Der Brigade-Gruß.

Humoreske von Frhr. v. Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 5.Aug. 1900 und
in: „Der grobe Untergebene”.


Die beiden Infanterie–Regimenter, die zu derselben Brigade gehörten, das Füsilier–Regiment Nr. X und das Infanterie–Regiment „Herzogin” liebten sich nicht, im Gegentheil, sie haßten sich wie die Sünde und es war ein wahres Glück, daß die beiden Regimenter nicht in derselben Garnison lagen. Schon so kamen genug Streitigkeiten und Schlägereien zwischen den Mannschaften vor — wo immer sie am dritten Ort zusammentrafen, gingen sie mit geballten Fäusten und meistens auch mit gezogenem Seitengewehr auf einander los und hinterher wollte natürlich Niemand das Karnickel sein, das angefangen hatte.

Es regnete Arrest- und andere Strafen, aber das nützte garnichts und auch die Ermahnungen der Officiere blieben fruchtlos, zum größten Theil wohl deshalb, weil die guten Lehren nicht von Herzen kamen. Die Mannschaften vertrugen sich nicht, die Officiere standen sich nicht — nach der Ansicht der Officiere des Regiments „Herzogin” waren die Kameraden vom Füsilier–Regiment „unglaubliche Knoten, mit denen man nicht verkehren könne” und die Füsiliere betitelten die Leutnants vom Regiment Herzogin als „Patentfatzken, eingebildete, hochnäsige dumme Jungen” und dergleichen, und es ist klar, daß bei dieser gegenseitigen Gesinnung keine Freundschaft aufkommen konnte.

Aber die Freundschaft und die Kameradschaft sollte blühen und zwar unter allen Umständen, es wurde höheren Ortes verlangt. Excellenz, der commandirende Herr General wünschte es dringend, daß zwischen den beiden Regimentern Friede und Eintracht herrschte — und der Wunsch der Höheren ist bekanntlich für die Untergebenen Befehl und so konnte man sich denn auch nicht darüber wundern, daß eines Mittags bei der Parole ein Feldwebel seinen Mannschaften folgenden Befehl vorlas: „Compagnie–Befehl! Von heute Mittag 12 Uhr ab herrscht zwischen den beiden Regimentern der Brigade nicht nur ein gutes Einvernehmen, sondern auch eine freundschaftliche Gesinnung.”

Rechts und Links um, Front und Kehrt läßt sich commandiren, aber das Wort: „Kinder, liebet Euch untereinander” ist in den drei heiligen Büchern des Soldaten, dem Exercir–Reglement, der Felddienst–Ordnung und der Schießvorschrift, nicht vorgesehen. Was mit dem Inhalt dieser Schriften nicht wenigstens einigermaßen verwandt oder verschwägert ist, ist nach Ansicht des rauhen Kriegers mehr oder weniger Unfug.

Um den „a. B.”, auf Befehl, geschlossenen Frieden zu besiegeln, oder richtiger gesagt zu begießen, wurde, wieder „a. B.”, von dem Regiment „Herzogin” ein großes Verbrüderungsfest gegeben. Mit Genehmigung des Commandirenden brachte ein Extrazug nicht nur das ganze Officiercorps, sondern auch zahlreiche Unterofficiere und Mannschaften des Füsilir–Regiments nach der benachbarten Garnison, wo die Leute sich in Bier, die Unterofficiere in Bier und saurem Rothwein, die Herren Officiere aber sich in einem elenden Schampus, der nach genauester Analyse 99 Procent Gerbstoff enthielt, nicht nur bis zur Grenze des Unbewußten, sondern noch weit über dieselbe hinaus betranken.

Das Ende des Verbrüderungsfestes war eine wahrhaft großartige Keilerei zwischen den Mannschaften, bei der das Blut nicht gespart und nicht geschont wurde. Da die höchste Excellenz aber die feste Erwartung ausgesprochen hatte, einen in jeder Weise günstigen Bericht über den Verlauf des Festes zu erhalten, so wurde der Bericht in dem gewünschten Sinne abgefaßt und die zerbrochenen Nasenbeine und gewaltsam entfernten Backenzähne wurden nicht weiter erwähnt. Warum auch? Geheilt wurden die Schäden dadurch ja doch nicht.

Der Friede hatte gestiftet werden sollen und eine neue Fehde war entbrannt schlimmer als je, denn da es bei der Schlägerei auf beiden Seiten zahlreiche Verwundete gegeben hatte, schwuren beide Parteien einander Rache — man wartete nur auf das Manöver, wo sich in einem gemeinsamen Quartier oder im Bivouac schon Gelegenheit finden würde, den Streit bis zum nächsten Mal endgültig und definitiv auszufechten.

Und das Manöver kam heran, aber nicht, ohne der Brigade nicht vorher einen neuen General gebracht zu haben: der Alte war trotz seiner jungen Jahre nach Ansicht Derjenigen, die es wissen müssen, auf einmal zu alt gewesen, man hatte ihn in die Wurst gepackt, ihm seine gesetzliche Pension und die Erlaubniß zum Tragen der Uniform bewilligt und ihm bei dem Scheiden nachgerufen: „Werde glücklich, beschäftige Dich bis an Dein Lebensende so gut Du kannst, und wenn Du garnicht weißt, was Du machen sollst, so schimpfe über die Verabschiedungen im Allgemeinen und über die Deinige im Besonderen — damit hat sich gar schon Mancher bis zu seinem Tode die Zeit vertreiben müssen.”

Der alte General ging, um selbst als „a. D.” noch nach den „wohlwollenden” Rathschlägen seiner Vorgesetzten zu leben, der alte ging und ein neuer General trat an seine Stelle. Er kam aus der Garde, er war geschniegelt und gebügelt, er zog sich tadellos an, sein Schnurrbart war in bisher unerreichter Weise nach den Augen hinauf gebürstet, er war, dem Aeußeren nach, mehr Hofmann und mehr Salon- als Feldsoldat.

Nicht nur die Ansichten der Vorgesetzten über ihren Untergebenen, sondern auch die Meinungen der Unterthanen über ihren Herrscher sind verschieden. Die Officiere des Regiments Herzogin beurtheilten den General nach seinem Aeußern und hielten ihn für einen hervorragend befähigten Herrn, dem auf Grund seines tadellosen Schnurrbarts der Weg zu den höchsten Stellen in der Armee offen stand: Ein Mann, der sich selbst als Soldat so gut anzuziehen verstand, müsse ja auch noch weiterhin eine glänzende Carrière machen.

Die Füsiliere urtheilten über ihren neuen Herrn ganz anders, die wollten von ihm nichts wissen; nur ein Einziger machte hier eine Ausnahme, der wollte von dem General doch etwas wissen — aber auch nur, daß er nicht lange in Amt und Würde bliebe und daß sein Nachfolger bereits allerhöchsten Ortes vorgeschlagen sei.

Wie so oft, war auch hier der Wunsch des Gedankens Vater — nein, so weit war der General noch nicht, vorläufig war seine Generals–Equipirung noch nicht einmal fertig, und nun sollte er sich schon wieder in neue Unkosten stürzen und sich einen Strohhut und einen Regenschirm, ein Paar Gummischuhe und ein Dutzend Papierkragen kaufen? Das gab es nicht — noch immer General im Dienst und an der Spitze seiner Brigade rückte er eines Tages in das Manöver.

Richtiger wäre gewesen, wenn ich gesagt hätte: er wurde gerückt, denn er saß mit sammt seinen Unterthanen in einem endlos langen Eisenbahnzuge. Zum Zeichen aber, daß er der Höchstcommandirende in dem Marken, ich meine in den Wagen sei, saß er in dem ersten Waggon, denn ein General gehört an die Spitze seiner Truppen.

Daß die Mannschaften ihre Rachegedanken nicht aufgegeben hatten, bewies schon der erste Tag des Manövers, indem ein Füsilier einem Kameraden vom Regiment Herzogin mit seinem Kochgeschirr derartig auf den Kopf schlug, daß nicht nur der Schädel, sondern auch das Kochgeschirr eine große Beule bekam.

Der Herr General erfuhr davon und war außer sich, er stand als alter Gardiste mit seinen Sympathien auf Seiten des Regiments „Herzogin”, das den Namenszug seines hohen weiblichen Chefs auf den Achselstücken und Achselklappen trug, das bei feierlichen Gelegenheiten auf dem Helm einen wehenden Haarbusch trug, und somit, wenn auch nicht ganz, so doch wenigstens „halb Garde” war.

Der Herr General war über das Benehmen des Füsiliers außer sich; er fand, ohne auch nur zu untersuchen, wer die Schuld habe, das Betragen des Mannes rüde und roh und verlangte seine Bestrafung schon deshalb, weil der Sünder sich nicht gescheut hatte, das Kochgeschirr, eine königliche Utensilie (alle Ausrüstungs­gegenstände tragen den Stempel K. U.), zu beschädigen. Wenn die Leute sich prügelten, sollte der König wenigstens dadurch keinen Schaden erleiden.

Der Mann wurde bestraft und der Herr General beruhigte sich, bis er eines Tages außer sich gerieth: als die Truppen eines Morgens zu dem Rendezvous–Platz rückten, beobachtete er, daß seine beiden Regimenter stumm und wortlos an einander vorüber marschirten.

Das konnte, das durfte nicht sein und so versammelte er denn seine beiden Officiercorps um sich.

„Meine Herren,” sprach er, „ich habe Sie zu mir gebeten, um eine Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen, die im höchsten Grade nicht meinen Beifall, sondern meine Unzufriedenheit und meine Mißbilligung erregt hat. Meine Herren, mit meinen eigenen Augen habe ich gesehen und mit meinen Ohren habe ich mich davon überzeugt, daß die beiden zu meiner Brigade gehörenden Regimenter aneinander vorübermarschiren, ohne sich durch ein Wort oder einen Zuruf zu begrüßen — meine Herren, Das gibt es nicht. Das hat es früher unter meinem Herrn Vorgänger gegeben, aber von heute an gibt es Das nicht mehr. Die beiden Regimenter der Brigade sind ein zusammen gehörendes Ganzes und diese Zusammen­gehörigkeit muß sich auch im Verkehr der Truppen miteinander ausdrücken. Leute, die sich fremd sind, Feinde gehen aneinander vorbei, ohne sich zu begrüßen, sonst aber Niemand. Begrüßen sich die Truppen durch einen Zuruf, so kommen sie einander näher, sie werden bekannter, vertrauter mit einander und mit der Zeit werden dann diese höchst unerfreulichen und mir persönlich höchst widerwärtigen Reibereien aufhören. Bitte, machen Sie den Leuten meinen Wunsch und meinen Willen bekannt, einen bestimmten Gruß, einen bestimmten Zuruf will ich nicht vorschreiben, der wird sich von selbst am besten ergeben, mir fällt im Augenblick nichts Passendes ein, weiß einer von den Herren vielleicht mit in dieser Hinsicht einen Vorschlag zu machen?”

Die Herren sahen sich gegenseitig an, aber sie bedauerten Alle unendlich.

Der Herr General nahm das garnicht übel, im Gegentheil, er freute sich, daß seine Untergebenen nicht klüger waren, als er selbst.

„Das schadet nichts, meine Herren, das schadet nichts. Die Gelegenheit, irgend eine Situation, ein Zufall wird uns einen Gruß, einen Zuruf hinterlassen, glauben Sie mir, der ich die Ehre habe, Ihr Vorgesetzter zu sein, so Etwas findet sich ganz von selbst.”

Und der Herr General behielt Recht, wie sich das bei einem General seinen Untergebenen gegenüber ganz von selbst versteht.

Kaum hatte der General seine Rede beendet und kaum hatten die Hauptleute ihren Compagnien den Befehl übermittelt, einen Brigadegruß zu finden, als die Adjutanten die Herren Officiere zu Sr. Excellenz dem Herrn Divisions–Commandeur riefen: Excellenz wollte seine Befehle ausgeben, damit die Uebung des heutigen Tages seinen(1) Anfang nehmen könnte(2).

Den Meisten wäre es das Liebste gewesen, wenn der Anfang zugleich auch das Ende bedeutet hätte, denn trotz der frühen Morgenstunde machte die Sonne ein gar freundliches Gesicht und für Den, der sich auf so Etwas verstand, war in ihren Zügen zu lesen: „Kinder, Dies ist nur der Anfang, es kommt noch ganz anders, paßt nur auf, heute könnt Ihr noch Allerlei erleben.”

Das Manöver begann, die Cavallerie trabte an, um die Aufklärung zu übernehmen, und schon nach verhältnißmäßig kurzer Zeit kamen einige Reiter mit der Meldung zurück, der Feind sei damit beschäftigt, eine Brücke über einen ziemlich breiten Graben zu zerstören. Das paßte Excellenz absolut nicht für seine Dispositionen, die er getroffen hatte — über die Brücke wollte er mit seinem Detachement marschiren und wenn die Leute schließlich auch nicht davon sterben werden(3), wenn sie durch das Wasser wateten und wenn die Herren Hauptleute und Stabsofficiere ja auch dem Beispiel der Mannschaften folgen konnten, so lag doch für ihn persönlich die Sache anders, er holte sich nicht gerne nasse Füße und noch weniger einen Schnupfen, schon deshalb nicht, weil es genug ist, verschnupft von der Schlußkritik fortzugehen, da braucht man nicht schon verschnupft anzukommen. Excellenz fühlte sich absolut nicht veranlaßt, das Wasser in seinenn Stiefeln Fandango tanzen zu lassen, durch das Wasser hindurchreiten wollte er auch nicht, das war ihm zu gefährlich, es gab nur Eins, die Brücke mußte dem Staate und ihm selbst erhalten bleiben.

Die Cavallerie erhielt den Auftrag, durch ein Gefecht zu Fuß den Gegner in der Zerstörung des Ueberganges zu verhindern, da Excellenz aber wußte, daß das Feuer der Cavallerie noch weniger als garnicht respectirt wird, weil die Leute nach Ansicht der Sachverständigen zwar schießen, aber doch Nichts treffen, so gab der hohe Herr dem neuernannten General den Befehl, mit seiner Brigade der Cavallerie in Eilmarsch zu folgen.

Die Brigade trat an — das Regiment Herzogin an der Spitze, die Füsiliere hinterher. Zwölf Minuten braucht der Soldat im Allgemeinen, um einen Kilometer zurückzulegen, heute — wurden nur sieben bewilligt und im Geschwindschritt ging es dahin.

Die Sonne brannte von Secunde zu Secunde mehr, kein Luftzug rührte sich, und die Mannschaften stöhnten unter dem schweren Helm und dem noch schwereren Tornister; es mußte ihnen eine Erleichterung verschafft werden. „Kragen auf, Halsbinden ab, die obersten drei Rockknöpfe offen” hieß es — für den Augenblick nützte es, aber die Erfrischung hielt nicht lange vor.

Immer weiter ging der Marsch, immer schneller wurde das Tempo, immer größer die Hitze.

Da bot sich den Füsilieren ein Anblick, der ihr Herz mit Schadenfreude erfüllte: an dem Grabenrand zur rechten Seite der Straße lagen fünf Leute vom Regiment Herzogin, die schlapp geworden waren, deren körperliche Kräfte nicht mehr ausreichten, die Strapazen des Marsches auszuhalten. Lazaretgehülfen waren um die Kranken beschäftigt und stärkten sie mit Wasser und Cognac, — man sah es den Leuten an, daß mehr der Mangel an Energie, als wirkliche Ueberanstrengung sie krank gemacht hatte.

Ein Hohn- und Spottgelächter ging durch die Reihen des Füsilier–Regiments, als es an den „Schlappen”, wie der terminus technicus lautet, vorbeimarschirte, es wurde gelacht, gepfiffen und gezischt. Mit einem Mal aber rief eine helle, lustige Stimme aus den Reihen der Füsiliere den schlappen Leuten des anderen Regiments zu: „Herzogin, bist Du schlapp?

Donnernder Beifall folgte diesen Worten, mit einem Male war der Brigadegruß gefunden, denn wo sich die Füsiliere im Laufe des Tages Kameraden vom Herzogin–Regiment zeigten, hieß es beständig: „Herzogin, bist Du schlapp!”

Als der General den Wortlaut des Brigade­grußes erfuhr, war er außer sich und verbot den Zuruf Kraft seines Amtes auf das Energischste.

Der Brigadegruß verschwand so schnell wie er entstanden war, aber das Regiment Herzogin wurde fortan nie anders genannt als „die schlappe Herzogin”.


Fußnote:

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „ihren”. (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt es hier: „könne”. (zurück)

(3) In der Buchfassung heißt es hier: „würden”. (zurück)


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