Brigitte.

Humoristisch-satirische Plauderei von Freiherr von Schlicht
in: „Die süssen kleinen Mädchen — Was sie träumen”


Darüber war sich die mehr als nur hübsche Brigitte, die zweiundzwanzigjährige einzige Tochter der verwitweten Frau Konsul Mahnke, auch jetzt einmal wieder einig, als sie, vor kurzem mit ihrer Mutter von einer kleinen Gesellschaft nach Hause zurückgekehrt, nun mit dem Auskleiden beschäftigt in ihrem Schlafzimmer saß und sich ihre langen, dichten, dunkelbraunen Haare in zwei mächtige Zöpfe flocht, während sie dabei von Zeit zu Zeit nicht nur einen forschenden und prüfenden, sondern auch wohlgefälligen Blick in den Spiegel warf, der ihr immer aufs neue zeigte, wie wundervoll ihre dunkelbraunen Augen waren, welchen zarten rosa Teint ihre Wangen aufwiesen, wie blendend weiß zwischen den verführerisch roten Lippen ihre Zähne hervorblitzten, wie klassisch schön ihre feine Nase geformt, wie reizend ihre kleinen rosaroten Ohrmuscheln waren, die den, der solche Küsse liebte — ach und wer tat das schließlich nicht, — zum Kusse verlockten, wie herrlich ihr Hals, der Nacken und ihr Busen waren, und während sie zugleich durch den dünnen weißen Unterrock hindurch ihre schönen schlanken Glieder und unter dem Unterrock in kleinen Pantoffeln und in den weißseidenen Gesellschaftstrümpfen ihre hübschen schlanken Füße bewunderte — ja, als sie nun, nachdem sie mit dem Flechten der Zöpfe fertig geworden war und sich jetzt erhebend, ihre große, aber auch nicht zu große Erscheinung, an deren Wuchs kein Künstler etwas auszusetzen gehabt haben würde, in ihrer ganzen Schönheit in dem Spiegel sah, während sie dabei die Arme mit den schönen Händen auf dem Hinterkopf kreuzte, da gestand sie es sich wieder einmal ein, daß sie ihren Verlobten, ihren Arthur gewiß über alles lieb hatte, daß der aber äußerlich so gar nicht zu ihr passe. Ja, wenn sie ganz offen und ehrlich sein sollte, mußte sie sich auch heute wieder eingestehen, daß er etwas reichlich viel Schönheitsfehler besaß. Sein Haarwuchs war außerordentlich dünn, und obwohl er erst vierunddreißig Jahre zählte, würde es sicher nicht mehr allzu lange dauern, bis er ganz kahlköpfig war, aber dem Umstand konnte ja schließlich später ein sehr gut gearbeitetes Toupet abhelfen, wenn seine und ihre Bekannten sich dann natürlich auch darüber wundern würden, daß ihm über Nacht die Haare wieder derartig nachgewachsen seien. Aber die Haare, die er nicht oder kaum besaß, störten sie nicht so sehr wie seine Augen. Gewiß, daß er ein ganz klein wenig schielen sollte, war mehr als Verleumdung. So etwas, wenn auch nur im Scherz zu behaupten, war eine bodenlose Gemeinheit, aber einen etwas eigentümlichen Blick hatten seine sonst so hübschen graublauen Augen, die hatten ein klein wenig das, was man einen Silberblick nennt. Und dieser Blick trat dadurch noch schärfer hervor, daß seine Augen sehr tief lagen, ja daß die bei seinen stark hervortretenden Backenknochen noch tiefer zu liegen schienen, als das ohnehin der Fall war. Auch seine Figur als solche war nicht völlig einwandfrei. Seine rechte Schulter war etwas höher als die linke, und auch die vornüber gebeugte Art, in der er den Oberkörper trug, stand ihm nicht besonders. Aber das, was sie an ihm am meisten störte, waren seine häßlichen Hände, die zwar tadellos manikurt waren, die aber so gar nichts Vornehmes und Aristokratisches an sich hatten. Diese Hände mit den kurzen breiten Fingernägeln, mit den dicken Knoten an den obersten Gelenken, die starken Handknochen, die auf dem Handrücken beinahe unnatürlich dicht wachsenden langen Haare, ja, diese Hände flößten ihr oft ein direktes körperliches Unbehagen ein, und wenn sie sich, wie auch jetzt wieder, vorstellte, es könnte, nein, es würde sicher einmal in der Hochzeitsnacht oder sonst in der ersten Zeit ihrer Ehe die Stunde kommen, in der seine Hände den Wunsch hätten, liebkosend ihren Körper zu streicheln, dann schauderte sie zusammen, als stände es ihr bevor, daß eine Eidechse oder ein ähnliches gräßliches Reptil über ihre Glieder kriechen solle und daß sie dabei stillhalten müsse.

Nein, schön war ihr Arthur wirklich nicht, aber für sein Äußeres konnte er ja nichts, und Äußerlichkeiten waren und blieben doch nur Äußerlichkeiten. Die Hauptsache war und blieb immer das Herz und der Charakter eines Menschen, ach und ihr Arthur war ein so unbeschreiblich guter Mensch. Das hatte er auch heute Abend wieder auf der kleinen Gesellschaft bewiesen, zu der sie mit ihrer Mutter und einigen anderen Gästen in das Haus einer befreundeten Familie geladen gewesen war. Das Gespräch war auf einen Unglücksfall gekommen, der sich in der Stadt zugetragen hatte und eine sehr kinderreiche Familie plötzlich des Vaters und des Ernährers beraubte. Man hatte die im tiefsten Elend zurückgebliebenen Angehörigen des so jäh Verstorbenen aufrichtig bedauert, es war davon gesprochen worden, wie gern man den Armen helfen würde, wenn das Leben nur nicht ohnehin so teuer wäre und wenn man nicht ohnehin schon so viele Verpflichtungen auf seinen Schultern ruhen hätte, bis ihr Arthur plötzlich mit fester, aber dennoch mit bescheidener Stimme erklärte: „Ich bitte die Herrschaften, sich durch das gräßliche Unglück nicht weiter die Stimmung verderben zu lassen und sich um die Familie weiter keine Sorgen zu machen, ich werde mich ihrer schon annehmen, die Armen sollen wenigstens in den nächsten Monaten keine Not zu leiden brauchen.” Und gleich darauf hatte er gewaltsam das Gespräch auf ein anderess Thema gebracht, damit um Gottes willen niemand auf den Gedanken käme, ihm ein Wort des Lobes oder der Anerkennung zu zollen, denn so etwas war ihm im tiefsten Grunde seines Herzens verhaßt. Nein, Worte des Dankes liebte er nicht, deshalb hatte auch sie ihm darüber kein Wort zugerufen, sondern sich damit begnügt, ihm leise und verstohlen die Hand zu drücken, aber selbst dem hatte er in seiner Bescheidenheit auszuweichen versucht. Und trotz seines wirklich sehr wenig vorteilhaften Äußeren war sie auch heute so stolz auf ihn und auf sein gutes Herz gewesen, daß sie sich für ihn beinahe in Grund und Boden schämte, als sie es nach aufgehobener Tafel mit anhören mußte, wie der Doktor Hamacher zu einem neben ihm stehenden Freunde äußerte: „Kunststück, wenn einer so viel Geld hat wie dieser Arthur Goßlar, ist es kein großes Verdienst, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu helfen, denn der Mensch hat ja zu den vielen Dukaten, die er ohnehin schon hatte, letzthin von einer verstorbenen Großtante noch eine ganz gehörige Portion hinzugeerbt.” Das letztere stimmte, das wußte sie, Brigitte, aus den Äußerungen ihres Arthurs, aber trotzdem hätte der Doktor nicht so sprechen dürfen, denn es gab doch viele, viele reiche Menschen, die trotz ihres großen Vermögens kein Herz für die Armen hatten und von ihrem Überfluß nichts abgaben. Ihr Arthur aber gab, und deshalb war sie so stolz auf ihn, obgleich ihr Verlobter nach ihrer Ansicht oft etwas zu viel gab, nicht etwa, als ob sie ihm daraus einen Vorwurf gemacht hätte, o nein, das nicht, aber schließlich ist sich jeder doch selbst der Nächste, und man konnte nie wissen, ob man das Geld, das man an andere gab, eines Tages nicht ebenso gut oder noch besser für sich selbst würde gebrauchen können. Aber trotzdem, so hätte dieser Doktor niemals sprechen dürfen, und deshalb hatte sie ihm auch einen nach ihrer Ansicht vernichtenden Blick zugeworfen, aber der hatte den mit der größten Gelassenheit aufgefangen, ja noch mehr, der hatte so getan, als fühle er sich durch den in keiner Weise irgendwie getroffen, und hatte auch noch die bodenlose Unverschämtheit besessen, mit den Worten auf sie zuzutreten: „Einen besseren Augenblick, gnädiges Fräulein, das Gespräch, das ich eben mit einem Bekannten führte, wenn auch selbstverständlich nur durch einen Zufall zu belauschen, hätten Sie gar nicht erwischen können, denn wir unterhielten uns, gerade als Sie sich uns näherten, von den vielen vortrefflichen inneren Vorzügen und Tugenden Ihres Herrn Verlobten, mit dem Sie hoffentlich so glücklich sind, wie gerade ich es Ihnen von ganzem Herzen wünsche.”

War es ihr nur so vorgekommen, oder hatte der Doktor, als er die inneren Vorzüge ihres Arthurs erwähnte, das Wort „innere” besonders stark betont, um sie und ihren Arthur dafür zu entschädigen, daß der keine oder wenigstens nur geringe äußere Reize besaß? Und hatte sie es sich nur eingebildet, oder umspielte wirklich ein leises, spöttisches Lächeln den auffallend hübschen Mund des Doktors, als er sich weiter mit ihr über ihren Arthur unterhielt? Das wußte sie auch jetzt noch nicht, als sie in dem mit Leder ausgepolsterten Wiener Rohrsessel saß und, die in den Pantoffeln steckenden Füße weit vorgeschoben, den hübschen Kopf mit den dichten Flechten auf den rechten Arm gestützt, vor sich hin träumte, einmal, um sich von der Arbeit, die ihr allabendlich die Haarpflege machte, auszuruhen, dann aber auch, weil sie noch keine Müdigkeit verspürte, um sich schon hinzulegen. Nein, sie wußte es tatsächlich nicht, ob der Doktor seine Worte ernsthaft oder nur ironisch gemeint hatte, aber eins wußte sie auch jetzt, daß sie den Doktor am liebsten mit dem Fächer geschlagen hätte, wenn auch nur auf seine Hände, die sie so haßte, weil sie die so liebte. Und noch eins wußte sie, gerade er hätte nicht so zu ihr sprechen dürfen, denn wenn er es bezweifelte, daß sie an der Seite ihres Arthur eine glückliche Braut war, warum hatte er sich da nicht selbst mit ihr verlobt? Es konnte ihm doch unmöglich verborgen geblieben sein, wie sie über ihn dachte, nein, früher gedacht hatte, und auch er hatte ihr doch deutlich genug gezeigt, daß er den Wunsch habe, ihre Liebe und ihre Hand zu gewinnen. Allerdings, als dann ihr Vater, der in der ganzen Stadt angesehene Herr Konsul, vor nunmehr bald drei Jahren ganz plötzlich starb und den Seinen wider alles Erwarten, da man ihn für sehr wohlhabend gehalten hatte, nur ein ganz unbedeutendes Vermögen hinterließ, dessen Zinsen gerade ausreichten, um die Mutter und sie davor zu schützen, sich zu dem Lebensunterhalt etwas hinzu verdienen zu müssen, da hatte auch er, wie so viele andere es taten, seine weiteren Bewerbungen um sie sofort eingestellt, das aber nur deshalb, wie er ihr bald darauf, als sich ihm Gelegenheit dazu bot, offen erklärte, weil er sie zu lieb habe, um ihr, verwöhnt, wie sie es früher gewesen sei, zuzumuten, an seiner Seite ein so bescheidenes Leben zu führen, wie er es ihr zu bieten leider nur imstande sei. Selbstverständlich hatte sie ihm nicht geglaubt, denn wenn er sie ernstlich geliebt hätte, würde er die Entscheidung darüber, ob sie an seiner Seite mit wenigem zufrieden gewesen wäre, ihr überlassen haben. Aber er war wenigstens so anständig gewesen, seinen Rückzug zu erklären, während die anderen nicht einmal das der Mühe wert hielten. Selbst nach Ablauf des Trauerjahres war das Haus ihrer Mutter, in dem sich bei Lebzeiten des Vaters stets geladene und ungeladene Gäste zeigten, öde und verlassen geblieben, und wenn sie, Brigitte, ja auch glücklicherweise nicht zu hungern und zu darben brauchte, wer konnte wissen, wie einsam und trostlos sich nicht vielleicht doch ihr ganzes späteres Leben entwickelt hätte, wenn ihr nicht zufällig, wirklich ganz zufällig, ihr Arthur begegnet wäre, richtiger gesagt, wenn sie nicht durch einen Zufall und durch seine Ungeschicklichkeit mit ihm, als sie ein Geschäft betrat, das er gerade verlassen wollte, derartig zusammengeprallt wäre, daß ihr nicht nur die kleinen Pakete entfielen, die sie an der Hand trug, sondern daß sie tatsächlich hintenüber geflogen und hingefallen wäre, wenn er sie nicht im letzten Augenblick aufgefangen und gehalten hätte. Ein scharfes Wort war es, das sich ihr im ersten Schrecken und im ersten Unmut aufdrängte und das sie ihm zurufen wollte, denn ein wirklicher Herr konnte sich nach ihrer Ansicht einer jungen Dame gegenüber niemals so ungeschickt benehmen, und wenn er es doch tat, dann hätte er sich wenigstens sofort, aber auch gleich bei ihr entschuldigen müssen. Das aber tat der ihr damals noch gänzlich Unbekannte nicht, sondern er starrte ihr nur anscheinend völlig sprachlos in das Gesicht, und als sie da den eigentümlichen Silberblick seiner Augen bemerkte und auch, daß er sonst kein Adonis war, da hätte sie ihm um ein Haar beinahe erst recht ein scharfes Wort über seine schlechten Manieren zugerufen, wenn sie nicht plötzlich etwas an ihm bemerkt hätte, das sie milder stimmte. Und dieses Etwas war eine außerordentlich geschmackvolle und tadellos gebundene Krawatte, in der eine geradezu bezaubernd schöne Perle steckte, die dadurch, daß sie klein, aber selten gut geschliffen und mit größtem Geschmack eingesteckt war, so wirkte, wie sie es tat. Sie sah es auf den ersten Blick, die Perle hatte viel, viel Geld gekostet, und sie wußte, darin täuschte sie sich nicht, denn auf Perlen verstand sie sich, nicht, als ob sie welche besessen hätte, wohl aber, weil sie sich seit Jahren welche wünschte, und weil sie keine Gelegenheit versäumte, ihre theoretischen Kenntnisse über alles, was sich irgendwie auf Perlen bezog, zu bereichern. Diese Perle war tatsächlich ein Gedicht, aber in erster Linie hatte ihr natürlich die Krawatte an ihm gefallen, denn eine Perle kann sich ja schließlich jeder kaufen, der die nötigen Mittel dazu besitzt, während das kunstvolle Binden einer Kravatte [sic! D.Hrsgb.] großen persönlichen Geschmack erfordert, den man sich nicht erwerben kann, wenn er nicht angeboren ist. So bewies ihr denn schließlich die Krawatte, daß sie es doch mit einem Herrn der ersten Kreise zu tun haben müsse, wenn gleich sie sich nicht entsinnen konnte, ihm hier in der doch nicht allzu großen Stadt auf den Gesellschaften, im Theater oder sonst irgendwie schon begegnet zu sein, ja sie konnte sich im Augenblick nicht einmal erinnern, ihn schon einmal auf der Straße getroffen zu haben.

Vielleicht war es nur ein Fremder, der sich hier auf der Durchreise ein paar Tage aufhielt, und da ertappte sie sich plötzlich dabei, daß ihr das aufrichtig leid tun würde, wenn sie sich heute zum ersten- und zugleich auch zum letztenmal gesehen haben sollte, denn er hatte eine Art, sie anzusehen — gewiß, schön waren seine Augen nicht, und es kam ihr so vor, als würde sein Silberblick immer größer und größer, so daß es zuweilen tatsächlich so aussah, als schiele er etwas — aber die stummen Huldigungen, die er ihr mit seinen Blicken darbrachte, schmeichelten und gefielen ihr umso mehr, da seine Krawatte und seine Perle in der Krawatte ihr ja bewiesen, daß sie es nicht mit dem ersten besten zu tun habe. So ließ sie sich denn weiter bewundern, während ein leises, aufmunterndes, aber ein zugleich verzeihendes und entschuldigendes Lächeln, das seiner begangenen Ungeschicklichkeit galt, ihren, wie sie selbst sehr genau wußte, verführerisch hübschen Mund umspielte, bis er nun endlich seine Sprache wiederfand und sich bei ihr entschuldigte. Das aber tat er in so gewandter, aber zugleich auch in so humoristischer Weise, daß sie ihm sofort anmerkte, was er da sagte, entsprang nicht etwa irgend welcher Verlegenheit und seine kleinen Scherzworte waren nicht etwa unbeabsichtigt, sondern er sprach die mit völliger Beherrschung der Situation, er stand sogar über der, so daß sie nun ihrerseits plötzlich ein klein wenig verlegen wurde, als sie im Augenblick seine größere Unterhaltungsgabe anerkennen mußte. Dann aber besann sie sich schnell wieder auf sich selbst, und vielleicht hätte sich sofort zwischen ihnen beiden an Ort und Stelle ein lustiges Wortgefecht entsponnen, wenn sie sich nicht glücklicherweise beizeiten darauf besonnen hätte, daß sich so etwas nicht schicke und ferner, daß sie ja nicht wisse, ob sich so etwas verlohne, da er doch anscheinend nur ein Fremder war, der sicher in den nächsten Tagen wieder abreisen würde. Und außerdem war plötzlich ihre Freundin Emmy an ihr vorübergegangen, die ihr einen verwunderten und erstaunten Blick zuwarf, in dem deutlich zu lesen stand: Nanu, Brigitte, was hast du dir denn da für einen sonderbaren Jüngling aufgegabelt? Edel, hilfreich und gut ist dein Gentleman vielleicht, aber schön ist er nicht, und im übrigen weißt du ja, was wir einmal zusammen besprachen: „Für ein nicht wohlhabendes junges Mädchen, wie du es nun leider bist, gibt es, wenn überhaupt, nur das eine Mittel, sich einen Mann zu verschaffen oder wenigstens bei den Männern nicht das Ansehen zu verlieren: man muß verdammt viel auf sich halten, noch unnahbarer erscheinen, als man es ohnehin leider oft sein muß, und man darf sich in keiner Weise auch nur das geringste vergeben, sonst liegt man gleich auf der Rutschbahn dieses Lebens, und die anderen fahren auf ihren Rodelschlitten über einen hinweg.” — Ja, dieses Gespräch, das Emmy enmal mit ihr führte und dessen Wahrheiten sie sich nicht verschließen konnte, fiel ihr wieder ein, als Emmy sie und den Fremden so mißbilligend betrachtete. Gerade sie, die hübsche Brigitte, die man früher so oft beneidete ud die man jetzt so oft bemitleidete, wenn man sich im stillen auch darüber freute, daß sie von dem Goldsockel, auf dem sie bei Lebzeiten ihres Vaters stand, hatte heruntersteigen müssen, ja gerade sie konnte im Verkehr mit den Herren nicht zurückhaltend genug sein, wenn sie nicht in den Verdacht kommen wollte, sich den Männern an den Hals zu werfen, damit sie um Gottes willen nur ja keine alte Jungfer würde. Und aus diesem Gedankengang heraus verabschiedete sie sich nun plötzlich sehr schnell und sehr kurz, wenn auch natürlich nicht unhöflich, von dem Fremden, denn um unhöflich zu sein, lag nicht der leiseste Grund vor, und davon abgesehen konnte man nie wissen, ob der Zufall sie nicht eines Tages doch wieder mit dem Fremden zusammenführen würde. Und der Zufall führte. Schon am nächsten Tage sah sie den Herrn, der sie außerordentlich liebenswürdig grüßte, auf der Straße wieder, ebenso am übernächsten Tage und dann beinahe täglich und dann erfuhr sie auch sehr bald, wiederum durch einen Zufall, wer er war und daß er Arthur Goßlar hieß. Wie sie selbst das einzige Kind ihrer Mutter, so war auch er das einzige Kind seiner verwitweten Mutter, die bereits vor mehr als einem Jahr hierher übersiedelt war, die aber ganz still und zurückgezogen lebte, da sie den Tod ihres Mannes noch nicht überwinden konnte, und die ihren früheren Wohnort nur deshalb aufgegeben hatte, weil sie es in der Stadt, in der sie mit ihrem Mann so über alles glücklich gewesen war, ohne den nicht aushielt. Während die Mutter aber hier ganz für sich lebte, war der Sohn fast zwei Jahre auf einer Weltreise gewesen, die er teils nur zum Vergnügen, teils aber auch zur Befriedigung seiner vielfachen künstlerischen und namentlich geographischen Interessen machte, denn er war so wohlhabend, manche meinten sogar so blödsinnig reich, daß er darauf verzichtet hatte, irgend welchen Beruf zu ergreifen, und sich das Leben so gestaltete, wie es seinen Wünschen entsprach. Von dieser Weltreise war er nun erst vor ganz kurzer Zeit zurückgekehrt, um dauernd bei seiner Mutter zu bleiben, allerdings nicht, um nur für die zu leben, sondern man erzählte sich ganz offen, daß er die Absicht habe, in der Gesellschaft zu verkehren, um seiner Mutter baldmöglichst eine Schwiegertochter zuführen zu können. Und darüber waren sich sofort alle jungen Mädchen einig gewesen, daß dieser Herr Goßlar offen davon sprach, sich bald verloben zu wollen, war von dem einfach taktlos, denn eine konnte er doch nur wählen, und wenn er mit einer abzog, wie eine der Freundinnen das sehr wenig poetisch nannte, dann wäre das für die übrigen, mit denen er nicht abzöge, einfach eine Beleidigung. Daß ein Herr sich verliebe und verlobe, wäre nicht nur sein Recht, wie die Freundin weiter erklärte, das wäre sogar seine Pflicht, aber wenn man seine Pflicht tun wolle, spräche man nicht erst lange darüber. Das zu tun, sei immer noch Zeit genug, wenn man seine Pflicht erfüllt habe. Bei diesem Herrn Arthur Goßlar kam nach Ansicht aller aber noch eins hinzu, um seine Äußerung mehr als anmaßend und arrogant erscheinen zu lassen, das war sein Äußeres, um nicht zu sagen, seine Häßlichkeit, und wenn er glaube, daß die durch seinen Reichtum aufgehoben würde, dann solle er erfahren, daß das keineswegs der Fall sei. Für einen so häßlichen Mann bedankten sich alle, ja man war es seinen etwaigen späteren Kindern direkt schuldig, denen nicht einen so häßlichen Vater zu geben, denn was dann, wenn die Kinder von ihrem Vater dessen Silberblick erbten und wie schielende Böcke in die Welt sähen? Nein, lieber gar keine Kinder als häßliche und mit körperlichen Fehlern behaftete. Und um solche Kinder nicht vielleicht doch zu bekommen, dann lieber gar nicht erst heiraten! Das war der felsenfeste Entschluß, den alle jungen Damen der Gesellschaft faßten, den sie sich gegenseitig immer wiederholten und den sie diesem Herrn Arthur Goßlar schon deutlich genug zu verstehen geben würden, wenn der eines Tages wirklich ernsthaft um eine von ihnen werben sollte.

So ernsthaft vertraten alle diesen Standpunkt und diese Ansicht, daß sie, Brigitte, es gar nicht wagte, dem zu widersprechen, und wenn überhaupt, dann hätte sie natürlich nur ganz im allgemeinen widersprochen und ihre persönliche Auffassung dahin zu verteidigen gewagt, daß schließlich selbst ein Herr, der nicht durch sein Äußeres besticht, das Recht hat, um jedes junge Mädchen zu werben, wenn er sonst nur ein Ehrenmann ist. So furchtbar häßlich war dieser Herr Arthur Goßlar doch schließlich auch nicht, und ob seine späteren Kinder seinen silbernen Blick erben würden, blieb doch immerhin abzuwarten, ganz abgesehen davon, daß man doch noch gar nicht wußte, ob er, oder richtiger gesagt ob seine Frau, oder am richtigsten ausgedrückt, ob sie beide zusammen in der Ehe Kinder bekommen würden. Und selbst wenn die Kinder tatsächlich ein klein wenig silbern blicken sollten, die Augenheilkunde war heutzutage soweit vorgeschritten, daß derartige kleine Geburtsfehler, wenn die rechtzeitig dem Arzt zur Behandlung übergeben wurden, im Laufe einiger Jahre leicht zu beseitigen wären. Natürlich, sie selbst wünschte sich diesen Herrn Arthur Goßlar auch nicht gerade zum Mann, aber sie hielt es trotzdem eigentlich für ihre moralische Pflicht, ihn und seine Heiratsgedanken, wenn auch nur ganz im allgemeinen, den Freundinnen gegenüber zu verteidigen, aber sie schwieg dennoch, ja sie mußte sogar nach ihrer Ansicht schweigen, denn sie kannte diesen Herrn Goßlar, wenn auch nur flüchtig, so trotzdem schon persönlich, und wenn sie da nun seine Partei ergriffen hätte, dann würde das vielleicht, nein, mißtrauisch und argwöhnisch wie die Freudinnen es nun einmal waren, dann würde das nicht nur vielleicht, sondern in deren Augen totensicher so ausgesehen haben, als ob sie sich irgendwie für diesen Herrn Goßlar interessiere, als nähme sie den nur deshalb in Schutz, weil sie hoffe, er würde im Laufe des Winters um sie werben. Aber daß er das tun solle, war ja vollständig ausgeschlossen, denn wenn dieser Herr Arthur Goßlar nicht nur der Kleidung nach, die er trug, sondern auch sonst ein Mann war, dann würde er, schon weil er selbst sehr reich war und weil ihn das dazu berechtigte, auch von seiner späteren Frau Geld zu verlangen, sicher nur um ein reiches junges Mädchen werben und sich nicht mit einer Braut begnügen, die nur dereinst, als ihr Vater noch lebte, einmal etwas besaß, denn das hätte ja so aussehen können, als wenn keine andere als nur ein armes junges Mädchen ihn genommen haben würde. Ein solcher Sieg aber wäre für ihn einer gesellschaftlichen Niederlage gleichgekommen und wäre für seine spätere Braut sehr wenig schmeichelhaft gewesen. Nein, das gestand sie sich damals umso mehr ein, je länger sie darüber nachdachte, gerade um sie konnte, durfte und würde er nicht werben, aber als er dann seine Besuche in den Familien gemacht hatte, als der Winter mit dem bei den jungen Mädchen alljährlich so beliebten Gesellschaftsspiel begann „Wo und wie finde ich einen Mann”, als die Einladungen zu den Diners und zu den Bällen erfolgten, da warb er von Anfang an doch nur um ihre Gunst und er gestand ihr auch gleich ein, warum: weil er selbst auf seinen weiten Reisen im Ausland noch niemals ein junges Mädchen kennengelernt habe, das ihm auf den ersten Blick und in der ersten Minute der wenn ja auch nur kurzen gemeinsamen Unterhaltung so gut gefallen hätte wie sie ihm.

Das schmeichelte ihr selbstverständlich, aber es hätte ihr aus dem Munde eines anderen Herren noch viel mehr geschmeichelt, denn wer konnte wissen, wie sich ihr Bild gerade in seinen etwas silberblickenden Augen widergespiegelt hatte, und wer konnte wissen, ob sie ihm tatsächlich so über alles gut gefiel und ob er ihr das nicht nur erzählte, weil er voraussah, daß kein anderes junges Mädchen der hiesigen Gesellschaft ihn erhören würde und ihn auch nicht zu erhören brauche, da keine andere finanziell so schlecht gestellt war wie sie. Aber wenn er glaubte, daß sie ihm sein Vorhaben, ihre Hand zu gewinnen, erleichtern würde, nur weil sie arm war, dann sollte er sich sehr irren. Das war sie auch schon ihrem Ansehen vor den Freundinnen schuldig, daß sie jeden Gedanken, dereinst vielleicht seine Braut zu werden, weit von sich wies, und sie konnte den umso ruhiger und umso weiter von sich weisen, je deutlicher sie sehr bald bemerkte, daß ihre Ablehnung und ihre Zurückhaltung ihren Bewerber nicht abschreckte und abkühlte, sondern daß der sie deshalb nur umso mehr begehrte. Ja, sie konnte ihn getrost immer aufs neue abfallen lassen, ohne befürchten zu müssen, ihn dadurch wirklich zu verlieren, und sie ließ ihn oft derartig abfallen, daß nach ihrer Ansicht selbst ihre Freundinnen ihr hätten glauben müssen, daß sie niemals daran denke, diesen Herrn Arthur Goßlar zu erhören. Ja, die Freundinnen hätten ihr das glauben müssen, wenn sie selbst nicht genau gewußt hätte, daß die sie durchschauten, wie sie auch ihre Freundinnen durchschaut haben würde, wenn eine von denen sich einem sochen Freier, wie sie ihn hatte, gegenüber ebenso benommen hätte. wie sie es tat. Aber wenn die Freundinnen sie auch totensicher durchschauten, sie taten Gott sei Dank so, als ob sie es nicht täten, und einer durchschaute sie wirklich nicht, das war ihr Courmacher selbst. Der durfte es aber auch unter gar keinen Umständen wissen, daß sie schon längst entschlossen war, seinen späteren Antrag anzunehmen, denn sie hätte sich ja später vor sich selbst, nein vor ihm, nein vor sich und vor ihm, aber nein, doch nur vor sich, wie man so sagt, in Grund und Boden schämen müssen, wenn er jemals auf den Gedanken gekommen wäre, sie hätte ihn nur deshalb, oder wenigstens in der Hauptsache nur deshalb erhört, weil er so reich war. Gerade weil er das war, mußte sie so tun, als ob sein Vermögen auf sie gar keinen Eindruck mache, und je länger sie seinen Antrag hinausschob, desto deutlicher zeigte sie ihm doch: „Dein Geld imponiert mir gar nicht, und wenn du deines Geldes wegen glaubst, bei einer anderen mehr Glück zu haben, dann bitte versuche es meinetwegen, ich werde dich nicht daran hindern, wenigstens würdest du nichts davon merken, wie geschickt ich das zu verhindern wüßte.” Und auch später in der Ehe mußte sie ihm, wenn es einmal dazu kommen sollte, jederzeit mit gutem Gewissen sagen können: „Hätte ich dich nur deines Reichtums wegen erhören wollen, hätte ich das von Anfang an tun können, und glaube mir, mein Arthur, manche andere hätte das an meiner Stelle auch getan, ich aber habe, gerade weil du so reich bist, mich lange, lange geprüft, ob ich dich wirklich liebe, und ich habe dich ja erst erhört, als ich dich nur um deiner selbst und um deiner vielen vortrefflichen Eigenschaften willen lieben gelernt hatte.” Daß er ihr das glauben würde, war selbstverständlich, denn dafür war er ein Mann, und wenn er ihr nicht glaubte, ließ sie sich scheiden. Dann war er der allein Schuldige und mußte ihr eine sehr anständige jährliche Rente aussetzen. Aber nein, scheiden lassen wollte sie sich dann lieber doch nicht, schon weil es wohl sehr zweifelhaft war, ob sie von dem Geld, das er ihr alljährlich zahlte, einen anderen Mann heiraten durfte, zum Beispiel den Doktor, der sie ja leider nicht heiraten konnte, weil er außer seinem Gehalt kein Vermögen besaß. Und das mit der späteren Scheidung war auch nur ein ganz flüchtiger Gedanke von ihr gewesen, den hatte sie zu einer Zeit gefaßt, als sie ihren Arthur noch nicht um seiner selbst willen liebte, das aber tat sie, seitdem sie eines Abends, als er sie auf einer Gesellschaft wiederum zu Tisch führte, bei ihm auf einer Entdeckungsreise nach guten Eigenschaften ausgezogen und als sie von der, wenn auch nicht gerade reich beladen, so doch immerhin von dem Resultat ihres Ausfluges hoch befriedigt zurückgekehrt war. Da hatte sie nämlich sein gutes Herz entdeckt, schon weil sie etwas hatte entdecken wollen, um vor sich und vor ihren Freundinnen glänzend gerechtfertigt dazustehen, wenn sie seinen Antrag bald annahm, denn lange würde es nicht mehr dauern, bis er das entscheidende Wort sprach. Das merkte sie ihm deutlich an, und allzu lange durfte es auch um ihrer selbst willen nicht mehr dauern, denn nur, wenn er sich bald erklärte, konnte sie noch im Mai heiraten. Das [sic! D.Hrsgb.] gerade der Mai für eine Heirat die poetischste Zeit sein solle, war natürlich ein Unsinn, denn wenn eine Heirat poetisch war, dann war sie das in jedem anderen Monat wohl ebenso gut. Und sie, Brigitte, wollte auch nur deshalb im Mai heiraten, weil der für eine Hochzeitsreise die schönste Jahreszeit war. Im Winter war es gerade für eine solche Reise viel zu kalt und im Sommer war es gerade für die viel zu warm. Als sie aber sein gutes Herz entdeckte, war es schon Februar, da durfte sie nicht mehr lange zögern, wenn sie schon im Mai mit ihrem Arthur reisen wollte. Aber noch war er nicht ihr Arthur, er mußte das erst werden, das aber lag nur an ihm, und deshalb entdeckte sie nun seinet- und auch der anderen wegen sein gutes Herz immer weiter und sie mußte sich sehr bald eingestehen, daß er tatsächlich ein außerordentlich gutes Herz hatte. Er war, wie man so sagt, der beste Mensch, den man sich denken konnte, er war vielleicht nach ihrem Empfinden manchmal sogar zu gut, auf jeden Fall war er so gut, daß man ihn schon deshalb aufrichtig lieb haben mußte, und als sie diese Erkenntnis, die auf lauterster Wahrheit beruhte, gemacht hatte, da war sie grenzenlos froh und glücklich, denn nun wußte sie es endlich, warum sie Herrn Arthur Goßlar schon lange im stillen geliebt haben mußte, jawohl mußte, denn anders als durch ihre wirkliche Liebe zu ihm war es doch gar nicht zu erklären, daß sie ihn nicht um seines Geldes willen, sondern lediglich um seiner selbst willen erhören wollte, sobald er nun um sie anhielt. Und eines Tages hielt er dann um sie an, und was für sie das Schönste und das sie am meisten Beglückende bei dieser Verlobung war, sie hatte ihm gar nicht nachzuhelfen brauchen, bis er sich ihr erklärte, sie hatte es weder nötig gehabt, mit ihm zu fußeln oder ihm schöne Augen zu machen, oder ihm Gelegenheit zu geben, ihr leise und verstohlen die Hand zu drücken oder sonst irgend einen jener alten Tricks anzuwenden, die sich in der Praxis schon tausendfach bewährt haben und die sich in manchen Familien als kluge Lebenserfahrung von der Großmutter auf die Enkelin und wenn diese selbst erst Großmutter ist, von der wieder auf ihre eigen Enkelinnen vererben. Nein, sie hatte nicht das allergeringste zu tun brauchen, um sich ihren Arthur einzufangen, ja sie hatte ihm nicht einmal gesagt oder verraten, daß sie sich in sein gutes Herz verliebt habe, das mußte er ihr ohne weiteres anmerken, und daß sie das tat, mußte er ihr glauben, wie sie das für ihre Person selbst dann ganz felsenfest glaubte, wenn sie mit sich ganz allein war und niemandem etwas vorzureden brauchte. Ja, sie liebte ihn nur um seiner selbst willen und diese große reine Liebe mußte sich in ihren Zügen und in ihrem Gesicht widerspiegeln, denn keine ihrer Freundinnen hatte es bisher gewagt, sie zu fragen, wie sie nur diesen Arthur Goßlar habe erhören können. Alle Glückwünsche, die man ihr darbrachte, waren herzlich und aufrichtig gemeint, das merkte sie denen deutlich an, nur ihr früherer Verehrer, der Doktor Hamacher, hatte ein sehr eigentümliches Gesicht aufgesteckt, als er ihr im tadellosesten Gesellschaftsanzug, der ihn ausgezeichnet kleidete, mit dem Zylinder in der Hand, der ihm, wenn er ihn auf dem Kopfe trug, ganz hervorragend stand, während ihr Arthur mit dem Zylinder eigentlich immer ein ganz klein wenig so aussah, als passe ein Zylinder nicht zu ihm, nur der Doktor hatte ein sehr eigentümliches Gesicht gemacht, als er ihr seinen offiziellen Gratulatiosnbesuch machte, und darüber hatte sie sich im ersten Augenblick maßlos geärgert, bis sie sich eingestand, daß dieses Gesicht wohl einzig und allein seinen Grund darin habe, daß er, der Doktor, der dereinst selbst gehofft hatte, sie heimführen zu können, sie nun dazu beglück­wünschen mußte, einen anderen Verehrer gefunden zu haben. Aber das Zeugnis mußte sie dem Doktor ausstellen, mit einem solchen Gesicht wie bei seinem Glückwunsch war er ihr nie wieder gegenübergetreten, so oft sie sich inzwischen auch wiedersahen, er hatte auch nie mit einer Silbe auf das angespielt, was einst zwischen ihnen beiden war, er hatte sie bisher auch nie danach gefragt, ob sie an der Seite ihres Verlobten glücklich wäre, und wenn er nun auch heute eine derartige Frage andeutete, geschah es sicher nur deshalb, weil ja auch er wußte, daß sie nun bald heiratete und weil er sie dem anderen mit all ihrer Schönheit nicht gönnte. Aber warum heiratete er sie nicht selbst, das war seine eigene Schuld, und wenn er glaubte, dafür nicht die nötigen Mittel zu besitzen, warum hatte er da nicht ernstlich den Versuch gemacht, etwas in der Lotterie zu gewinnen, oder eine entfernte Verwandte zu beerben, oder sonst auf irgendeine Weise zu Geld zu kommen?

Auf jeden Fall war die Frage des Doktors heute abend eine Ungezogenheit, und seine abfällige Bemerkung über ihren Arthur war das erst recht gewesen, er hätte es verdient, daß sie ihm die scharfe Antwort gab, die sich ihr aufdrängte, aber wohlerzogener war es sicher, daß sie die im letzten Augenblick hinunterschluckte, ganz abgesehen davon, daß es ihrer unwürdig gewesen wäre, sich auch nur mit einer Silbe gegen den von ihm angedeuteten Verdacht zu reinigen, denn sie würde ihren Arthur auch dann gern haben und ihn auch dann um seines guten Herzens willen über alles lieben, wenn er noch ärmer sein sollte, als er, der Doktor, es war.

Sie sann und träumte vor sich hin, bis der Schlag der Uhr sie aufhorchen ließ. War es wirklich schon ein Uhr? Da hatte sie ja fast eine Stunde ihren Gedanken nachgehangen, die in ihr wach geworden waren, weil sie sich heute abend um ihres Arthur, nicht um ihrer selbst willen einmal wieder darüber geärgert hatte, daß er im Vergleich mit den anderen Herren und namentlich im Vergleich mit dem Doktor so wenig vorteilhaft aussah. Ihr selbst war das natürlich vollständig gleichgültig gewesen, aber seinetwegen tat ihr das immer aufs neue leid, obgleich er selbst mit seinem Äußeren ganz zufrieden zu sein schien, wenngleich er glücklicherweise nicht so dumm und infolgedessen auch nicht so eitel war, sich schön zu finden. Und damit hing es wohl auch zusammen, daß sie sich auch heute abend wieder einmal klar gemacht hatte, wie es zwischen ihm und ihr, allerdings eigentlich ganz gegen ihren Willen und jedenfalls gegen ihr Erwarten, doch zu einer Verlobung mit ihm gekommen war.

Nun aber war sie mit ihm verlobt und vor allen Dingen fühlte sie sich nun plötzlich todmüde. So kleidete sie sich denn schnell weiter aus und legte sich nieder, aber dann lag sie noch lange, lange wach und dachte an so vieles, aber trotzdem eigentlich an gar nichts, wenigstens an nichts, das sie in den letzten Wochen nicht schon so oft gedacht hätte. Aber daß sie heute besonders schwer einschlafen zu sollen schien, das kam wohl von dem starken Mokka, den sie nach Tisch zu der Zigarette getrunken hatte, denn der Abendkaffee auf den Gesellschaften bekam ihr nie besonders gut und außerdem hatte sie auch heute die Zigarette wieder durch die Lungen geraucht, anstatt wie früher, bevor sie sich mit ihrem Artur verlobte, den Rauch gleich wieder auszustoßen. Aber von ihrem Arthur hatte sie gelernt, daß nur ein sogenannter Lungenraucher von den Zigaretten Genuß hätte, und von allem anderen abgesehen, tanzte der Doktor von allen Herren doch den allerbesten Walzer. Seine Art, seine Dame in dem Arm zu halten und sie zu führen, besaß bei aller gesellschaftlichen Wohlerzogenheit beinahe etwas sinnlich Aufregendes, während ihr Arthur eigentlich selbst dann, wenn sie sich küßten, oder richtiger gesagt, selbst dann, wenn sie sich von ihm küssen ließ, ihre Leidenschaften nicht sonderlich zu erwecken vermochte. Aber das hatte ihr Arthur glücklicherweise noch nicht bemerkt und das durfte er natürlich auch nie merken, denn die Männer sind ja so sonderbar, die betrachten zuweilen selbst eine solche Kleinigkeit als einen Mangel an Liebe, oder behaupten wenigstens, das sei nicht die richtige Liebe. Als wenn es wirklich verschiedene Arten von Liebe gäbe! Es gab doch nur eine, und die empfand sie für ihren Arthur, aber es war ihr so vorgekommen, als tanze der Doktor heute abend noch viel schöner als sonst, und richtig, einmal hatte sie auch während des Walzers in seinen Augen, die er nicht von den ihrigen abwandte, dieselbe Frage zu lesen geglaubt, die er vor Beginn des Tanzes an sich(1) richtete: ob sie mit ihrem Verlobten wirklich wunschlos glücklich sei?

Aber auch da war sie ihm natürlich die Antwort schuldig geblieben und hatte sich nur noch fester an ihn geschmiegt, um ihm zu beweisen, daß sie während eines Walzers an nichts anderes denke als nur an den Tanz. Aber getanzt hatte er wundervoll, und als ihr Arthur sie bald darauf zum nächsten Tanz aufforderte, aber nein, das war ja ein Unsinn, das hatte doch mit ihrer Liebe zu ihm nichts zu tun, daß er so schlecht tanzte, und wenn sie erst verheiratet waren, brauchte sie überhaupt nicht mehr mit ihm zu tanzen, das galt glücklicher weise für unpassend oder wenigstens für lächerlich, daß ein Mann seine eigene Frau zum Tanz aufforderte. Und sie würde nun bald verheiratet sein, nur noch wenige Wochen, dann war es soweit, und wenn sie nicht darauf bestanden hätte, erst Anfang Mai zu heiraten, könnte sie schon heute seine Frau sein, denn die große Villa, die er für sie beide mietete und die er kaufen wollte, sobald sich später herausstellte, daß die in jeder Hinsicht ihren Wünschen entsprach, war schon fix und fertig eingerichtet. Auch das ganze Leinenzeug war bereits angeschafft und gestickt, es war alles da, und in seiner Güte hatte er alles, alles bezahlt. Sie brauchte an Aussteuer nicht das geringste mitzubringen, nur ihre Leibwäsche und ihre Kleider, und damit es ihr auch da an nichts fehle, hatte er ihr für diese Anschaffungen durch seine Bank einen Betrag überweisen lassen, dessen Höhe sie zuerst völlig sprachlos machte. Ja, sie bekam wirklich einen mehr als herzensguten Mann, aber sie wollte ihn auch immer lieb behalten, selbst wenn sie noch so lange mit ihm verheiratet sein sollte, bevor er starb und sie als seine Erbin, nein, als seine Witwe zurückließ. Aber das wußte sie, erben würde sie auch, wenn er durch irgend welchen Unglücksfall oder auf unnatürliche Art schon vor der Hochzeit sterben sollte. In seiner Güte hatte er gleich nach dem Tage seiner Verlobung sein Testament zu ihren Gunsten errichtet, wie er ihr das als etwas ganz Selbstverständliches erzählte. Und wenn er wirklich einmal sterben sollte, würde sie ihn nie, niemals vergessen, schon weil sie nach seinem Tode nicht gleich umzuziehen brauchte, sondern ruhig in der großen Villa weiterwohnen bleiben konnte, denn das hatte sie bei den Trauerfällen, die sie in der eigenen und bei befreundeten Familien miterlebt, stets als das Traurigste empfunden, daß der Tod so oft, nein meistens, auch eine Veränderung in den äußeren Verhältnissen der Zurückgebliebenen mit sich brachte. Und wenn es für den Toten natürlich auch sehr traurig war, daß der im geschlossenen Sarg aus seinem Hause oder aus seiner Wohnung, die er lieb hatte, herausgetragen wurde, du großer Gott, der Tote war schließlich tot und merkte von alledem nichts, aber die Hinterbliebenen merkten es dafür desto mehr, wenn sie ihre Möbel einpacken, ihre Sachen einräumen und die Zimmer verlassen mußten, in denen sie sich bisher so wohl und glücklich fühlten. Und solcher Umzug wurde meistens dadurch noch besonders traurig, daß es an den Umzugstagen eigentlich immer regnete und weil die Möbel dann naß oder wenigstens feucht in die neue Wohnung hinein kamen.

Da hörte sie die Uhr wiederum schlagen, jetzt war es schon zwei, und sie lag noch immer wach und hing solchen Gedanken nach, um deretwillen sie sich nun vor sich selbst schämte, denn sie liebte ihren Arthur doch, und wenn der starb, war all ihr Lebensglück dahin, und ob sie in der großen Wohnung bleiben konnte oder ob sie sich ganz klein werde einrichten müssen, war solchem großen Schmerz gegenüber doch so gleichgültig wie sonst nichts auf der Welt. Pfui, sie schämte sich wohl gar nicht, so etwas zu denken, wie sie das eben tat, und in dem Gefühl der Reue, das sie nun erfüllte, nahm sie sich fest vor, fortan des Abends auf den Gesellschaften unter gar keinen Umständen wieder starken Kaffee zu trinken und die Zigaretten nie wieder durch die Lungen zu rauchen, und außerdem waren ihr die Zigaretten ihres Arthurs zu schwer, der Doktor hatte früher immer viel leichtere für sie in seinem Etui bei sich gehabt. Nun aber wollte sie endlich einschlafen, denn sonst sah sie morgen schlecht und übernächtig aus, und das durfte sie nicht, das war sie schon ihrem Arthur schuldig. Und wenn der Doktor sie vielleicht morgen mit Schatten unter den Augen auf der Straße traf, konnte der sich allen Ernstes einbilden, sie habe nur deshalb schlecht oder gar nicht geschlafen, weil seine Frage sie fortwährend beschäftigte und weil sie weiter darüber nachgegrübelt hätte, ob sie an der Seite ihres Verlobten wunschlos glücklich sei.

Aber nun wollte sie ganz bestimmt schlafen, so schön, so fest und traumlos, daß sie morgen bei dem Erwachen frisch und schön aussah wie die schönste der Rosen aus den berühmten Rosengärten Schiras und daß der Doktor, wenn er sie morgen zufällig traf, sich grün und gelb ärgern sollte, weil ihr blühendes Aussehen ihm bewies, daß sie vor dem Einschlafen auch nicht eine halbe Sekunde an ihn und an seine mehr als ungezogene Frage dachte.

Jawohl, jetzt wollte sie schlafen. Mit einem energischen Ruck warf sie sich von der linken Seite auf die rechte, zog die Decke bis an das Kinn heran, wünschte sich aus alter Angewohnheit selbst eine gute Nacht, aber sie lag trotzdem noch lange, lange wach, bis sie dann endlich, endlich spät gegen Morgen einschlief. Aber sie war nach ihrer Ansicht kaum eingeschlafen, als es an ihre Zimmertür klopfte, so daß sie bei dem leisen Schlaf, den sie stets hatte, sofort erwachte. Und da sah sie, daß es doch schon später sein müßte, als sie es glaubte, denn das Tageslicht schien bereits durch die Vorhänge in das Zimmer, und ohne daß sie es nötig gehabt hätte, das elektrische Licht neben ihrem Bett anzuknipsen, erkannte sie deutlich die Gestalt ihres Stubenmädchens, der Ida, die mit einem Brief, den sie ihr auf einem Tablett überreichte, neben ihr stand.

Verwundert rieb sie sich die noch etwas müden Augen: „Ist es schon so spät, Ida? Ist die Morgenpost schon dagewesen? Aber warum bringen Sie mir die denn heute an das Bett? Sie legen mir die Briefe doch sonst immer auf den Frühstückstisch.”

„Das hätte ich auch heute getan, gnädiges Fräulein,” gab Ida bescheiden und höflich zur Antwort, „wäre der Brief mit der Morgenpost gekommen, würde ich das gnädige Fräulein nicht in dem besten Morgenschlaf gestört haben, aber dieser Brief ist durch einen Dienstmann bestellt worden und trägt den Vermerk: Eilt. Da glaubte ich, den Brief nicht zurückhalten zu dürfen, noch dazu, wo er von dem Herrn Verlobten des gnädigen Fräuleins, von Herrn Goßlar ist. Das sah ich auf den ersten Blick, denn die Handschrift kenne ich doch.”

„Einen Brief von meinem Verlobten zu so früher Stunde?” gab sie ganz erstaunt zurück. „Um was kann es sich da nur handeln?” Bis ihr plötzlich einfiel, daß ein junges Mädchen, eine junge Braut, oder eine junge Frau sich niemals in Gegenwart der Dienstboten überrascht und verwundert anstellen darf, wenn sie einen Brief von einem ihr nahestehenden Herrn erhält, denn das könnte so aussehen, als ob zwischen ihr und dem Herrn etwas vorgefallen sei, von dem sie selbst noch gar nichts wüßte. Je weniger wissend man aber ist, desto klüger muß man sich anstellen und deshalb meinte sie jetzt: „Ach so, ja richtig, mir fällt eben wieder ein, mein Verlobter und ich stritten uns gestern abend auf der Gesellschaft, von welchem Maler das Bild stamme, das wir letzthin in einer Reproduktion — aber das interessiert Sie ja nicht, Ida, mich aber dafür desto mehr. Aufmerksam wie mein Verlobter ist, wird er zu Hause sofort nachgesehen haben, um welchen Maler es sich handelt, und teilt mir das nun mit, damit ich mir den Kopf nicht weiter darüber zerbreche. Da werde ich den Brief nun gleich lesen, und wenn ich heute etwas später aufstehen sollte als sonst, dann entschuldigen Sie mich bitte bei meiner Mutter, Ida, ich bin noch sehr müde, ich bin gestern sehr spät eingeschlafen.”

„Ich werde es der gnädigen Frau ausrichten,” gab Ida zur Antwort, dann verabschiedete die sich mit einem höflichen Zofenknicks, und sie selbst öffnete den Brief, den sie in der Ungewißheit, was ihr Arthur ihr so früh am Morgen zu melden habe, am liebsten schon in Idas Gegenwart gelesen hätte, aber da war ihr glücklicherweise noch rechtzeitig eingefallen, daß man so etwas niemals in Gegenwart selbst der besterzogensten Dienstboten tun solle, denn wenn die Mädchen oder die Diener den Brief auch nicht selbst mitlesen können, so versuchen sie, den Inhalt des Schreibens aus dem Gesicht des Lesers und aus dessen freuidgen, gleichgültigen oder erschrockenen Mienen herauszulesen. Und die Ida brauchte es nicht zu sehen, wie sehr sie sich über den Uhalt des Schreibens freuen würde, denn es kam ihr ohnehin zuweilen schon so vor, als sei sie, die Ida, ein klein wenig neidisch und eifersüchtig, daß sie einen so herzensguten Mann bekäme. Nun aber, da sie allein war, öffnete sie das Kuvert, zog den Bogen heraus und las:

Meine über alles geliebte Brigitte!

Da ich weiß, wie Du mich liebst und welchen innigen Anteil Du an allem nimmst, was mich betrifft, will ich Dir gleich von dem Inhalt eines langen Telegramms Nachricht geben, das ich gestern abend zu Hause vorfand, als ich von der kleinen Gesellschaft zurückkam, auf der Du einmal wieder durch Deine wundervolle Schönheit alle anderen jungen Mädchen derartig in den Schatten stelltest, daß auch nicht eine einzige gegen Dich aufkam. Du weißt, wie lieb ich Dich habe, aber Du weißt nicht, wie oft ich mich im stillen, seitdem Du meine Braut bist, meines Reichtums freute, um Dich, solange ich lebe, beschenken und verwöhnen zu können. Wieviele Überraschungen hatte ich mir für Dich nicht schon für unseren Hochzeitstag und für die spätere Zeit unserer Ehe ausgedacht und nun trifft mich ein Schicksalsschlag, unter dem ich um Deinetwillen viel mehr leide, als Du unter dem leiden wirst, weil ich ja glücklicherweise weiß, daß Dir das Geld als solches völlig gleichgültig ist. Wie Du über diesen Reichtum und über das Reichsein denkst, hast Du mir ja am besten dadurch bewiesen, daß Du meinen Antrag erst annahmst, als es Dir klar geworden war, daß Du mich lediglich um meiner selbst willen liebst. Wäre es anders, müßte ich Dich heute wohl wieder freigeben, Brigitte, denn mit kurzen Worten sei es gesagt, ich bin so gut wie ruiniert. Auf dem Sterbebette mußte ich meinem verstorbenen Vater geloben, das Vermögen, das ich auf meinen Anteil von ihm erbe, weiterhin in den großen industriellen Unternehmungen seines besten und zuverlässigsten Freundes stehen zu lassen und diesem das Kapital niemals zu kündigen, solange es mir dort gut verzinst würde. Daß jemals der Tag kommen könne, an dem das nicht mehr der Fall sei, hielt mein Vater natürlich für ganz ausgeschlossen, und auch ich selbst rechnete niemals mit einer solchen Möglichkeit. Und nun ist die doch eingetreten. Das Telegramm meldet mir, daß die großen Fabriken durch die jahrelangen Unterschlagungen eines Angestellten, die erst jetzt und auch das lediglich durch einen Zufall entdeckt wurden, vor dem Bankerott stehen, wenn gleich noch die ganz leise Hoffnung besteht, daß ein minimaler Teil der großen in dem Unternehmen steckenden Kapitalien gerettet werden kann. Wenn Du diese Zeilen erhältst, bin ich schon abgereist, um mich an Ort und Stelle davon zu überzeugen, ob ich tatsächlich alles verlor, oder ob mir wenigstens noch etwas verblieb. Aber selbst dieses Etwas steht im günstigsten Falle in gar keinem Verhältnis zu dem, was ich bis zu dem heutigen Tage mein eigen nannte. Das ist auch für mich ein schwerer Schlag, und ich wüßte nicht, wie ich über den hinwegkommen sollte, wenn ich nicht Dich und Deine selbstlose Liebe zu mir hätte. Und diese Deine Liebe läßt mich trotz allem auch hoffnungsvoll in die Zukunft sehen und ich bitte, daß auch Du Dir meinetwegen keine allzu großen Sorgen machst. Ich habe glücklicherweise aus den Ersparnissen früherer Jahre noch ein kleines Guthaben bei einer hiesigen Bank. Auch meine Mutter würde mich nicht im Stich lassen, und vor allen Dingen bin ich jung und gesund und kann und werde arbeiten, um in erster Linie für Dich zu verdienen. Also mache Dir meinetwegen keine Sorgen, mein Glück, und telegraphiere mir an die unten angegebene Adresse, daß Du das nicht tun wirst. Ich selbst sende Dir kurze oder ausführliche Nachrichten, sobald ich das nur irgend tun kann, und werde Dich über den weiteren Gang der Angelegenheit auf dem laufenden erhalten. Sobald es mir irgend möglich ist, komme ich zurück. Bis dahin aber küsse ich Dich heute, wo ich noch mehr als sonst einsehe, was Du mir alles bist, in noch heißerer Liebe als bisher und bin und bleibe

Dein Dir ewig getreuer Arthur.

Wie lange es dauerte, bis sie diese Zeilen zu Ende las, hätte sie bei dem besten Willen nicht anzugeben vermocht. Eine kleine Ewigkeit war aber sicher darüber verstrichen. Damit, daß sie die nur einmal las, war es nicht geschehen, denn sie glaubte, ihren Augen nicht trauen zu dürfen. War das wirklich wahr, was er ihr da schrieb? Allerdings hatte er es, wie er es nannte, für seine Pflicht gehalten, ihr schon, bevor sie seine Frau würde, zu erzählen, wo und wie er sein Vermögen angelegt habe, und er hatte ihr auch erklärt, es würde ihm nun, da er zu heiraten gedenke, lieber sein, wenn er sein Geld in mündelsicheren Papieren auf der Reichsbank deponieren könne, obgleich das Geld in den industriellen Unternehmungen wohl ebenso gut und ebenso sicher angelegt sei. Damals hatte sie nur mit halbem Ohr danach hingehört und sich vorgenommen, lediglich in seinem Interesse und zu seiner Sicherheit darauf zurückzukommen, wenn sie erst seine Frau war. Vielleicht würde sich später doch ein Ausweg finden lassen, um das Geld in der Fabrik zu kündigen, denn die Versprechen, die man einem Sterbenden gab, um dem, wie man so sagt, das Sterben zu erleichtern, sollten nach dem, was sie einmal zufällig darüber las, keinerlei bindende und gesetzliche Kraft haben. Aber nun war es zu spät, um noch mit ihm darüber zu reden, nun hatte er alles, was er besaß, verloren, alles, alles, alles, wenn auch im besten Falle, an den er selbst nicht recht zu glauben schien, noch ein kleiner Rest für ihn gerettet werden konnte. Und diese Erkenntnis, daß er nun arm geworden sei, vielleicht noch ärmer, als es der Doktor war, der sie als Ehrenmann nur deshalb nicht heiratete, weil er ihr kein glänzendes Los an seiner Seite bieten konnte, diese Erkenntnis lähmte sie jetzt derartig, daß sie völlig regungslos in ihrem Bett lag und unfähig war, vorläufig auch nur den leisesten Gedanken zu fassen. Bis sie dann ganz mechanisch seinen Brief zur Hand nahm und den noch einmal durchlas, obgleich sie den schon fast auswendig kannte! Und jetzt fiel es ihr erst auf, wie kalt und herzlos sein Brief eigentlich war, denn ihr Verlobter sprach in dem in der Hauptsache doch nur von sich. Immer sprach er nur von seiner Liebe zu ihr, wenngleich er auf der anderen Seite ja auch ihre Liebe zu ihm, ihre ganz ganz große Liebe zu ihm, erwähnte. Nur ein Glück, daß er wußte, wie lieb sie ihn um seiner selbst willen hatte, aber wie hatte er seinem sterbenden Vater nur ein solches Versprechen geben und wie hatte er nur glauben können, an das gebunden zu sein? So unüberlegt würde nicht einmal sie als junges Mädchen gehandelt haben, und dabei bildeten die Männer sich immer ein, von Geldsachen tausendmal mehr zu verstehen als die Frauen. Na, soviel wußte sie, wenn sie erst seine Frau war, würde sie die Verwaltung des großen Vermögens übernehmen, zum zweitenmal sollte er nicht so leichtgläubig und so leichtsinnig sein. Daß er es gewesen war, kam natürlich auch nur von seinem guten Herzen, bis ihr plötzlich wieder einfiel, daß auf seiner Seite ja gar kein großes, ja vielleicht überhaupt gar kein Vermögen mehr da war. Aber nein, das durfte nicht sein, das war nicht möglich. Ein grenzenloser Schrecken überfiel sie, bis sich nun plötzlich alles, was sie in diesen letzten Minuten gelitten und durchgemacht hatte, in einem solchen Tränenstrom auslöste und bis ein solches unnennbares Weh ihren ganzen schönen Körper durchzuckte und durchbebte, daß sie mit aller Gewalt in das Kopfkissen hineinbiß, um nur nicht laut aufzuschreien. Das aber durfte sie nicht, das hätte die Ida sicher gehört und sich dann gesagt: „Aha, habe ich mir das nicht gleich gedacht, als ich den Brief abgab, da stimmt etwas nicht, denn an den Unsinn, daß die beiden sich darüber gestritten haben sollten, von welchem Maler das Bild stammt, das glaubt mein Fräulein Brigitte wohl selber nicht. Nee, über solche dumme Geschichten streiten sich Brautleute nicht, das weiß ich aus eigener Erfahrung, denn ich bin ja Gott sei Dank glücklicherweise auch schon ein paarmal sehr glücklich verlobt gewesen.” So würde die Ida, die ihr schon oft von ihren Brautzuständen, wie sie das nannte, erzählte, denken, aber die sollte und durfte sich überhaupt nichts denken, damit die ihre Gedanken nicht gleich der ganzen Stadt anvertraute, und sie selbst wollte nicht mehr an die Ida denken, denn um die handelte es sich jetzt nicht, sondern einzig und allein um ihren Arthur. Wie mußte dem der Schrecken gestern abend in die Glieder gefahren sein. Ja, wenn wenigstens sie, seine Braut, bei ihm gewesen wäre, um ihn trösten und ihn gestern gleich mündlich fragen zu können: „Glaubst du wirklich, daß alles bis auf einen kleinen Rest für dich verloren ist und, wie hoch glaubst du, daß dieser kleine Rest sich im besten, nein im schlimmsten Falle belaufen wird?” Ach, hätte sie ihn doch gleich mündlich danach fragen können, damit er sofort sah, welchen innigen Ateil sie an seinem Unglück nahm. Nun mußte sie ihm das schriftlich mitteilen, und das geschriebene Wort klingt so leicht anders als das gesprochene. Ach, es war zu schrecklich, ihr armer, armer Arthur tat ihr zu leid! Welch wundervolles Hochzeitsgeschenk hatte er sich in seiner großen Herzensgüte nicht sicher schon längst ausgedacht und wie würde er sie auch noch nach der Hochzeit täglich oder wenigstens wöchentlich beschenkt und verzogen haben, um ihr immer aufs neue dafür zu danken, daß sie ihn lediglich um seiner selbst willen liebte. Und nun war ihm diese große Freude, sie beschenken und verwöhnen zu können, genommen. Was hatte gerade er getan, daß der Himmel ihn für seine Güte so grausam strafe mußte? War das nicht wirklich, um an Gott und an der Welt und an allem, was es sonst noch gab, zu verzweifeln?

Mit ihren schönen weißen Zähnen biß sie immer fester in das Kopfkissen hinein, während ihr die heißen Tränen unaufhaltsam die Wangen herunterliefen, und sie weinte so ehrlich, daß sie garnicht daran dachte, daß selbst das schöbnste Gesicht dadurch enststellt wird, daß es weint. Aber selbst wenn sie daran gedacht hätte, würde sie weiter geweint haben, den sie war so verkümmert, daß sie in diesen Minuten ihre ganze Schönheit, oder wenigstens ihre halbe Schönheit, oder wenigstens einen Teil dieser halben Schönheit mit Freuden dafür hingegeben hätte, wenn es ihr dadurch nur möglich gewesen wäre, die Hiobspost, die ihr Arthur gestern abend erhielt, rückgängig zu machen. Bis ihre Tränen dann endlich doch versiegten, das aber nur deshalb, weil ihre Tränendrüsen entleert waren. Sie konnte ganz einfach nicht mehr weinen und sie durfte es auch nicht, denn das Weinen schadete den Augen, und wer konnte wissen, ob sie die nun später in ihrer Ehe nicht gebrauchen würde, wenn die Not des Lebens sie vielleicht zwang, für Geld Handarbeiten zu machen, oder ihrem Mann wenigstens die Strümpfe und die Wäsche zu stopfen, immer vorausgesetzt natürlich, daß ihr geliebter Arthur es als Ehrenmann unter den völlig veränderten Umständen nicht doch für seine Pflicht hielt, ihr ds Jawort zurückzugeben, denn das gestand sie sich offen ein, wenn dieser Schritt überhaupt erfolgen sollte, dann mußte der von ihm ausgehen, wenn sie nicht in den schmählichen und mehr als gemeinen Verdacht geraten sollte — aber nein, einen solchen Verdacht durfte sie, von der Rücksicht auf ihren Arthur ganz abgesehen, schon um ihrer selbst willen niemals aufkommen lassen. Und außerdem blieb es doch auch noch abzuwarten, ob ihr Arthur in der ersten Erregung nicht viel zu schwarz gesehen hatte. Vielleicht gelang es ihm, von seinem Vermögen weit mehr zu retten, als er heute dachte, und das, was er in seinem Briefe einen nur minimalen Rest nannte, erwies sich für sie, die es in den letzten Jahren gelernt hatte, mit sehr bescheidenen Summen zu rechnen, vielleicht als ein immerhin noch ganz ansehnliches Vermögen, wenngleich darüber wohl kein Zweifel bestand, daß sie sich in der Ehe würden einschränken müssen. Aber ihr Arthur würde das gewiß gern tun, der war für seine eigene Person sehr anspruchslos, und soweit er es noch nicht war, würde er es ihr zuliebe sicher gern werden, denn er hatte sie doch über alles lieb, und auch sie würde gern auf manches verzichten, vorausgesetzt, daß ihr Arthur ihr das erlaubte und daß er nicht darauf bestand, wenigstens sie solle nicht mehr als unbedingt nötig sei, darunter leiden, daß er nicht mehr so reich wäre wie früher. Sicher, ganz sicher würde ihr Arthur darauf bestehen, daß sie sich schon seinetwegen auch in Zukunft hübsch und geschmackvoll kleidete, und wenn es ihr auch nicht leicht fallen würde, das Geld, das er sich unter Umständen erst mühsam verdienen mußte, für Kleider und Hüte auszugeben, sie würde es dennoch tun, ja noch mehr, sie mußte es tun, denn sie liebte ihn doch.

Aber es blieb ja noch abzuwarten, ob die Sache in Wahrheit so schlimm stand, wie Herr Goßlar, nein ihr Arthur, es gestern abend befürchtet hatt. Und ganz bestimmt würde es nicht halb so schlimm stehen, denn gerade die Männer waren nur zu sehr geneigt, alles gleich durch eine schwarze Brille zu sehen. Nein, nein, es würde ganz sicher nicht so schlimm werden, und als sie sich zu dieser Erkenntnis durchgerungen hatte, freute sie sich plötzlich für ihren Arthur so furchtbar, daß sie ihre vorhin vergossenen Tränen gar nicht mehr verstand und daß sie nun plötzlich in ihrem Bett vergnügt vor sich hinträllerte, das aber in der Hauptsache nur, damit die Ida es vielleicht höre und daraus den Schluß zöge, der Brief habe eine äußerst frohe Botschaft enthalten. Und die Ida durfte ihr nachher noch weniger als die Mutter ansehen, daß sie geweint hatte. Je eher sie sich daran machte, die Spuren der Tränen fortzuwaschen, je leichter würde das gehen. So sprang sie denn nun mit einem schnellen Satz aus dem Bett heraus, um sich an die Toilette zu machen. Und als sie eine kleine Stunde später zu dem Frühstück erschien, sah sie frisch und blühend aus wie immer, nur eine ganz, ganz kleine Sorgenfalte trug sie absichtlich auf der Stirn, und um diese zu erklären, erzählte sie ihrer Mutter im leichten Plauderton von dem Brief, den sie erhalten, ohne dessen Wortlaut zu erwähnen, sondern meinte nur: „Arthur hat mir geschrieben, er mußte heute morgen geschäftlich für ein paar Tage verreisen, er hat finanziellen Ärger und Verdruß und blödsinnig, verliebt, wie er es glücklicherweise in mich ist, fürchtet er meinetwegen, die Verhandlungen, an denen er teilnimmt, könnten einen etwas unerfreulichen Verlauf nehmen. Aber ich lasse mich nicht in das Bockshorn jagen, ich kann mir nicht helfen, ich bin felsenfest davon überzeugt, daß alles noch gut ablaufen wird, es wäre für Arthur ja auch gar nicht auszudenken, wenn es anders käme. Er hat mich gebeten, ihm nachher gleich ein paar Worte zu telegraphieren und ihn darüber zu beruhigen, daß ich mir seinetwegen keine großen Soregn mache. Das will ich dann auch tun, ich werde sofort zur Stadt gehen.”

Sie sah es ihrer Mutter an, daß diese ihr zurufen wollte: „Nimmst du den Brief deines Verlobten nicht vielleicht doch zu leicht? Du müßtest ihn noch besser kennen als ich und da wissen, daß es ihm gar nicht ähnlich sieht, dir seine Befürchtungen mitzuteilen, wenn er es nicht für seine Pflicht hielte, das zu tun, weil zu solchen Befürchtungen sehr schwerwiegende Gründe vorliegen.” Und die Mutter schien auch sonst noch manches sagen zu wollen, aber sie winkte ab: sie hatte solchen Hunger, das Frühstück schmeckte so gut und draußen lachte das herrlichste Märzwetter(2), da konnte sie sich nachher, wenn sie auf die Straße ging, bildhübsch anziehen und vielleicht traf sie unterwegs den Doktor, und dann ärgerte der sich wieder maßlos darüber, daß sie nicht seine Braut war und daß sie ihn nicht heiratete. Aber das war natürlich alles nebensächlich, die Hauptsache war und blieb, daß ihr Arthur in seinem Brief übertrieben hatte. Er mußte ganz einfach übertrieben haben, es sollte, konnte und durfte nicht wahr sein, daß er den größten Teil seines Vermögens verlor und daß er, der so ein leidenschaftlicher Raucher war, sich vielleicht später sogar die Zigaretten würde abgewöhnen müssen, nur um ihr ein neues Kleid oder einen neuen Hut kaufen zu können. Nein, so grausam konnten durften und würden die Götter nicht sein.

In diesem Sinne sandte sie denn auch, nachdem sie sich sehr hübsch für das Telegramm angezogen hatte, dieses an ihren Arthur ab. In diesem Sinne las sie die weiteren Nachrichten, die er ihr von unterwegs sandte, und in demselben Sinne und desselben Sinnes ging sie dann auch vierzehn Tage später des Nachmittags zur Bahn, um ihren Verlobten dort abzuholen, nachdem er viel länger, als es eigentlich seine Absicht gewesen war, von Hause fortgeblieben war, so lange, daß ihre Freundinnen sie schon ein paarmal gefragt hatten: „Du, Brigitte, sage mal, was ist denn nur mit deinem Bräutigam, man sieht den gar nicht mehr, man trifft den nirgends, sag' mal, Brigitte, uns kannst du es ja ruhig erzählen, denn wir würden selbstverständlich nicht weiter darüber sprechen, also sag' mal, Brigitte, ist da irgend etwas zwischen Euch vorgefallen?” Aber sie beeilte sich, die Freundinnen darüber aufzuklären, daß nicht das allergeringste vorgefallen sei und daß sie sich auch bei dem besten Willen nicht vorzustellen vermöchte, was denn nur vorgefallen sein könne, selbst wenn etwas vorgekommen sein solle, was aber, wie schon erwähnt, in keiner Hinsicht der Fall wäre. Und während sie den Freundinnen weiter erzählte, ihr Verlobter sei nur für ein paar Tage verreist, um ein paar notwendige Anschaffungen für ihre bevorstehende Heirat zu machen, dankte sie dem Himmel im stillen, daß noch niemand in der Stadt zu wissen schien, weshalb ihr Verlobter in Wirklichkeit verreist war. Das durfte, solange es irgendwie zu verheimlichen war, auch kein Mensch erfahren, denn sein Vermögen zu verlieren, galt ja in den Augen vieler Menschen für ebenso schlimm, wenn nicht für noch schlimmer, als eine Gefängnisstrafe zu verbüßen. Nein, vorläufig durfte kein Mensch etwas erfahren, und als sie auf dem Bahnhof ihren Verlobten wieder in Empfang nahm und den, schon weil zufälligerweise einige Bekannte auf dem Bahnsteig waren und ihr zusahen, so zärtlich und stürmisch küßte, als sei der von einer mehrjährigen Reise zurückgekehrt, da wußte sie auch, daß niemand etwas davon zu erfahren brauche, denn ein so strahlend vergnügtes Gesicht, wie ihr Arthur es zur Schau trug, konnte nur ein Mensch machen, dem unterwegs alle geschäftlichen Dinge über alles Erwarten gut gelungen waren, und daß ihm das gelang, war einzig und allein ihr Verdienst. Sie hatte den lieben Gott allabendlich gebeten, ihren Arthur nicht zu verlassen, und sie hatte dem Himmel damit gedroht, bei ihrer bevorstehenden Trauung zum letztenmal in die Kirche zu gehen, wenn er ihr Gebet nicht erhörte. Ja, daß alles so gut ablief, war einzig und allein ihr Verdienst, das auch schon deshalb, weil sie selbst nicht einen Augenblick den Glauben daran verloren hatte, daß ihr Arthur viel, aber auch viel zu schwarz sähe.

Bis sie dann, als er ihr zu Hause ausführlichen Bericht erstattete, einsehen mußte, daß die Götter sich nicht viel aus ihrem Abendgebet gemacht hatten und daß es denen ganz gleichgültig zu sein schien, ob sie fortan fleißig oder gar nicht zur Kirche gehen würde. Wenn ihr Arthur mit einem so glücklichen Gesicht aus seinem Kupee herausstieg und sie so freudig erregt in seine Arme schloß, lag das hauptsächlich an seiner Freude, sie endlich, endlich wiederzusehen, denn die Reise selbst war noch schlimmer verlaufen, als er es von Anfang an befürchtete. Es war ihm lediglich gelungen, den alten Freund seines verstorbenen Vaters dahin zu bringen, ihm freiwillig von dem Vermögen seiner Frau, mit der er in Gütertrennung lebte, die also für seine Schulden nicht haftete, einen Betrag von hunderttausend Mark zurückzuzahlen, nachdem dessen Frau sich damit einverstanden erklärt hatte. Alles andere war und blieb für immer verloren, aber einen großen Gewinn brachte er von der Reise doch mit, er hatte es gelernt, sich über den Verlust hinwegzusetzen, er trauerte dem nicht eine Sekunde nach, schon weil es unmännlich sei, sich dauernd mit Dingen zu beschäftigen, die sich doch nicht mehr ändern ließen, und außerdem sei er dadurch, daß er sie, seine über alles geliebte Brigitte, nun bald ganz sein eigen nennen dürfe, in anderer Hinsicht so unermeßlich reich, daß er selbst mit keinem Fürsten tauschen würde.

Sie hörte es ihm an, was er da sagte, war seine ehrlichste Überzeugung und von seinem Standpunkt aus mochte er vielleicht auch recht haben, aber er tat ihr trotzdem um seiner selbst willen so grenzenlos leid, denn was waren schließlich hunderttausend Mark? Die Zinsen allein reichten nicht weit, und wenn man erst anfing, von dem Kapital zu leben, dann nahm das unter Umständen auch sehr schnell ein Ende. So mußte sie denn an sich halten, um aus Mitleid zu ihm nicht abermals in heiße Tränen auszubrechen, und sie hätte wohl auch wirklich geweint, wenn sie ihm nicht plötzlich anzumerken geglaubt hätte, daß er ihr irgend etwas verschwieg und zwar, wie sie ihm jetzt deutlich ansah, etwas sehr Freudiges. Nur so, wie er es ihr bisher schilderte, konnte die Reise ja auch nicht verlaufen sein und nur, weil er sie über alles liebte, konnte er bei dem Wiedersehen mit ihr nicht ein solches glückstrahlendes Gesicht gemacht haben, im Gegenteil, gerade weil er sie so liebte, hätte ihn ein Wiedersehen mit ihr unter diesen Umständen bekümmern müssen, denn er wußte doch, wie sein Kummer auch der ihrige war, und daß er über die lumpigen hunderttausend Mark so froh sein solle, daß er sich, selbst wenn sie nun bald seine Frau war, so reich fühlen sollte, daß er deshalb mit keinem Fürsten tauschte, das glaubte sie nun nie und nimmer. Sicher, totensicher htte er noch irgend eine frohe Überraschung für sie bereit, vielleicht trug er die in Gestalt eines hübschen Mitbringsels in seiner inneren Rocktasche, und um das herauszufühlen, erhob sie sich jetzt von ihrem Platz, schmiegte sich zärtlich an ihn und schlang ihre Arme um seine Brust, während sie ihm dabei zurief: „Ach wenn du wüßtest, wie mich das für dich freut, daß deine Reise so über alles Erwarten gut verlaufen ist. Hunderttausend Mark sind viel, viel Geld, es gibt millionen und abermillionen Menschen, die das nicht besitzen und die trotzdem glücklich werden, und auch wir werden das sein. Ich werde schon für dich sorgen, daß du nichts entbehren sollst. Ich selbst bin in den letzten Jahren für meine eigene Person ja völlig anspruchslos geworden,” und vielleicht hätte sie in diesem Sinne noch weiter auf ihn eingeprochen, wenn sie nicht mit ihren leise umhertastenden Händen die Entdeckung gemacht hätte, daß er in den Brusttaschen seines Rockes keine Überraschung für sie trug, und noch länger und noch deutlicher durfte sie nicht an ihm herumtasten, denn das hätte ja so aussehen können, als ob sie etwas bei ihm suche. Bis ihr der Gedanke kam: sicher trägt er das Geschenk für dich in seiner hinteren Rocktasche, aber ihre Hände dort um ihn zu schlingen, hielt sie denn doch für nicht passend, und außerdem wollte sie ihm die Freude, sie zu überraschen, nicht verderben. Deshalb setzte sie sich nun schnell wieder hin, aber als er dann endlich mit seiner Überraschung herausrückte, war die ganz anderer Art, als sie erwartet hatte, denn er rief ihr zu: „Denke dir nur, Brigitte, wie glücklich sich trotzdem noch manches für uns gestaltet hat. Als ich unterwegs einsehen mußte, wie es um mich steht, war es mir sofort klar, daß wir unter gar keinen Umständen die teure Villa, die wir mieteten, beziehen oder später gar kaufen könnten. Ich setzte mich deshalb gleich telegraphisch mit unserem Wirt in Verbindung und fragte an, welches Reugeld ich bezahlen müsse, um von meinem Kontrakt wieder frei zu kommen. Und da fügte es der Himmel, daß eine sehr reiche Familie, die von auswärts hierher zieht und die sich gleich eine Villa kaufen will, während wir uns ja nur das Vorkaufsrecht vorbehielten, sich derartig in unsere Villa verliebt hat, daß sie die lieber heute als morgen kaufen wollte, Um die Sache kurz zu machen und um dich nicht unnötig auf die Folter zu spannen, ich bin die Villa wieder los, aber das nicht allein, anständig wie der neue Besitzer ist, zahlt er mir eine Entschädigung dafür, daß ich von meinem Mietskontrakt zurücktrete und außerdem kauft er mir gegen Zahlung der vollen Summe, die ich dafür verauslagte, einen großen Teil der Möbel ab, die ich bereits für uns anschaffte, denn in der Wohnung, die wir jetzt beziehen werden und die ich auch bereits gefunden habe, müssen wir uns natürlich sehr viel kleiner einrichten. Ach, ich bin ja so glücklich, daß ich nun die große Sorge mit dem großen Haus los bin und daß ich durch den teilweisen Wiederverkauf der Möbel dreißigtausend Mark bares Geld bekomme. Nicht wahr, Brigitte, du freust dich mit mir? Am liebsten hätte ich dir das alles gleich schon auf dem Bahnhof erzählt und ich mußte mich mit Gewalt beherrschen, um das nicht zu tun.”

Glückstrahlend, ihre Antwort erwartend, sah er sie an, aber sie konnte nicht gleich antworten, denn sie fühlte ganz deutlich, wie ihr ein Schauer des Schreckens und des Entsetzens über den Rücken lief. Das kam aber selbstverständlich nur daher, weil es ihr jetzt klar wurde, warum ihr Verlobter auf dem Bahnhof, als er sie da in seine Arme schloß, so strahlte. Darum also, weil er ein paar tausend Mark gespart und verdient hatte. Nein, nicht einmal verdient, denn ausgegeben war das Geld ja schon gewesen, er hatte es lediglich zurückbekommen. Darum also sein verklärtes Strahlenantlitz! Und dabei hatte sie geglaubt, daß sie selbst die Ursache seiner Freude sei, die sich auf seinem Gesicht widerspiegelte. Nur für ihn, oder wenigstens in der Hauptsache für ihn, oder wenigstens auch seinetwegen mit hatte sie sich so besonders hübsch angezogen, als sie zur Bahn ging. Aber da sah man es wieder deutlich, die Männer verdienten solche Aufmerksamkeiten gar nicht und außerdem waren die Männer meistens gräßlich, die bestanden nur aus Prosa. Für die Poesie hatten die wenigsten Sinn und Verständnis, auch ihr Arthur nicht, nein, der am allerwenigsten, denn anstatt wirklich nur über das Wiedersehen mit ihr nach so langer Trennung zu strahlen, hatte er bei dem Wiedersehen in der Hauptsache nur an die ersparten und zurückbekommenen Tausendmarkscheine gedacht.

Das war sehr häßlich von ihm, das war sogar beinahe gemein und außerdem, wo sollten sie nun wohnen? Ob er, wenn er wirklich ein Ehrenmann war, es ihr nicht eigentlich doch freistellen mußte, ob sie unter diesen veränderten Umständen die Verlobung aufrecht erhalten wollte? Und was ihre Freundinnen und nun erst die anderen Leute, aber nein, ihre Freundinnen würden am meisten reden und klatschen, denn dafür waren die ja ihre Freundinnen, die es gut mit ihr meinten, also was die sich wohl da zurechtreden würden, wenn die erfuhren, daß ihr Verlobter von dem Mietskontrakt zurückgetreten wäre. Und sie selbst hatte dummerweise schon von den Gesellschaften erzählt, die sie im nächsten Winter in den hübschen großen Räumen ihrer Villa geben würde. Jawohl, „ihre” Villa hatte sie die genannt, denn daß ihr Mann ihr die später kaufen würde, selbst wenn die nicht ganz ihren Wünschen entsprechen sollte, das hatte sie schon längst beschlossen, und was die Frau beschließt, hat der Mann in einer glücklichen Ehe auch zu tun, selbstverständlich muß die Frau es aber so zu drehen und zu wenden wissen, daß der Mann stets glaubt, mit dem Entschluß, den er ausführt, nur seinen eigenen Entschluß in die Tat umzusetzen, und das würde sie schon verstanden haben, ihren Arthur dahin zu bringen, denn sie wollte doch in einer glücklichen Ehe mit ihm leben.

Das und vieles andere schoß ihr blitzschnell durch den Kopf, obgleich sie im Augenblick gar nicht klar denken konnte, so sehr lähmte sie das Entsetzen, daß er bei dem Wiedersehen mit ihr mehr an die Geldsachen als an sie dachte, und wie konnte man auch wohl klar denken, wenn man so kurz vor der Hochzeit noch nicht einmal wußte, wo man wohnen sollte. Und außerdem hatte sie gar keine Zeit, klar zu denken, denn sie sollte sich doch mit ihm darüber freuen, daß er die schöne Einrichtung zum großen Teil wieder verkaufte und daß sie mit ihm obdachlos war. Aber das gestand sie sich gleich ein, wenn er es vielleicht für poetisch hielt, die paar Sachen, die er noch behielt, unter freiem Himmel aufzustellen und mit ihr die Flitterwochen auf einer schattigen Wiese zu verleben, dann irrte er sich sehr, da spielte sie nicht mit. Aber darüber mit ihm zu reden, bot sich ja immer noch Gelegenheit, wenn es erst soweit war, vorläufig sollte sie sich mit ihm freuen, und da sah man es wieder, daß die meisten Männer Tyrannen waren! Die Männer kommandierten ganz einfach: „Freue dich!” und wenn man nicht sofort den Befehl ausführte, dann —

„Aber Brigitte, freust du dich denn gar nicht mit mir?” erklang da die Stimme ihres Verlobten. „Bis jetzt habe ich vergebens darauf gewartet, daß du mir wenigstens mit einem Wort —”

„Aber Arthur, selbst dieses eine Wort habe ich noch nicht finden können, geschweige denn Worte, so namenlos glücklich bin ich mit dir, daß du die Sorge um die teure Wohnung losgeworden bist,” unterbrach sie ihn da schnell, um gleich darauf fortzufahren: „Während deiner Abwesenheit hatte ich schon selbst oft gedacht, ob es nicht ein Wahnsinn sei, von Anfang an in das große Haus zu ziehen. Die Hauptsache ist, daß wir glücklich werden und es auch bleiben, und das Glück ist doch nicht abhängig von den Räumen und von den Möbeln, in denen und zwischen denen man wohnt, sondern —”

Miiten im Satz hielt sie inne, denn wie der Satz weiterging, wußte sie nicht recht, aber sie brauchte den Satz auch nicht zu vollenden, denn ihr Arthur sprang plötzlich von seinem Stuhl auf, um sie stürmisch an sich zu ziehen und um sie noch stürmischer zu küssen, bis er ihr nun zurief: „Was du mir da eben sagtest, Brigitte, werde ich dir nie, niemals vergessen, aber ich habe es offen gestanden auch gar nicht anders erwartet, daß du mir eine solche Antwort geben würdest, denn ich kenne dich und deine wahre Gesinnung und deine Liebe zu mir.”

Sie selbst aber ertappte sich im stillen dabei, daß sie sich sagte: er hat mir also wirklich nichts mitgebracht, denn wenn nicht eher, hätte er es mir jetzt übergeben , da er es aufs neue sieht, wie ich ihn liebe, daß ich ihn so liebe, um mit ihm selbst in eine kleine Wohnung zu ziehen.

Nein, außer vielen, vielen Küssen hatte ihr Arthur ihr tatsächlich nichts mitgebracht, das mußte sie einsehen, als er ihr nun wieder gegenüber Platz nahm und ihr gleich darauf weitererzählte: „Selbst auf die Gefahr hin, Brigitte, daß du mich für einen Verschwender hältst, muß ich dir eingestehen, daß ich in den letzten Tagen viel, viel Geld für Telegramme ausgab. Ich mußte doch gleich eine neue Wohnung für uns suchen, und auch das ist mir in überraschend guter Weise gelungen. Denke dir nur, wir werden in dasselbe Haus ziehen, in dem meine Mutter wohnt. Ich zahle den Leuten im ersten Stock eine kleine Abfindungssumme, die räumen schon in den nächsten Tagen die Wohnung, der Wirt läßt die vollständig neu herrichten, und bis zu unserem Hochzeitstag ist alles längst in bester Ordnung. Was sagst du dazu, Brigitte, ist das nicht einfach herrlich?”

Das nennst du herrlich? hätte sie ihm am liebsten zugerufen, denn was sie da zu hören bekam, lähmte für den Augenblick alle ihre Glieder. Mit Arthurs Mutter sollte sie später in demselben Hause wohnen, ausgerechnet mit der, die ihr von Anfang an mit einem gewissen Mißtrauen gegenübertrat, weil sie arm war und weil sie sich für ihren Sohn eine reiche Braut gewünscht hatte. Ausgerechnet mit seiner Mutter sollte sie in demselben Hause wohnen, mit seiner Mutter, die ihr bei jeder Gelegenheit eine Rede über die vielen vortrefflichen Eigenschaften ihres Sohnes hielt und die sie immer aufs neue ermahnte, ihn so glücklich zu machen, wie er es verdiente. Als ob sie solche Reden nötig gehabt hätte! Sie kannte die vielen vortrefflichen Eigenschaften ihres Arthur doch auch, denn sonst hätte sie sich nie und nimmer mit ihm verlobt! Und war es nicht beinahe ungezogen von der Mutter, immer nur davon zu sprechen, daß sie ihren Arthur glücklich machen solle? Hätte sie den zum mindesten nicht ebenso oft ermahnen müssen, später in der Ehe auch sie, seine Brigitte, glücklich zu machen, denn das Glück war doch bis zu einem gewissen Grade eine G. m. b. H., an der alle Gesellschafter, in einer Ehe beide Gatten, in gleicher Weise beteiligt waren. Und wie würde die alte Dame, die erst sechzig Jahre alt war und die bei ihrer Gesundheit wenigstens neunzig werden konnte, erst auf sie einreden, wenn die mit ihnen zusammen wohnte, und wie würde die sich auch um die Wirtschaft kümmern wollen? Aber das nahm sie sich schon jetzt gleich fest vor, in die Wirtschaft ließ sie sich nicht hineinreden, schon weil sie für ihre Person glücklicherweise nichts von der verstand, und die bereits engagierte Wirtschafterin hatte ihre Stellung auch nur unter der Bedingung angenommen, daß sie, ihre Gnädige, da nie hineinrede und ihr vollständig freie Hand ließe. Na, wenn sie es nicht tat, dann würde die Wirtschafterin sich schon seine Mutter fern zu halten wissen. Aber trotzdem, die Aussicht, die Mutter später in nächster Nähe zu haben, war alles andere als verlockend und bevor ihr Verlobter gerade diese Wohnung nahm, hätte es sich gehört, daß er sie vorher wenigstens gefragt hätte, ob auch sie damit einverstanden sei. Aber was Rücksichtnehmen bedeutete, schienen leider die wenigsten Männer, wenn es ernstlich darauf ankam, zu wissen.

„Nicht wahr, Brigitte,” erklang da die Stimme ihres Verlobten, „jetzt bist du vor Freude wirklich sprachlos? Ich weiß, wie zärtlich auch du meine Mutter liebst, beinahe ebenso sehr wie ich, für den meine Mutter nächst dir mein ein und mein alles ist. Paß nur auf, wie herrlich das Zusammenleben zu dritt sein wird, obgleich ich damit nicht sagen will, daß wir drei immer zusammensein werden. Das wird leider schon an dem Widerspruch meiner Mutter scheitern, da die den Standpunkt vertritt, daß ein junges Ehepaar zuweilen auch allein sein muß. Aber trotzdem, Brigitte, und wenn wir uns in der ersten Zeit auch werden einschränken müssen, bevor es mir gelingt, zu verdienen, wir gehen einer herrlichen Zeit entgegen.”

Einer herrlichen Zeit? Der Ansicht war sie selbst leider Gottes ganz und gar nicht, aber ihre offene Meinung darüber sprach sie nicht aus, sondern begnügte sich damit, über diesen Punkt und über manches andere, das damit zusammenhing, sehr ernsthaft und sehr reiflich nachzudenken, als sie sich am Abend niedergelegt hatte. Daß bei diesem Grübeln nicht allzu viel herauskommen würde, wußte sie im voraus, aber wider alles Erwarten dachte sie auch nicht ganz umsonst nach, denn zunächst kam sie zu der einen Erkenntnis, wenn sie schon später mit der Mutter ihres Mannes in demselben Hause wohnen sollte, dann würde sie der alten Dame auch in Zukunft die Sorge um dessen Wäsche überlassen, dann mochte die sich fortan weiter darum kümmern, daß an dessen Hemden keine Knöpfe fehlten, daß die Strümpfe keine Löcher hätten und daß das Unterzeug — und sie konnte sich nicht helfen, bei dem Gedanken an das Unterzeug ihres späteren Mannes bekam sie einen ganz kleinen Ekelanfall. Gab es etwas, das unpoetischer und poesieloser war als die Unterhosen eines Mannes, selbst wenn die rein gewaschen und frisch geplättet aus dem Wäscheschrank kamen? Selbstverständlich, mit rosa Schleifen und hübschen Spitzen konnten diese Männerbeinkleider nicht verziert sein, aber trotzdem, solche Wäsche auf etwaige Löcher hin zu untersuchen und zu stopfen, mußte für eine junge Frau ganz einfach den Tod jeglicher Liebe bedeuten, wenngleich sie wußte, daß es selbst unter ihren verheirateten Freundinnen tatsächlich elegante und hübsche Frauen gab, die sich gern auch um die Wäsche ihres Mannes kümmerten, die diese selbst ausbesserten, um ihren Männern auch dadurch zu beweisen, wie lieb sie die hätten. Aber das war ihr immer schon zu hoch gewesen, das verstand sie ganz einfach nicht und sie hatte sich schon früher vorgenommen, sich für so etwas eine Ausbesserfrau in das Haus kommen zu lassen, aber nun konnte die Mutter das weiter für ihren Sohn besorgen und die würde das auch gern tun, die würde vielleicht sogar eifersüchtig werden, wenn sie ihr die Sorge um die Wäsche ihres Kindes abgenommen hätte, und das war sie der alten Dame, wenn sie die auch nicht besonders liebte, sondern wenn sie sich nur so stellte, als ob sie das täte, das war sie der alten Dame schon schuldig, daß sie der nicht unnötig Veranlassung gab, auf sie eifersüchtig zu werden.

Und dann kam sie noch zu einer weiteren Erkenntnis. Ihr Arthur war vielleicht auf seine Art ein ebensolcher Ehrenmann wie der Doktor, denn die Charaktere waren ja verschieden. Der eine hielt es für seine ritterliche Pflicht, nicht länger um sie zu werben, weil er für sie nicht reich genug war, der andere hielt es trotz des Verlustes seines Vermögens für seine Pflicht, weiterhin treu zu ihr zu halten und sie an den Altar zu führen, weil er sich vielleicht sagte: für ein weibliches Wesen ist es unter allen Umständen besser, an der Seite eines Mannes geborgen zu sein. als ledig zu bleiben, und eine rückgängig gemachte Verlobung wirft nur zu leicht einen Schatten auf den Charakter der verlassenen Braut. Daß ihr Arthur so dachte, war sehr anständig von ihm und wenn sie sich, am Anfang auch würden einschränken müssen, die Zukunft würde dafür vielleicht, nein sicher, desto besser werden. Er würde schon verdienen und vorläufig hatten sie ja auch sein kleines Kapital und die mehreren zehntausend Mark, die er für den Wiederverkauf der Möbel zurückbekommen hatte. Da konnten sie erst mal eine sehr schöne Hochzeitsreise machen und wenigstens die ersten Jahre hindurch waren sie vor jeder Einschränkung gesichert.

Und schließlich kam sie noch zu einer dritten Erkenntnis. Die Freundinnen durften unter gar keinen Umständen erfahren, weshalb sie die große Villa aufgegeben hatten, noch bevor sie die bezogen, und um ihnen plausibel zu machen, warum sie das taten, gab es einen sehr naheliegenden Ausweg. Sie würde denen ganz einfach erzählen, sie wäre gücklicherweise noch rechtzeitig dahinter gekommen, daß die Villa auf die Dauer für sie doch nicht groß genug und für ihren Geschmack und für ihre Wünsche auch nicht recht praktisch gebaut sei, und deshalb würde ihr Arthur sich nach seinen eigenen Plänen und Angaben ein ganz modernes Haus bauen lassen, in dem es ihnen beiden an nichts, aber auch an gar nichts fehlen sollte. Er stände auch bereits wegen des Ankaufes eines Grundstückes mit dem Besitzer in Unterhandlung. Aus diesem Grunde sei sie mehr als froh, daß sie die Mietsvilla nicht erst zu beziehen brauchten, und bis sie in das eigene Haus einzögen, hätten sie eine ganz reizende kleine Wohnung gefunden und die glücklicherweise in demselben Hause, in dem die Mutter ihres Verlobten wohne. Sie, Brigitte, würde das den Freundinnen schon so glaubhaft vorlügen, daß sie das glauben mußten, daß die wenigstens so täten, als ob sie es glaubten. Auf das, was die im stillen dachten, kam es nicht an, denn das gestand sie sich ein, wenn man sich auch nur einen Deut um das kümmern wollte, was unsere lieben Mitmenschen über uns reden und von uns denken, dann hätte man auf Erden überhaupt keine frohe Minute mehr und würde es gar nicht wagen, den Mitmenschen unter die Augen zu treten. Die Menschen waren ja alle so gemein und auf die war so wenig Verlaß, bis sie die nun plötzlich doch wieder in Schutz nahm, weil sie sich sagte, warum sollen die Menschen eigentlich zuverlässiger sein, als die Götter im Himmel es sind? Wie habe ich zu denen gebetet, sie möchten alles finanzielle Unheil von meinem Arthur abwenden! Ich habe gebetet und mir die gefalteten Hände zusammengepreßt, daß ich an meiner allerdings sehr empfindlichen Haut zwei äußerst schmerzhafte und vor allen Dingen zwei mehr als häßlich aussehende dunkelrote Druckstellen bekommen habe, und was hat das ganze Beten geholfen? Nichts, nicht einmal soviel hat mein Arthur über das Allernotwendigste hinaus gerettet, daß er mir ein hübsches Schmuckstück oder sonst eine Kleinigkeit von seiner Reise mitbringen konnte. Wie muß der Arme darunter gelitten haben? Und da tat er ihr nun wieder so leid, daß sie seinetwegen abermals in heiße Tränen ausbrach, aber heiraten wollte sie ihn doch und sie mußte ihn auch heiraten, schon weil die Freundinnen, wenn die sich auch noch so sehr im stillen über das Äußere ihres Arthurs mokierten, sie doch um die glänzende Partie mit ihm beneideten. Das mußten die auch weiter tun, ja das mußten sie nun, da ihr Arthur bereits in Unterhandlungen stand, um sich eine große Villa ganz nach seinem und nach ihrem Geschamck zu erbauen, jetzt mußten und jetzt würden die das erst recht tun, denn niemals durften sie die Wahrheit erfahren, das war sie schon ihrem Arthur schuldig, daß sie dessen wirkliche Lage verheimlichte, denn sonst hätte vielleicht sein Kredit darunter gelitten, und wenn er fortan im Augenblick vorübergehend über keine großen Mittel verfügte, dann war der Kredit mehr wert als bares Geld. Ach ja, was konnte er ihr alles auf Kredit kaufen und schenken.

Der Gedanke war sehr verlockend und verführerisch, aber schon der nächste Morgen brachte ihr eine bittere Enttäuschung, denn da mußte sie erfahren, daß ihr Arthur, um seinen Mietskontrakt zu lösen, es für seine moralische Pflicht gehalten hatte, seinem Hauswirt von den Veränderungen in seinen äußeren Verhältnissen Mitteilung zu machen, und durch diesen Hauswirt, diesen gemeinen Menschen, der, wenn es nach ihr ginge, dafür in das Zuchthaus gekommen wäre, wurde die Geschichte sehr bald in der ganzen Stadt bekannt. Die Spatzen pfiffen die große Neuigkeit von den Dächern und sie, Brigitte, hatte die Empfindung, als ob sie nicht nur von einer Ohnmacht in die andere fallen müsse, sondern als wenn sie wirklich fiele. Aber sie fiel trotzdem nicht und sie wußte auch, woran das lag: weil sie derartig außer sich war, daß kein Beruhigungsmittel, keine Ohnmacht und kein Morphium imstande war, über ihre erregten Nerven Gewalt zu bekommen. Sie war mehr als außer sich und trotzdem, nein gerade weil sie ihren Arthur so über alles liebte, ließ sie in Gedanken kein gutes Haar an ihm. Wie hatte er ihr, nein selbstverständlich sich selbst, ach, sie war ja so benommen, daß sie „ihr” und „sich” miteinander verwechselte wie ungebildete Leute das „mir” und „mich”, wie hatte er das ihr, nein ihm, nein es sich nur antun können, derartig seinen Kredit und sein gesellschaftliches Ansehen freiwillig zu untergraben. Sollte er mit dem Verlust seines Geldes, wie das leider ja häufig vorkommt, auch seinen Verstand, wenigstens teilweise, verloren haben? Ach, was hatte er nur getan, daß die Götter ihn so schwer heimsuchten? Es war einfach entsetzlich, aber das Entsetzlichste von allem war, daß er, als sie mit ihm darüber sprach, seinen Schritt, den er tat, als etwas ganz Selbstverständliches hinstellte, und das Aller-Allerschrecklichste von allem war, sie mußte sogar so tun, als ob sie ihm beistimme, um nicht in den Verdacht zu kommen, als fände sie nichts dabei, wenn sie den Leuten in Zukunft ein paar Hände oder gar einen Schubkarren voll Sand in die Augen gestreut hätte. Ja, sie mußte ihm sogar beistimmen, als er erwähnte, es entspräche sicher auch ihrem Wunsch, daß die Hochzeit nur im allerkleinsten Kreise stattfinden solle und daß man im höchsten Falle fünfzig Gäste einlüde, während man ursprünglich daran gedacht hatte, ungefähr einhundertundfünfzig Einladungen ergehen zu lassen. Erst einhundertundfünfzig und nun nur noch fünfzig! Das war beinahe ein Sturz von der höchsten Spitze eines amerikanischen Wolkenkratzers in den tiefsten Abgrund einer Gletscherspalte. Nur fünfzig Gäste und für einen Augenblick überlegte sie sich sehr ernsthaft, ob es sich für so wenig Zuschauer überhaupt zu heiraten verlohnte, oder ob es sich da wenigstens lohnte, sich kirchlich trauen zu lassen, damit man sie dort bewundere und bestaune. War eine standesamtliche Trauung nicht auch genug? Was hatte sie von der Auffahrt vor der Kirche, wenn doch kein Volk — aber nein, Volk würde sich schon genug einfinden, und fünfzig Gäste waren doch immerhin einige, das waren sogar sechs mehr, als bei der Hochzeit, die ihre Freundin Lili im vorigen Jahre feierte. So erklärte sie sich denn auch damit einverstanden, das tat sie heute überhaupt mit allem, was er sonst noch auf dem Herzen hatte, schon weil sie sah, daß er heute sogar wirklich etwas für sie auf dem Herzen trug. Was das für ein Geschenk war, konnte sie durch das Tuch seines Rockes hindurch trotz aller Anstrengungen weder erkennen noch erraten, aber tragen tat er da etwas, das sah sie seiner Brusttasche von außen deutlich an, und als ihre Neugierde und ihre Ungeduld den Höhepunkt erreicht hatten, erfuhr sie auch, was es war. Er griff in die Tasche und holte ein in rotes Leder gebundenes Kontobuch mit den Worten hervor: „Etwas Besseres wüßte ich dir als Zeichen meiner Liebe nicht zu schenken, Brigitte, denn dadurch, daß ich dir dieses Buch übergebe, setze ich das Vertrauen in dich, daß du es auch fortan täglich benutzen wirst und dich schon von heute ab daran gewöhnst, alle deine Ausgaben in dieses Buch einzuschreiben. Wer wenig hat, muß genau darüber Buch führen, schon damit er am Monatsschluß feststellen kann, welche Ausgaben er als unnötig hätte ersparen können.”

Wie ein Schullehrer sprach er noch eine ganze Weile auf sie ein, und wenn sie ihn nicht so über alles lieb gehabt hätte, dann würde sie am liebsten laut aufgeschluchzt oder ihn unter dem Tisch mit den Füßen getreten haben, denn wo gab es wohl auf der ganzen Welt einen zweiten Verlobten, der seiner Braut als Zeichen seiner Liebe ein Kontobuch schenkte? Das war in ihren Augen kein Beweis seiner Liebe, sondern das roch verdammt nach Argwohn und Mißtrauen, sowie nach der Kleinleutchen-Angst, sie möchte später von seinem Gelde, jawohl von seinem, sich auch ein paarmal sogenannte unnötige Dinge kaufen, und gerade die machten doch erst den Reiz des Lebens aus, denn wenn eine Frau ihr ganzes Wirtschaftsgeld nur für die Wirtschaft, für Essen und Trinken, für Schrubberbürsten, für Fußmatten und ähnliche Dinge ausgab, wo blieb da der Reiz des Verheiratetseins? Und wofür hatte sie sich denn sonst eine so tüchtige Wirtschafterin genommen? Doch nur, damit sie der von Anfang an einen Teil des Wirtschaftsgeldes gab, das ihr Mann ihr einhändigte, und damit die Wirtschafterin selbst mit diesem Teil so gut auskäme, daß die auch ihrerseits sich davon noch Ersparnisse machen könne, denn das hatte die ihr gleich erklärt, sie lege weniger Wert auf ein hohes Gehalt, als darauf, daß man sie bei den Einkäufen nicht kontrolliere. Und nun sollte sie, Brigitte, von Anfang an ein Ausgabebuch führen! Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte es ihm vor die Füße geworfen, aber das brachte sie denn doch nicht fertig, im Gegenteil, sie bedankte sich sogar mit einem heißen Kuß bei ihm für seine Aufmerksamkeit, aber während sie ihn nicht nur einmal, sondern wiederholt küßte, weil sie während der kurzen Dauer eines Kusses mit ihren Gedanken nicht fertig wurde, sagte sie sich im stillen: na warte, mein Arthur, an der Buchführung sollst du später dein Wunder erleben, und wenn ich es nicht allein fertig bringe, meine Eintragungen so zu machen, daß selbst ein Bücherrevisor die Fälschungen nicht merken würde, dann lasse ich mich in der Hinsicht von unserer Wirtschafterin unterrichten, die wird das, treu, ehrlich und zuverlässig, wie sie das nach ihren Zeugnissen ist, schon sehr genau wissen, wie man so etwas macht. Also, mein Arthur, freue dich schon heute auf das X, das ich dir statt eines schön geschriebenen U's vormachen werde. Im übrigen wünsche ich mir in deinem Interesse, daß unser Hochzeitstag erst da wäre, denn wenn ich dich vorher noch weiter so kennen lerne wie heute und wenn du mir noch lange meine Illusionen raubst, mit denen ich, wie jede Jungfrau, an den Altar zu treten gesonnen bin, dann darfst du dich nicht wundern, wenn ich dich zwar heirate, wenn ich dir aber trotzdem zu verstehen gebe, daß wir nach meiner ehrlichsten Überzeugung doch nicht so gut zu einander passen, wie ich das bisher, nur weil ich dich liebte, glaubte.

Und eines Tages war der Hochzeitstag denn auch da, der war sogar viel schneller gekommen, als sie es dachte. Die letzte Zeit war mit dem Einrichten der neuen kleinen Wohnung, mit tausend Besorgungen und mit anderen Dingen wie im Fluge vergangen. Heute aber war es soweit, heute sollte sie eine junge Frau werden, und zur Feier des Tages hatte der Himmel sein schönstes blaues Kleid angelegt, und die Sonne hatte ihre Strahlen so hell und so schön geputzt wie seit langem nicht, so daß sie, Brigitte, sich gleich, als sie am Morgen in ihrem Zimmer die Gardinen zurückzog, sagte: wieviel Volk und wieviel Neugierige werden sich bei dem schönen Wetter nicht vor der Kirche aufstellen! Das stimmte sie so froh und so glücklich, noch glücklicher, als sie es ohnehin schon war, daß sie sich bei dem Wunsch ertappte, ihr Arthur möchte wenigstens heute äußerlich etwas hübscher aussehen als sonst, oder er möchte wenigstens den Zylinder in der Hand und nicht auf dem Kopfe tragen, damit das rohe Volk nicht etwa einen schlechten Witz über seine Erscheinung mache, noch dazu an ihrer Seite, die, wie sie es sehr genau wußte, in dem schon unzählige Male anprobierten und an gzeogenen Hochzeitskleid wahrhaft berückend schön aussah. Und mit einemmal ertappte sie sich heute auch noch auf etwas anderem. Sie freute sich plötzlich, daß ihr Arthur wenigstens heute nicht mehr der reiche Mann war, als den ihn bisher alle hier kannten, denn sonst würde das Volk, roh wie es war, sicher seine Bemerkungen machen, wenn sie an seiner Seite aus der Glaskutsche stieg, und sicher hätte der eine oder der andere so laut, daß sie beide es hören mußten, seiner Nachbarin oder seinem Nachbar zugerufen: „Na, wenn der Kerl nicht soviel Geld hätte, würde die bildhübsche Person den Grasaffen doch sicher nicht heiraten, die verkauft sich doch ganz einfach an ihn. Für gewöhnlich nennt man so etwas Prostitution, aber wenn der Pastor mit zitternder Stimme seinen Segen dazugibt, nennt man so etwas eine christliche, gottgefällige Ehe.”

So ähnlich würde das Volk sicher geredet und gedacht haben, denn das Volk war so roh und so herzlos, und was wußte das davon, daß die Liebe eines Menschen nicht danach fragt, ob der sich in den oder den verlieben will, sondern daß die Liebe ganz einfach sagt: „Du mußt dich in den verlieben” und daß dann die Liebe im Herzen drinnen saß. Nun aber war dem Volk jede Veranlassung zu solchen oder ähnlichen Bemerkungen genommen, wie auch keine ihrer Freundinnen noch glauben oder sie dahin verdächtigen konnte, daß sie ihren Arthur vielleicht doch ein ganz klein wenig deshalb mit erhört habe, weil der früher so reich war. Allerdings, gesagt hatten die ihr noch nie etwas darüber, ihr auch so etwas noch nicht im leisesten angedeutet und sie mußte den Freundinnen das Zeugnis ausstellen, daß die sich alle tadellos benommen hatten, als sie, wenn auch ganz gegen ihren eigenen Willen, davon erfuhren, wie es jetzt um Herrn Goßlar stand. Keine einzige hatte auch nur die Spur von Schadenfreude gezeigt, ja man war sogar so rücksichtsvoll gewesen, sie nicht einmal zu beklagen, man hatte es ihr sogar geglaubt, als sie davon sprach, daß es sich bei den veränderten Vermögens­verhältnissen ihres Verlobten nur um eine vorübergehende, sehr kurze Spanne Zeit handle und daß der sehr bald noch viel reicher sein würde, als er es früher war. Man hatte tatsächlich so getan, als ob man es glaube, und ihr selbst aus dem Herzen gesprochen, als man ihr zur Antwort gab: „Ob reich oder arm, so etwas ist doch vollständig nebensächlich, wenn zwei Menschen sich nur lieb haben! Und wenn du uns später in deine kleine bescheidene Wohnung zu Kaffee und Kuchen einlädst, werden wir uns dort eben so wohl fühlen, als wenn du uns in deine Villa zu einer großen Abfütterung eingeladen hättest.”

Ja, die Freundinnen hatten sich außerordentlich taktvoll benommen, wie sie das gerade von ihren besten Freundinnen nie und nimmer erwartet hätte. Umso taktloser aber benahm sich am Nachmittag nach ihrer Ansicht der Prediger, als sie vor dem Altar stand, nachdem das Volk sie draußen vor der Kirche mit einem dreifachen „Ah!” begrüßt hatte, das ihrer Jugend, ihrer Schönheit und ihrem herrlichen Brautkleid galt. Das Volk benahm sich, geblendet von ihrer Erscheinung, so korrekt, daß es nicht einmal lachte, als ihr Arthur bei dem Verlassen der Kutsche sich den Zylinder vom Kopf stieß. Wie aber kam der Geistliche dazu, über das Wort zu predigen „Die Liebe höret nimmer auf”? Das wußte sie schon von der Schule her, das stand ja in der Bibel und außerdem wußte sie es nicht nur, daß die Liebe nimmer aufhört, sondern die hatte das ihrem Arthur, der Welt und sich selbst doch schon bewiesen. Wie manche andere würde nicht gerade an ihrer Stelle anders gehandelt haben, aber sie hatte nicht einen Augenblick aufgehört, ihren Arthur zu lieben, und deshalb fand sie es im höchsten Grade unpassend und taktlos, daß der Geistliche ausgerechnet diese Worte seiner Predigt zugrunde legte. In der Bibel standen doch soviele andere Worte, warum nahm er nicht eins von denen, und wenn eins nicht genug war, hätte er ein paar nehmen können, und außerdem wußte sie ganz genau, daß sie und ihr Arthur dem Geistlichen einen anderen Text für seine Predigt vorgeschlagen hatten, wenngleich sie sich im Augenblick nicht auf den besinnen konnte, denn die Worte des Geistlichen rührten ihren Arthur plötzlich so, daß der zu weinen anfing! Wie konnte ein Mann nur weinen, noch dazu in der Kirche, wo es soviele sahen und außerdem standen ihrem Mann, denn das war er nach der standesamtlichen Trauung am Vormittag ja schon, also ihrem Mann standen die Tränen absolut nicht. Geradezu garstig sah er mit den Tränen in den Augen und auf den Wangen aus, und seine Versuche, seine Rührung zu bekämpfen, gaben seinem Gesicht einen fast grotesk lächerlichen Ausdruck. Und das war nun ihr Mann, nein der paßte äußerlich wirklich gar nicht zu ihr. Aber dem Geistlichen wollte sie es bei Gelegenheit schon zu verstehen geben, daß der etwas Besseres hätte tun können, als ihren Arthur, dessen gutes und weiches Herz er doch kennen mußte, zu Tränen zu rühren. Aber viele Geistliche waren ja nun einmal sonderbare Leute, wenn die mit ihren Reden nicht erreichten, daß alles in Tränen schwamm, dann glaubten die, ihre Sache nicht gut gemacht zu haben, dann war denen so zumute wie einer perfekten Köchin, der der Auflauf nicht ordentlich geraten ist, so daß der in sich zusammenfällt, anstatt in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit dazustehen, wenn er auf den Tisch kommt. Na, ihrer Wirtschafterin würde so etwas bei den Aufläufen nicht passieren, das stellte sie in Gedanken voller Genugtuung fest, bis sie nun doch wieder anfing, auf die Predigt hinzuhören, aber das hätte sie lieber nicht tun sollen, denn sie ärgerte sich gleich von neuem. Wie kam der Mann Gottes dazu, jetzt davon zu sprechen, daß gemeinsames Leid und gemeinsam getragenes Unglück die Menschen noch fester aneinanderkitte als gemeinsam verlebte frohe Stunden? Wenn er noch wenigstens „kette” gesagt hätte, aber „kitte”? Auf kitt reimte sich nur igitt igitt. Kitt war ihr immer etwas besonders Gräßliches gewesen, und sie hatte es nie verstanden, wie ein Mensch Glaser werden und sein Leben lang mit seinen Händen in Kitt herumwühlen könne. Und was ging es die neugierigen Affen in der Kirche an, daß über ihren Mann finanzielles Leid hereingebrochen war und daß sie dadurch nur umso fester an ihn gekittet, nein gekettet sei, weil sie doch schon seine Braut war, als das Unglück eintrat. Und was hatte der Geistliche es nötig, nun öffentlich auch ihr gutes Herz zu rühmen, das sich eingedenk der seiner Predigt zugrunde liegenden Worte „Die Liebe höret nimmer auf” doppelt und dreifach bewährt habe, als trübe und schwere Stunden über ihren damaligen Verlobten hereinbrachen. Daß sie ein gutes Herz hatte, wußte sie allein, aber sie hatte von dem nie viel Aufhebens gemacht, und es beschämte sie geradezu, daß das nun hier öffentlich zur Schau gestellt wurde, wie auf den Jahrmärkten eine lebende Riesenschlange, die sich aber meistens, wenn man erst die zehn Pfennige Entree bezahlt hatte, gar nicht als lebend, sondern nur als ausgestopft erwies. Nein, diese Predigt war absolut nicht nach ihrem Sinn, und sie atmete mehr als erleichtert auf, als endlich das „Amen” erklang und als es bald darauf zum Hochzeitsmahl ging. Aber auch dort harrte ihre eine große Enttäuschung. Das Essen war zwar ausgezeichnet, und die Weine waren vortrefflich, auch hatte von den fünfzig geladenen Gästen nicht ein einziger abgesagt, und alles hätte so schön und so herrlich werden können, wenn nur nicht diese entsetzlichen Tischreden gewesen wären, die alle da anfingen, wo der Geistliche aufgehört hatte. Alle redeten davon, daß ihr Mann im Gegensatz zu früher beinahe verarmt sei, und alle priesen sie, die junge Frau, nun doppelt und dreifach glücklich, daß ihr jetzt Gelegenheit gegeben sei, beweisen zu dürfen, wie lieb sie ihren Mann um seiner selbst willen habe. Und jedesmal wenn nach einer solchen dummen albernen Rede mit ihr angestoßen wurde, drängten sich die Freundinnen an sie heran und riefen ihr zu: „Ja, Brigitte, jetzt kannst du es beweisen, ob du wirklich weißt, was Liebe ist!” Und deutlich hörte sie aus diesen Zurufen heraus, wie ihre Freun­dinnen, diese falschen und verlogenen Schlangen, sich ihr gegenüber bisher lediglich verstellten, um zu der Hochzeit eingeladen zu werden und ihr bei dieser Gelegenheit ihre Meinungen sagen zu können.

Hatte ihr Arthur in der Kirche mit seinen Tränen zu kämpfen gehabt, so hätte am liebsten jetzt sie geheult. Die Menschen waren zu schlecht, zu gemein, nicht einer von dieser ganzen Rasselbande war es wert, daß er eine Einladung erhalten hatte und sich hier nun auf Kosten ihres Mannes satt essen und volltrinken konnte. Es war ein Jammer um das schöne Geld, das hier in die fremden Magen und Kehlen hineingeworfen wurde, und so viel wußte sie, wenn der Himmel es fügen sollte, daß sie in ihrem Leben noch einmal wieder heiratete, dann lud sie keinen Menschen ein und kirchlich trauen ließ sie sich da auch nicht wieder. Ja, sie hätte am liebsten laut aufgeschluchzt und sie hätte es auch sicherlich getan, wenn ihr engelsguter Mann ihr nicht leise unter dem Tisch die Hand gedrückt und ihr zugeflüstert hätte: „Du wirst doch nicht so dumm sein, Brigitte, den Leuten zu zeigen, daß du dich über ihre bodenlose Taktlosigkeit ärgerst? Lachen mußt du, Brigitte, lachen, denn wir beide wissen es ja, daß und wie du mich nur um meiner selbst willen liebst.”

Ja Gott sei Dank, das wußten sie beide, aber erregt wie sie war, genügte ihr das nicht, das sollten die anderen auch wissen. Aber ihren Worten hätte man nicht geglaubt, und darum blieb nur eins, sie mußte es dieser Rasselbande beweisen, durch Taten beweisen, wie lieb sie ihren Mann hatte, und so glücklich wollte sie den machen, daß alle seine Bekannten, wenn sie ihn in Zukunft sahen, ihren Augen nicht trauten, weil ihm das Glück aus allen Poren strahlte, und sie selbst wollte noch viel, viel glücklicher werden als ihr Mann. Platzen sollten ihre Freundinnen fortan vor Neid, wenn die ihr begegneten, so strahlend, so hübsch, so jung und wenn möglich auch so gut angezogen wollte sie in Zukunft aussehen und wenn es ja auch fürchterlich Kleinleutschaft war, und wenn sie es auch auf den Tod haßte, sie wollte fortan auf der Straße mit ihrem Mann nie anders als Arm in Arm gehen und so zärtlich wollte sie sich da stets an ihn schmiegen, daß selbst die niederträchtigsten Menschen sich sagen mußten: das Glück, das die beiden da zur Schau tragen, ist keine Verstellung, keine Heuchelei, das ist tatsächlich das Glück als solches.

Mit diesem festen Vorsatz blieb sie ruhig und gelassen an der Hochzeitstafel sitzen, bis es für sie und ihren Mann Zeit wurde, unbemerkt aufzubrechen, wenn sie noch rechtzeitig zur Bahn kommen wollten, um den Zug zu erreichen, der sie auf der Hochzeitsreise nach der Schweiz bringen sollte. Aber im letzten Augenblick, als sie schon im Wagen saßen, änderte sie teilweise ihren Entschluß und bat: „Lasse uns erst morgen die Reise antreten, lass' uns in einem der schönen Hotels am Bahnhof übernachten, ich bin doch etwas müde und abgespannt.”

Aber ihre Müdigkeit war nur ein Vorwand, sie sehnte sich nach dem Alleinsein mit ihm, weil sie ihm gleich heute abend beweisen wollte, wie sie ihn nur um seiner selbst willen über alles liebte und weil sie darauf brannte, zu erfahren, ob ihre Liebe zu ihm so weit ging, daß sie es wie eine Liebkosung empfinden würde, wenn seine häßlichen Hände, die ihr bisher stets beinahe Abscheu einflößten, ihren entblößten oder den wenigstens nur halb bekleideten Körper berührten. Und als ihr Mann ihr nur zu gern den Wunsch erfüllte, die Reise auf morgen zu verschieben, und als er sie, die nur noch kaum bekleidet war, eine Stunde später in seine Arme schloß, als seine Hände sie streichelten und liebkosten, da stieß sie tatsächlich keinen Schrei des Entsetzens aus, wie sie das in Gedanken immer befüchtet hatte; sie schrie nicht, denn es hätte ihr ja doch nichts geholfen, sie war nun seine Frau. Aber ganz so schlimm wie sie es sich vorgestellt hatte, war diese Berührung auch wirklich nicht, wenn sie auch alles andere als schön war. Aber sie hatte ihn doch lieb und sie mußte es ihm beweisen und als sie dann am nächsten Tage ihre Reise antraten, da sah sie es noch deutlicher als sonst ein, ihr Arthur hatte dadurch als Ehrenmann an ihr gehandelt, daß er ihr das Jawort nicht zurückgab, als er den größten Teil seines Vermögens verlor. Dumm und unerfahren wie sie früher war, hätte sie das vielleicht zurückgenommen, weil sie nicht wußte, was es hieß, verheiratet zu sein. Jetzt aber wußte sie, wie schön, wie wundervoll schön das war, und wenn sie das in allen Einzelheiten vorher gewußt hätte, dann hätte sie sich schon längst heiraten lassen und würde es dem Doktor unter gar keinen Umständen erlaubt haben, daß er nach dem Tode ihres Vaters den Rückzug antrat, und anstatt ihm diesen Schritt zu erleichtern, hätte sie ihn am Rockzipfel festgehalten und ihm erklärt: „Unsinn, Doktor, ob Krösus oder Bettler, wir heiraten uns, denn die Freuden der Liebe sind für alle Menschen die gleichen.” Ach, es war wirklich zu schön, verheiratet zu sein, und sie hatte ihren Arthur so lieb, aber er war auch zu nett mit ihr, nur etwas Scheußliches hatte er sich seit der Hochzeitsnacht angewöhnt, er tätschelte den ganzen Tag mit seinen häßlichen Händen an und auf ihr herum, um ihr dadurch zu zeigen, wie lieb er auch sie habe. Aber von dieser Scheußlichkeit abgesehen war er sehr, sehr nett und sie rechnete es ihm immer wieder aufs neue hoch an, daß er nicht so dumm gewesen war, auch das vor einiger Zeit von einer Tante ererbte Geld dem besten Freunde seines verstorbenen Vaters in dessen Fabrik zu geben. Eiegntlich hätte er das tun müssen, und um das Geld nicht anderweitig anzulegen und um dadurch bis zu einem gewissen Grade nicht wortbrüchig zu werden, hatte er es gar nicht angelegt, sondern ruhig in seinem Schreibtisch liegen lassen und war nun in der glücklichen Lage, über eine sehr gefüllte Reisekasse zu verfügen. In Interlaken, in Bern, in St. Moritz, in Zürich und Luzern und überall, wo ihr Weg sie sonst noch in der Schweiz hinführte, wohnten sie in den ersten Hotels und dort in den schönsten in sich abgeschlossenen Appartements. Er kaufte ihr überall die elegantesten Kleider, und wenn sie sich an seiner Seite in den großen Hotelhallen oder in den Speisesälen zeigte, freute es sie als ein Zeichen ihrer Dankbarkeit immer wieder, wenn sie in den Blicken der Herren die stumme Frage las: „Nanu, wie kommt denn dieser Mann, der doch weiß Gott kein Adonis ist, zu dieser mehr als schönen und verführerisch chiken Frau?” Sie hätte, wenn sie wollte, ja auch in den Blicken lesen können: „Nanu, wie konnte die Frau sich an den Mann wegwerfen, die hätte doch weiß Gott auch einen anderen gefunden?” Aber diese Lesart wäre eine Beleidigung für sie und auch für ihren Mann gewesen, während das, was sie las, für ihren Mann das Lob und die Anerkennung enthielt: Donnerwetter, der Mann muß trotz seines unscheinbaren Äußeren ein ganzer Mann sein, daß er es verstanden hat, sich die Frau zu erobern. Der muß es verstehen, sich die Frauen einzufangen und sich die gefügig zu machen. — Ja, sie ließ ihren Mann bewundern und beneiden, weil sie seine Frau war, aber sich ließ sie nur bewundern und wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte diese Hochzeitsreise und das Leben in den vornehmen Luxushotels in Jahr und Tag noch kein Ende genommen. Bis sie eines Tages doch die Rückreise antreten mußten. Der Inhalt seiner Reisekasse ging dem Ende entgegen und es wurde für sie beide, wie er ihr erklärte, die höchste Zeit, daß sie sich zu Hause nun an die neuen, etwas sehr eingeschränkten Verhältnisse gewöhnten und daß er endlich damit anfing, für sie zu arbeiten. Er wollte seine frühere Weltresie literarisch verwerten und hatte sich deswegen bereits mit einer ganzen Anzahl angesehener Zeitschriften in Verbindung gesetzt.

So fuhr man denn der Heimat wieder entgegen, und als sie zu Hause ankamen, wartete dort auf sie beide, namentlich aber auf sie, eine sehr schwere Enttäuschung. Ihre Schwiegermutter hatte sich für verpflichtet gefühlt, die für das junge Paar engagierte, erfahrene Wirtschafterin, noch bevor diese ihre Stellung antrat, wieder an die Frühlingsluft(3) zu befördern, denn sie hatte inzwischen erfahren, daß die Zeugnisse, die sie vorlegte, gefälscht waren, und daß die Person, eine ganz gefährliche Betrügerin, bereits vorbestraft war. Die Wirtschafterin war entlassen, und stattdessen polterte und rumorte in der Wohnung ein Küchendragoner herum, dem man zwar die Ehrlichkeit, aber auch die Dummheit von dem Gesicht ablas, und als sie, Brigitte, das alles hörte und sah, war sie einfach außer sich. Wie sollte die Wirtschaft nun so geführt werden, daß ihr Arthur stets sein gutes Essen und seine Bequemlichkeit hatte, und bei wem sollte sie es selbst nun lernen, ihr Ausgabebuch so zu führen, daß ihr Mann niemals hinter ihre falsche Buchführung kam, denn leicht war er in der Hinsicht nicht zu täuschen. Das hatte sie schon auf der Reise bemerkt, denn da hatte er es ihr überlassen, alle Ausgaben aufzuschreiben und ihr, wenn auch nicht gerade die ganze Reisekasse, so doch von Zeit zu Zeit immer ein paar hundert Mark eingehändigt, damit sie es lerne, mit dem Gelde umzugehen, so daß sie über jeden Heller und Pfennig jederzeit Abrechnung vorlegen könne. Wie schwer, wie unendlich schwer war es ihr nicht unterwegs schon gefallen, eine kleine Summe zu ihren Gunsten zu verrechnen, und wie manche Stunde hatte sie des Nachts nicht wach gelegen und sich gefragt: Was schreibst du heute nur so glaubwürdig auf, daß er es nicht merkt, daß du dir heute schon wieder fünfzig Mark unter die Stiefelleisten deines einen Paar Stiefels gesteckt hast? Bei wem sollte sie nun in der Buchführung Unterricht nehmen, ganz abgesehen davon, daß sie selbstverständlich auch nicht kochen konnte und von der Wirtschaft nicht viel mehr als das Staubwischen und auch das nur ganz oberflächlich verstand? Ach, das war eine traurige Heimkehr. So wie ihr mußte einem Seemann zumute sein, der sich jahrelang, während er auf dem Weltmeer herumfährt, auf das Wiedersehen mit seinen Lieben zu Hause freut und der bei seiner Rückkehr erfährt, daß die inzwischen längst gestorben und begraben sind. Und das Schlimmste von allem, ihr Mann nahm seine Mutter noch in Schutz und dankte ihr dafür, daß die sie beizeiten von dieser unehrlichen Person befreit habe, denn für alles habe er Verständnis und alles könne er verzeihen, nur keine Lügen und keine Unehrlichkeiten. Auch das noch! Wie konnte ein Mann nur so kleinlich denken und wozu gab es denn Lügen und Unehrlichkeiten auf der Welt, wenn man von diesen beiden Eigenschaften gar keinen, nicht einmal einen selbstverständlich nur mäßigen Gebrauch machen sollte? Aber zur Vorsicht nahm sie sich doch vor, sich für das während der Reise beiseite gebrachte Geld gleich morgen lieber einen sicheren Aufbewahrungsort zu suchen, als es der unter den Stiefelleisten ihres einen Paar Stiefels war. Na, soviel wußte sie, die Ehe im eigenen Haushalt fing ja gut an, und wenn das so weitergehen sollte, konnte es erst recht gut werden.

Aber es wurde dann doch nicht ganz so schlimm, wie sie es befürchtete, denn das neue Mädchen sah viel dümmer aus, als sie es in Wirklichkeit war. Die konnte sogar halbwegs eßbar kochen und verstand sich auch leidlich auf Mehlspeisen und Aufläufe. Nur einen großen Fehler hatte sie, sie war von einer erschreckenden Ehrlichkeit und verstand es, so sparsam zu wirtschaften, daß ihr Mann ihr, als er sich nach Ablauf eines Monats die Bücher vorlegen ließ, zu seiner großen Freude das Wirtschaftsgeld kürzen konnte, aber das nicht, um den Überschuß ihr, seiner Frau, als Geschenk einzuhändigen, sondern um das Geld in seine eigene Tasche zu stecken, denn mit dem Verdienen ging es nicht annähernd so schnell, wie er es hoffte. Er hatte sich zwar sofort an seinen Schreibtisch gesetzt und ein paar Artikel für verschiedene Zeitschriften verfaßt, aber die waren als zu wenig originell im Stil und als zu wenig durchgearbeitet in der Ausführung mit dem besten Dank zurückgekommen und man hatte ihn nicht einmal aufgefordert, gelegentlich etwas Neues zur Prüfung einzusenden. Das war für ihn ein harter Schlag und wie jeder Anfänger, der zuerst Mißerfolge hat, glaubte auch er zu wissen, woran das läge. Er redete sich ein, er hätte auf den verschiedenen Redaktionen persönliche Feinde sitzen, wenngleich er nicht wußte, wodurch er sich die Feindschaft dieser ihm persönlich unbekannten Herren zugezogen haben sollte. Sie selbst aber, Brigitte, glaubte den wahren Grund seiner Mißerfolge zu kennen, wenn sie den auch nicht verriet. Der lag einzig und allein an seinen häßlichen Händen. Ob ein Mensch künstlerisch veranlagt ist, prägte sich nach ihrer Überzeugung auch in seinen Händen aus. Nur schöne Hände konnten etwas Kluges, Amüsantes und Geistreiches schaffen, wenn die die Feder über das Papier führten, und weil seine Hände das nicht konnten, fing sie an, die immer mehr zu hassen, so daß sie jetzt zuweilen wirklich aufschrie, wenn seine Hände sie des Abends bei dem Auskleiden liebkosen wollten. Und im Zusammenhang damit schauerte sie auch zusammen, wenn er sie in seine Arme schloß. Es kamen Stunden, in denen sie die Freuden des Verheiratetseins gar nicht mehr als Freuden empfand, und es kamen Augenblicke, in denen sie sich immer wieder fragte: bevor dein Mann dich heiratete, hätte er zum zweitenmal um dich anhalten müssen, nachdem er sein Vermögen verlor, und wäre er tatsächlich ein Ehrenmann, dann hätte er dich darauf aufmerksam gemacht, daß es mit dem guten Willen allein, sich an dem Schreibtisch Geld zu verdienen, nicht getan ist, sondern daß man dazu auch wenigstens etwas Talent besitzen muß und daß sich das selbst mit dem eisernsten Fleiß nicht erzwingen läßt. Aber fleißig war ihr Mann, das mußte sie ihm lassen, er saß den ganzen Tag am Schreibtisch und schrieb sich seine rechte Hand noch häßlicher und noch knöchriger, als die es ohnehin schon war. Ja, fleißig wa er, aber war ein Fleiß, dem doch jeder Erfolg versagt blieb, noch Fleiß? Und war eine Arbeit, die keine praktischen Resultate erzielte, Arbeit? War das nicht Zeitvergeudung und konnte er seine Zeit nicht viel besser anwenden, um für sie und für ihr späteres Kind zu sorgen, denn darüber konnte sie sich nicht mehr täuschen, sie war Mutter, nein, sie war es noch nicht, sie fühlte nur, daß sie es werden würde, und wenn sie es vorausgeahnt hätte, daß man sich in diesem Zusatnd so elend fühlen könne, hätte sie niemals geheiratet, niemals. Und ihr Mann dachte anscheinend gar nicht daran, ernstlich für sie und ihr Kind, das doch auch seins war, zu arbeiten. Warum wurde ihr Mann — ach, wo waren die Tage und wo waren die Nächte, in denen sie ihn „mein einziger Arthur”, oft sogar „mein goldiger Arthur” nannte? — warum nahm ihr Mann nicht eine Stellung bei einer Versicherungsgesellschaft an oder aber warum wurde er nicht Reisender für eine Sektfirma? Es gab doch soviele ehrenvolle Möglichkeiten, für Weib und Kind zu verdienen, wenn man es als Mann nur wollte, aber wenn sie es als seine Frau auch noch so gern gewollt hätte, sie konnte ganz einfach nicht mehr länger mit den Kleidern gehen, die er ihr vor der Hochzeit und noch auf der Hochzeitsreise kaufte. Passen taten die ihr nicht mehr, ändern ließen sie sich auch nicht und außerdem waren die inzwischen vollständig unmodern geworden. Trotzdem, ihretwegen hätte sie die Kleider ruhig noch ein paar Jahre getragen, aber seinetwegen durfte sie sich nicht in einem solchen unmodernen Fummel auf der Straße zeigen. Und auch nicht im Hause, denn die Freundinnen kamen fast täglich zu ihr, um es immer wieder aufs neue von ihr zu hören, wie glücklich sie sei und welch großer Reiz und welche große Freude darin läge, sich einem Mann zuliebe täglich immer mehr einschränken zu müssen. Das wäre die wahre Poesie einer wunschlos glücklichen Ehe! Und immer wieder erzählte sie den Freundinnen, ihr Arthur habe für sie drei neue Kleider bestellt, ganz gegen ihren Willen, obgleich sie ihn so gebeten hätte, es nicht zu tun, aber er war ja so gut, so grenzenlos gut, aber die Kleider wurden nie fertig, weil er es ihr in Wirklichkeit ganz einfach nicht erlaubte, die zu bestellen, und weil er unerbittlich blieb, soviel sie ihm deswegen auch um den Bart ging. Das war nun seine Herzensgüte, um deretwillen sie sich in ihn verliebt hatte. Wenn sie das nur alles im voraus gewußt hätte! Wie schwer wurde es ihr nun manchmal, den Blick ihres alten Verehrers, des Doktors, ruhig und unbefangen auszuhalten, wenn der mit seinen Augen auch jetzt so oft die stumme Frage an sie richtete: „Sind Sie an der Seite Ihres Mannes ganz glücklich geworden?” Aber sie wollte es sein, oder sie mußte es den anderen wenigstens zeigen, daß sie es war, das hatte sie sich und der Rasselbande am Hochzeitstage geschworen und deshalb schmiegte sie sich auf der Straße, wenn sie Arm in Arm mit ihrem Mann spazieren ging, so zärtlich und so dicht an ihn, daß sie das zuweilen selbst beinahe unanständig fand. Aber was tat man nicht alles, um seinem Schwur treu zu bleiben? Zuweilen kosteten ihr diese öffentlichen Beweise ihres Glückes direkte körperliche Überwindung, aber daran war ihr Mann mit Schuld, warum trug der auf der Straße auch nur stets gelbe Glacéhandschuhe, noch dazu solche mit dicken schwarzen Raupen? Erstens trug heutzutage doch kein Herr, der ein wirklicher Herr sein wollte, noch Handschuhe und am allerwenigsten hellgelbe, das tat im schlimmsten Falle ein Friseurlehrling in Treuenbrietzen oder in einer ähnlichen Großstadt, der seinen freien Nachmittag hat und bei der Gelegenheit seiner Liebsten beweisen will, daß sie es bei ihm mit einem Kavalier zu tun habe. Was nützte es, daß sie es versuchte, ihrem Mann diese gelben Glacéhandschuhe abzugewöhnen? Gar nichts nutzte es, denn wenn sie etwas dagegen sagte, mußte sie sich sagen lassen, daß sie keinen Geschmack und keine Ahnung davon hätte, wie ein Herr, der nicht nur etwas, sondern viel auf sein Äußeres hielte, sich anzöge. Und doch hätten diese ewigen hellgelben Glacéhandschuhe sie vielleicht nicht so gereizt und nicht so nervös gemacht, wenn sie nicht immer, wenn er die trug, daran hätte denken müssen, daß er zu diesen hellgelben Glacéhandschuhen gestopfte Unterhosen trug und noch dazu Unterhosen, die sie selbst hatte stopfen müssen, denn ihre Schwiegermutter hatte die Erwartungen, die sie in dieser Beziehung an sie knüpfte, in keiner Weise erfüllt. Einmal hatte sie die Mutter ihres Mannes gebeten, ihr bei dem Ausbessern der Wäsche behilflich zu sein, aber anstatt ihr diesen Wunsch zu erfüllen, hatte die sie nur ausgescholten und nun mußte sie, Brigitte, das immer allein besorgen, denn das dumme Mädchen hatte von dem Stopfen noch weniger Ahnung als sie selbst, und daß sie sich ein- oder zweimal im Monat eine Flickfrau in das Haus, ach nein, in die kleine Mietswohnung genommen hätte, das erlaubten die Mittel nicht. So stopfte sie denn mit dem Heldenmut der Verzweiflung darauf los, aber die Götter allein mochten wissen, wie ihr Mann es fertig brachte, gerade in seine Unterhosen immer wieder soviel Löcher zu bekommen. Seine Strümpfe waren merkwürdigerweise immer heil, durch irgend ein Wunder hielten auch die Knöpfe an seinen Hemden, als wären die mit Draht angenäht, aber selbst wenn er sich ein ganz neues Unterbeinkleid anzog, wies das schon am Abend desselben Tages wenigstens zwei große Löcher auf und immer waren die in dem Hosenboden. Gewiß, sie war keine ästhetische Jungfrau, war niemals eine solche gewesen, aber trotzdem, das fand sie einfach ekelhaft, das verursachte ihr zuweilen ein körperliches Unbehagen und oft mußte sie ihren Magen mit aller Gewalt zur Ruhe ermahnen, damit der sich nicht umdrehte.

Und zu diesen gestopften Unterhosen trug ihr Mann hellgelbe Glacéhandschuhe und umgekehrt. Ach wie traurig und erbarmungswürdig endete doch leider durch die Schuld der Männer so oft die schöne, reine, keusche Liebe, mit der ein unerfahrenes junges Mädchen in die Ehe tritt. Aber soviel wußte sie, sie selbst traf auch nicht der leiseste Schatten eines Vorwurfes, wenn es eines Tages mit ihrer Liebe ganz aus sein sollte. Und eies Tages war es aus. Ein Unglück jagte an dem Tage das andere. Ihr Mann hatte am Vormittag wieder ein paar seiner Artikel, deren Honorar er für den Fall, daß die diesesmal angenommen würden, ihr fest versprochen hatte, von den Redaktionen zurück erhalten, noch dazu mit einem Begleitschreiben, in dem er gebeten wurde, weitere zwecklose Einsendungen zu unterlassen; das Mädchen hatte das Essen mehr als versalzen auf den Tisch gebracht, und als das Mädchen am Nachmittag das Abrechnungsbuch vorlegen mußte, hatte er wie ein Berserker getobt, weil ihm eine Eintragung von siebenundsechzig Pfennigen nicht zu stimmen schien. Wie es so geht, hatte sich ein kleiner und ein großer Ärger zu dem anderen gesellt, für jeden Ärger aber machte er nur sie verantwortlich, auch dafür, daß er mit seinen Arbeiten nichts verdiene, weil sie ihm zu denen nicht die nötige Zeit und Ruhe ließe, weil er das Gefühl habe, ihretwegen arbeiten zu müssen, und weil sie zu dumm und zu töricht wäre, um sich selbst zu sagen, daß ein geistig Schaffender nicht stumpfsinig darauflos arbeiten könne wie ein Mädchen in der Küche, das die Kartoffeln schält oder wie eine Ehefrau, die Unterhosen stopft und die das dazu noch so miserabel macht, daß die Löcher schon wieder reißen, bevor sie noch zugestopft sind.

Alles, alles hätte sie schließlich ruhig hingenommen, denn sie hatte ihn doch lieb und sie hatte ihn lediglich um seiner selbst und um seines guten Herzens willen geheiratet, aber daß er ihr nun den Vorwurf machte, sie stopfe seine Unterbeinkleider nicht mit der nötigen Sorgfalt, das stieß dem Faß den Boden aus, der ohnehin schon längst verdammt wacklig und lose saß. Den letzten und schärften Vorwurf, den er gegen sie erhob, konnte sie unmöglich auf sich sitzen lassen, das war sie sich und ihrem Kinde, das sie unter dem Herzen trug, schuldig und so hielt sie denn mit der Antwort nicht zurück. Ein Wort gab das andere, bis sie ihm schließlich zurief: „Wenn du glaubst, daß ich deinem Glück, deinen Arbeiten und deinem Verdienst im Wege stehe, gut, dann gehe ich. Daß es jemals dahin kommen könnte, hätte ich niemals für möglich gehalten, aber ich merke es dir schon lange an, du liebst mich nicht mehr, du kommst nicht darüber hinweg, daß ich arm bin, daß ich weiter nichts mit in die Ehe gebracht habe, als nur meine Schönheit, obgleich dich um die schon soviele, soviele beneidet haben. Aber Ihr Männer seid und bleibt nun einmal große Materialisten. Deshalb mache ich dir aus deiner elenden Gesinnung auch keinen Vorwurf, sondern ich sage dir nur: „Schäme dich, wenn du dich überhaupt noch schämen kannst.” Und als sie es mit ansehen mußte, daß er trotz dieser Auffassung nicht daran dachte, sich zu schämen, da riß der letzte und dünnste Rest ihres Geduldfadens. Mit hoheitsvoller Würde wndte sie sich von ihm ab, verließ das Zimmer und warf, als sie draußen war, zum Zeichen dessen, daß sie nun auch für immer draußen bleiben würde, und weil sie ihm auch damit beweisen wollte, daß sie die Ehe mit ihm mehr als satt habe und daß sie mehr als froh sei, nun endlich wieder frei zu sein, da warf sie, draußen auf dem kleinen Korridor angekommen, die Stubentür so laut hinter sich zu, daß es krachte und knallte und daß sie von diesem Knall — erwachte.

Ja, wach war sie nun, aber war sie wirklich wach oder was war sonst mit ihr? Mit großen, zuerst ganz starren, regungslosen Augen lag sie da, bis sie endlich anfing, mit ihren Blicken in dem Zimmer, in das die helle Sonne herein schien, herum zu tasten. War das nicht ihr eigenes Bett, in dem sie lag, waren das nicht ihre eigenen Möbel, die sie als junges Mädchen in ihrer Stube um sich gehabt hatte, lag dort über der Stuhllehne nicht das Kleid, das sie gestern abend auf der Gesellschaft trug? Nein, gestern abend natürlich nicht, denn seitdem sie das Kleid trug, waren inzwischen Monate, wenn nicht sogar Jahre verstrichen und was hatte sie seitdem nicht alles erlebt. Sie war verheiratet gewesen und stand nun im Begriff, sich scheiden zu lassen.

Bis ihr mit einemmal klar wurde, das alles, was sie erlebt hatte, seitdem sie das Kleid, das dort über der Stuhllehne lag, auszog, nur ein Traum gewesen sein müsse und nur ein solcher gewesen war. Gott sei Dank, nur ein Traum, ein furchtbarer und häßlicher Traum und um sich selbst den letzten Zweifel daran zu nehmen, daß sie wirklich nur geträumt habe, suchte sie nun ängstlich nach dem Brief, den ihr das Mädchen am frühen Morgen an das Bett brachte und in dem ihr Arthur ihr schrieb, er müsse verreisen, da er den größten Teil seines Vermögens verloren habe. Aber der Brief war nicht da, sie fand ihn trotz allen Suchens nicht und da wußte sie endlich, daß alles tatsächlich nur ein Traum war. Aber daß solche Gedanken sie in der Nacht beschäftigt hatten, daß so furchtbare Dinge ihre Phantasie quälten, das war nicht ihre Schuld, sondern das kam einzig und allein von dem starken Kaffee und von den durch die Lungen gerauchten Zigaretten.

Ach, sie hatte alles nur geträumt, ihr Arthur hatte sein Vermögen gar nicht verloreen, und unwillkürlich faltete sie die Hände und sandte ein Dankgebet zum Himmel. Was hätte auch wohl aus ihrem Arthur, den sie über alles liebte, werden sollen, wenn er sein Vermögen verloren hätte, gerade aus ihm, der in mancher Hinsicht doch sehr verwöhnt war? Nein, das Furchtbare war nicht eingetreten, alles war nur ein Traum, aber wenn sie es sich richtig überlegte, war die Art, in der er sein Geld angelegt hatte, doch mehr als leichtsinnig und sobald sich ihr Gelegenheit dazu bot, vielleicht schon heute, wollte sie mit ihm darüber sprechen, ob er sein Geld nicht unter irgend einem Vorwand dem Freunde seines verstorbenen Vaters kündigen könne. Auf jeden Fall nahm sie sich vor, heute so nett wie nur irgend möglich zu ihm zu sein, das hatte er um sie verdient und das war sie ihm dafür schuldig, daß sie sich im Traum so wenig nett gegen ihn benahm, denn daß sie das tat, mußte sie sich, wenn sie offen und ehrlich sein wollte, eingestehen, obgleich es selbstverständlich nicht an ihr lag, daß sie nicht besonders nett, oder richtiger gesagt, ein ganz klein wenig unfreundlich gegen ihn gewesen war. Aber nicht einmal das hatte er um sie verdient. Ja, sie wollte heute doppelt und dreifach nett gegen ihn sein, so nett, daß er daraus noch mehr als sonst ersehen sollte, wie grenzenlos lieb sie ihn hatte, aber als er dann am Nachmittag zu ihrer Mutter und zu ihr kam, da hatten ganz gegen ihren Willen ihre Küsse und ihre Zärtlichkeiten etwas Unnatürliches, etwas Übertriebenes und auch etwas Gemachtes, so daß ihr Arthur sie ein paarmal ganz verwundert ansah, um sie endlich zu fragen: „Brigitte, ich kenne dich besser als mich, du bist die Wahrheit selbst, du kannst dich nicht verstellen und deshalb merke ich es dir an, irgend etwas bedrückt dich. Kannst du mir nicht sagen, was es ist?”

„Was sollte ich wohl haben, mein Arthur? Ich habe nichts,” hätte sie nach Art der jungen Mädchen und der jungen Frauen am liebsten zur Antwort gegeben, aber diese Ausrede war zu gewöhnlich und außerdem hätte er doch keine Ruhe gegeben, bis er alles wußte, und schließlich, mußte sie ihm nicht die Wahrheit gestehen, da er ihr eben erklärt hatte, sie sei die Wahrheit selbst? Durfte sie ihn da belügen, oder ihn auch nur zu belügen versuchen? Nein, das durfte sie nicht und deshalb meinte sie nun, nachdem sie eine ganze Weile in schwerem innerem Kampfe dagesessen hatte: „Also schön, mein Arthur, wenn du es mir denn doch anmerkst, daß ich heute vielleicht nicht ganz so bin wie sonst, ein klein wenig nervös und erregt, da will ich es dir gestehen, was ich habe. Ich hatte heute Nacht einen Traum, einen furchtbar häßlichen Traum, dessen ich mich auch jetzt noch so vor dir schäme, daß ich es kaum wage, dir offen und frei in deine gütigen Augen zu sehen.”

Ihr Arthur lachte fröhlich auf: „Nur ein Traum, Brigitte? Wenn es weiter nichts ist, durch den läßt du dir auch nur eine Minute deine Stimmung verderben, was hast du den nur geträumt?”

Wieder saß sie eine ganze Weile in schwerem innerem Kampfe da, dann sagte sie: „Schön, Arthur, auch das will ich dir gestehen, selbst auf die Gefahr hin, daß du mir deswegen vorübergehend zürnen solltest.”

Völlig verständnislos sah er sie an: „Ich sollte dir wegen eines Traumes zürnen können? Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Also habe schon Vertrauen zu mir, was ist es denn?”

Und zum drittenmal saß sie eine ganze Weile in schwerem innerem Kampfe da, dann aber erhob sie sich von ihrem Platz, schmiegte sich zärtlich an ihn, ergriff seine Hände, und während sie ihn mit einer Welt voller Liebe ansah, sagte sie mit einer so zitternden, bebenden und angsterfüllten Stimme, daß es ihm in das Herz schnitt: „Arthur, mein über alles geliebter Arthur, mir hat heute nacht geträumt, du hättest mich nicht mehr lieb.”


Fußnoten:

(1) Hier heißt es wohl richtiger: „an sie richtete”. (Zurück)

(2) Die Bezeichnung „Märzwetter” stimmt gut überein mit dem Erscheinungsdatum im „Börsenblatt” (31.3.1920). (Zurück)

(3) Auch der Begriff „Frühlingsluft” passt zu dem Erscheinungsdatum (s.a. Fußnote 2). (Zurück)


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© Karlheinz Everts