Humoreske von Teo von Torn.
in: „Montags-Revue aus Böhmen” vom 15.09.1902,
in: „Der deutsche Correspondent” vom 19.07.1903,
in: „Altonaer Nachrichten/Hamburger Neueste Zeitung” vom 01.10.1903
Daß ein so quecksilberner Eierquirl wie die Baroneß Hedwig Lörrach den langen stillen Heinsen auf den ersten Anhieb schlankweg geheiratet hatte, das war den Seelenkennern und Herzensauguren des Dragonerregiments „Ernst Albrecht” noch ein Jahr nach der Hochzeit ein Rätsel.
Heinz Heinsen, der blonde Marschensohn, ein Jörn Uhl, wie er im Buche steht, hatte noch nie in seinem Leben eine Dummheit gemacht — Hedwig Lörrach dagegen so ziemlich alle Tage ihres Lebens. In allen Ehren natürlich, aber doch Tollheiten, von denen man sprach, und über die man sich kugelte. Der alte Major a. D. Briese, welcher Philosoph war und nebenbei auch etwas mit Pferden handelte — hatte damals am Offiziersstammtisch im „Nassen Frosch” das Wort geprägt: „Das ist seine erste Dummheit und ihre letzte.” Der Scherz wurde viel kolportiert und belacht — aber er hatte, wie die meisten solcher lapidaren Blender, einen Fehler: er ging auf Kosten der historischen Wahrheit.
Man kann es nicht gut eine Dummheit nennen, wenn ein Mensch durch eine solche so glücklich wird, wie der Rittergutsbesitzer Heinz Heinsen auf Baden-Sanderup. Und andererseits — mit dem letzten tollen Streich von Frau Hedwig hatte es noch gute Wege — — —
Wenn man den blonden Sanderuper so betrachtete, wie er aus der Tür des Herrenhauses trat und mit seinen unglaublich ausgreifenden Schritten nach dem Hoftore schlenderte, erschien es einem geradezu erstaunlich, wie ein Mensch mit einer solchen Haltung Offizier hatte sein können. Die langen Gliedmaßen bewegten sich so lose in den Gelenken, als wenn sie nur mit Bindfaden befestigt gewesen wären. Auf dem mächtigen Rumpfe, dessen Schultern beim Gehen vornüber hingen, saß ein schmaler englischer Kopf mit kurzgeschorenem Blondhaar und einem Gesicht, das eigentlich nur aus einer Anzahl glatt rasierter harter Ecken und Winkel bestand.
Hier aber und in den ernsten grauen Augen lag jene stille unbeugsame Energie versteckt, durch welche Heinz Heinsen nicht nur ein anerkannt tüchtiger Offizier, sondern auch der Gatte von Hedwig Lörrach geworden war. Wenn er es richtig wollte, so hielten sich die zum Abfallen locker gefügten Gliedmaßen wie in Erz gegossen — und der „quecksilberne Eierquirl” hatte damals unter Lachen und Weinen, unter Trotz und Eigensinn „ja” sagen müssen, weil Heinz Heinsen es richtig gewollt hatte. Mit einem Papier in der Rechten, schaute der Sanderuper nach seinem Weibe aus, welches wieder einmal seit zwei Stunden abhanden war. Darin lag nichts Ungewöhnliches, aber er hatte ihr etwas Dringendes mitzuteilen; und da er sie nun von keinem der sonst mit Vorliebe frequentierten Obstbäume hatte herunterschütteln können, mußte sie wohl einen der ebenfalls sehr beliebten weiteren Ausflüge gemacht haben — vielleicht zu den Fischreusen am Moorsee oder — —
Auf der von schlanken Pappeln flankierten Chaussee ging eine Staubwolke auf. Heinz Heinsen kniff unter der blendenden Sonne die Augen zusammen und spähte scharf aus. Gleich darauf ging ein sonniges Leuchten über die Winkel und Ecken seines Gesichts — aber auch der Zug von Energie blitzte auf.
Mit einer raschen Bewegung schob er die Mütze ins Genick und drückte sie da fest auf. Dann nahm er einen Ansatz — und in gewaltigem Sprunge setzte er auf den heranrollenden Leiterwagen, von dem ihm die kleine Frau quietschvergnügt entgegenwinkte.
„Also nun 'mal ein bischen rechts ab auf die ungepflügte Brache, Hinnerk!” rief Heinz Heinsen dem Knechte zu, ehe dieser das entsetzlich rumpelnde Gefährt überhaupt zum Stehen gebracht hatte.
Der federlose Wagen bog unverzüglich auf das Feld ein — und nun ging es, unter Heinsen's anfeuernden Rufen, wie die wilde Jagd über die aufgeworfenen harten Schollen. Wer eine solche Fahrt einmal mitgemacht hat, weiß, was das bedeutet. Die Knochen werden durcheinandergerüttelt, als wenn der leibhaftige Satan mit ihnen knobelte, und alles, was Fleisch an einem ist, wird mürbe wie gut geklopfte Kotelettes. Frau Hedwig Heinsen hatte sich zunächst in die Zunge gebissen, was immer eine kleine Maulsperre bedingt. Unter dieser schaute sie ihren Gatten entsetzt an, um sich dann bei dem nächsten Hochwurf mit einem Schrei an ihn festzuklammern.
„A-a-a-a-ber, Heinz!” stieß sie hervor.
„Fein — was?” erwiderte der junge Landmann seelenruhig. „Ich hab' Dir oft gesagt, Du solltest nicht mit aufs Feld fahren, aber weil es Dir doch gar so vielen Spaß macht, sollst Du Deinen Willen haben — — — hoppla!”
„Heinz!” kreischte Frau Hedwig angstvoll und flehend unter einem geradezu akrobatischen Sprunge des Gefährts.
„Immer halte Dich fest, kleine Deern,” sagte Heinz Heinsen, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich mag auch ganz gern 'mal so fahren — bloß schade, daß wir heute ein bischen wenig Zeit haben.”
„Li — i — i — i — eber, gu — u — u — u — ter Heinz! I — i — i — ch bitte Dich — —!”
„Unser Regiment hat nämlich morgen auf dem benachbarten Emsbütteler Gelände eine Übung — hoppla! Fein, was? Immer halte Dich fest! — eine Übung, und da hat sich Dein Papa, der Herr Oberst von Lörrach, mit seinen Offizieren zum Mittagessen angesagt. Nun fahr' Dich man heute ordentlich aus, kleine Deern, damit Du morgen nicht gleich wieder auf den Leiterwagen steigst, sondern Dich als gesetzte kleine Hausfrau zeigen kannst.”
„Heinz! I — i — i — i — ch kann nicht mehr! Erbarm' Dich! Nie — nie — nie — will ich's wieder tun!”
„Stop, Hinnerk!” kommandierte Heinsen. „Langsam links 'rum auf den Wirtschaftshof. Also Du willst es nicht wieder tun, kleine Deern?”
„Nein — wahr und wahrhaftig nicht!” versicherte Frau Hedwig unter Tränen wie ein gestraftes Kind.
Hein Heinsen nickte zufrieden vor sich hin. Wieder hatte er ihr etwas abgewöhnt. Das ging langsam, aber sicher. Immer eins nach dem andern — — —. Daß Hede Lörrach nur von Fall zu Fall zu belehren war, galt für Heinz Heinsen als eine so ausgemachte Tatsache, daß er sich gar nicht wunderte, als der „quecksilberne Eierquirl” am andern Morgen kategorisch darauf bestand, sich die Kavallerieübung bei Emsbüttel mit anzusehen, und zwar zu Pferde.
„Also schön, kleine Deern,” bemerkte er nach verschiedenen fruchtlosen Einwänden. „Aber ich kann Dir — falls Du es nicht vorziehen solltest, wieder auf einem Leiterwagen zu fahren, — nur mein altes Frontpferd geben, den Friedrich Wilhelm. Des weiteren denk' daran, daß Deinem alten Herrn alle Schlachtenbummelei auf den Tod zuwider ist! Von Weibsleuten besonders!”
„Aber er braucht mich doch nicht zu sehen, Heinz,” erwiderte die kleine Frau lebhaft. „Wir halten uns ganz abseits. Von den Knicks hinter dem Vorwerk können wir das Feld ganz übersehen — ich freu' mich riesig darauf!”
Eine halbe Stunde später hielten Heinz Heinsen und seine Frau, deren zierliches Figürchen auf dem großen dicken Wallach sich urkomisch ausnahm, hinter den Grenzweiden des Sanderuper Vorwerks.
Das Regiment „Ernst Albrecht”, unter dem Kommando seines Chefs, des Oberst Baron von Lörrach, war eben aus Eskadronskolonne in die Regimentskolonne zusammengezogen worden.
Schon bei dem ersten Trompetensignal aus der Ferne hatte der alte Friedrich Wilhelm die Ohren gespitzt. Er bekam Leben und Haltung. Und das so plötzlich, daß Frau Hedwig keine Zeit hatte, ihren Gatten auf das Phänomen aufmerksam zu machen. Nachdem der Gaul die Truppenbewegungen gesehen und nun obendrein ganz aus der Nähe die Auflösungssignale gehört hatte, war er entschlossen, alten, lieben Erinnerungen zu folgen. Als wenn er seine Gelenke probieren wollte, bockte er forsch nach vorn und hinten auf, so daß eine minder firme Reiterin wohl abgesessen wäre — und dann heidi querfeldein, direkt auf das Regiment zu. Dort nahm er unverzüglich Fühlung mit dem Rosse eines Stabsoffiziers, das wahrscheinlich ein Verwandter oder alter Bekannter von ihm war — und machte nun jede Bewegung mit soviel Grazie und Temperament mit, daß Heinz Heinsen hinter dem Sanderuper Weidenknick eine rechte Freude hatte.
Nur als schließlich der Offiziersruf ertönte und der dicke Friedrich Wilhelm getreulich auch diesem Signal folgte — trotz der gegenteiligen Anstrengungen seiner Reiterin — da wurde auch er etwas bedenklich. Er warf sein Pferd herum und ritt in gestrecktem Galopp hinten herum nach der Anhöhe, wo Oberst von Lörrach sich zur Kritik anschickte. Der Kommandeur machte es wider Erwarten kurz und gnädig. Nur ganz zum Schluß wurde er etwas ausführlicher und auch ein wenig schärfer:
„Soweit also, meine Herren, wäre ich ganz zufrieden. Selbst der freiwillige Anschluß, welchen die dritte Eskadron zu meiner und wohl Ihrer Überraschung gefunden hatte, war equestrich ganz anerkennenswert. Militärisch habe ich das allerdings nicht gern gesehen. Auch nach einer anderen Richtung hin nicht. Sehen Sie, meine Herren, das Leben des Soldaten bewegt sich ja nicht nur im Felde. Wenn man tüchtig gearbeitet hat, so hat man auch ein Recht auf ein gutes Mittagbrot — und es ist schmerzlich, wenn man die Aussichten auf ein solches in Frage gezogen sieht. Eine Frau, welche den Vormittag über schlachtenbummelt, kann sich als Hausfrau unmöglich auf der Höhe zeigen. Aber ich will nicht vorgreifen in dieser Hinsicht — auf Sanderup nach Tisch Fortsetzung der Kritik. Ich danke Ihnen, meine Herren!”
Nach dem Essen, das trotzdem und alledem ganz vorzüglich war, nahm Oberst von Lörrach seinen Schwiegersohn in eine Fensternische und sagte, mit einem Augenzwinkern auf die immer noch ein bißchen geknickte kleine Frau: „Na, Heinsen — ich glaube, das tut sie nicht wieder — he — —?”
„Das nicht,” erwiderte Heinz Heinsen mit einem stillen, behaglichen Lächeln in den Ecken und Winkeln seines Gesichts. „Dafür was anderes. Aber das macht nichts.”
„Ich meine auch, mein lieber Jung. Das wird sich alles geben — später, weißt Du — — wenn erst — — — —”
„Natürlich, immer eins nach dem andern!”
— — —