Wer ist der Aermste?

Skizze von Graf Günther Rosenhagen.
in: „Illustrirte Frauen-Zeitung” XXI.Jhrgg. Heft 6, vom 11.3.1894


„Aber Harry war arm, arm wie seine Eltern es gewesen, indem er jenem unglückseligen Mittelstande angehörte, der das Angenehme des Lebens immer vor Augen hat, ohne zugreifen zu können. Die Paria haben es besser. Sie athmen fort im Sumpf ihres Elends, sie ersticken darin, oder sie befreien sich zu Zeiten durch wilde Empörung.” — „Aber die anderen, die durch Bildung, Erziehung und angeborenen Geschmack imstande wären, die Feinheiten der Welt zu schlürfen und sie ungekostet an ihrem Munde vorbeitragen sehen, die zu anspruchsvoll sind, um sie entbehren zu wollen, zu gesittet, um sie gewaltsam zu erobern, — das sind die wahrhaft Armen.”

So las ich kürzlich, und während ich noch über die Wahrheit der Worte nachdachte, wurde an der Etagen-Thüre geklingelt. Einen Augenblick später betrat der Diener das Zimmer. Unwillig ob der Störung wandte ich mich um: „Was giebt es denn nun schon wieder?”

„Eine Bettlerin steht draußen und will sich nicht abweisen lassen.”

Ich erhob mich und schritt zur Thür. Auf dem Corridor stand eine hagere, blasse Frau, ärmlich, aber sauber gekleidet. Auf dem linken Arme trug sie einen Säugling, während zwei Kinder im Alter von drei oder vier Jahren sich ängstlich hinter dem Kleide der Mutter verbargen.

Man wird mißtrauisch in der Großstadt; nur zu oft hört man hinterher, wie die eigene Gutmüthigkeit mißgebraucht wird, wie alle möglichen Mittel angewendet werden, um unser Mitleid zu erregen, über das hinterher gelacht und gespottet wird, wie man sich Kinder bei Nachbarn und Bekannten leiht und die kleinen Wesen zu Erpressungs-Versuchen benutzt. Ich hatte in dieser Hinsicht traurige Erfahrungen gemacht.

Hart fuhr ich daher die Bettlerin an.

„Haben Sie es nicht gehört, ich gebe nichts. Was wollen Sie noch?”

„Den Hunger stillen, gnädiger Herr!”

Es klang so klagend und jammervoll, daß ich schon die Hand in die Tasche steckte. Da aber fiel mir ein, daß ich vor gar nicht langer Zeit einem kleinen Jungen auf seine flehenden Bitten hin einige Butterbrode hatte reichen lassen und sie hinterher, als ich das Haus verließ, auf der Treppe im Staub und Schmutz wiedergefunden hatte. „Sie lügen alle,” dachte ich und zog die Hand leer wieder zurück.

„Wenn Sie Hunger haben, so gehen Sie zu der Armen-Commission. Ich gebe nichts.”

„Ich war schon dort,” erwiderte sie leise und traurig, „aber auch dort wurde ich abgewiesen, da mein Mann noch lebt und gesund ist.”

„Und warum arbeitet er denn nicht?” fragte ich unwillig. „Es ist immer die alte Geschichte! Da wird geklagt und geschimpft über die schlechten Zeiten, der Mann sitzt in der Kneipe, vertrinkt seinen letzten Groschen und schickt Weib und Kind betteln, anstatt selbst für sie die Hände zu rühren.”

Ein glühendes Roth stieg bei meinen Worten in das blasse, elende Gesicht der Frau; still wandte sie sich ab und schickte sich an zu gehen. Keine Silbe, kein Ton kam über ihre Lippen, nur einen unsagbar vorwurfsvollen Blick warf sie mir zu, einen Blick, der mich einsehen ließ, daß ich zu weit gegangen war.

Ich trat ihr einige Schritte näher. „Verzeihen Sie,” bat ich, „ich wollte Ihnen nicht wehe thun.”

Da erst sah ich, daß dicke, schwere Thränen ihr die Wangen herunterrollten.

„Erzählen Sie mir, was Ihnen fehlt,” fuhr ich fort.

Was ich nun zu hören bekam, war die alte Geschichte von Krankheit und Noth, — das alte Lied, das jeder Bettler auf Befragen zum besten giebt; aber die ganze Art und Weise, wie die Frau sprach, wie sie nur erzählte, ohne zu klagen oder jemanden zu beschuldigen, die Liebe, mit der sie ihres Mannes erwähnte, der, fleißig und nüchtern, doch keine Arbeit finden könnte, das machte einen tiefen Eindruck auf mich.

Ich drückte ihr ein Geldstück in die Hand, indem ich ihre Adresse erfragte. „Ich will mich nach Ihnen erkundigen, und wenn sich alles so verhält, wie Sie es mir geschildert haben, dann soll Ihnen geholfen werden, verlassen Sie sich darauf.”

Ungläubig blickte sie mich an. „Auch Sie werden uns nicht helfen! Wohin ich ging und kam, überall erhielt ich dieselbe Antwort: „Wir wollen uns erkundigen, dann sollen Sie von uns hören.” Am Anfang traute ich den schönen Worten, aber sie blieben nur solche, denen keine That folgte. O, wenn die Reichen wüßten, wie grausam sie sind, wenn sie uns Armen mit leeren Versprechungen abweisen, die sie vergessen haben, sobald die Thüre sich hinter uns geschlossen, an die wir uns aber klammern tagaus, tagein, wie der Ertrinkende in seiner Noth selbst den Strohhalm ergreift! — Bisher fand ich nur Worte, Sie sind der erste, der mir giebt; haben Sie innigen Dank!”

Und ehe ich es verhindern konnte, hatte sie meine Hände geküßt, und dann war sie gegangen.

Ich wurde den Gedanken an die Unglückliche nicht los, und schon am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg, um ihre Wohnung aufzusuchen. Ich fand sie in einer jener Straßen, die man ihres Schmutzes, ihres schlechten Geruches wegen sonst nicht betritt, ja, deren Namen ich bisher nie gehört hatte. In dem obersten Stockwerk eines auf dem Hofe gelegenen Hauses, zu dem man von der Straße aus durch einen schmalen. niedrigen Gang gelangte, hatte die Familie ein kleines Zimmer inne, wenn man dieses niedrige, enge Loch mit dem Namen ,Zimmer' bezeichnen kann. Ein Bett, ein Tisch und zwei Stühle bildete die ganze Einrichtung; alles andere war in das Pfandhaus gewandert.

Der Mann befand sich nicht zu Hause; schon in früher Stunde war er fortgegangen, um nach Arbeit auszusehen. Krankheit hatte ihn um seine bisherige Stellung gebracht und nun, da er wieder genesen, hatte ein anderer seinen Platz eingenommen, und er mochte zusehen, wo er neue Arbeit erhielt. Und er sah zu; vom frühen Morgen bis zum späten Abend war er auf den Beinen und suchte und suchte; er wollte ja alles thun, was man von ihm verlangte, jede Arbeit wollte er verrichten. Aber die Fabriken waren überfüllt, am Hafen standen Hunderte gleich ihm herum, das Arbeits-Angebot überstieg die Nachfrage überall. Noch war der Mann ehrlich, nüchtern und brav geblieben, trotz der Noth, die ihn umgab; wie lange würde er aber wohl den Versuchungen widerstehen? Wie lange würde es noch dauern, bis er, von Hunger getrieben, seine Hand ausstreckte nach fremdem Gute? Dann würde man auch auf ihn mit Fingern weisen: „Sieh da, wieder ein gemeiner Dieb mehr!” Die Welt beurtheilt nur die That und fragt nicht nach den Gründen, die den Menschen dazu trieben, und wenn der eine oder der andere wirklich einmal zufällig den wahren Sachverhalt erfährt, dann zuckt er die Achseln: „Lieber sterben als stehlen!” Aber die also sprechen und urtheilen, sind immer Menschen, die den Hunger nie gefühlt haben.

Ich hörte der Frau aufmerksam zu, während sie in diesem Sinne zu mir sprach. Hier that Hülfe, schleunige Hülfe noth, und ich ging, sie zu suchen. Ich wandte mich an einen Herrn, der durch seinen Reichthum und seine große Wohlthätigkeit bekannt war, und schilderte ihm die Lage, in der ich die Unglücklichen gefunden. Er hörte mich an, ohne mich zu unterbrechen, aber während sich sonst in seinem edeln Gesichte Spuren des Mitleids zeigten, sobald man in seiner Gegenwart von Elend sprach, blieb er jetzt abscheinend theilnahmslos.

Ich führte ihm gegenüber die anfangs citirten Schriftstellerworte an: „Können Sie Sich eine größere Armuth vorstellen,” fragte ich ihn schließlich, „als die, die ich Ihnen soeben zu schildern versucht habe? Nichts mehr besitzen als sein nacktes Leben und trotz der redlichsten Mühe keine Arbeit finden, um für sich und die Seinen den Lebensunterhalt zu verdienen, — ist das nicht die höchste Stufe der Armuth? Vermögen Sie Sich einen Menschen vorzustellen, der noch ärmer ist?”

Eine Weile blickte er still vor sich hin, dann sagte er: „Ja, ja, wer ist der Aermste? Das ist eine Frage, die mich schon oft beschäftigt hat. In vielerlei Gestalt habe ich die Armuth gesehen und kennen gelernt; so oft schon, wenn ich in den Hütten der Armen war, habe ich geglaubt: dies ist das Traurigste, was du je erlebt, eine Steigerung ist undenkbar; aber sie erscheint immer wieder in neuer Gestalt und Form. Selbst da, wo wir sie am wenigsten erwarten, tritt sie uns entgegen, dann aber erst recht furchtbar und grausig.

Ein zufälliges Zusammentreffen von Umständen ist es, daß meine Hülfe heute schon einmal in Anspruch genommen wurde. Ich will Ihnen den Vorfall zu Ihrer Belehrung erzählen, bitte aber, mir die Nennung eines Namens zu erlassen und diesen verschweigen zu wollen, falls Sie ihn errathen. Es betrifft einen Componisten, der wegen seines großen Talentes weit über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus bekannt ist und längere Zeit hoch gefeiert wurde. Seine Leistungen in den letzten Jahren waren allerdings sehr schwach, und doch gehört er entschieden zu den bedeutendsten Menschen unserer Zeit und hat so ungeheuere Summen verdient wie wenige seiner Berufsgenossen. Er müßte ein schwer reicher Mann sein, wenn die Sache kein ,Wenn' hätte.

Heute morgen war ich bei ihm; er hatte mich um eine größere Summe gebeten, und, — betrachten Sie es nicht als eine Art von Prahlerei, daß ich Ihnen dies anvertraue, es gehört eben nothwendig zu der Geschichte, — ich brachte ihm das Geld selbst. Er saß an seinem Schreibtisch, als ich bei ihm eintrat, über sein Noten-Manuscript gebeugt. Eine flammende Röthe der Verlegenheit stieg in sein Gesicht, wie ich ihm das Gewünschte überreichte. Er dankte mir mit bewegten Worten und schickte sich an, mir den Schuldschein auszustellen, aber während er die wenigen Zeilen niederschrieb, legte er plötzlich die Feder weg und sah mich ernst und traurig an.

„Was ich Ihnen hier aufschreibe,” sprach er, indem er das Blatt Papier nervös zusammenballte und in eine Ecke warf, „ist eine Lüge , denn ich kann Ihnen die Summe nie wieder zurückzahlen; das wissen Sie selbst ebenso gut wie ich! Daß Sie mir das Geld dennoch geben, ist mir ein neuer Beweis Ihrer großen Freundschaft. Sehen Sie mich an: wie ich hier sitze, sitze ich nun schon zwanzig Jahre, tagaus tagein über meinen Noten. Vor fast fünfundzwanzig Jahren schickte ich die erste kleine Arbeit zitternd und zagend hinaus in die weite Welt, und heute bin ich der berühmte, von den Collegen unsäglich beneidete Mann!” Er lachte bitter auf. „Beneidet! Ist es nicht die reine Ironie, mich zu beneiden, der ich nichts auf der Welt besitze als Frau und Kinder, die alles mit vollen Händen wieder ausgeben? Aber ich darf sie deßwegen nicht tadeln und nicht schelten.

Sie wissen, ich hatte anfangs in meiner Carrière nur so leichthin, ganz nach Laune und nicht allzuviel gearbeitet. Dadurch gerieth ich in Schwierigkeiten, speculirte und verlor dabei, wie ich offen gestehen muß, lediglich durch meinen eigenen thörichten Leichtsinn, und ohne daß meine Familie eine Ahnung davon besaß, fast unser ganzes Vermögen. Und dies Vermögen gehörte nicht mir, sondern meiner im Reichthum aufgewachsenen und an ihn, wie an etwas Selbstverständliches gewöhnte Frau. Das that ich, obschon ich das Geld im Gegentheil für mein, nebenher bemerkt, mich innig liebendes, aber doch nervös empfindliches, anspruchsvolles Weib und unsere Kinder hätte sicher stellen sollen.

Schon war ich der Verzweiflung nahe, als mir die goldenen Früchte meines Talentes ganz plötzlich und schier unerschöpflich in den Schoß zu fallen begannen. Da schwor ich mir: Nie sollen die Deinen irgendwie den Luxus, der sie umgiebt, entbehren; sie sollen sich kein Vergnügen versagen müssen, denn das ist nun einmal ihre Lebenslust; du mußt darnach trachten, gleichzeitig heimlich auch das verlorene Vermögen deiner Frau zu ersetzen.

Ich wollte arbeiten und ich dankte dem Himmel, daß ich in der Lage war, arbeiten zu können. Ich dachte es mir jetzt so leicht, täglich einige Stunden für reichen Lohn am Schreibtische zu sitzen; ich wußte damals noch nicht, daß jede Beschäftigung, die man, dem Drange des Talentes folgend, treibt, ihren Reiz verliert, sobald sie zur eisernen Nothwendigkeit wird. Meine besten Werke schuf ich, als ich gewissermaßen noch zu meinem Vergnügen componirte. Das ist längst anders geworden. Natürlich konnte bei unserer Lebensführung von dem Ersatze des verlorenen Vermögens keine Rede sein. Ich habe dies endlich meiner Frau unter Thränen gestehen müssen. Aber da kam das Geständniß zu spät. Frau und Kinder konnten sich nicht mehr ändern und verlangten, daß ich ihnen verschaffe, was sie nach ihrer Ansicht von mir zu verlangen berechtigt sind. Und heute, lieber Freund, Sie wissen es ja selbst, muß ich arbeiten, arbeiten, arbeiten, damit wir nicht verhungern. Ja, verhungern! Und die Meinigen begreifen dies nicht und treiben ihren Luxus unter Schuldenmachen weiter!”

Der Arme stierte einen Moment in wortloser Verzweiflung vor sich hin und fuhr dann fort: „Jedes Werk, das der echte Künstler der Oeffentlichkeit übergiebt, ist ein Stück seiner selbst, ein Theil seines Verstandes, seines Wissens, seiner Phantasie und seiner Seele, den er sich losgerungen hat, und den er der Welt preisgiebt. An Anfang, wo Ueberfluß an allem ist, geht es leicht, aber je älter man wird, je mehr man geschrieben hat, je mehr die Phantasie und die Gestaltungskraft abgenutzt sind, je mehr der Verstand sich verausgabt hat, und je leerer das Gehirn wird, desto schlechter werden die Sachen. Man sollte einen solchen Mann, der trotzdem schafft, weil er schaffen muß, nie verlachen, man sollte ihn vielmehr bemitleiden, tief beklagen!

Schon jetzt spüre ich es an mir selbst, und die Kritiken bestätigen es mir: ich bin nicht mehr, der ich war, meine Kraft ist dem Erlöschen nahe,

Sehen Sie sich diese Partitur an, von der ich noch nicht ein Viertel vollendet habe, das Honorar, das ich im voraus erhielt, war verausgabt, bevor es in meine Hände gelangte. Ich habe heute nichts im Hause als das, was ich Ihrer Güte verdanke. Bis dieses Werk vollendet ist, wird auch Ihr Geld verschleudert sein, dann stehe ich wieder vis-à-vis de rien, und die Komödie beginnt von neuem.

Dazu fange ich an, alt zu werden, und meine Finger werden mürbe; sie möchten so gerne ausruhen von einer Arbeit, die doch zu keinem Ende und zu keinem Erfolge führt, allein sie haben dazu noch keine Zeit. Den Meinen entgegenzutreten, wäre ganz nutzlos. Sie wollen nun selbst nicht, daß ich mich quäle, aber die Kraft, mir wirklich die unsäglich jammervolle Bürde zu erleichtern, besitzen sie ebenso wenig, wie ich ihnen gegenüber je die nöthige Energie besaß. — Noch kann ich ja schaffen, aber früh genug wird die Stunde kommen, wo ich nicht mehr kann, wo der Docht des schwächer und schwächer brennenden Lichtes vollständig verzehrt sein wird. Was dann? Und die Stunde kommt so sicher wie nur irgend etwas auf der Welt. Oft glaube ich in meinen Träumen, daß sie schon da ist. Ich sehe mich dann in Gedanken an meinem Schreibtisch sitzen und mein armes Gehirn vergebens nach einem Gedanken, einem Stoff für meine Arbeit zermartern. Die Stunde kommt, und nur ein Wunder kann mich vor ihr schützen und bewahren, — ein frühzeitiger Tod. Er ist es, den ich mir jetzt so oft ersehne, damit ich jenen entsetzlich gefürchteten Augenblick nicht erlebe. Aber was dann, wenn ich die Augen schließe? Aus meinem Knaben wird nie etwas Rechtes. Mit meiner ältesten Tochter steht es ebenso.

Eine Zeitlang glaubte ich, es werde besser werden. Ich sah meine jüngere Tochter heranwachsen, ein Muster an Fleiß, Ordnung und Sparsamkeit. Im Geiste erblickte ich schon durch sie unseren Haushalt geregelt, unsere Einnahmen und Ausgaben in Einklang gebracht. Da kam der Tag, an dem mir meine Tochter gestand, daß sie liebe und wieder geliebt werde. Ich hätte alles darum gegeben, wenn ich sie hätte bei mir behalten können; aber durfte ich das Glück meines Kindes meinen persönlichen Wünschen und meiner eigenen Bequemlichkeit opfern?

Sie zog mit ihrem Manne in die Ferne und starb dort. Mit ihr schwand das letzte, was ich noch besaß, die Hoffnung.” —

So sprach der bedauernswertheste Mann zu mir, der Bettler in den Räumen, in denen noch bis zur Stunde üppigster, lügnerischer Luxus herrscht. Und nun sagen Sie mir, wer ist der Aermste, Ihr arbeitsloser Armer oder dieser scheinbar Reiche? — Nein, ich gebe Ihrem Autor Unrecht! Nicht derjenige ist der wahrhaft Arme, der die Güter des Lebens täglich vor Augen sieht, aber ihrer nicht theilhaftig wird. Jeder Tag kann dem Elend Ihrer Arbeiter-Familie ein Ende setzen; der Mann kann Arbeit finden und bei Fleiß und Ausdauer wieder in geordnete Verhältnisse gelangen, wozu ich gern das meinige beitragen will.

Aber derjenige, der vom frühen Morgen bis zum späten Abend unter wissentlicher Preisgebung seines Genius arbeitet, der mit aller Kraft darnach ringt, vorwärts zu kommen, und sieht, daß es immer weiter rückwärts geht, der Mann, der seine eigene Schuld beklagen muß, der durch die Menschen zerrüttet wird, die ihm die Nächsten auf Erden sind, der Mann endlich, dem lange, bittere Jahre der Enttäuschung das letzte nahmen, was den Unglücklichen am Leben erhält, die Hoffnung, — der ist der Aermste!”

Schweigend nickte ich Zustimmung.


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© Karlheinz Everts