Von Teo von Torn.
in: „Tägliche Omaha Tribüne” vom 09.06.1919
Das Schwarzkragenregiment „König Karl” hatte seinen vierwöchigen Kuraufenthalt auf dem Schießplatze angetreten. Eine Pferdekur! Früh aufstehen, tagsüber reichliche Bewegung auf einem Gelände, das mit einer Quadratmeile Flächeninhalt immerhin einige Entfernungen bot; und dann unruhiger Schlaf, weil nächtlicherweile gewisse kleine Lebewesen ihrerseits Uebungen anstellten — mit Fouragieren.
Empfindsamere Offiziere, Fähnriche und Vizespieße pflegten sich deshalb abends in Narkose zu setzen. Es geschah das von sechs bis zehn Uhr im Kasinogarten, wo die Regimentskapelle spielte und ein märchenhaft gutes Pilsener Bier ausgeschenkt wurde. Am Sonnabend dehnten sich diese Sitzungen ein wenig aus, da man ja dienstfrei war am Sonntag und etwaigen Höhenrausch ausschlafen konnte.
Wahrscheinlich aus diesem Grunde hatte Frau Oberleutnant Hölderhoff ihren schießübenden Gatten just an einem Sonnabend mit zwei prächtigen Knaben beschenkt. Die telegraphische Nachricht löste sofort eine unsinnige Menge Bowle und so viel Sekt aus, daß Ritter und Knappen bereits gegen elf Uhr die sechste Ladung in der Brust fühlten. Bekanntermaßen ist das die stärkste Ladung der Haubitzen und wird im Frieden sonst niemals verschossen. Die älteren und stärker verheirateten Herren verkrümelten sich, um am Sonntag nicht etwa noch angeäthert ihren Gattinnen in der benachbarten Garnison den Pflichtbesuch abzustatten.
Begreiflicherweise hätte Oberleutnant Hölderhoff sich diesen Herren gern angeschlossen. Als Gastgeber aber konnte er nicht gut zum Aufbruch blasen. Da es jedoch immer später wurde und die reifere Jugend so gar keine Anstalten machte, die Festivität abzubrechen, sann er doch darüber nach, wie er auf gute Art den ersehnten Feierabend erzielen könnte.
Der Vormittag hatte große militärische Ueberraschungen und entsprechend viel Bewegung gebracht. Ein jeglicher von der Tafelrunde hatte die Quadratmeile in allen Richtungen der Windrose durchmessen und war, wie man so sagt, tot in den Beinen. Darauf baute der Oberleutnant seinen Plan.
„Meine Herren!” ließ er sich, ruheheischend, vernehmen: „Angesichts des reichen Segens, der mir heute zuteil geworden ist, lade ich Sie ein, mit mir auf die Adlerberge zu wandern und dort noch ein ausgiebiges Dank- und Trankopfer zu bringen. Gläser und Sektkühler tragen die Ordonnanzen. Den Sekt trägt jeder selbst, und zwar so viel, als er tragen kann oder will. Man folge mir!”
Traugott Hölderhoff rechnete mit absoluter Sicherheit darauf, daß man, anstatt zu folgen, mit Aschbechern und Salzbrezeln werfen würde; denn die Adlerberge lagen ziemlich fünf Kilometer entfernt, und der Weg dorthin führte teilweise durch knietiefen Sand, durch Strauchwerk, über Klamotten und Drahtzäune.
Aber nichts wurde geworfen und nichts gesprochen. Zunächst lautlose Stille. Der Oberleutnant stand mit zwei Flaschen in Arm am Ausgang und feierte bereits einen stillen Triumph, als Leutnant von Bronck sich erhob: „Nee, Herrschaften,” äußerte er mit bewegter Stimme, „das können wir Traugott'n nicht antun! Ihn an diesem Tage allein lassen — unmöglich! Wer noch einen Funken freundschaftlicher Gefühle für unseren lieben Hölderhoff hat, der folge seiner Einladung, wie ich ihr folgen werde.”
Sprach's und schob in jede Tasche seiner Rüstung eine Pulle. Schweigend und tiefernst, aber mit bedeutender Geschwindigkeit taten die anderen desgleichen. Die Ordonnanzen konnten nicht genug Batterien heranschleppen.
Dann begann der Marsch. Und er war nicht schön. Stöhnend und fluchend schleppte sich die Lastkarawane durch den Sand. In der Finsternis erkannte man die Hindernisse immer erst dann, wenn man bereits in sie hinein- oder drüberweggefallen war. Leider wurde dabei manche Flasche ihrer natürlichen Bestimmung entzogen. Auch die Klamotten forderten noch etliche Opfer — aber sie kündeten die nächste Nähe der Adlerberge. Noch eine letzte Anstrengung und man war oben.
Ein Hurra aus einem Dutzend Kehlen. Reden wurden geschwungen — drei, auch vier gleichzeitig — und die Weingeister, die von der Mühsal des Weges zu einem Teile verscheucht waren, wurden kräftiglich aufs neue beschworen. Es war ein Pfropfenknallen wie Infanterie-Schnellfeuer. Die ältesten Oberleutnants wurden wieder jung — und als Traugott Hölderhoff aus Versehen den Abhang hinuntertrudelte, ward daraus ein fröhlich geübter Sport. Einen besonderen Spaß aber erfand Leutnant von Bronck, der immer sehr drollige Einfälle hatte. Für die am Montag stattfindende Schießübung waren auf den Bergen bereits Ziele aufgebaut: Kanonen und Kanoniere in Lebensgröße, aber aus Holz. Diese Ziele wurden nun mit sämtlichen leeren Sektflaschen bombardiert, daß die Scherben nur so umherstoben. Als das letzte Projektil ausgetrunken und verschossen war, stand kaum ein Ziel mehr aufrecht: denn was der Beschießung standgehalten hatte, war mutwillig umgekorkelt worden.
* * *
Am Montag, in aller Herrgottsfrühe, begann wieder das beliebte Kriegspielen. Der Abteilungsbefehl hatte gelautet:
„1. und 2. Batterie beschießen Artilleriestellung Adlerberge westlich; 3. und 4. Batterie östlich. Es soll die Wirkung des neuen Schrapnells erprobt werden. Feuereröffnung 5 Uhr auf meinen Befehl.
Lauterfels
Major und Abteilungschef.”
Die Zielbeschreibung, welche Leutnant von Bronck auf Grund dieses Wunschzettels seiner Batterie lieferte, gestaltete sich äußerst schwierig. In dem ihm zugeteilten Gefechtsabschnitt waren auch mit dem schärfsten Doppelglase keine Geschütze auf den Bergen zu entdecken. Selbst der geübteste Richtkanonier versagte.
„Michalewski, sperren Sie die Lichter auf, zum Donnerwetter! Sehen Sie denn nicht das dritte Geschütz dort — links am Busch, oberhalb des gelben Sandflecks; da — jetzt zieht gerade eine kleine Wolke darüber hinweg. Sehen Sie?”
„Nein, Herr Leutnant. Den Busch sehe ich, den Sandfleck auch und die Wolke — aber kein Geschütz.”
„Dann sind Sie blind! Vom grauen Starmatz befallen! Schaut noch einmal scharf hin, Kerls! Ihr müßt das Geschütz sehen! Und wer es nicht sieht, dem schmeiße ich den ganzen Schießplatz ins Gesicht.”
Leutnant von Bronck sah ja auch nichts. Aber er mußte so tun — wie man manchmal so tun muß im Königlichen Dienst, wenn man sich vor Schaden bewahren will. Und es war die höchste Zeit — denn fünf Uhr schlug's, und das Feuer wurde eröffnet. Schon rief der Häuptling unfreundlich herüber: „Herr Leutnant von Bronck, so geben Sie doch endlich Kommandos, in drei Deibels Namen!”
Leutnant von Bronck setzte sein Glas ab, sagte laut „Zu Befehl!” und leise „Du kannst mich gernhaben.” Dann: „Batterie, hört auf mein Kommando!”
Gleich darauf krachte der erste Schuß; dann der zweite und dritte. Nach diesen drei Schüssen, die das Ziel eingabeln sollten, aber in diesem Falle nichts einzugabeln hatten, sagte sich Julius Bronck folgendes: Ob ich so schieße oder so schieße, ist alles schnuppe. Also schieße ich ganz schnell, um so eher bin ich fertig. An den Schlips kriegen sie mich heute doch! Er setzte eine sehr wichtige Miene auf und ließ nur noch Salven feuern. Dann meldete er stramm und treuherzig: „Batterie Munition verschossen.”
Bei der Besprechung lobte der Regimentskommandeur die Schießweise des Leutnants von Bronck über den grünen Klee. Da wäre doch noch Leben in der Gesellschaft gewesen! Und besondere Anerkennung verdiene das Salvenfeuer, da das Ziel, wie er selbst gesehen, bereits nach dem zweiten Schuß vollständig verschwunden war.
„Um uns nun die Wirkung unseres neuen Geschosses anzusehen, wollen die Herren sogleich mit mir zu den Adlerbergen reiten.”
Am Ziel wurde abgesessen. Die Scheiben lagen bunt durcheinander. Aber außer den alten, bereits mit Pappe vernagelten Löchern wiesen sie keine nennenswerten Verletzungen auf. Von Geschoßwirkung jedenfalls keine Spur. Der ganze Schrapnellsegen mußte drüberweggegangen sein. Dafür aber bedeckten eine Unzahl Flaschenscherben und Sektkorken das Schlachtfeld.
Der Regimenter schaute eine ganze Weile kopfschüttelnd auf das Mirakel.
„Meine Herren,” sagte er dann, „da nicht anzunehmen ist, daß das Schrapnell 90 Glasscherben und Korken als Füllung enthält, mache ich mir über das soeben Gesehene meine eigenen Gedanken. Ich will diesmal noch nicht die Konsequenzen ziehen. Eins aber lassen Sie sich gesagt sein, meine Herren: Streut das Schrapnell noch einmal Sektkorken und Flaschenscherben, dann wird es vom Himmel Zylinderhüte regnen.”
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