sich die Haare derartig auf dem Kopf, daß er mit einer raschen Handbewegung die Schuppenketten, die sich am Helm befinden, unter das Kinn machen muß, wenn er nicht riskieren will, daß die aufrecht stehenden Haare ihm den Helm vom Kopf herunterstoßen.

„Zr Stelle,” meldet sich der Unteroffizier.

Dem Hauptmann steht der Angstschweiß auf der Stirn.

„Es ist gut,” sagt er endlich, „lassen Sie die Gewehre zusammensetzen, und die Leute wegtreten. Die anderen Abteilungen müssen auch jeden Augenblick hiersein. Hornist, blasen Sie noch einmal: die zweite Kompagnie sammeln.”

„Zu Befehl, Herr Hauptmann.”

Und eine Sekunde später ertönen die feierlichen Klänge.

Die Lieutenants, die das Signal hören, können sich keinen Vers daraus machen: erst wird geblasen, dann wird gesagt, es sei ein Mißverständnis, dann wird wieder geblasen, was ist denn eigentlich los?

Ein Signal aber ist ein Befehl, dem Folge geleistet werden muß.

So sammeln sie denn ihre Heldenschar und marschieren nach dem Eckstein zurück, bei dem der Hauptmann sein Fähnlein erwartet.

„Meine Herren,” sagt der Hauptmann, „wir wollen die Uebung hier abbrechen, wir wollen uns hier nicht zu lange aufhalten, denn wir haben noch einen weiten Weg nach Haus. Heute Nachmittag in der Instruktionsstunde werde ich mit Ihnen und mit den Leuten das, was wir heute Morgen gemacht haben, durchsprechen. Wir wollen nun noch eine halbe Stunde auf weite Entfernungen zielen, und mit Platzpatronenn schießen. Bitte, Herr Premier, gehen Sie mit Ihrem Zuge zurück und besetzen Sie dort jene Höhe, die anderen beiden Züge besetzen hier diesen Wall bis der Zug dort oben angekommen ist, lassen die Herren hier einige Entfernungen schätzen. Bitte, rücken die Züge ab.”

Aengstlich sieht er sich um, ob auch wohl der Herr Major mit seinen Anordnungen zufrieden ist — aber was ist das, der Herr Major ist ja gar nicht mehr da?

„Wo ist denn der Herr Major?” fragt er ganz verwundert.

„Der ist schon lange fortgeritten.”

„Wohin denn?”

„Nach Haus.”

„Das — das — verstehe ich nicht — bitte, warten die Herren noch einen Augenblick, ehe Sie mit den Zügen abrücken. Wo ist der Unteroffizier, der vorhin hier mit dem Herrn Major durch den Wald zurückkam?”

„Hier, Herr Hauptmann.”

„Was wollte denn der Herr Major von Ihnen?”

„Nichts, Herr Hauptmann.”

„Aber er wird doch irgend etwas zu Ihnen gesagt haben?”

„Zu Befehl, Herr Hauptmann.”

„Nun was denn, in des drei Teufelsnamen — heraus mit der Sprache — was sagte der Herr Major?”

„Der Herr Major meinte, es wäre zu schade, daß der Weg durch den Wald gerade heute gesperrt sei, er habe sich so auf den hübschen Weg gefreut.”

„Das ist alles?”

„Zu Befehl, Herr Hauptmann, und dann fragte der Herr Major, ob nicht einer von uns ein Zündholz habe, die Cigarre sei ihm ausgegangen.”

„Weiter nichtsß”

„Nein, Herr Hauptmann.”

Der „Häuptling” macht ein verwundertes Gesicht, dann zieht er die Uhr: „Was ?” ruft er ganz erstaunt, „später ist es noch nicht — dann habe ich mich ja um eine ganze Stunde versehen. Meine Herren, dann möchte ich Sie bitten, doch noch einmal mit Ihren Zügen auf die alten Plätze zu rücken, es ist ja nicht weit, in ein paar Minuten sind Sie dort. In einer kleinen halben Stunde komme ich dann zu Ihnen, frage die Leute rasch nach der Instruktion, dann zielen wir noch eine kleine halbe Stunde auf weite Entfernungen, verfeuern dann hinterher noch in einem kleinen Gefecht unsere Platzpatronen, und gehen dann nach Haus. Bitte, rücken die Herren ab.”

Die Lieutenants befinden sich nicht mehr in der besten Laune, und auch die Unteroffiziere und Mannschaften haben keinen Spaß mehr — wundern kann man sich ja darüber nicht.

So werden von den Zugführern die Kommandos schlapp und nachlässig gegeben, und von den Leuten ebenso ausgeführt.

Dann setzt sich die Kolonne in Bewegung, und alles marschiert dahin, wo es gestanden hat.

Nach einer halben Stunde steigt der Hauptmann zu Pferde, und reitet die Postenkette ab.

Er hält bei jedem einzelnen Mann an und fragt, von wo der Feind zu erwarten sei, wo die Nebenposten ständen, und was sonst noch zu dem Kapitel der besonderen Posteninstruktion gehört.

Die Leute haben keine Ahnung, keine blasse Ahnung.

Er setzt sein Schlachtroß in Galopp und reitet zu dem betreffenden Zugführer hin: „Herr Lieutenant, Herr Lieutenant, so geht das nicht, ich habe soeben einen Mann Ihres Zuges befragt, der Kerl hat keinen Schimmer — Feldwebel, schreiben Sie den Mann auf: eine Stunde Nachexerzieren mit gepacktem Affen, weil er bei einer Felddienst­übung seinen Verstand zu Haus gelassen hat, ach nein, das geht ja nicht, also eine Stunde Nachexerzieren, weil er sich während des Dienstes in grober Weise unaufmerksam gezeigt hat. Sie aber, Herr Lieutenant, muß ich dringend bitten, die Leute genauer zu instruieren — ich habe Ihnen Zeit genug gelassen — ich möchte nur wissen, was Sie den ganzen Vormittag gemacht haben?”

„Hin- und hergelaufen bin ich,” denkt der Lieutenant, „und zwar nicht freiwillig, sondern auf Befehl.”

„Herr Lieutenant, ich gebe Ihnen nun nochmals eine halbe Stunde Zeit, ich muß aber sehr bitten, daß Ihre Leute dann Bescheid wissen — ich marschiere nicht eher nach Haus. Verlassen Sie sich darauf.”

Der Hauptmann reitet fort, und in der rosigsten Laune instruiert der Lieutenant seine Posten nochmals.

„Was wissen Sie vom Feind?”

„Der Feind ist von Norden her zu erwarten.”

„Was sind Sie hier?”

„Ich bin — ich bin —”

„Ein kolossales Rindvieh sind Sie, verstanden?”

„Zu Befehl, Herr Lieutenant.”

„Was sind Sie sonst noch?”

„Ich bin — ich bin —”

Der Lieutenant ringt verzweifelt seine Hände und tanzt umher wie ein Laubfrosch.

„Kerl, Mensch, Kronensohn — wie oft habe ich Ihnen das nun schon gesagt?”

„Das weiß ich nicht, Herr Lieutenant.”

„Aber ich weiß es. Zehnhundert­tausend­millionenmal.”

Gewaltsam bezwingt er sich zur Ruhe: „Passen Sie auf, ich will es Ihnen nun noch einmal vorkauen, aber das sage ich Ihnen, wenn Sie es dann noch nicht wissen, schreiben Sie es mir hunderttausendmal ab. Verstanden?”

„Zu Befehl, Herr Lieutenant.”

„Sie sind hier Doppelposten No. 2 von der Feldwache No. 1 von der Vorpostenkompagnie des ersten Bataillons. Was sind Sie?”

„Ich bin das erste Bataillon von der Feldwache No. 1 von dem Doppelposten No. 2.”

„Mensch,” schreit der Lieutenant, „Mensch — Ungeheuer — ich — er — mor — de — Sie.”

Aber er kommt nicht dazu, sein verbrecherisches Vorhaben auszuführen, denn plötzlich sagt ein Mann der Feldwache:

„Herr Lieutenant, ich glaube, es wird all wieder geblasen.”

Der Lieutenant läßt die bereits erhobenen Hände wieder sinken und lauscht.

Und mit ihm lauschen seine Leute.

Nun versteht man das Signal: „Die zweite Kompagnie sammeln.”

Die Leute fangen an zu lachen. Am liebsten lachte der Lieutenant mit, aber das geht nicht.

So fährt er denn einen Soldaten an: „Hansen, warum lachen Sie? Antwort will ich haben.”

Hansen schweigt.

„Feldwebel, schreiben Sie den Mann zum Nachexerzieren auf. Das ist ja wirklich eine Bummelei, bei der die Weltgeschichte aufhört. Na, wartet nur Kinder, euch will ich eure Fröhlichkeit im Dienst schon austreiben.”

Der Lieutenant läßt seine Feldwache an die Gewehre gehen, zieht seine Posten ein und marschiert dann mit seinem Zuge nach dem Eckstein hin, wo der Hauptmann seine Kompagnie erwartet.

„Was hat der Alte nur wieder?” denkt der Lieutenant, „sollte ihm seine Heftigkeit von vorhin leid thun — im Grunde seines Herzens ist er doch ein anständiger Mensch.”

Nun hat der Lieutenant die Chaussee erreicht und will sich bei seinem Hauptmann melden, als er neben diesem den Herrn Oberstlieutenant erblickt.

Hinc,” sagt der Spatz, „hinc illae lacrimae,” das heißt auf deutsch: „da haben wir den Thee,” citiert der Lieutenant im stillen, dann erst meldet er seine Leute zur Stelle.

Auch die anderen Züge kommen heran, der Hauptmann kommandiert: „Das Gewehr über” und marschiert mit seinen Leuten nach Haus.

Das „warum” ist klar.

Als er am Nachmittag aber mit seinen Leuten die am Morgen durchgenommene Uebung bespricht, sagt er, er hätte die Uebung leider früher als er beabsichtigt wegen der vorgerückten Stunde abbrechen müssen.

Und er verlangte allen Ernstes, daß seine Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften es glauben.

Aber sie glauben es doch nicht, sondern die Kerls lauschen nach der Instruktionsstunde mit wahrer Wollust der Schilderung des Hornisten, der das Hauptmannspferd gehalten hat.

„Kinnings, wär dat een Spaß as de Herr Majur käm — dat hadd Ju sehen müßt. De Olle wär rein ut de Tüt — so sprang hei herum. (Kinder, das war ein Spaß als der Herr Major kam — das hättet ihr sehen müssen. Der Alte war rein aus dem Häuschen — so sprang er herum.)

Und nun führt der Hornist, der in seinem Zivilleben Tanzkomiker ist, einen Tanz auf, wie ihn alle Wilden der Welt zusammen nicht „wilder” aufführen können.

Das ist recht was für die Leute, und stürmischer Beifall belohnt ihn.

Er aber winkt mit der Hand: „Kinnings, det kömmt noch veel beter — as nachhir nu dei Oberstlieutenant käm — da — da — (Kinder, das kommt noch viel besser, als nachher nun der Oberstlieutenant kam, da, da —)

„Nun was da?” rufen die Leute.

„Kiek, da dhä he so.” (Seht, da machte er so.)

Und in einem Nun steht der Hornist auf dem Kopf und strampelt mit den Beinen in der Luft.

Unterdes wandelt der Herr Hauptmann den häuslichen Penaten entgegen, wo er von Weib und Kind zum Abendbrot erwartet wird. Die kleine Frau eilt ihm entgegen, nimmt ihm Mütze und Säbel ab, holt ihm den bequemen Hausrock herbei und geleitet ihn dann in das Eßzimmer.

„Du kommst ja furchtbar spät, du Armer,” sagt sie teilnehmend, „Hast du soviel zu thun gehabt?”

Er läßt sich die Spiegeleier und die Bratkartoffeln ausgezeichnet schmecken, trinkt einen „Schnabus” nach dem anderen und stöhnt dabei mächtig, wie schwer er es auf Erden habe.

Andächtig lauscht die Gattin: „Du Armer, wie leid du mir thust, willst du nicht dieses kalte Kotelett aufessen? Nimm es nur, es wird dir gut thun. Uebrigens ehe ich es vergesse, es ist vorhin vom Regimentsbureau ein Zettel für dich abgegeben worden.”

„Vom Regimentsbureau?”

„Ja,” sagt sie, „warte nur einen Augenblick, ich werde ihn dir holen.”

Sie erhebt sich und kehrt nach kurzer Zeit mit einem Quartblatt zurück, das sie ihm darreicht.

Er ergreift den Zettel und liest: „Der Herr Oberst wünscht morgen Mittag den Herrn Hauptmann im beliebigen Anzug auf dem Regimentsbureau zu sprechen.”

Wie von der Tarantel — nein, wie von allen Taranteln der Welt gestochen, springt er in die Höh'.

„Und das — das sagst du mir erst jetzt?”

„Verzeih,” bittet sie, „ich hatte, wie gesagt, im ersten Augenblick nicht daran gedacht.”

„Das ist mir unverständlich, geradezu unverständlich.”

Er wischt sich mit der Serviette den Mund und dreht die Spitzen seines Schnurrbarts, während er erregt im Zimmer auf und abgeht.

„Wollen wir nicht weiter essen?” fragt sie, aber er fährt sie hart an.

„Essen — essen und immer essen, als wenn man sonst auf der Welt nichts zu thun hätte. Wo ist Steffens, wo ist der Bursche?”

„Ich habe ihn zur Stadt geschickt,” giebt sie zur Antwort, „einige notwendige Besorgungen —”

Dröhnend schlägt er mit der Faust auf den Tisch: „Wie kommst du dazu, den Burschen ohne mein Wissen zur Stadt zu schicken? Du hast für dich die Köchin, das Stubenmädchen und das Kindermädchen, ich denke, das wäre gerade genug Bedienung für dich — für mich ist der Bursche da, für mich ganz allein, ich dächte, das könntest du nachgerade wissen, oft genug habe ich es dir wenigstens gesagt.”

„Verzeih,” bittet sie, „ich konnte doch nicht wissen, daß du den Burschen heute Abend noch gebrauchen würdest, kann nicht das Mädchen —

„Soll ich das Mädchen etwa zur Kaserne schicken?”

„Zur Kaserne?” fragt sie erstaunt.

„Jawohl zur Kaserne,” giebt er zurück, „ich muß sofort den Feldwebel sprechen — sofort, ich muß wissen, was da vorliegt.”

„Aber hat es nicht Zeit bis morgen?” wendet sie schüchtern ein.

„Bis morgen? Nicht eine Stunde, nicht eine Minute hat es Zeit, das hast du davon, daß du den Burschen fortgeschickt hast, nun muß ich selbst wieder zur Kaserne gehen und ich hatte mich so darauf gefreut, endlich mal einen Augenblick in Ruhe sitzen zu können.”

In aller Eile zieht er sich seinen Waffenrock an, setzt die Mütze auf und schon auf der Straße, beginnt er erst, sich das Säbelkoppel umzubinden, und die Handschuhe anzuziehen.

Im Hundetrab erreicht er die Kaserne und stürmt auf das Feldwebelbureau: es ist verschlossen.

„Das ist ja geradezu unerhört,” denkt er, dann aber öffnet er die Thür zu einer Mannschaftsstube.

„Achtung,” ruft der erste, der den Hauptmann sieht, und alles stürzt an die Spinden.

Er ruft sich einen Mann heraus: „Gehen Sie hinunter in die Wohnung des Feldwebels, der Feldwebel soll sofort heruafkommen, ich will ihn sprechen.”

„Zu Befehl, Herr Hauptmann.”

Fort ist er, aber gleich darauf erscheint er wieder und meldet: „Der Herr Feldwebel ist nicht zu Haus, er ist mit seiner Frau ausgegangen.”

„Wer sagt das?”

„Der Putzer.”

„Der Putzer soll heraufkommen.”

„Zu Befehl, Herr Hauptmann.”

Wieder eilt der Bote von dannen, um gleich darauf wieder mit dem Putzer zu erscheinen.

Nun beginnt ein genaues Verhör:

„Wann ist der Feldwebel ausgegangen?”

„Genau weiß ich das nicht, Herr Hauptmann.”

„Ich will es aber wissen, ganz genau, sonst sperre ich Sie drei Tage ein.”

„Ungefähr vor einer halben Stunde.”

„Und wohin ist der Feldwebel gegangen?”

„Er wollte mit seiner Frau ins Sommertheater.”

„So — so — hm — hm — ins Theater — das thut mir leid, aber es läßt sich nicht ändern, ziehen Sie sich sofort an, gehen Sie ins Theater — hier haben Sie fünfzig Pfennig, mehr wird der Eintritt wohl nicht kosten, suchen Sie den Feldwebel und sagen Sie ihm, ich müßte ihn sofort sprechen, ich ließe ihn bitten, sogleich in meine Wohnung zu kommen.”

„Zu Befehl, Herr Hauptmann.”

Der Putzer eilt davon, um sich anzuziehen und der Häuptling begiebt sich wieder nach Haus.

„Sobald der Feldwebel kommt, will ich ihn sprechen — sofort — angemeldet braucht er nicht erst zu werden, die Sache duldet keinen Aufschub.”

„Willst du nicht noch etwas essen?” fragt die Frau, „ich habe dir den Thee warm gestellt, dein Bier hast du auch noch nicht getrunken.”

Aber er verspürt weder Hunger noch Durst, er begiebt sich in sein Zimmer und geht mit erregten Schritten auf und ab.

Was mag der Herr Oberst nur von ihm wollen?

Er sieht nach der Uhr, die Zeiger kommen nicht von der Stelle — wo der Feldwebel nur bleibt, er könnte doch schon lange da sein — es ist ihm geradezu unverständlich. Der Feldwebel hat in der letzten Zeit überhaupt etwas nachgelassen — keine Frische, keine Lebendigkeit, nicht mehr der genügende Diensteifer, geht sogar Abends mit seiner Frau ins Theater, jetzt im Sommer, wenn es im Winter wäre, wollte er noch nichts sagen, aber jetzt im Sommer —

Da öffnet sich endlich die Thür und die Mutter der Kompagnie tritt herein.

„Aber Feldwebel, wo bleiben Sie denn nur, ich warte schon seit einer Ewigkeit.”

„Verzeihen der Herr Hauptmann, ich konnte nicht schneller kommen, ich habe mir von einem Bekannten, der im Theater war, das Rad geliehen, und bin hierher gefahren, so schnell es nur ging.”

„Was? Rad fahren Sie auch? Ich finde, Sie kümmern sich in der letzten Zeit etwas sehr wenig um den Dienst, Feldwebel. Aber was ich Sie fragen wollte, was ist denn nun wieder los — warum will der Oberst mich denn morgen früh sprechen?”

Erstaunt blickt der Feldwebel auf: „Davon weiß ich gar nichts, Herr Hauptmann.”

„Was? Davon wissen Sie überhaupt gar nichts? Da — von — wis — sen — Sie — gar — nichts?”

„Nein, Herr Hauptmann, davon ist mir auf dem Regimentsbureau nichts gesagt worden, das wird dann jedenfalls erst nachträglich befohlen sein.”

„Die Sache wird immer unheimlicher,” stöhnt der Hauptmann, „was mag denn nur los sein? Wissen Sie es nicht, Feldwebel?”

Aber die Mutter der Kompagnie weiß nichts.

„Ob irgend einer der Leute auf Wache oder Posten eine Dummheit gemacht hat? Ob wieder einer schlecht präsentierte? Ist vielleicht wieder ein Mann der Kompagnie bei dem Herrn Oberst vorbeigegangen, ohne Front zu machen? Ist der Herr Oberst kürzlich durch unser Revier gegangen und hat er da vielleicht etwas nicht in Ordnung gefunden? Haben Sie auch jedes Mal, ehe die Leute zur Stadt gehen, den Anzug nachsehen lassen, wie ich es Ihnen schon so viele tausendmal ans Herz gelegt habe, Feldwebel? Sie wissen ja, daß der Herr Oberst so sehr viel darauf giebt. Hat ein Mann irgend eine Dummheit begangen und es unterlassen, Ihnen davon Mitteilung zu machen? Sind die Abteilungen, die vom Scheibenstand gekommen sind, auch immer ordnungsgemäß durch die Stadt geführt worden? Haben die Unteroffiziere sich auch immer anständig betragen? Es ist doch nicht etwa gar die Mißhandlung eines Untergebenen vorgekommen, von der ich noch nichts weiß? Aber Feldwebel, so sagen Sie doch auch einmal was — Sie stehen wirklich da, wie eine Salzsäule.”

„Herr Hauptmann, ich kann doch nichts sagen; soviel ich weiß, ist alles in Ordnung.”

„Soviel ich weiß,” sagen Sie, „sehen Sie, das ist es ja gerade, Sie sind nicht über alles orientiert, sonst würden Sie wissen, was vorliegt. Ich muß es aber wissen, verstehen Sie, ich muß es aber wissen und darum lassen Sie die Leute vor dem Schlafengehen noch einmal auf dem Korridor antreten und fragen Sie, was vorgefallen ist. ich wünsche dann heute Abend noch Meldung, Sie brauchen nicht selbst zu kommen, Sie können mir den Unteroffizier vom Dienst heute Abend mit einer schriftlichen Meldung herschicken. Na, dann danke ich sehr, Feldwebel — aber ich betone es nochmals, in Erfahrung bringen müssen Sie, was vorliegt. Wollen Sie eine Cigarre haben?”

Groß ist die Entschädigung für den gestörten Abend ja nicht, aber eine Cigarre, vorausgesetzt, daß sie nicht zu schlecht ist, ist doch immer besser als gar nichts. So nimmt der Feldwebel denn dankend an, was ihm geboten wird, und lenkt seine Schritte der Kaserne entgegen, um festzustellen, was denn eigentlich los ist.

Aber alle seine Bemühungen, alle Nachfragen und Nachforschungen verlaufen resultatlos, und so muß er denn die Meldung an seinen Hauptmann demgemäß abfassen. Er schreibt einfach „vakat”.

Der Hauptmann ist außer sich, er überlegt ernsthaft, ob er nicht selbst noch einmal zur Kaserne gehen will, aber er giebt es doch schließlich auf, die Leute schlafen ja alle.

Der Hauptmann aber schläft nicht: ruhelos geht er noch stundenlang in seinem Zimmer auf und ab, und als er endlich sein Lager aufsucht, wälzt er sich schlummerlos von einr Seite auf die andere. Endlich legt er sich auf den Rücken und läßt sein ganzes bisheriges Leben vor seinem geistigen Auge vorüberziehen: es haftet kein Makel auf ihm, er ist sich keiner Schuld bewußt.

Und dennoch diese Angst, diese innere Unruhe.

Endlich, endlich wird es Tag.

Rasch erhebt er sich, kleidet sich an und geht zur Kaserne, nochmals zerbricht er sich mit seinem Feldwebel stundenlang den Kopf, was der Kommandeur denn nur von ihm wolle und je näher die Stunde rückt, desto schauderhafter wird ihm zu Mute: Der Angstschweiß steht ihm auf der Stirn und er ist unfähig zu „regieren”, dem Feldwebel den Dienst für den nächsten Tag anzugeben.

„Nachher, nachher,” stöhnt er, „ich habe jetzt keine Zeit, es giebt Wichtigeres zu überlegen, gleich muß der Herr Oberst kommen.”

Und er kommt.

Auf dem Kasernenhof geht ihm der Hauptmann entgegen: äußerlich gefaßt, innerlich ein Bild des Jammers und Elends.

„Der Herr Oberst haben befohlen, mich sprechen zu wollen?”

„Gewiß, ja, aber bitte bequem zu stehen, eine rein private Angelegenheit — ich wollte sie nur fragen, wo Sie sich Ihren regendichten grauen Paletot haben machen lassen. Ich habe Sie schon lange darum beneidet und will mir jetzt auch einen anfertigen lassen.”

O Hauptmann, wie bist du nun auf einmal wieder groß.

Kein Reisender kann seine regendichten Paletots besser anpreisen als du.

„Nun, dann danke ich sehr, Herr Hauptmann. Hoffentlich haben Sie ich meinetwegen nicht extra hierher bemüht. Sie waren doch wohl in der Kaserne?”

„Zu Befehl, Herr Oberst, zu Befehl.”

Der Kommandeur verschwindet und der Hauptmann ist wieder allein.

Die Unterredung, vor der ihm so gegraut, ist beendet, und der Hauptmann sagt sich: dieses Mal bin ich ja gnädig davongekommen, aber es hätte doch auch schlimmer werden können.

Der richtige Angstmeier wird seines Lebens überhaupt nicht froh; sind höhere Vorgesetzte da, so vergeht er eo ipso vor Angst, sind keine da, so freut er sich nicht darüber, sondern er vergeht vor Angst, daß einer kommen könnte.

Auf dem Kasernenhof wird en detail exerziert: die Leute sind faul wie verdorbenes Obst und bummeln, daß es eine Schmach ist.

„Na wartet Kinder,” denkt der Lieutenant, „das werde ich euch austreiben,” und er fängt an, die Leute etwas scharf anzufassen, sie zu „schleifen”.

Das ist nicht nur sein Recht, sondern unter Umständen sogar seine Pflicht, denn er ist dafür verantwortlich, daß die Mannschaften seines Zuges etwas lernen. Thun sie nicht ihre Schuldigkeit, so müssen sie dafür bestraft werden, denn wohin sollte es führen, wenn jeder Mann das thäte, was er wollte und nicht das, was er sollte.

Dann könnten wir die Soldaten nur in Holzschachteln packen und sie unseren Kindern zum Geburtstag und zu Weihnachten schenken, zu etwas anderem wären sie sonst doch nicht mehr zu gebrauchen.

Der Herr Lieutenant fängt an, seine Kerls zu schleifen, aber kaum hat er dies eine Sekunde betrieben, als atemlos sein Hauptmann auf ihn zukommt:

„Herr Lieutenant, Herr Lieutenant, was machen Sie da?”

Der Lieutenant erklärt es ihm und setzt ihm die Gründe seines Verhaltens auseinander.

„Sie haben ja Recht, Herr Lieutenant, gewiß, aber lassen Sie es doch lieber sein, wenn es jemand sähe —”

„Aber es sieht ja niemand, Herr Hauptmann, und selbst wenn es jemand sähe, so würde mir neimand einen Vorwurf daraus machen können.”

„Gewiß ja — ja — Sie haben Recht, aber ich bitte Sie dennoch, lassen Sie es bleiben, thun die Leute nicht ihre Pflicht, so melden Sie sie mir zur Bestrafung.”

Der Lieutenant ärgert sich, thut dann aber wie sein Häuptling gewünscht hat; seine Kompagnie ist es ja schließlich nicht, und wenn der Hauptmann sich von seinen Leuten auf der Nase herumtanzen lassen will — ihm kann's ja recht sein.

Zur Bestrafung melden thut er niemanden, das hat er schon lange aufgegeben, denn bestraft wird ja doch niemand.

Alle Strafen müssen in die Strafbücher eingetragen werden und diese werden auf dem Instanzenwege bis an die Brigade, ja zuweilen bis an die Division gereicht.

Jeder Vorgesetzte macht seine schriftlichen Bemerkungen, die hinterher dem Kompagniechef wieder zugehen.

Diejenige Kompagnie hat den besten Geist, pflegt man zu sagen, in der man ohne Strafen auskommt.

Werden viele Strafen verhängt, so liegt das nach Ansicht der Vorgesetzten häufig daran, „daß die Leute nicht richtig behandelt werden.”

Das ist ein Vorwurf, der den Kompagniechef trifft und ein Hauptmann steht heut zu Tage auf so wackeligen Füßen, daß er sich nicht mehr vorwerfen läßt, als unbedingt notwendig ist.

So bestraft er einfach niemanden, er droht und droht, aber dabei bleibt es.

Furchtbar ist es, mit einem Angstmeier von Hauptmann ins Manöver zu ziehen. Da kann man was erleben.

Einmal mußte eine Kompagnie auf dem Rückmarsch vom Manövergelände, um in das ihr zugewiesene Quartier zu gelangen, den Ort passieren, in dem beide Majestäten, die den Manövern beiwohnte, Wohnung genommen hatten.

„Giebt es denn gar keinen anderen Weg?” fragte der Hauptmann, „das ist ja furchtbar,” und emsiglich studierte er die Karte.

„Es giebt keinen anderen Weg,” belehrte ihn der Herr Premier, „aber selbst wenn es einen anderen gäbe, dürften wir ih nach meiner unmaßgeblichen Meinung doch nicht wählen.”

„Und warum nicht, Herr Lieutenant?” fragte der Hauptmann ganz erstaunt.

„Weil wir dann unseren Leuten die Möglichkeit nehmen würden, die Majestäten von Angesicht zu Angesicht zu sehen — ich glaube es ja nicht, daß wir die Allerhöchsten Herrschaften zu sehen bekommen, aber ich hoffe es, denn das wäre nicht nur für uns, sondern namentlich für die Mannschaften eine Erinnerung für das ganze Leben.”

Den Hauptmann rührte bei diesen Worten beinahe der Schlag — daran, daß er den Majestäten begegnen könnte, hatte er überhaupt nicht zu denken gewagt — schon der Gedanke, bei dem königlichen Schloß vorbeimarschieren zu müssen, hatte genügt, ihn ins Bockshorn zu jagen.

Nun war er ganz zerschlagen.

Wäre es nach ihm gegangen, so wäre er mit seinen Lauten auf dem Fleck Erde, auf dem er stand, bis zur Beendigung der Manöver stehen geblieben, er hätte sich nicht von der Stelle gerührt.

Leider ging das ja aber nicht.

So setzte er sich denn endlich seufzend, stöhnend und klagend mit seiner Kompagnie in Bewegung.

Bis zum Allerhöchsten Quartier war es mindestens noch ein Marsch von zwei Stunden, trotzdem begann er aber schon nach fünf Minuten zu instruieren und zu ermahnen: daß ihr mir ja die Gewehre ordentlich tragt, Petersen, setzen Sie sich den Helm ordentlich auf — Feldwebel, schreiben Sie den Mann auf zum Nachexerzieren — Lorenzen, tragen Sie das Gewehr besser — eben habe ich es gesagt — Feldwebel, schreiben Sie den Mann zum Nachexerzieren auf und bei dem Hansen ist wahrhaftig die Schnalle vom Riemen offen — Feldwebel, schreiben Sie den Mann auch auf.”

So ging das geschlagene zwei Stunden.

Die Leute waren von dem Manöver am Morgen ermüdet und hatten noch einen weiten Marsch vor sich.

Wäre der Hauptmann ein verständiger Mann und kein Angstmeier gewesen, hätte er gesagt: „Kinder, wenn ihr Glück habt, begegnet ihr nachher dem Kaiser,” und Freude hätte alle Herzen erfüllt und lustig wäre man darauf losmarschiert, denn unsere Leute können Unglaubliches leisten, wenn sie wollen. Und der Wille ist bei allen gut.

Das Falscheste aber was es giebt, ist auf müde Leute einzusprechen, zu tadeln und zu schelten, das macht die Mannschaften noch schlapper, als sie so wie so schon sind.

Schon eine halbe Stunde vor dem Ort ließ er Tritt fassen und seine Offiziere eintreten. Mit gezogenem Säbel eilte er seinem Fähnlein voran und marschierte mit seinen Leuten im strammsten Parademarsch durch das Hauptquartier hindurch, obwohl von dem ganzen Hoflager nicht das Geringste zu sehen war.

Nicht einmal ein Lakai, die sich doch sonst überall breit machen, war zu erblicken.

Ach und mit einem Angstmeier auf Vorposten zu sein!

Der ißt nicht, der trinkt nicht, der schläft nicht — der läuft immer auf und ab, von den Leuten zu den Lieutenants und umgekehrt. Ueberall spricht er hinein und weil er selbst vor Angst nicht ißt, nicht trinkt und nicht schläft, galubt er, daß seine Untergebenen „diesen Luxus” auch entbehren können.

Kaum ist der Lieutenant in sein Stroh gekrochen und hat sich die Decke über die Ohren gezogen, als er hört, wie der Hauptmann nach ihm frägt.

„Der Herr Lieutenant schläft,” lautet die Antwort des Feldwebels.

„Er — er — schläft? Hier — jetzt — wo wir auf Vorposten sind, wir können doch jeden Augenblick angegriffen werden.”

„Das glaube ich nicht,” sagt der Feldwebel, „vorhin wurde bei dem Herrn Major darüber gesprochen und der sagte, er wüßte es vom Herrn General, daß heute Nacht kein Angriff zu erwarten sei.”

„Das überzeugt mich doch nicht, man muß für alle Falle auf der Hut sein — wo ist denn der Herr Lieutenant?”

Der hat sich ganz in sein Stroh verkrochen und denkt: Such' nur, so leicht findest du mich nicht, und wenn du mich findest, schlafe ich und wenn ich schlafe, dann bekommst du mich, wenn ich nicht will, ganz bestimmt nicht wach.

Und ich will nicht.

Mit teuflischem Behagen sieht er, wie der Häuptling durch die Reihen der Schläfer geht und ihn sucht, er hört das halblaute Rufen: „Herr Lieutenant, Herr Lieutenant,” das immer stärker wird, bis endlich aus dem Zelt des Herrn Major der Adjutant hervortritt und mit Stentor­stimme ruft: „Was ist denn da los? Der Herr Major will Ruhe im Lager haben.”

Um ein Haar hätte der Lieutenant sich verraten und Hurra gerufen.

Er sieht, wie der Hauptmann bei den Worten des Adjutanten sich glatt auf die Erde wirft, um nicht gesehen und erkannt zu werden: Erst nach einer ganzen Weile erhebt er sich wieder und sucht weiter.

Der Feldwebel weiß ganz genau, wo der Lieutenant liegt, aber er sagt es nicht — trotzdem findet der Hauptmann endlich seinen Unterthan.

„Herr Lieutenant, Herr Lieutenant,” ruft er halblaut.

Der aber hält, was er sich vorgenommen hat, er hört nicht.

Nun fängt er an, den Schläfer zu rütteln und schütteln.

Bald liegt der Lieutenant auf der rechten Seite, bald auf der linken, bald auf dem Bauch, bald auf dem Rücken — aber er schläft ruhig weiter.

„Wie bekomme ich ihn nur wach?” denkt der Hauptmann, „er muß mit mir nochmal die Verteidigungs­stellung besichtigen, denn wenn wir angegriffen werden —”

Bei dem Gedanken allein bekommt er Schüttelfrost und so schüttelt er denn seinen Lieutenant weiter.

Endlich wird's dem aber zu langweilig und schlaftrunken fährt er empor: „Zum Donnerwetter, was ist denn los?” und mit den Füßen stößt er um sich.

Geschickt weicht der Vorgesetzte dem Stoß aus: „nun hab ich ihn wach,” frohlockt der Hauptmann, aber er irrt sich — der Lieutenant ist in seine Kissen, ach nein, in sein Stroh zurückgesunken und schnarcht, daß es eine wahre Freude ist.

Endlich giebt der Hauptmann die Wiederbelebungsversuche auf und zieht von dannen.

Aber alle zehn Minuten kehrt er zu seinem Lieutenant zurück und sieht nach, ob er immer noch schläft.

Er selbst sitzt in der Zwischenzeit am Feuer und wartet auf den Angriff, der da kommen soll, aber nicht kommt.

Auch die Angst ist einmal wieder umsonst gewesen. —

Man könnte dadurch, daß ich bisher nur von den Hauptleuten sprach, auf den Gedanken kommen, daß die Angstmeierei nur bei dieser Menschenklasse vorkäme, daß sie da erbberechtigt sei.

Dem möchte ich entgegentreten.

Die Angstmeierei findet sich vom Hauptmann angefangen bei allen oberen Chargen, sie beginnt, sobald man eine selbständige Stellung erreicht hat und die erste selbständige Stellung ist der Hauptmann.

Der Lieutenant ist für nichts auf der Welt verantwortlich, der läuft frisch, fromm, fröhlich und „f”ergnügt, wie ja die vier F. der Turner besagen, durch die Welt, der kennt keine Sorgen, höchstens Geldsorgen. Die aber auch gründlich.

Unter den Lieutenants giebt es keine Angstmeier, in den oberen Chargen aber deren mehr als genug.

Und ich glaube, wir haben vom Angstmeier auch „mehr als genug”.


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