Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht
in: „Abendblatt”, (Chicago Ill.), vom 14.07. und 15.7.1897 und
in: „Türke und Stachelschwein“.
Man gewöhnt sich mit der Zeit an alles. Diese Einleitung ist weder neu noch geistreich, aber ich nehme sie, weil sie mir gerade einfällt.
Von einem bekannten Herrn erzählt man sich eine sehr niedliche Geschichte. Derselbe wurde von einem Fürsten in Audienz empfangen und anstatt zu warten, bis er angeredet wurde, reichte er dem Fürsten, als dieser in das Audienzzimmer trat, die Hand und sagte: „Monsieur, je suis râvi de vous voir.”
Der Herr hatte sich mit der Zeit so an den Verkehr mit gekrönten Häuptern gewöhnt, daß ihm eine Durchlaucht garnicht mehr imponierte.
Vor einiger Zeit veröffentlichte Julius Stettenheim im „Kleinen Journal” zwar einen Aufsatz gegen das Erzählen von Anekdoten, dennoch aber möchte ich eine zum Besten geben.
Der Fürst eines kleinen Duodezstaates befand sich eines Morgens in sehr schlechter Laune: ihm hatte geträumt, daß einer seiner vierundzwanzig Unterthanen, und noch dazu der Reichste, auswandern wollte. Er glaubte an Träume und fürchtete nun, daß sein Ländchen die Steuern des reichen Mannes nicht werde entbehren können, er sah seine Civilliste beschnitten und trübe lag die Zukunft vor ihm. Durchlaucht war sehr schlecht gelaunt.
Als nun aber auch noch sein alter Kammerdiener das Unglück hatte, die Mundtasse seiner Durchlaucht zu Boden fallen zu lassen, wurde Durchlaucht wütend und gab seinem Kammerdiener eine Ohrfeige.
Der aber nahm ruhig die Scherben von dem Teppich fort und sagte dabei: „Na, Durchlaucht, Ihnen will ich das heute nicht übel nehmen, denn Sie sind ja sonst ein guter Mensch — aber eins will ich Durchlaucht man im Vertrauen sagen: Jeder andere, der mich geschlagen hätte, bekäme was in die Jack.”
Was für den gewöhnlichen Sterblichen die Fürsten dieser Welt, das sind für den Soldaten die höheren Vorgesetzten.
In großen Garnisonen, wo die höheren Kommandostäbe liegen, sieht man die Excellenzen und die Generale jeden Tag: da gewöhnt man sich gar bald an ihren Anblick.
Anders aber ist es in kleinen Garnisonen: wenn da nur ein Paar rote Hosen in Sicht kommen, herrscht Heulen und Zähneklappern, und alles atmet erleichtert auf, wenn sie erst wieder fort sind, besonders wenn sie heil wieder fort sind.
Und ob sie heil wieder fortkommen oder nicht, hängt zum größten Teil von den Besichtigungspferden ab.
Ach, von denen hängt noch manches andere ab!
Zu den vielen Mitteln, die man heutzutage hat, um eine Sache wieder „wie neu” zu machen, rechnet, glaube ich, selbst der Eisenbahnminister die ihm unterstellten Staatsbahnen nicht, er selbst wird zugeben, daß die Sachen da „kein gut von haben.”
So kann man es schließlich den Exvellenzen nicht verdenken, wenn sie ihre theuren und schönen Pferde bei ihren Besichtigungsreisen hübsch zu Haus im guten Stall lassen und sich bei irgend einem Kavallerie-Regiment, das entweder am Besichtigungsort selbst oder in der Nähe desselben im Ganrison liegt, „Besichtigungspferde” bestellen.
Der Rittmeister, der den Befehl bekommt, die Besichtigungspferde zu stellen, fühlt sich dem Abschied nahe, denn ein Besichtigungspferd muß, wie es der Name besagt, zwar ein Pferd sein, darf aber keine der diesen Tieren eigentümlichen Eigenschaften besitzen. Ein Sofa mit vier Beinen ist ein wilder Hengst im Vergleich mit den Besichtigungspferden, wie sie verlangt werden.
Damit die Tiere einigermaßen den Anforderungen entsprechen, die an sie gestellt werden, müssen sie eingelernt werden.
Auf dem großen Exerzierplatz steht das Bataillon in Paradeaufstellung, oder richtiger gesagt, es soll in Paradeaufstellung aufgestellt werden.
Das ist nicht so leicht, wie es aussieht.
Der Herr Major befehligt das Ganze, aber er kann den richtigen Platz nicht finden — er kann den Fleck nicht wiederfinden, auf dem der rechte Flügelmann bei früheren Besichtigungen stand.
Endlich sagt er sich: „So, hier bleibst du stehen.”
Da ruft ein Hauptmann: „Herr Major, im vorigen Jahre standen wir weiter rechts.”
„Wissen Sie das genau?”
„Zu Befehl, Herr Major.”
„Na, dann wollen wir rechts rücken. Stillgestanden — Rechts um — Bataillon marsch!”
Nun steht das Bataillon mehr rechts.
„Herr Major,” ruft da der Hauptmann von der Zweiten, „das ist zu viel geworden — der rechte Flügelmann stand sonst hier,” und er reitet nach dem Fleck Erde, den er meint.
„Schön, dann wollen wir etwas mehr nach links rücken. Stillgestanden — Linksum — Bataillon marsch.”
Nun steht das Bataillon mehr links, aber ehe es richtig steht, vergeht noch eine halbe Stunde. Gut Ding will Weile haben.
Während das Bataillon hin und her rückt, werden vor der Front die Besichtigungspferde von Kavalleristen geritten.
Die Husaren, oder was sie nun immer sind, unterhalten sich ganz gemütlich und machen ihre Witze, während die „Sandhasen”, wie die Infanterie genannt wird, hin- und herzieht.
Die Stimmung gegen die jungen Leute ist nicht die beste, denn wer selbst arbeiten muß, ärgert sich über den, der daneben steht und zuschaut.
Endlich steht das Ba taillon und der Herr Major kommandiert: „Achtung — präsentiert das Gewehr!”
Die Trommler schlagen und die Musik spielt den Präsentiermarsch.
Gott sei Dank, denkt jeder, nun ist der Zauber gleich vorbei, wenn wir erst mal so weit sind.
Aber weiter kommt er nicht mit dem kühnen Flug seiner Gedanken, denn der eine Besichtigungsgaul hat plötzlich einen Vogel bekommen, er steigt, schlägt vorne und hinten aus und ein jeder sagt sich: wenn auf dem Schinder eine Excellenz säße, würde der Anblick gerade nicht exzellent sein.
Der Herr Gefreite kann aber reiten, er läßt dem Gaul die Thorheiten nicht durchgehen, sondern haut ihm die Kommißsporen in die Seiten.
Er giebt vor der Front eine Vorstellung: während der aber steht das ganze Bataillon unter präsentiertem Gewehr, die Trommler schlagen, die Musik spielt, der Herr Major hält am rechten Flügel und hat salutiert, der Adjutant hält die rechte Hand am Helm — Alles wartet auf den Herrn Gefreiten, der Se. Excellenz den kommandierenden Herrn General markiert.
Die anderen Pferde sind verständig, aber der „Corpsgaul”, wie er auch genannt wird, weil der Corpskommandeur ihn reiten will, geht immer noch mit den Füßen in der Luft, anstatt auf der Erde.
Die Trommler können kaum mehr schlagen, die Musik wünscht, daß sie, wie die Radfahrer, eine Luftpumpe bei sich hätten, um sich neu auffüllen zu können, der Major salutiert noch immer, der Adjutant kann kaum noch den rechten Arm hoch halten, das ganze Bataillon fängt an, dicke Kniee zu bekommen, die Gewehre wackeln hin und her, weil kein Mensch mehr stille stehen kann, und die Lieutenants rufen dem Gefreiten zu: „Verdammter Bengel, scheer dich mit deinem alten Schinder an den rechten Flügel.”
Der Gefreite giebt dem Gaul nochmals ordentlich die Sporen — und nun rast der Schinder Gott weiß wohin, nur nicht nach dem rechten Flügel.
Gute Nacht, Emma.
Der Herr Major läßt Gewehr abnehmen und rühren; kaum hat man die Kniee etwas gelockert, als der Gefreite den Gaul wieder in der Hand hat und lustig angeritten kommt.
„Stillgestanden — das Gewehr über — Achtung, präsentiert das Gewehr!”
Dieses Mal kommt der Vertreter Seiner Excellenz an den rechten Flügel und langsam und bedächtig reitet er die Front hinunter.
Der Bengel macht ein Gesicht, als wenn er thatsächlich Excellenz wäre.
„Sollen wir es lieber auch noch einmal machen?” fragt der Herr Major den Gefreiten; der aber winkt gnädig ab: „Es wird schon gehen — für heute glaube ich, ist es genug — vielleicht könnte die Musik noch etwas spielen.”
„Gewiß ja,” bestätigt der Herr Major, und der Herr Gefreite und die anderen Husarenjacken lassen sich einen Marsch nach dem anderen von der ganzen Regimentsmusik „unter persönlicher Leitung des Dirigenten” vorspielen und amüsieren sich dabei herrlich.
Was man den Kaffern schließlich ja auch nicht verdenken kann!
Den Besichtigungspferden zu Ehren wird sogar der große Schellenbaum mit nach dem Exerzierplatz hinausgetragen, damit die Gäule sich an den Anblick gewöhnen; solch Schellenbaum hat ein mordsmäßiges Gewicht, und mit dem Ding fünf Stunden in der Welt herumzuwandern, ist eine Arbeit, die gewaltigen Schweiß kostet.
Unterdeß kämpft das Batailon im tiefen Sande und stürmt eine Hecke, von der man annimmt, daß sie von dem bösen Feind besetzt ist.
In Wirklichkeit ist natürlich kein Feind da.
Aber das schadet ja auch nichts — im Gegenteil, es ist viel besser so, da wird man auch nicht totgeschossen, denn sich tot schießen zu lassen, ist nicht jedermanns Sache.
Besser also ist es so, wie es ist — noch besser wäre es aber, wenn die Hecke nicht da wäre, dann hätte mna nicht nötig, sie zu stürmen.
Nun haben sie sie aber, und mit lautem Hurrah werfen sie sich auf den Feind.
Da kommt unter Führung des Herrn Gefreiten die Schar der Besichtigungspferde; immer streng nach der Anciennität. Zuerst das Pferd des kommandierenden Herrn Generals, dann der Schinder des Herrn Divisionärs, darauf der Brigadier und im Abstand dahinter die Adjutantengäule.
„Hurra,” schreien die Kerls, als die Kavalkade ihnen entgegenkommt, aber das hätten sie nur lieber sein lassen sollen, zumal einige „Bambusen” mit den Gewehren in der Luft herumfuchteln — die Besichtigungspferde machen auf der Hinterhand kehrt und gehen dahin, woher sie gekomen sind.
„Schreib'auch mal,” ruft ein Infanterist hohnlachend den Husaren nach, und ein Zweiter setzt hinzu: „Wenn möglich, frankiert.”
Aber die Strafe für diesen Uebermut folgt auf dem Fuße. Es wird entschieden, daß der Angriff abgeschlagen ist.
„Von wem denn?” fragt sich ein jeder verwundert.
Aber bei dem Militär etwas zu fragen, ist Unsinn, eine Antwort bekommt man doch nicht. Der Angriff ist abgeschlagen, weil er abgeschlagen ist.
Er muß noch einmal gemacht werden.
Warum? Wegen der Besichtigungspferde, die müssen sich an das Hurra gewöhnen, und es muß ihnen so lange vorgerufen werden, bis sie schließlich selbst mit in den Ruf einstimmen.
Endlich rückt der Herr Major mit seinen „Trupfen” vom Exerzierplatz nach Haus — die Besichtigungspferde neben der Musik voran.
Der Herr Major reitet mit seinen Hauptleuten zusammen und erzählt ihnen allerlei schöne Geschichten, plötzlich sagt er: „Meine Herren, ehe ich es vergesse, morgen früh exerziere ich im Bataillon.”
„Morgen schon wieder?” fragt ein Hauptmann entsetzt.
„Jawohl, morgen schon wieder, Sie haben ja selbst gesehen, oder hätten es wenigstens sehen können, daß die Besichtigungspferde absolut noch nicht stehen, ich habe mit dem Gefreiten, der übrigens ein sehr verständiger Mench zu sein scheint, gesprochen — er sagte, viermal müßten wir noch vor der Besichtigung exerzieren.”
„Um Gottes Willen,” stöhnt der eine, und der andere meint: „Herr Major, könnten denn nicht jeden Tag einfach von jeder Kompagnie ein paar Leute zur Ausbildung der Gäule kommandiert werden? Die können ja den Pferden so viel vorschreien, vorlaufen und vorschießen wie nur irgend möglich. Muß denn wegen dieser alten Gäule das ganze Bataillon mobil gemacht werden?”
„So'n Unfug habe ich noch nie erlebt.” setzt er in Gedanken hinzu, aber auch nur in Gedanken.
Seine Worte sind vergebens: am nächsten Morgen rückt das ganze Bataillon wieder zum Exerzieren, die Musik voran.
Und unter dem Schellenbaum keucht ein braver Musketier zu Ehren der Besichtigungspferde.
Und endlich ist der große Tag da.
Der Rittmeister, zu dessen Schwadron die Pferde gehören, gleicht an diesem Tage mehr einem Toten als einem Lebendigen und zu jedem Wanderer, der ihm begegnet, sagt er: „Drücken Sie beide Daumen für mich.”
„Aber ich habe doch nur einen,” sagte der eine, „bei Gravelotte —”
„Ach so richtig,” unterbricht ihn der Rittmeister, „jetzt sehe ich erst, nun, das schadet nichts — dann drücken Sie die beiden großen Zehen, aber energisch, hier haben Sie 'nen Thaler.”
Und auf den Fußspitzen, einen Spitzentanz ausführend und die Zehen energisch drückend, geht der Invalide weiter.
„Wie mag es nur auf dem Besichtigungsplatz aussehen,” denkt der Rittmeister, „es ist ein wahres Glück, daß ich nicht da bin.” Da hat er so Unrecht nicht.
Die hohen Vorgesetzten nebst ihren Adjutanten kommen mit der Eisenbahn angefahren: ihnen zu Ehren hält der Zug auf offener Strecke bei einem Wärterhäuschen. Hierher sind auch die Pferde bestellt, ein guter Galoppweg führt sie in wenigen Minuten nach dem Exerzierplatz, auf dem die Truppen stehen.
Der Herr Major hat, als der Schnellzug in Sicht kam, schon präsentieren lassen, und die Musik spielte bereits den Präsentiermarsch, als der Zug noch gar nicht hielt.
Nun steht das ganze Bataillon und wartet auf die Excellenzen, die jeden Augenblick kommen müssen.
Sie müssen kommen, aber sie kommen nicht. Woran liegt das nur?
An dem Bhnwärterhäuschen haben sich die Husaren mit ihren Pferden bei den hohen Vorgesetzten zur Stelle gemeldet.
„Ist das auch dasselbe Pferd, das ich im vorigen Jahr ritt? Der Gaul sieht mir anders aus,” sagt der kommandierende Herr General.
„Zu Befehl, Euer Excellenz,” bestätigt der Herr Gefreite, dem Rappen die Zügel um den Hals legend, „im vorigen Jahr ritten Euer Excellenz einen Schimmel.”
„Richtig, richtig,” pflichtet Excellenz bei, „daher kam mir dieses Tier auch so fremd vor. Aber warum hat mir der Herr Rittmeister denn nicht dasselbe Pferd wiedergeschickt?” Er wendet sich an seinen Adjutanten: „Bitte, notieren sich den Fall — ich wünsche darüber Meldung.”
„Zu Befehl, Euer Excellenz.”
„Der Schimmel ist eingegangen, er hat sich bei dem Nehmen der Hindernisbahn vor ungefähr acht Tagen das Genick gebrochen.”
„Unerhört,” tadelt Se. Excellenz.
Excellenz hat recht, ungnädig zu sein, der alte Schimmel hätte auch ruhig noch acht Tage warten können, ehe er für immer von der Hindernißbahn Abschied nahm.
Excellenz schwingt sich in den Sattel.
„Die Bügel sind viel zu lang,” tadelt er; „schnallen Sie die Dinger drei Löcher kürzer.”
Excellenz nimmt den linken Fuß aus dem Bügel und kommt dabei mit dem linken Sporen dem Gaul in die Weichen; das Roß quickt und schlägt hinten aus, und Excellenz macht eine Verbeugung.
„Das scheint ja eine angenehme Bekanntschaft zu sein,” wettert die Excellenz, „von welcher Schwadron ist denn dieser Racker?”
„Von der ersten Schwadron, Euer Excellenz.”
„Bitte, notieren das mal, mein Lieber,” wendet er sich wieder an den Adjutanten; da keilt der Gaul, dem nun auch der zweite Sporen in die Seite kommt, zum zweitenmal aus.
„Das scheint ja wirklich ein allerliebstes Tier zu sein — wer hat doch die erste Schwadron?”
„Rittmeister v. Bedauerlich, Ew. Excellenz.”
Der Name klingt vielverheißend.
„Bitte, notieren Sie sich den Namen doch.”
„Zu Befehl, Euer Excellenz.”
Armer Herr Rittmeister.
Endlich sitzt Excellenz im Sattel.
„Nun, sind wir so weit?” fragt er.
„Einen Augenblick noch, Euer Excellenz.”
„Bitte sehr.”
Excellenz sieht sich um und bemerkt, wie der Herr Brigade-Kommandeur vergebens versucht, in den Sattel zu kommen. Das liegt aber lediglich daran, daß der Herr General mit der linken Hand derartig die Zügel zurückreißt, daß der Gaul vor Schmerz zurücktritt.
„Von welcher Schwadron ist denn der Schinder?”
„Erste Schwadron, Euer Excellenz.”
„Ach bitte, merken Sie sich das, mein Lieber, mit dem Herrn Rittmeister wollen wir doch einmal ein Wort sprechen. Läßt der Gaul sonst auch nicht aufsitzen?”
Der Husar ist in Verlegenheit, was er antworten soll. Sagt er der Wahrheit gemäß „ja”, so giebt er dem General damit die Schuld, und das würde dieser sehr übel nehmen.
Lügt er und sagt er dem General zu Gefallen „nein”, so legt er seinen Rittmeister noch tiefer hinein, als er so wie so schon liegt.
So sagt er denn: „Ich weiß es nicht, Ew. Excellenz.”
Der kommandierende Herr General braust auf: „Das ist ja geradezu unerhört, da schickt der Rittmeister auch noch Leute, die nicht einmal die Pferde kennen. Das ist unerhört. Bitte, mein Lieber, notieren Sie sich das, ich lasse den Herrn Rittmeister um einen eingehenden Bericht ersuchen.”
„Zu Befehl, Euer Excellenz.”
Nun sitzt der Brigadier auch: der Husar hat dem Herrn General einfach die Zügel aus der Hand genommen und hat ihm hinaufgeholfen.
„Nun, sind wir jetzt so weit?” fragt der Kommandierende.
„Ich glaube ja,” bestätigt der Herr Divisionär.
„Nun, denn los, meine Herren. Die Husaren warten hier auf unsere Rückkunft. Wenn ich bitten darf, meine Herren?”
Und Se. Excellenz setzt seinen Gaul und damit auch sich in Bewegung, die anderen folgen zunächst im Schritt.
Unterdes steht das Batailon in der Paradeaufstellung und wartet.
„Wo Excellenz nur bleiben mag?” fragt der Herr Major seinen Adjutanten, „sie müßten doch schon lange hier sein.”
„Vielleicht haben die hohen Herren den Zug verpaßt und sind gar nicht mitgekommen.”
„Das möchten Sie wohl, was?” fragt der Herr Major.
Und der Adjutant fragt: „Würden der Herr Major darüber untröstlich sein?”
Das ist eine Gewissensfrage, auf die der Herr Major die Antwort schuldig bleibt.
„Wenn sie nur endlich kommen möchten?” stöhnt er, und mit ihm stöhnt das ganze Bataillon.
„Können wir nicht einen Augenblick Gewehr abnehmen lassen und rühren?” fragt da ein Hauptmann, „mir ist soeben schon ein Mann ungefallen.”
„So lassen Sie ihn wieder aufstehen,” lautet der Bescheid, „gerührt wird nicht — jetzt nicht — Excellenz kann jeden Augenblick kommen.”
Und Excellenz kommt.
Im Schritt und dann im leichten Trab sind die hohen Herren bis auf etwa sechshundert Meter herangekommen — da setzt Excellenz seinen Rappen in Galopp und sprengt auf den rechten Flügel des Bataillons los.
Die Anderen hinterher: sie sollen in der Entfernung abbleiben, die der Reitknecht inne hält, wenn er mit seinem Herrn zusammen ausreitet.
Plötzlich aber legt der Gaul des Herrn Divisionskommandeurs die Ohren an und jagt nach vorn: direkt auf die Musik los.
Der Kommandierende ist rasend, der Herr Divisionskommandeur ist wütend — aber was hilft das alles!
Helfen thut es gar nichts, wohl aber schadet es, und den Schaden hat der arme Herr Major zu tragen, der sein Bataillon vorstellen soll.
Schon bei der ersten Aufstellung knurrt Excellenz etwas von: „Mäßig — könnte besser sein — haben Zeit genug gehabt, sich aufzustellen — haben lange genug auf uns warten lassen — mäßig — sehr mäßig — habe Besseres erwartet.”
Und sie Sonne der Ungnade leuchtet um so mehr, je länger die hohen Herren auf dem Gaul sitzen und sich mit ihnen herumzanken.
Ganz schlimm wird es aber, als das Feuergefecht beginnt — aus lauter Sparsamkeit, um für die Besichtigung möglichst viel Platzpatronen zu haben und um Sr. Excellenz ordentlich etwas vorknallen zu können, hat der Herr Major bisher nur wenig schießen lassen. — Nun aber geht das Geknalle los.
Der Gaul Sr. Excellenz spitzt die Ohren und dreht sich dann plötzlich im Kreise. Sein Reiter beginnt seekrank zu werden, krampfhaft hält er sich am Sattelknopf, die Füße kommen aus dem Bügel.
„So lassen Sie doch stopfen,” ruft Excellenz einem Lieutenant zu, der vor ihm in der Schützenlinie liegt.
„Zu Befehl, Euer Excellenz,” und so laut er kann, ruft er „Stopfen” d. h. auf deutsch: „Aufhören zu feuern.”
Das hört aber keiner, denn die Unteroffiziere und Offiziere, die neben ihren Leuten liegen, rufen diesen zu: „Kerls, wollt ihr wohl schießen, lebhafter, immer stärker, was die Flinte nur halten will; wenn sie auseinandergeht, giebt es eine neue.”
Und das Excellenzenpferd dreht sich wie ein Brummkrisel.
„Haben Sie denn keine Schützenpfeife?”
Armer Lieutenant, warum mußtest du die auch gerade heute morgen vergessen?
Denn daß du sie verloren hast, glaubt dir kein Mensch.
„Nun, wird's bald?” donnert Excellenz.
„Worauf soll der Mensch pfeifen, wenn er keine Pfeife hat,” denkt der Lieutenant.
Da giebt ihm der Himmel einen klugen Gedanken ein: er greift in die Tasche und holt den Hausthürschlüssel heraus.
Und auf diesem pfeift er ein gar lieblich Lied.
Gleich darauf kommen alle Schützenpfeifen in Thätigkeit.
Zu spät, zu spät — Excellenz hat sich von seinem Pferde getrennt, aber er ist, wie er hinterher bei der Kritik sagt, „um sich die jammervolle Feuerleitung in nächster Nähe anzusehen, abgestiegen.”
Er hat sich sogar die Mühe gemacht, sich trotz seines Alters unmittelbar hinter die Schützenlinie „hinzulegen”.
Ganz einfach — weil der Gaul ihn abwarf. Nein, so spricht nur die böse Welt. Se. Excellenz sagt: „Meine Herren, ich that es, um mich durch persönlichen Augenschein davon zu überzeugen, ob die Leute auch wirklich alle Schußfeld hatten. Und da kann ich nur sagen, meine Herren, was ich gesehen habe, hat mir in keiner Weise imponiert. Meine Herren, ich kann Ihnen nicht dringend genug raten, meinem Beispiel zu folgen, und sich zuweilen in die Schützenlinie hineinzulegen; bequem ist es ja für manchen Herrn nicht, denn man muß ja zu diesem Zweck absteigen.”
Es ist doch zu schön, wenn die Vorgesetzten für alles, was sie thun, eine passende Erklärung haben.
Auf dem Scheibenstand ärgerte sich einmal ein Hauptmann über einen Schlumpschützen, der immer vorbeischoß.
Um dem Mann zu zeigen, was eine Harke ist, nahm der Kapitän das Gewehr zur Hand, legte an und schoß glänzend vorbei. Das war für den Hauptmann unangenehm, aber er ließ sich nicht aus der Fassung bringen, sondern er sagte stolz zu dem Man: „Sehen Sie, so schießen Sie.”
Dann schoß er noch einmal, und die Leute in der Anzeigerdeckung, die durch die Spiegelvorrichtung den Hauptmann erkannt hatten, zeigten, obgleich der Schuß vorbei war, eine Zwölf an, das Beste, was es giebt.
Da wandte sich der Hauptmann stolz um: „Und so schießt Ihr Hauptmann.” —
Man muß nur immer eine Erklärung bei der Hand haben.
Se. Excellenz hat die Kritik beendet, und sich wieder in den Sattel geschwungen. er wendet sich an seine Begleiter: „Meine Herren, es wird Zeit für uns, unser Zug wird bald kommen,” und, gefolgt von seiner Suite, sprengt er von dannen.
Alle atmen auf, als sie von den Besichtigungspferden herunter sind.
Wenige Wochen später hat der Herr Major seinen Abschied und der Herr Rittmeister ist zum Train versetzt.
„Trainkutscher” zu werden hat aber der Herr Rittmeister keine Lust — so reicht auch er den Abschied ein, und da er infolge seiner geringen Pension auf einen Nebenverdienst angewiesen ist, etabliert er in der Friedrichstraße einen fliegenden Wursthandel.
Und der erste Gaul, den er seinen Nachtkunden warm ans Herz und in die Hand legt, ist der Rappe, der Besichtigungsgaul, den Seine Excellenz ritt — ein Gaul, fromm und faul, wie der alte Mops einer sechzigjährigen Jungfrau, ein Gaul, der nur einen einzigen Fehler besaß: nämlich den, sich von seinem Vorgesetzten nicht alles gefallen zu lassen.
Das ist allerdings aber auch der größte Fehler, den man beim Kommiß haben kann.
So brodelt er denn nun in dem Wurstkessel: requiescat in pace.