Meine kleine Ballettänzerin.

Von Graf Günther Rosenhagen,
in: „Kleine Geschichten”


Am späten Abend kam ich nach Hause; den ganzen Tag hatte ich angestrengt gearbeitet und mit um so größerer Freude betrat ich daher meine Wohnung. Ich setzte mich an den Schreibtisch, aber nicht wie sonst empfand ich die Behaglichkeit des Raumes. Mir fehte etwas — was mochte es nur sein? Ich ließ meine Blick durch das Zimmer schweifen, richtig! Paula, meine kleine Ballettänzerin, war nicht an ihrem gewohnten Platz! Seit einigen Wochen erst war sie in meinen Besitz über­gegangen; lange hatte ich einen Freund, einen russischen Beamten, gebeten, sie mir abzutreten, — endlich hatte ich sie als Dank für einen geleisteten Dienst erhalten.

Die kleine Paula war von entzückender Schönheit; lange, bis in die Kniekehlen herab hängende blonde Haare umrahmten ein kleines Gesichtchen, aus dem hellblaue Augen fröhlich in die Welt schauten. Ein blaues Mieder schmiegte sich fest um ihre schlanke Taille; ein helles mit goldenen Sternen besätes Röckchen und fleischfarbene Trikots vollendeten den Anzug. Die kleine Tänzerin war mir unendlich lieb; für kein Geld hätte ich sie fortgegeben. Oft dachte ich des Tages an sie und freute mich auf den Augenblick des Wiedersehens. Auch heute während der Arbeit hatte ich mich viel in Gedanken mit ihr beschäftigt. Wo war sie nur hingekommen?

Ich rief den Diener und fragte ihn:

„Wo ist Paula? Hast Du sie nicht gesehen?”

Er suchte meiner Frage auszuweichen, ich forderte bestimmte Antwort. Da kam es heraus, die entsetzliche Nachricht: sie war verbrannt!

Thränen des Kummers und des Unmuths traten mir in die Augen; ich befahl mir den ganzen Hergang genau zu erzählen. „Ach, Herr,” begann der Alte, „zürnen Sie mir nicht und lassen Sie mich das Unglück nicht entgelten. Ganz wie sonst zündete ich heute Abend um sieben Uhr die große Lampe in Ihrem Zimmer an. Die kleine Tänzerin stand wie gewöhnlich daneben und ihre lachenden Augen schienen zu sagen: „Nur noch kurze Zeit, dann ist er wieder bei mir!” Ich hatte das Streichholz weggelegt und wollte schon die Stube verlassen, als ich einen brenzlichen Geruch verspürte. Sofort wandte ich mich um und fast hätte mich der Schlag gerührt, als ich das Schreckliche sah! Wie es gekommen, ist mir auch jetzt noch unerklärlich. Die kurzen Röckchen müssen Feuer gefangen haben und als ich zu Hülfe kam stand die Kleine schon in hellen Flammen. Ich versuchte das Feuer zu ersticken, ihr die Kleider herunter zu reißen; zu spät! das lange Haar war bereits versengt, gräßliche Brandwunden bedeckten ihr Gesicht und den zarten Leib!”

Ich winkte dem Diener zu gehen; lautlos verschwand er, froh, so leicht davon zu kommen. Ich setzte mich wieder an meinen Schreibtisch und sah traurig die Lampe an. Warum hatte die schöne Kleine so schnell enden müssen? — Nicht mehr wie sonst sollte sie mir das grelle Licht mildern, nicht mehr wie früher sollte ich mich darüber freuen, wenn die Strahlen der Flammen ihre Glieder mit rosigem Scheine durchdrangen!

Voll Schmerz um den verlorenen Liebling suchte ich mein Lager auf und plötzlich war es mir, als ob sich eine weiche Hand auf mein Gesicht legte. Ich erwachte halb und sah die kleine Tänzerin auf der Kante meines Bettes sitzen.

„Sei nicht traurig,” sprach sie zu mir, „daß Du mich schon so bald, nach so kurzem, glücklichen Besitz hast verlieren müssen. Auch ich wäre gern bei Dir geblieben; stets warst Du freundlich und liebevoll mit mir. Nicht wie die Anderen, die mich vor Dir besaßen, glaubtest Du, daß ich nur eine Puppe sei, gut genug zum Spielen und zum Bewundern — oh nein, Du schienst zu ahnen, daß in mir wirklich Leben wäre!

In der kleinen russischen Stadt Libau war es, wo ich entstand. Dort lebte eine arme Frau, die Wittwe eines im Krimkriege gefallenen Offiziers. Die bitterste Noth des Lebens lernte die Arme kennen, ihre Pension war so gering, daß sie kaum für die billige Wohnung reichte. Alle Versuche, durch Handarbeit Geld zu erwerben, waren vergeblich. So saß sie eines Tages niedergeschlagen bei dem Schein eines flackernden Talglichts am Tisch und ein trauriges Lächeln flog über ihr Gesicht, als unter ihren geschickten Händen mein Körper und meine Glieder entstanden. Ich hatte die Empfindung von Steifheit und Kälte; bunte Papierstreifen lagen um mich her. Aber aus diesen verfertigte die gute Frau schnell die Gewänder, in denen Du mich kanntest. Sie zog mir die seidenen Trikots, die kurzen, faltigen Röckchen einer Ballettänzerin an, steckte meine Füße in blauseidene Schuhe und band sie mit schmalen Bändern an den Knöcheln fest. Sie kämmte mir mein langes, blondes Haar, flocht ein blaues Band hinein, und wie sie, so freute auch ich mich meines Schmuckes.

„Nun sei dankbar für all' die Mühe und Arbeit, die ich Dir habe zu Teil werden lassen,” sprach sie zu mir, „und trage dazu bei, daß mein Name bekannt wird. Möchtest Du Dir Freunde erwerben, wohin Du kommst!”

Dann nahm sie mich auf, zündete eine kleine Lampe an und hing mich an die Kuppel.

Welche Veränderung ging da plötzlich mit mir vor! Die Wärme der Flamme durchdrang sanft und allmählich meine Glieder; ich fühlte, daß meine Wangen sich rötheten, fühlte, wie das Blut in meinen Adern zu fließen begann und ich merkte, daß ich zum Leben erwachte.

„Wie bist Du schön,” sprach meine Pflegemutter; „gewiß, es muß Dir gut gehen auf dieser Welt!”

Vorsichtig wurde ich wieder heruntergehoben und mit der abnehmenden Wärme des Lichtes fühlte ich mein Blut allmählich wieder erstarren, das Leben aus mir entschwinden und schließlich war ich wieder nichts als eine Puppe!

So ist es immer geblieben; am Tage habe ich geschlafen, sobald aber die Lampe brannte, begann ich zu leben, vernahm Alles, was die Menschen um mich herum sprachen und nahm Theil an ihrem Geschick.

Noch am Abend meiner Erschaffung hing ich vor dem blendenden Licht einer großen Glühlampe und während draußen die Menge sich vor dem Fenster zusammendrängte und meine Schönheit und Grazie pries, hörte ich neben mir den Ladenbesitzer zu der Wittwe sagen: „Das ist ja eine ganz neue reizende Idee! Bringen Sie mnir mehr dieser niedlichen Kinder, so viel Sie anfertigen können!”

Er zahlte einen unerwartet hohen Preis für mich, und das glückstrahlende Gesicht der amen Frau, die von draußen noch einen Blick auf ihr bewundertes Werk warf, erfüllte mich mit stolzem Bewußtsein. Ich wußte, ich war ihre Eretterin!

Wenige Stunden nur blieb ich im Schaufenster, dann kam schon ein Diplomat und kaufte mich.

In seinem Hause, bei dem berechnenden, stolzen Manne lernte ich die Menschen kennen. Sie waren alle kalt und herzlos, ja, das nicht allein, sie waren auch schlecht; Keiner traute dem Anderen, sie suchten sich gegenseitig zu übervortheilen und mit lächelnden Mienen belogen sie sich unter einander. Höre nur!

Mein Herr, der den Posten eines Verwalters öffentlicher Gelder einnahm, hatte einen Theil derselben unterschlagen. Vielleicht aus Angst vor Strafe und Entehrung versuchte er eines Abends einen anderen Beamten mit heuchlerischen Worten zu einer Unterschrift zu bewegen, die ihn von aller Schuld befreit, jenen aber strafbar gemacht hätte.

Das Benehmen meines Herrn erfüllte mich mit Abscheu; ich dachte darüber nach, wie ich das Vorhaben vereiteln könnte. Der Zufall kam mir zu Hülfe: Während der Fremde sich über den Schreibtisch beugte und seinen Namen auf den Schein setzte, streifte er mich mit dem Ärmel; ich fiel herunter, gerade auf das Blatt! Besahst Du Dir einmal genau den kleinen Finger meiner rechten Hand? Er trug einen schwarzen Tintenklecks, der nicht fortging, so viel ich mich auch waschen mochte. Mit dem kleinen Finger verwischte ich die Unterschrift derartig, daß sie ungültig wurde.

„Das war ein Wink von oben,” sprach der Herr; „zum zweiten Male unterschreibe ich nicht.”

Wüthend ergriff mich der Diplomat, er schleuderte mich in die Ecke, daß mich noch lange, lange Zeit meine Glieder schmerzten. Wie todt blieb ich liegen; doch ich wurde wieder zum Leben erweckt!

Am nächsten Morgen hing ich äußerlich unversehrt an der Lampenkuppel Deines Freundes, mein erster Besitzer hatte mich in seinem Zorn verschenkt — mir zum Heil, denn bald lernte ich Dich kennen!

Aber wieviel traurige Stunden habe ich dort verlebt; wieviel Gespräche, die mein Ohr beleidigten, habe ich anhören müssen! Ich erinnere mich besonders eines Abends; mehrere Herren, lustige Lebemänner, hatten sich um meine Lampe versammelt.

„Ei sieh da, welch' eine niedliche Tänzerin,” begann der Eine, „jammerschade, daß sie nicht lebt, es wäre wohl der Mühe werth, sie zu erobern.”

„Ja wirklich,” sprach ein Anderer, „sie müßte in unser Ballet eintreten! Wie würde das gewinnen, wenn solch eine Tänzerin darunter wäre! Sieh Dir nur einmal die Figur an, diese zierlichen Füße, die schöne Büste.”

Ich war empört über die Kühnheit der Herren, ich fühlte, wie ich erröthete, wie die Hitze mir ins Gesicht stieg.

„Wirklich,” fuhr der Erste wieder fort, „sollte man nicht glauben, die Kleine lebe.” Dabei berührte er mich.

Das war zu viel; ich machte eine zornige Bewegung, der kleine Haken, an dem ich befestigt war, riß und ich fiel auf die Erde.

Schnell hob mein Herr mich auf. Er befühlte meine Glieder, ob ich auch nichts gebrochen; er ordnete meine Kleider und strich zärtlich über mein Haar.

„Es ist nur gut, Du kleines Ding,” sagte er, „daß Dir nichts geschehen ist. Nun aber komm, ich will Dich verwahren, bis das Band morgen erneuert wird.”

Darauf öffnete er die Schieblade seines Schreibtisches und legte mich hinein. Ich war noch halb bei Bewußtsein; das helle Licht hatte mich mit so viel Wärme durchdrungen, daß ich auch jetzt noch denken und sehen konnte. Ich besah mir meine Umgebung und hörte noch, wie einer der Herren sagte:

„Nun da liegt Deine kleine Tänzerin ganz gut, da hat sie ja passende Gesellschaft!”

Rings umher lagen lose zerstreut Bilder von Balletdamen in allen möglichen Kostümen und Stellungen. Alle waren mit Widmungen versehen: „In treuer Liebe”, „Zum ewigen Andenken”, „In unwandelbarer Treue” — und was dergleichen leere Redensarten mehr sind. Die Mädchen, die ich hier vorfand, schienen wirklich recht leichtsinnig zu sein. Unwillig wandte ich mich ab und dachte an meine gute, arme Wittwe. Wenn sie wüßte, in welcher Gesellschaft ich mich befände, und wie heute über mich gesprochen worden war! — Die Thränen traten mir in die Augen. Doch ich wollte nicht weinen. Ich sollte ja den Leuten gefallen, ihnen durch meine Schönheit Freude bereiten — so hatte ja meine gute Mutter gewünscht und bis jetzt war es mir gelungen, ihre Erwartungen zu erfüllen. Und bald darauf kam ich ja auch zu Dir und welches Vergnügen war es für mich. Dich an Deinem Schreibtische arbeiten zu sehen; denn glaube mir, ich weiß den Fleiß zu ehren! Ich hoffte meine Tage in Ruhe zu beschließen, doch schnell und fürchterlich kam mein Ende! Oh, Du weißt nicht, wie es schmerzt, wenn die Flammen den Körper ergreifen und langsam die Glieder versengen und verkohlen.

So bin ich früher, als ich erwartet habe, gestorben, aber ich kann sagen, daß ich nicht umsonst gelebt habe. Den Ruhm der armen alten Frau habe ich begründet, Tausende meiner Schwestern sind über die ganze Welt verbreitet und wo früher Armuth herrschte, ist nun reichlicher Wohlstand!”

So sprach die kleine Tänzerin zu mir, einen Kuß drückte sie auf meine Lippen; dann verschwand sie für immer.


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