Compris?

Militärhumoreske von Freiherrn von Schlicht.
in: „Zurück - marsch, marsch!”.


Der Oberleutnant von Kaltborn lag der Länge nach in seiner hübsch eingerichteten Junggesellen­wohnung auf der Chaiselongue und dachte über das Leben eines Offiziers im allgemeinen und über sein Dasein im besonderen nach; er schlief. Für seinen jungen Kompagnie­kameraden, der drei Tage auf Urlaub war, hatte er am vormittag die Rekruten nicht nur schon morgens um einhalb sieben Uhr instruiert, sondern er hatte die Leute auch drei Stunden lang bei Kälte und Schnee teils auf dem Kasernenhof, teils auf den ersten Korridoren exerzieren lassen. Am Nachmittag stand ihm wieder ein langer Dienst bevor und wenn er auch seinen Beruf zu lieb hatte, um zu behaupten, daß der Dienst eine unangenehme Unterbrechung der freien Zeit sei, so vertrat er andererseits doch den Standpunkt, daß allzuviel Dienst weder dem Geist noch dem Körper bekömmlich sei.

Er stärkte sich jetzt für die Nachmittagsstunden; er schlief so fest, daß sein Bursche Hasebalg, der mit einem Brief in der Hand vor ihm stand, ihn um seinen Schlummer beneidete.

Der Bursche kannte seinen Herrn, der war der beste Leutnant, den es nach seiner Ansicht in der ganzen Armee gab, der ließ sich viel gefallen, ehe er grob wurde; nur eins nahm er auf den Tod übel: wenn er auch nur eine Sekunde vor der befohlenen Zeit geweckt wurde.

Wecken durfte er seinen Leutnant also nicht, seine Hoffnung, daß dieser von selbst die Augen aufschlagen würde, erfüllte sich nicht, und draußen stand der Diener des Kommerzienrats Schoenbeck und wartete auf Antwort.

„Selbst ist der Mann,” dachte Hasebalg endlich. Die Stiefel hatte er sich schon draußen ausgezogen; nun ging er unhörbar auf vielgeflickten Zehenspitzen nach dem Schreibtisch seines Herrn, kramte dort leise herum und verschwand dann wieder aus dem Zimmer.

Nach einer Stunde trat er von neuem herein, diesmal aber fest, bestimmt und energisch. Im strammen Schritt marschierte er bis an die Chaiselongue, nahm dort die vorschriftsmäßige Haltung an und rief in kurzen Intervallen: „Herr Leutnant — Herr Leutnant — Herr Leutnant!”

Der Herr Ober schlug die Augen halb auf: „Noch eine halbe Minute, Hasebalg.”

Aber der ließ sich auf gar keine weiteren Unterhandlungen ein, er zerrte seinen Leutnant an den Beinen und wenig später stand dieser aufrecht vor ihm.

„Jemand dagewesen?” stellte er heute wie jeden Tag nach dem Schlummer die stereotype Frage.

„Zu Befehl, Herr Leutnant,” lautete die Antwort. „Der Herr Kommerzienrat Schoenbeck und Frau Gemahlin haben eine Einladung für nächsten Montag geschickt, aber da können der Herr Leutnant ja nicht, da sind der Herr Leutnant ja zum Ball bei dem Herrn Konsul, ich habe nachgesehen auf den Einladungskarten, die auf dem Schreibtisch liegen, und ich habe für den Herrn Leutnant abgesagt.”

Herr von Kaltborn, der damit beschäftigt war, sich seine hohen Stiefel anzuziehen, fuhr in die Höhe, sank aber gleich wieder auf seinen Stuhl nieder — er hatte nicht daran gedacht, daß man nicht auf seinen Füßen stehen kann, wenn diese sich noch in den Stiefelschäften befinden.

„Was hast Du gethan?” fuhr er seinen Burschen an, „du hast abgesagt?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant,” gab Hasebalg in dem Bewußtsein, seine Sache gut gemacht zu haben, zur Antwort, „ich habe gesagt: wir ließen vielmals danken, aber wir bedauerten unendlich, da wir leider schon anderweitig versagt wären.”

Einen Augenblick sah der Offizier seinen Burschen starr an, dann sagte er: „Hasebalg — du bist ein Esel, nimm es mir nicht übel, aber meine Behauptung entspricht der Wahrheit. Wo ist die Einladungskarte — ach so, hier liegt sie. — Um neun Uhr abends bin ich zum Ball eingeladen, warum kann ich da nicht nachmittags um sechs Uhr zum Diner gehen, willst du mir das kraft deiner Weisheit erklären?”

Hasebalg war bei den tadelnden Worten seines Herrn ganz erschrocken zusammengefahren, nun suchte er sich zu verteidigen, so gut es ging. „Der Herr Leutnant essen doch immer nur einmal am abend, und dann dachte ich, die eine Gesellschaft wäre noch nicht aus, wenn die andere anfinge, und dann —”

„Laß nur gut sein,” unterbrach ihn sein Herr, „du hast eine Dummheit gemacht, daran ist nichts zu ändern. Du wirst sofort, wenn ich in Dienst bin, zu dem Herrn Kommerzienrat hingehen, ihm sagen, daß ein Mißverständnis vorliege und ihm mitteilen, daß ich mit Freuden seiner leibenswürdigen Einladung Folge leisten würde. Begriffen?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant.”

„Na, dann ist es gut, gieb mir die Mütze, es ist die höchste Zeit, daß ich fortkomme.”

Gleich darauf machte sich Herr von Kaltborn auf den Weg zur Kaserne. Er befand sich nicht in der besten Laune, es war ihm sehr unangenehm, daß Hasebalg die Dummheit begangen hatte, für ihn abzusagen — vielleicht kam die nachträgliche Zusage zu spät, vielleicht hatte man für ihn inzwischen schon einen anderen Gast gebeten und über den Platz verfügt.

An dem Diner selbst lag ihm sehr wenig, obgleich Küche und Keller des Kommerzienrates berühmt waren — um so mehr aber machte er sich aus der Tochter des Hauses, mit der er schon zu wieder­holten­malen auf Gesellschaften zusammengetroffen war, und die durch ihre südländische Schönheit — ihre Mutter war eine Spanierin — sein Herz entflammt hatte. Der Kommerzienrat wohnte erst seit etwa einem Jahr am Platz, er hatte sein Geschäft früher in Spanien gehabt, bis allerlei Verhältnisse ihn zwangen, erst vorübergehend, dann dauernd nach Deutschland zurückzukehren — seine Familie war ihm erst vor wenigen Monaten gefolgt.

In dem vornehmsten Viertel der großen Stadt hatte der Kommerzienrat sich eine große Villa gekauft und gleich zu erkennen gegeben, daß ihm viel an Geselligkeit gelegen sei — er hatte auch dem Kommandeur des Infanterie­regiments seinen Besuch gemacht und damit gezeigt und es auch geäußert, daß er sich freuen würde, die Offiziere bei sich zu sehen.

Es gab im ganzen Regiment, von dem ältesten unverheirateten Stabsoffizier bis hinab zu dem jüngsten Fähnrich, der sich noch nicht einmal die Gefreitenknöpfe verdient hatte, niemanden, der nicht für die schöne Juanita schwärmte; sie ward von allen heiß umworben und jeder suchte auf seine Art ihr Herz zu gewinnen. Aber eines Erfolges, selbst einer Bevorzugung konnte sich keiner rühmen, sie war gegen alle gleich liebenswürdig und behandelte den Fähnrich, der sie in heimlichster Heimlichkeit andichtete, genau so, wie den Major, der ihr zu Ehren seine Kenntnisse der französischen Sprache, die er sich im letzten Feldzug angeeignet hatte, wieder hervorsuchte.

Donna Juanita sprach nur spanisch und französisch — mit dem Deutschen stand sie noch auf sehr gespanntem Fuß und genierte sich, es in Gegenwart anderer zu sprechen. Die Folge war, daß jeder Leutnant heimlich zu Haus französisch trieb und daß das Verbum aimer mit geradezu unheimlicher Gewissenhaftigkeit immer von neuem konjugiert wurde; wer es noch nicht konnte, that es, um es zu lernen, wer aber das schöne Wort konjugieren konnte, übte es dennoch weiter, um es nicht wieder zu vergessen.

Der Fähnrich lernte sogar nicht nur französisch, sondern auch spanisch, und wenn er es hierin auch noch nicht weit gebracht hatte, so konnte er doch das „Io te amo” ohne jeden Anstoß sagen.

Aber den anderen hatten ihre Kenntnisse bisher ebensowenig genützt, wie dem Oberleutnant von Kaltborn seine Unkenntnis der fremden Sprachen bei Fräulein Juanita bisher geschadet hatte. Im Gegenteil, es war ihm zuweilen vorgekommen, als sähe sie ihn besonders belustigt und amüsiert an, wenn er sich vergebens an der Unterhaltung zu beteiligen versuchte, aber schon an dem grausam hart ausgesprochenen „je” Schiffbruch litt. Sein ganzes Repertoire bestand in der Hauptsache aus den drei Sätzen: „Je vous aime de tout mon coeur.” „Donnez-moi un baiser” und „vive la République”, und bisher hatte noch keine Unterhaltung eine solche Wendung genommen, daß er diese Worte hätte anwenden können.

Als Herr von Kaltborn den Kasernenhof betrat, auf dem die Rekruten schon in Reih und Glied aufgestellt waren, sah er zu seinem größten Erstaunen den Herrn Oberst dort herumpromenieren. Daß der Kommandeur sich am Nachmittag im Kasernement zeigte, war in der ganzen Zeit seiner Regierung noch nicht dagewesen.

„Wer von uns wohl der Sünder ist, dem dieser hohe Besuch gilt,” dachte Kaltborn, „irgendeiner bekommt sicher etwas auf den Hut, hoffentlich bin ich nicht derjenige, welcher —”

„Herr Oberleutnant von Kaltborn,” erklang da die strenge Stimme des Herrn Oberst.

„Nun schlägt's dreizehn,” stöhnte der Herr Ober im stillen, „heiliges Exerzier-Reglement schütze mich; aber ich will die ganze Felddienst-Ordnung rückwärts auswendig lernen, wenn ich nur eine Ahnung habe, was der Vorgesetzte von mir will.”

Der Untergebene denkt zuweilen allerlei, wenn ein Höherer ihn ruft; aber er antwortet stets nur: „Zu Befehl.”

Auch der Herr Ober handelte demgemäß — mit einem lauten „Zu Befehl, Herr Oberst,” eilte er auf den Vorgesetzten zu und stellte sich in strammer, untadelhafter Haltung vor ihm hin.

Mit scharf prüfenden Augen musterte der Kommandeur seinen Leutnant, von dem Mützenrand glitt der Blick hinab bis zu den Fußspitzen und dann wieder hinauf zur Mütze.

„Aha,” dachte der Herr Ober, „unvorschriftsmäßig angezogen bin ich — drei Tage Stubenarrest sind mir sicher, schön ist das nicht.”

Aber seine Befürchtungen erwiesen sich als grundlos.

„Ich bin hierher gekommen,” erklang da die Stimme des Herrn Oberst, „um ihnen persönlich mitzuteilen, daß Sie an Stelle eines zur Front zurückberufenen Offiziers von heute ab auf drei Jahre zur Kriegsakademie nach Berlin kommandiert worden sind. Um die plötzlich leer gewordene Stelle hat fast jedes Regiment sich für einen seiner Offiziere beworben, ich freue mich für uns und für Sie, daß die Entscheidung höheren Orts auf Sie fiel. Ich darf es wohl als selbstverständlich voraussetzen, daß Sie das in Sie gesetzte Vertrauen in jeder Hinsicht zu rechtfertigen versuchen werden. Sie sollen, da der Kursus bereits begonnen hat, so schnell wie möglich, spätestens übermorgen abreisen, das ist Ihnen doch hoffentlich nicht weiter unangenehm,” schloß der Kommandeur mit einem leisen Lächeln, während er sich an der grenzenlosen Ueberraschung, die aus dem Gesicht seines Leutnants sprach, weidete.

„Aber Herr Oberst, aber Herr Oberst, wie können der Herr Oberst nur so etwas denken —”

Herr von Kaltborn wußte thatsächlich nicht, was er sagte und was er sagen wollte, die Ueberraschung und die Auszeichnung waren zu groß. Zwei Jahre nacheinander hatte er das Examen zur Akademie versucht, zweimal war es ihm „vorbei gelungen”, und nun wurde sein Wunsch doch erfüllt! Grenzenlose Freude überfiel ihn, nun war er für drei Jahre dem Frontdienst entronnen, nun wurde er eingeführt in die höhere Taktik und in den höheren Tiktak, wie es mit dem terminus technicus lautet, und wenn er sich auf der Akademie nicht gar zu thöricht anstellte, dann stand ihm nach drei Jahren „die große Bude”, der Generalstab, offen.

Am liebsten hätte er in seiner Freude seinem Kommandeur das Lied vorgesungen: „O, welche Seligkeit macht mir das Herz so weit, o, welche Himmelslust schwellt mir die stolze Brust.”

Der Oberst mochte ahnen, was in seinem Untergebenen vorging, und so sagte er denn: „Sie werden mit dem Einpacken Ihrer Sachen und dem Ordnen Ihrer Angelegenheiten bis zu Ihrer Abreise noch mehr als genug zu thun haben, gehen Sie nur nach Haus, der Feldwebel kann für Sie heute und morgen den Dienst übernehmen.”

Das ließ der Herr Ober sich nicht zweimal sagen, mit schnellen Schritten eilte er seiner Wohnung entgegen und im voraus freute er sich schon auf das dumme Gesicht, das sein Hasebalg bei der Mitteilung machen würde, daß er seinen Herrn nach Berlin begleiten müsse.

Aber Hasebalg war nicht da, erst nach einer guten halben Stunde erschien er mit der Meldung, daß Herr und Frau Kommerzienrat sich sehr freuten, den Herrn Leutnant nun doch am nächsten Montag bei sich zu sehen. „Sie müssen sich bannig (sehr) darüber gefreut haben, daß der Herr Leutnant kommen,” schloß Hasebalg, „denn ich habe eine ganze Mark Trinkgeld erhalten,” und freudestrahlend hielt er seinem Herrn das Geldstück entgegen.

Aber auch diesesmal erntete er nur Tadel anstatt des verdienten Lobes: „Hasebalg, du bist wirklich recht thöricht — wenn du erst meine Rückkehr abgewartet hättest, brauchtest du nun nicht noch einmal wieder hinzugehen und zu sagen, daß ich nun doch nicht kommen kann. Mach dich nur gleich wieder auf den Weg.”

Hasebalg zögerte, der Auftrag war nicht ganz nach seinem Geschmack, und was ihm daran nicht gefiel, ging aus seiner Frage hervor: „Herr Leutnant, muß ich denn die Mark wieder abgeben?”

„Du bist wohl nicht gescheit,” beruhigte ihn sein Herr, dann aber fügte er hinzu: „Ich habe es mir überlegt, Hasebalg, es sieht zu sonderbar aus, wenn du wieder auf der Bildfläche erscheinst — ich will selbst hingehen und es den Herrschaften erklären, warum ich erst absage, dann zusage und nun wieder absage. Gieb mir nur gleich den Besuchsanzug her.”

Wenig später machte sich der Herr Oberleutnant auf den Weg; aber während er sonst auch auf seinen Spaziergängen die regelmäßige Geschwindigkeit — hundertfünfzehn Schritt in der Minute innehielt, ging er jetzt sehr langsam und nachdenklich. Die Thatsache, daß es jetzt mit einemmal für ihn hieß Abschied zu nehmen von der schönen Juanita raubte ihm plötzlich die ganze Freude an seinem ehrenvollen Kommando und er überlegte ernstlich, ob es nicht angängig sei, den Kommandeur zu bitten, einen anderen Kameraden für ihn nach Berlin zu senden. Aber wie sollte er sein Gesuch begründen? Er konnte dem Oberst doch nicht sagen: „ich werbe um die Gunst einer jungen Dame. Gehe ich fort, so habe ich die Gewißheit, daß ich sie als die Braut oder als die Frau eines Anderen wiederfinde, bleibe ich hier, so bietet sich mir zwar nicht die Gewißheit, aber doch immerhin die Möglichkeit, mir die junge Dame zu erobern.” Das ginge nicht einmal bei einem „zivilistischen”, geschweige denn bei einem militärischen Vorgesetzten. Das sah er nur zu gut ein, und so bedauerte er in diesem Augenblick fast, Offizier und nicht eigener freier Herr zu sein.

Er war so in Gedanken dahingeschritten, daß er fast erschrocken aufsah, als er sich plötzlich vor der Wohnung des Kommerzienrats befand — er wußte sich selbst das „warum” nicht zu erklären, aber es wäre ihm lieber gewesen, wenn er noch nicht vor der Hausthür gestanden hätte.

Nach kurzem Zögern öffnete er die Gartenpforte, schritt über den tadellos sauber gehaltenen Kiesweg und klingelte an der Entreethüre.

„Die Herrschaften sind ausgefahren, nur das gnädige Fräulein ist zu Hause,” gab der Diener Bescheid.

„Was nun?” dachte Herr von Kaltborn. „Eigentlich schickt es sich nicht, sich bei der jungen Dame melden zu lassen, aber Umstände verändern die Sache(1), wer weiß, ob wir uns überhaupt jemals wiedersehen.”

Er gab dem Diener seine Karte und wenig später saß er der Tochter des Hauses im Empfangssalon gegenüber. Juanita trug ein hellgelbes Seidenkleid, und gerade die Farbe, die sie gewählt, ließ ihre ausländische Schönheit zur vollen Geltung kommen. Er wandte keinen Blick von ihr ab, und eine leichte Röte der Verlegenheit färbte ihre Wangen, als sie sich unausgesetzt von ihm beobachtet sah.

Unterdes plauderte sie lustig drauf los, sie hieß ihn willkommen, sie versicherte, daß ihre Eltern es sehr bedauern würden, nicht zu Haus zu sein, sie gab ihrer Freude Ausdruck, daß er nun doch zu ihrem Fest käme, und sie verriet ihm, daß er sie zu Tisch führen würde.

Er hörte ihr aufmerksam zu, und wenn sie während des Sprechens lächelte, lächelte er auch, ohne zu wissen weshalb, und als sie nun schwieg, sagte er, seine ganzen französischen Kenntnisse zusammen raffend. „Oui, oui, oui, mademoiselle — mais vous savez — je ne comprends pas — was Sie mir erzählt haben, war sicher sehr hübsch, aber begriffen habe ich nichts davon.”

„Oh, oh,” erwiderte sie mit einem schalkhaften Ausdruck des lebhaftesten Bedauerns; dann aber lauschte sie aufmerksam seinen Worten, und als sein Gesicht sich nun in ernste Falten legte, als er das Scheffelsche „Abschied, Abschied, böses Wort” zitierte, da wurde auch sie ernst und nachdenklich, ohne zu wissen warum; aber als er nun schwieg, sagte sie: „Oui, oui, oui, monsieur, mais vous savez, je ne comprends pas.”

„Oh, oh,” erwiderte er stöhnend, „wie soll ich Ihnen denn das klar machen, was mein Herz bedrückt?” Er griff in die Tasche und schrieb mit Bleistift einige Buchstaben auf seine Visitenkarte, die er ihr dann überreichte.

Vewundert sah sie ihn an: „Pour condoler?”

Er nahm ihr die Karte wieder fort. „Bitte, erlauben Sie noch einen Augenblick, ich habe ein p vergessen, so ist's richtig: p. p. c., pour prendre congé, ich muß fort, demain, à Berlin, longtemps, wann ich wiederkomme, weiß ich nicht, drei Jahre bleib ich sicher fort — „oui, drei —” er zählte an den erhobenen Fingern, eins, zwei — trois, auf Urlaub komme ich auch in der Zeit nicht hierher, denn meine Eltern wohnen in Pommern auf einem Gute, und die werde ich während der Ferien natürlich aufsuchen müssen. So sehen wir uns für lange, lange Zeit nicht wieder, das ist nicht nur triste, sondern sogar très triste. Finden Sie das nicht auch, gnädiges Fräulein?”

Er war sich selbst nicht klar daüber, ob sie seine letzten Worte verstanden hatte aber auf jeden Fall war er glückselig, als sie nur sagte: „Oui, monsieur, c'est très, très triste.

Kam es ihm nur so vor, oder blickte sie ihn wirklich mit ihren großen, schönen Augen traurig und liebevoll zugleich an, bildete er es sich ein, oder war sie wirklich bei seinen Worten etwas blaß geworden?

„Sollte es wirklich möglich sein?” jubelte es in ihm, „sollte Juanita etwas für mich fühlen und empfinden, sollte gerade ich derjenige sein, dem sie ihre Gunst schenkt? Ich kann es nicht glauben, es wäre zu viel Glück, aber fragen will ich sie — wenn sie ja sagt, bin ich der glücklichste aller Menschen, sagt sie nein, oder korrekter ausgedrückt „non”, dann — ja dann, — dann weiß ich auch nicht weiter.”

Mademoiselle,” begann er nach einer kleinen Pause, während er seinen Sessel etwas näher an den ihrigen herangerückt hatte, „Sie wissen, vous savez, ich habe es Ihnen vorhin gesagt, ich muß fort, demain, à Berlin, aber nur mein Körper setzt sich in die Eisenbahn, mein Herz, mon coeur bleibt hier, ici — denn mademoiselle Juanita, ich muß es Ihnen sagen, ich — ich liebe Sie.”

„So, nun bin ich begierig, was sie sagt,” dachte er, „so etwas von eigener Kühnheit ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen — nein, solche, fast hätte ich gesagt, Unverschämtheit hätte ich mir selbst nicht zugetraut.”

Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn und erwartungsvoll sah er sie an; da sie noch schwieg, streckte er bittend die Hände nach ihr aus.

„Oh, oh,” antwortete sie jetzt, während eine dunkle Röte, die ihre Wangen färbte, sie Lügen strafte, „vous savez, je ne comprends pas.”

Unwillkürlich fuhr er sich mit der Linken nach dem hohen Rockkragen, der ihm die Luft zu benehmen schien.

„Sie müssen mich verstehen, gnädiges Fräulein,” begann er nach einer kleinen Pause von neuem, „viel deutlicher, als ich es that, kann ich mich bei dem besten Willen nicht ausdrücken, Sie müssen mich verstehen, und dann können Sie non oder oui sagen, aber mit einem je ne comprends pas bin ich nicht zufrieden. Sie müssen mir sagen, ob Sie mich lieben, oder ob ich wenigstens hoffen darf, daß Sie mich dereinst werden lieb haben können, wie ich Sie liebe seit dem Tage, als ich Sie zum erstenmal sah, ja, ich liebe Sie — je vous aime de tout mon coeur, und ich habe nur einen Wunsch und eine Bitte: „Donnez-moi un baiser” zum Zeichen, daß Sie mir gut sind, deutlicher kann ich nicht sagen, was mein Herz bewegt. Compris? Begriffen?”

Er war vor ihr niedergekniet, mit flehenden Augen sah er zu ihr empor, die in holder Verwirrung ihm gegenüber saß, und noch einmal fragte er: „Compris?”

Da nahm sie seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände, und während sie sich zu ihm hinabbeugte, um ihn zu küssen, sprachen ihre Blicke fast noch verständlicher als ihre Lippen: — „Compris.”


Fußnoten:

(1) „Umstänne verännern 'ne Sak” sagt Fritz Reuter und der Mann hat recht. („Manöverplauderei”) (zurück)


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