Von Freiherrn von Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 14.Juli 1909,
in: „Ohligser Anzeiger” vom 19.7.1909,
in: „Dagens Press” vom 3.4.1920 unter dem Titel „När fruarna äro upptagna” und
in: „Die Frau und meine Frau”.
Ich hatte wieder einmal eine lange Arbeit vollendet. Monatelang hatte ich jeden Tag viele Stunden am Schreibtisch gesessen, und monatelang hatte meine Frau mich täglich gefragt: „Wann wirst du endlich unter den Roman Ende schreiben, damit ich einmal wieder etwas von dir habe, damit ich nicht mehr den gazen Tag allein bin?”
Auch gestern hatte sie mich so gefragt, und ich hatte antworten können: „Gedulde dich nur noch zwei oder drei Tage, dann ist die Sache erledigt, und den Tag wollen wir dann ganz gehörig feiern.”
Sie stimmte mir lebhaft bei: „Ja, da wollen wir einmal wieder fröhlich und vergnügt sein, wir haben in der letzten Zeit so häuslich gelebt, daß ich mich wirlich danach sehne, einmal wieder etwas zu unternehmen.”
Und endlich war die Arbeit fertig — sogar einige Stunden früher als ich geglaubt hatte; statt des mittags um 1 Uhr, konnte ich schon morgens um 9 Uhr die Feder hinlegen.
Ich suchte sofort meine Frau in ihrem Zimmer auf: „Stimme mit mir in den Jubel ein: ex est cantus — Schluß — fertig!”
Aber anstatt mitzujubeln, sah meine Frau mich mit ganzen großen Augen beinahe erschrocken an: „Schon?”
„Ja, ja,” gab ich zur Antwort, „ich bin schon fertig, wie du es nennst, aber ich weiß nicht, du machst so ein Gesicht, als ob es dir nicht ganz recht wäre.”
„Doch,” widersprach sie lebhaft, „wie kannst du nur so etwas denken, aber trotzdem, daß es so schnell ging — gerade heute paßt es mir gar nicht.”
„Was paßt dir heute gar nicht?” fragte ich verwundert.
„Daß du die Arbeit schon beendet hast. Wir wollten den Tag doch zusammen feiern, und gerade heute bin ich so beschäftigt, ich habe so rasend viel zu tun, daß ich wirklich nicht weiß, wo mir der Kopf steht.”
„Na, na, so schlimm wird es wohl nicht sein,” versuchte ich sie zu trösten, „und solche Eile hat es wohl nicht; morgen ist doch auch noch ein Tag.” Ich deutete zum Fenster hinaus. „Sieh nur, trotzdem es Sommer ist, scheint heute die Sonne, die Gelegenheit wollen wir wahrnehmen. Ich habe mir das Vergnügungsprogramm schon ausgedacht: wir nehmen uns ein Auto, fahren nach Wannsee, machen einen schönen Spaziergang, essen dort zu Mittag, kommen nachmittags zurück, abends gehen wir in ein Theater und essen hinterher bei Adlon oder im Esplanadehotel.”
Meine Frau sah mich ganz verwundert an: „Was sollen wir denn in Wannsee, wie kommst du nur darauf?”
Als ich meiner Frau kürzlich einmal erklärte, daß ich zwar in Aegypten und in Spanien, am Schwarzen Meer und in Spitzbergen, aber noch nie am Wannsee gewesen sei, schlug sie verwundert die Hände zusammen und erklärte: „Das ist ja unglaublich. Sobald du einen freien Tag hast, fahren wir dorthin, das mußt du kennen lernen, es ist zu entzückend.”
Und dieselbe Frau fragte mich acht Tage später: „Was sollen wir dort, und wie kommst du nur darauf?”
Aber trotzdem: Die Frau, die sich jemals widerspricht, soll nach der Ansicht der Frauen erst noch geboren werden. Männer wissen oft nicht mehr, was sie sagten, Frauen wissen es stets, die vergessen nichts, weder was sie selbst sagten, noch was andere zu ihnen sagten.
Jede Frau ist nach ihrer Behauptung das personifizierte Gedächtnis.
Und infolgedessen erklärte meine Frau nun auch: ich müsse mich irren, wir hätten noch nie von Wannsee gesprochen, sonst müsse sie es doch noch wissen, aber sie wisse absolut nichts davon. Daß sie sich irre, sei ganz ausgeschlossen.
Ich tat, als hätte sie mich überzeugt: „Schön, dann habe ich das alles nur geträumt. Du weißt ja, daß meine den ganzen Tag hindurch angespannte Phantasie mir nachts die wahnsinnigsten Träume verursacht. Aber wie ist es denn nun, wollen wir den Ausflug machen oder nicht?”
Meine Frau sah mich ganz traurig an: „Morgen oder übermorgen mit tausend Freuden, aber ich bin heute so rasend beschäftigt.”
„Aber was hast du denn nur zu tun?” fragte ich ärgerlich.
„Tausenderlei. Ihr Männer denkt immer, ein großer Haushalt mache gar keine Arbeit.”
Das habe ich zwar noch nie geglaubt und erst recht noch nie etwas Derartiges geäußert, aber das schadete ja nichts.
Um einer Frau zu beweisen, daß sie Unrecht hat, gibt es nur ein Mittel, das wenigstens zuweilen hilft: Man muß ihr zustimmen, alle ihre Behauptungen für absolut richtig erklären. Dann ärgert sie sich, weil man ihr nicht widerspricht und damit man das tut, behauptet sie dann plötzlich das Gegenteil von dem, was sie zuerst sagte.
So stimmte ich denn meiner Frau zu, bis sie dann plötzlich erklärte: „Was ich im Haushalt zu tun habe, ist ja schließlich auch noch das Wenigste, denn ein gut geleiteter Haushalt geht ja auch von selbst, wenn man sich auf seine Mädchen verlassen kann. Aber all das andere, was ich heute zu tun habe. Ich weiß wirklich nicht, wie ich fertig werden soll. Ich muß neue Tischwäsche herausgeben, eine Postkarte an den Buttermann in Oberbayern schreiben, daß er dieses Mal zwei Pfund mehr schickt, eigentlich müßte ich auch noch zu Wertheim, dann muß ich an meine Schneiderin telephonieren, wahrscheinlich kommt heute morgen auch noch die Wäsche, der Gärtner wollte den wilden Wein auf dem Balkon beschneiden, ich muß nach Breslau(1) telephonieren, daß die Leute mir endlich mein Korsett schicken, die Mädchen haben kein Auslagegeld mehr und wollen mit mir abrechnen, im Schlafzimmer ist die elektrische Klingel kaputt, da muß auch gleich telephoniert werden ud eben fällt mir ein: Die Apfelsinen sind auch wieder alle und da wir morgen abend Gäste haben, muß ich mit der Köchin alles Weitere besprechen. Aber das alles ist nur der kleinste Teil von dem, was ich zu tun habe. Nicht wahr, du siehst nun selbst ein, daß wir heute nicht fahren können?”
Ich widersprach: „Das sehe ich absolut nicht ein und ich verpflichte mich, alles was du vorhast, für dich längstens in einer halben Stunde zu erledigen, vorausgesetzt natürlich, daß ich bei dem Telephonieren im Laufe des Tages noch den richtige Anschluß erhalte. Alles, was du aufzählst, sind doch nur Kleinigkeiten und es lohnt sich wirklich nicht, darüber ein Wort zu verlieren.”
Meine Frau wandte sich gekränkt ab: „Natürlich, was wir Frauen zu tun haben, ist in euren Augen stets nur eine Bagatelle.”
„Sei friedlich,” bat ich, dann deutete ich wieder zum offenen Fenster hinaus: „Sieh nur, obgleich es Sommer ist, scheint die Sonne immer noch. Verdirb mir und dir den heutigen Tag nicht, auf den wir uns doch beide gefreut haben.”
„Aber inwiefern verderbe ich dir denn den heutigen Tag? Kannst du es denn wirklich nicht einsehen, daß ich heute zu beschäftigt bin?”
„Wir wollen uns nicht weiter streiten,” bat ich, „wenn du mich denn nicht begleiten kannst, tut mir das natürlich sehr leid, dann muß ich eben allein fahren.”
Meine Frau glaubte nicht recht gehört zu haben: „Was? Du willst allein ohne mich nach Wannsee? ich habe mich so darauf gefreut, dir dort die hübschen Spaziergänge zu zeigen, von denen ich dir neulich erzählte und nun willst du ohne mich hinfahren?”
Also hatte mir meine Frau doch von Wannsee erzählt.
Aber da eine Frau sich ja nie widerspricht, mußte sie davon geträumt haben, daß sie mit mir darüber sprach.
Ich zuckte die Achseln: „Es tut mir ja selbst leid, daß du mich nicht begleiten kannst, aber wenn es eben nicht geht, dann geht es nicht.”
Die Augen meiner Frau füllten sich mit Tränen: „Kannst du denn wirklich mir zuliebe den Ausflug nicht auf morgen oder übermorgen verschieben?”
Ich widersprach: „Ebenso wenig, wie du mir zuliebe deine Besorgungen.”
Einen Augenblick stand meine Frau noch in schwerem Kampf, dann sagte sie: „Nein, das kann ich nicht, ich habe zu rasend viel zu tun.”
So nahm ich denn von ihr Abschied: „Dann lebe wohl. Ich denke, daß ich heute nachmittag um 5 Uhr wieder zurück bin, und wenn du am Abend Zeit und Lust hast, gehen wir dann noch zusammen aus.”
Ich bot meiner Frau die Hand, aber sie sah sie nicht.
Als ich auf die Straße getreten war, blickte ich noch einmal nach meiner Wohnung zurück. Auf dem Balkon stand meine Frau, wohl um sich davon zu überzeugen, ob ich wirklich zu dem Halteplatz der Automobile hinüber ging. Aber, als sie bemerkte, daß ich zu ihr hinaufsah, trat sie schnell zurück, wohl, um an die Erledigung ihrer Geschäfte zu gehen, sie hatte ja so rasend viel zu tun, daß sie nicht einmal mehr wußte, wo ihr der Kopf stand.
Aber in einer Stunde wußte sie das sicher. So stieg ich denn in ein Auto, fuhr mit lauten Hupensignalen noch einmal an meiner Wohnung vorbei und dann eine Stunde durch den Tiergarten und die Straßen der Stadt.
Dann fuhr ich wieder nach Haus, noch einmal wollte ich versuchen, meine Frau umzustimmen. Gelang es mir auch diesmal nicht, dann mußte sie wirklich allein bleiben.
Aber meine Frau war nicht zu Haus. Wie die Mädchen mir sagten, war sie eine kleine halbe Stunde, nachdem ich die Wohnung verlassen hatte, fortgegangen, es sei ganz unbestimmt, wann sie zurückkehre, wenn sie um zwei Uhr nicht zu Tisch da sei, sollten die Mädchen nicht länger auf sie warten.
Wo mochte meine Frau sein?
Da fiel es mir wieder ein, sicher war sie zu Wertheim gefahren, sie hatte ja davon gesprochen, machte vielleicht noch andere Besorgungen und würde dann, um nicht allein zu Mittag essen zu müssen, zu den Verwandten fahren und erst zurückkehren, wenn sie annehmen konnte, daß auch ich wieder zu Hause sei.
Natürlich dachte ich nicht daran, den Ausflug nach Wannsee allein zu unternehmen, so schickte ich das Auto fort und anstatt den Tag, wie ich hoffte, froh zu begehen, verbrachte ich ihn nun damit, daß ich stundenlang voller Ungeduld auf meine Frau wartete.
Als sie immer noch nicht kam, ging ich an das Telephon, um bei sämtlichen Verwandten Umfrage zu halten, ob jemand von ihnen vielleicht meine Frau gesehen hatte, aber das Telephon war kaputt.
Das regte moch aber nicht sonderlich auf, denn in Ordnung ist ein Telephon ja eigentlich nur dann, wenn es in Unordnung ist.
Aber daß meine Frau immer noch nicht kam, beunruhigte mich doch, machte mich dann aber auch ärgerlich und verdrießlich — sie hätte sich doch sagen müssen, daß ich in Wirklichkeit doch nicht ohne sie fahren würde, daß meine Worte nur eine leere Drohung waren, und daß sie mich nun den ganzen Tag allein ließ, das war nicht recht von ihr.
Aber mein Groll schwand schnell dahin, als meine Frau endlich nachmittags um fünf Uhr zurückkam. Erschrocken sprang ich auf, als ich in ihr kleines blasses Gesicht mit den rotgeweinten Augen sah: „Aber Kind, um Gottes willen, was ist denn nur geschehen, wer hat dir etwas zu Leide getan? Wo bist du so lange gewesen?”
Und dann kam es heraus: Als ich eben fort war, hatte auch meine Frau sich in ein Automobil gesetzt, war nach Wannsee gefahren und hatte dort Stunde um Stunde auf mich gewartet.
Ich glaubte nicht recht gehört zu haben: „Wo bist du gewesen? In Wannsee? Aber du warst doch so beschäftigt, hattest doch so rasend viel zu tun.” —
„Das hatte ich auch,” unterbrach meine Frau mich schnell, „bitte, glaube nicht, daß ich dich heute morgen belog. Ich hatte wirklich rasend zu tun, aber soviel, um dich heute den ganzen Tag allein zu lassen, doch nicht.”
(1) Schlicht's zweite Frau, Elisabeth Hammer geb. Flössel, hatte in Breslau — während ihres Theaterengagements — ihren ersten Mann kennengelernt und geheiratet. (zurück)
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