Heitere Soldaten-Geschichte von Freiherr von Schlicht,
in: „Indiana Tribüne” vom 23.Aug. 1904 und
in: „Militaria”
Wer kannte ihn nicht in unserer Garnison, den stolzen Sergeanten Bethje? Wenn er, die hohe militärische Gestalt, in tadelloser Kleidung durch die Straßen der Stadt schritt, den starken Schnurrbart kokett in die Höhe gedreht, die Hände stets in tadellosen weißen Handschuhen, stieß manche Schöne heimlich die andere an und flüsterte ihr zu: „Sieh nur, welch ein stattlicher Mann ist er doch.”
Aber er wußte es selbst auch ganz genau, daß sein Äußeres Eindruck machte auf die leicht empfänglichen Herzen der Mädchen, hatte er es doch schon oft erfahren, sagten seine Kameraden es ihm doch fast täglich, um ihn in seinem Selbstbewußtsein zu stärken. Aber noch etwas anderes trug zu seinen Erfolgen bei, machte ihn gefürchtet bei Jung und Alt,bei seinen Freunden und Bekannten, bei seinen Vorgesetzten und Untergebenen, das war seine nie versagende Redekunst. Er hatte eine nicht gewöhnliche Schulbildung genossen, überragte an Können und Befähigung die meisten seiner Kameraden und fühlte sich daher verpflichtet von seinem überflüssigen Wissen an die minder Begabten abzugeben. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend war seine Stimme zu hören, überall, beim Dienst und bei kameradschaftlichen Vereinigungen führte er das große Wort. Er war sich seiner Würde wohl bewußt, nächst Moltke gab es auf der ganzen Welt seiner Meinung nach keinen tüchtigeren Soldaten als ihn.
Noch ist mir eine Scene in Erinerung. Wir waren im Manöver in einer kleinen Stadt einquartiert, wo abends großes Gartenkonzert und Tanz stattfinden sollte. Alles stürmte hin, die Bürger überboten sich in Liebenswürdigkeiten, die jungen Mädchen in ihren frisch gewaschenen Kleidern sahen die schmucken Krieger Glück verheißend an, wie hätte Bethje es über sein Herz bringen sollen, dem Vergnügen fern zu bleiben? In nie geahnter Schönheit näherte er sich der Kasse.
„Bitte fünfzig Pfennige Eintrittsgeld, mein Herr,” bat der Kassierer.
Mitleidig lächelnd sah Bethje den Mahner an.
„Mein Lieber, ich bezahle nie Entree. Wissen Sie denn nicht, wer ich bin? Ich bin der ,große Bethje'.”
Sprachs und ging stolz erhobenen Hauptes an dem ihm verblüfft nachschauenden Kassierer vorüber.
Leider teilten seine Vorgesetzten nicht die Ansicht über seine Größe. Nur, wie gesagt, im Reden war er groß. Ich hatte das Vergnügen als Einjähriger von ihm ausgebildet zu werden. Die geringste Kleinigkeit versetzte ihn in die größte Wut. Dann faltete er seine Hände, stellte sich ganz dicht vor den Unglücklichen hin, der seine Wut erregt hatte und überflutete den Armen mit einem solchen Wortschwall, voll der unglaublichsten Vergleiche, daß sich uns manchmal die Haare sträubten. Wir ließen uns ruhig die Grobheiten gefallen, wußten wir doch, daß er im Grunde seines Herzens ein gutmütiger Mensch war. Als er uns aber eines Morgens mit der größten Beredsamkeit auseinandergesetzt hatte, daß selbst die klügsten Menschen, nicht einmal er, nicht imstande wären, einen Unterschied zwischen uns und einer Ochsenherde zu finden, wurde die Sache zur Sprache gebracht. Von dem Augenblick an wurde Bethje bummelig und fing das Trinken an.
„Wenn man nicht einmal mehr offen und ehrlich seine Meinung sagen darf, ist das traurig; ein trauriges Zeichen dafür, daß es mit der Disciplin in der Armee schnell zu Ende gehen wird,” hatte er an dem betreffenden Tage beim Mittagessen geäußert. Dann hatte er versucht, die Bitterkeit dieses Lebens mit einem Bittern herunterzuspülen, similia similibus meinte er als gebildeter Mensch. Aber dieser Versuch muß wohl bei dem ersten Mal nicht geglückt sein, beständig war er fortan in der Wirtschaft zu finden, er wurde unordentlich in und außer Dienst, gab nichts mehr auf sein Äußeres und vernachlässigte sich mehr und mehr. Alle Strafen waren vergebens, er war ein Trinker geworden, dem keiner mehr helfen konnte, so wurde er denn verbraucht wie er war.
Eines Tages exerzierte Bethje seine Abteilung, als unglücklicherweise der Oberst sich dem Exerzierplatze näherte.
„Exerzieren Sie mir die Abteilung vor,” befahl der Kommandeur, und zu aller Zufriedenheit wurde der Befehl ausgeführt.
„Nun, Bethje, führen Sie mir die Leute auch noch im Schützengefecht vor und bezeichnen Sie immer recht genau den Marschrichtungspunkt.”
Die Übung begann, die Schützenlinie entwickelte sich und ging vor.
„Sergeant Bethje, Sie haben vergessen, den Marschrichtungspunkt anzugeben. Passen Sie gefälligst auf.”
Vergebens ließ Bethje seine Blicke in dem Gelände umherschweifen, wie hieß doch die Straßenecke, wie wurde der freie Platz dort drüben nur noch genannt? Ihm fielen die Namen nimmer ein, der Alkohol hatte sein Gedächtnis schon geschwächt.
„Nun, Sergeant Bethje, wird es bald?”
„Marschrichtungspunkt — meine Stammkneipe.”
Die kannte jeder, mit einer genialen Schwenkung flog die Schützenlinie herum und ging auf den bezeichneten Ort zu. Aber der Herr Oberst, empört über die Hineinziehung privater Angelegenheiten in den königlichen Dienst, hielt dem armen Sergeanten eine donnernde Rede und das Ende vom Liede war, daß Bethje nur noch hinter der Front beschäftigt wurde. Aber auch so fand er eines Tages Gelegenheit zu einer großen That.
Die Regimentsvorstellung stand vor der Thür. Auf besonderen Wunsch des besichtigenden Generals sollte das ganze Gefecht sich vollständig kriegsmäßig abspielen. Unter anderem sollte auch bei dem jedesmaligen Vorgehen der Schützen ein Teil der Leute liegen bleiben, um die Toten und Verwundeten zu markieren und so zu zeigen, wie im Ernstfall die Reihen gelichtet würden. Die Vorstellung wurde ganz genau eingeübt, die Leute, die liegen bleiben sollten, wurden bestimmt und instruiert. Die Proben verliefen glänzend; mochte der General nur kommen, Bethje als Kommandeur der Toten und Verwundeten wollte seine Sache schon gut machen.
Die Vorführung des Regiments klappte, wie der Terminus technicus lautet, ausgezeichnet. Schon näherte sich die Übung ihrem Ende, verschiedentlich hatte der General, zu den Offizieren seiner Begleitung gewandt, seine vollste Zufriedenheit geäußert, da rückten die Truppen zum letzten Anlauf vor. Aber der Übermacht weichend, zogen sie sich auf Befehl wieder zurück. Das empörte Bethjes Herz. Heimlich hatte er dem Bittern zugesprochen, rascher floß das Blut durch seine Adern; er sah die Seinen weichen und faßte einen heldenmütigen Entschluß.
„Die Toten und Verwundeten zu zwei Gliedern der Größe nach antreten marsch — marsch,” ertönt sein Kommando über den weiten Platz. Von allen Seiten eilten die Leute herbei und sammelten sich um ihren Führer, der mit den Gefallenen dem Regiment zu Hilfe eilte.
Das war sein letztes Auftreten beim Militär. Die Kritik, die diese kriegsgemäße Leistung fand, nötigte ihn früher als es wohl ursprünglich seine Absicht war, sich in das Privatleben zurückzuziehen.