Bis dat, qui cito dat.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Indiana Tribüne” vom 3.2.1901,
in: „Detroiter Abendpost”vom 23.4.1918 und
in: „Zurück — marsch, marsch!”


Die oberstlose, die schreckliche Zeit war vorüber. In dem letzten Manöver hatte der Regiments-Kommandeur es bei einem Angriff gegen eine vom Feinde besetzte Stellung nicht vermocht, die Zufriedenheit der Vorgesetzten zu erlangen und daher seinen Abschied eingereicht. Bevor aber ein Vorgesetzter für immer geht, geht er erst noch einige Wochen auf Urlaub, und während dieser Zeit hatte der Herr Oberstleutnant das Regiment geführt und sich gewaltig als „Regiments­verführer” aufgespielt: er hatte einen Befehl nach dem andern erlassen, aber diese vielen Anordnungen waren nicht imstande gewesen, ihm das Vertrauen und die Liebe seiner Untergebenen zu erwerben. Im Gegenteil, es ist eine alte Geschichte, daß die Vorgesetzten die beliebtesten sind, die gar nichts befehlen — leider gibt es diese Vorgesetzten nur gar nicht.

Nun war der neue Oberst da, man freute sich, daß das Interregnum vorüber war und nahm ihn, natürlich nur bildlich gesprochen, mit offenen Armen auf. Und doch hatte man keine Ahnung, wes Geistes Kind der neue Kommandeur war und welche Geschäfte man unter ihm machen würde, man wußte nur, daß er verheiratet war, eine sehr hübsche zwanzigjährige Tochter besaß und als stehende Redensart „bis da, qui cito dat” (doppelt gibt, wer schnell gibt) im Munde führte.

Der neue Oberst erfreute sich bald, ebenso wie seine Familie, in gesellschaftlicher Hinsicht großer Beliebtheit, aber dienstlich war nicht viel mit ihm los; er hatte etwas nervös unruhiges, etwas fahriges in seinem Wesen, ihm fehlte die knappe, militärische Bestimmtheit in seinem Auftreten und in seinen Reden, er schien selbst nicht ganz genau zu wissen, was er manchmal wollte, und wenn er wie immer seine Ansprache an seine Offiziere mit den Worten schloß: „Nicht wahr, meine Herren, wir haben uns verstanden — bis dat, qui cito dat,” dann waren diese genau so klug wie zuvor. Und sie sollten doch klüger werden, nicht nur etwas, sondern sogar viel lernen. Das war auch die Ansicht Sr. Exzellenz, des Herrn Divisions­kommandeurs, und so meldete der hohe Herr denn eines schönen Tages sein Kommen für den ersten des nächsten Monats an, er wollte sich durch eigenen Augenschein davon überzeugen, in welcher Verfassung sich das Regiment unter seinem neuen Oberst befände.

Als Herr von Herrenberg auf seinem Bureau das dienstliche Schreiben Sr. Exzellenz, das dessen bevorstehende Ankunft anzeigte, in Händen hielt, fuhr er sich erschrocken mit beiden Händen durch das Haar. „Bis dat, qui cito dat,” stöhnte er, „Exzellenz meint es nicht nur gut, sondern zu gut mit mir, daß er schon jetzt kommt. Natürlich freue ich mich sehr, den hohen Herrn hier zu sehen, aber später peut-être wäre mir lieber und am allerliebsten wäre mir, er käme gar nicht. Ein Unglück, so pflegt man zu sagen, kommt nie allein — für einen Untergebenen, wie ich es in diesem Falle bin, obgleich ich in dieser kleinen Garnison sonst den Herrscher aller Reußen spiele, ist eine Exzellenz immer ein Unglück — schon eine zivilistische Exzellenz kann Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten bereiten, und nun erst eine militärische! Nun, qui vivra, verra — wer die Schreckenskunde überlebt, wird weiter sehen, begierig bin ich zu hören, was die Meinen dazu sagen.”

Frau von Herrenberg und ihre Tochter hätten mehr als unmilitärisch sein müssen, wenn nicht auch sie erschrocken zusammengefahren wären, als der Gatte und Vater ihnen die Neugkeit mitteilte. In keinem anderen Berufe zittert die Familie so sehr für die Karriere des Oberhauptes, wie beim Militär, hier geht es mit der Verabschiedung zuweilen mehr als schnell, und für einen verabschiedeten Offizier ist es mehr als schwer, einen anderen Beruf zu ergreifen.

Bei der Herrin des Hauses war es sofort beschlossene Sache, daß die Vorstellung unter allen Umständen gut ausfallen müsse, fühlte sie sich doch in der neuen Garnison sehr glücklich und hatte nicht die leiseste Lust, nach einem Jahr schon wieder, und dann sogar in die Pension umzuziehen. Sie gefiel sich in der Rolle der Kommandeuse, als wohlwollende, mütterliche und beste Freundin der ihr unterstellten Damen viel zu gut, als daß sie daran denken mochte, daß diese Periode ihres Lebens sich schon wieder dem Ende nähern sollte.

Und nicht viel anders dachte Hilda, das schwarzhaarige, dunkeläugige Töchterlein, sie wollte für kein Geld, wie sie sagte, schon wieder fort, es gefiel ihr hier ganz ausgezeichnet, und wenn sie es auch den anderen nicht verriet, so gestand sie es sich selbst mehr als gern ein: sie hatte ihr Herz nicht nur entdeckt, sondern sie hatte es sogar verloren. Offizierstöchter und nun erst „Stabstöchter” pflegen sich selten in einen Leutnant zu verlieben, für sie haben diese Herren nicht den Reiz der Neuheit und nicht den sie in den Augen der anderen Damen umgebenden Nimbus, sie wissen es und sehen es bei den Eltern, was es heißt, auf das Kommißvermögen hin zu heiraten und sich durchzuquälen. — Offizierstöchter sind in verständigeren Grundsätzen erzogen. Auch Hilda hatte es sich fest vorgenommen, sich nie in einen Offizier zu verlieben. Zwar waren ihre Eltern sehr wohlhabend und sie brauchte keinen reichen Mann, aber in ihren Augen war ein Leutnant eben nur ein Leutnant, und früher als „etatsmäßige Tochter” und jetzt als „Regimentstochter” hatte sie vor dieser Charge keine allzugroße Hochachtung — im stillen hatte sie dieselben sogar zuweilen „dumme Jungens” genannt.

Aber alles, was sie gegen die Leutnants bisher auf dem Herzen gehabt hatte und noch hatte, sank in ein Nichts zusammen, als Leutnant von Schönborn im Hause ihrer Eltern den ersten Besuch machte. Der große Empfangssalon war voller Gäste gewesen, sie hatte kaum zehn Worte mit ihm gewechselt, aber sie hatte bemerkt, daß er kein Auge von ihr abwandte, daß er jede ihrer Bewegungen beobachtete, und als ihre Blicke sich zufällig trafen, als sie sah, daß aus seinen Mienen aufrichtige Bewunderung für sie sprach, daß er ihrer Schönheit eine stumme, aber doch beredte und keineswegs aufdringliche Huldigung darbrachte, hatte sie tieferrötend den Blick zu Boden gesenkt. Als sie die Entdeckung machte, daß sie den jungen Offizier liebte, hatte sie sich selbst auslachen wollen, aber es war ihr nicht gelungen. Sie liebte und sie war glücklich, so oft sich ihr Gelegenheit bot, Herrn von Schönborn zu sehen.

„Du mußt bei der Besichtigung gut abschneiden, und wenn du dir rechte Mühe gibst, wird es dir auch sicher gelingen,” beruhigte und tröstete die Kommandeuse ihren sehr erregten Herrn Gemahl, „außerdem denke daran, daß du zum erstenmal dein Regiment vorführst, da kann und da wird niemand verlangen, daß alles vollständig tadellos ist. Sieh nur zu, daß der Parademarsch gut ist, du weißt, darauf wird immer noch der größte Wert gelegt.”

Frau von Herrenberg „stand” nicht umsonst seit zweiundzwanzig Jahren bei den Soldaten — ihr ganzes Denken, Fühlen und Empfinden war militärisch, sie wußte Bescheid, wie es gemacht wird.

Er nickte ihr zustimmend zu: „Du hast recht, wie immer, bis dat, qui cito dat — hoffentlich wird aber Schönborn mir bis dahin wieder gesund. Ich sage euch, wenn der vor dem ersten Zug der ersten Kompagnie marschiert, ist es eine wahre Pracht — die Götter im Himmel müssen sich freuen, wenn sie zur Erde niedersehen und den Parademarsch erblicken. So was gibt's nicht wieder — der reißt mir mit seiner Haltung, seinen Beinen und seinen tadellos korrekten Fußspitzen unter Umständen das ganze Regiment heraus, und nun hat er sich krank gemeldet.”

Ängstlich lauschte Hilda, sie hätte sich gar zu gern erkundigt, was dem Geliebten fehle, aber sie fürchtete, sich zu verraten.

„Nun, deswegen würde ich mich nicht weiter beunruhigen,” klang da die Stimme der Mutter, „man weiß ja Gott sei Dank, was solche Krankmeldungen junger Offiziere zu bedeuten haben, denen fehlt meistens noch weniger als gar nichts, wenn die Herren einmal absolut keine Lust mehr zum Dienst haben, melden sie sich auf ein paar Tage an Schnupfen oder einem anderen tödlichen Leiden erkrankt. So etwas Ähnliches wird es wohl auch in diesem Falle sein!”

„Er meldet als Ursache der Krankheit, Stiche in der Brust,” gab der Oberst zur Antwort.

Dien Kommandeuse lehnte sich würdevoll in ihren Stuhl zurück und sagte weiter nichts wie: „Na ja, also!”

Das hieß: ich hab's ja gleich gewußt, über dergleichen Kleinigkeiten lohnt es sich gar nicht weiter zu reden.

Hilda fand die Worte ihrer Mutter zum mindesten kalt und lieblos, sie fühlte sich verpflichtet, den Geliebten, der sich nicht selbst verteidigen konnte, in Schutz zu nehmen, und so sagte sie denn:

„Aber Mama, Herr von Schönborn kann doch wirklich krank sein, die Stiche in der Brust können doch den Anfang einer Lungenentzündung bedeuten.”

Frau von Herrenberg sah ihre Tochter etwas mitleidig lächelnd an.

„Kind,” sagte sie, „was verstehst du von dem Kranksein eines Leutnants — ich kenne das, denn dein Vater war auch einmal Leutnant.”

Der Herr Oberst fuhr zusammen wie von der Tarantel gestochen: die unfehlbaren Vorgesetzten mögen nicht gern von ihrer Höhe herabgestürzt und daran erinnert werden, daß auch sie einmal sündhafte Untergebene waren, so klang seine Stimme denn geradezu entrüstet, als er jetzt sagte:

„Aber Klara, alles was recht ist, bis dat qui cito dat, aber ich verstehe nicht, worauf deine Worte anspielen.”

„Laß es nur gut sein, Otto,” winkte die Gattin ab, „aber um auf deinen kranken Leutnant zurückzukommen, so würde ich ihm dieselben Worte schreiben, die dir einmal dein Oberst schrieb, als du an einem schlimmen Fuß krank lagst und die da lauteten: ,Herr Leutnant, wenn Sie nicht in drei Tagen gesund sind, sperre ich Sie nach drei Tagen auf drei Tage ein.' Entsinnst du dich dessen noch, Otto? Du wolltest dich damals beschweren, den Vorgesetzten auf Pistolen fordern, dir von dem Oberstabsarzt einen ,Totenschein' ausstellen lassen, daß dein Fuß wirklich krank sei, was wolltest du nicht alles.”

„Und was tat der Vater endlich?” fragte Hilda belustigt.

„Er meldete sich ganz gehorsamst gesund, was denn sonst?” gab die Mutter zur Antwort.

Der Herr Oberst war ärgerlich und zog zornig die langen Spitzen seines Schnurrbarts durch die Hände: „Ich wiederhole, Klara, ich weiß nicht, was das soll, daß du diese alte, längst verjährte Geschichte wieder aufwärmst, und im übrigen weiß ich allein, wie ich mich meinen Offizieren gegenüber zu verhalten habe.”

Er sah nicht den etwas gutmütig lächelnden Ausdruck im Gesicht seiner Frau, sondern ging in sein Arbeitszimmer, um die dort seiner harrenden Schriftstücke zu erledigen. Als erstes aber schrieb er doch an den Leutnant von Schönborn, und zwar drohte er nicht mit Arrest, aber er gab der bestimmten Erwartung Ausdruck, daß der Herr Leutnant sich noch vor der Ankunft Sr. Exzellenz werde gesund melden können. „Je eher, je lieber — bis dat, qui cito dat, Sie wissen doch?”

Bei dem Schluß konnte man sich allerlei denken, bei der etwas unklaren Ausdrucksweise des Herrn Oberst konnte er sogar eine versteckte Drohung enthalten, und so band sich denn Herr von Schönborn am nächsten Mittag seine Bauchbinde um den Magen, um sich wieder zum Dienst zu melden. Zuguterletzt hatte er noch einmal ordentlich ausgeschlafen, um sich für die bevorstehenden kriegerischen Zeiten zu stärken, und so erschien er denn auf dem Regimentsbureau zu spät: als er kam, war der Herr Oberst gerade fortgegangen.

„Sie können sich auch hier in das Buch einschreiben,” meinte der Adjutant, „aber ich glaube, Bisdat freut sich sehr, wenn er Sie von Angesicht zu Angesicht sieht — machen Sie ihm die Freude.”

„Man soll Vorgesetzten gegenüber, besonders wenn sie eine hübsche Tochter haben, kein allzu schwieriger Untergebener sein,” dachte Schönborn. So machte er sich denn auf den Weg und er hatte das Glück, daß Hilda, die im Begriff war, auszugehen, gerade in dem Augenblick die Etagentür öffnete, als er die Glocke ziehen wollte.

Einen Augenblick sah sie ihn halb verwundert, halb lachend an, dann sagte sie:

„Also doch — aber bitte, wollen Sie nicht näher treten, die Eltern sind aus, müssen aber jeden Augenblick zurückkommen, wollen Sie so lange warten? Ich leiste Ihnen Gesellschaft, meine Besorgung eilt nicht.”

Eine Minute später saßen sie sich im Salon gegenüber und plauderten, auch heute wandte er keinen Blick von ihr ab und konnte sich an ihr nicht satt sehen. Sie wurde etwas verlegen und es entsprang ihrer inneren Unruhe, als sie nun zu ihm sagte:

„Wissen Sie wohl, daß Sie eigentlich ein schlechter Mensch sind? Ich hätte darauf geschworen, daß Sie ernstlich krank seien und habe Sie den Eltern gegenüber in Schutz genommen. Nun hat Papas Brief doch genügt, um Sie gesund zu machen.”

Er sah sie etwas verwundert an und wurde befangen: es war ihm unangenehm, daß der Kommandeur dienstliche Angelegenheiten mit seinen Damen besprach und daß diese über ihn unterrichtet waren.

„Sie scheinen zu wissen, gnädiges Fräulein, daß Ihr Herr Vater meinem Leiden keinen allzu großen Glauben beimaß, nun, ich war wirklich nicht ganz wohl, vielleicht hätte ich trotzdem Dienst tun können, aber Sie wissen es ja auch, gnädiges Fräulein, wie es beim Militär geht: schont man sich nicht selbst etwas, andere schonen uns gewiß nicht, ach, und es wird viel von uns verlangt.”

„Und von Ihnen, Herr von Schönborn, wohl ganz besonders viel?” fragte sie, „wenigstens sagte der Vater uns, daß Sie gewissermaßen bei dem bevorstehenden Besuch Seiner Ezellenz die Hauptperson —”

Sie brach mitten im Satz ab und schwieg, über und über errötend, zu spät merkte sie, daß sie, wenn auch gerade keine Dummheit, so doch wenigstens etwas gesagt habe, das sie besser für sich behalten hätte. Das kam davon, warum sah er sie immer so an, so prüfend und so forschend, da mußte man ja schließlich verwirrt werden.

„Bitte, gnädiges Fräulein, fahren Sie ruhig fort,” bat er, als sie immer noch schwieg und verlegen den Blick zu Boden senkte. „Sie haben mich neugierig gemacht! Ich soll irgendwie die Hauptperson sein? Wie käme ein Leutnant mit zwei Mark fünfzig Pfennig Gehalt pro Tag zu dieser Auszeichnung. Giebt's ja gar nicht —”

„Doch, doch,” widersprach sie ihm lebhaft, „mehr aber sage ich Ihnen nicht.”

Er drang in sie, ihm alles anzuvertrauen und sie bat ihn, nicht allzu neugierig zu sein. Sie hatte das richtige Empfinden, als ob es der Stellung ihres Vaters nicht entspräche, wenn sie erzählte, daß nicht nur dieser selbst, sondern die ganze Familie vor der bevorstehenden Besichtigung zittere, das durfte sie nicht zugeben, wenn die Autorität und die Disziplin nicht darunter im Regiment leiden sollten, auch fürchtete sie, ihren Vater lächerlich zu machen — nein, sie durfte nicht sagen, daß Herr von Schönborn durch seinen Parademarsch die Ehre des Regiments retten sollte, aber sie sagte es ihm schließlich doch. Es klang aus ihren Worten etwas wie Angst um die Zukunft, zugleich aber auch die Hoffnung, daß ihr Gegenüber seine Sache sehr gut machen würde.

Mit wachsendem Erstaunen hatte Herr von Schönborn ihrem Vortrag gelauscht, nun sagte er, halb ernsthaft, halb belustigt:

„Verlassen Sie sich auf mich, gnädiges Fräulein, was gemacht werden kann, wird gemacht. Ich will meinem Zuge mit solcher Eleganz und Vehemenz voranmarschieren, daß die Leute, die hinter mir gehen, meinem Beispiel folgen und durch ihr Tun auch wieder zur Nacheiferung anspornen. Für einen tadellosen Parademarsch des Regiments übernehme ich hiermit, selbst auf die Gefahr hin, daß es etwas anmaßend klingt, die Garantie.”

„Wirklich?” fragte sie freudig erregt, „das wäre sehr, sehr lieb von Ihnen und ich würde Ihnen von ganzem Herzen danken.”

Er sah sie mit seinen großen braunen Augen erwartungsvoll an, während er fragte: „Und darf ich wissen, worin dieser Dank bestehen wird? Nur in einem Wort?”

Sie verbarg nur schwer ihre Unruhe, trotzdem bemühte sie sich, die Sache in das Lächerliche zu ziehen, um sich nicht zu verraten, und sie sagte scherzend: „Wollen Sie lieber, daß ich Ihnen eine Handarbeit anfertige?”

„Aber, gnädiges Fräulein,” sagte er vorwurfsvoll, „wissen Sie es wirklich nicht oder wollen Sie es nicht wissen, was ich als Dank von Ihnen verlange? Mit einem kleinen Diamantring geschmückt ruht das, was ich erstrebe und ersehne, seit dem Tage, da ich Sie zum erstenmal sah, augenblicklich in Ihrem Schoß — nein, bitte, lassen Sie die Hand dort nur ruhig liegen — wollen Sie mir die geben, wenn die Besichtigung gut verläuft?”

Er streckte ihr seine Rechte entgegen. „Bitte, gnädiges Fräulein, bitte, schlagen Sie ein, geben Sie mir jetzt die Hand wenigstens zum Zeichen, daß Sie mir nicht zürnen und sich meine Worte überlegen wollen, bitte, bitte —”

Bis dat, qui cito dat,” erklang da auf dem Korridor die scheltende Stimme des Herrn Oberst, „wo steckt denn der Friedrich? Frie—de—rich!”

Erschrocken fuhren die beiden im Salon zusammen und Hilda sprang auf, um dem Vater entgegenzueilen.

„Bitte, die Hand,” sagte Schönborn mit flehender Stimme, „Sie haben es ja eben gehört, gnädiges Fräulein, — bis dat, qui cito dat.”

Verwirrt und verlegen stand sie vor ihm, ihre mädchenhafte Scheu hielt sie zurück, dem Geliebten zu sagen: „Ach, ich habe dich ja so lieb.” Noch zögerte sie — da ergriff er ihre Rechte und drückte einen flammenden Kuß auf die Hand, und gleich darauf küßte er auch ihre Lippen.

Bis dat — —”

Aber weiter kam der Oberst, der in das Zimmer getreten und die Umarmung der beiden mit angesehen hatte, vor Erstaunen nicht.

„So, nun heißt es frech sein,” dachte Schönborn, „dem Mutigen gehört die Welt, mehr als einsperren kann er mich ja schließlich nicht.”

Er ergriff den Helm, den er neben sich auf den Tisch gestellt hatte, nahm eine vorschriftsmäßige Haltung an und sagte: „Ich melde mich ganz gehorsamst wieder gesund und bitte den Herrn Oberst gleichzeitig ganz gehorsamst um die Hand Ihrer Fräulein Tochter.”

„Bitte, Vater, sag' ja,” erklang da Hildas Stimme, und als der Oberst nicht sofort antwortete, fuhr sie fort: „Aber Vater, wie kannst du nur noch zögern — du sagst doch selbst immer ,bis dat, qui cito dat'. Freust dich denn gar nicht über mein Glück?”

Ja, er freute sich schon, denn er liebte sein einziges Kind sehr, wenn nur die scheußliche Besichtigung nicht in der Luft gelegen hätte. Was dann, wenn die Sache schief ging und er nicht in Amt und Würden blieb? Der Gedanke beschäftigte ihn jetzt mehr als alles andere, wie konnte man da nur Sinn für eine Verlobung haben? Er begriff die Jugend nicht.

Da öffnete sich die Tür und der Bursche erschien, um ein eiliges Diensttelegramm zu überreichen. Der Oberst öffnete das Billet und fuhr dann erschrocken zusammen.

„Um Gotteswillen, ich werde ohnmächtig,” rief er, „in Abänderung seiner Reisedispositionen trifft Exzellenz bereits heute Mittag hier ein, um vier Uhr soll das Regiment auf dem Exerzierplatz stehen. Das überlebe ich nicht. Kommen Sie, Schönborn, wir müssen sofort zur Kaserne.”

Er wollte davoneilen, doch Hilda hielt ihn zurück.

„Vater,” bat sie, „geh' nicht so fort, bitte, sage ja.”

„Erst laß ihn einen guten Parademarsch machen,” lautete die Antwort, „dann sehen wir weiter. Kommen Sie, Schönborn.”

Die beiden stürmten davon und wenige Stunden später marschierte das Regiment im Parademarsch vor Sr. Exzellenz vorbei. Der Parade folgten das Exerzieren und ein Gefecht und dann kam eine lange Kritik.

„Meine Herren,” sagte Exzellenz, „was ich gesehen habe, hat mich sehr befriedigt, nur eins hätte nach meiner Meinung etwas besser sein können, der Parademarsch, und zwar hat er mir bei dem ersten Zug der ersten Kompagnie am allerwenigsten gefallen. Ich will anerkennen, Herr Leutnant von Schönborn, daß Sie sich große Mühe gaben, aber ich glaube, Sie geben sich zu viel Mühe — dadurch wird Ihr Marsch steif und gezwungen, ich bin sonst bessere Leistungen von Ihnen gewöhnt.”

„Es ist zum Verzagen,” dachte Schönborn, „wann kann man es einem Vorgesetzten recht machen? Gibt man sich keine Mühe, wird man angepfiffen, und gibt man sich Mühe, dann gelingt es einem armen Leutnant auch nicht, sich die höchste Zufriedenheit zu erwerben.”

Heimlich sah er nach dem Oberst, der warf ihm einen Blick zu, der zu sagen schien: „Mein Sohn, gib dir keine Mühe, meine Tochter bekommst du jetzt nicht — die Hoffnung gib nur auf.”

Aber Herr von Schönborn bekam seine Hilda doch, denn der Oberst erntete im weiteren Verlauf der Kritik so viel Lob, daß der geringe Tadel gar nicht in Frage kam. Und schließlich war der Herr Oberst, wie Hilda ihrem Vater klar bewies, an dem schlechten Parademarsch ganz allein selbst schuld — warum hatte er darauf bestanden, daß Schönborn sich gesund melden sollte? Auch die Mutter, die in ihrer Eigenschaft als Kommandeuse nicht in jeder Hinsicht mit Herrn von Schönborn zufrieden war, begriff dies plötzlich nicht mehr, aber schließlich gab auch sie ihren Segen, nachdem ihr zukünftiger Schwiegersohn ihr versprochen hatte, das nächstemal Seine Exzellenz durch eine wirklich gute Leistung im Parademarsch zu befriedigen und den schlechten Eindruck, den er heute hinterlassen hatte, zu verwischen.


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