Skizze von Teo von Torn.
in: „Der Deutsche Beobachter” vom 28.09.1899,
in: „Indiana Tribüne” vom 22.10.1899,
in: „General-Anzeiger Altona” vom 07.03.1901
(Siehe dazu auch: „Der rosa Mantel”
einen Vergleich der beiden Texte finden Sie hier.)
Frau Konsul Larssen hielt Kehraus in ihren Garderobenschränken. Erstens, weil sie eine ordnungsliebende, kleine Frau war, zweitens, weil es Raum zu schaffen galt für die Neudichtungen der Saison — mit Roben von Crêpe de Chine und köstlichen Spitzenpointen, und schließlich war dann ihrem Gatten jeder Einwand entzogen, wenn sie vor ihn hintrat, mit der Erklärung, nichts anzuziehen zu haben.
Mama war sehr behülflich. Auch sie war eine ordnungsliebende und dabei sparsame Frau. Es sollte nicht etwa der ganze duftende Haufen da — dieses aufgethürmte Gewirr von Battist und Frou-Frou knisternder Seide — der begehrlich blickenden Zofe überantwortet werden.
Beileibe nicht. Während die kleine Frau Konsul auf dem ponceaurothen Teppich ihres Ankleidezimmers kniend, noch eifrig in den Schränken kramte, sonderte Mama mit kundiger Hand aus, was etwa für den diesjährigen Aufenthalt auf Wyk nach saisongemäßer Aenderung und Auffrischung noch beibehalten werden könnte.
Bei einem weißen, tiefausgeschnittenen Ballkleide aus indischer Seide mit einer entzückenden Garnitur von gelben Spitzen schien sie unschlüssig.
Sie breitete es auf zwei Sesseln aus, belorgnettirte es von allen Seiten und fragte schließlich:
„Hast Du dieses Kleid schon oft getragen, Edith?”
Frau Larssens von einer mächtigen braunen Haarfluth umrahmtes Gesichtchen tauchte aus der Tiefe einer Schrankecke auf. Ein Büschel Reiherfedern und einige Gürtelschnallen in der Linken, hockte sie sich vollends auf den Teppich nieder, stützte das Kinn in die freie rechte Hand und musterte nicht sonderlich interessirt, den gelbbestickten Schnee vom vergangenen Jahre.
„Oft? — Nicht eigentlich. Zwei-, dreimal vielleicht. Heinrich gefiels sehr gut. Aber ich mags nicht, weißt Du! — Außerdem, sieh' Dir mal das rechte Achselband an, — nicht da, — das rechte doch, Ma'! Da muß ein großer rother Fleck sein. Noch von Herrn Krensky, diesem ungeschickten Seebären,” kicherte sie, „als er auf der Soiree bei Hoverts hinter mir stand und sein Himbeereis über der Versicherung vernachlässigte, daß ich die reizendste Frau aller fünf Welttheile wäre.”
Mamas strenge Züge überflog ein aus Stolz und Nachsicht kombinirtes Lächeln. — „Aber was machen wir mit dem Kleide, mein Kind? Um es fortzugeben ist es zu schade. Schließlich, wenn Du es nicht magst — —”
„Nee, Ma'! — Außerdem —, ich bin nicht prüde, aber es ist mir doch 'n bißchen weit ausgeschnitten.” Damit hielt Frau Larssen „das mit den gelben Spitzen” für erledigt, reckte ihre schlanke, herrlich proportionirte Figur in geschmeidiger Grazie flüchtig auf und machte sich dann wieder ans Kramen. Imzwischen hatte die praktische Mama bereits einen Plan gefaßt. Das Kostüm sollte verkauft werden. Natürlich nicht so, daß das die empfindliche gesellschaftliche Stellung der Larssens irgendwie berührte, sondern ganz unter der Hand und zu einem angemessenen Preis.
Sie wußte auch schon wo. Frau Senator Heege hatte ihr neulich gelegentlich der Erörterung einer ähnlichen „Staatsfrage” die Adresse einer Händlerin mitgetheilt, welche abgelegte Ballroben — namentlich tief ausgeschnittene Ballroben — gern und zu verhältnißmäßig sehr hohem Preise ankaufen solle.
Daß der diskrete Weltdamenduft der Toilette bei der neuen Besitzerin dann von einem gewissen intensiveren, ausgesprochenen und zwar in einer Welt, die sehr zu Unrecht als komplete Hälfte der ganzen angesehen wird — was that das?
Vier Tage nach der Abreise seiner Frau und Schwiegermama erhob sich Herr Konsul Larssen Morgens zu ganz ungewöhnlicher Stunde. Der Diener hatte ihn dreimal geweckt — vergeblich; erst als er dem Schlaftrunkenen ins Ohr geschrien, daß Herr Kleinschmidt, der Prokurist von J. C. Larssen & Co., schon zweimal dringend telephonirt habe, ließ der Konsul sich aufrichten; und die allmorgendliche Douche erfrischte ihn auch so weit, daß er sich sowohl seiner amtlichen und gesellschaftlichen Pflichten wie auch — verschiedener ungewöhnlicher Vorgänge der verflossenen Nacht erinnerte. Der letzteren anscheinend nicht mit sonderlichem Behagen; auch folgte er mißtrauisch den Hantirungen seines Dieners, welcher aber als wohlerzogener Kämmerling besserer Häuser erst draußen zwei lange Blondhaare von unmöglicher Farbe und dann mit einer Bürste einige puderduftende, mattweiße Flecke vom Rock des Herrn Konsul beseitigte.
Letzterer verzichtete auf sein sonst sehr umständliches englisches Frühstück und eilte ins Kontor. Unterwegs hatte er einen unangenehmen faden Geschmack im Munde, und auch die Augen thaten ihm weh. Dennoch und trotz der ohnehin starken Bureauverspätung machte er schnell noch in einem Postamt Halt, um den gstern versäumten, sonst täglichen Gruß an seine Gattin aufzugeben. Mit ziemlich unsicherer Hand — es ist immer so schlechtes Schreibzeug auf den Aemtern! — schrieb er:
„M. M.! (die Postkartenabkürzung für „Meine Maus!”) Konnte Dir gestern nicht schreiben, L. (Liebste!), weil zwei Geschäftsfreunde aus Schweden mich heimsuchten; und dazu mit ihren Frauen! Ich mußte den ganzen Nachmittag mit ihnen umherziehen. Abends im Zirkus, dann Pforte(1). Es war aber ganz gemüthlich. Tausend Grüße und Küsse! — Heinrich.
NB. Uebrigens merkwürdig: eine der Damen trug Abends genauso ein Kleid, wie es mir im verflossenen Winter so sehr an Dir gefiel. Weißt Du? — das mit den gelben Spitzen!”
Frau Konsul Larssen war es vollkommen unerfindlich, weshalb Ma' auf diese Karte hin sofort nach Hause reiste und ihren Gatten veranlaßte, die Familien-Sommerfrische einige Wochen früher als sonst mit ihnen zu theilen.
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Fußnote:
(1) Franz Pfordte (1840 - 1917), bekannter hamburger Küchenchef