Auf, ins Barackenlager!

Von Freiherr von Schlicht,
in: „Im Barackenlager und anderes”


Die Reserve-Offiziere sind zu einer mehrwöchigen Übung einberufen. Das geschieht in jedem Jahr, womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß jeder der Herren in jedem Jahr eine Übung abzulegen hat, denn dann täten die Herren der Reserve ja fast ebenso viel Dienst wie die aktiven Kameraden und das wäre für die nicht gut, denn man behauptet ohnehin schon manchmal, daß die Herren der Reserve den aktiven Kameraden an Dienst­freudigkeit und an Diensteifer über wären — schon deshalb, weil ihre Dienstzeit nicht ewiglich währet, sondern nach spätestens acht Wochen mit einem Liebesmahl ein feuchtfröhliches Ende nimmt.

Aber trotz dieser Dienstfreudigkeit und trotz dieses Diensteifers hat auch in diesem Jahre sich mancher von den Herren von der Übung zu drücken versucht, aber natürlich nicht deshalb, weil er keine Lust zu üben hatte. Daß man mal keine Lust hat, den leichten, dünnen Sommeranzug aus Bastseide mit der engen und schweren Uniform zu vertauschen — daß man mal keine Lust hätte, sechs Wochen lang die täglichen Spazierfahrten im eigenen Auto aufzugeben und dafür täglich stundenlang mit den Füßen denselben Staub aufzuwirbeln und vor allen Dingen selbst herunter­zuschlucken, den man sonst vertrauensvoll den hinter dem Auto herfluchenden Leuten überläßt, wie gesagt, daß der eine oder der andere aus diesen oder äühnlichen Gründen keine Lust hätte, vorübergehend Soldat zu werden, das gibt es nicht. Das sagt ein jeder und da es somit alle sagen, wird es wohl auch wahr sein.

Aber selbst wenn die Lust noch so groß ist, zuweilen ist man trotzdem manchmal verhindert, zu üben und es ist eine viel sonderbarere Naturerscheinung, als der Komet es war, der uns alle an der Nase herumgehführt hat, daß gerade diejenigen, die entweder nur nach ihrer Ansicht oder tatsächlich verhindert sind, zu üben, die allergrößte Lust hatten, ihre militärischen Pflichten zu erfüllen. Aber es geht trotzdem nicht, es geht wirklich nicht, das setzen sie dem Herrn Bezirks­kommandeur, dem sie unterstellt sind, ausführlich auseinander und was sie selbst nicht zu hoffen gewagt haben, geschieht dennoch: Der stimmt ihnen ohne weiteres zu, aber nicht aus Überzeugung, denn die Vorgesetzten überzeugen zwar ihre Untergebenen aus dem sehr einfachen Grunde, weil diese nicht widersprechen dürfen, aber daß ein Untergebener einen Vorgesetzten dahin bringt, daß der laut und ehrlich bekennt: Du hast recht und ich habe unrecht — das gibt es nicht, eher wird der Komet sichtbar.

Der Bezirkskommandeur stimmt deshalb auch nicht aus Überzeugung bei, sondern aus Klugehit. Er weiß aus Erfahrung, je mehr man widerspricht, desto weniger überzeugt man jemanden. So ist er denn auch völlig der Ansicht, daß man als Leutnant d. R. doch nicht nur Soldat ist, daß die Berufsinteressen den militärischen vorgehen, auch er findet, daß der betreffende Herr wirklich blaß und elend aussieht und dringend einer sofortigen Badereise bedarf. Er erklärt es für ganz selbstverständlich, daß ein anderer Herr seine Frau, die ihrer Niederkunft entgegensieht, in dieser schweren Zeit nicht allein lassen darf, er sagt zu allem Ja und Amen und dann dreht er plötzlich den Spieß um und zwar nach dem Motto: Hab ich mich von dir überzeugen lassen, habe ich eingesehen, daß du recht hast, dann mußt du dich jetzt auch von mir überzeugen lassen und einsehen, daß ich recht habe.

Jetzt fängt er an zu reden. Er sagt genau das Gegenteil von dem, was er vorhin sagte, aber er weiß seine Worte so geschickt und klug zu stellen, daß der Andere garnicht merkt, wie er in eine Falle gelockt wird, und wenn die Unterredung dann endlich beendet ist, hat der Herr Leutnant, dem es in diesem Jahre bei dem besten Willen an Zeit fehlte, eine wenn auch noch so kurze Übung zu machen, sich durch Handschlag verpflichtet, statt vier Wochen gleich acht zu dienen, damit er dann im nächsten Jahre wirklich frei ist.

Aber im nächsten Jahre wird ihn der Vorgesetzte trotzdem schon wieder zu einer Übung überreden, denn seine Aufgabe ist es, in den ihm unterstellten Herren die Lust und Liebe zum Waffenhandwerk wach zu halten und diese zu veranlassen, diese Liebe durch die Tat zu beweisen.

So haben mit Ausnahme derjenigen Herren, die tatsächlich nicht abkömmlich waren, alle, die in diesem Jahr an der Reihe sind, die Einberufungs­ordre erhalten und müssen nun den schlichten Rock des Bürgers mit dem bunten Rock vertauschen. Bei manchem muß der erst verändert werden, denn wie man leider niemals wieder jünger wird, so wird man auch in den seltensten Fällen magerer. Das Bier und der Mangel an Bewegung haben schon manche schlanke männliche Taille derartig verändert, daß der Schneider seine helle Freude daran hat, weil er sich und seinen Kunden sagt: „Ausgelassen kann der Rock nun nicht mehr werden, denn so viel Einlage, wie da nötig wäre, gibt es überhaupt nicht, wir müssen schon einen neuen machen.”

Der Herr Leutnant d. R. widerspricht, er denkt an die ihm zustehenden Equipierungs­gelder, die sind nicht allzu reichlich bemessen und wenn man bei einer Übung natürlich auch nichts verdienen will — zum Zusetzen hat man auch keine Lust. Aber trotzdem, anständig angezogen muß man doch gehen, das ist man sich selbst, seinem Stand und seinem Regiment schuldig. Also her mit dem neuen Rock, aber zu dem neuen Rock gehört auch eine neue Hose und zu der ganz neuen Uniform gehört eine neue Mütze und ein neuer Helm. Na, und daß zu all den neuen Sachen der alte Paletot nicht mehr geht, ist doch ganz klar, höchstens kann der Herr Leutnant die alte Litewka noch tragen, aber nur im Haus, im Kasino ist sie eine Unmöglichkeit.

Und während der Schneider so spricht, weist er mit so geschickten Händen auf die vielen Fehler und Schwächen der Litewka hin, daß plötzlich sein Zeigefinger durch den Stoff hindurch zum Vorschein kommt und freudestrahlend ruft er aus: „Hier haben die Motten schon gar ein Loch durchgefressen.”

So erfolgt denn die Neu-Equipierung vom Kopf bis zu den Füßen. Der Herr Leutnant stöhnt im stillen über die große Ausgabe, daß der Schneider ihn bitten muß, die Luft anzuhalten, weil sonst alles viel zu weit wird, noch weiter, als es ohnehin schon erforderlich ist. Aber er söhnt sich mit seinem Schicksal aus, als er die neuen Sachen zu Hause zum ersten Mal zur Probe anzieht, als alles tadellos sitzt und daß seine Frau ihm erklärt: „Wenn du auf der Mütze nicht das Landwehrkreuz tragen müßtest, würde kein Mensch es dir ansehen, daß du nur ein Leutnant der Reserve bist.”

Er lächelt geschmeichelt, klopft sich dann aber doch auf sein Embonpoint: „Aber findest du nicht, daß ich hier in dieser Gegend etwas reichlich gewachsen bin?”

Wenn eine Frau ihren Mann liebt, findet sie alles an ihm schön und so sagt sie denn: „Aber garnicht, Otto, ich finde sogar, diese kleine Rundung steht dir ausgezeichnet. Nein, nein, du darfst garnicht schlanker werden, als du bist, verändere nur um Gottes Willen deine Figur nicht.”

Die kleine Frau ist so stolz auf ihren Otto, daß sie am liebsten gleich mit ihm einen Spaziergang durch die belebtesten Straßen der Stadt machte und ihn allen ihren besten Freundinnen mit den Worten zeigte: „Mein ist der Mann und mir gehört er zu.” Wozu hat man denn einen so schönen Mann, doch nicht nur, damit er, mit Ausnahme von Kaisers Geburtstag und anderen hohen militärischen Festtagen, das ganze Jahr hindurch im Kleiderschrank hängt. Aber in Uniform ausgehen darf Otto noch nicht, damit muß er warten, bis die Abschiedsstunde naht, bis er Abschied nimmt, um auf Umwegen zu seinem Regiment zu reisen, denn zuerst geht es nach dem Truppen­übungs­platz, auf dem nach den neuen Bestimmungen die Herren der Reserve erst vierzehn Tage lang ausgebildet werden, bevor sie bei ihren Truppen als Leutnant vor die Front treten.

Der Abschied wird der kleinen Frau sehr schwer, aber es ist ihr ein Trost, daß sie ihren Otto zur Bahn bringt und sich nun doch mit ihm in der Öffentlichkeit zeigen darf. Natürlich fahren sie im offenen Wagen, trotzdem es am Himmel sehr nach Regen aussieht, und um gegen ihren Mann in der neuen Uniform nicht zu sehr abzustechen, hat sie sich ihre schönste Straßen­toilette angezogen. Wie ein Raubtier nach seiner Beute, so späht sie während der Fahrt nach ihren Freundinnen aus und sie hat Glück, mehr als Glück, vier gehen an ihnen vorüber. Vier von ihren acht Intimsten sehen es, wie stattlich und hübsch ihr Otto in Uniform aussieht, und sie bedauert nur, daß Otto nicht im Wagen steht, damit sie ihn in seiner ganzen Erscheinung bewundern können.

Und plötzlich droht ihr das Herz vor Freude stehen zu bleiben. Das in der Stadt garnisonierende Regiment kehrt von einer Übung zurück und marschiert mit klingendem Spiel an ihrem Wagen vorüber. Alle Herrn, von dem Herrn Oberst herab bis zum jüngsten Leutnant grüßen den Kameraden von der Reserve, senken vor ihm den Degen, und Otto erwidert den Gruß durch Anlegen der rechten Hand an die Mütze. So froh wie heute ist die kleine Frau noch nie gewesen und als die Truppe vorüber ist, schmiegt sie sich zärtlich an ihren Gatten: „Ach Otto, ich bin ja so stolz auf dich, am liebsten möchte ich dir gleich einen Kuß geben.”

Verdient hatte er den nach seiner Meinung auch reichlich, aber trotzdem wehrt er ab: „Liebling, sei vernünftig, hier im offenen Wagen, ich noch dazu in Uniform — nachher auf dem Bahnhof, bei dem Abschied­nehmen, da fällt es nicht auf, da können wir nachholen, was wir jetzt versäumen müssen.”

Das tun sie denn auch reichlich, bis der Zugführer zum Einsteigen mahnt.

„Dann leb' wohl, mein Otto, und laß es dir recht, recht gut gehen, denk' oft an mich und schreib' mir, sobald du Zeit hast und denk' an das, was ich dir sagte, verändere um Gottes Willen deine Figur nicht und iß und trink ordentlich, damit du nicht von Kräften kommst und wenn es dir an irgend etwas fehlt, dann schreibe mir eine Karte. Ich schicke es dir dann sofort. Und vor allen Dingen, mein Otto, behalte mich lieb und bleib mir treu.”

Bei dem Gedanken, daß ihr Otto ihr vielleicht untreu werden könne, füllen sich ihre hübschen braunen Augen mit großen Tränen. Am liebsten stiege er nochmals aus, um sie in seine Arme zu nehmen und um sie zu trösten, aber der Stations­vorsteher gibt das Zeichen zur Abfahrt, die Lokomotive pfeift und gleich darauf setzt sich der Zug in Bewegung.

„Adieu, mein Otto.”

Aber mein Otto hört nicht mehr, er hat sich bereits in die Kissen zurückgelehnt und die Reiselektüre zur Hand genommen. Wenn er sonst als Zivilist fährt, kauft er sich auf den Bahnhöfen mit Vorliebe Militär­humoresken und lustige Militär­romane, aber jetzt in Uniform darf er das nach seiner Meinung nicht, da liest er den Lokalanzeiger und die Fliegenden Blätter.

Die Reise bis zum Truppenübungsplatz ist weit, aber glücklicherweise erhält er bald Gesellschaft, zwei Kameraden steigen ein, von denen der eine sogar zu seinem Regiment gehört, der Leutnant d. R. Berka, in seinem Zivilleben Rechtsanwalt. Und wenn auch der andere Herr einem anderen Truppenteil angehört, so hat auch er dennoch dasselbe Reiseziel, den Truppen­übungs­platz.

Natürlich bildet die neue Bestimmung, der Kursus im Barackenlager, das Haupt­gesprächs­thema. Der dritte Herr, der jetzt seine erste Offiziers­übung macht, findet sie äußerst praktisch und vernünftig: „Denn schließlich, woher soll unsereins gleich die nötigen Kenntnisse haben? Aus den Büchern allein ist die Wissenschaft doch nicht zu erlernen. Jedes vernunftbegabte Wesen sieht das ja auch ein, aber die Kerls wissen doch auch garnicht, was Vernunft ist. Die denken, wenn sie überhaupt denken, daß man mit dem bunten Rock auch a tempo die militärischen Kenntnisse anzieht und wenn ess denn damit hapert, während man vor der Front steht, dann feixen und grinsen die Brüder und machen sich im stillen über uns lustig. Na und das schlimmste, das einem Vorgesetzten passieren kann, ist doch, von einem Untergebenen ausgelacht zu werden. Da ist jede Autorität zum Teufel und ohne die geht es nun einmal nicht. Wie gesagt, ich finde die neue Bestimmung in jeder Hinsicht ausgezeichnet.”

„Gewiß ist alles sehr gut und sehr schön,” stimmt Herr Rechtsanwalt ihm bei, „aber mir gefällt nur nicht, daß wir den Kursus gerade auf dem Truppen­übungs­platz durchmachen müssen, denn als moderner Mensch ist man doch Gott sei Dank oder in diesem Falle besser gesagt, leider Gottes an allen unmöglichen Luxus und Komfort gewöhnt. Ohne elektrisches Licht, ohne Warmwasserleitung an dem Waschtisch und ohne Klubsessel kann ich mir das Leben ebensowenig vorstellen, wie ohne Luft und ohne Zahnbürste. Na und welcher gebildete Mensch schreibt denn auch heutzutage seine Briefe selbst. Man muß doch seine Tippeljungfrau bei sich haben und da wir nun doch einmal bei dem weiblichen Geschlecht sind, ich meine, so ganz ohne dem geht es doch auch nicht. Die Keuschheit ist an und für sich gewiß auch eine sehr schöne und empfehlenswerte Tugend, ganz besonders für die verheirateten Herren, aber da ich das Glück habe, ledig und Junggeselle aus Überzeugung zu sein — ich meine, da müßte auch in dieser Hinsicht von der Hohen Obrigkeit für uns gesorgt werden. Wie der Staat das anfängt, das überlasse ich ganz ihm, aber tun müßte er da etwas, denn schließlich ist der Staat doch schon deshalb für die Gesundheit und das Leben seiner Untertanen verantwortlich, weil sie keine Steuern mehr bezahlen können, wenn sie tot sind. Na regen wir uns nicht weiter über diesen Punkt auf, aber amüsanter wäre es jedenfalls, wenn der Truppen­übungs­platz kein Barackenlager, sondern eine schöne große Garnison wäre.”

Dem stimmen alle bei und sie tun es erst recht, als sie nach langer Fahrt den Truppen­übungs­platz erreichen.


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