Von Freiherrn von Schlicht.
in: Der höfliche Meldereiter und
in: Das Kasernengespenst.
Ich rate jedem, der nicht weiß, was eine schlaflose Nacht ist, als Zivilist seinen Abschied zu nehmen und sich am Tag vor einer Besichtigung als Untergebener in der Armee einstellen zu lassen.
Das Wort Untergebener darf niemanden stören, denn Untergeben sind sie da alle, vom letzten Musketier bis hinauf zu dem Herrn Oberst inkl. Und schlafen tut keiner. Der Musketier wälzt sich auf seinem Strohsack und der Offizier auf seiner Sprungfedermatratze, aber das negative Resultat ist für alles dasselbe. Anstatt zu schlafen, denken sie darüber nach, wie die Besichtigung wohl verlaufen wird; und wenn sie endlich gegen Morgen für einen Augenblick in einen unruhigen Schlummer verfallen, dann tun sie es totsicher in demselben Augenblick, in dem der Hornist der Wache das Signalhorn an die Lippen setzt und die Reveille mit dem schönen Text bläst: „Habt ihr noch nicht lang genug geschlafen?”
Das ist die reine Ironie, aber für Ironie hat man beim Militär kein Verständis.
Der Spielmann geht, beständig blasend, um die ganze Kaserne herum, damit das Signal auch in der einsamsten und verschwiegensten Ecke vernommen wird. Die Redensart: „Ich habe nicht gehört, daß ich geweckt wurde,” gibt es in der Kaserne nicht. Die Kerls müssen es ganz einfach hören, und wenn einer absichtlich das Signal überhört — einen Weckruf hört er sicher: Das ist der gotteslästerliche Fluch, mit dem der Unteroffizier vom Dienst jeden Kerl aus dem Bett herausholt.
Um acht Uhr werden die hohen Vorgesetzten auf dem großen Exerzierplatz erscheinen, da muß das Regiment schon um halb acht draußen sein und sich dann bereits von dem Anmarsch ausgeruht haben. Die Truppe wird also kurz nach sieben an Ort und Stelle sein. Da gilt es bereits gegen sechs Uhr abzumarschieren. Damit man das aber kann, müssen die Leute schon um halb sechs fix und fertig angezogen sein. Das Anziehen an den Besichtigungstagen dauert aber ungefähr eine Stunde, folglich müssen die Leute bereits um halb fünf damit beginnen, und vorher heißt es noch die Stuben in Ordnung bringen und Kaffee trinken, damit sich nicht etwa einer in dem guten Anzug an den Tisch setzt, sich vielleicht einen Butterfleck auf die roten Aufschläge macht, oder sich eine Schale Kaffee über die Hosen dritter Garnitur gießt. Das gibt es nicht.
Um vier Uhr müssen die Kerls also wenigstens raus aus den Federn, die aus einer wollenen Decke und aus einem Strohsack bestehen.
Die Herren Offiziere erheben sich etwas später von ihrem Lager, aber auch viel früher als sonst, denn sie müssen damit rechnen, daß die Burschen heute eintreten. Die müssen pünktlich in der Kaserne sein, und da ein Leutnant, verwöhnt wie er ist, sich nicht alleine anziehen kann, muß er mit dem Anziehen fertig sein, bevor sein Bursche damit beginnt. Und dann sitzt er in seiner ganzen Schönheit, mit den hohen Lackstiefeln an den Paradebeinen, mit dem Helm auf dem Kopf und der Leibbinde um den Bauch in seiner Wohnung und wartet auf den Augenblick, da es für ihn Zeit wird, zur Kaserne zu gehen.
Dort mustert er dann zunächst den Anzug seiner Leute, bis der Herr Hauptmann erscheint und auch seinen nachsieht. Wie ein kleines Kind, das ausgehen soll, erst vorher von der Mutter daraufhin untersucht wird, ob es auch sauber ist, so wird auch ein erwachsener Leutnant daraufhin nachgesehen, ob er ordentlich und sauber ist.
Das ganze Militär ist zuweilen weiter nichts, als eine große Kleinkinderbewahranstalt. Nur, daß es den Erwachsenen, so weit sie außer der vorschriftsmäßigen Figur auch noch einen unvorschriftsmäßigen Verstand besitzen, oft sehr schwer wird, sich wie ein Kind behandeln zu lassen.
Es gibt Naturen, die sich dagegen auflehnen und sich eine solche Bevormundung nicht gefallen lassen wollen. Dann werden sie entweder wie kleine Kinder eingesperrt oder bekommen Stubenarrest, oder man jagt sie aus der Schule fort und gibt ihnen den Abschied.
Endlich ist der ganze Anzug nachgesehen, das Regiment tritt an und trifft pünktlich auf die befohlene Minute auf dem Exerzierplatz ein, wo der Kommandeur bereits seine Leute erwartet. Er begrüßt jedes Bataillon mit einem sehr freundlichen „Guten Morgen”, denn wenn es heute sehr schlecht geht, kann die Sache unter Umständen auch ihm den Kragen kosten. Seine militärische Zukunft ruht in den krummen Knochen und in den dummen Schädeln seiner Kerls, da muß er sich durch einen freundlichen Gruß bei ihnen lieb Kind machen, damit sie gerne und freudig das letzte für ihn hergeben, was sie in ihren Gliedern drin haben.
Das Regiment baut sich in der Paradeaufstellung auf, denn Se. Exzellenz wird heute das ganze Regiment in der Parade besichtigen. Im Anschluß daran dürfen zwei Bataillone zur Kaserne zurückkehren, eins bleibt zur weiteren Besichtigung draußen, die anderen kommen morgen und übermorgen an die Reihe.
Am rechten Flügel des Regiments steht die Musik. Der Mann der ersten Kompagnie schwitzt auch heute unter der Last des großen Schellenbaumes, aber kein Mensch hat Mitleid mit ihm. Warum hat er sich das Schwitzen nicht abgewöhnt? Man hat ihm doch wahrlich Gelegenheit genug dazu gegeben.
Der Adjutant sieht den Anzug der Musiker und den des Herrn Kapellmeisters nach. Die Leute haben schon die Fahnenkompagnie hierher hinausgeblasen, da ist es doch möglich, daß die Macht der Töne einen Helm oder ein Seitengewehr verschoben hat. Und wozu haben die Musikanten ihren Bauch, wenn das Koppelschloß ihn nicht ganz genau in der Mitte zusammenhält?
Der Herr Oberst hält im rechten Flügel seines Regiments und mustert die Richtung der zwölf Kompagnien. Die soll eine schnurgerade Linie sein, und nun ist doch wieder ein Bogen da. Der Oberst könnte den Erfinder der Bogenlinie ermorden, aber da der schon lange tot ist, wird er denen grob, die er zur Hand, besser gesagt, vor dem Mund hat. Er flucht auf die Stabsoffiziere, auf die Hauptleute und Leutnants, auf die Unteroffiziere und Mannschaften. Und wenn die Stabsoffiziere ihren Anschnauzer weg haben, dann fluchen sie auf die Hauptleute und Leutnants, auf die Unteroffiziere und Mannschaften. Und wenn die Hauptleute ihren Anschnauzer fort haben, dann fluchen sie auf die Leutnants, auf die Unteroffiziere und auf die Mannschaften.
Und so fluchen sie weiter, immer einer auf den anderen, bis plötzlich am Horizont eine Staubwolke die Ankunft der hohen Vorgesetzten anzeigt.
Es geht los.
Vom Oberst hinunter bis zum krümmsten Kerl faltet im Geiste jeder noch einmal die Hände und schickt ein kurzes, aber flehentliches Gebet zum Himmel empor.
Dann erfolgen die Kommandos. Das Gewehr wird präsentiert, die Musik spielt den Präsentiermarsch, der Mann mit dem großen Schellenbaum vergießt zur Feier des großen Augenblicks die besten Schweißtropfen, die er noch auf Lager hat, und die in siegreichen Feldzügen von feindlichen Kugeln durchbohrten Fahnen senken sich vor den herankommenden Exzellenzen.
Den hohen Herren sind von einem in der Nähe garnisonierenden Husarenregiment „Besichtigungspferde” gestellt worden. Der Rittmeister der betreffenden Schwadron hat schon aus Gründen der Selbsterhaltung nur solche Pferde geschickt, die nach seiner gewissenhaften Überzeugung gar keine Pferde, sondern alte Kühe sind. Aber trotzdem liegt er jetzt zu Hause auf den Knien und fleht zu Himmel, daß keiner der hohen Vorgesetzten vom Gaul fallen möge, denn wenn einer herunterfällt, liegt es natürlich einzig und allein an den Pferden.
Und die Vorgesetzten, die so viele Untergebene zu Fall bringen, nehmen es auf den Tod übel, wenn sie von einem Untergebenen zu Fall gebracht werden.
Die Besichtigungspferde nähern sich mit ihren Reitern in einem langsamen, würdevollen Galopp. Es dauert lange, bis sie am rechten Flügel des Regiments ankommen, so lange, daß die Kerls schon die Gewehre nicht mehr still halten können. Einige Mündungen schwanken hin und her, wie die Ähren eines Kornfeldes, wenn der Wind über sie hinwegstreicht.
Exzellenz wirft den schwankenden Gewehren einen mißbilligenden Blick zu, aber es hilft nichts.
Unterdessen hält der Oberst unbeweglich, wie aus Erz gegossen, vor der Mitte des Regiments auf seinem Rappen und wartet auf den Augenblick, da der kommandierende General ihn zu sich heranrufen wird. Er erwartet den Augenblick schon deshalb voller Ungeduld, weil sein Rappe heute nicht so stille steht, wie sonst. Und das hat seinen guten Grund. Bei der letzten Besichtigung war der Sattel etwas zu lose und um ein Haar wäre er ins Rutschen gekommen. Deshalb hat der Kommandeur seinem Burschen befohlen, heute die Gurte so stramm wie nur möglich anzuziehen, denn wenn er in den Sand flöge, flöge der Bursche in den Kasten und würde abgelöst.
Der Bursche hat sich und seinem Herrn gelobt, die Gurte fest anzuziehen, und hat bereits gestern abend damit angefangen. Als der Oberst zu Bett ging, hat er dem Rappen schon den Sattel aufgelegt. er hat die Nacht im Stall geschlafen und von Zeit zu Zeit ist er aufgestanden und hat die Gurte fester und fester gezogen, jedesmal um ein Loch, wenn es irgend ging, sogar um zwei.
Der Rappe hat vorne und hinten ausgekeilt, aber das half ihm alles nichts.
Der Bursche hat den Rappen beinahe auf Taille geschnürt.
Und das quält den Gaul jetzt, er kann nicht ordenlich Luft holen, und die Gurte schneiden ihm in die Seiten.
Die Fähigkeit, in Ohmacht zu fallen, ist ihm nicht gegeben, so sucht er sich denn dadurch zu helfen, daß er von Zeit zu Zeit etwas Luft einzieht und sie dann möglichst stark ausatmet. Die Gurte sind ja schließlich nicht aus Eisen, vielleicht geben sie mit der Zeit doch noch etwas nach.
Aber wenn der Bursche heute mittag im Stall in seine Nähe kommt, dann kriegt er einen Fußtritt und zwar einen festen, möglichst in dem Augenblick, in dem er sich bückt und seine Kehrseite herausstreckt. Das nimmt der Rappe sich fest vor; und da er ein Gaul von Charakter ist, wird er auch ausführen, was er sich gelobt.
Exzellenz mustert immer noch die Richtung. Die ist gut, aber die Gewehre stehen immer noch nicht. So ruft er denn jetzt dem Oberst zu: „Die Gewehrhaltung könnte viel besser sein.”
Der Kommandeur nimmt den Tadel schweigend hin — ist er verdient, dann nützt kein Widerspruch etwas, und ist er nicht verdient, dann lohnt es sich erst recht nicht, etwas dagegen zu sagen. Das hält nur das Geschäft auf.
Der Oberst schweigt, aber nicht der Rappe. Der hat, um sich das Dasein zu erleichtern, die Luft eben zu stark eingeatmet, sein Leib hat sich dabei geweitet, und die Gurte haben ihm durch die Haare hindurch in das nackte Fleich geschnitten.
„Verflucht noch mal,” denkt er und unwillkürlich gibt er einen Klagelaut von sich. Er gilt wirklich nur seinen Schmerzen, aber die Menschen, die ja nichts von seinen Leiden ahnen, glauben, sein schwerer Seufzer gälte der Kritik Sr. Exzellenz.
Und nun stöhnt der Rappe zum zweiten Male. Die Kerls hören es, sie fangen allen Gesetzen der Dusziplin und Subordination zum Trotz an zu kichern, und die Gewehre wackeln immer mehr.
„Verdammtes Luder!” ruft der Oberst halblaut seinem Gaul zu, „das will ich dir gedenken. Heute abend kommst du mir noch zum Schinder, und wenn du morgen zu frischer Zervelatwurst verarbeitet bist, kannst du über dein Benehmen von heute nachdenken.”
„Miserabel!” ruft Exzellenz; und der Rappe, der vernommen hat, daß er geschlachtet werden soll, schreit vor Schmerz laut auf.
Pferde schreien bekanntlich sehr selten vor Schmerz, aber wenn sie es tun, dann geht es jedem, der ein Herz in der Brust hat, durch Mark und Bein.
Exzellenz wird aufmerksam: „Was hat Ihr Pferd denn nur? Es muß schlecht gesattelt sein, lassen Sie doch einmal sehen.”
Er will seinen Pferdeverstand zeigen, er reitet selbst zu dem Herrn Oberst hin, die anderen folgen; und als man dem Rappen den Sattel abnimmt, sieht man die blutigen Striemen, die die Gurte verursacht haben.
Und unterdessen steht das Regiment immer noch unter präsentiertem Gewehr. Die Musik bläst ihre letzte Spucke in die Instrument hinein, der Mann mit dem Schellenbaum vergießt einen Schweißtropfen nach dem anderen, und vergebens fragt er sich, woher er den nächsten Schweißtropfen nehmen soll, wenn er erst den letzten vergossen hat. Die Kerls aber stehen sich die Beine in den Leib hinein.
Das Regiment ist vergessen, der Rappe ist der Held des Tages. Der Kommandierende ist glücklich, daß er seinen Pferdeverstand hat leuchten lassen können, der Oberst ist glücklich, daß sein Rappe die Aufmerksamkeit von der schlechten Gewehrhaltung abgelenkt hat, und der Rappe ist natürlich sm glücklichsten von allen. Er weiß, der Roßschlächter wird jetzt noch lange auf ihn warten können, und wenn er Glück hat, wird er eines natürlichen Todes sterben, bevor er in die Wurstmaschine kommt. Was nach seinem Tode mit ihm passiert, ist ihm gleich.
Endlich ist der Rappe wieder gesattelt, und die Truppe erhält den Befehl, sich zum Parademarsch zu formieren.
Den Kerlsd sind die Beine ganz steif, sie freuen sich, ihre Knochen wieder strecken zu können. Aber um das Blut wieder in Wallung zu bringen, strecken sie die Beine zu schnell, sie halten das Tempo nicht, und der erste Zug kommt wirklich ohne Tritt vorbei.
„Aber, aber!” sagt der kommandierende General.
„O, o!” sagt der Divisionskommandeur.
Der Herr General aber, der beweisen will, daß er den beiden Vorgesetzten in gleicher Weise zustimmt, sagt: „Aber, o!”
Auch der zweite Zug ist schlecht.
„O, o!” sagt der kommandierende General.
„Aber, aber!” sagt der Divisionskommandeur.
Der Herr General aber, der beweisen will, daß er den beiden Vorgesetzten in gleicher Weise zustimmt, sagt: „O, aber!”
Der Herr Oberst aber sagt beide Male gar nichts, ihm fällt bei dem Parademarsch das Herz in den Hosenboden.
Der dritte Zug hat inzwischen Zeit gehabt, seine Beine geschmeidig zu machen, und kommt jetzt im strammen Tritt vorüber.
„Gut!” lobt der kommandierende General.
„Gut!” lobt der Divisionskommandeur.
Der General aber ist ein netter Mann, der sich wirklich darüber freut, daß die Sache nun endlich klappt, und so ruft er denn jetzt: „Sehr gut!”
Der kommandierende General wendet sich nach ihm um: „Ich habe nur gut gesagt, Herr General.”
Der General bekommt einen dunkelroten Kopf und stottert einige Worte der Entschuldigung.
Auch der vierte Zug erntet das Prädikat: „Gut!”
Aber der fünfte! „Aber — aber — aber!”
„Aber, Herr Oberst!”
„Aber, Herr Oberst!”
„Aber, Herr Oberst!”
Der Kommandierende ruft es zuerst, der Divisionskommandeur zu zweit, der Herr General zuletzt.
Alle drei sind starr: Im fünften Zug sieht ein Mann nicht nach rechts.
„Ein wahres Glück, daß wir nicht vor einem Kriege stehen, wir könnten den Feldzug ja nicht gewinnen.”
Der Oberst aber sagt gar nichts, sein Herz dagegen fällt aus dem Hosenboden durch den Sattel hindurch in den Pferdeleib und von dort in Gestalt eines Apfels gleich darauf zur Erde. Er hat sich in des Wortes wahrster Bedeutung das Herz aus dem Leibe ge—ängstigt.
Und in dem nächsten Zug sieht ein Mann ebenfalls nicht nach rechts, und einer hat keinen Tritt.
„Ja, Herr Oberst, ist der Parademarsch denn gar nicht geübt worden?”
Der Kommandierende fragt's, und fragend sehen alle den Oberst an. Sie wissen natürlich genau, daß der Marsch tagaus, tagein geübt worden ist, aber trotzdem beweist der Vorbeimarsch, daß er nicht geübt ist. Er kann überhaupt nicht geübt worden sein, denn sonst wäre so etwas nicht möglich.
Der Oberst bleibt die Antwort auf die Frage schuldig. Er hat nur einen Gedanken, nur einen Wunsch: „O wär ich weiter, o wär ich zu Haus, ich glaube, man macht mir hier sonst den Garaus.”
Endlich naht der letzte Zug, und ebenso miserabel wie der Parademarsch in Zügen, ebenso glänzend ist der in Kompagniefronten, und nun erst der in der Regimentskolonne. Stolz reitet der Herr Oberst seiner Truppe voran, seine Augen leuchten im jugendlichen Feuer, er läßt seine langen Schnurrbartspitzen in patriotischer Begeisterung zittern, seine Heldenbrust dehnt und streckt sich unter dem auswattierten Waffenrock, und in einer eleganten Volte reitet er um das Luftloch herum, in dem heute die Exzellenzen halten, bis er an ihrer linken Seite hält.
Die Vorgesetzten sehen es ein, der Herr Oberst ist eine glänzende Paradefigur, die muß dem Staat und dem Heere erhalten werden.
Das Regiment eines solchen Kommandeurs kann natürlich nur einen tadellosen Parademarsch machen, und so kommen die hohen Herren nicht aus dem Loben heraus: „Bravo! Glänzend! Ausgezeichnet!”
Alle reichen ihm glückwünschend die Hand, und er weiß, er ist gerettet. Ihm kann die Besichtigung nichts mehr anhaben, er steht mit dem Parademarsch auf der Höhe der Zeit, seinetwegen kann ein Krieg losgehen, ja noch mehr, es kann sich ruhig ein fürstlicher Gast in seiner Garnison anmelden, er ist allen Aufgaben gewachsen, das Vaterland kann sich auf ihn verlassen, sein Regiment macht einen guten Parademarsch.
Gleich darauf beginnt für das erste Bataillon die Besichtigung im Schulexerzieren und dann im Gefecht.
Die Zeiten ändern sich, wie das den Zeiten nun einmal eigen ist. Früher war das Schulexerzieren alles, es kam gleich hinter dem Parademarsch. Die Gefechts- und Felddienstübungen wurden nicht praktisch draußen im Gelände, sondern theoretisch in der Kaserne auf den Wandtafeln geübt. Das waren schöne Zeiten, da konnte man die längsten Märsche zurücklegen, ohne die geringste Müdigkeit zu verspüren. Und das Geld, das die Leutnants sparten, wenn sie bei diesen Felddienstübungen nicht hungrig und durstig wurden. Nur ein wahres Glück, daß sie es trotzdem vertranken und keiner Bank anvertrauten. Diesen gewaltigen Ersparnissen gegenüber wäre kein Kassierer standhaft geblieben.
Heutzutage ist es ganz anders, das Gefecht ist nicht mehr Nebensache, sondern eine der vielen Hauptsachen, denn allen Besichtigungen zum Trotz gibt es immer noch Leute, die allen Ernstes behaupten, die Ausbildung unseres Heeres geschähe nicht für die Paraden, sondern für den Krieg.
Während die Kompagnien nach dem Schulexerzieren für das Gefecht nach dem befohlenen Punkt abrücken, halten die Exzellenzen über das, was sie bis jetzt gesehen haben, Kritik ab, und die Hauptleute wissen, sie sind gerettet, wenn das Gefecht ihnen nicht noch das Genick bricht.
Aber das Gefecht denkt nicht daran, so grausam zu sein. Es ist ja nur ein Scheingefecht, es gibt nicht einmal Verwundete, geschweige denn Tote. Die Soldaten sowohl wie ihre Anführer bleiben am Leben, und bei der Kritik wird ihnen bestätigt, daß sie ihre Sache gut gemacht haben. Natürlich war manches bei dem Gefecht da, was besser nicht dagewesen wäre, und die hohen Herren haben manches gesehen, was sie lieber nicht gesehen hätten.
Aber wenn sie es nicht gesehen hätten, weil es nicht da war, dann hätten sie ja bei der Kritik keine Gelegenheit, ihre eigene Weisheit leuchten zu lassen, und da sie das jetzt können, sind sie im Grunde ihres Herzens ganz froh darüber, daß die Untergebenen doch nicht so klug sind, wie sie es sein müßten, um einmal Exzellenz zu werden. Diese Befähigung ist nur wenigen verliehen, und daß sie die selbst haben, und daß sie diese exzellente Stellung mit dem hohen Gehalt und der Aussicht auf eine sehr hohe Pension bekleiden, stimmt sie milde gegen die Schwächen der Untergebenen. Und daß sie denen heute das Leben noch lassen, verpflichtet ja zu nichts. Diese Besichtigung ist ja nicht die letzte, sie kommen ja bald wieder. Und einmal drehen sie den Untergebenen dann doch das Genick um. Aufgeschoben ist auch in diesem Falle nicht aufgehoben.
Die Gewißheit haben sie, die Vorgesetzten sowohl wie die Untergebenen, und die Gewißheit ist ja auch etwas wert.
Am Nachmittag folgt die Vorinstruktion. Die Offiziere und Unteroffiziere haben jede Hoffnung, ihren Kerls doch noch die nötige Weisheit beizubringen, definitiv aufgegeben und dafür ihre ganze Sorgfalt auf den Haarschnitt und den Mützen- und Hosensitz verwandt.
Und deutlich verraten die Mienen der hohen Herren, wie sie mit dem Äußeren der Mannschaften zufrieden sind.
Aber so gut der Hosen- und Mützensitz auch ist, so unübertrefflich die Haare auch geschnitten sind, so blank die Stiefel auch teils mit Wichse, teils mit Spucke gerieben wurden, einen Fehler hat dieses festliche Arrangement doch, es ist zu gut.
Die hohen Herren finden keine Mütz, über die sie ein Wort verlieren können, nicht ein einziges Haar, über das sie stolpern und nicht ein Hosenbein, das unvorschriftsmäßig ist.
Und das nehmen sie übel. Wozu sind sie denn da, wenn sie gar nichts zu monieren finden?
Die Laune der Vorgesetzten ist noch empfindlicher als die der Verliebten, ein hauch kann sie trüben.
Die Vorgesetzten fragen sich, was sie hier sollen. Der Zweck ihres Kommens ist verfehlt; Mützen, Haare und Hosen sind in Ordnung und nur, weil sie nun doch einmal hier sind, fangen sie an, auf die Antworten der Mannschaften zu achten.
Aber sie hören nichts, sie hören absolut nichts.
„Nicht wahr, Sie wisen doch, daß es dem Posten verboten ist, sich hinzulegen, zu schlafen und zu essen? Nicht wahr, das wissen Sie doch? Sie haben mir doch gestern erklärt, daß Sie es wüßten, und Sie wissen es doch auch heute noch?”
Die hohen Vorgesetzten sehen, wie der Leutnant sich abmüht, die Antwort aus dem Kerl herauszuholen. Und daß der die Antwort nicht weiß, liegt natürlich nur daran, daß der Leutnant das Thema nicht eingehend genug mit seinen Leuten durchnahm. Gewiß, er ist weit davon entfernt, das Ideal eines Offiziers zu sein, aber wenn seine Leistungen natürlich auch zu wünschen übrig ließen, so war doch sonst sein Eifer zu loben.
Und an dem hatte er es dieses Mal fehlen lassen, das ist doch ganz klar, denn sonst müßte der Mann doch wissen, was ihm als Posten zu tun verboten ist.
Das muß der Mann wissen, und wenn sein Leutnant es ihm auch hundertmal vorkaute, dann hätte er es ihm eben noch hundertmal vorkauen müssen.
Wenig später ist die Vorinstruktion der einen Kompagnie beendet, es hat keinen Zweck, sie weiter zu fragen, sie wissen ja doch nichts.
Die Kerls stürmen wie wild in ihre Stuben zurück, der Leutnant aber, der eben vorinstruierte, schleicht als blasser Schatten in eine stille Ecke hinter den Exerzierschuppen, lehnt die heiße Stirn gegen die kalte Wand und steckt sich mit dem Heldenmut der Verzweiflung den Finger in den Hals.
Es ist genau so gekommen, wie er es voraussah.
Aber in seinen Schmerz mischt sich doch die Freude, daß für ihn jetzt die Besichtigung vorüber ist. Jetzt werden die Gehirne der anderen Kompagnien revidiert, und morgen kommen die anderen beiden Bataillone an die Reihe.
Für ihn ist Schluß, aber nicht für immer, denn die Vorgesetzten, die zur Besichtigung kommen, lösen sich ab wie die Posten vor dem Schilderhause.