Ein Cavalier.

Von Freiherr v. Schlicht.
in: „Schöne Frauen” Bibliothek pikanter Erzählungen und Gedichte, Band 1, Seite 10,und
in: „Treulose Frauen”


Herr von Bock sass in seinem ebenso luxuriös wie behaglich eingerichteten Herrenzimmer am Schreibtisch und schob einen angefangenen Brief beiseite, um die Postsachen zu öffnen, die ihm der Diener soeben gebracht hatte. Es war nicht allzuviel Wichtiges und Interessantes — ein paar Einladungen, einige geschäftliche Offerten, ganz belanglose Drucksachen, die sofort in den Papierkorb wanderten. — „Sonst nichts?” dachte er.

Er öfnete das letzte Couvert. „Wolff & Comp.” stand auf dem Umschlag, dann nahm er das Schreiben heraus. „Um Irrtümer zu vermeiden, erlauben wir uns, unseren werten Kunden vierteljährlich die Rechnung zu übersenden,” las er, dann kam die Aufzählung der für die gnädige Frau gelieferten Toiletten: eine Ballrobe, eine Gesellschafts­toilette, eine Strassenrobe, ein Hauskleid, eine Strassenrobe(1), eine Dinertoilette, eine Ballrobe —! Summa summarum sechstausend Mark.”

Mit einem lauten Fluch warf er die Rechnung auf den Tisch, dann sprang er zornig in die Höhe: „Sechstausend Mark in einem halben Jahr für Toiletten,” schalt er erregt vor sich hin, „was denkt Lola sich denn eigentlich dabei — glaubt sie denn, dass ich weiter keine Ausgaben zu bestreiten habe als ihre Toiletten — sechstausend Mark, es ist unerhört, soviel gebe ich im ganzen Jahr nicht für die kleine Claire aus, ne(2), und dass die gerade übermässig bescheiden ist, kann ich auch nicht behaupten, sie stöhnt mir bei jedem Besuch vor, dass das Leben entsetzlich teuer ist — als wenn ich das nicht allein wüsste. Aber süss ist sie doch — sehr süss, und ich würde ihr lieber das Doppelte geben, als sie aufgeben.”.

Er klingelte dem Diener, der gleich darauf in das Zimmer trat.

„Ich lasse meine Frau bitten, für einen Augenbilck zu mir zu kommen.”

„Die gnädige Frau hat Besuch,” lautete die Entgegnung, „vor einer Viertelstunde hat Herr Baron von Lewenfeld sich bei der gnädigen Frau anmelden lassen.”

„So, so — das wusste ich nicht — dann ist es gut.” Der Diener ging, und in der denkbar schlechtesten Laune bleib Herr von Bock zurück: „Schon wieder dieser Baron,” dachte er.

Er warf sich in ein Fauteuil, zündete sich eine Cigarre an und sah zornig vor sich hin: „Immer dieser Baron,” dachte er, „es ist wirklich bald zu toll — so geht es nicht weiter, ich werde auch darüber nachher mit Lola sprechen — ich dulde diesen Verkehr nicht länger — unter keinen Umständen.”

Er sprang auf und ging erregt in seinem Zimmer auf und ab, fast alle fünf Minuten sah er nach der Uhr, und von Zeit zu Zeit blieb er stehen, um zu horchen, ob draussen auf dem Korridir die Schritte des Barons nicht hörbar würden: „Einmal muss er doch fortgehen,” dachte Herr von Bock, „oder hat meine Frau ihn vielleicht gar gebeten, zum Abendessen bei uns zu bleiben?”

Aber seine letztere Befürchtung erwies sich als grundlos; nach einer guten Stunde trat seine Frau zu ihm ins Zimmer. Sie war eine grosse, schlanke, sehr elegante Erscheinung, die in ihrem ganzen Wesen etwas Anmutiges und Liebreizendes hatte — sie war noch jung, vielleicht Anfang der Dreissig, und ihre sinnberückend schönen Augen zeigten noch heute dieselbe Leidenschaft, dasselbe Feuer, dieselbe Lebhaftigkeit wie in jenen Tagen, da sie als junges Mädchen auf allen Festen die Königin gewesen war.

„Du wünschtest mich zu sprechen?” fragte sie. Sie liess sich auf dem Divan nieder und zündete sich eine Cigarette an, die sie kokett zwischen den halbgeöffneten Lippen hielt, sodass zwei Reihen blendend weisser Zähne sichtbar wurden.

„Allerdings,” gab er zur Antwort, „allerdings, und ich wünsche Dich nicht nur zu sprechen — ich muss Dich sogar sprechen.”

Sie sah ihn mit einem halb neugierigen, halb mitleidigen Blick an: „Wirklich?” fragte sie, „giebt es wirklich noch etwas, das wir zusammen besprechen müssen? Früher, als wir jung verheiratet waren, da kamst Du oft zu mir, wenn irgend welche Sorgen Dich bedrückten, da sagtest Du oft zu mir, ich muss dies und jenes mit Dir besprechen, aber das ist schon lange, lange her. Nun geht jeder seinen eigenen Weg, Du den Deinen, ich den meinen, und ich glaube, wir fühlen uns beide ganz wohl dabei — Du Dich wenigstens, und das ist ja die Hauptsache, denn der Herr des Hauses muss ja seine Ruhe und Bequemlichkeit haben, um arbeiten und verdienen zu können.”

Es klang ein harter Spott aus ihren Worten, sodass seine Stimme fast zornig klang, als er nun erregt zu ihr sagte: „Ich habe Dich nicht gebeten, zu mir zu kommen, damit Du mir eine Rede hältst, deren Inhalt weder neu, noch geistreich ist — sondern ich wollte mit Dir sprechen.” Er legte die Rechnung, die er in der Hand hielt, vor sie hin. „Was sagst Du dazu?” fragte er.

Sie warf einen kurzen Blick auf die Gesamtsumme: „Mehr ist es nicht?” fragte sie grenzenlos gleichgiltig, „Fredely(3), ich bitt' Dich, lass Dich doch nicht auslachen, wegen dieser Bagatelle wirst Du Dich doch nicht erregen. Wenn Du es nicht bezahlen könntest, würde ich mich natürlich einfacher kleiden, aber bei Deinem Einkommen und Deinem grossen Vermögen — sei doch nicht kindisch, was sind die sechstausend Mark für Dich? Ja, ja, die Zeiten ändern sich,” sagte sie, ihre ausgegangene Cigarette von neuem anzündend, „früher, weisst Du, da konnte ich nicht elegant genug gekkleidet gehen, das Teuerste war Dir noch zu billig, da verwöhntest Du mich, da sagtest Du einmal zu mir: ,Es giebt für einen Mann kein grösseres Vergnügen, als ein weibliches Wesen, das er liebt, vom Kopf bis zu den Füssen nach seinem Geschmack anzuziehen.' Damals behauptetest Du auch, ich hätte die hübschesten Füsse, die Du je gesehen hättest, und ich hätte selbst einen Laden aufmachen können mit den zierlichen, eleganten Stiefeln, den wundervollen seidenen Strümpfen und den raffiniert koketten Strumpfbändern, die Du mir schenktest, denn wie Du sagtest, auch Dein Auge wollte sich erfreuen, wenn Du mir die Kniee küsstest — fast jeder Kuss brachte mir etwas neues für meine Toilette, jetzt muss ich für alles selbst sorgen, und Du schiltst ausserdem.”

Sie hatte kokett ihre kleinen, in rosaroten seidenen Strümpfen und in entzückenden Lackschuhen ruhenden Füsse unter dem Kleid ein ganz klein wenig hervorgeschoben — aber die beabsichtigte Wirkung blieb aus, er wurde nicht milde gestimmt.

„Was soll das, dass Du heute immer von dem Früher sprichst?” fragte er, „dass es damals anders war, weiss ich selber. Wenn ich Dich damals beschenkte, wenn ich mich darüber freute, wenn Du hübsch angezogen warst, lag das wohl nicht zum mindesten daran, dass ich auch etwas von Dir hatte — damals warst Du nicht nur meine Frau, sondern zugleich auch meine Geliebte. Jetzt aber liegt die Sache ganz anders, gnädig gewährst Du mir einen Handkuss, wenn Du einmal ganz besonders guter Laune bist — jetzt ziehst Du Dich nicht mehr für mich allein an, sondern für die anderen Laffen, die Dir den Hof machen und Dir schwören, nicht ohne Dich leben zu können, in erster Linie natürlich für den Baron von Lewenfeld.”

„Das also ist's,” sagte sie mit einer fast verletzenden Gleichgiltigkeit, „Du bist eifersüchtig? Aber Fredely(4).”

Er trat dicht vor sie hin und sah ihr fest in die Augen. „Habe ich etwa keinen Grund, eifersüchtig zu sein?” Sie hielt seinen Blick ruhig aus, und der Ausdruck ihres Gesichtes hatte sich nicht im geringsten verändert, als sie nun sagte: „Darüber habe ich wirklich noch nie nachgedacht, denn ich habe immer geglaubt, es wäre Dir einerlei, was ich thäte.”

Die Zornesader schwoll auf seiner Stirn, und eine fahle Blässe bedeckte seine Züge: „So — so giebst Du also zu, seine Geliebte zu sein?”

Auch jetzt blieb sie ganz ruhig, nicht einmal das Streichholz, mit dem sie sich eine neue Cigarette anzündete, zitterte in ihrer Hand.

„Ob ich es bin?” fragte sie. Sie zuckte die Achseln, dann fuhr sie nach einer kleinen Pause fort: „Und wenn ich seine Geliebte wäre, wer hätte die Schuld? Ich oder Du? Habe ich Dich vernachlässigt oder Du mich? Nach zweijähriger Ehe fingst Du an, Deine Vergnügungen ausserhalb des Hauses zu suchen — was Du plötzlich in der Ehe nicht mehr zu finden glaubtest, suchtest Du Dir ausserhalb. Glaubst Du, ich weiss es nicht, dass Du mir nicht dutzende, sondern hunderte Male unteru gewesen bist? Glaubst Du, ich weiss es nicht, dass Du Dir augenblicklich die Claire aushältst.”

„Wer sagt das?” fuhr er auf, seine Verlegenheit unter einem künstlichen Zorn verbergend, „wer wagt es, Dir solche Märchen zu erzählen? Natürlich der Baron, der Lump, aber ich werde mich mit ihm aussprechen, darauf kann er sich verlassen — der kommt mir nicht wieder ins Haus. Warum er Dir solche Geschichten erzählt, ist ja ganz klar: ,Ihr Mann ist Ihnen nicht treu — warum wollen Sie ihm da treu sein', wird er Dir gesagt haben, und dieser Logik gegenüber warst Du natürlich machtlos.”

Mit erregten Schritten ging er im Zimmer auf und ab, und mit einem leisen verächtlichen Lächeln sah sie ihm nach:

„Versuche doch nicht, Deine Untreue zu leugnen,” sagte sie „ich habe Beweise in Händen, die Dir jederzeit zur Verfügung stehen. Als ich von Deiner ersten Untreue erfuhr, habe ich geweint und wollte von Dir fortgehen, ich blieb, weil ich Dich trotzdem damals noch liebte und hoffte, dass Du zu mir zurückkehren würdest — ich war damals ja auch krank, und kranke Frauen langweilen Euch ja immer. Mit der Zeit gewöhnt man sich ja an alles — auch an die Untreue seines Mannes, und wenn ich Dir auch heute keine Vorwürfe mache, so liegt es daran, dass ich Dich nicht mehr liebe und dass es mir ganz gleichgiltig ist, ob Deine Geliebte den Namen Claire oder einen anderen führt. Darüber rege ich mich nicht mehr auf — aber in einem Punkt irrst Du Dich: der Baron hat mir nie etwas von Deinen galanten Abenteuern erzählt, mein Wort darauf, warum sollte er mir denn auch davon sprechen? Er weiss, dass mich die Sache nicht im geringsten interessiert, und über gleichgiltige Dinge sprechen wir beide nie miteinander — er ist klug und geistreich, vor allen Dingen aber ist er ein Cavalier. Wenn Du Dir die Mühe machen wolltest, ihn näher kennen zu lernen, so würdest Du mein Urteil über ihn bestätigen.”

„Ich danke herzlichst für das Vergnügen seiner näheren Bekanntschaft,” brauste ihr Gatte auf, „trotz Deines Wortes, das Du mir gabst, werde ich mich mit ihm aussprechen, darauf kannst Du Dich verlassen — so geht es nicht weiter, ich habe keine Lust, in das Gerede der Stadt zu kommen. Schon die Dienstboten machen ihre Bemerkungen; Du hättest nur das Gesicht des Dieners sehen sollen, als er mir meldete, dass der Baron bei Dir sei. So geht es nicht weiter.”

„Thu, was Du willst,” gab sie, sich erhebend, zur Antwort, „aber mach Dich nicht lächerlich,” bat sie, „ich wiederhole Dir noch einmal, der Baron ist ein Cavalier, er würde nie über Dich sprechen, wie Du es meinst, Dich nie hinter Deinem Rücken verleumden. Und weiter haben wir uns einander wohl nichts zu sagen.”

Sie rauschte zur Thür hinaus und ging in ihr Boudoir zurück, sie ergriff von neuem das Buch, in dem sie gelesen hatte, bevor der Baron sich bei ihr hatte anmelden lassen.

Die Seiten waren aufgeschlagen — aber sie las nicht. Ihre Blicke ruhten beständig auf dem Divan, auf dem sie vor kurzem noch neben dem Baron gesessen hatte. War der Baron ihr Geliebter? Noch nicht, aber morgen Abend, wenn ihr Gatte seinen Klubabend hatte, wo sie vor einer Ueberraschung sicher war, würde er es sein. Sie hatte ihm versprochen, ihm morgen anzugehören, und das Versprechen war ihr so leicht geworden, sie sehnte sich nach ihm mit allen Fasern ihres liebeheischenden Herzens seit dem Tage, da sie ihn kennen gelernt hatte. Endlich, endlich sah sie das Ziel, das sie so heiss erstrebte, endlich hatte er ihr seine Liebe gestanden, ihr Antlitz mit glühenden Küssen bedeckt, sie beschworen, ihm anzugehören, wenn auch nur ein einziges Mal. Er war ein Cavalier, ein Cavalier, dem die Frau eines Anderen heilig ist — er selbst hatte ihr gesagt, dass er noch nie nach einer verheirateten Frau sehnsüchtig die Arme ausgebreitet habe; sie war die erste. Sie wusste, dass er die Wahrheit sprach, und gerade deshalb liebte sie ihn, deshalb wollte sie ihm Alles, Alles gewähren, was er begehrte, ach, wenn es in ihren Kräften stand, noch viel viel mehr.

Sie zählte die Stunden und Minuten, bis sie endlich einmal wieder glücklich sein würde, und pochenden Herzens, voller Ungeduld erwartete sie am nächsten Abend in ihrem zum Kosen eingerichteten Boudoir, das eine Ampel mit traulichem Halbdunkel erleuchtete, den Geliebten.

Es war neun Uhr — er konnte jeden Augenblick kommen — endlich, endlich klingelte es an der Thür. Sie sprang auf von ihrem Sitz und harrte mit fliegenden Pulsen des Ersehnten.

„Ein Brief für die gnädige Frau.”

Die Zofe war eingetreten und überreichte ihr ein Billet.

„Für mich?”

Sie riss das Couvert auf, überflog die Zeilen, winkte dem Mädchen zu gehen, und sank dann erschöpft auf den Divan nieder. Und immer und immer wieder las sie:

„Sehr verehrte gnädige Frau! Eben verlässt mich Ihr Herr Gemahl, mit dem ich eine lange Aussprache hatte — ich habe ihm den Argwohn genommen, in mir den Angeber zu sehen. Er erzählte mir, wie warm Sie mich gestern verteidigten und wie sie verschiedentlich betont hätten, ich sein ein Cavalier. Gnädige Frau, ich war stets ein Cavalier, ich bemühte mich wenigstens, es stets zu sein, ich war in Gefahr, es von heute Abend an nicht mehr zu sein. Ich habe heute eigentlich zum ersten Mal Ihren Gatten kennen gelernt, und nun, da ich ihn kenne und mich fest mit ihm angefreundet habe, bringe ich es nicht über mein Herz, ihn zu betrügen. — Zürnen Sie nicht, ich kann nicht anders.”

Die schöne Frau weinte heisse, heisse Thränen der Wut, der Enttäuschung und der erlittenen Niederlage.

Und sie hätte sich selbst schlagen mögen, dass sie gestern so dumm war, ihrem Gatten zu sagen: „Wenn Du Dir die Mühe machen wolltest, den Baron näher kennen zu lernen, so würdest Du mein Urteil über ihn bestätigen.”

Sie weinte immer noch still vor sich hin — sie war aber auch wirklich zu dumm gewesen.

Was hatte sie nun davon, dass ihr Mann ihr morgen sagen würde: „Du hast Recht, der Baron ist ein Cavalier.”

Was hatte sie davon? Nichts als eine schlaflose Nacht, in der sie sich nach dem Geliebten gesehnt hatte.


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „Treulose Frauen” heißt es hier: „ein Hauskleid, ein Reisekleid, eine Dinertoilette”. (zurück)

(2) In der Fassung von „Treulose Frauen” heißt es hier: „na”. (zurück)

(3) In der Fassung von „Treulose Frauen” heißt es hier: „Fredy”. (zurück)

(4) In der Fassung von „Treulose Frauen” heißt es hier: „Fredy”. (zurück)


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