Eine Manöver-Erinnerung.
Von Graf Günther Rosenhagen/Freiherr von Schlicht,
in: „Kleine Geschichten” und
in: „Der rote Pierrot”
Im Wonnemonat Mai, juchhe,
Da kommt der Kommandierende.”
So groß das liebe, schöne Vaterland auch ist, überall, in jeder Garnison wird das Lied gesungen, wenn mit Beginn des Frühjahrs die Excellenzen ihre Stabsquartiere verlassen und zu den Besichtigungen reisen.
„Gestern Vormittag fand die Bataillonsvorstellung vor Seiner Excellenz dem kommandirenden Herrn General statt.” Wenn der ehrsame Bürger am frühen Morgen bei dem Kaffee und der langen Pfeife diesen Bericht in seiner Zeitung liest, so geht er entweder gleichgültig darüber hinweg oder er benutzt diese passende Gelegenheit, seiner besseren Hälfte gegenüber einmal gehörig über die neue Militärvorlage zu schimpfen; aber sehr gegen seine Ueberzeugung, im Grunde seines Herzens hofft er, daß der Reichstag Alles bewilligt; er wagt es nur nicht laut einzugestehen, aus Furcht, von seiner Frau für einen Verschwender erklärt zu werden. Denn sie hat die Kasse, das hat er ihr, als sie noch verlobt waren, fest versprechen müssen, und als Bräutigam verspricht man bekanntlich alles, alles und schwört es bei Tausenden von Küssen — aber in der Ehe ist so manches anders, da möchte man so gerne das eine oder das andere Versprechen wieder rückgängig machen, aber die Frauen lassen nicht locker, sie geben die Macht nicht wieder aus den Händen.
„Bataillonsbesichtigung!”
Wie viel Mühe, wie viel Arbeit schließt dies eine Wort nicht in sich. „Es wird die höchste Zeit, daß bald Besichtigung ist; ich bin mit meinen Schimpfworten am Ende und ich fange nicht wieder gerne von vorne an, sonst denken die dummen Kerle, ich wüßte kein mehr,” brummt der Feldwebel vor sich hin und die Mutter der Kompagnie sieht ihre hundert und zwanzig Kinder mit einem Blick an, der sie erzittern läßt in dem Gedanken an die Abendsuppe, die ihnen noch eingebrockt wird.
„Bataillonsbesichtigung!”
Endlich ist der Tag gekommen, mit entrollter Fahne rücken die Truppen hinaus nach dem etwa eine Stunde entfernten Platz, wo sie so oft exercirt und „Torf gebacken” haben. Unter „Torf backen” versteht der Soldat das Vordermannnehmen, von vorne gesehen muß ein Mann genau hinter dem Anderen stehen, ganz genau, sonst —. „Der dritte Mann vom linken Flügel im zweiten Glied des ersten Zuges der dritten Kompagnie ein halbes Haar mehr nach links.” Der also mit mathematischer Genauigkeit Bezeichnete rückt Etwas, — nach seiner Meinung nur eine halbe Idee, ein auch nur in militärischen Kreisen vorkommender Begriff, aber „meine Gedanken sind nicht deine Gedanken, und meine Idee ist nicht deine Idee.” — „Zu viel, viel zu viel!” donnert ihn der Vorgesetzte an. Wieder rückt der Arme „mehr rechts, noch ein Achtel Haar mehr rechts!” So endlich! Und erleichtert athmet das Bataillon auf, denn nun ist Aussicht vorhanden, daß bald das bei den Soldaten am Meisten beliebte Kommando „Rührt euch!” kommt.
Mit klingendem Spiel geht es durch die Straßen der Stadt. Um das Programm ist der Kapellmeister nicht verlegen; schon vor dem Abmarsch ist ein Lieutenant nach dem Anderen zu ihm gekommen. „Nicht wahr, Lindemann, in der Alfstraße(1) spielen Sie den Persermarsch?”
„Gewiß, Herr Lieutenant.”
„Hören Sie mal, Lindemann, Sie thäten mir einen großen Gefallen, wenn Sie an der Ecke von der Georg- und Alfstraße den Radetzki-Marsch spielten.”
„Gewiß, Herr Lieutenant.”
„Lindemann, wenn irgend möglich, so spielen Sie doch bei dem Einbiegen in die Alfstraße „Hoch Habsburg!”
So äußern sämtliche Herren ihre Wünsche, dann geht jeder beruhigt von dannen, er weiß, der Kapellmeister wird ihm seine Bitte erfüllen; er malt es sich so schön aus, wenn er vor dem Fenster seiner Angebeteten nach den flotten Klängen vorüberzieht und sie dann ganz wenig zwischen den Gardinen hervorsieht; er hat es ihr ja ganz fest geschworen, morgen ihren Lieblingsmarsch spielen zu lassen, ganz fest, und was der Mensch schwört, das muß er halten! Und nun(2) biegen sie ein in die Alfstraße; aber dem armen Lindemann(3) brummt der Kopf; Niemand kann zween Herren dienen, geschweige denn zwanzig, so thut er das Einfachste, was er thun kann, er läßt die Trommler und Pfeifer spielen und setzt dann mit dem Preußenmarsch ein, der ist echt patrotisch und begeistert Alt und Jung. Denn Alt und Jung, Männlein, Weiblein und Kindlein, ist heute unterwegs; sie ziehen hinaus zu den sieben Fichten, bei denen das Bataillon in Paradeaufstellung stehen soll und wenn die Truppen endlich den Platz erreichen, so ist mehr Publikum da, als Soldaten. „Wo kommen bei solcher Gelegenheit die Menschen her?” Das ist ein Frage, über die ich oft meditirt habe, aber vergebens. „Aus den Häusern.” Das ist die einfachste Lösung, aber sie genügt mir nicht. Als vor einiger Zeit Se. Maj. der Kaiser einer großen Stadt die Ehre seines Besuches erwiesen, waren in einer Straße fünftausend Schulkinder aufgestellt; wo kamen die her und wo waren die zu den fünftausend Kindern gehörigen fünftausend Mütter — oder sollten etwa mehrere Mütter mehrere Kinder gehabt haben?
Doch überlassen wir die Beantwortung dieser Frage dem statistischen Nachweisungsbureau und gehen wir wieder hin zu den sieben Fichten. Eigentlich sind es nur sechs (die sechste ist aber gespalten) und bei näherer Betrachtung erweisen sich die Fichten als junge Eichen, aber das schadet nichts(4), sie heißen nun mal so und an dem Bestehenden darf man nicht rütteln, wenn man nicht große Unordnung in die gut geschmierte Maschine bringen will.
Das Bataillon hat die Gewehre zusammengesetzt, die Uhr zeigt auf 7,30 V., um 8 Uhr will Excellenz erscheinen, also noch eine halbe Stunde Zeit. Die Leute haben sich auf der Weide gelagert, rauchend, scherzend, oder mit der Vertilgung der „Heimatlosen” beschäftigt. Woher die großen, runden Fünf-Pfennig-Stullen diesen Namen haben, vermag ich nicht anzugeben. „Man weiß nicht, woher sie kommen noch wohin sie gehen,” erklärte mir einst ein Soldat auf meine Frage und mit dieser Antwort müssen wir uns begnügen.
Abseits zu(5) einer Gruppe vereinigt stehen die Offiziere, sich gegenseitig die Erlebnisse des gestrigen Abends und ihre Ansichten über die bevorstehende Vorstellung mittheilend. Da nähert sich ihnen der lange Hans, ein wegen seines nie versagenden Humors allgemein beliebter Kamerad. Zahllos wie der Sand am Meere sind die dummen Geschichten, die er vollführt, und es lebt noch in Aller Gedächtnis, wie er gelegentlich der Einquartirung eines befreundeten Regiments, Nachts auf dem Heimwege einem Kameraden das Namensschild von der Hausthür nahm, dann einen großen Gaskandelaber ausdrehte und das Namensschild des friedlich schlummernden Freundes mit einem Bindfaden hoch oben an der Glaskuppel(6) befestigte. Auch jetzt spricht aus seinen Augen der Schalk, die Hände hat er auf dem Rücken, anscheinend harmlos nähert er sich der Gruppe. Da befördert er hinter seinem Rücken einen großen, durchlöcherten Kochtopf hervor, den irgend eine alte Bäuerin dort hingeworfen, und den er mit seiner Spürnase im dichten Gebüsch aufgefunden hat.
„Wambold, gestatten Sie, daß ich Ihnen im Namen des hier versammelten Offizierkorps dieses nützliche Küchengeräth als Geschenk für Ihre demnächst bevorstehende Hochzeit überreiche.”
Donnernder Beifall folgt diesen Worten, aber bevor der glückliche Bräutigam noch Zeit zu einer Entgegnung gefunden hat, erschallt das Kommando: „An die Gewehre!” Rasch eilt ein Jeder an seinen Platz. „Gewehr in die Hand. Points — vor. Richt' Euch!” und in kurzer Zeit steht das Bataillon tadellos, es ist ja so oft geübt, es muß ja gehen! Der Kommandeur sieht nach seiner Uhr, noch zwei Minuten, da taucht auch schon am Waldrand der schwarzweiße Helmbusch auf und gefolgt von seiner Suite sprengt der Kommandirende heran.
„Guten Morgen, drittes Bataillon!(7)”
„Guten Morgen, Ew. Excellenz.”
Gott sei Dank, das klappte. Die Feldwebel athmeten erleichtert auf, ihre Aufgabe war es, in den Kompagnien den Guten Morgen-Gruß einzuüben und mit besonderer Genugthuung ließen sie sich bei dieser Gelegenheit „Excellenz” nennen. „Name ist Schall und Rauch,” aber man hört sich gerne mal mit einem vornehmen Titel benennen. „Gott, seien Sie doch nicht so furchtbar förmlich,” sagt die Frau Tambourmajor zu ihrer drittbesten Freundin, „nennen Sie mich doch einfach Frau Major.”
„Die Aufstellung war gut, bitte um den Parademarsch.”
Das Publikum, das bis dahin durch berittene Feldgendarme zurückgehalten ist, durchbricht die Kette.
„Wat, Crüschan, wi möten doch sehn, wat uns Bataillon för en Parademarsch makt?”
Und dann stehen sie in gehöriger Entfernung und sehen bewundernd auf die weißleinenen Beine, die nach den Klängen des Parademarsches himmelhoch fliegen.
„Korl, dat hewwen sei god makt, nun wolln wi mal sehen, wat sei in dat Gefecht können.”
Die Schützenlinie werden entwickelt; sprungweise geht es gegen den Feind vor, Platzpatronen werden in ungezählter Menge verschossen; am linken Flügel dringt eine Kompagnie zur Umgehung des Feindes vor; jetzt ist sie ganz dicht herangekommen; die Patrouillen des Gegners haben gedöst, wie der terminus technikus lautet und nichts bemerkt. Jetzt noch einmal ordentlich Athem holen — „Sprung — auf! — Marsch, Marsch!” und die Linien werfen sich mit „Hurrah” auf den Feind. Der Gegner will sich entgegenwerfen, da krachen in seiner Flanke die Salven, er mag wollen oder nicht, er muß zurück.
Das Gefecht ist beendet. „Hornist, blasen Sie den Offizierruf.” Von allen Seiten eilen sie herbei und versammeln sich um die Excellenz, die selbst die Kritik abhält und derem scharfen Auge nichts entgangen ist.
„Adieu, meine Herren, ich habe mich sehr gefreut, Sie alle so wohl(8) angetroffen zu haben.”
Die Truppen treten den Heimmarsch an. Freude ist auf allen Gesichtern zu lesen, die Jungens haben stramm exercirt, nur Lob, kein Wort des Tadels ist bei der Kritik gefallen. Nun dürfen Sie heute Abend Urlaub einreichen, so lange sie wollen und so lange die Schinken- und Wurstvorräthe ihrer Kousinen reichen.
In tiefes Nachdenken versunken geht der lange Hans daher. „Merkwürdig, sonderbar,” murmeln seine Lippen:
Im Wonnemonat Mai, Hurrah,
Da kommt der Kommandierende,
merkwürdig, ich begreife es gar nicht, heute Morgen hat es sich doch noch gereimt!”
(1) In der Fassung von „Der rote Pierrot” heißt es hier: „Ulfstraße”, offensichtlich weil der Setzer dieser Fassung bei seiner Arbeit die „Kleinen Geschichten” als Vorlage benutzte, in deren Schrifttye die beiden Großbuchstaben „A” und „U” sehr leicht zu verwechseln sind. In Lübeck, der Stadt, in der Rosenhagen/Schlicht/Baudissin als Leutnant stand, als er den Text der obigen Erzählung schrieb, gibt es nun eine Alfstraße, aber keine Ulfstraße. (Zurück)
(2) In der Fassung von „Der rote Pierrot” fehlt hier das Wort „nun”. (Zurück)
(3) In der Fassung von „Der rote Pierrot” heißt es hier statt„Lindemann” fälschlicherweise „Leutnant”. (Zurück)
(4) In der Fassung von „Der rote Pierrot” heißt es hier: „das schadet nicht”. (Zurück)
(5) In der Fassung von „Der rote Pierrot” heißt es hier: „Abseits von einer Gruppe vereinigt”. (Zurück)
(6) In der Fassung von „Der rote Pierrot” heißt es hier: „Gaskuppel”. (Zurück)
(7) In den Jahren, in denen Rosenhagen/Schlicht/Baudissin als Leutnant in Lübeck stand, garnisonierte dort das 3.Bataillon des 2. Hans. Inf. Rgt. 76. (Zurück)
(8) In der Fassung von „Der rote Pierrot” heißt es hier nur: „ Sie alle wohl angetroffen”. (Zurück)