Wenn Frauen Besorgungen machen!

Humoristisch-satirische Plauderei von Freiherr von Schlicht
in: Frauen!


Meine Frau ist die Perle aller Frauen — — sagt meine Frau.

Meine Frau besteht nur aus lauter guten Eigenschaften — — — sagt meine Frau, und die vortreff­lichste Eigenschaft meiner Frau besteht darin, daß sie nie allein ausgeht, niemals, am allerwenigsten, wenn sie Besorgungen zu machen hat. Und wann hat eine Frau nichts zu besorgen !

Auch heute hatte meine Frau allerlei in der Stadt zu besorgen.

Ein Mann hat auf seinen Wegen entweder viel oder wenig zu erledigen, aber diese beiden Worte kennen die Frauen anscheinend überhaupt nicht, weil sie nicht wissen, was viel und was wenig ist. So haben sie stests „allerlei” zu besorgen. Aber dieses „allerlei” allerleit sich manchmal ganz gehörig zusammen.

Meine Frau hatte mich gebeten, sie wie stets zu begleiten und sie hatte hinzugefügt, daß sie unterwegs noch manches mit mir wegen der Besorgungen zu besprechen wünsche.

Wenn eine Frau etwas mit ihrem Mann bespricht, dann geschieht das nicht, um die Ansicht des Mannes über irgend einen Punkt zu hören, oder, um sich von der Ansicht des Mannes überzeugen zu lassen, sondern eine Frau bespricht nur deshalb etwas mit ihrem Mann, damit sie den dahin bringt, ebenso zu denken, wie sie es selbst tut.

So sah ich es denn voraus, ich sollte unterwegs einsehen, daß meine Frau wirklich all die Dinge brauche, die sie sich besorgen wollte und vor allen Dingen sollte ich ihr beistimmen, daß es schrecklich sei, sich trotz aller Sparsamkeit immer wieder aufs neue allerlei besorgen zu müssen.

Das Leitmotiv dieser Besprechung würde lauten: „Das Leben ist ja heutzutage so entsetzlich teuer.”

Sobald eine Frau zu dieser Erkenntnis gelangt ist, nimmt sie sich stets vor, noch mehr zu sparen als bisher und bittet ihren Mann dann um einen Extrazuschuß von wenigstens hundert Mark, um mit dem Sparen beginnen zu können.

So steckte ich mir denn zweihundert Mark in die Tasche und verließ wenig später mit meiner Frau zusammen das Haus, um in der Stadt allerlei zu besorgen.

Aber weit kamen wir nicht, denn schon nach wenigen Minuten blieb meine Frau plötzlich ganz erschrocken stehen: „Um Gotteswillen, ich muß noch einmal umkehren, eben fällt es mir ein, nun habe ich doch die fünfundzwanzig Mark für den Sattler, der unsere Reisekoffer zurecht gemacht hat, auf dem Schreibtisch liegen lassen. Soll ich zurückgehen und das Geld holen, oder kannst du es mir bis nachher leihen?”

Darauf, daß das Geld nicht auf dem Schreibtisch lag, hätte ich sämtliche Eide der Welt geschworen, aber trotzdem, oder gerade deshalb sagte ich: „Daß du noch einmal umkehrst, ist ganz ausgeschlossen. Warte hier einen Augenblick, ich will schnell noch mal nach Hause gehen und das Geld holen.”

Aber meine Frau widersprach: „Das hätte keinen Zweck, du würdest es doch nicht finden.”

„Warum denn nicht?” fragte ich anscheinend ganz verwundert. „Wenn es doch auf dem Schreibtisch liegt?”

Meine Frau wollte natürlich nicht zugeben, daß es da nicht lag, so meinte sie denn: „Natürlich liegt es auf dem Schreibtisch, aber, aber du weißt doch, ich lasse nicht gern etwas offen und frei herumliegen. Gewiß, unsere Mädchen sind sehr ehrlich, ich könnte die größten Summen herumliegen lassen, sie würden niemals auch nur einen Pfennig nehmen, aber trotzdem, man soll sie auch nicht in Versuchung bringen und deshalb habe ich das Geld in meinen Schreibtisch gelegt.”

„Du wolltest natürlich sagen, auf deinen Schreibtisch?”

Meine Frau fing an, ein klein wenig nervös zu werden: „Ob in oder auf den Schreibtisch, ist doch dasselbe. Ihr Männer seid wirklich schrecklich, Ihr klammert euch zuweilen an ein einzelnes Wort, als hinge davon Euer Seelenheil ab.” Und den Weg dann fortsetzend, bat sie plötzlich: „Wenn du mir also dann die fünfundzwanzig Mark leihen wolltest, wäre ich dir sehr dankbar, ich gebe sie dir zu Hause natürlich sofort wieder.”

Wenn die Ehemänner jemals das Geld zurückbekämen, was die Frauen ihnen zurückgeben wollen, dann würden sämtliche Ehemänner der Welt sehr bald Millionäre sein.

Natürlich pflichtete ich meiner Frau bei: „Du wirst mir das Geld zu Hause wiedergeben.” Dann griff ich in die Tasche und holte, da ich kein kleines Geld bei mir hatte, einen Hundertmarkschein heraus.

„Aber das ist doch zu viel,” widersprach meine Frau, den Schein in ihre Geldtasche steckend, „wenn du mir wirklich die fünfundzwanzig Mark für den Sattler gibst und dann vielleicht noch zwanzig oder dreißig Mark extra für die anderen Kleinigkeiten, dann ist das mehr als genug.”

Wenn man einer Frau Geld gibt, ganz einerlei wieviel, dann ist es im ersten Augenblick immer viel zu viel, aber schon nach einer halben Stunde ist es leider viel zu wenig.

So meinte ich denn: „Mach dir nur keine unnützen Sorgen, du wirst den Hundertmarkschein schon kleinbekommen und für alle Fälle habe ich mir noch einen zweiten eingesteckt.”

Ich sah es meiner Frau an, sie hätte mir am liebsten auf offener Straße einen Kuß gegeben, das ging ja aber nicht und so meinte sie denn nur: „Wie gut du bist.”

„Davon kann doch in diesem Falle gar nicht die Rede sein,” werde ich bescheiden ab, „denn ich leihe dir das Geld doch nur.”

Meine Frau sah mich ganz entsetzt an: „Du leihst es mir nur?” fragte sie fast tonlos, „die paar Mark, die du mir da eben gegeben hast, reichen doch weiß Gott nicht weit, noch dazu jetzt, wo alles so teuer ist.” Und dann setzte sie hinzu: „Die fünfundzwanzig Mark für den Sattler gebe ich dir natürlich wieder, obgleich ich von dem Geld eigentlich die neuen Schleier bei meiner Putzmacherin bezahlen wollte, aber wenn es sein muß, kann die ja warten und ich bezahle von den fünfundzwanzig Mark dann lieber, wie ich es mir vorgenommen hatte, meine neuen Lackschuhe.”

„Ich glaubte, du wolltest den Schlosser — — —”

Aber meine Frau fiel mir ins Wort: „Tue mir die einzige Liebe und kümmere dich nicht um meine unbezahlten Rechnungen, ich frage dich ja auch nicht, was du noch alles zu bezahlen hast. Gott sei Dank haben wir ja völlig getrennte Kassen(1) und wie ich mich nicht um deine Angelegenheiten kümmere, so kümmere du dich auch bitte nicht um meine, sonst fange ich wieder an, nervös zu werden.”

Jede Frau betrachtet es als ihr größtes Unglück, nervös zu sein, sie tut alles, um ihre Nerven los zu werden, aber wenn sie die wirklich jemals los sein sollte, hätte sie keine ruhige Minute mehr, bis sie wieder nervös wäre.

Das Wort: „Bitte mache mich nicht nervös,” ist der Zauberstab, mit dem jede Frau ihren Mann immer wieder aufs neue zu ihren Füßen zwingt. Keine wilde Bestie gehorcht der Peitsche des Bändigers so willig, wie ein Ehemann dem Wort seiner Frau: „Bitte mache mich nicht nervös.”

So beeilte ich mich denn, meine Frau zu beruhigen: „Es liegt doch gar keine Veranlassung vor, dich irgendwie aufzuregen und ob du nun von diesen fünfundzwanzig Mark den Sattler bezahlst, oder sonst jemanden — — ich weiß wirklich nicht mehr, wem du das Geld geben wolltest.”

„Dem Gärtner,” gab meine Frau zur Antwort. „Ich bin ihm noch die Tannen schuldig, die er neulich in dem Garten gepflanzt hat. Eigentlich hast du ja den Garten auf deine Kosten übernommen, aber da ich mir die Tannen wünschte, muß ich sie auch wohl selbst bezahlen?”

Schon die Frage wies, daß meine Frau der Ansicht war, ich müßte eigentlich die Tannen bezahlen und so beruhigte ich sie denn auch über diesen Punkt: „Mach dir nur darüber keine Sorgen, die werde ich dir schon abnehmen.”

Meine Frau dankte mir mit einem zärtlichen Blick, dann sagte sie: „Das ist sehr lieb von dir, dann kann ich von den fünfundzwanzig Mark endlich bei dem Juwelier die kleine goldene Nadel bezahlen, die liegt mir schon lange auf der Seele.”

Unwillkürlich sah ich meine Frau ganz verwundert an, dann fragte ich: „Sag mal, Liebling meines Herzens, was willst du denn sonst noch alles von diesen fünfundzwanzig Mark bezahlen?”

„Fängst du schon wieder an, mich nervös zu machen?” schalt meine Frau. „Ich frage dich doch auch nicht, ob du dein Geld an den Schneider, an den Schuster, an den Weinlieferanten oder den Cigarrenhändler gibst. Aber nun warte bitte einen Augenblick, ich bin sofort wieder da.”

Und eh ich mich dessen versah, war meine Frau in einem Laden verschwunden.

„Aha,” sagte ich mir, „nun fangen die Allerlei-Besorgungen an, ich bin nur neugierig, wie lange dieser eine Augenblick dauern wird.”

Aber es dauerte wirklich nur einen Augenblick, denn plötzlich trat meine Frau wieder auf die Straße.

„Nanu?” fragte ich sie ganz verwundert, „das ist aber schnell gegangen.”

„Nicht wahr?” meinte meine Frau, über das ihr gezollte Lob ganz glücklich, „ich habe mich rasend beeilt, um so schnell wieder fertig zu werden, ich wollte dich doch nicht warten lassen.” Und dann setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu: „Weißt du, der Laden war so voller Menschen, da bin ich gleich wieder hinausgegangen. Mir ist eingefallen, ich kann den Leuten ja auch telephonieren.”

„Schön,” sagte ich, „telephoniere, und hoffentlich sind die anderen Geschäfte auch so voll, daß du dort nicht ankommst.”

Aber das schien bei dem zweiten nicht der Fall zu sein. Trotzdem es dort auch nur einen Augenblick dauern sollte, oder allerhöchstens fünf Minuten, dauerte es beinahe eine halbe Stunde, bis meine Frau wieder sichtbar wurde. Sie mochte es mir anmerken, daß ich etwas nervös war, denn sie bat: „Sei bitte nicht böse, daß ich dich eine Minute warten ließ, aber es war auch da drin so furchtbar voll, daß ich gar nicht ankommen konnte.”

„Warum bist du denn nicht auch gleich wieder herausgekommen?” fragte ich. „Sicher haben doch die Leute auch Telephon.”

Meine Frau sah mich ganz erstaunt an, dann meinte sie: „Weißt du, auf den Gedanken bin ich gar nicht gekommen und außerdem lagen da so entzückende Hemden mit reizenden Spitzen. Und denke dir mal, gar nicht teuer, das Stück nur fünfundvierzig Mark. Was meinst du, ob ich mir von denen nicht ein Dutzend nehmen soll? Ich habe ja zwar eigentlich mehr als genug Wäsche, aber trotzdem, meinst du nicht auch, daß ich mir noch ein Dutzend nehme?

„Mach das ganz wie du willst,” gab ich zur Antwort, „damit du nicht wieder nervös wirst, hast du mich vorhin gebeten, mich nicht darum zu kümmern, wofür du dein Geld ausgibst, dann mußt du in diesem Falle also schon selbstständig entscheiden.”

Meine Frau machte einen schmollendes Gesicht, dann rief sie: „Ich habe dich doch aber extra gebeten, mich bei meinen Besorgungen zu begleiten, weil ich allerlei mit dir zu besprechen hätte. Wenn ich nun gar nichts mit dir besprechen darf, hättest du ja auch zu Hause bleiben können.” Und dann bat sie plötzlich: „Nicht wahr, du erlaubst es mir, daß ich mir die Hemden kaufe? Vielleicht habe ich vorläufig auch genug, wenn ich mir nur zehn nehme, die kosten dann nur vierhundertundfünfzig Mark. Allerdings, gleich bezahlen könnte ich sie natürlich nicht, ich könnte aber vorläufig die fünfundzwanzig Mark anzahlen, die ich eigentlich dem Handschuhgeschäft geben wollte. Dann bliebe nur noch ein Rest von vierhundertfünfundzwanzig Mark und das ist dann doch gar nicht mehr so schlimm. Die Leute drängen ja auch nicht, die wissen ganz genau, daß sie ihr Geld bekommen, und die Leute haben mir ja auch gleich erklärt, die Bezahlung hätte gar keine Eile. Vor Neujahr schicken sie überhaupt keine Rechnung und bis dahin kommt doch erst noch Weihnachten und da weißt du doch ohnehin nie, was du mir schenken sollst.” Und noch einmal bat meine Frau: „Meinst du nicht auch, daß ich mir die zehn Hemden kaufe?”

Wenn ein Mann etwas meint, handelt es sich bei ihm wirklich lediglich um eine Meinung, wenn aber eine Frau etwas meint, dann ist diese Meinung schon ein für sie feststehender Entschluß. Hat aber einmal eine Frau einen Entschluß gefasst, so hält sie nicht daran fest, bis sie ihn ausgeführt hat, o nein, sondern nur solange, bis sie einen neuen Entschluß gefasst hat. Widerspricht man einer Frau, dann wird sie nervös, stimmt man ihr aber bei, dann wird sie in ihrem Entschluß schwankend und so sagte ich denn: „Mach das ganz wie du willst, wenn es dich freut, kaufe dir die Hemden, ich will sie dir gern zu Weihnachten schenken. Allerdings sind es bis dahin noch mehr als sechs Monate(2), aber trotzdem, kaufe sie dir nur.”

Es hätte nicht viel gefehlt, und meine Frau wäre mir aus Dankbarkeit um den Hals gefallen, dann aber sagte sie plötzlich: „Du bist zu gut gegen mich, aber ich darf deine Güte auch nicht ausnutzen. Ich habe es mir eben überlegt, zehn Hemden ist eine etwas sonderbare Zahl, dann denken die Mädchen und die Waschfrau sicher immer, es fehlten zwei, da könnte ich mir doch schon das ganze Dutzend nehmen.”

„Oder vielleicht nur ein halbes Dutzend,” warf ich ein.

Aber meine Frau widersprach: „Das verstehst du nicht. Ein halbes Dutzend ist zu wenig, zehn müßte ich wenigstens haben, um genügend wechseln zu können. Aber zwölf sind zu teuer.” Und sich zu einem neuen Entschluß aufraffend, setzte sie hinzu: „Wir können uns das ja noch immer in Ruhe überlegen, vorläufig schicken die Leute erst einmal ein Dutzend zur Ansicht hinaus und wenn sie dir nicht gefallen, können wir sie ja immer wieder zurückgeben.”

Und noch bevor ich etwas darauf hätte erwidern können, war meine Frau in einem Juweliergeschäft verschwunden, aber gleich darauf kam sie noch einmal zurück, um mir zuzurufen: „Es dauert wirklich nur 1 Sekunde, ich will mir nur noch rasch meine Ohrringe putzen lassen.”

„Dann bezahle nur gleich die Nadel,” bat ich, „dann bist du die von deiner Seele los.”

Meine Frau widersprach: „Die fünfundzwanzig Mark brauche ich notwendiger für den Mann, der gestern die neuen Aluminium-Kochtöpfe geliefert hat. Über die wollte ich ohnehin noch mit dir sprechen, na, ich bin gleich wieder da.”

Was eine Frau so „gleich” nennt.

Endlich erschien meine Frau wieder: „Nun wird sie mit mir über die Aluminium-Kochtöpfe sprechen,” dachte ich. Aber es kam ganz anders. Meine Frau sprach gar nicht, sie war viel zu erregt, um überhaupt sprechen zu können, aber sie sprach trotzdem fortwährend. Sie hatte in dem Laden des Juweliers eine Bekannte getroffen und was die alles an Neuigkeiten gewußt hatte, die Frau war zu amüsant und zu nett, überhaupt eine der nettesten Frauen, die es hier in der Stadt gab und wenn ihre Feindinnen auch behaupteten, sie wäre eine alte Klatschbase, du großer Gott, eine schlechte Eigenschaft haben schließlich alle Menschen.

Und dann bekam ich die Neuigkeiten zu hören, die mich tatsächlich nicht im geringsten interessierten, sodaß ich schließlich, nur, um das Gespräch abzulenken, meine Frau fragte: „Hoffentlich hast du bei all diesen Neuigkeiten nicht vergessen, dir deine Ohrringe putzen zu lassen?”

Meine Frau blieb ganz erschrocken stehen und sah mich verwundert an: „Meine Ohrringe? Die wollte ich putzen lassen? Wie kommst du denn nur darauf?” Bis ihr dann selbst wieder alles einfiel, und den Weg fortsetzend meinte sie: „Denk dir nur, das habe ich total vergessen. Diese Frau überflutete mich gleich mit einem derartigen Redeschwall, daß ich mich gar nicht auf mich selbst besinnen konnte, daß ich gar nicht mehr wußte, weshalb ich denn eigentlich in den Laden gegangen war. Nun begreife ich auch, warum die Leute in dem Geschäft mich fortwährend so verwundert ansahen. Gewiß, die Dame, die ich vorhin traf, kann zuweilen auch sehr nett sein, aber ihre Feindinnen haben Recht, sie ist wirklich eine Klatschbase.”

„Du großer Gott, eine schlechte Eigenschaft haben wir Menschen ja schließlich alle,” warf ich ein.

Aber meine Frau widersprach: „Bitte sehr, nicht alle. Ich habe keine. Nun aber entschuldige mich bitte, ich muß hier in das Konfektionsgeschäft.”

Mir ahnte etwas und so fragte ich denn: „Wird es lange dauern?„

Meine Frau machte das unschuldigste Gesicht von der Welt: „Lange? Wie kommst du denn nur darauf? Allerdings, einen Augenblick wirst du dich schon gedulden müssen, aber das Wetter ist ja so schön, es regnet ja auch nicht. Geh nur ein Weilchen hier auf und ab, sie dir die Auslagen in den Schaufenstern an und in einer Viertelstunde bin ich wieder bei dir.”

Ich bekam es mit der Angst. Gewöhnlich spricht eine Frau nur von kurzen Augenblicken, von Sekunden, allerhöchstens von Minuten. Meine Frau aber sprach von einer Viertelstunde. Da würde es sicher länger als eine halbe Stunde dauern und so fragte ich denn: „Glaubst du wirklich, daß du in einer Stunde mit deinen Besorgungen fertig sein wirst?”

Anstatt gleich zu widersprechen, wurde meine Frau nachdenklich, dann meinte sie: „Viel länger wird es auf keinen Fall dauern.” Und auf ihre Uhr sehend, die sie an einer goldenen Kette um den Arm trägt, setzte sie hinzu: „Jetzt ist es genau zwölf Uhr, spätestens, aber allerspätestens bin ich ein Viertel nach Eins fertig.”

Und weg war sie.

Ich aber fing an zu warten, denn wenn ich nicht wartete und wenn meine Frau mich nachher vor dem Geschäft nicht wieder antraf, dann fing sie an, nervös zu werden. Ob ich wollte oder nicht, ich mußte warten und ich wartete. Ich bummelte auf der Straße auf und ab und dachte an die Zeit zurück, da ich noch Soldat war, da ich auf Wache zog und meine zwei Stunden als Posten abriß. Das war stets zum Sterben langweilig gewesen, schon, weil man dabei nicht rauchen konnte. Ich aber durfte jetzt rauchen. So zündete ich mir denn eine Cigarre an und dachte darüber nach, wie gut ich es doch eigentlich im Vergleich mit all den zahllosen Musketieren und Grenadieren hätte, die um diese Zeit im ganzen deutschen Reich auf Posten ständen. Und die armen Kerls mußten volle zwei Stunden warten, bis die Ablösung kam, ich aber brauchte mich allerhöchstens nur fünf Viertelstunden zu gedulden. Aber trotzdem fiel mir immer wieder das Wort ein:

„Jemanden erwarten und ihn nicht kommen sehen,
Sich ruhelos im Bette drehen,
Nach langem Dienst nicht vorwärts rücken,
Das sind drei Dinge zum Ersticken.”

Ich wartete und wartete und sah meine Frau nicht kommen. Gewiß, die fünf Viertelstunden war noch lange nicht um, aber konnte meine Frau mit ihren Besorgungen denn nicht vielleicht zufälligerweise einmal früher fertig werden, als sie es angenommen hatte?

Und plötzlich wurde es bei mir zu einer fixen Idee, meine Frau hatte mich nur necken wollen. Die hat ja selbst zuerst nur von einer Viertelstunde gesprochen und erst, als ich sie fragte, ob es wirklich nicht länger als 1 Stunde dauern würde, hatte sie erklärt, es würde sich höchstens um fünf Viertelstunden handeln. Das war natürlich nur eine lustige Bemerkungen ihrerseits gewesen, denn eine Frau kann doch unmöglich in ein und demselben Geschäft fünf Viertelstunden Einkäufe machen.

Allerdings, wenn ein Mann zur Stadt geht, um Besorgungen zu machen, dann weiß er ganz genau, was er besorgen will. Wenn eine Frau aber Besorgungen macht, will sie sich lediglich allerlei besorgen. Worin dieses Allerlei besteht, weiß sie nicht, aber sie macht sich auch darüber weiter keine Sorgen, es wird ihr unterwegs schon einfallen und wenn es ihr nicht einfällt, dann besorgt sie es sich eben ein andermal.

Einem Mann ist es direkt peinlich und unangenehm, sich von einer geplagten Verkäuferin immer neue Sachen zur Auswahl vorlegen zu lassen, es müßte denn sein, daß die Verkäuferin sehr hübsch ist und daß er heimlich und verstohlen mit ihr über Dinge plaudern kann, die mit seinen beabsichtigten Einkauf nicht das geringste zu tun haben. Ein Mann ruft der Verkäuferin schon nach den ersten fünf Minuten zu: „Bitte, Fräulein, bemühen sie sich nicht weiter, ich werde unter den vorgelegten Sachen schon etwas finden.” Eine Frau sagt das selbst nach einer Stunde noch nicht, denn wozu sind denn die Verkäuferinnen da!?!

Ich sah meine Frau in dem Konfektionhaus allerlei Besorgungen machen und wartete. Ich wartete und wartete, denn einmal mußte sie doch wieder herauskommen. Aber so viel Leute aus dem Geschäft wieder auf die Straße tragen, meine Frau kam nicht, statt dessen sprach mich plötzlich eine uns befreundete Dame an, die eben das Geschäft verließ: „Sie warten wohl auf Ihre Frau Gemahlin? Ich habe sie eben gesprochen, sie ist noch oben.”

Kam es mir in meiner gereizten Stimmung nur so vor, oder hatte die Dame wirklich das Wort „noch” besonders betont?

Am liebsten hätte ich einen ingrimmigen Fluch von mir gegeben, statt dessen mußte ich mich für die mir gemachte Mitteilung auch noch bedanken, ja, ich mußte sogar Freude darüber heucheln, daß meine Frau noch oben war und daß ich hier nicht vergebens auf sie wartete.

Und ich wartete, ich wartete fünf Viertelstunden, ich wartete anderthalb Stunden, ich wartete zwei Stunden.

Dann aber riß mir die Geduld. Selbst die Soldaten, die im ganzen deutschen Reiche auf Posten standen, wurden jetzt abgelöst, nur ich allein sollte noch weiter warten? Das konnte kein Gott von mir verlangen.

So rief ich denn einen Dienstmann heran, der gerade des Weges kam und mich grüßte, denn da ich vorläufig noch in einer kleinen Stadt(3) lebe, bin ich dort bekannt wie ein bunter Hund. Auf der Mütze des alten Mannes stand das stolze Wort „Express”. Der sah allerdings nicht danach aus, als wenn er für Expressdienste besonders geeignet sei, wohl aber für den Auftrag, den ich ihm geben wollte, und so fragte ich ihn denn: „Können Sie warten”?

Der Mann sah mich zuerst ganz verständnislos an, dann meinte er: „Ob ich warten kann, Herr? Ich warte doch manchmal den ganzen Tag darauf, daß ich eine Bestellung bekomme.”

„Schön,” meinte ich, „einen ganzen Tag wird es nun wohl allerdings nicht mehr dauern, aber immerhin, wer kann es wissen?” Ich drückte ihm einen Taler in die Hand, dann sagte ich: „Sie kennen ja nicht nur mich, sondern auch meine Frau, sie ist mittelgroß und schlank und sie trägt heute ein bastseidenes Jackenkleid, wenn sie sich inzwischen nicht in dem Konfektionsgeschäft ein anderes kaufte und das nicht gleich angezogen hat; außerdem trägt sie einen großen englischen Strohhut. Wenigstens hatte sie den vorhin auf, als wir uns trennten, aber da man ja eine Frau nie in demselben Hut wieder antrifft, in dem man sie verließ, so ist es nicht ausgeschlossen, daß sie jetzt einen Rosenhut trägt oder einen der modernen Taffthüte.”

„Ich werde die gnädige Frau schon trotzdem wiedererkennen,” beruhigte mich der Dienstmann, „ich kenne sie ja sehr genau.”

Dann nahmen wir Abschied voneinander und ich ging direkt nach Hause, um dort meine Frau zu erwarten. Und ich hatte Glück. Was ich nie für möglich gehalten hätte, geschah dennoch, auch meine Frau kam wieder nach Haus, aber ich sah es auf den ersten Blick, sie war verstimmt und so fragte ich denn: „Aber Liebling meines Herzens, was hast du denn nur?”

„Was ich habe?” schalt meine Frau. „Ist das eine Art und Weise, einen Dienstmann auf mich warten zu lassen? Es ist doch so schönes Wetter, es regnet doch nicht und außerdem hat es mir der Dienstmann gesagt, du bist noch keine anderthalb Stunden fortgewesen, als ich mich auf der Straße nach dir umsah.”

„Noch keine anderthalb Stunden?” stöhnte ich entsetzt auf. „Höchstens fünf Viertelstunden wolltest du mich warten lassen und zwei volle Stunden hatte ich ohnehin schon gewartet.”

„Gerade deshalb,” stimmte meine Frau mir bei und mit dem Brustton tiefinnerster Überzeugung setzte sie hinzu: „Hattest du schon solange auf mich gewartet, dann hättest du die paar Minuten auch noch auf mich warten können!”


Fußnoten:

(1) Bei der Heirat mit Elisabeth Hammer geb. Flössel wurde also offensichtlich Gütertrennung vereinbart. (Zurück)

(2) Diese Plauderei wurde also wohl im Juni (1910, 1911 oder 1912) geschrieben. (Zurück)

(3) Mit dieser Bemerkung kann ja nur Weimar gemeint sein. (Zurück)


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