Der militärische Backfisch.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Ihre Durchlaucht der Regimentschef” und
in:
„Seine Hoheit”


Es gibt zweierlei Backfische, solche weiblichen Geschlechts, die für das Militär schwärmen, und solche männlichen Geschlechts, die noch mehr als ihre weiblichen Milchschwestern fürs Militär schwärmen, schon aus dem einfachen Grunde, weil sie selbst beim Militär sind.

Der militärische Backfisch, der blutjunge Leutnant, der, kaum achtzehn Jahre alt, eben aus dem Korps kommt, mit seinem bartlosen, rosenwangigen Mädchengesicht, verwundert und träumerisch in die Welt blickend, ist der Schrecken seiner Vorgestzten, der Stein des Anstoßes für alle Kameraden.

Er selbst fühlt sich noch in jeder Hinsicht wie ein Kind. Bis zu seinem zehnten Jahr ist er bei seiner Mutter und zwischen seinen Schwestern groß geworden, dann kam er ins Korps. Die alte Geschichte in allen Offiziersfamilien: der Vater tot, kein Geld im Hause, um die Kinder zu erziehen, — folglich: Kadettenkorps. Mag er als Leutnant dann sehen, wie er sich durchschlägt, irgend jemand wird sich später schon seiner erbarmen, na, und wenn nicht, dann muß es auch so gehen. Man hört doch so oft von Offizieren, die mit der Königszulage — zwanzig Mark monatlich — auskommen, ohne Schulden zu machen, dann muß er es auch. Und er wird es auch; er ist ja ein so guter Junge und hat seiner Mutter noch nie Sorgen gemacht und wird es auch in Zukunft nicht tun, was, Fritzchen —?

Und der zehnjährige Fritz, der mit Stolz aus dem Munde seiner Mutter hört, daß er ihr in seinem bisherigen langen Leben noch nie Sorgen machte, gelobt es, auch in Zukunft nicht zu tun. Dann reißt er sich von der weinenden Mutter, den weinenden Schwestern los, er selbst kämpft seine Tränen mutig hinunter, er soll ja jetzt ein Mann werden, noch dazu ein Offizier. Und hocherhobenen Kopfes fährt er dem Korps entgegen.

Aber er bleibt, der er ist. Er gibt sich die größte Mühe, würdevoll dreinzusehen, wenn er in der Kadettenuniform spazieren geführt wird, aber es gelingt ihm nicht, er bleibt das Kind, das er war, und auf Ferien spielt er mit seinen Schwestern zusammen Puppen.

Und dabei ist er schon bald elf Jahre. Und schon Kadett.

Er hat nichts Militärisches in sich und er bekommt es auch nicht. Er hat in seinem ganzen Wesen so etwas Mädchenhaftes, daran ändern weder die Neckereien der Kameraden etwas, noch die Ermahnungen der Lehrer. Er hört das Wort: werde zum Mann! Aber er kann sich, trotzdem die Jugend bei seinem hohen Alter von vierzehn Jahren schon lange hinter ihm liegt, nicht daran gewöhnen. Er bleibt ein Kind auch in seinen ganzen Anschauungen, auch seine Gedanken bleiben rein, er hört kaum hin, wenn die Älteren ihn aufzuklären versuchen. Was er da hört, ekelt ihn an, er denkt an seine Mutter und seine Schwestern, er wird rot und schämt sich, er schämt sich um der andern willen. Er bleibt rein, das unverdorbene Kind, und als solches tritt er eines Tages in die Armee.

Er ist jetzt achtzehn Jahre alt, die Jugend, die er nie genossen, nie kennen lernte, liegt für immer hinter ihm. Der Ernst des Lebens beginnt.

Mehr als vierzig große, lange Rekruten stehen vor ihm, zwölf Unteroffiziere und Gefreite stehen unter seinem Kommando, es ist eine große Verantwortung, die da auf seinen Schultern lastet.

Es bedrückt ihn, daß er nun plötzlich der „Herr Leutnant” ist. — —

„Mehr Selbstgefühl!” ermahnen ihn die Vorgesetzten. „Sie müssen den Kerls mehr zeigen, wer und was Sie sind, sonst lachen die Sie aus. Und auch in der Gesellschaft müssen Sie sicherer, selbstbewußter auftreten. Denken Sie immer daran, daß viele Zehntausende Sie um die Stellung beneiden, die Sie jetzt einnehmen, um den Rock, den Sie tragen. Das wird und muß Sie zum Mann machen.”

Aber gerade, daß er trotz seiner Jugend so viel in der Welt vorstellt, drückt ihn nieder. Er errötet, wenn ein alter Herr vom Zivil ihm mit einem: „Aber ich bitte, Herr Leutnant, der Vortritt gehört Ihnen,” zurücktritt und absolut nicht vorausgehen will. Ja, er wird auch im Dienst verlegen, wenn die vierzig großen, strammen Soldaten, die ihn um einige Köpfe überragen, unbeweglich dastehen und wenn die alten Unteroffiziere sich nach den Befehlen des Herrn Leutnant erkundigen.

Und nun erst auf Gesellschaften, wenn ihm der Diener, nachdem er ihm aus dem Mantel geholfen hat, die kleine Karte überreicht: Herr Leutnant so . . . wird gebeten, Fräulein so . . . zu Tisch zu führen.

Da wird er noch röter als sonst, er geniert sich, in den Salon zu gehen. Er ist für sich selbst noch das Kind, trotz seines hohen Alters, aber für die anderen ist er der Herr Leutnant. Schon der Anblick seiner Uniform elektrisiert die jungen Mädchen. Er weiß, wäre er noch Primaner, dann würde man ihn auslachen, wenn er auch nur den Wunsch äußerte, hier eingeladen zu werden. Aber jetzt? — Die gnädige Frau ist „erfreut, ihn hier zu sehen,” der Hausherr macht ihm seine tiefste Verbeugung, ein Regierungsrat, dem er im Gedränge die Hand zu geben vergaß, tritt an ihn heran und begrüßt ihn zuerst — — und ist erst beruhigt, als der Herr Leutnant ihm die Hand gibt. Er hält sie lange fest, damit die anderen es sehen, damit sie nicht etwa glauben, der Offizier hätte ihn vorhin absichtlich „geschnitten”, denn in seinem Hause verkehren die Offiziere hin und wieder, und er wünscht, sie möchten häufiger kommen, denn er hat geerbt. Er will jetzt ein größeres Haus machen als bisher, und die Uniformen der Leutnants sollen seinem Heim auch nach außen hin das nötige Relief verleihen. Man mag noch so reich sein — — wo die Herren Offiziere nicht verkehren, da stimmt für die Außenwelt irgend etwas nicht, da muß irgendwo ein dunkler Punkt sein, der die Familie trotz ihres Vermögens von der ersten Gesellschaft ausschließt — — wenigstens von der allerersten.

„Ich werde mich sehr freuen, Herr Leutnant, wenn auch Sie meiner Frau und mir bald die Ehre und die Auszeichnung Ihres Besuches zu Teil werden ließen —”

Der Herr Regierungsrat spricht's. Und der militärische Backfisch errötet.

Er ist noch so schrecklich dumm, er weiß noch garnicht, wieso, weshalb und warum es für den anderen eine „Ehre” sein kann, wenn er ihn besucht — — er hat doch noch nichts weiter auf der Welt geleistet, als daß er seine Examina bestand, und auf dem Kasernenhof leistet er noch garnichts, obgleich er sich die größte Mühe gibt. Das hat ihm sein Hauptmann erst heute morgen wieder in einer stillen Ecke in deutlichster Weise auseinandergesetzt.

„Mehr Selbstgefühl — mehr Stolz, mehr Selbstbewußtsein,” hatte es auch heute morgen wieder geheißen. Er denkt in diesem Augenblick daran. Und so sagt er denn: „Wenn meine Zeit es mir irgendwie erlaubt, werde ich mich gelegentlich gerne Ihrer freundlichen Worte erinnern —”

Das kann ebensogut eine Zusage wie eine Absage sein. Aber der andere ist doch über die frohe Perspektive, die sich ihm da zu eröffnen scheint, sehr entzückt. Der militärische Backfisch aber schämt sich jetzt seiner Worte. Wie hatte er nur zu einem älteren Herrn so sprechen können! Ist es nicht für ihn eine Ehre und eine Auszeichnung, in das Haus eines studierten Herrn eingeladen zu werden, in dem sich ihm Gelegenheit bietet, allerlei neues zu hören, manches zu lernen? Mußte er die Aufforderung nicht dankbarst begrüßen, sie mit beiden Händen ergreifen? — —

Er schämt sich. Und seine Wangen werden dunkelrot.

Da trifft ihn der Blick eines älteren Kameraden, der seine Antwort gehört hat. Sonst fährt er bei solchen Gelegenheiten erschrocken zusammen, dann weiß er, daß er bald etwas auf den Hut bekommt, und die älteren Kameraden können noch viel gröber werden, als die gröbsten Vorgesetzten. Aber jetzt freut er sich über diesen Blick — — er hat die strengen Verweise, die seiner harren, vollauf verdient.

Da winkt ihm der ältere mit den Augen zu sich heran und sagt leise: „Ich habe gehört, wie Sie den Regierungsrat abfallen ließen — — das haben Sie gut gemacht. Der Mann drängt sich in einer wahrhaft ekelhaften Weise an uns heran! Ich bin 'mal auf eins seiner Diners hineingefallen — ich sage Ihnen: einfach gräßlich. Erst muß er sich 'mal 'ne anständige Köchin anschaffen, dann können wir ja weiter sehen. Auf jeden Fall meine Anerkennung, Sie haben es ihm famos gegeben — das hätte ich Ihnen garnicht zugetraut. Nur so weiter, dann werden Sie bald aufhören, unser Backfisch zu sein.”

Er steht dem anderen ganz fassungslos gegenüber. Ist das Ironie oder Ernst, was er da hört?

Der ältere merkt den Eindruck, den seine Worte hervorriefen. „Mich freut's, daß meine Anerkennung Ihnen nicht gleichgültig ist. Ich sehe ja, wie Ihre Augen vor Stolz leuchten. Ihr Hauptmann wird glücklich sein, wenn ich ihm morgen erzähle, wie korrekt Sie sich eben benommen haben. Denn Sie sind nun doch einmal sein Sorgenkind.”

Der Diener öffnet die Tür zum Speisezimmer und die Hausfrau bittet die Herren ihre Damen zu engagieren.

Der Zufall will es, daß der militärische Backfisch die einzige Tochter des Regierungsrats führt, sie ist noch sehr jung und deshalb hat sie geradezu davor gezittert, vielleicht einen Referendar als Tischherrn zu bekommen. Nun hat sie einen Leutnant, einen wirklichen Leutnant, im Gegensatz zu ihrer besten Freundin Frida. Sie ist wirklich glücklich, sie wirft der Freundin einen triumphierenden Blick zu, sie freut sich wie ein Kind über ihren Leutnant, und sie zeigt es ihm immer deutlicher. Aber je mehr er es merkt, wie sie ihm nur um seines Rockes willen zu gefallen versucht, desto stiller, verlegener und verwirrter wird er. Er denkt an seine Schwestern, ob die es auch wohl so darauf anlegen, einem Leutnant gefallen zu wollen? Nur, weil der ein Leutnant ist?

Er wird immer verlegener, er spielt mit seiner Serviette und spricht schon lange nicht mehr.

Da fühlt er wieder den Blick des älteren Kameraden auf sich gerichtet, der ihn vorhin belobte, und er denkt: ist er wohl auch dieses Mal mit dir zufrieden? Er müßte es sein, wenn es eine Gerechtigkeit auf Erden gäbe.

Aber es gibt keine! Das sieht er am nächsten Morgen wieder ein, als der ältere Kamerad ihn zur Rede stellt.

„Was soll man denn nun mit Ihnen machen? Für ein paar Minuten haben Sie sich gestern so benommen, daß man mit Ihnen wirklich zufrieden sein konnte, und dann — als man sich darüber freute, daß Sie endlich auf dem richtigen Wege sind, fallen Sie doch wieder in Ihren alten Fehler zurück! Sie hätten sich nur gestern selbst bei Tisch sehen sollen — wahrhaftigen Gotts, wie ein Backfisch haben Sie dagesessen, anstatt wie ein Mann, der da den Mädels zeigt: ich bin ich, und wenn ich will, dann tanzt ihr doch nach meiner Pfeife! Wir sind die Herren der Schöpfung und ihr könnt froh sein, wenn ihr einen von uns, mich im besonderen, zum Mann bekommt. Denn jeder muß sich selbst für den Besten und den Tüchtigsten halten, wenigstens nach außen hin, ganz besonders als Offizier, — sonst liegt er gleich unter dem Schlitten. Wer da laut bekennt: du bist klüger als ich, kann sich ruhig begraben lassen. Im stillen kann man ja den einen oder den anderen um seiner Weisheit und seiner Kenntnisse willen wirklich bewundern, aber: nur nichts merken lassen. Das ist der Tod. Der Oberst muß viel mehr Respekt vor mir haben, als ich vor ihm, sonst bringe ich es zu nichts, und doch nur das interessiert mich. Denn was habe ich selbst davon, ob der Oberst General oder gar Exzellenz wird? Immer den Kopf hoch, sich da immer hinstellen und bewundern lassen: seht mich an, ich bin ein Kerl, von mir könnt ihr alle noch 'was lernen, obgleich ihr unbegreiflicher Weise mehr Gehalt habt als ich! Ihr habt die Weisheit im Portemonnaie, ich hab' sie im Schädel. Unter uns gesagt, hätte ich sie natürlich auch lieber in der Tasche, aber um Gotteswillen sich nur nicht in die Karten gucken lassen. Wer einem anderen in die Karten sieht, ist ein gemeiner Kerl, wer sich aber hineinsehen läßt, ist noch etwas viel schlimmeres: ein Riesenrindvieh, das es wirklich verdient, von Liebig zu Fleichextrakt verarbeitet zu werden oder als Maggi die Suppe der Hausfrau zu würzen.”

Der ältere Kamerad machte eine Pause: „Ich gebe hier die ganze Weisheit Salomonis zum Besten und meine eigene dazu, — aber was habe ich davon! Wird es wenigstens was nützen? Werden Sie aufhören, ein Backfisch zu sein und endlich anfangen, ein Mann zu werden? Es ist weiß Gott ein Elend mit Ihnen. Habe ich auch heute wieder vergebens in Sie hineingeredet oder werden Sie sich nun wirklich bessern?”

Der militärische Backfisch verspricht's. Er will sich ändern, schon um nicht mehr diese ewigen Ermahnungen und Belehrungen mit anhören zu müssen! Denn die hängen ihm genau so weit zum Halse hinaus, wie den Vorgesetzten, die ihn sich immer wieder „vorbinden”. Er will sich ändern. Die anderen nennen es: sich bessern. Er nennt es: schlechter werden — —

Aber er bleibt trotzdem, der er ist. Er kann gegen seine eigene, wahre Natur nicht an. Wie sein Gesicht den zarten, fast mädchenhaften Ausdruck behält, so bewahrt er sich die Kindlichkeit seiner Anschauungen.

Und das ist sehr schade, denn gerade er hätte das Zeug dazu, eine glänzende Karriere zu machen. Wenigstens sagen das die Vorgesetzten, und die sagen das immer mit Vorliebe von denen, an denen sie vergebens herumziehen, denn da sind sie ganz sicher, daß die Zukunft sie nicht Lügen strafen kann. Sie selbst bleiben in Amt und Würden — die anderen bekommen den Abschied. Sehr schade! „Hätten Sie auf mich gehört, dann wäre etwas Großes aus Ihnen geworden.”

Hätte er aber auf den Vorgesetzten gehört, — was dann? Dann wäre er dem Höher­stehenden keineswegs aufgefallen, denn daß einer zu allem ja und Amen sagt und das tut, was er soll, ist ja ganz selbstverständlich, darin liegt doch nichts Auffallendes. Der Vorgesetzte hätte ihn für einen Durschnitts­menschen taxiert, der in keiner Weise irgend etwas Charakteristisches an sich hat, na, und solche Köpfe sind für die höheren Stellen nicht geeignet. Da hätte er erst recht den Abschied bekommen.

Der militärische Backfisch erleidet den militärischen Tod. Natürlich in sehr jungen Jahren. Er stirbt am Mangel an Stolz, Selbstbewußtsein und Selbstherrlichkeit. — — —

Nach seinem Tode wird er Zivilist ud als solcher läßt er auf seine Visitenkarte nicht einmal die Worte drucken:

Leutnant d. R.

Und das ist doch für alle klardenkenden Menschen der untrüglichsten Beweis dafür, daß der militärische Backfisch von Anfang an seinen Beruf verfehlt hatte. — — —


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