Humoreske von Freiherrn von Schlicht
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 18.Mai 1902,
in: „König Eduards Testament” und
in: „Der Mann mit den vier Frauen”.
Ich suchte ein neues Mädchen, vorher aber muß ich kurz erzählen, wie ich dazu kam, auf die Suche zu gehen. Ein Trauerfall in meiner Familie zwang meine Frau, monatelang abwesend zu sein, und so wurde aus meinem Familienheim eine Junggesellenwirthschaft, umsomehr, als ich meine große Wohnung aufgab und für die Dauer eines halben Jahres mich bedeutend einfacher einrichtete. Die Donna, die meinem kleinen Haushalt vorstand, hieß Paula, sie war eine Perle, wenigstens sagte sie Das mir jeden Tag drei Mal selbst, und wenn ich sie einmal tadelte, dann hieß es: „Na, der gnädige Herr werden sich noch schön wundern, wenn ich einmal nicht mehr hier bin; so Eine wie mich bekommen der gnädige Herr nicht wieder.” Trotz der großen Vorzüge, die sie nach ihrer eigenen Ansicht besaß, entschloß ich mich dennoch, ihr eines Tages zu kündigen. Das Warum erklärt am besten die Antwort, die mir einmal ein alter Herr gab, als ich ihn fragte, warum er seinen Diener, der achtzehn Jahre bei ihm gewesen war, entlassen habe. „Das will ich Ihnen erklären,” erwiderte er. „Die ersten sechs Jahre war Friedrich mein Diener, die nächsten sechs Jahre war er mein Freund und die letzten sechs Jahre war er mein Herr, dem ich blindlings zu gehorchen hatte.”
So ähnlich ging es auch mir mit meiner Paula. ich zahlte ihr den Lohn, Das war aber auch das Einzige, was ich thun durfte, im Uebrigen hatte ich mich ihren Anordnungen zu fügen. Eines Tages bestellte ich mir für den nächsten Mittag mein Lieblingsgericht: Beefsteaks mit Champignons. „I wo,” sagte Paula, „Das gab es erst vorige Woche, alle Tage kann man Das nicht essen, mir ist Das sowieso schon zuwider. Morgen gibt es Kalbsbraten.” Und es gab Kalbsbraten, daran war Nichts zu ändern. Ich wollte wieder Herr sein in meinen vier Wänden, und so hatte ich denn gekündigt. Um Ersatz zu finden, veröffentlichte ich in der Zeitung folgende Annonce:
Gesucht
zu einem alleinstehenden Herrn ein älteres Mädchen mit guten Zeugnissen zum Alleindienen. Gute Kochkenntnisse erforderlich. Lohn nach Uebereinkunft.
Die erste Jungfrau, die sich bei mir meldete, war ein frisches, junges Blut in einem sehr modernen Hut. Zeugnisse hatte sie nicht, denn Dies sollte ihre erste Stellung werden, und kochen konnte sie auch nicht. Aber sie war fleißig, sauber und ehrlich, und sie würde dem Haushalt schon vorstehen können, und ihre Mutter hätte gesagt, auf die Kochkenntnisse käme es garnicht an, denn alleinstehende Herren äßen doch nie zu Hause, Das sagten die nur so.
Trotzdem dieses Mädchen den Vorzug hatte, eine sehr welterfahrene Dame als Mutter zu haben, dankte ich dennoch für ihre Dienste und am nächsten Tag erschien Nummer zwei. Besonderes Kennzeichen: Sehr kurzathmig. Ursache: Fettherz. „Gnädiger Herr,” fing sie an, „nehmen Sie es nicht übel, seien Sie mir nur nicht bös', aber ich muß mich einen Augenblick setzen. Die Treppen, ach die Treppen — wenn ich Das gewußt hätte, daß der gnädige Herr in der zweiten Etage wohnt, ich habe nämlich bisher immer im Parterre conditionirt. Der gnädige Herr müssen nämlich wissen, ich habe es mit dem Herzen zu thun, ein bischen Fett, nicht viel, aber immer mehr als gesund ist. Seien der gnädige Herr mir nur nicht böse, wenn ich nicht auf die Stellung reflectire, Treppen steigen kann ich nicht, ich muß mich nach einem Parterre umsehen. Die Treppen bringen mich noch 'mal um, sage ich immer, und passen Sie auf, gnädiger Herr, Sie werden sehen, daß ich Recht habe.”
Ich versprach ihr, aufzupassen, und fort war sie.
Wenig später erschien Nummer Drei, groß, stark, wenigstens zweihundert und fünfzig Pfund schwer. Alter: ungefähr fünfzig, besonderes Kennzeichen: tiefster Kummer, in Thränen aufgelöst. Kaum hatte ich sie eintreten lassen, da ließ sie sich auf einen Stuhl nieder und verbarg schluchzend ihr Gesicht in den Händen.
Ich stand ihr ziemlich rathlos gegenüber. „Aber Verehrte,” sagte ich schließlich, „ was haben Sie nur?”
Sie weinte lange Zeit still vor sich hin. „Ach Gott, ach Gott,” schluchzte sie endlich, „mein guter Commerzienrath.”
Ich war genau so klug, wie zuvor.
„Was ist denn mit Ihrem guten Commerzienrath?” erkundigte ich mich.
Ein neuer Thränenstrom stürzte aus ihren Augen. „Todt ist er, denken Sie sich nur, gnädiger Herr — — er ist todt.”
„Na, beruhigen Sie sich nur,” versuchte ich sie zu trösten, „er wird schon wieder lebendig werden.”
Sie schüttelte wehmüthig den Kopf: „Vorgestern haben wir ihn begraben.”
„Ach so, Das ist ja dann allerdings etwas Anderes,” erwiderte ich kleinlaut.
Sie hörte garnicht auf Das, was ich sagte, sie weinte immer still vor sich hin. Ich wollte ihr ein zweites Taschentuch geben, um den Thränenbach zu trocknen, da kam mir ein anderer Gedanke. „Trinken Sie einen Cognac?” fragte ich.
Sie schluchzte herzzerreißend, da wußte ich, sie gab mir keinen Korb.
Ich schenkte ihr ein Glas voll und sie leerte es auf einen Zug. „Ach, Das thut gut,” seufzte sie.
Da wußte ich, sie wollte noch einen haben.
Und auch der zweite Cognac verschwand spurlos von der Erdoberfläche.
Mehr könnte ihr schädlich sein, dachte ich, und nahm ihr das Glas fort, dann setzte ich mich ihr gegenüber. „So,” sagte ich, „und nun erzählen Sie einmal, was ist denn nun mit Ihrem Commerzienrath?”
„Todt ist er,” schluchzte sie, „vorgestern haben wir ihn begraben.” Sie weinte stärker als zuvor, aber den dritten Cognac bekam sie deshalb doch nicht. Schließlich sah sie Das auch selbst ein, denn nachdem sie einige Minuten vergebens auf eine neue Tröstung gewartet hatte, fuhr sie fort: „Drei Jahre lang habe ich meinem Commerzienrath den Haushalt geführt, er war Wittwer und lebte ganz still für sich. Er hatte eine kleine Wohnung, sechs Zimmer, aber Alles was er hatte war so schön und so fein, nur echtes Silber und echtes Krystall. Ach, und reich war er — — — schrecklich reich.”
„Das pflegen Commerzienräthe meistens zu sein,” schaltete ich ein.
„Dieser aber war noch reicher,” widersprach sie, „ich glaube, der wußte selbst garnicht, wie reich er war. Wenn ich Geld haben wollte, dann brauchte ich nur zu sagen: „Herr Commerzienrath, ich brauche Geld,” und dann gab er es mir. Mal hundert Mark, mal zweihundert, das kam ihm garnicht darauf an.”
Ich fing an, Ihren Schmerz zu begreifen.
„Und um Nichts hat er sich gekümmert, um garnichts. Ich habe den Haushgalt ganz allein geführt, ich hatte Niemanden zur Hülfe, ich habe Alles selbst besorgt, und in Allem hat er mir freie Hand gelassen. Ich habe selbstständig den Küchenzettel gemacht, und ich kann Ihnen nur sagen, gnädiger Herr, der Herr Commerzienrath und ich haben sehr gut gegessen, denn ich kann kochen, gnädiger Herr, mehr als perfect. Und wenn ich mit dem Abrechnungsbuch zu dem Herrn Commerzienrath kam, dann hat er es nie angesehen, er glaubte mir so, daß ich ihn nicht betrog, so etwas traute er mir nicht zu. Ach, er war ein sehr guter Mann.”
Ich begriff ihren Schmerz vollständig.
„Sehen Sie, gnädiger Herr, wir lebten sehr glücklich mit einander und da muß er sterben. Mit einer Scatpartie fing es an, ich meine natürlich, mit einer Erkältung, die er sich auf dem Nachhauseweg holte. Zuerst war es nur ein ganz gewöhnlicher Schnupfen, dann fing er an zu husten, dann legte es sich auf die Lunge, dann legte er sich zu Bett und nach wenigen Tagen legten wir ihn in die Erde. Ach, gnädiger Herr, ich habe mich schon so oft gefragt, was ist das Leben?”
„Darüber haben sich schon ganz andere Leute als Sie vergebens den Kopf zerbrochen,” beruhigte ich sie. „Lassen wir die Todten ruhen und sprechen wir von der Zukunft. Sie wollen also die Stellung bei mir annehmen, welchen Lohn fordern Sie?”
Ueber den Geldpunkt wurden wir uns schnell einig und ich wußte nicht, woran es lag, aber Auguste — so hieß die Dame — gefiel mir. Ich hatte große Lust, sie zu engagiren, ich zählte ihr auf, was sie zu thun hätte und zeigte ihr dann die Räume, die sie in Ordnung halten müßte. Von dem Eßzimmer, in dem wir bisher gesessen hatten, gingen wir aus und betraten als letztes mein Arbeitszimmer. Aber kaum hatte sie diesen heiligen Raum betreten, da blieb sie stehen und sah sich Alles sehr genau an und schließlich blieben ihre Augen auf meinem großen seidenen Teppich haften, der fünf Meter lang und vier Meter breit, fast den ganzen Fußboden bedeckt. Dieser Teppich ist mein Stolz und wenn er auch nicht der werthvollste ist, den ich besitze, so ist er mir doch der liebste. Und nicht ohne Grund. Ich erstand ihn, als ich meinen ersten Roman verkauft und ein nie geahntes Honorar dafür in die Tasche gesteckt hatte. Noch im Vollbesitz des ganzen Geldes fiel ich gleich darauf einem persischen Teppichhändler in die Hände, der sich von anderen Leuten dieser Art dadurch unterschied, daß er wirklich ein Perser war. Daß er als echter Perser mich noch mehr über das Ohr haute, als ein imitirter, ist ja selbstverständlich. Ich kaufte ihm den Teppich ab, er kostete mich drei Romancapitel, aber der Kauf hat mir nie leid gethan, im Gegentheil, ich freue mich täglich, daß ich den Handel abschloß. Der Teppich ist mein Stolz, mein erstes Hingelegtes.
Hätte ich gegen Commerzienraths Auguste im Stillen vielleicht doch noch irgend welche Bedenken gehabt, so schwanden sie jetzt dahin, als ich sah, wie sie den Teppich musterte. „Aha,” sagte ich mir, „da sieht man doch gleich, daß sie bei einem Commerzienrath gewesen ist, sie versteht etwas von guten, alten Sachen, sie wird dir dein Haus in Ornung halten.”
„Nicht wahr,” fragte ich, stolz und glücklich, „der ist schön?”
„Das schon,” gab sie zur Antwort, dann aber fragte sie, mich entsetzt ansehend: „Muß ich den klopfen?”
„Selbstverständlich,” erwiderte ich, „haben Sie etwa in Ihrer letzten Stellung keine Teppiche geklopft?”
Mit vorwurfsvollen Augen sah sie mich an: „Meinen der gnädige Herr, mein Commerzienrath hätte mir so etwas zugemuthet? Nein, so etwas that er nicht. Als ich meinen Dienst bei ihm antrat, war er rücksichtsvoll genug, alle großen Teppiche einer Teppichreinigungsanstalt zum Aufbewahren zu übergeben. Ach, das war ein guter Mann, nun ist er todt, und vorgestern haben wir ihn begraben.”
Von Neuem fing sie an, herzzerreißend zu schluchzen, aber ihre Speculation auf den dritten Cognac schlug auch dieses Mal fehl, denn ich konnte den Schmerz um diesen edlen Todten wohl begreifen, aber ich war nicht im Stande, ihn zu stillen. Und unverrichteter Sache mußte Auguste von dannen ziehen, denn obgleich ich mich der denkbar besten Gesundheit erfreue, fühlte ich mich zu schwach, ihr den todten Commerzienrath zu ersetzen. Mit dem Todten konnte kein Lebendiger concurriren.