Sein Adjutant.

Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Neue Hamburger Zeitung” vom 21.2.1909 und
in: „Die Fürstengondel”


Der Oberst und Kommandeur des Infanterie­regiments von Dingsda, Herr von Bruck, hätte sich ruhig im Berliner Zeughaus öffentlich ausstellen und bewundern lassen können, denn er war wirklich eine militärische Sehenswürdigkeit. Nicht etwa, als ob sein Äußeres nicht allen Anforderungen entsprochen hätte, die man in der heutigen Zeit, schon mit Rücksicht auf einen etwaigen Krieg, auf die Erscheinung eines Offiziers stellt. Im Gegenteil, Herr von Bruck war ein auffallend schöner Mensch und das war direkt und indirekt schuld daran, daß er eine militärische Sehenswürdigkeit war: er avancierte nämlich nicht nur, wie das ja zuweilen vorkommt, ohne sein Verdienst, sondern er avancierte sogar gegen seinen Willen. Mehr als einmal hatte er schon seinen Abschied eingereicht, aber die hohen Vorgesetzten bearbeiteten ihn dann stets so lange, bis er sein Gesuch zurückzog. Und als er ein einziges Mal wirklich bockbeinig blieb, da wurde sein Gesuch abschlägig beschieden. Man wollte einen so hervorragend schönen Offizier der Armee erhalten.

Herr von Bruck war im Kadettenkorps groß geworden und dort hatte er das große Glück, das besondere Wohlgefallen eines jungen Prinzen zu erregen. Zum Zeichen, wie lieb der junge Prinz seinen neuen Freund hatte, nannte er ihn stets „Du” und verhaute ihn, sooft sich beim Spielen irgendwelche Gelegenheit dazu fand. Und zum Zeichen dafür, wie glücklich er selbst über die prinzliche Zuneigung war, nannte er seinen Kameraden „Hoheit” und „Sie” und ließ sich die Prügel ruhig gefallen. Nicht aus Byzantinismus, sondern weil es nicht anders ging.

Als Herr von Bruck drei Jahre Leutnant war, wurde er zum persönlichen Adjutanten Seiner Hoheit ernannt und damit schied er aus der aktiven Armee vorläufig ganz aus. Er avancierte sehr schnell, und wurde sogar Major, ohne jemals wieder in der Front Dienst getan zu haben. Erst als Stabsoffizier trat er in die Armee zurück, und da es seinem offenen Charakter, den er sich trotz des Hoflebens bewaht hatte, widersprach, eine Stellung zu bekleiden, die er auf Grund seiner mangelnden Kenntnisse nicht ausfüllen konnte, wollte er damals zum erstenmal gehen, aber man ließ ihn, wie gesagt, nicht fort, und jetzt war er sogar schon seit drei Jahren Oberst und Regiments­kommandeur.

Er hatte sich mit Händen und Füßen gegen dieses Avancement gesträubt,denn er war klug genug, einzusehen, daß es ihm für diesen Posten an allen theoretischen und praktischen Kenntnissen fehlte, aber sein Sträuben half nichts, er mußte bleiben wo er war. „Es wird schon gehen,” trösteten ihn die Vorgesetzten, und es ging wirklich, denn er überließ die Führung des Regiments völlig seinem Adjutanten, einem hervorragend tüchtigen Offizier. Und gleich am ersten Tag hatte der Oberst ihm erklärt: „Einer von uns beiden kann das Regiment nur führen, ich kann es nicht, folglich müssen Sie es tun.”

Das geschah denn auch und der Adjutant machte seine Sache so ausgezeichnet und vor allen Dingen so diskret, daß im Regiment niemand auf den Gedanken kam, daß der Oberst selbst eigentlich nur ein Strohmann war.

So kam es, daß die beiden in der denkbar glücklichsten Ehe miteinander lebten. Sie waren ein Herz und eine Seele und es gab zwischen ihnen niemals einen Streit.

Bis dann doch eines Tages die Stunde kam, in der —

Es war großes Regimentsexerzieren, das dritte, das der Herr Oberst offiziell leitete, und eine neue Besichtigung stand vor der Tür. Zweimal hatten die hohen Exzellenzen die Truppe schon besichtigt und alles über den grünen Klee gelobt, nicht nur, weil sie dem Oberst gegenüber auf höheren Befehl hin beide Augen ganz fest zudrücken sollten, wenn dies einmal nötig war, sondern weil das Regiment unter der Führung des Kommandeurs und unter dem Kommando des Adjutanten sich wirklich in einer ausgezeichneten Verfassung befand.

Die hohen Vorgesetzten waren wieder in Sicht und das mußte den Herrn Oberst aus irgendeinem Grunde nervös gemacht haben, vielleicht fürchtete er, daß man ihn sogar zum General ernennen würde, wenn die Besichtigung gut verlief — kurz und gut, irgend etwas mußte ihm in den Kopf gefahren sein, denn als sein Adjutant ihn am letzten Tag des Exerzierens von seiner Wohnung abholte, um mit ihm nach dem Exerzierplatz hinauszureiten, erklärte er plötzlich: „Übrigens was ich sagen wollte, heute morgen werde ich einmal das Regiment ganz allein, verstehen Sie, ganz allein exerzieren und ich bitte Sie demgemäß, mir jeden Befehl, jedes Kommando und später die Kritik ganz allein zu überlassen.”

Dem Adjutanten fiel vor Schrecken die Zigarre aus dem Mund und fassungslos sah er seinen Brotherrn an. Aber nicht nur er selbst war erstaunt, sondern sein Gaul schien es noch mehr zu sein, denn der blieb plötzlich stehen, wandte seinen Kopf dem Vorgesetzten zu und sah ihn an, als wolle er sagen: „Verrückt!”

Dann hob der Gaul seinen Schwanz, gab zuerst einen sehr unanständigen Ton von sich und ließ gleich darauf einen Riesenapfel zur Erde niederfallen.

Und es blieb dahingestellt, ob das nur einem natürlichen Bedürfnis entsprang oder ob der Gaul damit eine Kritik an den Worten des Vorgesetzten üben wollte.

Der Adjutant hielt es unter seiner Würde, auf die Äußerung des Vorgesetzten irgend etwas zu erwidern, und so fragte der denn jetzt: „Sie haben mich doch verstanden?”

„Gewiß, Herr Oberst,” entgegnete der Adjutant voller Gelassenheit, „aber um spätere Auseinandersetzungen zu vermeiden, möchte ich mir schon jetzt die Bemerkung erlauben, Herr Oberst, daß Ihre Absicht völlig undurchführbar ist. Ich bin von den höheren Vorgesetzten für Ihre Karriere verantwortlich gemacht, man hat mir auf das schärfste eingeprägt, Ihnen keinerlei Selbständigkeit zu überlassen, und ich denke nicht daran, Ihr Avancement und das meinige dazu leichtsinnig auf das Spiel zu setzen.”

Der Oberst machte ein mehr als verdutztes Gesicht, so hatte sein Adjutant noch nie zu ihm gesprochen, allerdings hatte er selbst auch noch nie irgendwelche Herrschergelüste verspürt und gezeigt. Aber nun, da er sie heute einmal geäußert hatte, mußte er sie auch durchführen, das glaubte er sich selbst und dem Ansehen seiner Person schuldig zu sein.

So richtete er sich denn plötzlich stolz im Sattel auf: „Wir werden ja sehen, wer nachher von uns beiden das Regiment führt.”

Der Adjutant steckte sich voller Ruhe eine neue Zigarre an. „Jawohl, das werden wir sehen.”

Nicht wie sonst in lebhafter Unterhaltung, sondern schweigend und grollend ritten die beiden nebeneinander durch die Straßen der Stadt, bis sie endlich die Chaussee erreichten, die in schnurgerader Linie nach dem großen Exerzierplatz führte.

Die Pferde fielen in Trab und plötzlich gab der Oberst seinem Gaul die Sporen und jagte in einer wahnsinnigen Pace davon.

„Nanu, was soll denn das nun schon wieder heißen?” rief der Adjutant ihm nach, aber der hörte nicht. Auf seinem mächtigen Fuchs stürmte er dahin, als wären sämtliche Teufel der Welt hinter ihm her.

„Was heißt das denn nun?” rief der Adjutant zum zweitenmal, aber da fand er auch schon selbst die Erklärung. Der Oberst wollte vor ihm auf dem Exerzierplatz erscheinen und dann sofort das Kommando übernehmen.

Das mußte unter allen Umständen verhindert werden, und so gab der Adjutant dann gleich darauf auch seinem Gaul die Sporen. Die englische Vollblutstute quiekte laut auf, weil sie sehr kitzlig war, dann holte sie noch einmal tief Atem, und gleich darauf begann die wilde Jagd. Voran jagte der Oberst, hinter ihm her der Adjutant. Die Leute, die ihnen unterwegs begegneten, sprangen erschrocken in den Chausseegraben, die Pferde der Fuhrwerke drohten durchzugehen, einige alte Weiber kreischten laut auf, aber die beiden ließen sich dadurch nicht beirren. Mit den Schenkeln und Sporen und mit Zurufen trieben sie ihre Pferde zu immer schnellerer Gangart an, und mit Schrecken hörte der Herr Oberst aus den Hufschlägen des hinter ihm galoppierenden Pferdes, daß dieses immer näher und näher kam.

Und mit einem Male sauste der Adjutant an ihm vorüber.

„Ich führe das Regiment!” rief der Oberst ihm mit donnernder Stimme nach und von neuem gab er seinem Fuchs die Sporen. Aber die Worte machten auf den Adjutanten nicht den leisesten Eindruck, er stürmte auf seiner Stute davon, und hinter ihm her folgte der Oberst.

Unterdessen ruhte das Regiment auf dem Exerzierplatz von dem Anmarsch aus und harrte der Vorgesetzten, die da kommen sollten.

Statt des Oberst erschien aber jetzt nur der Adjutant und schon von weitem rief er: „An die Gewehre!”

Mit einiger Mühe gelang es ihm, sein Pferd zum Stehen zu bringen, dann wandte er sich an die Offiziere: „Meine Herren, der Herr Oberst, der bald erscheinen wird, ist von einer starken Heiserkeit befallen und möchte mit Rücksicht auf die morgige Vorstellung seine Stimme schonen. Er hat mich beauftragt, heute für ihn die Kommandos abzugeben, und ich bitte Sie, mir zu folgen, als kämen meine Worte aus dem Munde des Herrn Oberst.”

Gleich darauf ließ er das Regiment antreten und zog es in mehreren Treffen über den ganzen Exerzierplatz auseinander.

Da erschien der Herr Oberst. Voller Ingrimm sah er, daß er zu spät kam, und es war auch natürlich Absicht, daß der Adjutant die Truppe so weit auseinandergezogen hatte, er konnte sich jetzt allen drei Bataillonen unmöglich zu gleicher Zeit verständlich machen.

So ritt er denn nur zu seinem Adjutanten. „Jetzt übernehme ich das Kommando.”

Aber der hatte für das, was er zu hören bekam, nicht das leiseste Interesse. „Ich habe jetzt wirklich für solchen Unsinn keine Zeit, Herr Oberst.” Und gleich darauf galoppierte er davon. „Wo will denn das dritte Bataillon hn?” rief er mit weithin schallender Stimme. „Marschrichtung ist die Warnungstafel am nördlichen Ausgange des Exerzierplatzes — am nördlichen, Herr Major, — am nörd–li–chen — Da ist Norden, Herr Major, da —” und mit der ausgestreckten Rechten wies er nach der Himmelsgegend.

Der Oberst sah ein, vorläufig war hier für ihn nichts zu wollen, erst mußte das Regiment wieder zusammengezogen werden. Aber da konnte er lange warten, der Adjutant dachte vorläufig nicht daran, ihm diesen Gefallen zu tun, er kümmerte sich überhaupt nicht um den Vorgesetzten, sondern ließ den ruhig auf dem großen Platz spazierenreiten.

Aber das Spazierenreiten wurde dem mit der Zeit langweilig, und schließlich war doch er der Oberst. Wenn er auch selbst am besten wußte, wie wenig er von seinem Handwerk verstand, so mußte er doch auch heute wie sonst seinen Leuten gegenüber so tun, als verstände er nicht nur etwas, sondern sogar sehr viel.

So gab er denn jetzt das Spazierenreiten auf und ritt bald zu diesem, bald zu jenem Bataillon, um dessen Bewegungen zu kritisieren.

Aber allzulange sollte er sich seiner Selbstherrlichkeit nicht erfreuen, denn plötzlich hielt sein Adjutant neben ihm. „Ich möchte Sie einen Augenblick sprechen, Herr Oberst.”

Der sah ganz überrascht auf. „Sie mich, Herr Leutnant?”

Der Adjutant antwortete gar nicht darauf, sodern sah sich nur nach einer stillen, verschwiegenen Ecke um. „Ich muß gehorsamst bitten, Herr Oberst.”

Der Kommandeur sah ein, er mußte dem andern folgen, und so ritt er denn hinter ihm her, bis der seinen Gaul anhielt.

Gleich darauf legte der Adjutant los: „Das geht nicht, Herr Oberst, das geht unter keinen Umständen. Als Sie das Regiment erhielten, haben Sie mir das Kommando übertragen, mir ganz allein. Ich führe das Regiment, nicht Sie, und ich muß Sie in unserem beiderseitigen Interesse ernstlich darum ersuchen, darin nicht plötzlich eine Änderung eintreten zu lassen. Ich habe nicht die leiseste Neigung, Ihretwegen den Abschied zu bekommen, und noch viel weniger will ich schuld daran sein, daß Sie sich und das Regiment morgen bis auf die Knochen der Unsterblichkeit blamieren. Und darum muß ich es mir zwar ganz gehorsamst, aber auch sehr energisch verbitten, daß Sie sich plötzlich in Sachen hineinmischen, von denen Sie nicht das geringste verstehen. Ich habe dem Regiment erklärt, Sie wären heiser und wollten Ihre Stimme für morgen schonen. Sie sind also heiser, Herr Oberst, und Sie werden es auch heute bleiben. Und wenn Sie mir auch jetzt noch in das Exerzieren hineinsprechen, dann gebe ich einfach den Befehl zum Abrücken in die Kasernen.”

Mehr als einmal versuchte der Oberst seinen Adjutanten zu unterbrechen, aber der winkte stets ab. „Bitte, jetzt spreche ich.”

Aber kaum hatte der Adjutant geendigt, da erklärte der Oberst, der eingesehen haben mochte, daß es für ihn das klügste wäre, heute nachzugeben: „Wir wollen uns nicht länger darüber streiten, wer von uns beiden das Regiment führt. Bis jetzt hatten Sie das Kommando, und ich ill es Ihnen auch heute lassen. Ich werde nach Hause reiten, und Sie können ja den Leuten erklären, ich müsse mit Salzwasser gurgeln, um morgen wieder bei Stimme zu sein. Aber eins sage ich Ihnen schon jetzt: So wie bisher geht die Sache nicht weiter, das werden Sie wohl selbst einsehen, alles kann ich mir doch auch nicht von Ihnen bieten lassen, und deshalb gebe ich Ihnen mein Wort darauf, wenn morgen mittag die Besichtigung mit Ihrer Hilfe glücklich vorüber ist, dann übernehme ich das Kommando.”

Und stolz ritt er von dannen. Von morgen an war er der Herr.

Aber der Himmel und die Vorgesetzten bewahrten ihn und das Regiment davor, daß er seine Drohung wahrmachen konnte. Die Vorstellung verlief mehr als glänzend, der Adjutant hatte nach der öffentlichen und lauten Anerkennung der Exzellenzen das Regiment so brillant einexerziert, daß der Oberst schon am übernächsten Mittag unter nicht unbedeutender Vorpatentierung zum General und Brigadekommandeur ernannt wurde.

Und da man es mit dem neuen General wirklich gut meinte und beschlossen hatte, daß er wenigstens Exzellenz werden sollte, gab man ihm vorsichtshalber gleich seinen alten Adjutanten als Brigadeadjutanten mit — denn der war so klug und verstand es so ausgezeichnet, ihn beiseite zu schieben, daß der neue General alle Aussicht hatte, sogar kommandierender General zu werden.


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